Ziel dieser Arbeit ist es, Aristoteles' Argumente gegen Platons Idee des Guten vorzustellen, zu erläutern und sie anschließend auf ihre Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Dabei soll gezeigt werden, dass seine Schlüsse, sowie auch einige Prämissen nicht die Überzeugungskraft haben, die sie auf den ersten Blick aufweisen. Es wird deutlich werden, dass Aristoteles nach seiner Kritik an der Ideenlehre aufgrund seiner unschlüssigen Argumente, den Aspekt des Unempirischen bei der Bestimmung des Guten eventuell zu Unrecht außer Acht gelassen hat.
Im Verlauf der Arbeit wird zunächst kurz erläutert, was Platon mit der Idee des Guten meint und wie Aristoteles wiederum das Gute bestimmt. Anschließend werden die fünf Argumente des Aristoteles gegen die Ideenlehre Schritt für Schritt rekonstruiert. Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit wird nicht auf Aristoteles' Einwände gegen seine eigenen Kritiker eingegangen, die auf die fünf Argumente folgen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Bestimmungen des Guten
2.1 Platons Idee des Guten
2.2 Aristoteles' Bestimmung des Guten
3. Aristoteles Kritik an der Idee des Guten
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Aristoteles' Kritik an der Platonischen Ideenlehre stellt nur einen kurzen Abschnitt in seinem ersten Buch der Nikomachischen Ethik dar; ist aufgrund seiner Kürze jedoch nicht weniger interessant als andere Abschnitte. So kritisiert Aristoteles immerhin die Theorie seines eigenen Lehrers und zeigt auf, wieso es seiner Meinung keine Idee des Guten gibt. Gleichzeitig entwickelt er seine eigene Bestimmung des Guten und stellt diese Schritt für Schritt vor.
Ziel meiner Arbeit ist es nun, Aristoteles' Argumente gegen Platons Idee des Guten vorzustellen, zu erläutern und sie anschließend auf ihre Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Dabei soll gezeigt werden, dass seine Schlüsse, sowie auch einige Prämissen nicht die Überzeugungskraft haben, die sie auf den ersten Blick aufweisen. Es wird deutlich werden, dass Aristoteles nach seiner Kritik an der Ideenlehre, aufgrund seiner unschlüssigen Argumente, den Aspekt des Unempirischen bei des Bestimmung des Guten eventuell zu unrecht außer Acht gelassen hat.
Im Verlauf meiner Arbeit werde ich zunächst kurz erläutern, was Platon mit der Idee des Guten meint und wie Aristoteles widerrum das Gute bestimmt. Anschließend werde ich die fünf Argumente des Aristoteles gegen die Ideenlehre Schritt für Schritt rekonstruieren. Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit werde ich nicht auf Aristoteles' Einwände gegen seiner eigenen Kritik eingehen, die auf die fünf Argumente folgt.
2. Bestimmungen des Guten
2.1 Platons Idee des Guten
Platons Ideen sind nicht etwa Gedanken im menschlichen Hirn, finden sich also nicht in der Welt der Sinneswahrnehmungen wieder. Vielmehr sind es real existierende Ideen, die "außerhalb der Erfahrungswelt an einem "überhimmlischen Ort" eine Welt für sich bilden."1 Sie sind das Wesen und die Ursache der Dinge; die Wirklichkeit. Sie sind das Ziel und der Zweck, der den Dingen zugrunde liegt.
In Platons Höhlengleichnis wird beschrieben, wie Menschen in einer Höhle an eine Wand gefesselt sind, sodass sie sich nicht bewegen und nur auf eine Höhlenwand schauen können. Seit jeher haben sie nichts anderes gesehen. Licht kommt durch einen Spalt in der Höhle, dieser befindet sich jedoch hinter den gefesselten Menschen, daher können sie ihn nicht sehen. Sie sehen lediglich Schatten an der Höhlenwand, die durch die Menschen entstehen, die draußen an der Höhle vorbeilaufen. Da die Menschen in der Höhle, wie bereits erwähnt, die Welt immer nur auf diese Weise wahrgenommen haben, halten sie die Schatten für die Wirklichkeit. Und wenn draußen miteinander gesprochen wird, so halten es die Menschen in der Höhle für die Stimmen der Schatten an der Wand. Es lässt sich sagen:
im Zustand der Unwissenheit und Unbildung, "erkennt, der Mensch nur das, was ihm die Sinne zeigen, und hält das Wahrgenommene für die Realität; (...) Der Empiriker, für den die sinnliche Wahrnehmung die einzige Erkenntnisquelle ist, ist durch die Fesseln der Unwissenheit so gebunden, daß er seinen Blick nicht von den Phänomenen zu den Gründen der Phänomene wenden kann, er hält das Wahrnehmbare für das Seiende und für die einzige Realität.2
So symbolisiert die Höhle die Welt, wie sie durch die sinnliche Wahrnehmung erscheint. Die "Phänomeme"3 existieren nicht wirklich, sie sind lediglich das Abbild der Ideen, die die "Gründe(n) der Phänomene"4 darstellen. Diese Ideen widerrum sind, so Platon, das wirklich Seiende, dabei immerwährend und unveränderlich, und existierend außerhalb der Erfahrungswelt.
Die Idee des Guten lässt sich darauf aufbauend so erklären:
In der Erfahrungswelt gibt es viele gute Menschen, es herrscht also eine Vielheit. Im Bereich der Ideen widerrum ist das Gute immer nur das eine. Kurz gesagt: alles, was wir als gut denken, steht unter einer gemeinsamen Idee, nämlich der des Guten.
2.2 Aristoteles' Bestimmung des Guten
Auch Aristoteles beschäftigt sich mit dem Guten. Sein Ansatz unterscheidet sich jedoch deutlich von dem Platonischen.
Aristoteles beginnt das erste Buch der Nikomachischen Ethik mit einer Prämisse: "Jedes praktische Können und jede wissenschaftliche Untersuchung, ebenso alles Handeln und Wählen strebt nach einem Gut, wie allgemein angenommen wird."5 Aus dieser Prämisse folgt bereits der erste Teil seiner Definition des Guten, nämlich "das Ziel, zu dem alles strebt".6 Da es jedoch mehrere Ziele gibt, sucht er nach dem obersten Ziel, dem höchsten Gut, dem Endziel und bestimmt es als Eudaimonia, das Glück. Als Endziel steht es an der Spitze der Zielhierarchie und wird daher nur um seiner selbst willen erstrebt. Außerdem steht für Aristoteles fest, dass das Glück etwas mit dem Leben zu tun hat. Er untersucht bekannte Lebensformen und gerät durch Ausschlussverfahren zu dieser formalen Definition: Das Glück ist etwas spezifisch menschliches, das dem Menschen innerlich zukommt und sich in einer Tätigkeit zeigt. Außerdem ist es, wie bereits betont, reiner Selbstzweck und das Endziel allem des menschlich möglichen Handelns.
Deutlich wird hier, dass Aristoteles seine Definition des Glücks auf Empirisches stützt. Wieso das oberste Gut nicht in Unempirischem gefunden werden kann, erklärt er in Kapitel 4, wo er sich mit der Kritik an Platons Idee des Guten beschäftigt. Dies ist Thema des nächsten Kapitels dieser Arbeit.
3. Aristoteles Kritik an der Idee des Guten
Nachdem Aristoteles durch Untersuchungen der verschiedenen Lebensformen nicht eindeutig klären konnte, worin das oberste Gut inhaltlich besteht, geht er in Kapitel 4 auf die Auffassung Platons ein, dem Ansatz "des Guten als ein(em) Allgemeinbegriff"7 Schon in der Einleitung wird dabei deutlich, dass Aristoteles die Position Platons ablehnt. Er beschreibt es als "peinlich"8, dass er sich dieser Untersuchung widmen und sich gegen "Freunde von uns"9 stellen muss. Und doch sieht er es als seine Pflicht als Philosoph, die Wahrheit dem Eigenen vorzuziehen.
Im Folgenden führt Aristoteles insgesamt fünf Argumente gegen die Platonische Lehre der Ideen an. Dabei bezieht er sich vor allem spezifisch auf Platons Idee des Guten, da der Fokus seiner Arbeit schließlich auf der Bestimmung des Guten liegt und er zeigen möchte, dass die Theorie Platons nicht haltbar ist. Er hält seine Argumente kurz und knapp und knüpft dabei immer wieder an von den Platonikern aufgestellte Prämissen an. Er nimmt sie zunächst als wahr an und zeigt dann auf, welche Widersprüche sich aus ihnen ergeben. Diesen indirekten Beweis nennt man auch Reductio ad absurdum. Außerdem arbeitet er viel mit allgemein anerkannten Meinungen, sogenannten éndoxa. Wenn er sich in seiner Argumentation auf ebensolche stützt, nennt man das einen normativen Beleg.
Das erste Argument wird auch als Argument der Reihung bezeichnet. Aristoteles beginnt damit, dass er den "Begründer(n) dieser Lehre"10 zustimmt, dass alles, das in Relation zu Zeit und Raum steht, unter keiner gemeinsamen Idee stehen kann. Dazu zählen auch die Zahlen, denn bei ihnen spricht man "von »früher« und »später«"11, es gibt also nicht die Idee Zahl. Darin stimmt er mit den Platonikern überein.
Nun wird jedoch »gut« ausgesagt in der Kategorie der Substanz, der Qualität und der Relation, das An-sich aber, die Substanz, ist von Natur früher als die Relation.12
Aristoteles sagt damit, dass das Gute in verschiedenen Kategorien vorkommt, die in einer Reihenfolge stehen. Die Kategorien sind also zeitlich gereiht und das Gute, das in diesen Kategorien vorkommt, hat daher eine zeitliche Komponente und kann aufgrunddessen nicht unter einer Idee gefasst werden.
Die Argumentation in diesem Fall ist sehr durchsichtig und stringent aufgebaut. Die erste Prämisse die er nennt ist jene, die die Platoniker selbst aufgestellt haben. Im zweiten Schritt beweist er mithilfe einer allgemein anerkannte Meinung, dass das Gute unter genau diese genannte Prämisse fällt. Somit folgt, dass es "über den genannten Erscheinungsformen von gut keine gemeinsame Idee geben."13 kann. Diese dialektische Methode des Schlusses durch Widerlegung ist einleuchtend und überzeugend. In seiner Argumentation sind keine Schwachstellen zu erkennen.
Es ist anzumerken, dass sich Aristoteles in diesem Argument nicht gänzlich gegen die Ideenlehre stellt; er kritisiert lediglich die Theorie einer Idee des Guten.
Das Kategorienargument knüpft unmittelbar an das vorherige Argument an. Thema ist allerdings nicht mehr die zeitliche Reihung der Kategorien, in denen das Gute vorkommt. Vielmehr geht es jetzt um die verschiedenen Bedeutungen, in denen das Gute in den unterschiedlichen Kategorien ausgesagt wird. So hat es beispielsweise in der Kategorie der Qualität die Bedeutung der "ethischen Vorzüge(n)"14 ; in der Kategorie der Quantität steht es allerdings für das "richtige(n) Maß"15. Aus dieser Vielfalt der Bedeutungen von gut schließt Aristoteles, dass es "unmöglich etwas Übergreifend-allgemeines und nur Eines sein."16 kann. Sonst wäre es nicht möglich, es in all den verschiedenen Kategorien auszusagen, sondern nur in einer einzigen, so Aristoteles.
Dieses Argument, aufbauend auf dem vorherigen, ist etwas anders strukturiert: Aristoteles nennt eine Prämisse, die allgemein anerkannt ist, geht dann aber direkt zur Konklusion über, nämlich, dass gut, in vielen Kategorien ausgesagt, nicht nur Eines sein kann. Dieser Übergang ist allerdings nicht unbedingt schlüssig. Bedeutet es, nur weil gut vielerlei Bedeutungen hat, dass diese nicht unter einen allgemeinen gemeinsamen Idee stehen können? Eine Vielzahl von Bedeutungen in unterschiedlichen Kategorien schließt eine Gemeinsamkeit aller nicht aus. Gut könnte also verschiedenes bedeuten und trotzdem einer Idee des Guten untergeordnet sein.
Aus dem Kategorienargument entwickelt Aristoteles einen weiteren Gedanken, der sich im Wissenschaftsargument wiederfindet. Aristoteles zeigt auf, dass das Gute nicht nur in den verschiedenen Kategorien auftritt, sondern auch innerhalb einer Kategorie verschiedene Erscheinungsformen hat. So sei ein Gut"im Kriege die Feldherrnkunst, in der Krankheit die Heilkunst"17 Das Gute tritt also in verschiedenen Wissenschaften auf und kann daher nicht unter einer einzigen Idee gefasst werden, denn:
Nachdem es von den Dingen, die unter einer einzigen Idee begriffen werden, auch nur eine einzige Wissenschaft gibt, könnte es auch für alle Erscheinungsformen von »gut« nur eine einzige Wissenschaft geben.18
Dieses Argument hat eine ähnliche Schwachstelle wie das vorherige. So kann zwar nicht bestritten werden, dass es einige Wissenschaften gibt, in denen die Aussage gut vorkommt. Allerdings ist zu bezweifeln, dass die Dinge, die unter einer Idee zusammengefasst werden, auch nur in einer einzigen Wissenschaft in Erscheinung treten können. Auch hier könnte es eine übergeordnete Idee des Guten geben, die sich in allen Erscheinungsformen zeigt.
Mit dem Argument von der Hypostasierung bringt Aristoteles einen neuen Aspekt ein. Er stellt in Frage, inwiefern es Sinn macht, den Zusatz an sich einem Begriff zuzufügen. Denn dadurch würde sich die Wesensbezeichnung dessen nicht verändern. Um dies deutlich zu machen, zeigt er auf, dass zum Beispiel Mensch und Mensch an sich ein und das selbe bezeichnen, nämlich den Menschen. Dies trifft laut Aristoteles auf alle beliebigen Begriffe zu, genauso auch auf das Gute; so ist nämlich zwischen g ut und g ut an sich für ihn ebenfalls kein Unterschied zu erkennen. Dabei wichtig zu wissen, ist, dass diesem Kritikpunkt folgende Prämisse zugrunde liegt: Nämlich jede, dass mit dem Ausdruck an sich"das gleiche ausgedrückt wird wie mit der Bezeichnung "Idee"."19 Er veranschaulicht auf diese Weise also, dass es zwischen gut und der Idee des Guten keinen nachweisbaren Unterschied gibt.20
Es stellt sich in diesem Fall jedoch die Frage, ob die Sache an sich und die Idee dieser Sache in der platonischen Lehre tatsächlichen das Gleiche bezeichnen. Aristoteles führt dafür keinen Beweis an, er setzt es einfach voraus und baut sein Argument komplett auf dieser Prämisse auf. Dabei zweifelt er damit nicht nur die Idee des Guten, sondern erstmals die gesamte Ideenlehre an. Die Argumentation in diesem Fall ist nicht besonders zugänglich, da jegliche Beweise für seine Prämisse fehlen.
[...]
1 Bormann, Karl: Platon, Freiburg [u.a.]: Alber 1993, S. 50
2 ebd., S. 75
3 ebd.
4 ebd.
5 Aristoteles: Nikomachische Ethik, Stuttgart: Reclam 1969, S. 5
6 ebd.
7 Flashar, Hellmut: „Die Platonkritik“, in: Höffe, Otfried (Hrsg.): Aristoteles: Nikomachische Ethik, Berlin: Akademie Verlag 2010, S. 64
8 Aristoteles: Nikomachische Ethik, S. 11
9 ebd.
10 ebd.
11 ebd.
12 ebd.
13 Aristoteles: Nikomachische Ethik, S. 11
14 ebd.
15 ebd.
16 ebd.
17 Aristoteles: Nikomachische Ethik, S. 12
18 Ebd., S. 11, 12
19 Flashar: „Die Platonkritik“, S. 67
20 Aristoteles: Nikomachische Ethik, S. 12
- Citation du texte
- Annika Kramer (Auteur), 2017, Aristoteles Kritik an der Ideenlehre Platons. Eine überzeugende Kritik?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/924657
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