Nach einer kurzen Einführung wird zunächst die aktuelle Situation von Familien in Deutschland beleuchtet, bevor ein umfassendes Bild des deutschen Mittelstandes gegeben wird. Unternehmensexterne wie -interne Triebkräfte familienfreundlicher Personalpolitik kategorisiert das darauf folgende Kapitel. Im Folgenden werden die durch Staat, andere Institutionen und den freien Markt determinierten Rahmenbedingungen betrieblicher familienpolitischer Maßnahmen beschrieben. Praktische Gestaltungsmöglichkeiten familienfreundlicher Personalpolitik innerhalb des Betriebes - und speziell in kleinen und mittleren Unternehmen – werden anschließend aufgezeigt und sollen einen Überblick über die Bandbreite des betrieblichen Handlungsfeldes geben. Ergänzend dazu werden die Auditierung familienfreundlicher Betriebe in Deutschland sowie zwei Best-Practice-Beispiele aus dem deutschen Mittelstand vorgestellt. Eine abschließende Betrachtung erfolgt im Fazit. Der Anhang liefert weiterführende Informationen zum Thema.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einführung.
1.1 Aktualität und Komplexität der Thematik.
1.2 Eingrenzung und Zielsetzung der Arbeit
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Familie und Kinder - Aktuelle Situation in Deutschland.
2.1 Bedeutung der Familie
2.2 Wertewandel und moderne Familienmodelle
2.3 Externe Effekte von Familie auf Wirtschaft und Gesellschaft.
2.4 Demografische Entwicklung als Determinante veränderter Familienstrukturen
2.5 Frauenerwerbstätigkeit - Status Quo und Ausblick
3 Der deutsche Mittelstand.
3.1 Definition und Situationsbeschreibung
3.1.1 Definition und Abgrenzung..
3.1.2 Struktur und Bedeutung des deutschen Mittelstandes.
3.1.3 Wirtschaftliche Entwicklung und Zukunftsprognose
3.2 Besondere Herausforderungen des Mittelstandes im Hinblick auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf
3.2.1 Betriebsgröße als Wesensmerkmal von KMU.
3.2.2 Flexibilität versus Unflexibilität..
3.2.3 Starke Abhängigkeit von der Unternehmensführung
4 Triebkräfte familienfreundlicher Personalpolitik
4.1 Notwendigkeit familienorientierter Personalpolitik
4.1.1 Demografische Entwicklung als Herausforderung
4.1.2 Stärkung von Gesellschaft und Gesamtwirtschaft.
4.1.3 Anforderungen an das moderne Arbeitsleben...
4.2 Innerbetriebliche Motive familienfreundlicher Personalpolitik
4.2.1 Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung
4.2.2 Unternehmenserfolgssteigerung und Kostensenkung
4.2.3 Wirtschaftliche Vorteile aus Kapitalmarktsicht
5 Externe Determinanten betrieblicher Personalpolitik
5.1 Staatliche Gestaltungsmöglichkeiten
5.1.1 Ausgewählte ideelle Förderung und Aufklärung
5.1.2 Ausgewählte familienpolitisch relevante Rechtsnormen.
5.1.2.1 Bestimmungen zum Mutterschutz
5.1.2.2 Gesetz zur Elternzeit.
5.1.2.3 Teilzeitbeschäftigung nach BEEG
5.1.3 Ausgewählte finanzielle Transferleistungen
5.1.3.1 Staatliche Transferleistungen für Familien
5.1.3.1.1 Das Mutterschaftsgeld.
5.1.3.1.2 Das Elterngeld...
5.1.3.2 Staatliche Förderung betrieblicher Maßnahmen..
5.1.3.3 Staatliche Angebote im Bereich Kinderbetreuung...
5.2 Tarifliche Gestaltungsoptionen familienfreundlicher Personalpolitik.
5.3 Weitere Initiativen und Netzwerke.
5.4 Private Dienstleister im Bereich Familie und Beruf
5.4.1 Aktuelle Marktentwicklung privatwirtschaftlicher Kinderbetreuung
5.4.2 Neue Geschäftsmodelle und Ausblick.
6 Betriebliche Ansatzpunkte familienfreundlicher Personalpolitik...
6.1 Famlienfreundliches Zeitmanagement.
6.1.1 Implementierung von Teilzeitarbeit...
6.1.2 Flexible Arbeitszeitgestaltung
6.2 Optimiertes Arbeitsablaufmanagement.
6.3 Innerbetriebliche Leistungsangebote...
6.3.1 Familienservice-Angebote.
6.3.2 Beratung, Informations- und Vermittlungsleistungen...
6.3.3 Unterstützung bei der Kinderbetreuung durch den Betrieb.
6.3.4 Finanzielle Unterstützungsleistungen.
6.4 Gestaltung einer familienfreundlichen Unternehmenskultur...
6.4.1 Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung und -entwicklung...
6.4.2 Gelebte familienfreundliche Unternehmenskultur
6.5 Erfolgsfaktoren familienorientierter Personalpolitik
6.6 Probleme im Kontext der Implementierung familienfreundlicher Maßnahmen.
7 Erfahrungen aus der Praxis
7.1 Auditierung familienfreundlicher Unternehmen.
7.1.1 Auditierung in Deutschland
7.1.2 Das Hertie audit berufundfamilie.
7.2 Ausgewählte Best-Practice-Beispiele
7.2.1 Vaude Sport GmbH Tettnang.
7.2.2 Gärtner Datensysteme GbR Braunschweig
8 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang..
Danksagung.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Anzahl KMU nach Branchenzugehörigkeit
Abbildung 2: Anzahl KMU nach Rechtsform
Abbildung 3: Anzahl KMU nach Umsatz
Abbildung 4: Anzahl KMU nach der Zahl der FTE-Beschäftigten
Abbildung 5: Einschätzung der eigenen Wirtschaftslage durch KMU
Abbildung 6: Zusammenhang der Akteure zum Thema Kinderbetreuung
Abbildung 7: Wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität durch Work-Life-Balance-Konzepte
Abbildung 8: Trends und Anforderungen an das moderne Arbeitsleben
Abbildung 9: Besuch von Kinderbetreuungseinrichtung
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Private Lebensformen im Alter von 18 Jahren und älter
Tabelle 2: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland nach Altersgruppen
Tabelle 3: Motive für familienfreundliche Maßnahmen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Vorwort
Die vorliegende Diplomarbeit bildet den Abschluss meines Studiums zur Diplom-Betriebswirtin (FH) im Studiengang „Internationales Personalmanagement und Organisation“ an der Fachhochschule für Wirtschaft Ludwigshafen.
Die Idee, mich mit der Thematik "Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ im Rah- men meiner Abschlussarbeit zu beschäftigen, entstand bereits zu Beginn mei- nes Hauptstudiums. Durch die öffentliche Debatte angeregt und vor allem auf- grund der auch in meinem Freundeskreis immer wiederkehrenden Präsenz des Themas Familie und Karriere hege ich persönlich ein intensives Interesse an diesem Thema.
Die Arbeit bot mir die Möglichkeit, mich mit einer mir sehr am Herzen liegenden Thematik zu beschäftigen und einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, einen Ü- berblick über die derzeitigen Rahmenbedingungen der Vereinbarkeit von Fami- lie und Beruf im deutschen Mittelstand zu geben sowie Gestaltungsmöglichkei- ten aufzuzeigen.
Die in dieser Darstellung verwendeten Personen- und Funktionsbezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen. Auf die durchgängige Verwendung der weiblichen und männlichen Form wird aus stilistischen Gründen verzichtet.
1 Einführung
„Zwei Dinge braucht der Mensch zum Glück: Arbeit und Liebe.“
Sigmund Freud
1.1 Aktualität und Komplexität der Thematik
Beruf und Familie stellen die zwei zentralen Lebensbereiche des Menschen dar. Zwei Bereiche, die in einer wechselseitigen, wenn auch niemals gleichgewichtigen Beziehung stehen und in Einklang gebracht werden müssen.1
Über eine mögliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie und sich daraus ergebende Problematiken wurde und wird viel geschrieben und diskutiert. Die Möglichkeiten, diese Konflikte zu lösen, werden vor allem mit Blick auf die so genannte Doppelbelastung von Frauen sehr unterschiedlich eingeschätzt. Provokante Thesen werden in der Öffentlichkeit aufgestellt, beispielsweise die der Schädlichkeit frühkindlicher Betreuung für das Kindeswohl2 oder gar die öffentlich diskutierte Frage, ob der Feminismus nicht doch ein Irrtum war und die Frau ihren Platz bei Kind und Herd wieder einnehmen sollte.3
Dass dieses Phänomen jedoch mitnichten so neu ist wie viele denken, zeigt beispielsweise die Veröffentlichung von Ursula Lehr aus dem Jahr 1979 mit dem provokanten Titel „Ist Frauenarbeit schädlich?“.4 Mit den größtenteils ideo- logisierten Diskussionen in zahlreichen Talkshows, Zeitungsartikeln, Büchern und vermeintlichen Ratgebern wird heutzutage eine hohe Auflage und Quote in Rundfunk, Fernsehen und Printmedien erreicht. Dass es in dieser Debatte auch um sehr viel Geld geht, sollte man bei der omnipräsenten Diskussion dieser Tage nicht außer Acht lassen und unter diesem Gesichtspunkt die tatsächlichen
Motive und Hintergründe dieser doch teils sehr dogmatisch und unreflektiert geführten Debatte überdenken.
Die Ursachen der Aktualität des Themas Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind in anderen Entwicklungen begründet. Schwerpunktmäßig finden sich diese vor allem in der steigenden Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben und dem jedoch nicht entsprechend gestiegenen Engagement der Männer in Haushalt und Familie sowie in der Instabilität der Familien bzw. dem wachsenden Anteil alleinerziehender Mütter und Väter. Auch neue Formen von Familie und Zu- sammenleben und die Debatte um sinkende Geburtenraten in Deutschland tra- gen ihren Anteil dazu bei. Die sich wandelnde Arbeitswelt mit ihren geänderten Anforderungen an Mitarbeiter und Unternehmen sowie der Wertewandel unse- rer Gesellschaft stellen hierzu die Rahmenbedingungen dar.5
1.2 Eingrenzung und Zielsetzung der Arbeit
Das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt sich nicht nur bei der Versorgung von Kindern, sondern auch im Hinblick auf die Unterstützung und Pflege älterer Familienangehöriger. Die Anzahl der Personen, die andere Familienangehörige pflegen, ist 2004 mit 73 Prozent immer noch überwiegend weiblich, der Anteil der Männer hat laut Bundesregierung seit 1998 allerdings zugenommen.6 Aufgrund der Komplexität und Weitläufigkeit des Themas Ver- einbarkeit von Familie und Beruf beschränkt sich diese Arbeit ausschließlich auf die Problemstellungen und Herausforderungen im Kontext notweniger Versor- gung von speziell kleineren Kindern und lässt den Teilbereich Pflegebedarf älte- rer Familienangehöriger bewusst außen vor.
Eng verbunden mit der Problematik von Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in zahlreicher Literatur auch häufig die Frage nach der Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Arbeitsleben sowie nach den Ansätzen des Diversity Managements (zu verstehen als Vielfalts-Management im Sinne einer unter- nehmensseitigen Wertschätzung der Mitarbeiter unabhängig von Geschlecht,
Herkunft, Religion, sexueller Identität etc.)7. Trotz des biologisch und kulturell bedingt engeren Zusammenhangs zwischen Frauenerwerbstätigkeit und der Schwierigkeit, Familie und Beruf zu vereinbaren, beschäftigt sich diese Arbeit - unter dem Vorzeichen einer fortschreitenden Modernisierung unserer Gesell- schaft und Wertvorstellungen - sowohl mit Männern und Frauen als ebenbürti- ge Elternteile mit gleichwertiger Problematik. Auf die Betrachtung der oftmals ideologisierten und vorurteilsbelasteten Diskussion der Aspekte von Gleichbe- rechtigung, Emanzipation und Diversity-Bewegungen sowie deren Wandel und Veränderungen wird bewusst verzichtet. Ein klarer und fokussierter Blick auf die betrieblichen Möglichkeiten familienfreundlicher Maßnahmen und Personalpoli- tik in kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland wird somit gewährleis- tet. Ungeachtet dessen werden einzelne ausgewählte und bedeutende frauen- spezifische Aspekte zum besseren Gesamtverständnis der Thematik näher be- leuchtet.
Kleine und mittelständische Unternehmen stehen aufgrund ihrer gesamtwirt- schaftlichen Bedeutung im Fokus dieser Arbeit. Zudem lautet ein gängiges Vor- urteil zum Thema familienfreundliche Maßnahmen und gesellschaftliches En- gagement in kleinen und mittelständischen Unternehmen, „dass es nur große Konzerne oder börsennotierte Unternehmen sind, die sich derartige Aktivitäten leisten können. Aber es war und ist schon immer der Mittelstand gewesen, der seine gesellschaftliche Verantwortung wahrgenommen hat. Kunden- und Liefe- rantennähe, enge Verbundenheit mit dem Standort und der Region haben dazu geführt, dass sich auch der […] Mittelstand seit vielen Jahrzehnten sehr für ge- sellschaftliche Projekte engagiert.“8 Anliegen dieser Arbeit ist es daher, Rah- menbedingungen für Vereinbarkeit von Familie und Beruf in kleinen und mittle- ren Unternehmen zu beleuchten und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Familien- orientierung dort umgesetzt werden und zum Erfolg des Unternehmens beitra- gen kann.
1.3 Aufbau der Arbeit
Nach einer kurzen Einführung wird in Kapitel 2 zunächst die aktuelle Situation von Familien in Deutschland beleuchtet, bevor in Kapitel 3 ein umfassendes Bild des deutschen Mittelstandes gegeben wird. Unternehmensexterne wie - interne Triebkräfte familienfreundlicher Personalpolitik kategorisiert Kapitel 4. Im darauf folgenden Kapitel 5 werden die durch Staat, andere Institutionen und den freien Markt determinierten Rahmenbedingungen betrieblicher familienpoli- tischer Maßnahmen beschrieben. Praktische Gestaltungsmöglichkeiten famili- enfreundlicher Personalpolitik innerhalb des Betriebes - und speziell in kleinen und mittleren Unternehmen - werden in Kapitel 6 aufgezeigt und sollen einen Überblick über die Bandbreite des betrieblichen Handlungsfeldes geben. Er- gänzend dazu werden in Kapitel 7 die Auditierung familienfreundlicher Betriebe in Deutschland sowie zwei Best-Practice-Beispiele aus dem deutschen Mit- telstand vorgestellt. Eine abschließende Betrachtung erfolgt in Kapitel 8. Der Anhang liefert weiterführende Informationen zum Thema.
2 Familie und Kinder - Aktuelle Situation in Deutsch- land
2.1 Bedeutung der Familie
Der Familie - gleich wie diese kultur- oder generationsabhängig definiert wird - kommt in allen Gesellschaften der Erde eine grundlegende Bedeutung zu. In der Bundesrepublik Deutschland stellt das Grundgesetz die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, die Vereinten Nationen sprechen von der Familie als Grundeinheit der Gesellschaft. Dabei ist die Familie keines- wegs ein statisches Gebilde. Sie verändert sich im Zeitablauf durch die Geburt von Kindern und das Eintreten oder Ausscheiden einzelner Familienmitglieder durch Heirat, Adoption, Scheidung, Tod oder Gründung einer neuen Familie.9
Die Familie als solidarisches Netzwerk fungiert somit als Grundlage unserer Gesellschaft. Der Wandel in diesem Bereich beeinflusst dementsprechend stark auch das Bild und die Wertvorstellungen unserer Gemeinschaft und die damit verbundenen Herausforderungen und Problemstellungen.
2.2 Wertewandel und moderne Familienmodelle
„Familie hat sich verändert in den letzten 30 Jahren. Sie ist kleiner geworden und wechselvoller, mit immer weniger Kindern.“10 Das traditionelle Bild der Fa- milie in Deutschland, das aus einem verschiedengeschlechtlichen, verheirate- ten Paar mit zwei oder mehr leiblichen Kindern besteht, hat in unserer Gesell- schaft zwar noch nicht ausgedient, es gibt aber immer mehr Menschen in Deutschland und vielen anderen Industrienationen, die nach anderen Formen des Zusammenlebens suchen und diese auch praktizieren.11 „Traditionelle Le- bensformen und Werte haben an Verbindlichkeit verloren. Normative Entwürfe sind tendenziell einer Vielfalt gewichen.“12 So werden alternative Lebensformen
wie alleinerziehende Mütter und Väter und so genannte „Patchwork-Familien“ im Alltag unserer Gesellschaft immer präsenter und akzeptiert. Als "Patchwork- Familien" bezeichnet man dabei Familien, die vom klassischen Vater-Mutter- Kind-Modell abweichen, wie beispielsweise gleichgeschlechtliche Paare (so genannte eingetragene Lebenspartnerschaften) mit Kindern, Pflege- und Adop- tivfamilien oder Paare, die aus vorhergehenden Beziehungen Kinder mit in die neue Partnerschaft bringen und eventuell zusätzlich gemeinsame Kinder ha- ben.13 Auf eine gesonderte Betrachtung der speziellen Probleme von Alleiner- ziehenden und Patchwork-Familien in Bezug auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht näher eingegangen.
Tabelle 1: Private Lebensformen im Alter von 18 Jahren und älter (2004, in Prozent).14
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Trotz der steigenden Zahl von Single-Haushalten und alternativen Lebensfor- men ist die Familie im klassischen Sinne die von den meisten Menschen in Deutschland gewünschte und auch praktizierte Lebensform geblieben.15 Wie in Tabelle 1 deutlich wird, lebt der größte Teil der Bevölkerung in Deutschland verheiratet zusammen in einem Haushalt. Die Anzahl der Paare, die dabei ohne Kinder zusammenleben überwiegt dabei nur leicht. Die Mehrheit der Bevölke- Familie und Kinder - Aktuelle Situation in Deutschland 7 rung lebt in irgendeiner Weise mit Kindern zusammen, was die Relevanz des Themas Vereinbarkeit von Familie und Beruf verdeutlicht.
In Umfragen ermittelte Wünsche und auch die tatsächliche Lebenspraxis junger Frauen und Männer weisen in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang ein deutlich gesteigertes Interesse an eher partnerschaftlich geprägten Lebensent- würfen im Falle einer Familiengründung auf. Den Ansprüchen der meisten jun- gen Frauen an eine sozial und ökonomisch eigenständigere Lebensführung entspricht das früher vorherrschende Ideal der Hausfrau und Mutter schon lan- ge nicht mehr. Viele Frauen beziehen heute relativ selbstverständlich Erwerbs- arbeit und Kinder in ihre Lebensplanung ein. Verschiebungen im Verhältnis von Mutterschaft und Erwerbstätigkeit sind die logische Konsequenz dieser Entwick- lung. Frauen bekommen heute weniger Kinder, sie warten länger mit der Geburt des ersten Kindes und sie unterbrechen ihre Berufstätigkeit teilweise erst nach dem zweiten Kind oder auch nur für die ersten Lebensmonate.16
Doch ist die Problematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon lange nicht mehr ausschließliches Frauenthema. „Die Frage freilich, wie man Zeit für Beruf und Kinder findet, stellt sich längst auch die Mehrzahl der Väter.“17 Viele moderne Väter finden sich heute gleichermaßen im Dilemma zwischen Kind und Karriere wieder. Nicht nur als Unterstützung der Partnerin, um deren beruf- liche Vorstellungen möglich zu machen, sondern auch aus dem Wunsch nach gleichberechtigter Erziehung und stärkerer eigener Teilnahme an Haushalt und Familienleben heraus suchen Männer heute mehr denn je einen Weg zur Ver- einbarkeit ihrer beruflichen Ziele mit dem Wunsch nach einer aktiven Vaterrolle. Doch die Umsetzung dieses progressiven Lebenskonzeptes ist für Männer häu- fig nicht einfach. Ihr traditions-unkonformes Verhalten wird von der Umwelt teil- weise irritiert wahrgenommen. Nicht nur im beruflichen Umfeld treffen solche Lebensmodelle moderner Männer auf Widerstände, auch im privaten Kreis und dem gesellschaftlichen Kontext wird nur selten Anerkennung kundgetan. Ange- strebte Flexibilisierung im Beruf oder temporäre Reduzierung der Arbeitszeit scheitern nicht selten an der mangelnden Zustimmung des Arbeitgebers bzw. der Signalisierung zukünftiger nachteiliger Entwicklungen.18 Wenn Männer be- ruflich zeitweise zurückstecken möchten um eine aktivere Rolle in der Familie zu übernehmen, treffen sie häufig auf starke Vorbehalte. Noch häufiger als Frauen müssen sie mit Status- und Einkommensverlusten rechnen. Die Abkehr von der traditionellen männlichen Geschlechterrolle wirkt sich oftmals stark nachteilig auf den Karriereverlauf aus.19 Trotz Gleichberechtigungsbewegung und modernem Rollenverständnis bleibt faktisch die klassische Rollenverteilung in Familien auch weiterhin Realität in Deutschland. Eine aktuelle Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit dem Titel „Männer leben - Eine Studie zu Lebensläufen und Familienplanung“ zeigt, dass 88 Prozent aller Familienväter in Deutschland Vollzeit arbeiten, 35 Prozent sogar über 45 Stun- den pro Woche. Dies ist unter rein ökonomischen Gesichtspunkten für die meis- ten Familien auch absolut sinnvoll, da Männer in der Bundesrepublik heute im- mer noch rund 30 Prozent mehr verdienen als Frauen.20
Dass Wunsch und Wirklichkeit in Bezug auf Gleichberechtigung sowie partner- schaftliche Gleichverteilung von Erwerbstätigkeit und Übernahme familiärer Aufgaben noch weit voneinander entfernt liegen, zeigt auch die tatsächliche Verteilung der Hausarbeit. Hausarbeit ist zwischen Männern und Frauen bei unverheirateten Paaren im Verhältnis 1,2:1,6, bei verheirateten Paaren 1,9:4,6 und bei verheirateten Paaren mit Kindern sogar im Verhältnis 0,8:4,7 verteilt. Die Re-Etablierung der traditionellen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen im Zuge der Familiengründung scheint damit offensichtlich.21
Zum einen sind Gründe hierfür in einem immer noch tief verwurzelten Rollen- verständnis von Männern und Frauen zu suchen, das trotz moderner Weltan- sichten und partnerschaftlichem Verständnis von Beziehung bei der Familien- gründung häufig automatisch zu Tage tritt. Zum anderen lässt das real existie- rende Gefälle zwischen den real gezahlten Gehältern von Frauen und Männern diese Rollenverteilung mit dem Mann als Hauptversorger der Familie oftmals als ökonomisch einzig vernünftige Lösung zu. Auch die steuerliche Gesetzge- bung begünstigt durch das Ehegattensplitting die klassische Versorgrehe. Ver- stärkt wird diese Situation zudem durch die andauernde öffentliche Debatte zum Thema Kinderbetreuung, in der Institutionen wie beispielsweise die Kirche ihren traditionell-konservativen Ansatz mit prominenter Unterstützung öffentlich wieder aufleben lässt.
Betriebliche Bemühungen hin zu mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind in diesem Zusammenhang wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung moderner Rollenverteilung und der Wunschvorstellung junger Familien von Gleichverteilung der Aufgaben und Wahlfreiheit der Lebensmodelle.
2.3 Externe Effekte von Familie auf Wirtschaft und Gesellschaft
Unter externen Effekten innerhalb eines Wirtschaftssystems versteht man die „Auswirkung einer wirtschaftlichen Aktivität, die nicht dem Urheber zugerechnet wird.“22 Diese externen Effekte können sowohl positiver als auch negativer Na- tur sein. Familien entfalten in erheblichem Ausmaß positive externe Effekte auf Wirtschaft und Gesellschaft. So haben Kinder nicht ausschließlich für ihre Eltern einen direkten Nutzen, vielmehr ist die gesamte nachwachsende Generation von großer Bedeutung für die Gesellschaft. Positive externe Effekte von Familie werden in der Literatur oftmals unter dem Oberbegriff „Humanvermögen“ oder „Humankapital“ zusammengefasst, welches durch die Familien gebildet und erhalten wird. Einzelne ausgewählte positive externe Effekte, die von Familien ausgehen können, werden hier exemplarisch dargestellt:
Die jüngste Generation stellt die Basis der Finanzierung künftiger Altersrenten und der vom Staat bereit gestellten öffentlichen Güter dar. Das langfristige wirtschaftliche Wachstum hängt von der Humankapitalbildung der nächsten Generation und der Verfügbarkeit von gut qualifizierten Arbeitskräften ab. Im internationalen Kampf um Standortvorteile kommt diesem Effekt besondere Bedeutung zu.
Der Bestand der Institution Familie ist an sich öffentliches Gut, das als gelebte Norm die Stabilität der Gesellschaft erhält.23
Ebenso können jedoch auch negative externe Effekte von Familien ausgehen, die den positiven gegenüber zu stellen sind. So kann mangelhafte Funktions- ausübung der Familie zu gravierenden negativen Auswirkungen für die Gesell- schaft führen, für welche die Eltern ihrerseits nur beschränkt einstehen müs- sen.24 Als Beispiele seien hier Vernachlässigung, Misshandlung und mangelnde Erziehung der Kinder durch die Familie genannt, die nicht selten im späteren Lebensverlauf des Kindes zu Problemen sozialer und beruflicher - und damit ökonomischer - Natur führen. Die Gesellschaft muss in diesen Fällen durch finanzielle Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Wohngeld, Reintegrations- maßnahmen etc.) sowie beispielsweise die Unterhaltung sozialer Einrichtungen (öffentliche Frauenhäuser, Kinderheime, Drogenhilfsprojekte, Obdachlosenhei- me etc.) für die Versäumnisse innerhalb der Familien aufkommen.
Es besteht somit ein gesteigertes Interesse seitens der Gesellschaft und somit des Staates an funktionsfähigen und der Realität gewachsenen Familienstruktu- ren, zum einen aus dem sozial-ideellen Selbstverständnis unserer Gesellschaft heraus, aber eben auch aus rein ökonomischen Gründen. Investitionen in Bil- dung und Betreuung von Kindern sind somit als Investition in Humankapital zu betrachten, deren Verzinsung mit abnehmendem Alter zunimmt.25 Oder polemi- scher ausgedrückt: „Teure Programme für postpubertäre Bildungsnieten sind rausgeschmissenes Geld, das besser in gute Krippenplätze investiert gewesen wäre.“26 Dabei sind jedoch nicht nur Kosten für Krippen und Kinderbetreuung zu berücksichtigen, sondern ebenso Transferleistungen und steuerliche Vorteile für Familien und Kinder, die Schaffung familien- und kinderfreundlicher Infrastruktu- ren seitens des Staates sowie Informations- und Hilfsangebote wie beispiels- weise Beratungsstellen und soziale Einrichtungen wie Jugendtreffs oder Kinder- und Jugendbibliotheken.
2.4 Demografische Entwicklung als Determinante veränderter Familien- strukturen
„Demografischer Wandel bezeichnet die grundlegenden Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung, beruhend auf einer sich verlängernden Lebenserwartung einerseits und abnehmenden Geburtenraten andererseits.“27
Bei Betrachtung der Bevölkerungsentwicklung der Vergangenheit und deren Fortschreibung in die Zukunft zeigt sich, dass die Menschen in Deutschland immer älter werden und die Zahl der Kinder kontinuierlich abnimmt: Die Ge- samtbevölkerungszahl in Deutschland von heute 81,6 Millionen wird sich bis zum Jahr 2030 auf 74,7 Millionen Menschen verringert haben (unter Annahme einer konstant niedrigen Fertilitätsrate, einer weiter steigenden Lebenserwar- tung sowie eines jährlichen Zuwanderungsplus von + 100.000).28 In Bezug auf die Fertilitätsrate, die seit langem konstant bei etwa 1,3 liegt, erwartet man auch in den kommenden 10 Jahren keine nennenswerten Veränderungen.29
Wie in Tabelle 2 erkennbar wird, konnte Berechnungen des Statistischen Bun- desamtes zufolge von 2003 bis 2006 ein leichter Rückgang der Gesamtbevöl- kerung der Bundesrepublik um etwa 215.000 Personen verzeichnet werden. Von einer Fortsetzung dieses Trends in den nächsten Jahren wird ausgegan- gen, bis zum Jahr 2050 wird die Bevölkerung auf dann 75,1 Millionen Einwoh- ner absinken. Die damit einhergehende Alterung aufgeteilt nach Altersgruppen lässt sich ebenfalls aus Tabelle 2 deutlich ablesen.30 Laut dem Rostocker Zent- rum für demografischen Wandel betrug das durchschnittliche Alter der Bevölke- rung in Deutschland 1910 noch 23,6 Jahre, 2003 waren es bereits 40,9 Jahre. Für das Jahr 2050 ist demnach ein durchschnittliches Alter von rund 50 Jahren zu erwarten.31
Tabelle 2: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland nach Altersgruppen.32
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Derzeit sind 24,8 Prozent der Bevölkerung älter als 60 Jahre, bis 2030 wird der Anteil der über 60-Jährigen auf 35,4 Prozent der Gesamtbevölkerung ansteigen. Demgegenüber wird sich der Anteil der unter 20-Jährigen kontinuierlich verringern von heute 20,1 Prozent auf 16,9 Prozent im Jahr 2030.33
2.5 Frauenerwerbstätigkeit - Status Quo und Ausblick
"Fachkräfte sind weiblich, Fachkräfte haben Kinder. Die Hälfte der Unternehmen hat jetzt verstanden, was die Stunde geschlagen hat.“34
Das kommende Jahrhundert wird vor allem das Jahrhundert der Frauen sein. So sieht es der Zukunftsforscher Matthias Horx in einem Referat aus dem Jahre 2002 und begründet diese These mit einem sich derzeit vollziehenden Prozess unserer Gesellschaft, „der unsere soziale Welt und unsere Berufswelt nachhaltig verändern wird: Die zentrale Ressource, die Bildung, ist in den letzten dreißig Jahren von den Männern zu den Frauen umverteilt worden.“35
In Deutschland sind inzwischen ca. 60 Prozent der Abiturienten weiblich - mit 0,5 Prozent besseren Durchschnittsnoten. Während bei den unteren Bildungs- abschlüssen die Jungen stark überwiegen, haben junge Frauen in allen Indust- rienationen die höheren Bildungsgänge erobert. An deutschen Universitäten liegt der Anteil der Absolventinnen heute bei 45 Prozent (der Immatrikulationsanteil bei 55 Prozent).36
Gegenwärtig leistet sich Deutschland somit einen paradoxen Luxus: Frauen werden zu hoch qualifizierten Fachkräften ausgebildet, dann aber nur halbher- zig in den Arbeitsmarkt eingebunden.37 Im europäischen Vergleich liegt Deutschland mit einer Frauenerwerbsquote von 64,6 Prozent nur im Mittelfeld. An der Spitze liegen Schweden (75,4 Prozent) und Dänemark (75,1 Prozent) - die Länder mit den gleichzeitig höchsten Geburtenraten. Um die Frauenarbeit steht es dabei in Deutschland sogar noch schlechter, als die Erwerbsquote er- ahnen lässt. Tatsächlich hat die Zahl der vollbeschäftigten Frauen seit 1991 um 1,6 Millionen abgenommen. Die Frauenquote stieg nur an, weil gleichzeitig 1,8 Millionen Frauen mehr in Teilzeit arbeiteten.38 Ein Grund hierfür ist sicherlich die Tatsache, dass heutige Steuerkonzepte in Deutschland immer noch zu großen Teilen die klassische Versorgerehe bevorzugen und Doppelverdiener benachteiligen, beispielsweise durch das steuerliche Ehegattensplitting. Hier besteht akuter Handlungsbedarf seitens der steuerlichen Gesetzgebung, worauf allerdings im Rahmen dieser Arbeit aus Gründen des Umfangs nicht näher eingegangen wird.
Die Erwerbstätigenquote bei Frauen steigt in den letzten Jahren trotz allem im Vergleich zu jener der Männer über alle Industrienationen hinweg kontinuierlich an. Auch bei der Besetzung von Führungspositionen bessert sich die Lage der Frauen mittlerweile. In Frankreich, Großbritannien, Spanien und Belgien werden heute über 30 Prozent der mittleren Leitungspositionen in Wirtschaft und Behörden von Frauen besetzt. Deutschland hinkt diesem Trend hingegen mit 11,4 Prozent derzeit noch weit hinterher.39
In Bezug auf die zukünftige Entwicklung der Frauenerwerbsquote ist davon auszugehen, dass bis zum Jahr 2020 mit einer deutlichen Ausweitung der Er-werbsbeteiligung von Frauen aller Altersklassen zwischen 15 und 60 Jahren zu rechnen ist und dieser Anteil dann auf dem erreichten Niveau verbleibt. Ein Grund hierfür ist sicherlich in den deutlich höheren Bildungsabschlüssen zu se- hen, die Frauen heute erreichen und die dazu führen, dass sie im Falle einer Mutterschaft immer häufiger ihre Erwerbstätigkeit beibehalten wollen. Hinzu kommen steigende Scheidungsraten, eine zunehmende Unsicherheit der Ar- beitsplätze sowie die Notwendigkeit der finanziellen Absicherung für das Alter als Gründe erweiterter und aktiver Erwerbsbiographien bei Frauen. Die klassi- sche Versorgerehe und damit die historische Rollenverteilung wird damit immer mehr zur Ausnahme.40
Eine zunehmende Zahl von Unternehmen entdeckt zudem den Vorteil einer ausgewogenen Mitarbeiterstruktur und stellt verstärkt Frauen in einstige Män- nerdomänen ein. Im Sinne des bereits erwähnten Diversity Management- Ansatzes übersteigen die Potentiale alters-, geschlechts- und herkunftshetero- gener Arbeitsgruppen die der klassisch homogen zusammengesetzten Gruppen in Bezug auf Innovationskraft, kreative Lösungsfindung und Arbeitsproduktivität um ein Vielfaches.41
Allgemein als „weibliche Qualifikationen“ bezeichnete Eigenschaften, wie etwa Organisationstalent, emotionale Intelligenz und Kooperationsfähigkeit sind heu- te bei Arbeitgebern gefragter denn je. Forschungen belegen eindeutig, dass Frauen im Durchschnitt ein größeres kreatives Potential haben als Männer und zudem besser darin sind, langfristige Ziele zu setzen und sie konsequent zu verfolgen. Eine Arbeit der Universität Uppsala belegte jüngst, dass Unterneh- men mit einer höheren Frauenquote auch eine höhere Rendite verzeichnen. Eine familienfreundliche und gleichberechtigte Unternehmenspolitik fördert so- mit in diesem Aspekt das Unternehmenswachstum.42 Wenn die Rahmenbedin- gungen sich hin zu mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf ändern - und das wird aufgrund vieler in dieser Arbeit aufgezeigten Aspekte unumgänglich - ha- ben Frauen in unserer Gesellschaft die besten Chancen, sich erfüllende und
individuell gestaltete Erwerbs- und Familienbiografien zu verwirklichen. Die Unternehmen können damit eine erfolgreiche Bewältigung des demografischen Wandels am Arbeitsmarkt in die Wege leisten und den Weg für eine zukunftsfähige, moderne und zeitgemäße Personalpolitik ebnen.
3 Der deutsche Mittelstand
3.1 Definition und Situationsbeschreibung
3.1.1 Definition und Abgrenzung
Die Begriffe „Mittelstand“ und „kleine und mittlere Unternehmen“ werden sowohl in der Praxis als auch in zahlreicher Literatur häufig synonym angewandt. Zwar sind viele kleine und mittlere Unternehmen auch faktisch mittelständische Un- ternehmen, gleichwohl sind beide Begriffe unterschiedlich zu definieren:
Mittelständische Unternehmen sind grundsätzlich durch ihre Eigentümerstruktur charakterisiert. Sie werden qualitativ definiert und unterliegen keinen Größen- grenzen. Vielmehr sind sie durch die Einheit von Eigentum und Leitung geprägt, das heißt der Eigentümer oder ein Mitglied der Eigentümerfamilie steht seinem Unternehmen vor. Man spricht daher auch von Familienunternehmen.43 In der Literatur sowie in der Praxis wird der Begriff „mittelständische Unternehmen“ jedoch häufig synonym verwandt mit der Bezeichnung „kleine und mittlere Un- ternehmen“.
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) werden dagegen durch bestimmte Größengrenzen definiert, die Einordnung eines Unternehmens in eine bestimm- te Größenkategorie erfolgt hierbei anhand der Anzahl der Beschäftigten und/oder der Höhe des Umsatzes.44 KMU lassen sich laut der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) demzufolge beschreiben als „private Unternehmen sämtli- cher Wirtschaftszweige, deren jährlicher Umsatz die Grenze von 500 Millionen Euro nicht übersteigt.“45 Zusätzlich erfolgt eine Abgrenzung gegenüber Großun- ternehmen im Hinblick auf die Beschäftigungszahl, wobei laut Institut für Mit- telstandsforschung Bonn (IfM) die Grenze von 500 Mitarbeitern als Schwelle zum Großunternehmen definiert wird. Das IfM setzt die Umsatzhöchstgrenze zur Definition kleiner und mittlerer Unternehmen mit 50 Millionen Euro jedoch deutlich niedriger an als den oben genannten Richtwert der KfW.46
Eine etwas abweichende Definition gibt die Europäische Union (EU) für ihre Mitgliedsländer in ihrer Kommissionsempfehlung aus dem Jahre 2003, wonach sich ein Unternehmen den KMU zurechnen kann, wenn folgende Kriterien vor- liegen:
nicht mehr als 250 Beschäftigte und
nicht mehr als 50 Millionen € Umsatz und/oder
eine Bilanzsumme von weniger als 43 Millionen €.47
Darüber hinaus muss laut EU die Unabhängigkeit des Unternehmens gewähr- leistet sein, das heißt, Unternehmen, die zu Unternehmensgruppen gehören, zählen nicht zur Gruppe der KMU. Laut EU-Kommissionsempfehlung bedeutet Unabhängigkeit, dass kein anderes Unternehmen einen Anteil von mehr als 25 Prozent des betreffenden Unternehmens besitzen darf.48 Es ist zu berücksichti- gen, dass es sich bei der Begriffsbestimmung durch die EU-Kommission um ein Beihilfe-Vergabe-Kriterium für KMU handelt, das heißt es soll anhand der Defi- nition im Einzelfall über die Vergabe von Fördermitteln für KMU entscheiden. Daher wird im Rahmen dieser Arbeit auf die Definition des IfM zur Eingrenzung von KMU in Deutschland zurückgegriffen.
Entsprechend obiger Ausführungen sind somit per Definition kleine und mittlere Unternehmen (KMU - auch quantitative Mittelstandsdefinition) von Familienunternehmen (qualitative Mittelstandsdefinition) zu unterscheiden.
Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die fokussierte Betrachtung der Problematik von Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Bezug auf KMU in Deutschland, wobei die Begriffe kleine und mittlere Unternehmen, KMU, mittelständische Unternehmen und Mittelstand synonym verwendet werden.
3.1.2 Struktur und Bedeutung des deutschen Mittelstandes
Die Bedeutung der mittelständischen Unternehmen in Deutschland wird immer wieder betont. Kleine und mittlere Betriebe sind ein tragender Pfeiler der deut- schen Volkswirtschaft. Nahezu zwei Drittel aller Arbeitnehmer finden dort Be- schäftigung und bundesweit werden vier Fünftel aller Lehrlinge in KMU ausge- bildet.49 Laut statistischem Bundesamt zählten von den insgesamt 3.099.493 umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen in Deutschland im Jahre 2006 rund 3.089.901 zur Gruppe derjenigen Unternehmen, die pro Jahr 50 Millionen Euro Umsatz oder weniger generierten.50 Unter Zugrundelegung der oben erläuterten quantitativen Definition bedeutet dies, dass mehr als 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland - wie in fast allen Industrieländern - der Gruppe der KMU zuzurechnen sind. Sie produzieren gemeinsam knapp die Hälfte der Bruttowertschöpfung des Unternehmenssektors.51
Der strukturelle Aufbau dieser Unternehmensgruppe kann unter Hervorhebung verschiedener Merkmale charakterisiert werden und lässt detailliertere Rück- schlüsse auf die Zusammensetzung des deutschen Mittelstandes zu. Wie in Abbildung 1 zu erkennen ist, besteht der Großteil der KMU in Deutschland aus Dienstleistern (74 Prozent), erst mit sehr großem Abstand folgen das verarbei- tende Gewerbe und die Baubranche mit gemeinsamen 17 Prozent. Diese sekt- orale Aufteilung und der deutliche Schwerpunkt im Tertiärsektor spiegeln zum einen die typische Struktur einer hoch entwickelten Industriegesellschaft wider, begründen sich zum anderen aber auch im Rohstoffmangel und fehlenden na- türlichen Ressourcen in Deutschland.
Abbildung 1: Anzahl KMU nach Branchenzugehörigkeit (2004).52
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Betrachtet man die Situation der Verteilung der Rechtsformen im deutschen Mittelstand (Abbildung 2), so stellen Einzelunternehmen mit knapp 53 Prozent mehr als die Hälfte aller KMU in Deutschland dar. Den zweitgrößten Anteil bilden Kapitalgesellschaften mit knapp 33 Prozent, gefolgt von GmbH & Co.KGs und Personengesellschaften mit gemeinsamen 15 Prozent.
Abbildung 2: Anzahl KMU nach Rechtsform (2004).53
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Kleinteiligkeit des deutschen Mittelstandes wird auch bei Betrachtung der Aufteilung nach Umsatzgrößenklassen - wie in Abbildung 3 dargestellt - deut- lich. Mehr als 83 Prozent aller Mittelständler erwirtschaften lediglich je 1 Million Euro Umsatz oder weniger pro Jahr. Die Zahl derer, die sich im Bereich über 10 Millionen Euro Umsatz pro Jahr oder mehr bewegen, liegt bei nur 2 Prozent.
Abbildung 3: Anzahl KMU nach Umsatz (2004).54
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wie in Abbildung 4 dargestellt, beschäftigen knapp 81 Prozent aller mittelstän- dischen Betriebe je bis zu 4 Mitarbeiter, weitere 17 Prozent stellen die Gruppe der Betriebe mit 5 bis 49 Beschäftigten. Zum einen ist dies die logische Konse- quenz aus den oben erwähnten Fakten in Bezug auf Personalintensität der an- gebotenen Güter und Dienstleistungen sowie auf Umsatzstärke. Zum anderen aber verdeutlicht dies auch, wie schwer KMU zu verallgemeinern und generali- siert zu betrachten sind. Die Kleinteiligkeit und Fülle individueller Betriebe lässt generalisierte Aussagen oft nur schwer zu. Die Klassifizierung nach Beschäftig- tenzahl pro Betrieb erfolgt zur besseren Vergleichbarkeit anhand der Zahl aller Vollzeit-Beschäftigten (Full-Time-Equivalent - FTE), wobei FTE den Zeitwert ausdrückt, den eine Vollzeit-Arbeitskraft (100-prozentiger Beschäftigungsgrad) innerhalb eines vergleichbaren Zeitraums erbringt (Tag, Monat, Jahr).55
Abbildung 4: Anzahl KMU nach der Zahl der FTE-Beschäftigten (2004).56
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Kleine und mittlere Unternehmen erfüllen in Deutschland unterschiedlich bedeutsame volkswirtschaftliche Funktionen:
Beschäftigungs- und Ausbildungsfunktion: Die Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen und der Umstand, dass sie auf nahezu alle Branchen verteilt sind, tragen im entscheidenden Maße dazu bei, Arbeits- und Ausbildungs- plätze in den verschiedensten Berufen bereitzustellen. Zudem bilden KMU anteilig mehr aus, als dies in Großunternehmen der Fall ist. Im Durchschnitt kommen auf jeden Lehrling in einem deutschen Großunternehmen etwa 1,5 Lehrlinge in KMU.
Nahversorgungsfunktion: Aufgrund ihrer flächenmäßigen Verteilung gewähr- leisten KMU die Versorgung auch in ländlicheren Gebieten. Innovations- und Wachstumsfunktion: Mittelständische Unternehmen müs- sen aufgrund ihrer Lage am Markt und dem damit verbundenen ständigen Wettbewerb mit ihren Konkurrenten in der Regel stetig innovieren und leis- ten somit in der Summe einen beachtlichen Anteil zum Fortschritt eines Landes. Zudem unterstützt der Mittelstand durch eigenes Wachstum eben- falls das Wachstum der Großunternehmen, beispielsweise durch ihre Rolle im Zuliefererbereich.
Strukturanpassungsfunktion: Der Mittelstand verhindert aufgrund seiner strukturellen Vielfalt, beispielsweise in Bezug auf Betriebsgröße und Branche, Monostrukturen und die damit verbundenen Risiken.57
3.1.3 Wirtschaftliche Entwicklung und Zukunftsprognose
Von 2003 bis 2006 stieg der Anteil mittelständischer Unternehmen an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 65,4 auf 65,9 Prozent. Berücksichtigt man bei der Ermittlung des bundesweiten Beschäftigtenanteils kleiner und mittlerer Unternehmen zusätzlich die rund 4 Millionen Selbstständigen, so erhöht sich dieser Anteil auf knapp 71 Prozent.58
Laut einer Befragung durch den Bundesverband der deutschen Industrie e.V. (BDI) unter kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland wurde die Ein- schätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage von den KMU selbst zu Beginn des Jahres 2008 durchschnittlich zwar eher weniger optimistisch betrachtet. Bei genauerer Betrachtung dieser Statistik wird allerdings deutlich, dass im Ver- gleich zum Vorjahr sowohl weniger extrem optimistische als auch weniger ex- trem pessimistische Aussagen getätigt wurden. 45,6 Prozent - und somit die Mehrzahl der Befragten - bewerteten ihre eigene wirtschaftliche Lage als be- friedigend, das sind 18 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Auch die Zahl derer, die ihre Lage als schlecht oder sehr schlecht einschätzen sank im Ver- gleich zum ersten Quartal 2007 von 19 Prozent auf 13,6 Prozent. Es stellt sich folglich eine ausgeglichenere und weniger polarisierte Einschätzung der eige- nen Lage durch die mittelständischen Unternehmen in Deutschland dar, was auf eine stabilere und sicherere wirtschaftliche Situation schließen lässt.
Abbildung 5: Einschätzung der eigenen Wirtschaftslage durch KMU.59
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Mittelstand gilt als Jobmotor der deutschen Wirtschaft. Selbst Bundeskanz- lerin Angela Merkel hob die Wichtigkeit der KMU für die deutsche Wirtschaft in ihrer Regierungserklärung im November 2005 hervor: „Die neue Regierung wird sich […] in ganz besonderer Weise für den Mittelstand einsetzen; denn dort las- sen sich die meisten Quellen der Innovation finden. Dort ist der Jobmotor am wirkungsvollsten und werden die meisten Ausbildungsplätze bereitgestellt.“60
Die Mittelstandspolitik der deutschen Bundesregierung hat sich selbst eine deutliche Stärkung der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland zum Ziel gesetzt. Durch Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen, Sen- kung der Lohnzusatzkosten (durch Reduzierung der Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 4,2 Prozent zum 01.01.2007) und Abbau von Bürokratie (beispielsweise durch die Anhebung der steuerlichen Buchführungspflichtgren- ze zum 01.01.2007 von 350.000 Euro auf 500.000 Euro Umsatz pro Jahr) wur- den diese Ziele teilweise schon erreicht.61 Unterstützung bei der Unterneh- mensgründung, (beispielsweise durch die Reform des GmbH-Gesetzes) sowie die Stärkung der Innovationsfähigkeit des Mittelstandes (wie etwa durch die von der Bundesregierung initiierte Gründung des Rates für Innovation und Wachs- tum im Jahre 2006) bieten weitere Hilfestellungen für kleine und mittlere Unter- nehmen in Deutschland.62
Auch vor dem Hintergrund der sich rasant und stetig verändernden wirtschaftli- chen und gesellschaftlichen Situation weltweit spielt der Mittelstand als vertrau- te und vertrauensvolle Kategorie der deutschen Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Internationale Erfahrungen zeigen, dass ein großer Mittelstand zur Auf- rechterhaltung der gesellschaftlichen Stabilität und Harmonie beiträgt.63 In An- betracht der wachsenden transnationalen Interdependenzen und Abhängigkei- ten der Staaten und Wirtschaftssysteme untereinander scheint die Aufgabe, kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen und zu erhalten umso wichti- ger. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Mittelstand auch in den nächsten Jahren sein Ansehen und seine Bedeutung als wichtige Säule unserer Gesellschaft und Volkswirtschaft behalten und ausbauen wird.
3.2 Besondere Herausforderungen des Mittelstandes im Hinblick auf Ver- einbarkeit von Familie und Beruf
3.2.1 Betriebsgröße als Wesensmerkmal von KMU
Die per Definition limitierte Betriebsgröße der KMU stellt diese vor besondere Herausforderungen. Die hohe Arbeitsteiligkeit, die in Großkonzernen vor- herrscht und dadurch die Beschäftigung von ausgewiesenen Spezialisten der einzelnen Fachgebiete ermöglicht, ist in KMU alleine aufgrund der begrenzten Unternehmensgröße nicht zu finden. Generalisten und „Allrounder“ beherrschen hier viele Fachgebiete parallel und sind flexibel einsetzbar. Diese Charakteristi- ken begünstigen eine hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Unterneh- mens auf viele Gegebenheiten, erschweren gleichzeitig allerdings speziell im Personalbereich den Aufbau von Prozessen, Strukturen und standardisierter Personalpolitik.
Besonders die hohe Regulierungsdichte des deutschen Arbeitsmarktes stellt für KMU, die meist über keine eigene Personalabteilung mit ausgebildeten Arbeits- rechtsexperten verfügen, eine besonders große Herausforderung dar. Die Mög- lichkeit zur flexiblen Reaktion auf die Erfordernisse des Marktes gehört zu den entscheidenden Wettbewerbsvorteilen des Mittelstandes. Doch gerade diese wird gebremst durch die kaum überschaubare Vielfalt von Vorschriften und De- tailregelungen des deutschen Arbeitsrechts.64 Aus eben diesem Grund wäre das Ziel der Reformpolitik der Bundesregierung mit ihrem Ansatz, Bürokratie für Mittelständler abzubauen, sehr zu begrüßen. Die „Initiative Bürokratieabbau“ lässt in der Praxis jedoch bis jetzt leider noch keine spürbare Erleichterung für KMU erkennen. Es bedarf daher eines systematischeren Ansatzes, um beste- hende Gesetze und Verordnungen zu reduzieren und gleichzeitig die Zahl neu- er Vorschriften zu begrenzen.65 Dies würde gleichzeitig den Weg für eine famili- enfreundlichere Personalpolitik in kleinen und mittleren Unternehmen ebnen, da durch Bürokratieabbau Ressourcen frei werden würden, die zur Einführung in- novativer und durchdachter Personalpolitik benötigt werden. Zudem hemmt die Unübersichtlichkeit der vielen Vorschriften, Gesetze und Subventionsmöglich- keiten insbesondere den Mittelstand im Aufbau familienfreundlicher Strukturen.
Erste Schritte, diesen Schwierigkeiten zu begegnen, werden beispielsweise seit dem Jahr 2004 durch die Bundesregierung mit der Gründung der lokalen Bünd- nissen für Familie begangen, welche sich vor Ort gemeinsam und ergebnisori- entiert für die Belange von Familien einsetzen. In unterschiedlichen Partner- strukturen aus Politik, Unternehmen, Verbänden, Kirchen, Trägern von Einrich- tungen und Elterninitiativen dienen die Bündnisse als kreative Ideenschmieden und Netzwerke, in denen konkrete Vereinbarungen formuliert und gemeinsam in die Praxis umgesetzt werden. So erzielen sie nachweisbaren Nutzen für alle Beteiligten, am meisten jedoch für Unternehmen und Familien vor Ort.66
3.2.2 Flexibilität versus Unflexibilität
Studien belegen seit langem ein gehaltsstrukturelles Defizit klein- und mittel- ständischer Unternehmen gegenüber Großunternehmen bei der Suche nach potentiellen neuen Mitarbeitern und Leistungsträgern. Dies drückt sich nicht nur im Hinblick auf die Höhe der real gezahlten Gehälter, sondern auch speziell in Bezug auf geldwerte Zusatzkomponenten wie Sozialleistungen und Altersvor- sorge aus.67 Um sich trotzdem attraktiv für Leistungsträger auf dem Arbeits- markt positionieren zu können, gleichen KMU diesen faktisch vorhandenen Nachteil mit einer nicht-materielleren Gestaltung von Anreizsystemen, oftmals individuell und nach Bedarf, aus. Meist handelt es sich dabei um flexible Ar- beitszeitmodelle und individuelle Personalentwicklung sowie persönlichere Nachwuchskräftebetreuung, zum Beispiel Mentoring durch den Unternehmens- inhaber. „Für Nachwuchskräfte ist die Work-Life-Balance ein entscheidender Aspekt in ihrer Berufswahl. Profilieren sich KMU dadurch, dass sie flexibel auf die individuellen Belange und privaten Bedürfnisse besonders in Ausnahmesi- tuationen eingehen, so gewinnen sie an Attraktivität für Bewerber.“68
KMU haben in der Regel flexiblere Strukturen, weniger eigene Bürokratie und eine hohe Flexibilität und Reaktionsschnelligkeit. Veränderungen können schneller umgesetzt werden, informelle Regelungen prägen die Unternehmens- kultur, die Gemeinschaft wird als hohes Gut anerkannt und persönliche Bezie- hungen werden gepflegt. KMU zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass die Geschäftsführer ihre Mitarbeiter persönlich kennen, was oft weit bis ins Privat- leben hinein reicht.69
Flexibilität als größter Vorsprung und Wettbewerbsvorteil kann in vielen Fällen auch für die Arbeitnehmer von KMU zum Vorteil werden, wenn sich diese flexiblen Strukturen und individuell anpassbaren Modelle im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsetzen lassen. Es kann in solchen Betrieben meist viel schneller und auch besser eine Lösung der individuellen Problemstellung des jeweils betroffenen Arbeitnehmers und eine für den Einzelfall optimale Arbeitsmodell-Variante gefunden werden.
Flexible Arbeitsbedingungen sind für die meisten Arbeitnehmer von größter Wichtigkeit, um Kinder und Karriere miteinander vereinbaren zu können. Dies ist eine der zentralen Aussagen einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahre 2006 zum Thema „Mütter in Führungspositionen - ein Gewinn für Unter- nehmen“. Obwohl viele Mütter und auch Väter diese Flexibilität geboten be- kommen und leben besteht laut der Mehrzahl der Befragten großer Handlungs- bedarf beim Thema gelebte und authentische Vereinbarkeitskultur, die oftmals nur in Ansätzen existiert. Alle Befragten waren in der Vergangenheit mit Wider- ständen und Vorurteilen seitens des Managements und auch im Kollegenkreis konfrontiert worden. Dabei mussten Vorschläge für vereinbarkeitsfreundliche Regelungen meist von den Müttern oder Vätern selbst eingebracht und forciert werden. Der oftmals reale Mangel an professionellem und institutionalisierten Personalmanagement in KMU, das den Umgang mit Vereinbarkeit von Familie und Beruf systematisieren und zur Selbstverständlichkeit werden lassen könnte, wird hier besonders deutlich.70
3.2.3 Starke Abhängigkeit von der Unternehmensführung
Der persönliche Führungsstil des Unternehmensleiters ist in kleinen und mittle- ren Unternehmen das prägende Element für das herrschende Arbeitsklima und die Gestaltung der Arbeitstätigkeiten. Die Idee hinter dem Führungsstil, das heißt das Menschenbild des Unternehmensleiters, ist in KMU noch deutlicher zu spüren als in Großunternehmen.71 Die mittelständischen Unternehmen zeichnen sich zumeist durch ein positives Betriebsklima und eine oft familiäre Atmosphäre aus. Es besteht die Möglichkeit, freier und selbständiger zu arbei- ten, was die Arbeitsmotivation und -zufriedenheit fördern kann. Ausgeprägte persönliche Kontakte zwischen allen Beschäftigten sind die Regel. Die Beschäf- tigten der KMU sind dadurch tendenziell stärker in das Unternehmen integriert. Ein systematisches und kontinuierliches Personalmanagement ist nicht immer zu finden. Oft werden die entscheidenden Personalaufgaben von der Ge- schäftsleitung nebenbei mit erledigt, moderne Hilfsmittel der Personalarbeit sind seltener anzutreffen.72 „Viel Licht, aber auch ein wenig Schatten“73 lautet die Zusammenfassung einer Studie über das Personalmanagement in KMU aus dem Jahre 2003.
Diese stärkere Integration der Beschäftigten hat zum einen viele Vorteile, bei- spielsweise kann in den meisten Fällen eine optimale Lösung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für jeden einzelnen Mitarbeitern individuell und situati- onsbezogen gefunden werden. In KMU ist dies möglich, ohne starren und vor- gegebenen personalpolitischen Mustern und Standards folgen zu müssen, wie dies meist in Großunternehmen der Fall ist. Allerdings hat die Situation der KMU in diesem Bereich den großen Nachteil, dass das Ausmaß familienfreund- licher Lösungen und flexibler, individueller Arrangements stark von der Persön- lichkeit des Unternehmers abhängt. Herrschen noch patriarchalische Strukturen und veraltete Rollenbilder vor, so wird es für Mitarbeiter oft schwer, bei der Ver- einbarkeit von Familie und Beruf Unterstützung von Unternehmensseite her zu erfahren.
[...]
1 Vgl. Beham, M., Zartler, U. (Aktive Vaterschaft, 2006), S. 37.
2 Vgl. vom Lehn, B. (Kinderbetreuung, 2007), im Internet.
3 Für weiterführende Informationen siehe: Herman, E., Das Eva-Prinzip, 2007.
4 Für weiterführende Informationen siehe: Lehr, U., Ist Frauenarbeit schädlich?, 1979.
5 Resch, M. (Work-Life-Balance, 2003), S. 3.
6 Vgl. Dressel, C., Cornelißen, W., Wolf, K. (Vereinbarkeit, 2004), S. 267.
7 Vgl. Mudra, P. (Diversity, 2004), S. 41.
8 Hirche, W. (Verantwortlicher Mittelstand, 2007), im Internet.
9 Vgl. Statistisches Bundesamt [Hrsg.] (Familien, 1995), S. 6.
10 von der Leyen, U. (Erfolgsfaktor Familie, 2008), S. 39.
11 Vgl. o.V. (Patchwork-Familien, o.J.), im Internet.
12 Goebel, G. (Lebensentwürfe, 1997), S. 32.
13 Vgl. o.V. (Patchwork-Familien, o.J.), im Internet.
14 Vgl. Heß-Meining, U., Töle, A. (Lebensformen, 2004), S. 234.
15 Vgl. Statistisches Bundesamt [Hrsg.] (Familien, 1995), S. V.
16 Vgl. Busch, G., Hess-Diebäcker, D., Stein-Hilbers, M. (Familie und Beruf, 1995), S. 126.
17 Krups, M. (Väter, 2007), S. 11.
18 Vgl. Lukoschat, H., Walther, K. (Karriere und Kinder, 2006), S. 64.
19 Vgl. Meyer, M., Dunkel, A., Praschak, S. (Erfolgsfaktoren, 2005) S. 183ff.
20 Vgl. Ochs, M., Orban, R. (Familie & Beruf, 2007), S. 10.
21 Vgl. Busch, G., Hess-Diebäcker, D., Stein-Hilbers, M. (Familie und Beruf, 1995), S. 127.
22 Gabler Verlag [Hrsg.] (Wirtschaft, 1997), S. 1262.
23 Vgl. Bauer, T., Strub, S. (Externe Effekte, 2001), S. 5.
24 Vgl. Bauer, T., Strub, S. (Externe Effekte, 2001), S. 5.
25 Vgl. Heckman, J., Carneiro, P. (Human Capital, 2003), S. 74ff.
26 Vgl. Brandt, A., von Bredow, R., Theile, M. (Kinderbetreuung, 2008), S. 54.
27 Sebald, H., Enneking, A., Denison, K., Richter, T. (Unternehmenserfolg, 2007), S.19.
28 Vgl. o.V. (Employability, 2006), im Internet.
29 Vgl. o.V. (Geburtenstatistik, 2008), im Internet.
30 Vgl. o.V. (Statistisches Bundesamt, 2007), im Internet.
31 Vgl. o.V. (ZDWA, o.J.), im Internet.
32 Vgl. o.V. (Statistisches Bundesamt, 2007), im Internet.
33 Vgl. o.V. (Employability, 2006), im Internet.
34 von der Leyen, U. in: Rasche, U. (Betriebliche Kinderbetreuung, 2007), S.10.
35 Vgl. Horx, M. (Zukunftsforschung, 2004), S. 1.
36 Vgl. Horx, M. (Zukunftsforschung, 2004), S. 1.
37 Vgl. Lukoschat, H., Walther, K. (Karriere und Kinder, 2006), S. 11.
38 Vgl. Schwentker, B. (Die Zeit, 2006), im Internet.
39 Vgl. Horx, M. (Zukunftsforschung, 2004), S. 2.
40 Vgl. o.V. (Employability, 2006), im Internet.
41 Vgl. Hartwig, A. (Diversity, o.J.) im Internet.
42 Vgl. Schyman, G. (Gleichberechtigung, 2007), S. 7.
43 Vgl. BMWi [Hrsg.] (Der Deutsche Mittelstand, 2007), S. 10.
44 Vgl. BMWi [Hrsg.] (Der Deutsche Mittelstand, 2007), S. 9.
45 Reize, F. (Mittelstandspanel, 2007), S. 133.
46 Vgl. o.V. (IfM Bonn, o.J.), im Internet.
47 Vgl. o.V. (Europäische Kommission, o.J.), im Internet.
48 Vgl. o.V. (Institut für Mittelstandsforschung Bonn, o.J.), im Internet.
49 Vgl. Reize, F., Wunderlich, G. (Deutscher Mittelstand, 2001), S. 11.
50 Vgl. o.V. (Statistisches Bundesamt, 2006), im Internet.
51 Vgl. KfW Bankengruppe [Hrsg.] (Mittelstand, 2007), S. III.
52 Vgl. Reize, F. (Mittelstandspanel, 2007), S. 27.
53 Vgl. Reize, F. (Mittelstandspanel, 2006), S. 26.
54 Vgl. Reize, F. (Mittelstandspanel, 2007), S. 29.
55 Vgl. o.V. (Handelsblatt, o.J.), im Internet.
56 Vgl. Reize, F. (Mittelstandspanel, 2007), S. 28.
57 Vgl. De, D., (Entrepreneurship, 2005), S. 182ff.
58 Vgl. o.V. (Institut für Mittelstandsforschung Bonn, o.J.), im Internet.
59 Vgl. BDI [Hrsg.] (BDI-Mittelstandspanel, 2007), S. 4.
60 Vgl. Merkel, A. (Protokollarische Mitschrift, 2005), im Internet.
61 Vgl. o.V. (Mittelstand-Entlastungs-Gesetz, 2006), im Internet.
62 Vgl. o.V. (Die Bundesregierung, 2008), im Internet.
63 Vgl. o.V. (Mittelstandsaufbau in China, 2005) im Internet.
64 Vgl. Röhl, K.-H. (Mittelstandspolitik, 2005), S.11.
65 Vgl. Röhl, K.-H. (Mittelstandspolitik, 2005), S.15.
66 Vgl. o.V. (Lokale Bündnisse, o.J.), im Internet.
67 Vgl. Behrends, T. (Anreizstrukturen im Mittelstand, 2007), S. 21.
68 Bruch, H., Menges, J. (HR-Management im Mittelstand, 2007), S. 38.
69 Vgl. Rump, J., Wilms, G. (KMU, 2005), S. 7.
70 Vgl. Lukoschat, H., Walther, K. (Kinder und Karriere), S. 23.
71 Vgl. Sattes, I. (Führungsstil, 2001), S. 89.
72 Vgl. Krämer, W. (Mittelstandsökonomik, 2003), S. 95ff.
73 Masurat, S. (Mittelstand, 2003), S. 27.
- Citar trabajo
- Patricia Brabandt (Autor), 2008, Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im deutschen Mittelstand, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92674
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