Im Rahmen dieser Arbeit wird das Thema Scheidungskinder näher betrachtet. Auswirkungen der elterlichen Trennung und daraus entstehende Aufgaben für die Fachkräfte der Sozialen Arbeit werden untersucht. Jährlich sind ca. 180.000 Minderjährige von der elterlichen Trennung betroffen und in nahezu allen sozialen Institutionen anzutreffen, wodurch die Relevanz dieser Thematik deutlich wird.
Eine elterliche Trennung ist ein einschneidendes, zunächst sehr belastendes Erlebnis für Kinder aller Altersgruppen, das zu vielen Veränderungen führen kann. Je konfliktreicher eine Trennung verläuft, desto höher ist das Risiko, dass betroffene Kinder langfristig oder sogar lebenslänglich Folgen davontragen. Ausschlaggebend ist vor allem das elterliche Verhalten. Bei hochstrittigen Konflikten geraten Kinder und ihre Bedürfnisse häufiger aus dem Blickfeld der Eltern, woraus eine Kindeswohlgefährdung resultieren kann. Um dieses Risiko und das weiterer Langzeitfolgen zu verringern, kommen auf Fachkräfte der Sozialen Arbeit neue, vielfältige Aufgaben zu.
Für einen aktuellen Einblick in die Praxis wurden 401 Fachkräfte der Sozialen Arbeit im Rahmen einer Onlineumfrage befragt. Ergänzend dazu wurden sechs Leitungskräfte von Kindertagesstätten interviewt, so dass ein umfangreicher Einblick in den Elementarbereich gewährleistet ist.
Dabei wurde deutlich, dass sich die Aufgaben in allen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit verändern und Scheidungskinder die Fachkräfte mit neuen Herausforderungen konfrontieren. Sie fallen mit ihrem Verhalten häufiger auf und fordern intensivere Interaktionen. Zusätzlich nimmt der Bereich der Elternarbeit eine zentrale Rolle ein. Ziel ist es durch intensive Gespräche, z.B. Beratung und Mediation, das Konfliktpotential der Eltern zu reduzieren und die Eltern dabei zu unterstützen, ihre Aufgaben auf der Elternebene zum Wohl des Kindes wahrzunehmen.
Bedenklich ist, dass Fachkräfte in Ausbildung und Studium selten angemessen im Bereich diese Thematik geschult werden. Zudem beruhen Beratung und Mediation aktuell in der Regel auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und werden seltener in Anspruch genommen.
In der empirischen Analyse wurde deutlich, dass seitens der Eltern im Trennungsprozess große Hemmschwellen bestehen, unbekannte Institutionen aufzusuchen. Demzufolge besteht u.a. im Bereich der Kooperationen verschiedener Institutionen weiterer Handlungsbedarf.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Das Ende einer Ehe
2.1.1 Gespräch mit dem Kind
2.1.2 Vier Phasen einer Trennung
2.1.3 Situation nach der Trennung
2.2 Sorgerecht und Umgangsrecht
2.2.1 Sorgerecht
2.2.2 Umgangsrecht
2.3 Umgangsmodelle nach der Trennung
2.3.1 Familien-WG
2.3.2 Besuchsmodell
2.3.3 Residenzmodell
2.3.4 Wechselmodell
2.3.5 Nestmodell
2.3.6 „Free Access“
3 Auswirkungen der elterlichen Trennung auf das Kind
3.1 Abhängigkeit von dem Trennungsverlauf
3.1.1 Finanzielle Situation
3.1.2 Fremdbetreuung
3.1.3 Wohnortwechsel
3.1.4 Trauerndes Elternteil
3.1.5 Neue Partnerschaft
3.2 Allgemeine Trennungsauswirkungen und Reaktionen
3.2.1 Vor der Geburt
3.2.2 Kinder unter drei Jahren
3.2.3 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren
3.2.4 Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren
3.2.5 Kinder in der Pubertät (12 – 18 Jahre)
3.3 Genderspezifische Reaktionen
3.3.1 Verhalten der Jungen
3.3.2 Verhalten der Mädchen
3.4 Rolle der Geschwister
3.5 Langfristige Folgen
3.5.1 Kontaktverlust zum Vater
3.5.2 Kontaktverlust zur Mutter
3.5.3 Parental Alienation Syndrom (PAS)
4 Zwischenfazit
5 Soziale Arbeit im Kontext von Scheidungskindern
5.1 Elementarbereich
5.1.1 Experteninterviews
5.1.1.1 Durchführung
5.1.1.2 Methodische Vorgehensweise bei der Auswertung
5.1.1.3 Interpretation und Einordnung der Ergebnisse
5.1.2 Zusammenfassung der Erkenntnisse
5.2 Gruppensettings für Trennungs- und Scheidungskinder
5.2.1 Organisation und Rahmenbedingungen
5.2.2 Ablauf und Inhalte
5.3 Interventionsprogramme für Eltern
5.3.1 Gemeinsame Beratung
5.3.2 Einzelberatung
5.3.3 Einbezug der Kinder
5.3.3.1 Indirekter Einbezug
5.3.3.2 Direkter Einbezug
5.4 Mediation
5.5 Präventionsprogramm zur Konfliktvermeidung
5.6 Zusammenarbeit mit anderen Professionen
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Anlagen
Executive Summary
Im Rahmen dieser Arbeit wird das Thema Scheidungskinder näher betrachtet. Auswirkungen der elterlichen Trennung und daraus entstehende Aufgaben für die Fachkräfte der Sozialen Arbeit werden untersucht. Jährlich sind ca. 180.000 Minderjährige von der elterlichen Trennung betroffen und in nahezu allen sozialen Institutionen anzutreffen, wodurch die Relevanz dieser Thematik deutlich wird.
Eine elterliche Trennung ist ein einschneidendes, zunächst sehr belastendes Erlebnis für Kinder aller Altersgruppen, das zu vielen Veränderungen führen kann. Je konfliktreicher eine Trennung verläuft, desto höher ist das Risiko, dass betroffene Kinder langfristig oder sogar lebenslänglich Folgen davontragen. Ausschlaggebend ist vor allem das elterliche Verhalten. Bei hochstrittigen Konflikten geraten Kinder und ihre Bedürfnisse häufiger aus dem Blickfeld der Eltern, woraus eine Kindeswohlgefährdung resultieren kann. Um dieses Risiko und das weiterer Langzeitfolgen zu verringern, kommen auf Fachkräfte der Sozialen Arbeit neue, vielfältige Aufgaben zu.
Für einen aktuellen Einblick in die Praxis wurden 401 Fachkräfte der Sozialen Arbeit im Rahmen einer Onlineumfrage befragt. Ergänzend dazu wurden sechs Leitungskräfte von Kindertagesstätten interviewt, so dass ein umfangreicher Einblick in den Elementarbereich gewährleistet ist. Dabei wurde deutlich, dass sich die Aufgaben in allen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit verändern und Scheidungskinder die Fachkräfte mit neuen Herausforderungen konfrontieren. Sie fallen mit ihrem Verhalten häufiger auf und fordern intensivere Interaktionen. Zusätzlich nimmt der Bereich der Elternarbeit eine zentrale Rolle ein. Ziel ist es durch intensive Gespräche, z.B. Beratung und Mediation, das Konfliktpotential der Eltern zu reduzieren und die Eltern dabei zu unterstützen, ihre Aufgaben auf der Elternebene zum Wohl des Kindes wahrzunehmen.
Bedenklich ist, dass Fachkräfte in Ausbildung und Studium selten angemessen im Bereich diese Thematik geschult werden. Zudem beruhen Beratung und Mediation aktuell in der Regel auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und werden seltener in Anspruch genommen.
In der empirischen Analyse wurde deutlich, dass seitens der Eltern im Trennungsprozess große Hemmschwellen bestehen, unbekannte Institutionen aufzusuchen. Demzufolge besteht u.a. im Bereich der Kooperationen verschiedener Institutionen weiterer Handlungsbedarf.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Scheidungsquote in Deutschland 1960 bis 2018
Abbildung 2: Anzahl der Alleinerziehenden in Deutschland nach Geschlecht von 2000 bis 2018
Abbildung 3: Trennungs-/Scheidungskinder in sozialen Institutionen
Abbildung 4: Anstieg der Scheidungs-/Trennungskinder in der Sozialen Arbeit
Abbildung 5: Einfluss von Scheidungs-/Trennungskindern auf den pädagogischen Alltag
Abbildung 6: Thema „Trennung und Scheidung“ in Ausbildung und Studium
1 Einleitung
In den vergangenen 60 Jahren unterlag das „System Familie“ in Deutschland einem starken Wandel. Bis 1960 war eine Kernfamilie (Mutter, Vater und mindestens ein gemeinsames leibliches Kind) die typische Lebensform (vgl. Brisch 2014: S. 36). Heute sind Trennungen und Scheidungen keine Seltenheit mehr, im Jahr 2018 wurde in Deutschland fast jede dritte Ehe geschieden (vgl. Statista 2019). Für Kinder ist die Trennung der Eltern ein einschneidendes Erlebnis, von dem jährlich etwa 180.000 Minderjährige betroffen sind (vgl. Koch 2019a: S. 18). Eine elterliche Trennung führt zu vielfältigen neuen Familienformen und Umgangsmodellen, auf die in Kapitel 2.3 dieser Arbeit näher eingegangen wird.
Die vorliegende Arbeit ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil werden u.a. verschiedenen Trennungsphasen (s. Kap. 2.1), rechtlichen Grundlagen (s. Kap. 2.2) sowie verschiedene Auswirkungen der elterlichen Trennung auf das Kind (s. Kap. 3) detailliert dargestellt. Altersabhängige und genderspezifische Reaktionen werden zusätzlich näher betrachtet.
Gemeinsam haben alle diese Kinder, dass ihr bekanntes und Sicherheit gebendes Familiensystem zerbricht (vgl. George 2019: S. 82). Kinder nehmen von Geburt an ihre Eltern als eine Einheit wahr, von der sie bedingungslose Liebe, Geborgenheit und Sicherheit erfahren. Dadurch entsteht schon früh ein „Urvertrauen“, das durch die Trennung der Eltern, zumindest vorübergehend, massiv verletzt wird (vgl. Koch 2019a: S. 23). Die dadurch resultierenden Folgen können ihre weitere Entwicklung, ihren Alltag sowie ihr soziales Umfeld langanhaltend beeinflussen (vgl. Beal & Hochman 2017: S. 20 f.). Soziale Institutionen werden im Kontext von Trennungs-/Scheidungskindern mit neuen Aufgaben konfrontiert (vgl. Koch 2018: S. 8 f.), die im zweiten Teil (Kap. 5) thematisiert werden. Die vorliegende Arbeit untersucht die genannte Thematik auf Basis der Leitfrage:
„Welche Auswirkungen hat die elterliche Trennung für die Kinder und welche Aufgaben entstehen daraus für die Soziale Arbeit?“.
Mit der Einordnung der Auswirkungen im Anschluss an den Überblick über den Forschungsstand wird so die Grundlage für den empirischen Teil dieser Arbeit geschaffen. Für einen aktuellen Einblick in den Alltag der Sozialen Arbeit wurden dazu 401 Fachkräfte mit einem standardisierten Kurzfragebogen online befragt (s. Kap. 5). Ergänzend wurden für einen aktuellen Einblick in den Elementarbereich im Kontext von Trennungs- und Scheidungskinder sechs Experteninterviews geführt (s. Kap. 5.1). Dadurch wurden Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten für die Soziale Arbeit herausgearbeitet, die in Kapitel 5.1.2 zusammenfassend dargestellt werden.
2 Theoretische Grundlagen
Bis in die 1950er Jahre war die Scheidungsrate sehr gering. Seit 1960 stiegen die Scheidungszahlen deutlich an und lagen im Jahr 2005 bei über 50 Prozent. Die Gründe sind vielfältig, zu nennen sind beispielsweise die Frauenbewegung, die zunehmende Berufstätigkeit der Frauen und gesellschaftliche Veränderungen (vgl. Schaan, Schulz & Vögele 2019: S. 34). Wie in der Abbildung 1 zu erkennen ist, sinkt die Scheidungsrate seit 2011, so dass 2018 etwa jede dritte Ehe geschieden wurde.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Scheidungsquote in Deutschland 1960 bis 2018 (Statista 2019)
Neben den Scheidungszahlen haben sich auch die Zahlen der Eheschließungen deutlich verändert, wie der Tabelle 1 entnommen werden kann.
Tabelle 1: Eheschließungen 1950 – 2018 (eigene Darstellung nach Statista 2020)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
*seit dem 1. Oktober 2017 sind gleichgeschlechtliche Ehen in Deutschland zulässig, so dass diese im Jahr 2018 mit in die Statistik eingeflossen sind (ebd.).
Daraus ergibt sich, dass Paare heute häufiger unverheiratet in einer Lebenspartnerschaft (Kohabitation) leben. Die Kinder dieser Paare leiden genauso unter der Trennung ihrer Eltern wie Kinder von verheirateten Paaren (vgl. Koch 2019a: S. 19).
2.1 Das Ende einer Ehe
Eine Ehe hielt im Jahr 2018 durchschnittlich 14,9 Jahre (vgl. Statista 2020). Anhand von aktuellen Studien ist erkennbar, dass sich Paare immer häufiger sehr früh trennen, wenn die Kinder noch sehr jung sind (vgl. Lütkehaus & Matthäus 2018: S. 4). Ursachen dafür sind unter anderem: Uneinigkeit in der Erziehung, Überforderung mit der neuen Familiensituation, Schlafentzug und fehlende Intimität (vgl. Koch 2019: S. 18). Bis zur endgültigen Trennung können jedoch Jahre vergehen, die häufig von starken Konflikten geprägt sind. Mit dem Gedanken der Trennung beschäftigen sich viele Paare somit lange im Vorfeld. Sie bereiten sich bewusst oder unbewusst psychisch auf eine Trennung und die daraus resultierenden Veränderungen vor. Die endgültige Trennung und die Offenlegung empfinden einige Eltern dann sogar als Erleichterung (vgl. Schaan, Schulz & Vögele 2019: S. 34).
Für die Kinder ist diese Entscheidung meist unerwartet, selbst wenn sie einige elterliche Konflikte miterlebt haben. Sie sehen ihre Sicherheit bedroht, was große Ängste auslösen kann. Je konfliktreicher die Zeit vor der Trennung ist, desto belastender ist diese aber auch für die Kinder (vgl. Neurologen und Psychiater 2019). Bei langanhaltenden und hochstrittigen Konflikten kann die elterliche Trennung somit eine Erleichterung sein und für Kinder eine Chance auf Stabilisierung der familiären Situation bedeuten. So können der Belastung durch die elterliche Trennung auch Entlastungen gegenüberstehen (vgl. Walper & Langmeyer 2014: S. 171).
Trennungen verlaufen in der Regel asymmetrisch, das heißt, ein Elternteil leidet stärker unter der Trennung als der andere. Wenn ein Elternteil direkt eine neue Beziehung eingeht oder diese sogar die Trennung auslöst, erfolgt oft eine „Opfer-Täter-Zuweisung“. Diese kann zu hochstrittigen Elternkonflikte führen, in denen die Konfliktlösungsfähigkeit der Erwachsenen verloren geht. Kinder leiden unter solch einer Situation enorm, insbesondere dann, wenn die Kommunikation der Eltern ausschließlich über Anwälte erfolgt (vgl. Keil de Ballón 2018: S. 4).
Eine Familie ist für Kinder ein emotionaler Ort, an dem sie Liebe, Rückhalt und Sicherheit finden sollten. Daher sind auch kleinere elterliche Konflikte und insbesondere eine Trennung, als das endgültige Ende des bekannten Familiensystems, einschneidende Erfahrungen, die Kinder vor neue, schwierige Aufgaben stellen.
Somit stellt jede Trennung, selbst wenn sie einvernehmlich zwischen den Eltern verläuft, für alle Kinder zunächst eine Krise dar, in der sie, zumindest vorübergehend, einem Loyalitätskonflikt ausgesetzt sind (vgl. Neurologen und Psychiater im Netz 2020).
Loyalität bedeutet in diesem Zusammenhang das Zusammenwirken von Begegnungen und Gerechtigkeit. Sie wird unbewusst erlebt und gelebt, bis ein Individuum genötigt wird, Position zwischen zwei Menschen zu beziehen, wie es bei der elterlichen Trennung der Fall ist. Loyalität gegenüber einem Elternteil würde zu Illoyalität gegenüber dem anderen Elternteil führen, ein Loyalitätskonflikt entsteht (vgl. Staub 2018a: S. 22 ff.).
Gefühle, die nach Staub (2018a) dadurch ausgelöst werden können, sind unter anderem:
- Angst vor Bestrafung, insbesondere wenn das Kind weiterhin beide Elternteile liebt.
- Angst von einem Elternteil ausgeschlossen zu werden.
- Schuldgefühle, Kinder geben sich an der Trennung häufig selbst die Schuld.
- Angst vor Bedeutungslosigkeit, bedingt durch fehlende Identität.
- Kontrollverlust sowie Hilf- und Aussichtslosigkeit (S. 25).
Diese Gefühle auszuhalten ist für die Kinder eine enorme psychische Belastung. Wichtig ist daher eine schnelle Erlösung aus diesem Konflikt, um langfristige psychologische Störungen zu verhindern (ebd.). Ein erster Schritt, der Erleichterung schafft und dem Kind Klarheit vermittelt, ist ein Gespräch mit seinen Eltern.
[...]
- Citar trabajo
- Anónimo,, 2020, Scheidungskinder. Auswirkungen der elterlichen Trennung und Aufgabe für die Soziale Arbeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/930044
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