Zwei fundamentale Krisen prägten das 14. Jahrhundert in Europa. In der allgemeinen Erinnerung ist die prominentere der beiden ist die Pest, die in der Mitte des Jahrhunderts ein bisher nicht gekanntes Sterben mit sich brachte. Doch auch die große Hungersnot, die vor allem im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts fast alle Regionen Nordeuropas, von Frankreich im Westen bis Russland im Osten, von Skandinavien bis zu den Alpen, fest in ihrem Griff hielt, stellte eine, sowohl in der Wahrnehmung der Zeitgenossen, als auch aus heutiger Sicht außergewöhnliche Katastrophe dar. In dieser Arbeit soll der Hintergrund der großen Hungersnot, ihre direkten Ursachen und Auslöser, ihr Verlauf und ihre Auswirkungen in verschiedenen Teilen Europas sowie zeitgenössische Gegenmaßnahmen dargestellt werden. Darüber hinaus soll die Bedeutung der Hungersnot im Gesamtkontext des 14. Jahrhunderts als Zeit der Krisen, insbesondere im Hinblick auf einen möglichen Zusammenhang mit der großen Pestepidemie untersucht werden.
Diese Arbeit stützt sich wesentlich auf die Publikation „The Great Famine“ von William Chester Jordan, die die bisher umfangreichste und überdies aktuellste Veröffentlichung zum behandelten Thema darstellt. Darüber hinaus fließen die trotz ihres Alters nach wie vor relevanten Abhandlungen von Abel zu „Agrarkrisen und Agrarkonjunkturen“ und über „Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalters“ sowie eine Reihe weiterer Publikationen anderer Autoren in diese Ausführung mit ein. Ein Großteil der verwendeten Zitate stammt aus der umfassenden Sammlung in Curschmanns Abhandlung „Hungersnöte des Mittelalters“, die trotz ihres inzwischen hohen Alters von über hundert Jahren nach wie vor bedeutsam ist, wie ihre großzügige Verwertung beispielsweise bei Jordan belegt. Traditionell wurde die Hungersnot relativ starr auf 1315 bis 1317 datiert, neueren Erkenntnissen folgend, vor allem unter Berücksichtigung der ab 1318 verbreitet auftretenden Tierseuchen, soll im Rahmen dieser Arbeit der grobe Zeitrahmen der Hungersnot bis zum Jahr 1322 erweitert werden
Inhalt
1. Einleitung
2. Zum Hintergrund:
Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung im Vorfeld der Hungersnot
3. Die Ursachen der Hungersnot
Die Schlechtwetterperiode in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts
Die Produktionskrise
Die Distributionskrise
Teuerung
Überbevölkerung als Erklärungsansatz
Zeitgenössische Ansichten zur Entstehung der Hungersnot
4. Auswirkungen der Hungersnot
Demographische Folgen
Direkte gesundheitliche Auswirkungen
Regionale Auswirkungen auf die Bevölkerungszahlen
Gesellschaftliche Auswirkungen
Verarmung
Kriminalität
Unruhen und Aufstände
Migrationsbewegungen und Siedlungsaufgaben
5. Gegenmaßnahmen
Maßnahmen weltlicher Autoritäten
Klerikale und caritative Maßnahmen
6. Zum Zusammenhang von Hungersnot und Schwarzem Tod
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Auf das prosperierende 13. Jahrhundert, dass weiten Teilen Europas in verschiedenster Hinsicht einen Aufschwung bescherte, folgte mit dem 14. Jahrhundert eine vornehmlich durch zwei fundamentale Krisen geprägte Zeit. Die Pest, die in der Mitte des Jahrhunderts ein bisher nicht gekanntes Sterben mit sich brachte, ist in der allgemeinen Erinnerung die prominentere der beiden Krisen. Doch die große Hungersnot, die vor allem im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts fast alle Regionen Nordeuropas, von Frankreich im Westen bis Russland im Osten, von Skandinavien bis zu den Alpen, fest in ihrem Griff hielt, stellte eine, sowohl in der Wahrnehmung der Zeitgenossen, als auch aus heutiger Sicht außergewöhnliche Katastrophe dar. In dieser Arbeit soll der Hintergrund der großen Hungersnot, ihre direkten Ursachen und Auslöser, ihr Verlauf und ihre Auswirkungen in verschiedenen Teilen Europas sowie zeitgenössische Gegenmaßnahmen dargestellt werden. Darüber hinaus soll die Bedeutung der Hungersnot im Gesamtkontext des 14. Jahrhunderts als Zeit der Krisen, insbesondere im Hinblick auf einen möglichen Zusammenhang mit der großen Pestepidemie untersucht werden.
Diese Arbeit stützt sich wesentlich auf die Publikation „The Great Famine“ von William Chester Jordan, die die bisher umfangreichste und überdies aktuellste Veröffentlichung zum behandelten Thema darstellt. Darüber hinaus fließen die trotz ihres Alters nach wie vor relevanten Abhandlungen von Abel zu „Agrarkrisen und Agrarkonjunkturen“ und über „Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalters“ sowie eine Reihe weiterer Publikationen anderer Autoren in diese Ausführung mit ein. Ein Großteil der verwendeten Zitate stammt aus der umfassenden Sammlung in Curschmanns Abhandlung „Hungersnöte des Mittelalters“, die trotz ihres inzwischen hohen Alters von über hundert Jahren nach wie vor bedeutsam ist, wie ihre großzügige Verwertung beispielsweise bei Jordan belegt. Traditionell wurde die Hungersnot relativ starr auf 1315 bis 1317 datiert, neueren Erkenntnissen folgend, vor allem unter Berücksichtigung der ab 1318 verbreitet auftretenden Tierseuchen, soll im Rahmen dieser Arbeit der grobe Zeitrahmen der Hungersnot bis zum Jahr 1322 erweitert werden
2. Zum Hintergrund: Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung im Vorfeld der Hungersnot
Der großen Hungersnot des 14. Jahrhunderts ging eine ausgeprägte Phase des Aufschwungs in weiten Teilen Europas voraus, die sich sowohl in der Wirtschafts- wie auch in der Bevölkerungsentwicklung niederschlug.[1] Begünstigt wurde diese Phase des Aufschwung, die vor allem das 12. und 13. Jahrhundert umfasst, durch das sehr milde und vorwiegend konstante Klima dieses Zeitraums, sowie durch einen allgemeinen, leichten Erwärmungstrend im Bereich nördlich der Alpen, der bereits im 12. Jahrhundert einsetzte und sich bis über die Mitte des 14. Jahrhunderts hin fortsetzte, unterbrochen nur durch einen markanten Einbruch, der auffälligerweise genau mit dem Beginn der hier zu behandelnden Hungersnot zusammenfällt.[2]
Die Bevölkerung Mitteleuropas verdreifachte sich Schätzungen zu Folge zwischen dem Ende des 11. und der Mitte des 14. Jahrhunderts, wobei konkrete Zahlen auf Grund der sehr unausgeglichenen Quellenlage immer mit Vorsicht zu behandeln sind.[3] Für das Jahr 1300 können in etwa 14 Millionen Einwohner für den deutschsprachigen Raum angenommen werden, die Bevölkerung Englands dürfte ca. fünf Millionen betragen haben, die Bevölkerung Frankreichs in seinen heutigen Grenzen wird unterschiedlichen Schätzungen zu Folge auf 17 bis 21 Million geschätzt und die Einwohner des skandinavische Raums werden auf etwas über zwei Million geschätzt.[4]
Die Bevölkerungszunahme ging einher mit Fortschritten und grundlegenden Wandlungen in unterschiedlichen Bereichen der Wirtschaft. Im Agrarsektor ist ein intensiver Landesausbau sowie die starke Zunahme von Siedlungen und Anbauflächen zu verzeichnen,[5] wobei Modernisierungstendenzen, wie die sich in dieser Zeit verstärkt durchsetzende Dreifelderwirtschaft, der vermehrte Einsatz von Wassermühlen sowie diverse weitere Verbesserungen im Bereich der Landwirtschaftsgeräte ihren Teil zu dieser Entwicklung beigetragen haben dürften.[6] In diese Zeit fällt darüber hinaus das Aufblühen des Städtewesens mit den damit verbundenen Entwicklungen im Bereich des Handels und Gewerbes, mit der Herausbildung komplexerer Verflechtungen des Marktes und der Entwicklung einer ausgeprägten Geldwirtschaft.[7]
Ab der Mitte, verstärkt allerdings ab den 80er und 90er Jahren des 13. Jahrhunderts begann das ökonomische Wachstum sich zu verlangsamen, während das Bevölkerungswachstum unvermindert anhielt. Somit begann sich im ausgehenden 13. Jahrhundert, das dessen ungeachtet bis zu seinem Ende eine Zeit des Aufschwungs darstellte, bereits eine Schere zwischen der Bevölkerungsmenge und der Wirtschaftsproduktion zu öffnen. Wenn diese zunehmende Lücke zwischen Bedarf und Produktion auch nicht ursächlich für die spätere Hungersnot werden sollte, so verschärfte sie doch die allgemeinen Rahmenbedingungen der Versorgung und schuf somit eine nicht unerhebliche Voraussetzung der späteren Katastrophe.[8]
3. Die Ursachen der Hungersnot
Im Folgenden sollen die unterschiedlichen, teilweise in Wechselbeziehungen stehenden Faktoren dargestellt werden, die die große Hungersnot auslösten beziehungsweise zu ihrer Verschärfung beitrugen.
Die Schlechtwetterperiode in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts
Es gilt heute als allgemein anerkannt, dass die große Hungersnot eingeleitet und begleitet wurde von einer der ausgeprägtesten und langwierigsten Schlechtwetterperioden des gesamten Mittelalters, die überdies nach dem überdurchschnittlich milden 13. Jahrhundert die Menschen um so unerwarteter traf.
Geprägt war diese Schlechtwetterperiode von einer kontinuierlichen Abfolge ungewöhnlich kalter und harter Winter zwischen 1310 und 1330, die einhergingen mit einer Reihe außergewöhnlich kalter und regnerischer Sommer, vor allem zwischen 1310 und 1320, wie sowohl schriftliche Quellen, beispielsweise die Nürnberger Analen, als auch Erkenntnisse der Dentrochronologie belegen.[9] Der Ablauf der Schlechtwetterperiode gestaltete sich in unterschiedlichen Regionen Europas unterschiedlich und ist oft im Detail nicht mehr nachzuzeichnen, einzelne Angaben vermitteln dennoch eine grobe Vorstellung der Verhältnisse. So traten im Sommer 1314 in England und Deutschland außergewöhnlich lang anhaltende Regenfälle auf, auf die ein ungewöhnlich kalter Winter sowie starke Platzregen und damit einhergehende Hochwasser im Frühjahr 1315 folgten. Dieses Jahr war erneut geprägt von unablässigem Regen, sowohl in England, als auch in Frankreich und den Niederlanden vom Frühjahr an, besonders heftig während des Sommers in Deutschland und Irland. Das Jahr 1316, das ähnlich schlecht, wenn nicht noch schlechter als die vorhergehenden verlief, wurde wieder von einem rauen Winter eingeleitet. Die Platzregenfälle kamen, den Chronisten zu Folge, stets in den denkbar ungünstigsten Momenten, also direkt nach dem Ausbringen der Saat, beim Keimen der ersten Trieb, und mit besonderer Härte kurz vor dem Einbringen der Ernte.[10] Starke Überschwemmungen mit verheerenden Hochwasserschäden sind entlang der Donau, in Bayern und Österreich, aber auch an der Elbe und in Thüringen für dieses Jahr überliefert.[11] 1317 ließen die starken Regenfälle in weiten Teilen Europas nach, nur noch der westliche Teil Deutschlands war von ihnen betroffen. Auf diese kurze Entspannung folgte allerdings mit dem Jahreswechsel von 1317 zu 1318 der härteste Winter der gesamten Periode, der sich als ungewöhnlich kalt erwies und lange bis ins neue Jahr hinein anhielt. Ab 1318 begann sich die Wettersituation europaweit langsam zu normalisieren, manche Regionen wurden allerdings erst jetzt oder in den folgenden drei Jahren mit voller Härte von den Wetteranomalien in Mitleidenschaft gezogen. So wurde 1318 für Irland das schlimmste Jahr der gesamten Periode, geprägt vor allem von unaufhörlichen Regenfällen. 1319 wurde die Normandie von verheerenden Stürmen heimgesucht, Flandern litt wiederholt 1320 und 1322 unter Überflutungen, die die gesamte Wirtschaft in Mitleidenschaft zog. Den Endpunkt dieser Katastrophenperiode bildete der nochmals sehr harsche Winter von 1321/22, in dem Teile der Nordsee und, wie bereits 1316, die Ostsee gefror, so dass der Schiffsverkehr weitestgehend zum erliegen kam.[12]
Die Produktionskrise
Als direkte Folge der anhaltenden Schlechtwetterperiode trat im gesamten betroffenen Bereich eine ausgeprägte Produktionskrise ein, die weite Bereiche des Wirtschaftslebens erfasste. Am schwersten unter den Auswirkungen der Wetteranomalien wogen zunächst die Missernten, die im gesamten nordeuropäischen Bereich massiv eintraten. Der mittelalterliche Getreideanbau dieser Zeit, mit Ertragsverhältnissen, die sich durchschnittlich um den Wert von 5:1 im Verhältnis von geernteten zu gesäten Scheffeln Getreide bewegten, in Skandinavien teilweise nur 2:1, war im ganz besonderen Maße von den Wetterverhältnissen abhängig.[13] Mit den Rechnungsbüchern des Bistums Winchester liegen Aufzeichnungen aus England vor, die zumindest einen exemplarischen Einblick in das Ausmaß der Ernteausfälle erlauben. Diesen Aufzeichnungen zu Folge brachen die Weizenerträge der bistümlichen Güter 1315 um zunächst 36 Prozent im Verhältnis zum Durchschnittswert zwischen 1307 und 1318 ein, im folgenden Jahr untertrafen sie diese sogar um 45 Prozent, um 1317 immerhin noch 13 Prozent darunter zu liegen.[14] Untersuchungen zu Getreideerträgen zwischen 1315 und 1317 in Norwegen weißen deutliche Parallelen mit den Erkenntnissen aus Winchester auf, Analysen aus der Region um Braunschweig und in Nordfrankreich lassen auf vergleichbare Ausfälle schließen.[15] Neben dem Getreideanbau waren auch andere Bereiche der Landwirtschaft betroffen, beispielsweise der Weinanbau im Norden Frankreichs, der 1315 und 1316 Berichten zu Folge fast völlig zum erliegen kam.[16]
[...]
[1] Vgl. Rösener, Krisen, S.25.
[2] Vgl. Jordan, Famine, S. 16.
[3] Vgl. Abel, Agrarkrisen, S. 32.
[4] Vgl Jordan, Famine, S.12.
[5] Vgl. Rösener, Krisen, S. 25.
[6] Vgl. Abel, Agrarkrisen, S. 33f.
[7] Vg. Rösener, Krisen, S.25.
[8] Vgl. Jordan, Famine, S.12.
[9] Vgl. ebd. S. 17.
[10] Vgl. ebd. S. 18.
[11] Vgl. Glaser, Klimageschichte, S.65.
[12] Vgl. Jordan, Famine, S.18f.
[13] Vgl. ebd. S. 25.
[14] Vgl. Abel, Agrarkrisen, S.47
[15] Vgl. Jordan S.33.
[16] Vgl. ebd. S.34.
- Quote paper
- Thomas Kauf (Author), 2006, Ursachen und Folgen der großen Hungersnot von 1315-1322, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93037
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