Seit der Wiedervereinigung Deutschlands ist insbesondere in den neuen Bundesländern der Kreditbedarf aufgrund der fehlenden "Kapitaldecke" ungleich höher als in den alten Bundesländern. Die durch die sog. "Flut-Katastrophe" im Sommer des Jahres 2002 angerichteten Schäden in Ostdeutschland und die anhaltende "Konjunkturschwäche" werden diese Entwicklung weiter forcieren. Dies verleiht aber nicht nur der Frage der Kreditvergabe, sondern auch der Problematik der Kreditsicherung eine ganz aktuelle Bedeutung.
Es ist, bzw. war gängige Praxis der Kreditinstitute, die Gewährung von Krediten davon abhängig zu machen, dass die Ehefrau oder ein naher Verwandter des Hauptschuldners die Bürgschaft hierfür übernimmt. Praxisrelevant sind dabei keineswegs nur die Fälle des vermögenden Bürgen. Im Gegenteil fordern die Banken Bürgschaften ein, obwohl oder gerade weil der Bürge vermögenslos ist und auch über kein nennenswertes Einkommen verfügt. Diese Bürgen sind im Haftungsfall dann in den meisten Fällen nicht in der Lage die für ihre Einkommensverhältnisse "astronomischen" Kredite zu bedienen.
Ob derartige Bürgschaften sittenwidrig i.S.v. § 138 I und somit nichtig sind hatte bereits im Jahre 1910 das OLG Dresden zu entscheiden. Die Frage beschäftigt die Rechtsprechung also schon geraume Zeit und die Aufmerksamkeit in Rechtsprechung und Literatur nimmt stetig zu. Die Folgen für die bankrechtliche Praxis beziehungsweise für das Einzelschicksal des Bürgen sind je nach Lösung der Problematik weitreichend und einschneidend.
Die vorliegende Arbeit will einen Überblick über den Gang der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaftsverträgen geben, dabei die Gründe für die Entwicklung der Rechtsprechung aufzeigen und schließlich die neuere Rechtsprechung zu diesem Thema darstellen und kritisch auswerten. Dabei soll der aktuelle Stand der Rechtsprechung im Hinblick auf seine praktischen Auswirkungen und die Frage der Gebotenheit der neueren Rechtsprechungsentwicklung durchaus auch skeptisch hinterfragt werden, ohne jedoch alternative Rechtssprechungskriterien konkret entwickeln zu wollen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hauptteil
- Grundlagen
- Grundlagen des Bürgschaftsrechts
- Grundlagen zur Anwendung der Generalklausel des S 138 Abs. I
- Interesse der Banken an Bürgschaften von Vermögenslosen
- Gründe der Bürgen für den Abschluss ruinöser Bürgschaftsverträge
- Die „alte BGH-Rechtsprechung" zu sittenwidrigen Bürgschaften (bis 19.10.1993)
- „Söhnefall"-BGH-Urteil vom 19.1.1989
- „Brautleutefall" - BGH-Urteil vom 28.2.1989
- „Studentenfall" — BGH-Urteil vom 19.5.1991
- Zusammenfassung und Kritik
- Grund und Grundlage für eine Änderung der Rechtsprechung
- BVerfG-Beschluss vom 19.10.1993
- BVerfG-Beschluss vom 5.8.1994
- Unbestimmtheit der Anforderungen an die Zivilgerichtsbarkeit
- „Auf dem Weg zu neuen Ufern"
- BGH-Urteil vom 24.2.1994
- Voraussetzungen der Überforderung
- Schutz vor Vermögensverschiebungen
- Lösung über S 242 BGB
- Unterschiedliche Kriterien für Kinder und Ehefrau des Hauptschuldners am Beispiel der Frage von Einzel- oder Gesamtbetrachtung
- Aufklärungspflichten?
- Eigeninteresse des Bürgen
- Zusammenfassung
- Vereinheitlichte Grundsätze der neueren Rechtsprechung des BGH und fortbestehende Differenzen zwischen IX. und XL Senat
- BGH-Urteil vom 27.1.2000
- Krasse finanzielle Überforderung
- Vermutung der Ausnutzung
- Möglichkeiten der Widerlegung der Vermutung
- Schutz vor Vermögensverschiebungen
- Berücksichtigung dinglicher Belastungen
- Sittenwidrigkeit bei fehlender Überforderung oder fehlender emotionaler Beziehung
- Anwendung der Grundsätze auf den GmbH- Oder Kommandit-Gesellschafter?
- Praktische Auswirkungen der neuen Rechtsprechung
- Auswirkungen auf die Kreditvergabepraxis
- Auswirkungen auf die Kreditfähigkeit und volkswirtschaftliche Konsequenzen
- Auswirkungen auf Altfälle (Vollstreckung von nach alter Rechtsprechung ergangenen Titeln)
- Auswirkungen auf das Verhältnis von Gläubiger- und Schuldnerschutz
- Kritik
- Ausgangspunkt: BVerfG-Entscheidung — strukturelle Unterlegenheit
- Konformität der neuen Rechtsprechungsgrundsätze mit den Anforderungen des BVerfG an die Zivilgerichtsbarkeit
- Neue Rechtslage als Grund für eine teilweise Rückkehr zur alten Rechtsprechung?
- Insolvenzrechtsreform
- Anhebung der Pfändungsfreibeträge
- Schlussgedanken
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Seminararbeit analysiert die Entwicklung der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaftsverträgen in Deutschland, insbesondere im Kontext der Kreditvergabepraxis. Sie beleuchtet die Gründe für den Wandel der Rechtsprechung und analysiert die Auswirkungen der neuen Rechtsprechung auf die Kreditvergabepraxis, die Kreditfähigkeit und die volkswirtschaftliche Entwicklung.
- Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaftsverträgen
- Die Bedeutung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
- Die Auswirkungen der neuen Rechtsprechung auf die Kreditvergabepraxis
- Die Frage der strukturellen Unterlegenheit des Bürgen
- Die Rolle der Pfändungsfreibeträge und der Insolvenzrechtsreform
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die aktuelle Problematik der Kreditvergabe und Kreditsicherung im Kontext der Wiedervereinigung Deutschlands und der Folgen der „Flut-Katastrophe" im Jahr 2002 dar. Sie führt in die Thematik der sittenwidrigen Bürgschaftsverträge ein und beschreibt die Zielsetzung der Seminararbeit.
Im ersten Kapitel werden die wesentlichen Grundlagen des Bürgschaftsrechts und der Generalklausel des S 138 Abs. 1 BGB dargestellt. Dabei werden die Interessen der Banken an Bürgschaften von Vermögenslosen sowie die Gründe der Bürgen für den Abschluss ruinöser Bürgschaftsverträge beleuchtet.
Das zweite Kapitel widmet sich der „alten Rechtsprechung" des BGH zur Frage der Sittenwidrigkeit von Bürgschaftsverträgen. Anhand exemplarischer Rechtsprechungsbeispiele (sog. „Söhnefall", „Brautleutefall", „Studentenfall") werden die Rechtsprechungsgrundsätze des BGH bis 1993 dargestellt und kritisch betrachtet.
Das dritte Kapitel beleuchtet die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 19.10.1993 und 5.8.1994, die als Grundlage für eine verfassungskonforme Rechtsprechung zu sittenwidrigen Bürgschaftsverträgen dienten. Die Unbestimmtheit der Anforderungen des BVerfG an die Zivilgerichtsbarkeit wird diskutiert.
Das vierte Kapitel beschreibt die Entwicklung der Rechtsprechung des BGH nach dem Bürgschaftsbeschluss des BVerfG. Anhand des BGH-Urteils vom 24.2.1994 wird die Suche des IX. Senats nach eigenen Rechtsprechungsgrundsätzen verdeutlicht. Die Voraussetzungen der Überforderung, der Schutz vor Vermögensverschiebungen, die Lösung über S 242 BGB sowie die unterschiedlichen Kriterien für Kinder und Ehefrau des Hauptschuldners werden diskutiert.
Das fünfte Kapitel analysiert die Vereinheitlichung der Rechtsprechung des BGH durch das Urteil vom 27.1.2000. Die neuen Rechtsprechungsgrundsätze zur krassen finanziellen Überforderung, zur Vermutung der Ausnutzung, zur Widerlegung der Vermutung, zum Schutz vor Vermögensverschiebungen, zur Berücksichtigung dinglicher Belastungen und zur Sittenwidrigkeit bei fehlender Überforderung oder fehlender emotionaler Beziehung werden dargestellt.
Das sechste Kapitel beleuchtet die praktischen Auswirkungen der neuen Rechtsprechung auf die Kreditvergabepraxis, die Kreditfähigkeit, die volkswirtschaftliche Entwicklung und die Vollstreckung von nach alter Rechtsprechung ergangenen Titeln.
Das siebte Kapitel widmet sich der Kritik an der neuen Rechtsprechung des BGH. Dabei wird die Frage gestellt, ob der BGH mit seiner neuen Rechtsprechung nicht zuviel getan hat und über das ursprüngliche Ziel „hinausgeschossen" ist. Die Kritik konzentriert sich auf den Begriff der strukturellen Unterlegenheit, die Konformität der neuen Rechtsprechungsgrundsätze mit den Anforderungen des BVerfG, die Frage der teilweise Rückkehr zur alten Rechtsprechung im Kontext der Insolvenzrechtsreform und der Anhebung der Pfändungsfreibeträge.
Im achten Kapitel werden die Schlussgedanken der Seminararbeit zusammengefasst. Die Frage wird gestellt, ob dem Bürgen im Endeffekt durch die „scheinbar bürgenfreundliche neuere Rechtsprechung des BGH tatsächlich geholfen ist. Es wird argumentiert, dass eine zumindest teilweise Rückkehr zur alten Rechtsprechung geboten erscheint, um unbillige Ergebnisse zu vermeiden.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Sittenwidrigkeit von Bürgschaftsverträgen, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), die Privatautonomie, die strukturelle Unterlegenheit des Bürgen, die krasse finanzielle Überforderung, der Schutz vor Vermögensverschiebungen, die Insolvenzrechtsreform, die Anhebung der Pfändungsfreibeträge, die Auswirkungen auf die Kreditvergabepraxis und die volkswirtschaftlichen Konsequenzen.
- Citation du texte
- Daniel Schnabl (Auteur), 2002, Neue Entwicklungen der Rechtsprechung zu sittenwidrigen Bürgschaften, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9252
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