Dass Politik nicht von Mentalität und Alltag der Akteure zu trennen ist, ist die Grundlage dieser prosopographisch ausgerichteten kulturhistorischen Arbeit über das Bamberger Domkapitel am Ausgang der Vormoderne (1780-1804). Beim Domkapitel handelte es sich um ein aristokratisches, mit zahlreichen Mitregierungsrechten ausgestattetes weltklerikales Herrschaftsgremium. Die Arbeit dringt über die Zusammenführung verschiedener kulturhistorischer Erkenntnisse über die Mentalität der Domherren ins politisch-kulturelle Zentrum der deutschen geistlichen Wahlstaaten vor: In die Praxis einer sich im Spannungsfeld von Adel und Kirche manifestierenden Politik. Die Entgegenstellung zu der zeitgenössischen aufklärerischen Bewegung führt zu einer geschärften Akzentuierung eben jener Herrschafts- und Lebensformen.
Über die Einbindung kulturwissenschaftlicher Paradigmen in seine historische Untersuchung gelingt es dem Autor, aus den vorhandenen Quellen ein bisher einmaliges lebendiges, hintergründiges und differenziertes Bild einer spezifischen vormodernen Herrschaftspraxis nachzuzeichnen.
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. STRUKTURIERUNG DES LEBENSVERLAUFS
2.1 Methode und Überblick
2.2 Vor der Aufschwörung
2.3 Die Aufschwörung
2.3.1 Modalitäten der Aufschwörung
2.3.2 Ritual und Konsequenz der Aufschwörung
2.4 Erwerb von kulturellem Kapital im Bildungswesen
2.4.1 Schule
2.4.2 Universität
2.4.2.1 Alter und Lehrinhalte
2.4.2.2 Die Ausbildung der Domkapitulare und die Aufklärung
2.5 Emanzipation und erste Residenz
2.5.1 Emanzipation
2.5.2 Die erste Residenz
2.6 Zwischen erster Residenz und Eintritt ins Domkapitel
2.6.1 Vorzeitige Resignatio
2.6.2 Dauer bis zur Aufnahme und höhere Weihen
2.6.3 Betätigungen vor der Aufnahme
2.7 Die Aufschwörung ins Domkapitel
3. DIE MATERIELLE STELLUNG DER DOMHERREN
3.1 Das Einkommen der Domherren: Ein Überblick
3.2 Herkunft der Gelder
3.3 Varianten des Einkommens
3.3.1 Die Pfründen und Residenzgelder
3.3.2 Die Obleien und Fragment
3.3.3 Die Benefizie
3.4 Arme oder reiche Domkapitulare?
4. STRUKTURIERUNG DES ALLTAGS DURCH DAS DOMKAPITEL
4.1 Methoden
4.2 Geistliche Pflichten
4.2.1 Die Residenzpflicht: Normative Vorschrifte
4.2.2 Die Residenzpflicht: soziologische Konsequenze
4.2.3 Die Einhaltung der Residenzpflich
4.2.4 Der Jahresverlauf der Domkapitulare
4.2.5 Pfründenkumulation und jahreszeitlich bedingte Kopräsenz
4.3 Politische Pflichten: Die Sessionen
4.3.1 Die Sitzungen
4.3.2 Behandelte Themen 1: Politische Mitbestimmungsrechte
4.3.3 Behandelte Themen 2: Das Eingangswesen
4.3.3.1 Ein Überblick über die Eingänge 1795
4.3.3.2 Die Verwaltung des Staates im Staa
4.3.3.3 Die Mitgestaltung des Bistums
5. SOZIALES KAPITAL ODER DIE VERNETZUNG IM DOMKAPITEL
5.1 Methode.
5.2 Chancen zur Vernetzung
5.2.1 Verwandtschaft.
5.2.2 Landsmannschaft..
5.2.3 Freundschaft.
5.2.4 Pfründenkumulation.
5.2.5 Das Studium als Chance soziales Kapital zu erwerben
5.3 Als empirisches Beispiel: Parteiungen zur Bischofswahl von 1795
5.4 Zusammenfassung: Soziales Kapital und Vernetzung.
6. INDIVIDUELLE LEBENSCHANCEN IM DOMKAPITEL
6.1 Methode
6.2 Geistliche Ämter
6.2.1 Begrifflichkeiten: Personate, Prälaturen oder Dignitäten?..
6.2.2 Der Turna
6.2.3 Der Kellner..
6.2.4 Der Kusto
6.2.5 Der Kantor bzw. Sänger..
6.2.6 Der Scholaster.
6.2.7 Der Dechant
6.2.8 Der Probs
6.2.9 Weitere geistliche Ämte
6.3 Weltliche Ämter.
6.4 Vergleich und Karrierewege.
7. TUGENDEN UND SÜNDEN IM DOMKAPITEL
7.1 Exkurs: Herrschaftslegitimation und angemessenes Rollenverhalten..
7.2 Sünden, Tugenden und Lebensweisen
8. DAS DOMKAPITEL UND DIE POLITISCH-KULTURELLE UMWELT
8.1 Politik: Säkularisationsgsängste
8.2 Die Aufklärung
9. SCHLU
Bibliographie
Anhang
1. EINLEITUNG
Wer sich mit der frühneuzeitlichen Geschichte von Stadt und Land Bamberg beschäftigt, wird wie in allen geistlichen Territorien kaum umhin kommen, das Domkapitel als politische und kulturelle Einflussgröße zu berücksichtigen. Aus dem sich im Mittelalter herausgebildeten exklusiven Bischofswahlrecht hatte das Domkapitel weitreichende Mitregierungsbefugnisse ableiten und diese bis zur Säkularisation 1803 erhalten können, weswegen es angebracht ist, die geistlichen Wahlstaaten als diejenigen politischen Verbände des Alten Reichs zu bezeichnen, in welchen sich die mittelalterliche ständisch-aristokratische Verfassung am unberührtesten bis in die letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts konserviert hatte[1]. Dies ist nur einer der Anreize, sich mit der Geschichte der Domkapitel zu beschäftigen. Weiterhin spricht für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Domkapitel ihre Stellung als die letzten theokratischen politischen Führungsgremien in der deutschen Historie, was eine Reihe von Fragen über die Konsequenzen einer solchen Regierungsform sowie deren Mechanismen aufwirft. Besonders interessant erscheint es, die Stellung und das Verhalten des Domkapitels in den letzten Jahrzehnten vor der Säkularisation zu untersuchen, also anstatt der Geschichte eines aufstrebenden die eines untergehenden Organs zu schreiben. In einer beispiellosen Kontinuität haben sich die mittelalterlichen Statuten der Domkapitel erhalten und lassen dadurch dieses als ein anachronistisches Element in der politischen Ökologie des späten 18. Jahrhunderts erscheinen.
Bereits seine Stellung als aristokratisch-geistliches Gremium in einem Kleinstaat des deutschen Reiches verdeutlicht, dass sich das Domkapitel in jener Phase im Schmelztiegel historischer Umwälzungen befand: Zwischen absolutistischer Machtzentralisierung und aufsteigendem Bürgertum verlor der Adel an tatsächlicher Macht, die Aufklärung definierte ihn neu und verlangte Leistung anstatt Ahnen. Auch war es die Aufklärung, welche nicht nur die Personalunion von geistlicher und weltlicher Herrschaft kritisierte, sondern auch eine neue Ausübung katholischer Frömmigkeit und klerikalen Wirkens einklagte; radikale Aufklärer forderten gar die komplette Abschaffung des Klerus. Zugleich mit diesem sozialen und kulturellen Erdrutsch kam es zu einer Neuordnung der politischen Geographie, welche zum Ende des Alten Reiches führen sollte: Die Formierung der Großstaaten auf Kosten kleiner politischer Verbände. Diese Kumulierung von gegen die Existenz der Domkapitel gerichteten historischen Prozessen könnte den Eindruck erwecken, der Untergang bzw. die Entmachtung der deutschen Domkapitel wäre bereits vor der Säkularisation determiniert gewesen. Waren doch die Domkapitel in die verschiedenen Prozesse zugleich verstrickt und konnten nicht – wie andere Organe – durch Differenzierung und Konzentration auf sie reagieren. Da aber die Domkapitel gewaltsam aufgelöst wurden, bleibt eine solche Annahme reine Spekulation[2].
Angesichts dieser hochinteressanten Konstellation ist es bedauerlich, dass diese in der neueren historischen Forschung bisher kaum thematisiert wurde. Zwar ist die Erforschung der Säkularisation aus der Perspektive der geistlichen Staaten in der jüngeren Frühneuzeit-Forschung ein verstärkt diskutiertes Thema[3]. Dabei wird zunehmend deren Fähigkeit zur Reform konstatiert. Die Rolle des Domkapitels wird dabei aber kaum berücksichtigt. Wenn in der Domkapitel-Forschung überhaupt der zeitgenössische Kontext berücksichtigt wird, so findet sich die durch kaum mehr als ein über strapaziertes Absolutismuskonzept begründete Vermutung, die Macht des Domkapitels sei zum Opfer des absolutistischen Fürsten geworden[4]. Auch hallt gerade in der Bezugsetzung der Domkapitel mit dem Ende der Vormoderne das Echo einer a priori negativen Bewertung der Domkapitel durch die Aufklärung nach. Selbst wenn in der jüngeren Forschung die aufklärerische Konnotation von Fortschritt als Positiv hinterfragt und dadurch den Domkapiteln eine positivere Wertung zugeschrieben wird, bleibt der Eindruck eines wohlmeinenden Subjektivismus entlang der von der Aufklärung vorgegebenen Argumentationslinien[5].
Zwar hat sich nach dem Vorbild von Leo Santifaller[6] eine objektive Geschichtsschreibung der Domkapitel herausgebildet; diese krankt aber an einer theoretischer Armut und präsentiert in der Regel eine von historischen Prozessen isolierte deskriptive Datensammlung. Dem Kommentar von Peter Hersche (1984) über diese Forschungsrichtung ist nichts hinzuzufügen: „Üblicherweise zerfallen sie in einen rechts- und institutionengeschichtlichen und in einen biographischen Teil. Allgemein sozialgeschichtliche Fragestellungen stehen nirgends im Vordergrund“[7]. Die in seinem Pionierprojekt der elektronischen Datenverarbeitung angebotenen Datensätze erleichtern die Beschäftigung mit den Domkapiteln ungemein und können als einfach zugängliche Grundlage für weiterführende Fragestellungen dienen. Für eine theorieorientierte Forschung wurde diese empirische Vorarbeit bisher nur unzureichend genutzt. Auch hinterlassen seine aus der Datenerhebung gewonnen Erkenntnisse den etwas unbefriedigenden Nachgeschmack einer statischen und unbelebten Sozialgeschichtsschreibung.
Immerhin sind seit seiner Untersuchung einige Weiterentwicklungen des Forschungsprogramms zu verzeichnen: Hervorragend ist die Syntheseleistung von Günther Christ, welche übergreifende Merkmale der rechtlichen und politischen Stellung der deutschen Domkapitel zusammenfasst[8]. Seine Erörterung des Selbstverständnisses der Domkapitel greift aber kaum über den politischen Rahmen hinaus. Seit Wolfgang Reinhardts Formulierung des Konzeptes der Verflechtung für die Erforschung kirchlicher Eliten[9] wurde dieser Ansatz in das Programm der Domkapitel-Forschung aufgenommen und scheint das Potential zu haben, tief gehender in die politische Mentalität der Domherren einzudringen – allerdings wurde das Konzept bislang lediglich in den Arbeiten von Friedrich Keinemann[10] und Gerhardt Fouquet[11] angewandt und dort auch eher als Ansatz an die herkömmliche Methodik denn als ein zu umfassenden Erkenntnissen führendes Konzept.
Keine dieser Ansätze hat sich bisher darin bewährt, die anachronistische Sonderstellung der Domkapitel im späten 18. Jahrhundert im erwünschten Ausmaß sichtbar zu machen. Zentrales Problem dieser Arbeit war es daher, die vorhandenen Forschungskonzepte weiter zu entwickeln um den gesuchten bzw. vermeintlichen Gegensatz heraus zu präparieren. Möglich ist dies nur, wenn die Mechanismen der Institution des Domkapitels als Herrschaftsorgan aufgedeckt werden. Erfolg versprach dabei folgender Gedankengang: Ein politisches bzw. kulturelles Herrschaftsorgan ist niemals nur eine Struktur, sondern manifestiert sich im sozialen Leben durch das Handeln von Individuen[12]. Und dieses ist stets geprägt von einer mentalen Disposition; gerade beim Adel der frühen Neuzeit, welcher eine Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem nur in geringem Ausmaß kannte, sollte dies verstärkt zutreffen. Es scheint also einen Versuch wert zu sein, nach der subjektiven Mentalität der Domkapitulare als Kollektiv zu fragen; dies ist umso bedeutsamer, da der Fürstbischof in der Regel aus dem Domkapitel hervorging. Die hier gewonnenen Erkenntnisse lassen sich also zu einem gewissen Teil auch auf den Fürstbischof übertragen.
Bei einem derart amorphen Objekt des Forschungsvorhabens ist es notwendig, sich aus dem reichhaltigen begrifflichen Fundus der Kulturwissenschaften auf einige wenige Begrifflichkeiten zu beschränken und diese als ein miteinander verbundenes System anzuordnen. Zielsetzung ist es, Handlungsrationalitäten aufzuspüren, man könnte auch von Verhaltensdispositionen reden. Diese sind in der Mentalität der Domkapitulare eingelagert. Mentalität scheidet sich streng von affektiven Dispositionen und kann als „der unpersönliche Inhalt des Denkens“ bezeichnet werden. Mentalität hat ihren Ursprung und ihre Praxis in den (oft unbewussten) Prozessen des Alltäglichen und formt die intellektuellen und handlungsleitenden Denkstrukturen – freilich ohne Handlungen zu determinieren[13]. Ein Baustein der Mentalität ist also die internalisierte Sanktionierung von Verhaltensweisen des Alltags – und folgerichtig dort auch zu suchen. Weiterhin ist Mentalität niemals statisch, sondern formt sich im Verlauf eines Lebens. Besonders wichtig ist hierfür die Sozialisation, welche zwischen den gesellschaftlich konstruierten Institutionen und dem Individuum vermittelt. Da aber das Konzept der Sozialisation dazu tendiert, das Individuum zum passiven Objekt der Internalisierung von Handlungsrationalitäten zu machen, welche nicht zwangsweise in Wechselwirkung mit dem Lebenskontext stehen müssen, wurden als Hilfskonzept die Bourdieuschen Kapitalsorten eingeführt. Diese ergeben sich aus dem Lebensverlauf des Domkapitulars und ermöglichen die Perspektive instrumentellen und kontextuellen Erwerbs und Einsatzes, lassen also eine direktere Rückkopplung auf kontextuelle Handlungsrationalität zu. Gerade das soziale Kapital harmonisiert hervorragend mit der gebräuchlichen Theorie der Vernetzung und kann somit politische Handlungsweisen erklären und den Bogen zur Vernetzung schlagen. Ebenfalls auf der Anwendung der richtigen Handlungsrationalitäten beruht die Karriere im Domkapitel. Zentrale Fragen können hier sein: Was musste man tun, um an die Spitze zu gelangen, welche Verhaltensweise erfuhren im Domkapitel eine positive Sanktionierung, welche bisher erworbenen Kapitalsorten waren entscheidend?
Diese theoretischen Überlegungen sollen es ermöglichen, aus den aus den Quellen gewonnenen Erkenntnissen über die Lebensgestaltung der Domkapitulare Rückschlüsse auf ihre Mentalität ziehen zu können. Über den Lebensverlauf der Domherren informieren die statistischen Listen von Peter Hersche, die Aufschwörakten, die Universitätsmartikel, der Bambergische Schematismus und einzelne Passagen der Looshorn-Chronik. Eine Zusammenführung dieser Quellen und Abhandlungen ermöglicht die Rekonstruktion des Lebensverlaufs. Der Jahresverlauf der Domkapitulare manifestiert sich durch die Anwesenheitslisten im Dom; diese lassen auch Erwägungen über die religiöse Mentalität der Domkapitulare zu. Der Einblick in das innenpolitische Verhalten der Domkapitulare wird vor allem durch die ab 1795 geführten Eingangsbücher des Domkapitels gewonnen; diese haben gegenüber den Rezessbücher den Vorteil, übersichtlicher und in kürzerer Form über die eingegangenen Themenkomplexe zu informieren, was eine quantitative Untersuchung auf breiterer Grundlage ermöglicht, welche durch ausgewählte Proben aus den Rezessbücher unterstützt werden kann. Um im Bereich der Möglichkeiten einer Magisterarbeit zu bleiben, werden die weiteren Themenkomplexe der Ökonomie, der Außenpolitik, der Sitten und der Aufklärung unter den Domherren nicht durch eine methodische Quellenforschung, sondern indirekt, durch die Nutzung vorhandener Literatur über Bamberg und andere geistliche Staaten sowie aus den Akten des Domkapitels gewonnen.
Soweit der Überblick über die verwendeten Quellen. Die Gliederung der Arbeit orientiert sich in erster Linie am Lebensverlauf der Domkapitulare. Das erste Kapitel widmet sich dem Erwerb von kulturellem Kapital und den durch die Sozialisation internalisierten Handlungsdispositionen vor dem Eintritt ins Domkapitel. Anschließend geht es um die materielle Stellung der Domherren, wobei besonders Wert auf die sich aus der Strukturierung ergebenen Handlungsrationalitäten in Bezug auf Geld gelegt wird. Weiter wird der geistliche wie auch der politische Alltag im Domkapitel untersucht. Als geistliche Alltagspflicht gilt die Residenzpflicht, eine Untersuchung dieser ermöglicht die Feststellung des Ausmaßes der Religiosität unter den Domherren und die Rekonstruktion ihrer räumlichen Positionierung im Jahresverlauf. Der politische Alltag zeigt an, in welche Entscheidungsprozesse das Domkapitel eingebunden war und wie sich ihr politisches Selbstverständnis gestaltete. Anschließend soll die Vernetzung und Parteiung der Domkapitulare untersucht werden. Im Kapitel „Individuelle Karrierechancen“ geht es darum, welche Faktoren für den Aufstieg im Domkapitel entscheidend waren. Daraufhin sollen Tugenden und Sünden dargestellt werden; welche Werte galten unter den Domkapitularen als gut, was waren die Sünden, welchen sie sich hingaben? Abschließend soll die eingangs gestellte Frage enger umschnürt werden: Es wird die Beziehung des Domkapitels zur Aufklärung und zu den politischen Geschehnissen des späten 18. Jahrhunderts aufgezeigt.
An dieser Stelle soll noch auf den sehr eingeschränkten Zeitraum dieser Arbeit zwischen 1780 und 1803 hingewiesen werden. Der kurze Zeitraum ermöglichte eine bessere Orientierung in den vielen Quellen des Domkapitels und eröffnete Spielraum für tiefgehendere qualitativen und quantitativen Fragen. Weiterhin soll auch zur Sprache kommen, was nicht thematisiert wird: Ein in der Forschung häufig angesprochenes – und auch bedeutsames – Sujet ist das Verhältnis des Domkapitels zum Bischofs. Einerseits kristallisierte sich die Hypothese heraus, dass dieses im späten 18. Jahrhundert aufgrund der veränderten Konfliktlinien weitgehend harmonisiert war, andererseits existiert für dieses bereits eine Fülle an Literatur[14]. Weiterhin soll hier ebenso wenig eine Darstellung der Aufklärung im Bistum Bamberg gegeben werden wie dass eine vollständige Rekonstruktion des politischen Verhaltens des Domkapitels angestrebt wird – so interessant und wichtig beide Themen auch wären.
2. STRUKTURIERUNG DES LEBENSVERLAUFS
2.1 Methode und Überblick
In diesem Kapitel geht es darum, das Domkapitel als ein System zu begreifen, welches den Lebensverlauf seiner Mitglieder strukturiert und damit ihre Mentalität prägt. Lebensverlauf wird hier verstanden als „institutionell geregelte zeitliche Ordnung von Lebensläufen“, welche „ein zuverlässiges Raster altersspezifischer Bezugspunkte für die Lebensgestaltung der Menschen“ darstellt. Der Lebensverlauf ist eine Abfolge von Aktivitäten, Möglichkeiten und Zwängen in verschiedenen Lebensbereichen und institutionalisierten Handlungsfeldern[15]. Wichtig ist die Bemerkung, dass keine Station des Lebensverlaufs deterministische Konsequenzen hat, sondern stets als Chance begriffen wird. Für die Domkapitulare gibt es vier markante Abschnitte, welche einen Niederschlag in den Quellen hinterlassen haben: Die Aufschwörung als Domizellar, die erste Residenz, die höhere Weihe und der Eintritt ins Domkapitel[16]. Diese Lebensabschnitte vor dem Eintritt ins Domkapitel werden im Folgenden einzeln betrachtet und auf die Effekte der Sozialisation und den Erwerb von kulturellem Kapital untersucht.
Unter kulturellem Kapital wird der Erwerb von Wissen und Fähigkeiten verstanden. Das kulturelle Kapital ist wie jede der Bourdieuschen Kapitalarten vom Individuum instrumentell einsetzbar und kann in soziales, symbolisches oder materielles Kapital konvertiert werden[17]. Unter Sozialisation hingegen wird jener Prozess verstanden, in welchem im Individuum gesellschaftlich konstruierte Sinnstrukturen internalisiert werden und es eine subjektive, aber auf dem Konsens innerhalb der Kreise der Sozialisation beruhende, Identität und Wirklichkeit mit all ihren Normen, Werten und Motiven übernimmt. Dabei wird zwischen primärer und sekundärer Sozialisation unterschieden: Die erste zielt auf den in der Kindheit stattfindenden Vorgang von Identitätsstiftung durch signifikante Andere. Die so internalisierte sinnhafte Welt ist unausweichlich und nicht ohne Schock hinter fragbar, was sie zu einem lebenslangen, stets die Ziele des Handelns (nicht die Methode!) strukturierenden Begleiter macht. Auf die primäre folgt die sekundäre Sozialisation, welche durch anonymere Andere und mit weniger Unausweichlichkeit vermittelt wird[18].
Zugespitzt ausformuliert verhalten sich die beiden Konzepte nicht redundant sondern komplementär, was einem elementaren Gedankengang der verstehenden Soziologie entspricht: Alfred Schütz drückte dies durch die Trennung zwischen Um-zu- und Weil-Motiven aus: Um-zu-Motive sind – wie das Kapital – auf ein Ziel gerichtet und erklären die Gestaltung der Handlung, welche erfolgt, um das Ziel zu erreichen. Die Wahl des Zieles können diese nicht erklären, dies geschieht durch die Weil-Motive bzw. die Sozialisation und ist an sich nicht rational, sondern nur sinnhaft erklärbar[19]. Dasselbe drückte Max Weber aus, wenn er die formale von der materielen Rationalität trennte: diese orientiert sich an der technischen Möglichkeit, jene an „wertenden Postulaten“[20]. Die erworbenen Kapitalsorten sind also eine instrumentell einsetzbare Ressource; wofür der Domkapitular sie aber nutzt, kann nur die Sozialisation erklären.
Bevor auf diese Weise der Lebensverlauf der Domkapitulare untersucht wird, sollen die Daten aus Tabelle 2 erklärt werden: Die Gesamtanzahl aller Merkmalsträger beträgt 50. Allerdings wurden für diesen Teil der Arbeit auch Kanoniker berücksichtigt, welche als Domizellar, also vor der Aufschwörung ihr Kanonikat resignierten und in den folgenden Kapiteln keine weitere Rolle mehr spielen. Weiterhin speisen sich die Daten aus verschiedenen Quellen, in welchen nicht alle Daten vollständig sind, was es für die Errechnung von Durchschnittswerten notwendig macht, die Datensätze zu bereinigen, also stets lediglich die repräsentativen Merkmalsträger in die Gleichungen eingehen zu lassen, weswegen die Grundgesamtheiten der jeweiligen Durchschnittswerte nicht identisch sind. Das statistische Mittel des Lebensalters zur Aufschwörung im Domstift betrug 14 Jahre, wie der Median von 13 aber zeigt, wird dieser Wert durch Ausreißer nach oben geringfügig verzerrt, was auch das Maximum von 30 Jahren bestätigt. Diese positive Verzerrung resultiert daraus, dass in nicht wenigen Fällen Domkapitulare sich im fortgeschrittenem Alter in Bamberg für eine zweite Pfründe aufschwören ließen; bei ihrer ersten Aufschwörung entsprachen auch sie in der Regel den vorgefundenen Mittelwerten. Der Modalwert von 10 dagegen deutet darauf hin, dass eine große Anzahl von Domkapitularen bereits in jüngerem Alter aufgeschworen wurde. Auch bei der ersten Residenz ist der Mittelwert nach oben verzerrt, Modalwert und Median hingegen gleichen sich an und beanspruchen somit eine breitere Gültigkeit. Bei der höheren Weihe harmonisieren diese Werte. Aufgrund der hohen Streuung beim Eintrittsalter in das Domkapitel hat der Modalwert hierfür nur wenig Bedeutung, wichtiger sind die Durchschnittswerte von 30 bzw. 31 Jahren, welche sich in einem häufig frequentierten Spektrum von 26 bis 41 Jahren herauskristallisieren. Der idealtypische Lebensverlauf eines Domkapitulars bis zum Eintritt ins Domkapitel präsentiert sich folgendermaßen: Mit 13 wurde er aufgeschworen, mit 22 hielt er sein erstes Residenzjahr, ungefähr fünf Jahre nach diesem empfing er die höhere Weihe, weitere drei Jahre später folgte im Alter von 30 der Eintritt in das Domkapitel.
2.2 Vor der Aufschwörung:
Die Sphäre, in welcher der Domherr seine Kindheit verbrachte war die des ritterschaftlichen Adels in den fränkischen, rheinischen und schwäbischen Kantonen[21]. Hier wurde, ohne nennenswerte Mitwirkung des Kindes, über seine Lebensführung entschieden. Für die Söhne dieses Adels gab es grob skizziert drei Lebenswege: Die Verwaltung von Land, Hof und Untertan stand dem Erben zu; Ehre und Vermögen konnte im Dienst an anderen Höfen und beim Militär gewonnen werden, der Domherr schließlich hatte die Chance, unter Verzicht auf die biologische Fortführung der Dynastie Einfluss, Kapital – materielles, soziales und kulturelles –und geistliche Würden zu gewinnen. Die Lebenswege, die über die Zusammensetzung des Kapitals einer Dynastie entschieden[22], wurden vom Familienoberhaupt strategisch bestimmt. Die Lebensplanung eines Individuums orientierte sich nicht an den eigenen Präferenzen sondern generationsübergreifend am Schicksal der Dynastie[23].
Die Erziehung der späteren Domkapitulare fand im Rahmen adliger Vorstellungen und Ideale statt, die frühzeitige Formung geistlicher Anlagen nahm eine untergeordnete Rolle ein. Das kulturelle Kapital, welches das Kind bis zur Aufnahme ins Domkapitel erwerben sollte, gliederte sich in zwei Kategorien: Die Bildung und das Benehmen. Für die Vermittlung von kulturellem Kapital waren Hauslehrer angestellt. Ihre erzieherischen Qualitäten waren abhängig vom Vermögensstand des elterlichen Hauses, oft waren es Geistliche. Exemplarisch weiß man von Johann Friedrich von Dalberg (1760-1812), dem wesentlich erfolgreicheren Verwandten des Bamberger Domherren Adolf Franz von Dalberg: Bevor er in Speyer, Trier und Worms Kanonikate erhielt, wurde er durch den schlosseigenen Kaplan unterrichtet[24]. Seine gesamte Bildung im elterlichen Schloss umfasste die Sprachlehre (Latein), Geographie (Realienkunde, Ständekunde), Geschichte, Religion (Katechismus) und Mathematik (vor allem Rechnungswesen)[25]. Generell waren Lesen, Rechnen, Schreiben und Religion die Basis der Bildung der späteren Domkapitulare[26]. Durch die Einübung religiöser Praktiken wie täglicher Messebesuche, regelmäßiger Gebetszeiten und dem Empfang des Bußsakraments wurde das nötige Wissen zur Anwendung geistlicher Techniken vermittelt.
Standesgemäßes Benehmen gehörte auch zum in der Erziehung vermittelten kulturellen Kapital: Dieses umfasste vor allem die Fähigkeit, sich andere, vor allem Nicht-Adelige, durch bloßes Verhalten gefügig zu machen[27]. Das Kind sollte frühzeitig lernen, wie man durch Erscheinung und Verhalten die Zugehörigkeit zu einem höheren Stand zu repräsentieren hatte. Daher wurde es in die Tugenden und Fähigkeiten eingeführt, welche für das Durchsetzen an den Höfen notwendig war: Es lernte Französisch, Italienisch, Reiten, Voltigieren, Tanzen, Jagen, Fechten und Musizieren[28]. Durch Teilnahme und Anwesenheit bei der Geselligkeit im elterlichen Hof wurde die Ausbildung zum hoffähigen Adeligen eingeleitet[29]: Er sollte die feine, schmiegsame Form der adeligen Sozialkompetenz lernen um als „Mann von feinen Sitten…ohne Affektion gefällig, ohne Weitschweifigkeit in seinem Vortrage deutlich, ohne Künstelei beredt zu sein“. Ein Adeliger „…ist nie verlegen, noch unbescheiden dreist, stets aufmerksam auf Anderer Wünsche, doch immer unbekümmert und sorglos, wohl bemüht zu gefallen, doch unbefangen und natürlich[30]“ – tadelloses und gefälliges Benehmen an den höfischen Gesellschaften war eine Form des kulturellen Kapitals, welche an den Adelshöfen und –residenzen in soziales Kapital transformiert werden konnte.
Für die Sozialisation ist es wichtig, den signifikanten Anderen zu betrachten: Zwar nahm der Erzieher sicherlich eine signifikante Rolle ein, doch zur Konservierung dynastischer Strukturen musste der Vater bzw. Onkel das Vorbild sein. Auch wenn das Verhältnis zu diesem weniger von emotionaler Nähe als von Unterwerfung und Distanz geprägt war[31], lebte er als generalisierter Anderer doch die Rollen und Einstellungen vor, welche der Sohn übernehmen sollte[32]. Die Kinder erlebten ihre primäre Sozialisation im abgeschlossenen Raum des adeligen Rittergutes, welches umgeben war von meist kleineren, dem Vater unterworfenen Ländereien[33] oder auch durch „Kindertausch“ an anderen Adelshöfen[34]. Regelmäßiger Kontakt zu gleichgestellten Gleichaltrigen war die Ausnahme: Innerhalb der Geschwister bestand schon früh eine explizite Hierarchisierung nach der Geburtsfolge[35], ein Kontakt „auf Augenhöhe“ zu den bürgerlichen Kindern der Untertanen um den Adelshof herum kann ausgeschlossen werden. Entwicklungspsychologisch bedeutet dies: Es gab kaum eine Chance zur Ausbildung von Kompetenzen für symmetrische Sozialbeziehungen[36]. Aus bürgerlicher Perspektive erscheint dies als ein Mangel, doch es fragt sich, ob sich nicht gerade dies in der Entwicklung eines adeligen Herrschaftsbewusstseins positiv niederschlug – war doch die Sphäre des Adels von Über- und Unterordnung geprägt, wie es das Konzept der „ungleichen Freundschaft“ verdeutlicht. Die kindliche, primäre Sozialisation der Domkapitulare mündete in der Übernahme der unausweichlichen subjektiven Wirklichkeit des ritterschaftlichen Adels mit all seinen sinnhaften, von spezifischer Bedeutung getragenen, Interpretationsmustern für soziale Beziehungen[37]. Verstärkend kam der Konservierung adeliger Mentalitätsmuster zugute, dass viele Domherren nicht aus geistlichem Eifer sondern aufgrund dynastischer Interessen die Laufbahn als Domkapitular einschlugen. Dies manifestierte sich später in zahlreichen Verhaltensmuster unter den Domkapitularen, welche in der Perspektive einer vorausgesetzten geistlichen Identität befremdlich wirken: Domkapitulare als Kavaliere, mit Degen oder als Jäger[38].
2.3 Die Aufschwörung
2.3.1 Modalitäten der Aufschwörung
Es gab 20 Sitze im Domkapitel welche auf Lebenszeit verliehen wurden. Frei wurden die Plätze also nur mit dem Tod oder der freiwilligen Resignation eines Domkapitulars. War ein Platz frei – also vakant – geworden, so wurde er aus dem Gremium der Domizellare besetzt. Dieses Rekrutierungsgremium umfasste 14 Stellen, welche Kanonikate genannt wurden. Die Bedingung für die Bewerbung um ein Kanonikat war der Nachweis der Stiftsfähigkeit[39], die erste Tonsur sowie eine elterliche Bescheinigung über die Freiheit von körperlichen Mängeln[40]. Es gab verschiedene Modi, zu entscheiden, wer aufgenommen wurde: Kaiserliches Recht war es, in jedem Bistum ein Kanonikat zu besetzen. In Bamberg hatte das Reichsoberhaupt die Domherren Adolf Franz von Dalberg (1743-94) und Philipp Lothar von Kerpen (1767-1804) berufen. Der Papst hatte ein Provisionsrecht für ein Kanonikat, wenn es in einem ungeraden Monat vakant geworden war – dieses konnte als Empfehlung, Befehl oder Anwartschaft ausfallen, letztlich aber kann nicht von einer endgültigen Verbindlichkeit gesprochen werden[41]. Dennoch zahlte sich eine gute Beziehung der ritterschaftlichen Familie zum heiligen Stuhl durch verbesserte Chancen auf ein Kanonikat am Bamberger Domstift aus. Als weitere Möglichkeit der Verteilung der Domherren-Plätze gab es die Resignation zugunsten eines anderen: Ein Domizellar gab sein Kanonikat auf und reservierte dieses für einen beliebigen anderen, in der Regel ein Familienmitglied. Am häufigsten aber war die Besetzung durch den Turnar: Dieses Amt wurde im monatlichen Wechsel unter den Domkapitularen durchgereicht[42]. Der Turnar vergab das Kanonikat, wenn dieses in einem gerade Monat vakant geworden war. Da von einer leistungsabhängigen Vergabe unter dem Turnus nicht bekannten, zehnjährigen Jungen kaum gesprochen werden konnte, wurden die Kanonikate meist an Verwandte und Freunde vergeben – oder an den Meistbietenden, was aber als „Simonismus“ verpönt und verboten war.
2.3.2 Ritual und Konsequenz der Aufschwörung
Mit der Präbendierung zum Domizellar wurde eine strukturelle Kopplung zwischen der Sphäre des Adels und der der Klöster eingeleitet: Die Adeligen erhielten unter dem Dach der Kirche politischen Einfluss und eine lebenslange finanzielle Versorgung durch die Pfründe – gerade für die später geborenen Söhne war dies eine bevorzugte Versorgungsmöglichkeit. Im Gegenzug sollten sie ein pazifistisches und zölibatäres Leben führen, also auf die zentralen Elemente adliger Identität, die Kriegskunst und Fortführung der Dynastie, verzichten. An diesem Schnittpunkt zwischen Adel und Klerus ließ die kirchliche Organisation Mitglieder der Ritterschaft an ihrer geistlich legitimierten Form der Herrschaft teilhaben, verlangte dafür aber von diesen die Unterwerfung unter kirchliche Sittengesetze. Da aber die primäre Sozialisation des Domkapitels unter adeligen Maximen stattgefunden hatte, musste die subjektive Wirklichkeit in der sekundären Sozialisation besonders effektiv transformiert werden. Dafür war es notwendig, diese unter einem erhöhten Affektionsdruck auszuführen[43]. Es lassen sich vier Mechanismen darstellen, welche den Erfolg der sekundären geistlichen Sozialisation nachhaltig unterstützte:
Zum einen wurde sie durch einen rituellen Akt nachhaltig im Bewusstsein des Domizellars verankert: Die Aufschwörung erfolgte unter Anwesenheit von vier vereideten adeligen Juranten[44]. Dem Domizellar wurde das Barett aufgesetzt und ein Sitz im Chor zugewiesen[45]. Nach dieser symbolischen Geste musste der Domizellar sich durch einen Eid auf Obedienz gegenüber dem Domkapitel und seinen Statuten der normativen Autorität des Systems unterwerfen. Von nun an unterstand er der disziplinarischen Gewalt des Domkapitels, welche stellvertretend für dieses der Scholaster ausübte[46].
Unterstützt wird die rituelle Erhöhung der Emotionalität dieses Lebensschrittes durch das geringe Alter der Domizellare: Durchschnittlich waren sie 13 bis 14, am häufigsten aber 10 Jahre alt. Der jüngste war Johann Philipp von Schaumberg mit 9 Jahren. Die Aufschwörung fand also in der Zeit der Jugend, jener Zeit extremen Erlebens, statt[47]. Welche emotionalen Spuren dieses Zeremoniell im Bewusstsein der Knaben hinterlassen konnte, zeigt der Brief eines Domizellaren aus Münster an seinen Dechant. Obschon mehrere Jahre her erinnert sich der junge Mann im Jahr 1787 an jede Einzelheiten des Aktes: es „brannte mir das Herz vor Erinnerung jenes unvergesslichen Abends, an dem Tag da ich aufgeschworen, da meine junge Seele in ihrem Innersten bewegt, voll des Gefühls neu übernommener Pflichten, in die Ihrige sich ergoß...“[48] – die Worte über Pflichten und Tugenden eines Kanonikers, welche der Dechant ihm zu diesem Anlass mitteilte, kann er noch wörtlich zitieren.
Der dritte Mechanismus der Erhöhung der Emotionalität der sekundären Sozialisation war der Pate des Domizellars. Ein Domkapitular sorgte für die Erziehung und Einführung in das Leben als Domherr. Gerade unter Verwandten, etwa zwischen Onkel und Neffe, entfaltete sich dadurch eine enge emotionale Bindung. In gewisser Weise diente die Sorge um den Nachwuchs des Kapitels den Kapitularen als emotionale Entschädigung für die Kinderlosigkeit[49]. Deutlich wird dies auch durch die herzlichen Anreden in den Briefen der Domherren aus Münster. Der Domizellar nennt den – mit ihm verwandten – Dechanten „Führer, Vater und Freund“, der Dechant erteilt mit freundlichen Worten Lob und Tadel. Bei der Aufschwörung sagte der Dechant zu ihm: „Dafür sind Capitulare und Domicellare, auf daß jene diesen vorleuchten.“, denn „mein Stand verbeut es mir, Kinder zu zeugen; und genug Menschen pflanzen ihre Familien fort; ich soll, nach dem Beyspiel unserer Stifter, Tugenden und gute Grundsätze fortpflanzen“[50]. Dass dies für ihn nicht nur Pflicht, sondern auch Bereicherung war, zeigt folgender Satz: „Ein größeres Vergnügen weiß ich nicht als die Liebe, welche Sie zu mir tragen…“[51]. Ein derartiges Verhältnis zwischen dem Domizellar und seinem Paten macht jenen zum potentiellen signifikanten Anderen für diesen – und trägt damit zu einer erhöhten Affektualisierung bei.
Auch ermöglichte die adelige Abstammung des Paten wie auch dessen aristokratisches Selbstverständnis die für eine erfolgreiche sekundäre Sozialisation notwendige nahtlose Anbindung an die Elemente der primären Sozialisation der Domizellare[52].
Als Folge lässt sich postulieren, dass die Chance einer intensivierten Religiosität die Domkapitulare von ihren Standesgenossen unterschied, was sich auch in der Betrachtung der Erfüllung der Residenzpflicht bestätigen wird (siehe Kapitel 4.2.3).
2.4 Erwerb von kulturellem Kapital im Bildungswesen
2.4.1 Schule
Vorerst aber blieb in vielen Fällen die Aufschwörung reines Ritual der Zugehörigkeit zu den Kanonikern des Stiftes. Unter der Aufsicht des Scholasters[53] wurde die Ausbildung der Domizellare in der Sphäre des Bildungswesens fortgesetzt. Gewöhnlich zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr gingen die Domizellare zur Vorbereitung für das Studium auf ein Gymnasium, welches bis 1773 von den Jesuiten geleitet wurde. Als kulturelles Kapital eigneten sie sich hier Griechisch, Latein, Rhetorik und in weit geringerem Ausmaß Geschichte, Geographie und Naturwissenschaft an. Gerade auf den Jesuitengymnasien stand weniger Bildung als kulturelles Kapital, sondern Religiosität im Zentrum der Lehre. Neben der Vermittlung religiöser Praktiken wurde auch eine auf Gottesfurcht abzielende Sozialisation fortgeführt. Messebesuche, Andachten, Rosenkranzgebete, die Beichte, die Unterweisung im Katechismus und die Teilnahme an Predigten bestimmten den Alltag der Schüler. Auch hier wurden die adeligen Jungen durch separate, bequemere Sitzplätze von den bürgerlichen Kindern abgegrenzt[54]. Erstmals aber hatte der Junge die Gelegenheit, in einer regelmäßigen, nicht-familiären Peer-Group anderer adeliger Söhne Anschluss zu finden und so eine Sozialkompetenz für symmetrische Beziehungen zu entwickeln. Außerdem konnte er mit den anderen Jungen eine Identität als junger Adeliger ausbilden.
2.4.2 Universität
2.4.2.1 Alter und Lehrinhalte
In den allermeisten Fällen nach der ersten Aufschwörung erweiterte sich mit dem Studium an einer katholischen Universität der Horizont des Domizellars. In welchem Lebensalter die Domizellare studiert haben lässt sich anhand der oben vorgestellten Datenreihen rekonstruieren: Bevor der Domizellar sein erstes Residenzjahr antreten konnte, musste er die Emanzipation erreicht haben. Als emanzipiert galt er aber nur, wenn er bereits seine Ausbildung abgeschlossen und eine Prüfung durch den Scholaster bestanden hatte. Dies bedeutet, das Studium wurde zwischen Aufschwörung und erster Residenz, also zwischen dem 13. und 24. Lebensjahr besucht. Basis der Lehre war stets die Philosophie, welche entweder bereits auf dem Jesuitengymnasium oder in zwei- bis dreijährigen Kursen auf der Universität gelehrt wurde.
Als weiterführende Fächer wurden in der Regel Theologie oder Juristik gewählt. Bereits hier zeigt sich ein Scheidepunkt in der Identität des Domizellars, der erstmals in seinem Leben in relativ selbstständiger und freier Wahl über die weitere Formung des Lebensweges und die Aneignung von kulturellem Kapital entscheiden konnte. In seiner Untersuchung der geistlichen Führungsschichten im alten Reich findet Peter Kremer Indizien dafür, „daß die Wahl des Theologiestudiums oft einer persönlichen Neigung zum geistlich-priesterlichen Beruf entsprang, während die rechtswissenschaftliche Ausbildung in vielen Fällen auf ein stärkeres Interesse an der weltlich-politischen Komponente der Reichskirche und ihrer Ämter hindeutet“[55]. Für den politischen Staatsdienst stellte ohne Zweifel die Juristik das gewichtigere kulturelle Kapital dar.
Um die sich im Domkapitel differenzierenden Ausformungen der Mentalität festzuhalten: Wenn die Domkapitulare nicht beides in sich vereinten, so bestand eine Arbeitsteilung zwischen Klerikern und Staatsdienern.
2.4.2.2 Die Ausbildung der Domkapitulare und die Aufklärung
Der Lebensabschnitt auf der Universität wird als derjenige angesehen, welcher das größte Potential hat, eine Schnittstelle zwischen Aufklärung und Domkapitel zu sein. Gemäß der Strukturierung dieser Arbeit werden zuerst die Folgen und Prozesse der Aufklärung im Bildungswesen betrachtet. Anschließend werden die Chancen und Möglichkeiten auf die Gestaltung des kulturellen Kapitals und der sekundären Sozialisation erläutert.
Das 18. Jahrhundert galt als „pädagogisches Jahrhundert“. Neue Erziehungsideale der Aufklärung sollten über eine modernisierte Sozialisation in den Individuen verankert werden, das im Bildungswesen erwerbbare kulturelle Kapital veränderte seine Struktur. Dieser zeitgenössische Wandel fasste auch in den geistlichen Residenzen Fuß[56]. Hinsichtlich von Inhalt und Form des kulturellen Kapitals stellt die Auflösung des Jesuitenordens im Jahr 1773 eine Zäsur dar[57]. Bereits Adam Friedrich richtete 1770 eine Kommission für die Lehrerausbildung ein, unterstellte 1773 sämtliche Bamberger Schulen einer Schulkommission, gab 1775 ein neues Schulgesetz heraus und führte 1776 eine verfeinerte Lehrerausbildung ein – freilich ohne kaum den Mantel von Katechismus und christlicher Heilsverkündung zu verlassen. 1785 wurde im Zuge einer Gymnasialreform der französische Sprachunterricht eingeführt[58]. Auch für das Studium auf der Universität gilt diese Zäsur: Bis 1773 waren die philosophischen Lehrstühle von Jesuiten besetzt, welche streng den aristotelischen Grundsätzen folgend Logik, Physik und Metaphysik vermittelten, an Tradition und Kanon festhielten und die dialektische Methode des Diktierens und Auswendiglernens anwendeten. Erst nach der Auflösung des Jesuitenordens wurde die Lehre auf die aufklärerischen Ideale des kritischen Denkens und praxisbezogenen Staats- und Seelsorgedienstes ausgerichtet. Im Jahr 1782 wurde das theologische Studium in Bamberg auf modernere, praxisnahe und positivistische Ziele ausgerichtet, dasselbe war auf der juristischen und medizinischen Fakultät zu beobachten – wenn auch nicht mit durchschlagenden, sondern schleppenden Erfolgen, gerade was die Universitätsbibliothek betrifft[59]. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass ab 1788 sogar die Lehren Immanuel Kants an der Bamberger Universität rezipiert wurden – wenn auch unter einem katholisch-kritischen Blick[60]. Hinzu kam, dass das nahe liegende Kloster Banz sich zu einem Zentrum der theologischen Aufklärung entwickelt hatte, wo man versuchte, katholische Frömmigkeitsprinzipien mit aufklärerischer Vernunft zu vereinen.[61].
Diese Kumulation von Reformmaßnahmen im Bildungswesen zeigt, dass sich die Strukturierung des kulturellen Kapitals durch das Bildungswesen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in einem ansteigenden Wandel befand und dass sich in dieser Zeit ein kultureller Unterschied zwischen den Generationen herausbildete. Aufgrund der Auflösung des Jesuitenordens in diesem Jahr markiert 1773 eine Zäsur. Im Folgenden wird untersucht, welches Lebensalter die Domkapitulare in jenem Jahr hatten. Geprüft werden zwei Stichproben der Domkapitulare von 1781 und 1797[62]: 1781 waren bis auf Philipp Lothar von Kerpen, Franz Ludwig von Bibra und Johann Philipp von Schaumberg sämtliche Kapitulare 1773 bereits älter als 25 gewesen. Erweitert man die Gruppierung durch das Hinaufsetzen der Marke der Beendigung des Bildungsprozesses auf 30, so erhöht sich die Zahl immerhin von drei auf sieben. Anders hingegen 1797: Bis zu 25 Jahre alt waren elf Domherren, bis zu 30 sogar 13 – beide Ziffern stellen die Mehrheit im Kapitel dar. Während sämtliche 1781 im Kapitel sitzenden Kanoniker mit Sicherheit das Jesuitengymnasium besuchten, so hatten 1797 Philipp Anton von Guttenberg, Friedrich Karl von Zobel, Lothar Franz von Fechenbach und Karl Friedrich von Frankenstein die Gelegenheit, auf einem anders geführten Gymnasium ihre Grundbildung zu erwerben.
1781 waren also bereits die ersten Spuren eines neuen Bildungswesens auf der Universität im Bamberger Domkapitel angekommen, doch zu einer mehrheitlichen Entfaltung gelangten sie erst 1797. In diesem Jahr hatten vereinzelt schon Domkapitulare von der Schulreform profitiert – allerdings nur sehr wenige. Jahrzehnte hatten vorüberziehen müssen, bis die Veränderungen der Umwelt über die Individuen auch im Domkapitel rezipiert werden konnten, was zu einem nicht geringen Anteil an der internen Strukturierung der Rekrutierung der Domkapitulare lag.
Es wäre verkürzend, die Aufklärung nur als eine Umformung des kulturellen Kapitals anzusehen. Deutlich zeigt sich hier der Unterschied zwischen kulturellem Kapital und Sozialisation: Die Aufklärung war auch die Zeit der Herausbildung einer neuen Identität. In der Phase des Studiums wurden die Domizellare in einer für ihr gesamtes Leben einzigartigen Intensität mit einer sich wandelnden Umwelt konfrontiert. Denn die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ist die Zeit des Sturm und Drangs, der Kaffeehäuser und des Genius-Gedankens[63]. Es ist dies die Zeit, in der Goethes ‚Werther’ junge Menschen zum Selbstmord trieb, in welcher sich ein Wirtschafts- und Bildungsbürgertum erhob[64], Geheim- und Lesegesellschaften auch in den katholischsten Staaten des Reiches erwuchsen[65] und sich die so genannte „Leserevolution“ entfaltete. Unterhaltungsdruckwerke und Sachbücher lösten die Theologie als meist gedruckte Literatur ab, die Anzahl der Bücher steigerte sich enorm und in Kaffee und Wirtshäusern konnte jeder zum Leser werden[66]. Immanuel Kant bezeichnete dieses Zeitalter in seinem viel zitierten Bonmot als das des „Ausgangs des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ und Beginn einer Epoche der Bedienung des eigenen Verstandes[67], Jürgen Habermas schwärmt von der Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit des Ressentiments[68], und Reinhard Koselleck beklagt einen hohen „Gerichtshof der Vernunft“, welcher „alle Bereiche des Lebens in seine Prozessführung“ verwickelt[69].
Im Zentrum dieser geistigen Umwälzungen standen die Studenten: Fernab von den Traditionen konservierenden Institutionen Familie und Domstift befanden sie sich in einer relativ freien Jugendkultur, wo vor allem der Kontakt zu Peer-Groups die identitätsstiftende, sekundäre Sozialisation mit all ihren Sinnkonzepten und kulturellen Formungen gestaltete[70]. Befreit von der Disziplin von Scholaster und Dechant konnten die Domizellare während des Studiums eine einzigartige Freiheit und Distanz zu der geforderten tugendhaften und zölibatäres Lebensführung genießen. Außerhalb der Sphäre des Adels und nur in loser Verbindung zum System des Domkapitels befanden sie sich in einer Umwelt, in welcher Identität zum neuen Sujet geworden war und die Jugend im Sturm-und-Drang nach Wirkungskraft – gegen die etablierte Gesellschaft - verlangte[71]. Die subjektive Wirklichkeit, mit der ein Domizellar hier in Kontakt trat, hatte nur wenig mit dem Leben für den Domstift gemein.
Als Resultat brachte dies unter den jungen Domkapitularen eine bisher nicht da gewesene Bereitschaft zu Veränderung und Reform mit sich. Als Beispiel kann wieder der Domizellar aus Münster zitiert werden: „…denn mehr und mehr sehe ich unsere ganze vaterländische Verfassung in Erschütterung, und Männer von Rechtschaffenheit und Philosophie offenbaren in Schriften so fehlerhafte Seiten derselben, daß ich nicht weiß, ob ihr Umsturz ein großes Unglück seyn würde[72],“ schrieb er 1787 an seinen Dechanten. Das Gerücht, der König von Brandenburg wolle seinen Sohn zum Koadjutor in Bamberg und Würzburg machen, veranlasst ihn zum Spiel mit diesem Gedanken: „In einer solchen Hand könnte das fränkische Herzogenschwert wieder von Bedeutung werden. Wer weiß, ob es nicht ein Versuch ist?“[73]. Selbstverständlich fällt die Antwort des Dechants bereits im ersten Satz tadelnd aus: „Ganz Unrecht haben Sie, Herr Vetter“[74]. Aus seinem Brief spricht ein tiefes Misstrauen den hohen Fürsten gegenüber, „Es ist eine leere Cärimonie, wenn man den Wolf in die Schafhürden lässt, alsdann mit ihm tractieren zu wollen, wie lange er sich darin aufhalten möge.“ Die Wahrung von Gesetz und Tradition steht für ihn an erster Stelle: „Verlasset euch nicht auf Menschen; haltet fest am Buchstaben der Rechte[75]“. Die Verfassung sei, so der Dechant, „ein Denkmal des Verstandes der alten Germanier“. Dass sich der Domizellar gegen diese einnimmt, entschuldigt nur seine Jugend[76]. Dieser äußert immer wieder Kritik an der Verfassung der geistlichen Staaten: „Unsere Macht ist nichts; denn wir sind geblieben die wir waren, und unsere Nachbarn sind unermesslich empor gestiegen“[77]. Eine solche Meinungsäußerung gegenüber dem mächtigen Dechanten und die sich daraus ergebende Diskussion in den Briefen zeigt, dass ein äußerst fruchtbarer, angeregter Kontakt zwischen Jung und Alt bestand, in welchem die erfahrenen Domherren die Rolle der Paten und Lehrer der Domizellare einnahmen. In die Irre führen würde der Eindruck, dass ein scholastisches Verhältnis der Unterordnung und des Auswendiglernens geherrscht hatte. Welch offene und freie Argumentationsmuster sich hinter den verschnörkelten Höflichkeits- und Untergebenheitsbezeugungen verbergen zeigt besonders deutlich jene Passage aus dem auf die Antwort des Dechanten folgenden Brief des Domizellaren: „Ihre Gedanken sind von einer frappanten Wahrheit…Da Sie aber nichts weniger wollen, als blinden Glauben…so werden Sie so gütig seyn, mir noch folgendes zu beantworten“[78]. Es folgt eine eher rhetorisch zu verstehende Frage, welche eine Gegenmeinung mitteilt.
Es bleibt festzuhalten, dass dieser Lebensabschnitt Chance beinhaltete, sich neuen Geistesrichtungen zu öffnen und ein freies Leben in der Freude und dem Leid der Sturm-und-Drang-Generation kennen zu lernen. Auch lässt sich den bisherigen internen Differenzierungsmerkmalen im Domkapitel ein weiteres hinzufügen: Das der Generation.
2.5 Emanzipation und erste Residenz
2.5.1 Emanzipation
Hatte der Domizellar die Ausbildung beendet, so wurde er dem Ritual der Emanzipation unterworfen. Der Scholaster prüfte den Domizellaren und stellte ihm ein Zeugnis aus. Dann wurde er den Kapitularen einzeln und vor versammeltem Gremium präsentiert – dies nannte man den Kapitelgang. Auf ihn folgte die Demütigung, in welcher der Domizellar von seinen bisherigen Mitschülern leichte Rutenstreiche erhielt. Vom Dechanten empfing er ebenfalls drei Rutenstreiche, anschließend leistete er den Kapiteleid und begab sich vor der versammelten Jugend zur Dompfisterei bzw. zum Bäckerladen am Domkranz. Hier empfing er von den Kapitularen das Brot, kaufte den gesamten Brotvorrat und verteilte diesen an die Schuljugend[79]. Die emanzipierten Domizellare waren aus der Aufsicht des Scholasters entlassen und unterstanden von nun an – wie die Domkapitulare – dem Dechant.
2.5.2. Die erste Residenz
Um bereit zur Aufnahme ins Domkapitel zu sein musste der Domizellar noch das erste Residenzjahr ableisten. Zur Darstellung des ersten Residenzjahres werden zuerst die Alterswerte erklärt. Anschließend werden die normativen Statuten wiedergegeben, um schließlich die Konsequenzen für die Mentalität herauszulesen.
Bei einem statistischen Mittel von 24, einem Median und Modalwert von 22 Lebensjahren schwankte das Alter der Domizellare zur ersten Residenz stark: Der älteste war Philipp Anton von Guttenberg mit 55 Jahren. Schon vor mehreren Jahrzehnten hatte er seine erste Residenz in Würzburg geleistet. Der jüngste seine erste Residenz haltende Domizellar ist Philipp Anton von Schaumberg (1757-1801) mit 13 Jahren. Johann Joseph von Würzburg (1747-1800) und Karl Friedrich von Frankenstein (1780-1804) traten beide ihr Residenzjahr mit 29 an, hatten aber schon vorher ihre erste Residenz in Würzburg verrichtet. Unter den restlichen Datenträgern sticht Franz Karl von Redwitz (1739-1804) hervor, der erst mit 27 Jahren seine Residenzpflicht erfüllte. Allerdings wurde er auch erst mit 22 Jahren, also relativ spät, aufgeschworen. Sämtliche übrigen Merkmalsträger waren zwischen 16 und 24 Jahre alt, als sie ihre erste Residenz antraten. Der Zeitraum zwischen Aufschwörung und erster Residenz ist sehr unausgewogen. Wieder ist Johann Philipp von Schaumberg mit drei Jahren der Schnellste, Adam Friedrich von Aufsees (1768-1804) der Langsamste. Sämtliche Domkapitulare lassen sich in zwei etwa gleich große Gruppe zerlegen: bei einer umfasste der Zeitraum zwischen Aufschwörung und erster Residenz 3-6, bei der anderen 9-13 Jahre. Entweder leistete der Domizellar mit 16-18 Jahren nach dem Gymnasium die erste Residenz, oder er schloss sie im Alter von 22-27 an das Studium an. Dies deutet darauf hin, dass es zwei verschiedene Ausprägungen dieses Zeitraums gab, welche bestimmten, wann die beiden Ereignisse in den üblichen Bildungsfluss eingebunden wurden.
Mit Antritt des Residenzjahres, des so genannten „Klosterjahres“[80], waren gänzlich andere Tugenden als im Studium gefragt. Der Domizellar verbrachte ein Jahr, in welchem er von den Sphären der Bildung und des Adels[81] abgesondert und ununterbrochen der internen Strukturierung des Systems des Domkapitels unterworfen war. Ab nun wurde ein strenges Leben unter der Kontrolle des Dechants geführt. Zuerst musste sich der Domizellar eine Wohnung, wohl meistens unter dem Dach seines Paten[82], suchen, welche er im folgenden Jahr nicht wechseln durfte. Täglich musste er sich vor dem Läuten der Schlaf-Glocke in dieser einfinden, verlassen durfte er sie erst nach Mitternacht[83] (wohl um an der Nachtmesse teilnehmen zu können). Die Domizellaren mussten sich täglich am Chor einfinden und an dem Metten, Amt oder der Vesper teilnehmen[84]. Ausnahmen erhielten sie davon im Krankheitsfall oder wenn sie die – später nachzuholenden – Reittage nutzten.
In den Anwesenheitslisten für den Chordienst wurde von einem Chorschreiber die Teilnahme der ihre ersten Residenzjahre ableistenden Domizellaren vermerkt[85]. Adam Friedrich von Aufsees begann sein Residenzjahr am 9.Juli 1780, Friedrich Karl Philipp von Zobel am 28. Februar 1781, Johann Georg Joseph von Stadion am 16. Mai 1781 und Adam Friedrich Horneck von Weinheim am 19. Juli 1781[86]. Allen vier ist gemein, dass sie sich von nun an durch eine kontinuierliche, nur von sehr wenigen Krankheitstagen unterbrochene Anwesenheit auszeichneten. Durch die ständige Präsenz im Chor konnten die Domizellare das Leben der Domherren sowie die einzelnen, in Bamberg präbendierten Persönlichkeiten kennen lernen. Betrachtet man die Anwesenheitslisten der Domkapitulare, so ist eine solche Hingabe an die Chorpflicht keineswegs selbstverständlich[87]. Sicherlich spielte Begeisterung und Pflichteifer mit, so wie er im Brief des Münsteraner Domizellaren zum Ausdruck kommt. Allerdings sollte man von einem Adam Friedrich Horneck von Weinheim keine allzu starke religiöse Hingabe erwarten, schied er doch 1787 aus dem Domkapitel aus, weil er sich verheiratete[88]. Eher war die soziale Kontrolle der Domizellare während ihrer ersten Residenz durch den Dechant und die übrigen anwesenden Domherren besonders streng.
Nach anfänglicher Begeisterung über den neuen Lebensabschnitt machte sich bei dem erwähnten Domizellar aus Münster Ernüchterung breit: „Übrigens lebe ich hier in einem geschäftigen Müssiggang, zwischen Pflichten, deren Erfüllung der menschlichen Gesellschaft gleichgültig ist, und Besuchen, welche den Geist austrocknen und das Herz tödten. Es ist mir unmöglich zu arbeiten; meine Denkenskraft wird stumpf und zum ideenlosen Getümmel.“[89] Es scheint, als entspräche die Pflicht des Chorgangs nicht dem intellektuellen Niveau, welches er sich auf der Universität angeeignet hatte, und als wären die Besuche (vermutlich bei anderen Domkapitularen) und das sich dabei ergebende gesellige Leben weit weniger erfrischend und lebendig, als er es von der Studienzeit gewohnt war. Als Student hatte er die Chance ehabt, am lokalen Nachtleben teilzuhaben. Dies war nun nur noch eingeschränkt möglich. Ein weiterer Punkt ist das Zölibat, welches nun unter strengerer Kontrolle gehalten werden musste. Im Residenzjahr war der Domizellar gerade in jenem Alter fortgeschrittener und entfalteter Geschlechtsreife zwischen 20 und 30, was die Unterdrückung der sexuellen Triebe kaum leichter gemacht haben dürfte. Vielmehr war das erste Residenzjahr eine Zeit der persönlichen Sinnsuche und der Prüfung, ob man geeignet war für ein Leben am Domstift. Der Münsteraner Dechant versuchte, durch die Vermittlung von Lebensweisheiten den Domizellar aufzubauen: der junge Mann suche das Glück am falschen Ort, sein Geist solle sich auf ein Ziel konzentrieren, für welches er dann all seine Lebenszeit hingeben könne – eines der alltäglichen Probleme der Domherren bestand weniger darin, zu wenig als vielmehr zu viel Zeit zu haben. „Sie werden sich mehr und mehr von vielem losmachen; das kostbare Gefühl „Wofür bin ich da?“ würde Sie täglich erfreuen[90]“. Das Ziel des Hineinwachsens in ein domkapitelsches Leben war die weltabgewandte, in sich selbst zufriedene Lebensweise des Mönches, der nicht wie der junge Domizellar – und seine der Aufklärung zugewandte intellektuelle Generation – ständig nach dem gesellschaftlichen Nutzen seiner Stellung fragt: „So würden Sie in sich selbst existieren, und nicht in den Menschen, die sie nicht ändern können, und nicht in dem Ort, welchen Sie sich besser wünschen“[91].
In der sekundären Sozialisation stellt das Residenzjahr also eine bedeutsame Periode dar: Beim Eintritt trug der Domizellar zahlreiche Umwelteinflüsse in sich. Durch eine Absonderung von den das System des Domkapitels umgebenden Sphären wurde er mit der internen Strukturierung dieses Systems konfrontiert und musste sich ihr unterwerfen. Nun galt es, seine innere Einstellung, seine Mentalität, mit den Mechanismen des Domkapitels kompatibel werden zu lassen..
2.6 Der Abschnitt zwischen erster Residenz und Eintritt ins Domkapitel
2.6.1 Vorzeitige Resignation
Viele Domizellare in Bamberg erkannten nach einigen Jahren – ob vor, während oder nach dem Residenzjahr – dass sie nicht bereit waren, die Zwänge einer geistlichen Lebensform zu ertragen. Kremer zeigt diese Abneigung vieler Adeliger gegen ein geistliches Leben am Beispiel der mit ihrem Schicksal in Briefen hadernden Wittelsbacher Prinzen Joseph Clemens (1671-1723), Clemens August (1700-1761) und Johann Theodor (1703-1763)[92]. Paarte sich dies noch mit geringen sozialen Erfolgen in den Kreisen der Kapitulare, dann konnte es dazu führen, dass die Präbende noch vor dem Eintritt ins Domkapitel resigniert wurde. In Bamberg haben zwischen 1750 und 1804 15 Domizellare ihr Kanonikat resigniert. Die Resignation vor der Aufnahme in das Domkapitel allein ist allerdings kein Indiz dafür, dass die Domizellaren das geistliche Leben ablehnten. Gebräuchlich war es, zugunsten eines Verwandten zu resignieren, und einige der als Domizellare in Bamberg resignierten Kanoniker verblieben in anderen Bistümern.
Die Resignation zugunsten von Verwandten wurde vor allem von den für unseren Zeitraum das Bamberger Domkapitel dominierenden Familien wie den Hutten, Leyen, Guttenberg, Horneck oder Redwitz durchgeführt.
Den Fall, dass ein Domizellar ins weltliche Leben übertrat, also vor den mentalen Anforderungen des Lebens im Domkapitel zurückschreckte, finden wir eher bei jenen Domizellaren, welche nach einigen Jahren resignierten: Friedrich Karl von Rosenbach (1750-54), Johann Anton von Reinach (1757-62), Karl Dietrich von Schaumberg (1785-96) oder Wilhelm Joseph Xaver von Sickingen (1794-97). Rätselhaft bleibt der Fall Franz Philipp von Waldersdorf (1773-76): Nach drei Jahren als Bamberger Domizellar resignierte er, um sich dem weltlichen Leben zu widmen. An einem Verbleib in anderen Domkapiteln bis 1793 hinderte dies ihn aber nicht. Andere Domizellare resignierten ihr Kanonikat in Bamberg, blieben aber in anderen Bistümern aufgeschworen.
Schließlich gibt es noch zwei Fälle, in welchen die Domizellare nach langen Jahren des vergeblichen Wartens auf den Eintritt in das Kapitel resignierten: Wilhelm Joseph von Sickingens (1756-89) war 33 Jahre Domizellar in Bamberg und fast ebenso lange in Würzburg. Ähnlich erging es Emmerich Joseph von Stadion (1779-99)[93].
Neben den individuellen Lebensverläufen zeigt dies, dass nicht jeder Kanoniker Domkapitular werden konnte, sondern der Lebensabschnitt als Domizellar eine Auslese darstellte, welche nicht wenigen Kanonikern den Zugang ins Kapitel versperrte. Von 47 zwischen 1750 und 1804 aufgeschworenen Domizellaren erhielten nur 32 den Sitz im Domkapitel, rund ein Drittel resignierte als Domizellar.
2.6.2 Dauer bis zur Aufnahme und höhere Weihen
Oft wurde ein Domizellar erst Jahrzehnte nach seiner Aufschwörung ins Kapitel aufgenommen. Aus den von Peter Hersche erstellten Listen über die Domherren geht hervor, dass kein nach 1791 aufgeschworener Domizellar bis 1804 im Domkapitel aufgenommen wurde[94], die Differenz zwischen Aufschwörung und Kapitelseintritt in Jahren ergibt bei beiden Durchschnittswerten 17. Johann Philipp von Stadion (1744-1800) und Karl Friedrich von Frankenstein (1780-1800) wurden bereits nach 14 Jahren aufgenommen, Franz Erwein von der Leyen (1755-1804) dagegen erhielt erst nach 25 Jahren den Sitz. Die restlichen Werte bewegen sich zwischen 16 und 23 Jahren. Dies bedeutete, dass der Domizellar nach Beendigung seiner akademischen Ausbildung und des Residenzjahres nicht selten zwischen 5 und 10 Jahren warten musste, wenn er Pech hatte, noch länger.
Die einzigen Akten, welche sich mit diesem Lebensabschnitt der Domizellare befassten, sind die Zeugnisse über höhere Weihen. Auf päpstlichen Beschluss war es die mehr oder weniger eingehaltene Voraussetzung für den Eintritt ins Kapitel, mindestens die Weihe zum Subdiakon empfangen zu haben[95]. Die in den Aufschwörakten enthaltenen Weihezeugnisse geben Hinweise, ab wann sich der Domizellar auf den Eintritt in das Domkapitel vorbereitet hat. Der Mittelwert des Zeitraums zwischen höherer Weihe und Eintritt ins Domkapitel beträgt 4,2 Jahre, der Median 3,5[96]. Philipp Anton von Bubenhofen (1768-98) hatte sich bereits 9 Jahre vor der Aufnahme weihen lassen, dagegen hatten Franz Karl von Redwitz (1761-1804) und Friedrich Christoph von Waldersdorf (1754-1804) nur zwei Jahre vor dem Eintritt das Subdiakonat empfangen. Diese erste der höheren Weihen qualifizierte den Domizellaren für das Domkapitel, war sie doch der Beweise, dass der Anwärter bereit für ein geistliches Leben war: Anders als die niederen Weihen prima tonsur und quator minor konnte ein Subdiakon nur schwer vom geistlichen Leben freigesprochen werden und in das weltliche Leben zurückkehren[97]. Allerdings liegen nicht für alle Domkapitulare Belege für die höhere Weihe vor. Um sich diese Option möglichst lange offen zu halten, zögerten viele Domizellare die höhere Weihe bis kurz vor den Eintritt in das Domkapitel hinaus. Dies deutet darauf hin, dass religiöser Eifer von ihnen eher als Instrument denn als inbrünstiges Verlangen ausgeübt wurde.
2.6.3 Betätigungen vor der Aufnahme und die materielle Stellung der Domizellare
Das Leben als Domherr bot „die ganze Breite der Lebens- und Wirkungsmöglichkeiten, zu denen die Zeit die Voraussetzung gab…Der Spielraum vom Politiker, Diplomaten und Verwaltungsfachmann bis zum frommen Diener der Kirche, vom Gelehrten bis zum Weinkenner und Genießer aller Tafelrunden war weit genug, um die verschiedensten Charaktere und Talente ihrer Art gemäß und zufrieden leben zu lassen.“[98] Um einen Lebensweg einzuschlagen, um ein Lebensmodell anzunehmen, war eine entsprechende primäre und sekundäre Sozialisation erforderlich, um in einer Lebensform Erfolg zu haben und darin zu bestehen war eine frühzeitige Einschlagung und Verfolgung derselben notwendig. Wie der Domdechant an den Domizellar schrieb: Die Konzentration, die Hingebung der Zeit auf eine Sache sollte früh errungen und dann bis zum Lebensende durchgeführt werden. Der Münsteraner Domizellar bat seinen Dechanten, „so rathen Sie mir zwischen dem gelehrten und öffentlichen oder Geschäftsleben, den beyden Wegen die unserem Stand geziemen.[99]“ Aus den Briefen des Domizellaren sprechen jene ihm subjektiv bewussten und vorgelebten legitimen Lebensmodelle eines Domherren. Die gelehrte und die politische Aktivität wird von ihm als ein Lebensmodell angesehen, das Leben für die Geschäfte und das Kapital als ein anderes. Der Dechant antwortet ihm: „Sie müssen beydes verbinden, lieber Jüngling, damit Ihre Gelehrsamkeit praktisch, ihre Geschäftsführung aufgeklärt werde.[100]“ Fraglich bleibt, wie viele Domherren tatsächlich beide Lebensführungen in sich vereinigen konnten. Fest steht, dass spätestens in dem hier untersuchten Lebensabschnitt die Betätigung im auserwählten Lebensmodell begonnen wurde – was diese Lebenszeit zur Entscheidenden für das spätere Verhalten als Domkapitular macht.
Man weiß etwa von Franz Ludwig von Erthal, dass er bereits 1755, lange vor seiner Berufung ins Würzburger Domkapitel dort zum geheimen Hof- und Regierungsrat ernannt wurde. Kaum hatte er 1763 den Sitz in diesem Gremium, wurde er zum Präsidenten der weltlichen Regierung berufen[101]. Adam Friedrich von Horneck betätigte sich schon frühzeitig als Praktikant beim Kammergericht in Wetzlar[102] und Friedrich Karl von Redwitz und Johann Philipp Karl von Stadion waren bereits als Domizellaren Mitglieder des geistlichen Rates in Bamberg[103]. Karl Philipp von Bibra nahm bereits 1759 als Domizellar die Stellungen eines Hofpagen[104] ein und auch der 33 Jahre vergebens auf ein Kanonikat wartende Wilhelm von Sickingen war sowohl in Würzburg wie auch in Bamberg zum Geheimrat berufen worden[105].
Philipp Anton von Bubenhofen musste höchstens sechs Jahre nach dem Eintritt verstreichen lassen, bis ihm 1795 die wichtige Stellung des Obereinnahme-Präsidenten zugewiesen wurde[106] ; im Weihezeugnis von Christoph Franz von Bußeck ist vermerkt, dass er 1795 seit 38 Jahren im Domkapitel saß und seit 35 Jahre die Stellung des Regierungspräsidenten ausübte[107]. Der 1780 ins Kapitel aufgeschworene Franz Karl von Redwitz wurde bereits 1782 zum Präsidenten der Obereinnahme ernannt[108]. Diese aufgezeigten Zeitspannen zeigen, dass schon in dieser Phase vor dem Eintritt ins Domkapitel die Chance bestand, sich für die Übernahme bestimmter Regierungsämter unter dem Fürstbischof zu qualifizieren – ob nun durch den wie auch immer gearteten Nachweis der juristisch-politischen Fähigkeiten oder durch die Bemühung um eine freundschaftliche soziale Beziehung zum Fürstbischof innerhalb der entsprechenden Netzwerke. Dies zeigt: Über die künftige Lebensgestaltung im Domkapitel war bereits vor dem Eintritt weitgehend entschieden worden.
Über die materielle Situiertheit der Domizellar ist kaum etwas bekannt. Erst mit dem Eintritt ins Domkapitel erhielten sie die jährlichen Pfründen. Bekannt ist, dass sie nach der Emanzipation an der Verteilung der Obleien und Fragmente teilnahmen. Dabei aber fielen den Domizellaren in der Regel nur die kaum einträglichen Fragmente – also nur einzelne, verstreute Häuser, Wiesen, Mühlen etc. – zu. Als 1795 ein Domherr resignierte und daraufhin am 4. Mai seine Obleien und Fragmente verteilt wurden, fanden die Domizellare überhaupt keine Berücksichtigung. Die einzige tatsächliche finanzielle Verdienstmöglichkeit der Domizellaren war, bei der Verteilung der Präsenzgelder anwesend zu sein. Für den Besuch des Chordienstes erhielten sie täglich 3 ½ Simra Waiz und 2 ½ Simra Korn, weitere 30 Gulden wurden unter den anwesenden Domizellaren verteilt. Weiterhin wurden an verschiedenen, nicht immer identifizierbaren, Terminen Präsenzgelder unter Domkapitularen und Domizellaren ungleichmäßig verteilt: 1,5 Gulden erhielt der Domizellar beim „Cinerum“, für die Nachtwache am Dom 12 Kreuzer. Immerhin Wein und Brot gab es bei den Festen zu St. Kunigunde, St. Galli und St. Tiberius, und 1 Gulden 36 Kreuzer konnte man beim St. Heinrichsfest (13. Juli) erhalten. Auch an den Jahrestagen ehemaliger Fürstbischöfe und vermögender Domkapitulare wurde unter allen anwesenden Kanonikern Geld ausgeteilt: Die Geburtstage von Johann Voit von Würzburg, Johann Philipp Anton von Franckenstein (27. März), Friedrich Karl von Schönborn (3. März), Lothar Franz von Schönborn (4. Oktober), Otto Philipp von Guttenberg, Johann Philipp von Franckenstein, Adam Friedrich von Seinsheim (16. Februar), Peter Philipp von Dernbach (1. Juli), schließlich an einem Jahrestag der Schönborn-Dynastie. An diesen Festtagen wurde aus den Stiftungen eine verschieden hohe Summe verteilt: Die Regel waren Geldsummen von insgesamt 12 bis 24 Gulden. Lediglich an den Feiertagen für die Schönborn-Familie oder Peter Philipp wurden größere Summen – über 100 Gulden – verteilt. Trotz dieser Verdienstmöglichkeiten war die finanzielle Situation der Domizellaren denkbar ungünstig. Selbst die stete Anwesenheit am Dom und an allen Festtagen dürfte für ein standesgemäßes, selbstständiges Leben nur mit starken Einschränkungen gereicht haben. Viel eher blieb der Domizellar bis zum Eintritt ins Domkapitel von der Unterstützung durch die Familie abhängig. War diese wenig vermögend, so blieb nur noch die oft nicht unerhebliche Verschuldung als Lösung.
[...]
[1] So u.a. bei Raab, Heribert: Geistige Entwicklungen und historische Ereignisse im Vorfeld der Säkularisation, in: Rauscher, Anton (Hrsg.): Säkularisierung und Säkularisation vor 1800, Paderborn 1976, S. 9-43, S. 12.
[2] Diese These wird von der neuen historischen Forschung dementsprechend auch abgelehnt: „Die Entwicklung war ergebnisoffen“, so die Antwort von Armgard von Reden-Dohna auf die Frage, ob die Säkularisation zwangsläufig gewesen sei. Reden-Dohna, Armgard von: War die Säkularisation zwangsläufig? Der Fall Hochstift Osnabrück, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 139 (2003), S. 7-25.
[3] Siehe etwa die Beiträge in den Blättern für deutsche Landesgeschichte 139 (2003): Reden-Dohna; Freitag, Werner: Das Fürstbistum Münster in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Handlungsfelder Katholischer Aufklärung, S. 27-44, und Wüst, Wolfgang: Die geistlichen Staaten im Südwesten des Alten Reichs am Vorabend der Säkularisation, S. 45-71 , oder auch: Andermann, Kurt: Die geistlichen Staaten am Ende des Alten Reiches, in: Historische Zeitschrift Bd. 271 (2000), S. 593-619 oder Asche, Matthias: Krise und Untergang der alten Reichskirche in den geistlichen Territorien Norddeutschlands. Formen und Verlaufstypen eines Untergangs, in: Historisches Jahrbuch 123 (2004), S. 179-259.
[4] So auch im Standardwerk Feine, Erich: Besetzung der Reichsbistümer. Vom Westfälischen Frieden bis zur Säkularisation 1648-1803 (=Kirchenrechtliche Abhandlungen Heft 97 und 98), Stuttgart 1921; oder in der ansonsten sehr überzeugenden politischen Untersuchung von Neumar, Rudolf: Die Rechtsstellung des Domkapitels im Fürstbistum Bamberg von der Gründung bis 1693, Erlangen 1949.
[5] Über die Rückständigskeitspolemik der Aufklärung siehe Kapitel 8.2; zu einer positiven Interpretation in der neueren Forschung Hersche, Peter: Intendierte Rückständigkeit: Zur Charakteristik des geistlichen Staates im Alten Reich, in: Schmidt, Georg (Hrsg.): Stände und Gesellschaft im Alten Reich, Stuttgart 1989, S. 133-149; oder auch den Aufsatz von Kurt Andermann (wie Anm. 3).
[6] Santifaller, Leo: Das Brixener Domkapitel in seiner persönlichen Zusammensetzung im Mittelalter, Innsbruck 1924.
[7] Hersche, Peter: Die deutschen Domkapitel im 17. und 18. Jahrhundert. Teil 1: Einleitung und Namenslisten, Bern 1984, S. 10f.
[8] Christ, Günther: Selbstverständnis und Rolle der Domkapitel in den geistlichen Territorien des Alten Reiches in der Frühneuzeit, in: Zeitschrift für historische Forschung 16 (1989), S. 257-325
[9] Reinhard, Wolfgang: Freunde und Kreaturen. „Verflechtung“ als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Römische Oligarchie um 1600 (=Schriften der Philosophischen Fachbereiche der Universität Augsburg Nr. 14). München 1979. später unter Umformulierung auf den Begriff der Vernetzung: Reinhard, Wolfgang: Freunde und Kreaturen. Historische Anthropologie von Patronage-Klientel-Beziehungen, in: Freiburger Universitätsblätter 139 (1998), S. 127-141.
[10] Keinemann, Friedrich: Das Domkapitel zu Münster im 18. Jahrhundert (=Veröffentlichungen der Historischen Kommission Westfalen Bd. 12), Münster 1967.
[11] Fouquet, Gerhard: Das Speyerer Domkapitel im späten Mittelalter (ca. 1350-1540) (=Quellen und Abhandlungen zur Mittelrheinischen Kirchengeschichte Bd. 57), Mainz 1987.
[12] Für die neuere politische Geschichtsschreibung wird dies festgestellt bei: Schorn-Schütte, Luise: Historische Politikforschung. Eine Einführung, München 2006, S. 70: „…erwies sich die Verbindung mit der Sozialgeschichte der Politik, die nach den Interessen der in der Politik agierenden sozialen Gruppen fragte, als ertragreicher.“ (Hervorhebung im Original). Ähnliches wird auch in der Diskussion, ob die Perspektive auf der Struktur oder dem Individuum liegen sollte, geäußert. Vgl. Mergel, Thomas und Welskopp, Thomas: Geschichtswissenschaft und Gesellschaftstheorie, in: dieselben (Hrsg.): Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft. Beiträge zur Theoriedebatte, München 1997, S. 9-35.
[13] Siehe zur Mentalitätsgeschichte: Gilcher-Holtey, Ingrid: Plädoyer für eine dynamische Mentalitätsgeschichte“, in: Geschichte und Gesellschaft Bd. 24 (1998), S. 476-616; Groethuysen, B.: Die Entstehung der bürgerlichen Welt- und Lebensanschauung in Frankreich, Frankfurt am Main 1979; oder auch Sellin, Volker: Mentalität und Mentalitätsgeschichte, Historische Zeitschrift Bd. 241 (1985).
[14] Vgl. unter anderem etwa das bereits erwähnte Standardwerk von Erich Feine; oder Christ, Günther: Bischof, Domkapitel und Landstände in den deutschen geistlichen Territorien der frühen Neuzeit, Torun 1992; auch im bereits erwähnte politischen Werk von Neumar finden sich wertvolle Erkenntnisse.
[15] Siehe hierzu: Blossfeld, Hans-Peter und Huinink, Johannes: Lebensverlaufsforschung als sozialwissenschaftliche Forschungsperspektive. Themen, Konzepte, Methoden und Probleme, in: BIOS, 14. Jg, Heft 2 (2001), S. 5-31, S. 4f.
[16] Die Jahreszahlen für die Aufschwörung sind vollständig enthalten in den Listen bei Hersche, 1984, S. 75f. Dagegen sind die Geburtsdaten nur aus den Aufschwörakten StaaA A.116 herauszulesen. Dasselbe gilt für die erste Residenz und die höheren Weihen. Der Eintritt in das Domkapitel wiederum ist nur (unvollständig) erfassbar in Looshorn, Johannes: Die Geschichte des Bisthums Bamberg 7: Das Bisthum Bamberg 1729-1808, Bamberg 1907 / 1980. Aus diesen bruchstückhaften Daten wurden die Durchschnittswerte des Lebensalters bei jedem Abschnitt errechnet und in Tabelle 2 zusammengefasst. Es handelt sich hierbei aber nicht um eine geschlossene, vollständige Menge an Merkmalsträger, d.h. gewisse statistische weiße Flecken sind existent und verursachen paradoxe Werte: Dass etwa das Maximalalter bei der ersten Residenz 55 Jahre beträgt, das bei der auf die erste Residenz folgenden Aufschwörung ins Domkapitel hingegen 41, kann so nicht stimmen. Vielmehr handelt es sich hier um verschiedene Personen; von jenem Domkapitular, welcher mit 55 Jahren die erste Residenz auftrat ist der Zeitpunkt des Eintritts in Domkapitel nicht überliefert. Auf dieselbe Weise kann der widersprüchliche Minimalwert bei beiden Kategorien erklärt werden. Dies macht eine kritische Betrachtung der Datensätze nötig. Allerdings weisen die Mittelwerte in ihrer Gleichförmigkeit darauf hin, dass zumindest diese eine weitreichende Gültigkeit beanspruchen können.
[17] Siehe zum Kapitalkonzept von Pierre Bourdieu: Bourdieu, Pierre: Sozialer Raum und „Klassen“, Frankfurt am Main 1985; Ders.: Die feinen Unterschieden. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am Main 1992; Wehler, Hans-Ulrich: Die Herausforderung der Kulturgeschichte, München 1998, S. 27; zu den Kapitalssorten auch: Reichardt, Sven: Bourdieu für Historiker? Ein kultursoziologisches Angebot an die Sozialgeschichte, in: Mergel, Thomas und Welskopp, Thomas (Hrsg.): Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft. Beiträge zur Theoriedebatte, München 1997, S. 71-93, S. 79 und Münch, Richard: Soziologische Theorie. Band 3: Gesellschaftstheorie, Frankfurt am Main 2004, 435f.
[18] Siehe zum Konzept der Sozialisation: Berger, Peter L. und Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt am Main 1980, S. 139-157.
[19] Schütz, Alfred / Luckmann, Thomas: Strukturen der Lebenswelt, Konstanz 2003, S. 290ff
[20] Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, Frankfurt am Main 2004, S. 60.
[21] Kohlhagen, Heinrich: Das Domkapitel des alten Bistums Bamberg und seine Canoniker. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des fränkischen Adels, der deutschen Domstifte im Allgemeinen, und der Handhabung des Canonischen Rechts. Bamberg, 1907.
[22] Siehe über die Anwendbarkeit der Bourdieuschen Kapitalsarten auf dynastische Zusammenhänge Häberlein, Mark: Die Augsburger Welser und ihr Umfeld zwischen karolinischer Regimentsreform und Dreißigjährigem Krieg: Ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital, in: Häberlein, Mark / Burkhardt, Johannes (Hrsg.): Die Welser. Neue Forschungen zur Geschichte und Kultur des oberdeutschen Handelshauses (=Colloquia Augustana, Bd. 16), Berlin 2002 , S. 382-406.
[23] Schröcker, Alfred: Die Patronage des Lothar Franz von Schönborn (1655-1729). Sozialgeschichtliche Studie zum Beziehungsnetz in der Germania Sacra (=Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neuzeit Heft 10), Wiesbaden 1981, S. 18; Kremer, Stephan: Herkunft und Werdegang geistlicher Führungsschichten in den Reichsbistümern zwischen Westfälischem Frieden und Säkularisation. Fürstbischöfe – Weihbischöfe – Generalvikare, (=Römische Quartalschrift für Christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, 47. Supplementheft), Wien 1992, S. 283.
[24] Embach, Michael / Godwin Joscelyn: Johann Friedrich Hugo von Dalberg (1760-1812). Schriftsteller – Musiker – Domherr. Mainz 1998, S. 49.
[25] Embach/Godwin, S. 49ff.
[26] Kremer, S. 145, ebenso Braun, Hugo: Das Domkapitel zu Eichstätt. Von der Reformationszeit bis zur Säkularisation (1535-1806). Verfassung und Personalgeschichte. Stuttgart 1991, S. 22; Keinemann, S. 70.
[27] Schultze, Johanna: Die Auseinandersetzung zwischen Adel und Bürgertum in den deutschen Zeitschriften der letzten drei Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts (1773-1806), (=Historische Studien Heft 163), Berlin 1925, S. 89.
[28] Bei den hier genannten Fächern handelt es sich um einen häufig genannten Kanon. Allerdings erscheint es mir unglaubhaft, dass ein Kind nachhaltig diese große Menge an Fächern und Fähigkeiten im Elternhaus lernte. Wohl eher handelte es sich um sporadische Kenntnisse einer Auswahl aus diesem Kanon. Bei Betrachtung des Falles Dalbergs, der zwar kein Französisch lernte, aber doch in einem „frankophonen“ Haushalt aufwuchs (Embach / Godwin, S. 49), ergibt sich das Bild, dass derlei adelige Tugenden eher abseits des Unterrichts, bei häuslichen Vergnügungen und Veranstaltungen erlernt wurden.
[29] Kremer, S. 145ff.
[30] so wird das Wesen des Adels von Christian Garve in der Neuen deutschen Bibliothek um 1793 beschrieben. In: Schultze, S. 10.
[31] Kremer, S. 145.
[32] Vgl. Berger / Luckmann, S. 143.
[33] dies geht aus den Unterschriften der für die Aufschwörung von den Eltern gesandten Zeugnisse hervor. Mir ist keiner dieser Briefe bekannt, der in einer größeren Stadt – ja überhaupt in einer Stadt – verfasst wurde. Vgl. Staatsarchiv A.116
[34] Ruppel, Sophie: Verbündete Rivalen. Geschwisterbeziehungen im Hochadel des 17. Jahrhunderts, Weimar 2006, S. 89f.
[35] Ebd., S. 124.
[36] Entwicklungspsychologisch gilt dieser Zusammenhang als unbestritten. Siehe Oerter, Ralf: Kindheit, in: Oerter, Ralf und Montada, Leo (Hrsg.): Enwicklungspsychologie, 5., vollständig überarbeitete Auflage, Berlin 2002, S. 209-257, S. 243f.
[37] Berger/Luckmann, S. 152.
[38] Bei Veit werden in einem Kapital die Mainzer „Domherren als Kavalliere“ beschrieben. Die Ergebnisse beziehen sich aber vor allem auf das 17. Jahrhundert und können für den untersuchten Zeitraum nur eingeschränkt Geltung einfordern, weswegen sie nicht in diese Arbeit eingehen sollen. Auch bei Kremer findet man die Formulierung eines „befremdlichen“ Verhaltens. Für den Domkapitular als Jäger siehe Kapitel 7.2.
[39] In der sogenannten Ahnenprobe wurde geprüft, ob die drei Generationen der Vorfahren des Kandidaten dem stiftsfähigen Adel angehörte; im Falle von nicht-etablierten Geschlechtern musste diese Stiftsfähigkeit durch ein Zeugnis belegt werden, vgl. auch Kohlhagen S. 42ff.
[40] in den Aufschwörurkunden sind stark standardisierte elterliche Schreiben über Gesundheit, adelige Agnaten und das Alter des Domizellars, Tauf- und Weihezeugnisse, Gutachten über die Stiftsfähigkeit der Vorfahren, eine Wappenprobe und der Nachweis über die erste Residenz enthalten – leider nicht immer vollständig.
[41] Schneider, Philipp: Die bischöflichen Domkapitel, Mainz 1885, S. 115ff.; Kremer, S. 274.
[42] Über den Turnus siehe Kapitel 6.2.2.
[43] Berger / Luckmann, S. 150ff.
[44] Diese traten sozusagen als Bürgen des Domizellars auf. Inwieweit hier verwandtschaftliche und freundschaftliche Familienverhältnisse eine Rolle gespielt haben, kann nicht gesagt werden, da sich in den Aufschwörakten keine signifikanten Korrelationen finden lassen.
[45] Kohlhagen, S. 51.
[46] Schneider, S. 131.
[47] Jugend als „Sturm-und-Drang-Phase“ geht auf das Entwicklungsmodell von Hall zurück. Trotz Relativierung und Kritik lebt diese Theorie auch noch in aktuellen Modellen weiter. Siehe Oerter, Ralf und Dreher, Eva: Jugendalter, in: Oerter, Ralf und Montada, Leo (Hrsg.), S,. 258-318, S. 262.
[48] Müller, Johannes von: Briefe zweener Domherren, Original Leipzig 1787, http://miami.uni-muenster.de/servlets/DSOViewerServlet?DocID=372&DvID=357 [letzter Aufruf 14. Juni 2007], S. 6. Immer wieder in dieser Arbeit werden diese Briefe verwendet, stellen sie doch eine einzigartige Quelle über Identität und Mentalität der Domherren, gerade weil sie zeitlich exakt den Untersuchungsraum treffen. Leider sind derartige Quellen für Bamberg nicht bekannt. Münster zählt zu den Westfälischen Hochstiftern, was bedeutet, dass, anders als bei den rheinischen Bistümern, nur minimale Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Bamberg und Münster aufzufinden sind. Somit könnte eine Differenz der Mentalität zwischen den Domkapiteln anzutreffen sein. Allerdings verweist das Interesse des schreibenden Domizellars wie auch der von ihm dargestellten Domkapitulare am Schicksal der Bistümer Bamberg und Würzburg auf eine überraschend enge Beziehung zwischen Franken und Westfalen, dies wird auch dadurch bestärkt, dass der Domizellar von Freunden in Mainz und Würzburg berichtet.
[49] Siehe auch Kremer S. 286.
[50] Briefe, S. 6.
[51] Ebd.
[52] Berger / Luckmann, S. 150ff.
[53] Bzw. bei Schule und Studium an anderen Orten unter Berichterstattung diesem gegenüber.
[54] Kremer, S. 151f. Da die Mängel der jesuitischen Ausbildung lange vor ihrer Auflösung bekannt waren, wurden die Kinder reicherer Familien manchmal von speziellen Privatlehrern oder auf Ritterakademien unterrichtet. Da aber selbst die reichen Familien der Erthals oder Seinsheims die beiden späteren Fürstbischöfe Franz Ludwig und Adam Friedrich auf einem Jesuitengymnasium ausbildeten, erscheint mir diese Option für Bamberg vernachlässigbar.
[55] Kremer, S. 170f. 70 Prozent der Theologie-Studenten unter den Fürstbischöfen, Weihebischöfen und Generalvikaren ließen sich freiwillig – also bevor es für die Übernahme weiterer Würden notwendig gewesen wäre – zum Priester weihen, von den Studenten der Juristik waren es nur 31 Prozent. Diese Asymmetrie korreliert negativ mit den Sätzen zur einer Priesterweihe für das Amt.
[56] Als Beispiel soll hier Ludwig Erthal zitiert werden: Es „…war meine erste Sorge, die Erziehungsanstalten sowohl auf dem Lande, als in der Stadt, vorzüglich die Trivial- und gymnastischen Schulen in eine mit der wahren Aufklärung unseres Jahrhunderts im Verhältnis stehende Verfassung zu setzen“, siehe Polster, Gabriele: Schule und Universität im Hochstift Würzburg, in: Baumgärtel-Fleischmann, Renate: Franz Ludwig von Erthal, Fürstbischof von Bamberg und Würzburg, Bamberg 1995, S. 179-188, S. 183.
[57] Man würde der Entwicklung des Bildungswesens nicht gerecht werden, wenn man unter Zäsur eine alles umstürzende Revolution verstehen würde. Bereits vorher gab es Anstrengungen zur Reformation des Schulwesens und alte Lehrmethoden lebten auch nach 1773 fort, vor allem, da oftmals personelle Veränderungen im Lehrpersonal weitgehend ausblieben. Von daher stellt das Jahr 1773 lediglich einen besonders markanten Punkt einer Veränderung im Bildungswesen dar.
[58] siehe hierzu: Hübsch, G.: Die Schulreformen unter Seinsheim und Erthal, Bamberg 1891; Bauer, Franz: Das Schulwesen im Hochstift Bamberg, in: Baumgärtel-Fleischmann, Renate (Hrsg.): Franz Ludwig von Erthal. Fürstbischof von Bamberg und Würzburg 1779-1795. Bamberg, 1995, S. 205-212.
[59] Vgl. hierzu den Reisebericht: Nicolai, Christoph Friedrich: Rotweiße Wachsbilder mit katholischem Augenaufschlag. 1781, in: Ulrich Predelli (Hrsg.): Bamberg in alten und neuen Reisebeschreibungen, Düsseldorf 1991, S. 60-71.
[60] Polster, Gabriele: Vorlesung des Philosophieprofessors Matern Reuß über Anthropologie, in: Baumgärtel-Fleischmann (Hrsg.), S. 203f.
[61] Siehe hierzu: Forster, P. Wilhelm: Die kirchliche Aufklärung bei den Benediktinern der Abtei Banz im Spiegel ihrer von 1772-1798 herausgegebenen Zeitschrift, in: Studien und Mitteilungen des Benediktinerordens Bd. 63 (1951), S. 172-233.
[62] Siehe Anhang Tabelle 4.
[63] Seul, Arnold: Absolutismus, Aufklärung und die Entstehung des bürgerlichen Schauspiels. Eine sozial- und literaturgeschichtliche Darstellung der Verbürgerlichung von Drama und Theater im 18. Jahrhundert, Berlin 1983, S. 112; eine gute Darstellung der geistigen Situation auf den Hochschulen des späten 18. Jahrhunderts findet sich auch in Safranski, Rüdiger: Schiller. Oder die Erfindung des Deutschen Idealismus, München / Wien 2004, S. 47ff.
[64] Vgl. Lepsius, Rainer M: Zur Soziologie des Bürgertums, in: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger- und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 79-100.
[65] Siehe Dülmen, Richard van: Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland, Frankfurt am Main 1986, S. 167. In Bamberg und Würzburg – selbst unter dem als aufgekärt geltenden Franz Ludwig – wurden sie allerdings mit strenger Zensur belegt und es kam zu wiederholten Auflösungen und Verboten.
[66] Prokop, Dieter: Der Kampf um die Medien. Das Geschichtsbuch der neuen kritischen Medienforschung, Hamburg 2001, S. 137ff
[67] Kaum eine Arbeit über die Aufklärung kommt ohne dieses Zitat aus, auch nicht Pütz, Peter: Die deutsche Aufklärung (=Beiträge der Forschung Bd. 81), Darmstadt 1991, S. 33.
[68] Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1962,
[69] Koselleck, Reinhart: Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, München 1959, S. 6.
[70] Oerter/Dreher, S. 263f.
[71] Seul, S. 114.
[72] Briefe, S. 7f.
[73] ebd., S. 9.
[74] Ebd.,
[75] Ebd.,
[76] ebd.,
[77] Briefe,
[78] ebd..,
[79] Kohlhagen, S. 22f.
[80] Schneider, S. 133.
[81] Selbstverständlich hatte er an der Sphäre des Adels insoweit Anteil, als seine sozialen Beziehungen aus den adeligen Kanonikern am Domstift Bamberg bestanden. Allerdings war er nicht in seinem Elternhaus, nicht im ritterlichen Hof, und er verbrachte seine Zeit auch weniger mit adeligen als mit geistlichen Praktiken.
[82] Die Wahl des Wohnortes stand den Domizellaren frei, es ist etwa bekannt, dass der 1759 sein Residenzjahr antretende Karl Philipp von Bibra als Hofpage in der fürstlichen Residenz wohnte.
[83] StaatsA, B86.400, „Statutum und respective Instructio Vor diejenige Domicellar-Herren, Welche Bey dem kayserlichen Hohen Dom=Stifft Bamberg ihre primam Residentiam dem uhralten Herkommen gemäß zu thun, und die Schlaff-Glocken zu halten haben.“, S. 2.2. Dieses 1721 gedruckte Heftchen übernimmt die Regelungen von 1695 und ist das letzte mir bekannte Statut über die Residenzzeit.
[84] Ebd., S. 3.1
[85] Siehe StaaA, B86.266(9).
[86] im Anwesenheitsbuch – StaaA B86.266(9) – sind leider nur die Nachnamen vermerkt. Die Vornamen wurden aus Hersche entnommen. Bei Adam Friedrich Horneck von Weinheim bestehen leichte Zweifel, da dessen Aufschwörung erst 1779 stattfand, doch der einzige zur selben Zeit präbendierte Horneck ist Johann Karl, welcher im Domkapitel bereits einen Sitz hat.
[87] Siehe hierzu unten Kapitel 4.2.3.
[88] siehe bei Hersche 1984, S. 76.
[89] Briefe, S. 27f.
[90] Briefe, S. 29f.
[91] Ebd.
[92] Kremer, S. 283f.
[93] Siehe im Anhang Tabelle 5. Diese ist unkompliziert aus den Listen bei Hersche 1984, S. 76, nachvollziehbar.
[94] Ebd.
[95] Schneider, S. 134.
[96] Siehe Tabelle 2.
[97] Mit der höheren Weihe war hierzu die Dispensation aus Rom erforderlich. Siehe Boeselager, Johannes Freiherr von: Die Osnabrücker Domherren des 18. Jahrhunderts (=Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen Bd. 28), Osnabrück 1990, S. 46f.
[98] Dohna, Sophie-Mathilde von: Die ständischen Verhältnisse am Domkapitel von Trier vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (=Schriftenreihe zur Trierischen Landesgeschichte und Volkskunde, Bd. 6), Trier 1960, S. 57.
[99] Briefe, S. 43, meine Hervorhebung.
[100] Ebd., S. 59.
[101] Machilek, Franz: Das Leben und Wirken des Franz Ludwig von Erthal vor 1779, in: Baumgärtel-Fleischmann, Renate (Hrsg.): Franz Ludwig von Erthal. Fürstbischof von Bamberg und Würzburg, Bamberg 1995, S. 11-19.
[102] General-Personal-Schematismus der Erzdiöse Bamberg 1007-1907, Bamberg 1908, S. 272.
[103] Ebd., S. 383, 442.
[104] Ebd., S. 244.
[105] Ebd., S. 581.
[106] Looshorn, S. 660.
[107] Ebd., S. 653.
[108] Ebd., S. 523.
- Quote paper
- Christoph Mann (Author), 2007, "Unsere Macht ist nichts; denn wir sind geblieben die wir waren" - Das Domkapitel zu Bamberg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92537
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