Diese Arbeit befasst sich mit zwei Themenschwerpunkten, wobei das Hauptaugenmerk auf der Glücksforschung liegt, auf welche noch einzugehen sein wird. Sie soll durch die Migrationsforschung, konkreter durch die Aussiedlerforschung, spezifiziert werden. Das besondere Interesse gilt dabei Russlanddeutschen, die als Untersuchungseinheit dienen. Geschuldet ist dies zum einen persönlichem Interesse , andererseits aber auch der nach wie vor problematischen Situation der Aussiedler. Denn waren noch bis zu Beginn der 80er Jahre Aussiedler aus Polen die stärkste Einwandergruppe (Vgl. Koller 1997, S.768; Dietz & Roll 1998, S.18f.), so wurden sie Mitte der 80er Jahre durch russlanddeutsche Aussiedler abgelöst. Spätaussiedlern, die aus der ehemaligen SU stammen, unterstellt man oftmals Benachteiligungen und Folgen durch die deutsche Volkszugehörigkeit (Vgl. Sauer 2005, S.114; Dietz & Roll 1998, S.18). Gleichzeitig waren bereits Ende der 80er Jahre zunehmend mehr Deutsche nicht mehr bereit, Aussiedler als Deutsche anzunehmen (Vgl. Roll 2003, S.31).
So könnte die Diskussion um Aussiedler kontroverser kaum sein. Zum einen unterstellt man ihnen bessere Integrationschancen gegenüber anderen Migranten aufgrund ihres Aussiedlerstatus , andererseits sind aber besonders Aussiedler verstärkt von Arbeitslosigkeit betroffen. Aussiedler von heute haben ähnliche Probleme wie andere Einwanderer und doch wird gerade von ihnen eine verstärkte Integration gefordert (Vgl. Retterath 2006). Die Auflistung der Ursachen für die Abwehrhaltung seitens der deutschen Bevölkerung ist nicht Ziel der Arbeit – aber den Weg zu einer Integration erschwert sie allemal. „Aber sind diese ‚fremden Deutschen’ mittlerweile zu fremd, um in Deutschland erfolgreich oder ‚sozial unauffällig’ integriert zu werden?“ (Brommler 2006: 109).
Seit Beginn der 90er Jahre gibt es grundsätzliche Veränderungen: Angefangen über den stetigen Rückgang der Aussiedlerzahlen , wurde die Gruppe der polnischen Aussiedler durch russlanddeutsche Aussiedler zunehmend abgelöst (Vgl. Dietz 1996, S.12; Bade 1992, S.406). Von den 59.093 Aussiedler, die 2004 nach Deutschland einwanderten, stammten 99% aus den Teilrepubliken der ehemaligen SU (Vgl. InfoDienst Deutsche Aussiedler, Nr.118).
Inhaltsverzeichnis
0.Einleitung
I. Einführung in die Glücksforschung
1. Emotionen in der Psychologie und Soziologie
1.1 Definition und Bestandteile von Emotionen
1.2 Aktualität von Glück – Antike bis heute
2. Glück in der Sozialindikatorenforschung – ein Überblick
2.1 Objektivisten versus Subjektivisten
2.2 Maslows Bedürfnishierarchie
3. Glück, (Lebens-) Zufriedenheit und subjektives Wohlbefinden
4. Übersicht über die theoretische Ansätze zur Analyse des subjektiven Wohlbefindens (SWB)
4.1 Ansätze zur Systematik der Begriffe (Mayring) und Theorien (Becker)
4.2 Bottom-up / Top-down (state / trait
4.3 Culture Theory( Diener & Lucas)
4.4 Die Livability Theorie (Veenhoven)
4.5 Soziale Vergleichstheorie (Festinger)
5. Determinanten auf das Glück
5.1 Einkommen und Arbeitslosigkeit
5.2 Gesundheit
5.3 Soziale Beziehungen
5.4 Weitere Einflussfaktoren
6. Schlussfolgerungen
II. Einführung in die Migrationsforschung
7. Untersuchungseinheit russlanddeutsche Aussiedler
7.1 Russlanddeutsche (Spät-) Aussiedler – Begriffe und gesetzliche Abgrenzung
7.2 Kurzer Exkurs : Geschichte der russlanddeutschen Aussiedler
8. Aussiedlerforschung
9. Glück und Migration
10.Schlussfolgerungen
11.Einstieg in Methoden: Sekundärdatenanalyse
III. Datenanalyse und Auswertung anhand des European Social Survey (ESS)
12. European Social Survey (ESS)
13. Das Forschungsdesign
13.1 Operationalisierung der Begriffe
13.2 Messung der Variablen und Gütekriterien
14. Das Auswahlverfahren und Stichprobenziehung
15. Datenanalyse
15.1 Übersicht über die Stichprobe des ESS 2006 /07
15.2 Überprüfung der Hypothesen
15.3 Vergleich der Stichprobe des ESS 2002 /03
16. Auswertung und Diskussion
IV. Schlussbetrachtungen und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang A
Anhang B
Anhang C
0. Einleitung
Diese Arbeit befasst sich mit zwei Themenschwerpunkten, wobei das Hauptaugenmerk auf der Glücksforschung liegt, auf welche noch einzugehen sein wird. Sie soll durch die Migrationsforschung, konkreter durch die Aussiedlerforschung, spezifiziert werden. Das besondere Interesse gilt dabei Russlanddeutschen, die als Untersuchungseinheit dienen. Geschuldet ist dies zum einen persönlichem Interesse[1], andererseits aber auch der nach wie vor problematischen Situation der Aussiedler. Denn waren noch bis zu Beginn der 80er Jahre Aussiedler aus Polen die stärkste Einwandergruppe (Vgl. Koller 1997, S.768; Dietz & Roll 1998, S.18f.), so wurden sie Mitte der 80er Jahre durch russlanddeutsche Aussiedler abgelöst.[2] Spätaussiedlern, die aus der ehemaligen SU stammen, unterstellt man oftmals Benachteiligungen und Folgen durch die deutsche Volkszugehörigkeit (Vgl. Sauer 2005, S.114; Dietz & Roll 1998, S.18). Gleichzeitig waren bereits Ende der 80er Jahre zunehmend mehr Deutsche nicht mehr bereit, Aussiedler als Deutsche anzunehmen (Vgl. Roll 2003, S.31).
So könnte die Diskussion um Aussiedler kontroverser kaum sein. Zum einen unterstellt man ihnen bessere Integrationschancen gegenüber anderen Migranten aufgrund ihres Aussiedlerstatus[3], andererseits sind aber besonders Aussiedler verstärkt von Arbeitslosigkeit betroffen. Aussiedler von heute haben ähnliche Probleme wie andere Einwanderer und doch wird gerade von ihnen eine verstärkte Integration gefordert (Vgl. Retterath 2006). Die Auflistung der Ursachen für die Abwehrhaltung seitens der deutschen Bevölkerung ist nicht Ziel der Arbeit – aber den Weg zu einer Integration erschwert sie allemal. „Aber sind diese ‚fremden Deutschen’ mittlerweile zu fremd, um in Deutschland erfolgreich oder ‚sozial unauffällig’ integriert zu werden?“ (Brommler 2006: 109).
Seit Beginn der 90er Jahre gibt es grundsätzliche Veränderungen: Angefangen über den stetigen Rückgang der Aussiedlerzahlen[4], wurde die Gruppe der polnischen Aussiedler durch russlanddeutsche Aussiedler zunehmend abgelöst (Vgl. Dietz 1996, S.12; Bade 1992, S.406). Von den 59.093 Aussiedler, die 2004 nach Deutschland einwanderten, stammten 99% aus den Teilrepubliken der ehemaligen SU (Vgl. InfoDienst Deutsche Aussiedler, Nr.118). Da die Einreisenden von heute meist Verwandte der Russlanddeutschen sind, geht damit eine weitere Veränderung im Verhältnis zwischen deutschstämmigen Migranten und nicht-deutschstämmigen Angehörigen einher.[5] Dafür verantwortlich scheinen in erster Linie die gesetzlichen Veränderungen zu sein, welche seitens der Bundesrepublik primär aus Furcht, diese große Zahl nicht mehr bewältigen zu können, geändert wurden (Vgl. Dietz & Roll 1998, S.17ff.). Durch die in Deutschland nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit und die fast 600.000 Aussiedler, die sozial und in den Arbeitsmarkt integriert werden müssen, kann von einer neuen Einwanderungssituation gesprochen werden (Vgl. Bade 1992, S.443). Daraus resultierten viele gesetzliche Veränderungen, wie z.B. die Verabschiedung des Aussiedleraufnahmegesetzes (AAG)[6] oder das seit 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz (ZuwG)[7], in welchem konkret die Forderung von Grundkenntnissen der deutschen Sprache - nicht nur von den Aussiedlern selbst, sondern auch von deren Ehegatten und Abkömmlingen- im Mittelpunkt steht. So „wurden – in der (Schein)-Logik des ethnischen Diskurses – die deutsche Sprachkurse zum zentralen Kriterium der nachzuweisenden Volkszugehörigkeit erhoben“[8] (Roll 2003: 29).
Es sollte deutlich geworden sein, dass die Thematik der Russlanddeutschen und ihre Integration nach wie vor äußerst aktuell sind. In diesem Kontext werden in öffentlichen Debatten und wissenschaftlichen Arbeiten allerdings primär die Probleme von Aussiedlern beleuchtet. Glück, Zufriedenheit und subjektives Wohlbefinden finden sich in dieser Diskussion kaum wieder.
Warum sollte sich nun mit dem Glück bzw. Glücksempfinden von Migranten beschäftigt werden? Die Messung des Glücksempfindens (subjektiven Wohlbefindens) erlaubt Rückschlüsse auf den Zustand einer Gesellschaft, so Möglichkeiten für eine bessere Integrationsarbeit schaffen und zugleich zu einem größeren Verständnis der Probleme von Migranten führen. Obwohl die die Vorgehensweise insgesamt untypisch erscheint, betont auch Vester (1991), wie wichtig die Untersuchung dieser positiven Emotion sei. Die Glücksforschung selbst ist insofern nicht neu, als dass in Deutschland schon seit etwa drei Jahrzehnten Glück in der Sozialindikatorenforschung Einzug gefunden hat. Allerdings, und dies zeigt sich noch in der Literaturbesprechung, gibt es wohl kaum ein anderes Gebiet, welches in der Psychologie, Soziologie, Ökonomie etc. ohne gemeinsame theoretische Fundierungen oder gemeinsam verwendete Begriffe thematisiert wird. Welche Probleme dadurch entstehen können und wie stark negativ sich dies auf den Bereich der Forschung auswirkt, wird sich im Verlauf des Beitrages noch zeigen.
Die Arbeit gliedert sich in drei Bereiche. Im ersten Teil wird die Glücksforschung näher beleuchtet. Beginnend mit der Begriffsproblematik, über die thematische Einordnung als auch die Erörterung der theoretischen Fundierungen werden davon entsprechende Hypothesen abgeleitet. Wichtiger Orientierungspunkt für diese Untersuchung ist die explorative Studie von Bălţătescu (2005), der anhand der Daten des European Social Survey (ESS) das subjektive Wohlbefinden von Migranten in Europa verglich. Er kam dabei zu zwei wesentlichen Erkenntnissen, die es für diese Untersuchung konkret auf Russlanddeutsche zu übertragen gilt: Erstens weisen Migranten ein niedrigeres SWB (subjektives Wohlbefinden) auf als die jeweilige einheimische Bevölkerung. Zweitens stellte er paradoxerweise gleichzeitig fest, dass Migranten die sozioökonomischen Bedingungen im jeweiligen Zielland signifikant höher bewerteten als die einheimische Bevölkerung. Entsprechend werden dafür die theoretischen Fundierungen, die Grundlage für die Hypothesen sind, zu erörtern sein. Als Erweiterung zu dieser explorativen Studie werden Determinanten auf das Glücksempfinden besprochen. Es gilt im zweiten Teil dann, den begrifflichen und gesetzlichen Rahmen in Bezug auf russlanddeutsche Aussiedler sowie eine angemessene Literaturerörterung vorzugeben. Dabei wird sich zeigen, dass Glück hier eine Forschungsnische im Bereich der Aussiedlerforschung darstellt. Die entsprechende methodische Umsetzung und Prüfung der Hypothesen erfolgt in einem dritten Teil dieser Arbeit durch eine Sekundärdatenanalyse des ESS.
Ziel der Arbeit soll es des Weiteren sein, eine Situationsdarstellung von Aussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion zu erreichen. Gemäß Glatzer (1992, S. 52) strebt niemand konkret eine Glückspolitik an. Allerdings sei man sich bewusst darüber, dass bessere Lebensbedingungen mit mehr Wohlbefinden verbunden sind. So lauten dann auch die zentralen Forschungsfragen:
Wie ist das subjektive Wohlbefinden russlanddeutscher Spätaussiedler beschaffen? Wie bewerten russlanddeutsche Spätaussiedler die sozioökonomischen Bedingungen in Deutschland? Wird es dabei Unterschiede zur einheimischen Bevölkerung geben innerhalb dieser Bewertungen? Welchen konkreten Einfluss haben bestimmte Determinanten auf das subjektive Wohlbefinden Russlanddeutscher?
I. Einführung in die Glücksforschung
Für den Bereich der Glücksforschung sollen zunächst die Emotionsforschung und die Bestandteile von Emotionen erläutert sowie abschließend die inhaltliche Einordnung von Glück vollzogen werden. Da Indikatoren für die Messung des subjektiven Wohlbefindens (SWB) ebenfalls eine Rolle spielen, soll ein kurzer Einblick in die Sozialindikatorenforschung gewährt werden, wobei sich noch die Bedeutsamkeit von Bedürfnissen herauskristallisieren wird. Relativ umfangreich wird sich das Kapitel zur Begriffsdefinition gestalten. Danach werden verschiedene theoretische Ansätze anhand einer Literaturerörterung vorgestellt. Ausgehend von den formulierten Forschungsfragen dieser Arbeit, werden davon die zwei Haupthypothesen abgeleitet. In einem letzten Passus werden Determinanten auf das Glücksempfinden diskutiert und Vermutungen formuliert, die konkret auf russlanddeutsche Aussiedler anzuwenden sein werden.
1. Emotionen in der Psychologie und Soziologie
In diesem Abschnitt gilt es, Aussagen über die Relevanz von Emotionen nicht nur im Bereich der Psychologie, sondern besonders im Bereich der Soziologie zu erörtern. Die Prägnanz des Emotions-Begriffs rührt an dieser Stelle daher, dass Glück eine Emotion ist, die man empfinden kann (Glücksempfinden). Glück ist wie Neid oder Ärger als Emotion zu begreifen (Vgl. Flam 2002; Vester 1991).
Emotionen spielen nun nicht nur in der Psychologie, genauer der Emotionspsychologie (Vgl. Otto et al. 2000), sondern zunehmend auch in der Soziologie eine Rolle (Vgl. Schützeichel 2006, S.7). Die Emotionspsychologie hat ihre Wurzeln in der Philosophie, die sich bereits vor mehr als 2000 Jahren mit Emotionen beschäftigt hat (Vgl. Schmidt-Atzert 1996, S.13ff.). Für das Konzept der Emotionen haben sich dabei drei Komponenten entwickelt. Der Ausdruck fand Eingang durch die Mimikbeschreibungen des Arztes Piderit, das E rleben durch die Untersuchungen von W. Wundt (1903). Diese von ihm erarbeiteten Hauptdimensionen[9] ermöglichen eine Erklärung des emotionalen Erlebens. Körperliche Veränderungen treten bei starken Emotionen auf.
In dem imposanten Werk Handbook of Emotions, welches u.a. mit Beiträgen von Psychologen wie B.P. Ackerman und Soziologen wie Theodore T. Kemper gefüllt ist, finden sich zahlreiche Aufsätze zum Thema Emotionen. Darin erörtern Averill & More (2004) explizit das Glück. Sie kritisieren ausdrücklich jene Annahme, wonach diese Art der Emotion nur im Fokus von Psychologen liege, denn „[H]appiness is among the least, rather than most, discussed of the emotions“(ebd.: 663).
Im Bereich der Soziologie beschäftigte man sich zwar schon jeher mit Emotionen innerhalb der Gesellschaft, konkret eine Soziologie der Emotionen entstand aber erst in den 80er Jahren. Damit sei auf Gerhards (1988, S.12ff.) und seine Dissertation Soziologie der Emotionen verwiesen . Zunächst setzt er sich dafür mit den drei wesentlichen Fragestellungen in der Emotionspsychologie auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass die Bilanz jener emotionspsychologischer Konzepte und Ansätze „recht dürftig“ (ebd.: 15) ausfällt. „Dies ist keine Kritik, die aus der Position des um Eigenlegitimation bemühten Soziologen gefällt wird, sondern der psychologieinterne Befund“ (ebd.: 15). Des Weiteren verweist Gerhards (1988) darauf, dass Emotionen in den letzten 15 Jahren immer mehr thematisiert worden sind – „das Äußern und Ausleben von eigenen Gefühlen wurde und wird kulturell erleichtert (…). Der Rückgriff auf Gefühle als Legitimationsbasis und als Ressource der eigenen Identitätspolitik ist möglich geworden und wird praktiziert“ (ebd.: 17f.). Das verweist aber auch vielmehr auf die Notwendigkeit einer theoretischen Basis. Gerhards geht dafür auf die Klassiker der Soziologie ein, um sich dann mit der emotionalen Konstruktion sozialer Wirklichkeit und den Entstehungsbedingungen von Emotionen zu beschäftigen, die sowohl auf einer sozialstrukturellen wie auch kulturellen Ebene geklärt werden. Konkret nun die Emotionssoziologie bzw. ihre Entwicklung systematischer Versuche betreffend, kann nach Gerhards (1988, S. 53ff.) auf die 70er Jahre datiert werden. Grundlage sind hierbei besonders die Arbeiten von D. Kemper. In den 80er Jahren kann dann nach Ansicht des Autors von einer Institutionalisierung gesprochen werden.
Kemper (2004, S. 45) beschreibt das soziologische Interesse an Emotionen als vielfältig,
„spanning such topics as the emotional foundation of social solidarity in groups, whether large or small; the determination of emotions by outcomes of social interaction; the normative regulation of emotional expression and the management of emotional deviance; (…); the linkage of emotion to socially derived conceptions of identity and the self; the variation in emotional experience according to categories of social organization such as social class, occupation, gender, race / ethnicity, and the like; and emotions in large – scale societal processes of stability and change“ (ebd.: 45).
Daneben sei noch auf das für diesen Bereich grundlegende Standardwerk von Vester (1991) verwiesen. Darin findet sich ein einführender Überblick über die Emotionen und ihre Nützlichkeit für die Forschung in der Soziologie als auch ihre Relevanz für verschiedene Theoriebereiche. Und auch Vester kritisiert, dass bis dato innerhalb der Soziologie Emotionen keine Rolle gespielt haben, obwohl sie dort auftauchen „wo es um Krankheit und Gesundheit, Unwohlsein und Wohlbefinden, Belastung und Entspannung geht (…)“ (Vester 1991: 18, Hervorh. im Orig.). Dabei bezeichnet Vester zu Recht die Kategorie Freude als „einen blinden Fleck“ in den Human – und Sozialwissenschaften. Flam (2002) beschäftigt sich in ihrer Abhandlung ebenfalls zunächst mit den Klassikern der Soziologie und ihrer Bedeutung für Emotionen. Anschließend stellt Flam (2002) neuere Forschungsansätze in diesem Bereich vor und geht auf den Einfluss von Emotionen in konkreten Bereichen ein, wie beispielsweise am Arbeitsplatz.
Daneben spricht Schützeichel (2006) von emotionaler Vergesellschaftung und betont dabei insbesondere, dass mit dieser Konstruktion nicht der Ersatz von Rationalität durch Emotionalität gemeint ist.
Auch in der amerikanischen Forschung wird die Bedeutung einer Soziologie der Emotionen hervorgehoben. Stets & Turner (2006) und ihr imposantes Werk Handbook of the Sociology of Emotions betont u.a. die Notwendigkeit der Soziologie, sich mit Emotionen auseinanderzusetzen sowie nicht länger den einfachen Weg der der black box zu bestreiten.
Diese Ausführungen beweisen, dass Emotionen nicht mehr nur in der Psychologie, sondern verstärkt in der Soziologie in den Vordergrund treten und Forschungsgegenstand sind. An Vester (1991) orientiert, sollten dann aber besonders positive Emotionen vermehrt Aufmerksamkeit erhalten.
1.1 Definition und Bestandteile von Emotionen
Um nun konkret den Glücksbegriff besser im Kontext der Emotionsforschung einordnen zu können, erfolgt ein kurzer Überblick über die Einteilung von Emotionen.
Mees (2006, S.106) definiert Emotion über den Oberbegriff Gefühle, die in affektive sowie nicht-affektive Gefühle differenziert werden.[10] Nicht-affektive Gefühle bestehen erstens aus einer dispositionalen Komponente (z.B. Charaktereigenschaften wie Pflichtgefühl) und zweitens aus einer aktuellen Komponente (z.B. Unsicherheiten auf unbegründbarer Wissensbasis). Affektive Gefühle bestehen ebenfalls aus einer dispositionalen Komponente (z.B. temperamentgeladene Persönlichkeitseigenschaften wie Jähzorn). Aktuell affektive Gefühlszustände werden untergliedert in Emotionen bzw. Empfindungen, Stimmungen und Körpergefühle. Diese Herleitung und ihre Prägnanz für die weitere Analyse bestätigt sich dann noch in Abschnitt 4.2 und der Unterscheidung zwischen einer dispositionalen affektiven Persönlichkeitseigenschaft (Ängstlichkeit) und einem aktuellen affektiven Gefühlszustand (Angst).
Während nun bei Mees (2006) Gefühle den Oberbegriff und Emotionen nur einen Bestandteil bilden, differenziert Schmidt-Atzert (1996, S. 18ff.) im Hinblick auf Emotionen zwischen zwei anderen Bedeutungen: Zum einen ist dann konkret das Erleben (oder besser Gefühl) gemeint, zum anderen umfasst die zweite Bedeutung neben dem Gefühl noch den körperlichen Zustand sowie den Ausdruck. Emotionen werden als Zustände betrachtet, d.h. sie beziehen keine Annahme über eine Ursache ein. Der emotionale Zustand setzt sich aus drei Komponenten zusammen: dem Gefühl (emotionales Erleben), den körperlichen Veränderungen und den von außen wahrgenommenen Veränderungen (der Mimik). Da die Beziehungen dieser Komponenten untereinander schwach sind, müssen nicht immer alle drei gemeinsam auftreten.
Für die Definitionsfindung hat sich besonders die Arbeit von Kleinginna & Kleinginna (1981) herauskristallisiert. Die Autoren haben in ihrer Untersuchung verschiedene Emotionsdefinitionen (insgesamt 92) zusammengetragen und verglichen und gelangten so zu zehn Hauptgehalten, welche in Kombinationen oder einzeln auftreten. Dieses dabei entwickelte Komponentenmodell hat sich als Definitionsmodus bzw. Minimalkonsens durchgesetzt (Vgl. Schützeichel 2006).
„Emotion is a complex set of interactions among subjective and objective factors, mediated by neural/hormonal systems, which can (a) give rise to affective experiences such as feelings of arousal, pleasure/displeasure; (b) generate cognitive processes such as emotionally relevant perceptual effects, appraisals, labeling processes; (c) activate widespread physiological adjustments to the arousing conditions; and (d) lead to behavior that is often, but not always, expressive, goal directed, and adaptive” (Kleinginna & Kleinginna 1981: 355).
Bei der kognitiven Komponente werden verschiedene Bereiche, wie der Bewertungsprozess eingeschlossen. Auch Mees (2006) betont, dass besonders der Mensch durch diese kognitiven Fähigkeiten für emotionales Fühlen geschaffen sei. Die physiologische Komponente umfasst körperlich-biologische Prozesse, während die behavioral-expressive Komponente non-verbale Haltungen wie Gestik oder Mimik umschließt. Bei der subjektiven Komponente, die das Erleben des Einzelnen meint, zieht der Mensch entsprechend Bilanz über seinen eigenen Zustand. Dieses subjektive Erleben einer Emotion wird als äußerst zentral für Emotionen betrachtet, denn „ohne bewusstes Erleben kann gar nicht von einer Emotion gesprochen werden“ (Mees 2006: 116). Die kognitiven Bewertungsprozesse müssen nicht bewusst sein. Diese vier zentralen Komponenten lassen sich auch auf das Glückserleben übertragen.
Emotionen haben einen Beginn und ein Ende (Vgl. Schmidt – Atzert 1996, S. 31). Bezieht man dabei auch Umwelt- und Lebensbedingungen mit ein, so kann das emotionale Befinden nicht nur durch einzelne Ereignisse, sondern auch durch relativ konstante Umweltbedingungen beeinflusst werden.
Abschließend sollen noch Begriffe, die mit Emotionen zum Teil verwandt sind, von diesen abgegrenzt werden. Nach Otto et al. (2000, S.12f.) werden Emotionen von Stimmungen abgegrenzt. Stimmungen besitzen in ihrer Intensität und Objektbezogenheit eine geringere Ausprägung, ihre Dauer ist hingegen ausgeprägter (Vgl. auch Mees 2006, S. 119). Es sollte aber beachtet werden, dass Stimmungen Emotionen und damit auch die dafür vorgesehenen Urteile beeinflussen können. Und so fügt Mees (2006) berechtigter Weise an: „In guter Stimmung wird fast alles besser beurteilt als in schlechter Stimmung“ (ebd.: 120). Bezüglich des Begriffs des Affektes muss man sprachspezifisch differenzieren. Während in Deutschland der Begriff Affekt mit einer kurzfristigen sowie intensiven Emotion einhergeht, weicht die Bedeutung für den englischsprachigen Raum ab. Affekt umschreibt dann den Oberbegriff für Emotionen und ihre verwandten emotionalen Zustände.
1.2 Aktualität von Glück – Antike bis heute
Alle Menschen wollen glücklich sein.
Aristoteles (384 - 322 v. Chr.)
In diesen Abschnitt wird sich zeigen, dass die Relevanz des Glücks-Begriffes zwar eine lange Tradition besitzt, aber auch als multidisziplinärer Ansatz zu begreifen ist. Dennoch wird besonders in den Folgeabschnitten deutlich, dass Glück in der heutigen Zeit häufig immer noch als gar zu unwissenschaftlich betrachtet wird und sich kaum theoretische Grundlagen finden lassen. Haupteinwand ist, „daß Glück kein Forschungsgegenstand sein könne, weil Glücksvorstellungen und Glückserlebnisse höchst private Phänomene seien“ (Bellebaum 1994:7). Diesen Ansichten steht eine Vielzahl an Literatur zu dieser Thematik entgegen.
Insgesamt dominiert die Glücksforschung im Bereich der Psychologie (Vgl. z.B. Abele & Becker 1991; Argyle 1999; Diener 1984; Diener & Lucas 1999; Kahneman et al. 1999; Mayring 1991, 2000; Strack et al. 1991). Aber auch im Bereich der Soziologie findet sich ein großer Umfang zu dieser Thematik (Vgl. z.B. Barheier & Bellebaum 1997; Bellebaum 2002; Veenhoven 1984, 1994, 1996, 2001, 2004;). Vor allem Veenhoven, der Begründer des Journal of Happiness Studies, wird besondere Bedeutung zu teil. Bereits in seiner Dissertation machte er Glück zum Thema. Außerdem gilt er als Begründer der World Data Base of Happiness, einer Datenbank, die regelmäßig mit aktuellen Erkenntnissen aus dem Bereich der Glücksforschung angereichert wird. Für den deutschsprachigen Raum sei auf Bellebaum verwiesen, welcher Gründer und Leiter des Institutes für Glücksforschung e.V. in Vallendar ist.
Aber auch in der Ökonomie und der Politik gewinnt der Ansatz des subjektiven Wohlbefindens zunehmend an Dominanz, wobei hier eher von Wohlfahrt und Wohlstand gesprochen wird (Vgl. z.B. Diener & Suh 1999; Easterlin 1974; Schyns 2001; Frey & Stutzer 2002; Grimm 2006, Kahneman & Krueger 2006) sowie auch als Instrument des europäischen Vergleichs (Vgl. z.B. Diener 2000; Weller 1996).
Glück weist eine zunehmende Tendenz zur öffentlichen Thematisierung auf (Vgl. Braun 2002, S. 43). Gerhards (1988) war die Bedeutung des emotionalen Sektors bereits vor 20 Jahren bewusst, heute ist ein Überblick über die unzähligen Ratgeber[11] kaum noch möglich. Gleichzeitig häufen sich die journalistischen Veröffentlichungen zu der Thematik.[12]
Glück spielt und spielte nun besonders in der Philosophie (Vgl. Bellebaum 1992, 1994; Forschner 1996; Tartarkiewicz 1984) eine zentrale Rolle. Bereits die Philosophen in der Antike beschäftigten sich mit Glück und den Bedürfnissen der Menschen. In der abendländischen Philosophie wird Glück nicht mehr als Zufall oder Schicksalsfrage angesehen (Vgl. Mayring 1991, S.19ff.; Becker 1991, S.17ff.). Demokrit, als Vorsokratiker, vollführte eine Kehrtwendung der Schicksalsfrage, indem Glück nun nicht mehr als Geschenk der Götter betrachtet wurde und man zu seiner Glückseligkeit selbst beitragen konnte. Für die platonische Philosophie stand dabei das tugendhafte, gute Leben im Mittelpunkt. Während für Platon damit das wahre Glück erst nach dem Tod erreichbar gewesen ist, stand für Aristoteles das Tätigsein im Mittelpunkt. Nicht nur Auserwählte konnten so zu Glück gelangen. Diese Ansicht von Aristoteles war wegweisend für die griechische Philosophie der Antike. Glück bedeutete für ihn das Ende alles menschlichen Tuns. Dem schließt sich Epikur an, der „eine Vernunft begründete Daseinsfreude“ predigte, während die Stoiker unter Glück den „tugendhaften Gang des Lebens in Übereinstimmung mit sich selbst und mit der Natur“ verstanden. In der Philosophie der Neuzeit bezog man erneut Konzepte und Ansichten der antiken griechischen Glücksphilosophie mit ein. In der Aufklärung wird der Begriff durch John Locke neu beschrieben, welcher „Glück als Maximum von Vergnügen, Lust und Angenehmem“ (Mayring 1991:21) definiert. Menschen handeln dementsprechend so, um jenes Glück, welches Vergnügen verursacht, zu bekommen. Dann sei auf Jeremy Bentham’s Greatest Happiness Principle verwiesen , wonach das größte zu erzielende Gut das ist, welches das größtmögliche Glück für eine größtmögliche Zahl verspricht. Der klassische Utilitarismus, der Glück mit Lust und Gewinn gleichgesetzt hat, verfolgte nicht die Entwicklung einer Theorie des Glücks, denn Reformen und gesellschaftskritische Einwände stellen das eigentliche Anliegen dar. Demnach galt es primär, das menschliche Zusammenleben zu regeln. Um die Handlung zu bewerten, wog man Leid und Freude ab. Das bedeutete, dass bei einer Dominanz von Leid die Handlung schlecht bzw. nicht richtig war, überwog hingegen das Glück, wurde die Handlung als gut oder richtig angesehen. Das zeugt von dem Prinzip der Nützlichkeit, denn es bewertet die Richtigkeit der Handlung. Für die schottischen Moralphilosophen ist das Glücksstreben ein unerlässliches Merkmal der menschlichen Natur (The Pursuit of Happiness) (Vgl. Büschges 1997, S.24). So gibt David Hume an, dass der Mensch als geselliges Wesen nur dann glücklich ist, wenn er sein Glück teilen kann, denn alleinig das Glück anderer bereitet einem selbst Vergnügen. Emotionen waren für Hume ein essentieller Teil der Ethik (Vgl. auch Lewis & Haviland-Jones 2004, S. 7). Adam Smith, teilweise an Hume anknüpfend, entwickelt eine Moraltheorie (Theorie der ethischen Gefühle) (Vgl. ebd., S.25ff.), in welcher Emotionen der Grundstock der menschlichen Existenz und Moral sind. Auguste Comte, als Begründer des Positivismus, gibt in seinem Werk Système de politique positive eine systematische Verwendung des Glücksbegriffes.
„Das Glück und die Würde des Menschen entstehen erstens aus einem sogenannten Dogma (…) [es] dient dazu, den Menschen über die Zwangsläufigkeiten zu instruieren, damit er sich diesen, als Macht einer äußeren Ordnung, einsichtsvoll unterordnet. Hinzu kommen muss zweites ein besonderes Gefühl, das dieser Ordnung entgegenzubringen ist. Zum Glück und zur Würde führt schließlich ein Handeln, das durch dieses Gefühl motiviert und von jenem Dogma dazu angeleitet wird, sich innerhalb der Grenzen des von Menschen Gestaltbaren zu bewegen.“ (Plé: 38).
Auch bei Karl Marx sind diverse Glücksvorstellungen teilweise erkennbar, wobei Glück bei ihm stark an Interaktionen gekoppelt ist. Der Glücksbegriff soll auf diese Art und Weise in eine Gesellschaftstheorie integriert werden (Vgl. Göbel 1997, S.115). Durkheim, so Flam (2002), hat sogar eine Theorie des Glücks entwickelt. Diese findet sich in seinem zuletzt ausdifferenzierten Typus – dem anomischen Selbstmord.
Die Glück-Thematik zieht sich damit nicht nur durch den Bereich der Philosophie, sondern auch in den bereits erwähnten Klassikern der Soziologie finden sich Ansätze. Vester (1991, S. 12f.) fügt dem kritisch hinzu, dass es den Klassikern der Soziologie wesentlich geschuldet sei, dass auch noch bis heute die nachhaltig prägende Unterscheidung zwischen Rationalem und Emotionalem besteht.
Zusammenfassend ist die Glücksthematik alles andere als neu ist, sie fasste aber in der Wissenschaft erst spät Fuß. 1973 wurde Glück zwar als Index in der Psychological Abstracts International aufgenommen und auch die Gründung der Social Indicators Research bot Anlass für zahlreiche Veröffentlichungen zu der Thematik (Vgl. Diener 1984, S. 542ff.). Damit gewinnt das Thema zwar zunehmend an Dominanz, es kann aber bis heute keiner Disziplin zugeschrieben werden und verfügt über keine grundlegende theoretische Basis.
2. Glück in der Sozialindikatorenforschung – ein Überblick
Der kurze Exkurs zur Sozialindikatorenforschung und damit zur empirischen Erfassung von Determinanten, die das Glücksempfinden beeinflussen können, ist an dieser Stelle insofern notwendig, um den Wandel zur Messung des subjektiven Wohlbefindens besser darstellen zu können (Vgl. Glatzer 1992, S. 51). Während die Anfänge dafür eher im Bereich der Psychologie liegen, wird die „wohl aufwendigste Glücksforschung (auch finanziell) heute seltsamerweise in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften betrieben“ (Mayring 1991: 31). Besonders in der Soziologie versucht man durch Repräsentativumfragen (Vgl. Andrews & Withey 1976; Campbell et al. 1976; Glatzer & Zapf 1984) über individuelles Glück Folgerungen auf den Zustand einer Gesellschaft zu machen, z.B. durch Vergleiche zwischen gesellschaftlichen Subgruppen oder verschiedenen Lebensbereichen. „Die Sozialindikatorenforschung hat die Aufgabe, die soziale Lage einer Gesellschaft durch Begriffe (Indikatoren) zu beschreiben und zu messen, die über materielle Faktoren hinausgehen“ (Mayring 1991: 32, Hervorh. im Orig.).
Für den historischen Hintergrund sei auf D. Roosevelt und seine Politik des ‚New Deals’ verwiesen. Statt liberaler Marktwirtschaft forderte man nun eine verstärkte Lenkung seitens des Staates mit dem Ziel der Erhöhung der Lebensqualität. Bei dem Übergang von der vorindustriellen zur industriellen Gesellschaft beschrieben Smith, Ricardo und Malthus „die Erhöhung der materiellen Gütermenge als eine direkt objektiv messbare Zielgröße“ (Zapf 1984: 16). Man setzte folglich die Wohlfahrt mit dem Wohlstand aller Nationen gleich. Interessant ist nun besonders, dass zu Zeiten der Industrialisierung der Begriff der Wohlfahrt eine subjektive Komponente erfuhr. Seit Ende der 60er Jahre diskutierte man die Entwicklung von sozialen Indikatoren. Diese können definiert werden als „Kennziffern, die Urteile über den Zustand und die Veränderungen wichtiger sozio-ökonomischer Problembereiche der Gesellschaft erleichtern oder erst ermöglichen“ (Schäfers 1990: 12, nach Leipert 1973). Die Analyse und Bearbeitung solcher subjektiven Indikatoren, die nach Noll (1989, S.28) aus dem Prinzip von J. Bentham und der Tradition des amerikanischen Utilitarismus resultieren, kann bei der Erforschung von Lebensqualität behilflich sein. Glück und Zufriedenheit gelten als subjektive Komponenten von Lebensqualität im Kontext gesellschaftlicher Bedingungen (Vgl. Mayring 2000, S.221). Die nun folgenden neueren Ansätze und damit einhergehenden Systeme von Sozialindikatoren beobachten und bewerten bestimmte Zieldimensionen. Damit stehen politische Zwecke im Vordergrund, um Wohlfahrtsdefizite aufzuspüren. Fragen zum subjektiven Wohlempfinden wurden 1973 erstmals in repräsentativen Stichproben in Großbritannien, Italien, Frankreich, der BRD, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Dänemark und Irland vorgelegt (Vgl. Inglehart 1989, S. 275). Ein wesentlicher Kritikpunkt besteht auch heute, denn es gibt keine fundierten theoretischen Grundlagen „über die Dimensionierung subjektiven Wohlbefindens und vor allem über die Zuordnung und mögliche Differenzierung der zentralen Glücks- und Zufriedenheitsindikatoren“ (Mayerl 2001: 1).
Diese Etablierung subjektiver Indikatoren zieht eine daraus resultierende Debatte zwischen Objektivisten und Subjektivisten nach sich (Vgl. Zapf 1984, S.19ff.), auf die nun folgend eingegangen werden soll.
2.1 Objektivisten versus Subjektivisten
Auslösendes Moment für die Debatte zwischen Subjektivisten und Objektivisten ist das Konzept der Lebensqualität. Man kam zu der Erkenntnis, dass ein zunehmender Konsum nicht automatisch glücklich macht und es folgte eine Debatte darüber, wie man Lebensqualität ermitteln soll, aus der sich zwei Positionen entwickelten. Objektivisten nennen hierfür beobachtbare Lebensverhältnissen, wie z.B. Wohnverhältnisse, Einkommen oder Gesundheit. Wichtigster theoretischer Ausgangspunkt sind Grundbedürfnisse, die das Wohlbefinden tangieren (Vgl. auch Abschnitt 2.2). Subjektivisten kritisieren hingegen, dass gleiche objektive Gegebenheiten von den Einzelnen unterschiedlich wahrgenommen werden und das SWB in den Vordergrund treten muss (Vgl. Zapf 1984, S. 20).
Glatzer & Zapf (1984, S.392) betonen die Wichtigkeit beider Komponenten. Zwar verweisen Kritiker oft auf die nur geringe Korrelation zwischen den Indikatoren des SWB und den objektiven Lebensbedingungen. Noll (1989, S. 34ff.) schlussfolgert daraus nur, dass dies die Legitimation dafür sei, das SWB als eigenständige Größe aufzufassen.
Zapf (1984, S.25) differenziert insgesamt vier Wohlfahrtspositionen, die sich in einer Kreuztabelle aus den Unterscheidungen zwischen guten und schlechten Lebensbedingungen und dem positiven und negativen SWB ergeben (Vgl. Anhang A, Abb.1). Von Wohlbefinden kann dann bei guten objektiven Lebensbedingungen und einem positiven SWB gesprochen werden. Besonders das von Zapf (1984) erarbeitete Unzufriedenheitsdilemma (Dissonanz), bei dem trotz guter objektiver Lebensbedingungen das SWB als schlecht wahrgenommen wird, wird an anderer Stelle noch einmal erläutert. Man geht aber davon aus, dass Menschen in diesem Zustand von Unzufriedenheit nicht lange leben können (Vgl. Mayerl 2001, S.3). Auch Noll (1989, S. 37) gibt zu Bedenken, dass Unzufriedenheit sowie hohe Zufriedenheit sich durch Instabilität über einen längeren Zeitraum auszeichnen. Der Autor verweist darauf, dass die Indikatoren der objektiven Lebensbedingungen eine Erklärungskraft für das SWB besitzen: „Je besser die objektiven Lebensbedingungen sind, desto eher sind die Betroffenen auch zufrieden und glücklich (ebd.: 36). Ausgehend von der Debatte und der Überlegung, die
„outputs gesellschaftlicher Prozesse zu messen und als Kriterium für die Beurteilung der gesellschaftlichen Entwicklung zu verwenden (…) ist es nur konsequent, die Bedürfnisse und das subjektive Wohlbefinden des einzelnen Individuums zum entscheidenden Maßstab zu erklären“ (Noll 1989: 28).
Es hat sich gezeigt, dass Bedürfnisse eine wichtige Rolle in diesem Bereich spielen, weshalb anschließend der Bedürfnishierarchie von Maslow ein Platz eingeräumt wird. Um diese Debatte fortzusetzen, wird kurz auf Allardt (1993) verwiesen.
2.2 Maslows Bedürfnishierarchie
Wem es nicht ein Bedürfnis geworden ist,
glücklich zu sein, der wird es niemals werden.
- Karl Gutzkow (1811 - 1878), Schriftsteller
An die Motivationstheoretiker angelehnt, ist Wohlbefinden ein Resultat der Bedürfnisbefriedigung.
Lebensqualität als Bedürfnisbefriedigung geht auf Maslow (1991) zurück, welcher zu den Begründern der Humanpsychologie zählt. Der Mensch ist zwar biologisch determiniert, nur bestimmte Möglichkeiten und Fähigkeiten sind ihm angeboren, allerdings unterscheidet er sich von nicht-menschlichen Lebewesen durch das ihm verliehene Bedürfnis nach Selbstverwirklichung.
Maslow geht davon aus, dass erstens jeder Mensch Bedürfnisse hat, die aber individuell verschieden ausgeprägt sind, und dass zweitens diese Bedürfnisse eine Hierarchie bilden. Die Annahme der Hierarchiebildung impliziert, dass die Bedürfnisse zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich wichtig sein können. Insgesamt definiert Maslow fünf Stufen in seiner Bedürfnispyramide. Die grundlegenden Bedürfnisse bzw. genauer die physiologischen Triebe bilden den Ausgangspunkt. Sie sind relativ unabhängig voneinander und von anderen Motivationen und sind die mächtigsten Bedürfnisse. Der Organismus wird bei Nicht-Befriedigung von diesen beherrscht und stellt damit auch alle anderen Bedürfnisse zurück. Damit ist der Grundstein für die Bedürfnispyramide gelegt. Es folgt das Sicherheitsbedürfnis, wozu Stabilität, Geborgenheit, Schutz, Angstfreiheit, Bedürfnis nach Struktur, Ordnung, Gesetze, Grenzen, Schutzkraft oder auch Arbeitsplatzsicherheit zählen. Diesem Sicherheitsbedürfnis schließt sich das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Liebe an. Erst wenn die beiden zuvor genannten Bedürfnisbereiche befriedigt worden sind, wird man beispielsweise liebevolle Beziehungen, Freundschaften oder auch eine generelle Kommunikation und Akzeptanz der Mitmenschen suchen. Es folgt das Bedürfnis nach Achtung. Alle Menschen wollen, dass ihre Person wertgeschätzt wird. Maslow differenziert das Bedürfnis von Achtung, indem er zum einen zwischen den Bedürfnissen nach Leistung und Vertrauen, zum anderen zwischen denen nach einem guten Ruf und Prestige, nach Status, und Würde unterscheidet. Wenn etwa das Bedürfnis nach Selbstachtung erfüllt ist, führt das zu Selbstvertrauen und zu einem Gefühl, gebraucht zu werden. Entsprechend entstehen bei Nichterfüllung dieses Bedürfnisses Gefühle der Minderwertigkeit und Schwäche. An der Spitze der Pyramide steht das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, welches selbstredend von Person zu Person variiert. Selbsterfüllung und Selbstverwirklichung sind nach Maslow also die Ziele auf die ein Mensch im Leben hinarbeitet.
Abschließend sei vermerkt, dass die Annahme des Bestehens einer Hierarchie impliziert, dass ein bis dato unbefriedigtes Bedürfnis das Handeln beeinflussen kann. Insgesamt leitet sich jene Hierarchie bei Maslow (1991) aus evolutionärer Entwicklung ab, d.h. dass sich die höheren Bedürfnisse erst später entsprechend entwickelt haben. Dieser Logik folgend haben die niedrigsten Bedürfnisse (erste Stufe) die höchste Priorität für das Überleben. Angestrebt werden sollte aber immer die höchste Stufe, denn sie verschafft mehr Glück.
Diese Thematik der Bedürfnisse griff Allardt (1993) mit der Grundannahme auf, dass Menschen bestimmte universelle Grundbedürfnisse haben. Allardt (1993, S.89) kritisierte die alleinige Fokussierung auf Ressourcen, die er als zu restriktiv wahrnahm und integrierte in sein Konzept zusätzlich die Grundbedürfnisse, die er als Having, Loving und Being betitelte. Having meint materielle Bedingungen, die notwendig für das Überleben sind (z.B. das Bedürfnis nach Nahrung, Luft, Schutz vor Krankheit). Im Rahmen der Sozialindikatorenforschung können dann ökonomische Ressourcen anhand von Indikatoren wie denen des Einkommens und Wohlstandes gemessen werden. Loving meint das Bedürfnis, mit anderen Menschen Beziehungen einzugehen und soziale Identitäten zu formen. Indikatoren für dieses Bedürfnis können die Bindung und der Kontakt in der lokalen Gemeinde sowie die Bindung zur Familie sein. Being steht für das Bedürfnis der Integration des Einzelnen in die Gesellschaft. Entsprechende Sozialindikatoren sind z.B. die politische Teilhabe und die Möglichkeiten von Freizeitaktivitäten. Erst wenn diese drei Ebenen befriedigt sind, kann man von Lebensqualität sprechen. Diesen drei Prinzipien ordnet der Autor objektive und subjektive Indikatoren zu und betont die Prägnanz beider Dimensionen. Die Nähe zu Maslow zeigt sich in der Definition von Wohlfahrt als „Sequenz von Sicherheitsbedürfnissen (Having), Zugehörigkeitsbedürfnissen (Loving) und Bedürfnissen nach Selbstverwirklichung (Being)“ (Zapf 1984: 20). Allerdings macht Allardt die höheren Bedürfnisse nicht von denen der Grundwerte abhängig.
Der Begriff des Bedürfnisses und die Bedürfnisbefriedigung werden besonders bei Veenhoven (Vgl. Abschnitt 4.4) eine weitere Rolle spielen.
3. Glück, (Lebens-) Zufriedenheit und subjektives Wohlbefinden
In diesem Abschnitt wird beabsichtigt, eine gewisse Systematik der hier zentralen Begriffe zu erreichen, um sie als theoretische Grundlage verfügbar zu machen.
Der Glücksbegriff ergibt sich u.a. aus der Debatte um Kognitionen und Emotionen, welche Vester (1991, S.69) als Scheinkontroverse beschreibt. Schwartz (1986) kreierte hierfür den Begriff der cogmotion. Es gibt nun zahlreiche Glücksdefinitionen, wobei besonderes Gewicht in ihren Ausführungen Mayring und Veenhoven erhalten.
„Glück wird als allgemeines Wohlbefinden (z.B. Argyle, 1987), als Lebensqualität (z.B. Shin & Johnson, 1978), als Freude (z.B. Hoffmann, 1984), als positive Lebensumstände (z.B. v. Zerssen & Hecht, 1987), als positive Stimmung (z.B.Cameron, 1975), als Zufriedenheit (z.B. Thomson, 1943)“ (Mayring 1991: 69).
Mayring (1991) kritisiert dabei auch die Sozialwissenschaft, die mit einem „diffusen, unreflektierten Glücksbegriff arbeitet“ (ebd.: 9; Becker 1991, S. 13). Tartarkiewicz (1984) seinerseits bemängelt ebenfalls die Vieldeutigkeit des Glücksbegriffs und gibt an, dass es sich bei dem Glücksbegriff um eine doppelt subjektive-objektive Natur handelt: Beschreibt man den Glücksbegriff auf subjektiver Grundlage, muss er auch immer objektiv begründet sein.
“The word 'happiness' has different meanings and these meanings are often mixed up, which gives the concept a reputation for being elusive. Yet, a 'confusion of tongues’ about a word does not mean that no substantive meaning can be defined” (Veenhoven 2004: 3).
Nach Mayring (1991) geht die Definition von Glück über Freuden hinaus.
„Er [der Glücksbegriff, C.M.] beinhaltet einerseits Erlebnisse höchster Freude, weist aber über die aktuelle Situation hinaus. Ein allgemeines Lebensgefühl, daß man immer wieder zu freudigen Erlebnissen fähig ist, sowie eine normative Komponente, die über die Ich – Bezogenheit hinausgeht, sind im Glück enthalten“ (Mayring 1991: 75).
Glück ist eine Größe emotionalen Befindens. Das Glücksempfinden findet sich dann auf zwei Ebenen: der subjektiven und objektiven (Vgl. Mayring 1991, S.9). „Glück bezeichnet damit immer ein bestimmtes Verhältnis objektiver und subjektiver Faktoren, Glück ist ein relationales Konzept“ (ebd.:9). Glück begreift Mayring (1991) dann auch als doppeldeutiges Konzept, zum einen als state-Komponente (als umfassendes emotionales Glückserleben sowie als trait-Komponente (als entwickeltes Lebensglück).
Das Verständnis dieses Begriffes ist für Veenhoven (1984) umfassender, denn er bezieht zu Beginn ein kognitives Konstrukt in seine Überlegungen mit ein. Der Autor definiert Glück als „the degree to which an individual judges the overall quality of his life – as –a –whole favourably” ( ebd.: 22, Hervoh. im Orig.). Damit bezieht er für sein Verständnis eines allgemeinen Glücksgefühls das individuelle Glückempfinden (hedonic level of affect[13]) und die Zufriedenheit (contentment[14]) mit ein . Erst wenn beide Komponenten integriert sind, spricht Veenhoven von ‚overall happiness’ (Vgl. Anh. A, Abb. 2). Affekte können dabei Gefühle, Emotionen und Stimmungen sein, die jeweils verschiedene Dimensionen beinhalten.[15] Voraussetzung für die zweite Komponente (contentment) ist die Entwicklung von Bedürfnissen als auch deren Realisierung. Bedürfnisse spielen demnach für Veenhoven eine zentrale Rolle (Vgl. Abb.2, Anhang A). Dabei dominieren Vergleichsprozesse. Nach Erreichung der Bedürfnisse erfolgt eine Betrachtung von Vergangenheit und Zukunft, wofür ein gewisses Maß an Selbstreflexion benötigt wird. Demgegenüber kann der hedonistic tone nur schwer vom Bewusstsein getrennt werden – egal, ob man es möchte oder nicht, man erfährt immer Affekte. Außerdem kann er nicht durch verstärkte Anstrengung oder durch Herunterschrauben der Ansprüche reguliert werden.
Während das Konzept von Veenhoven umfassender und allgemeiner gedeutet werden kann, versucht Mayring hingegen sich konkret mit dem Glücksbegriff als solchen auseinanderzusetzen. Insgesamt zeigen die unterschiedlichen Auffassungen, dass die Begriffe von Glück und Zufriedenheit eng gekoppelt sind. Tartarkiewicz (1984) beispielsweise versteht Glück als eine Art von Zufriedenheit.
„Die Zufriedenheit ist sein genus – aber es muß noch seine differentia specifica hinzugefügt werden; eine Definition des Glücks einfach als Zufriedenheit wäre zu weit gefaßt. Wenn jedes Glück Zufriedenheit ist, so ist doch nicht jede Zufriedenheit auch Glück“ (ebd.:21).
Tartarkiewicz (1984) grenzt Glück und Zufriedenheit in vier wesentlichen Aspekten voneinander ab. Zufriedenheit mit „dem Leben in seiner Ganzheit “ stellt erstens eine Voraussetzung für das Glück dar. Zweitens kann Zufriedenheit nur dann Glück bedeuten, wenn es sich um „volle Zufriedenheit“ handelt. Drittens ist zuletzt genannter Faktor nicht allein entscheidend für das Glück, sonst wäre jeder Mensch auf der Erde glücklich. Der Aspekt der Dauerhaftigkeit muss hinzugefügt werden. Dieses ideelle Glück ist kaum erreichbar, weshalb vom realen Glück gesprochen werden muss. Das reale Glück entspricht der gegebenen Definition, allerdings erhalten die drei genannten Komponenten eine andere Interpretation und werden entsprechend approximativ verstanden. Jeder Mensch ist demnach glücklich, wenn er sich diesem Ideal nähert.
Nach Glatzer & Zapf (1984) besteht der Hauptunterschied zwischen beiden Begriffen darin, dass Glück ein affektiver und Zufriedenheit ein kognitiver Indikator ist.
An diese beiden Begriffe gekoppelt ist der Begriff der Lebenszufriedenheit. Mit der Zufriedenheit des eigenen Lebens bewertet man die persönlichen Lebensumstände. Häufig fällt es schwer, Begriffe wie Glück, subjektives Wohlbefinden und Lebensqualität zu differenzieren. Ökonome scheinen es sich da einfacher zu machen und verweisen darauf, dass die Begriffe Glück, Zufriedenheit und Lebenszufriedenheit eine so hohe positive Korrelation aufweisen, dass sie synonym verwendet werden können (Vgl. Frey & Stutzer 2000, nach Grimm 2006, S. 4)
Daneben findet sich in der Literatur, besonders in der englischsprachigen, oft der Begriff des subjektiven Wohlbefindens. Drei Merkmale können bezüglich des SWB bestimmt werden. Erstens geht es um die Erfahrung des Individuums (Vgl. Campbell 1976). Zweites betrifft es positive Messungen. Drittens beinhalten die Messungen zum SWB eine globale Einschätzung aller Aspekte des Lebens einer Person (Vgl. Diener 1984). Diesem Verständnis von Diener (1984) folgt auch Zapf (1984), denn er versteht unter subjektivem Wohlempfinden „die von den Betroffenen selbst abgegebenen Einschätzungen über spezifische Lebensbedingungen und über das Leben im allgemeinen“ (ebd.:23). Jedoch ist das Verständnis von Zapf (1984) umfassender, da auch negative Komponenten wie Angst und Sorgen erfasst werden. Diesem Verständnis folgend zeigt sich, dass das SWB häufig als Oberbegriff für die zuvor analysierten Begriffe (Glück und Lebenszufriedenheit) Verwendung findet (Vgl. Glatzer 1984, S. 177; Winkler 2004, S.60). Glatzer (1992, S.51) spezifiziert das Konstrukt des SWB weiter und spricht von einer engeren und weiteren Bedeutung. Erstere meint dabei das emotionale Befinden, d.h. das Individuum ist in der Lage, sich glücklich, ängstlich etc. zu fühlen. Die zweite Bedeutung bezieht sich auf die Bewertung von konkreten Umständen im Leben (z.B. Einkommenszufriedenheit). Diese beiden Bedeutungen stellen unterschiedliche Dimensionen des SWB dar. Glatzer (1992) unterscheidet nun aber noch zwei weitere Dimensionen und begreift das SWB als Oberbegriff für Glück und Zufriedenheit, indem er von affektiven und kognitiven Wohlbefinden spricht. Diener (2000) begreift das subjektive Wohlbefinden ebenfalls als Zusammenschluss einer affektiven sowie kognitiven Bewertung des eigenen Lebens und macht dabei insgesamt vier Bereiche aus: die Lebenszufriedenheit, die bereichsspezifische Zufriedenheit, angenehme Emotionen, welche oft und unangenehme Emotionen, welche selten vorkommen.
Mayring (1991) kommt zu der Erkenntnis, dass mit „Kognition, Emotion, Zufriedenheit und Glück (scheint) in der Literatur willkürlich umgegangen zu werden [scheint], ohne einer Erklärung auf der Spur zu sein“ (ebd.: 7). Diese Erkenntnis veranlasst ihn u.a. zur Entwicklung des Vier – Faktorenansatz, welcher noch vorzustellen ist.
4. Übersicht über die theoretischen Ansätze zur Analyse des subjektiven Wohlbefindens (SWB)
Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit einem kurzen Abriss von theoretischen Fundierungen, die die Forschung in den letzten Jahren beeinflusst hat. Die Abschnitte 4.1 und 4.2 widmen sich einer besseren Systematisierung des Forschungsbereiches. Ausgehend von den Forschungsfragen, die zu Beginn formuliert worden sind, bilden die Abschnitte 4.3 bis 4.5 den Ausgangspunkt für eine theoretische Basis und die Hypothesenformulierung.
Laut Mayerl (2001) kann nicht von einer Theorie des subjektiven Wohlbefindens gesprochen werden. Damit kann auch die theoretische Basis für die Glücksforschung als zwiespältig beschrieben werden.
Veenhoven (2006) diskutiert bereits in seiner Dissertation, dass dem Einfluss des Glücks nicht viel Gewicht entgegengebracht wird und einige Menschen glauben, „that un happiness stimulates improvement in the long run“ (Veenhoven 1984: 403, Hervorh. im Orig.). Meines Erachtens ist seine Abhandlung als besonders gut geeignet, um einen kurzen Überblick über den theoretischen Stand zu bieten. Die zentrale Frage von Veenhoven lautet dabei: Nach welchen Maßstab orientieren sich nun die Menschen und wie schätzen sie ein, wie glücklich sie sind? Dafür diskutiert er drei Theorieansätze: Set-Point Theorien, Vergleichstheorien und affektive Theorien.
Die Set-Point Theorien betrachten Bewertungen als stabile Einstellungen. Die zentrale Annahme in der Psychologie lautet, dass die Menschen für eine bestimmte Stufe des Glücks programmiert sind. „In this view happiness just happens to us“(Veenhoven 2006: 9). Über drei Jahrzehnte lang hat sich diese Theorie entwickelt und dabei haben sich fünf Ansätze entwickelt, die unter dem Begriff der Set-Point Theorien zusammengefasst werden können: „adaptation level (AL) theory, personality theory, dynamic equilibrium theory, multiple discrepancies theory and homeostatic theory” (ebd.: 5). Nachdem sich dieser Ansatz lange Zeit bewährt hat, häufen sich besonders in den letzten Jahren viele Kritiken. Easterlin (2005) beschreibt den Ansatz und seine Annahmen als nicht mehr tragbar und auch Headey (2007) gibt an, dass „[T]he central plank of the theory is that adult set-points do not change, except just temporarily in the face of major life event (ebd.:2). Auch empirisch bestätigen die Daten des SOEP nach Headey (2007), dass es größere Schwankungen in diesem Bereich gibt. Damit widerspricht er auch Cummins (2003), welcher bei Messungen zur Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 0 – 100 einen Durchschnittswert von 75 + 2,5 ermitteln konnte. Diese Beobachtung ließ ihn schlussfolgern, dass von einer Homöostase der Lebenszufriedenheit gesprochen werden kann und größere Schwankungen ausbleiben. Veenhoven (2006) fasst zusammen: „These theories imply that there is little chance of creating greater happiness for a greater number, since happiness is a stable trait rather than a variable state and as such not responsive to external conditions” (ebd.: 10). Er kritisiert, dass gemäß den Annahmen dieses Theoriezweiges Glück keine Funktion für das Leben der Menschen habe “and that being happy or unhappy is as trivial as having brown or blond hair” (ebd: 10).
Vergleichstheorien beinhalten Bewertungsprozesse, die den Vergleich der Wahrnehmung des Lebens, so wie es ist, mit Auffassungen darüber, wie das Leben sein könnte, einschließt. Vergleichstheorien bilden einen großen Anteil innerhalb möglicher Erklärungen für Zufriedenheit und Glück. In Abschnitt 4.5 wird dieser Ansatz noch explizit erörtert. Wesentliche Grundannahme dieses Ansatzes ist dann auch der Anspruch auf ein gutes Leben. Diese Ansprüche wiederum sind variabel und folgen den Wahrnehmungen der Möglichkeiten. Man spricht dann auch von sozialer Konstruktion insofern, als das die Maßstäbe, an denen man sich orientiert, Ergebnis der Sozialisation sein können. Der Einzelne adaptiert kollektive Auffassungen, weshalb dann im Umkehrschluss manche Soziologen behaupten, Glück sei eine soziale Konstruktion. „In that view, happiness is a culturally variable concept, comparable to the notion of ‘beauty’ (ebd.: 12). Was die theoretische Plausibilität dieses Konzeptes anbelangt, so spielt das Denken beim Bewerten der Lebensqualität eine grundsätzliche Rolle, aber keine Bedingung. „If thinking were the only way of assessing how we are doing one also wonders what our affect system is good for and why affective experience is so pervasive” (ebd.:13).
Als dritten Theoriebereich führt er affektive Theorien an, die Glück als einen beständigen psychischen Prozess mit der Einschätzung darüber, wie der Einzelne sich fühlt, betrachten. Glück gilt hier als Reflektion darüber, wie man sich gerade fühlt. Stimmungen dienen zum einen als Informanten, zum anderen sind Affekte ein integraler Bestandteil und stehen in enger Verbindung mit der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Als affektives Signal könnte Hunger dienen, die passende positive Stimmung dazu meint, dass das Bedürfnis gestillt worden ist. Für Veenhoven erscheint dieser Bereich am stimmigsten zu sein. Aus evolutionärer Perspektive erscheint es am sinnvollsten, davon auszugehen, dass die Evolution sich Wege und Mittel hat einfallen lassen, die entsprechend gewünschte Bedürfnisbefriedigung anzuzeigen. Rationales Denken schließt Veenhoven dabei insofern aus, als das es sich erst später entwickelt hat.
4.1 Ansätze zur Systematik der Begriffe (Mayring) und Theorien (Becker)
Der von Mayring (1991) entwickelte Vier-Faktoren-Ansatz zielt darauf ab, der begrifflichen Problematik entgegenzustehen. Grundannahme ist zum einen die Unterscheidung des SWB zwischen einer state- und einer trait-Komponente, zum anderen die Unterscheidung von vier Faktoren des SWB.
Um zu seinen Vier-Faktoren zu gelangen, geht Mayring von der Unabhängigkeit des positiven und negativen Befindens aus (Vgl. Zweifaktorenansatz Bradburn 1969). Folgende Annahmen werden gemacht: Mayring orientiert sich an der Arbeitszufriedenheitstheorie von Herzberg und geht dabei davon aus, dass jeder Mensch über Glücks – und Unglücksfaktoren verfügt. Des Weiteren wird herausgearbeitet, dass bereichsspezifische Lebensbereiche durch positive Aspekte oder Belastungen geprägt sein können. Außerdem bezieht er für unterschiedliche Befindlichkeiten zum einen die Persönlichkeitsfaktoren zusammen (Vgl. Costa & McCrae 1980), zum anderen Ergebnisse von Emmons & Diener (1985). Dabei kommt er zu der Erkenntnis, dass wenn negative Affekte abwesend sind und man von Belastungen befreit ist, ein wichtiger Wohlbefindensfaktor erfüllt ist (Vgl. Mayring 1991, S. 73f.). Das widerspricht zunächst den Ergebnissen von z.B. Bradburn (1969). “Zieht man jedoch in Betracht, daß dieser Faktor nur eine unter mehreren Wohlbefindensdimensionen darstellt und daß sich ja wohl Zusammenhänge im letzten Abschnitt ergeben haben, so wird dies verständlich und ist kein Gegensatz mehr“ (ebd.: 74). Außerdem kann anhand der Faktorenstruktur eine emotionale Dimension ausgemacht werden, die dann Affekte, Freude oder Glück umfasst, als auch eine kognitive Dimension (Zufriedenheit). Die vier Faktoren lauten:
1. ein negativer emotionaler Wohlbefindensfaktor (Freiheit von Belastung)
2. ein positiver, kurzfristiger emotionaler Wohlbefindensfaktor (positiver Affekt, Freude, Lust)
3. ein positiver, langfristiger emotionaler und kognitiver Faktor (Glück)
4. ein positiver kognitiver Wohlbefindensfaktor (Zufriedenheit)
(Mayring 1991: 74)
Der Begriff des subjektiven Wohlbefindens setzt sich dementsprechend aus vier Faktoren zusammen: der Belastungsfreiheit, den Freuden, dem Glück als auch der Zufriedenheit. Bei der Belastungsfreiheit kann zwischen einer emotionalen und kognitiven Dimension differenziert werden. Die Freuden sind stark an die emotionale Dimension gebunden. Sie sind situationsspezifisch und kurzfristig. Glück geht für Mayring über die Freuden hinaus. Die Zufriedenheit definiert sich durch das Abwägen von Zielen oder den Faktoren des Lebens. Glück und Zufriedenheit finden sich nach diesem Konzept auf zwei unterschiedlichen Ebenen wieder. Diese Einteilung soll es nach Mayring erleichtern, die Begriffproblematik zu umgehen.
In diesem Konzept erscheint mir dann die Abgrenzung des Glücks-Begriffes als auch der Zufriedenheit plausibel und für diese Untersuchung übertragbar. Für das Konstrukt des SWB wird nur die positive Dimension berücksichtigt.
Der Ansatz von Becker (1991) lehnt sich teilweise an das Prinzip von Mayring an, ist aber dabei noch differenzierter und zielt eher auf eine Einordnung der verschiedenen theoretischen Konzepte ab. Statt von state spricht Becker (1991) von aktuellem Wohlbefinden (AW)[16], statt von trait von habituellem Wohlbefinden (HW). Das HW wird nach Abele (1991, S. 298) primär in der Persönlichkeits- und Gesundheitspsychologie als auch in soziologischen Repräsentativbefragungen angewandt. Bei dem habituellen Wohlbefinden handelt es sich um „das für eine Person typische Wohlbefinden, d.h. um Urteile über aggregierte emotionale Erfahrungen“ (ebd.: 15, Hervorh. im Orig.). Es konnte nachgewiesen werden, dass dieses Konzept stabil ist (Vgl. Headey & Wearing 1989). Das HW kann unterschiedlich operationalisiert werden. Ausgehend von Bradburn (1969), fühlt man sich besonders dann wohl, wenn die positiven die negativen Gefühle überwiegen. Becker (1991) unternimmt nun eine weitere Differenzierung in das psychische und das physische (körperliche) Wohlbefinden, woraufhin vier unterschiedliche Formen benannt werden können.
1. Das aktuelle psychische Wohlbefinden, welches die positiven Gefühle wie Freude und Glück umfasst und durch eine positive Stimmung gekennzeichnet ist.
2. Das habituelle psychische Wohlbefinden, welches sich zum einen auf negative Gefühle, die aber nur äußerst selten auftreten als auch auf häufige positive Gefühle und Stimmungen bezieht.
3. Das aktuelle physische Wohlbefinden, welches durch fehlende körperliche Beschwerden gekennzeichnet und die momentane positive körperliche Empfindung gemeint ist.
4. Das habituelle Wohlbefinden meint aggregierte emotionale Erfahrungen, die sich Wochen oder Monate vor der Erhebung ergeben haben.
Davon ausgehend gibt Becker (1991) verschiedene Ansätze vor, zu denen er die bereits bestehenden theoretischen Fundierungen zuordnet.
Personenzentrierte Ansätze unterteilt er in motivationstheoretische, temperamentstheoretische und kompetenztheoretische Ansätze. Motivationstheoretiker gehen davon aus, dass das Wohlbefinden aus der Befriedigung der Bedürfnisse resultiert (Vgl. Maslow 1991). Ebenfalls in diesem Bereich nach Becker (1991) einzuordnen sind die Vergleichsniveautheorien, die Adaptationsniveautheorien und Anspruchsniveautheorien[17]. Primär basieren diese Modelle auf der Annahme, „daß der Mensch nach Homöostasis, nach einem Zustand des inneren Gleichgewichts der Energien und Emotionen strebt“ (Fliege 1997: 129; Cummins 2003). Im Bereich der temperamentstheoretischen Ansätze spielen Persönlichkeitsfaktoren die entscheidende Rolle (Vgl. z.B. Costa & McCrae 1986). Die dritte Gruppe, die kompetenztheoretischen Ansätze setzen sich weitestgehend damit auseinander, dass das Wohlbefinden als Resultat „erfolgreicher Bewältigung externer Anforderungen“ (ebd.: 26) aufgefasst wird.
Neben den personenzentrierten sei noch auf die umweltzentrierten Ansätze verwiesen, die zwischen der Wahrnehmung objektiver und subjektiver Lebensbedingungen differieren. Am dominantesten sind nach Becker dabei die sozialen Beziehungen, gefolgt von dem allgemeinen Lebensstandard und den Arbeitsbedingungen (Vgl. Glatzer & Zapf 1984).
Besonderer Fokus innerhalb dieser Magisterarbeit liegt gemäß der Einteilung von Becker (1991) dann auf den umweltzentrierten Ansätzen.
Zuletzt muss in Abschnitt 4.2 der Aspekt der Kausalität angesprochen werden. Die Debatte, die dazu geführt hat, prägt die Glücksforschung bis heute.
4.2 Bottom-up / Top-down (state/ trait)
Glück ist kein Geschenk der Götter –
es ist die Frucht einer inneren Einstellung. –
Erich Fromm (1900 - 1980), Psychoanalytiker
Es gibt kein unbedingtes und ungetrübtes Glück,
das länger als fünf Minuten dauert. –
Theodor Fontane (1819 - 1898)
Die Bottom-up/ Top-down Kontroverse bezeichnet zunächst eine komplementäre Herangehensweise an ein bestimmtes Problem, also zwei grundsätzliche Vorgehen, die immer in irgendeiner Form Vor- und Nachteile aufweisen. Dieses Modell findet sich überall - ob in der Politik, in der Managementtheorie innerhalb der BWL oder in der kognitiven Psychologie. Konkret auf den Bereich der Glücksforschung übertragen, betrachten Top-down Ansätze Glück global als eine Persönlichkeitseigenschaft, während für Vertreter des Bottom-up Ansatzes Glück aus der Zufriedenheit mit verschiedenen Lebensbereichen resultiert. Nach Saris (2001) ist ursprünglich von einem natürlichen Bottom – up Prinzip ausgegangen worden, welches „explaines by a linear combination of domain specific satisfaction (DS) variables, such as satisfaction with income, housing, or social contacts“ (ebd.: 137). Diener (1984) stellte diese Richtung der Kausalität in Frage und sprach den Persönlichkeitseigenschaften mehr Einfluss zu als den Lebensbedingungen. Auch Headey et al (1991) kritisieren dieses bis dato intuitiv angenommene Bottom-up Modell und verweisen darauf, dass Faktoren wie soziale Unterstützung nicht Ursache, sondern auch Ergebnisse sein können. Die Autoren untersuchen dazu sechs Bereiche, die nachweislich eine Korrelation mit dem SWB eingehen (Heirat, Freizeit, Arbeit, materieller Lebensstandard, Freundschaft, Gesundheit) (Vgl. Andrews & Withey 1967; Campbell et al. 1976).
Auf Seiten der Bottom-up Ansätze geben einige Philosophen an, dass Glück die Summe kleinerer Befriedigungen sei, so dass bei der Bewertung des Lebens als glücklich die Akkumulation der glücklichen Momente betrachtet und bewertet wird. Bei den Top-down Ansätzen werden hingegen bestimmte Gefühlszustände aus dem biografisch verankerten Lebensgefühl abgeleitet (Vgl. Mayring 2000, S. 224). Man geht davon aus, dass es eine allgemeine Neigung gibt, Dinge in einem positiven Weg wahrzunehmen. Dadurch ist auch direkt die Interaktionen des Individuums betroffen, d.h. ein Individuum genießt die Annehmlichkeiten, weil es glücklich ist und nicht unglücklich. Besonders die Persönlichkeit spielt hier eine Rolle und wie der Mensch auf bestimmte Ereignisse reagiert. „Although both formulations may be partly true, the challenge is to uncover how top-down or internal factors and bottom-up molecular events interact“(Diener 1984: 565).
Insgesamt lautet die Forderung, beide Ansätze miteinander zu verbinden. Da Menschen auf Ereignisse subjektiv reagieren und diese auch unterschiedlich wahrnehmen, müssen Top-down Prozesse involviert werden. Umgekehrt gibt es Ereignisse, die Individuen als angenehm empfinden, wobei das Bottom-up Prinzip anwendbar wird. Nach Diener (1984) bietet diese Gegensätzlichkeit beider Ansätze einen guten Ausgangspunkt um theoretische Alternativen zu entwickeln.
Neben dieser Debatte, welche die Kausalität der Faktoren betrifft, kann noch eine Differenzierung zweier Bewusstseinszustände das Glücksgefühl betreffend, gemacht werden (Vgl. z.B. Stones & Kozma 1986). Dies bedeutet, dass state eine konkrete Empfindung (Stimmungslage) und trait Persönlichkeitseigenschaften meint. Im Kontext von Glück bedeutet state aktuelles Glückserleben und trait Lebensglück. Die Unterscheidung des Konzeptes von „Gefühlen als Persönlichkeitseigenschaft und Gefühlen als konkreter Empfindung“ (Mayring 1991: 87) ergibt sich aus Ergebnissen von C.D. Spielberger aus der Angstforschung. Ängstlichkeit (trait) kann als Persönlichkeitszug, Angst (state) als vorübergehender Zustand betrachtet werden. Als man dieses Konzept auf weitere Emotionen übertrug, wurde zunächst kritisiert, dass die Unterscheidung relativ willkürlich getroffen worden war. Mayring (1991) setzte dem aber entgegen, dass das Konzept verfeinert wurde. Da die trait-Komponente ebenfalls eher den psychologischen Bereich anspricht, auf den an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann, liegt die Konzentration innerhalb dieser Untersuchung auf der state-Komponente. Veenhoven (1994) hält außerdem fest, dass Glück „neither a personal trait nor a cultural trait“(ebd.: 19) ist. Er führt noch weiter aus: “It is true that happiness rooted to some extent in stable individual characteristics and collective orientations, but the impact of these inner factors is limited. They modify the outcome of environmental effects rather than dominating them” (ebd.: 19).
Damit soll die Skizzierung möglicher theoretischer Ansätze zur Erklärung des SWB als abgeschlossen gelten. Bereits zu Beginn wurde auf die explorative Studie von Bălţătescu (2005) verwiesen. Anhand der Daten des ESS 2002/03 betrachtete er das SWB von Migranten innerhalb von Europa und kam dabei zu zwei Erkenntnissen, die es nachfolgend auf Russlanddeutsche Aussiedler zu übertragen gilt. Erstens konnte der Autor ermitteln, dass Migranten ein niedrigeres SWB aufweisen als die jeweilige einheimische Bevölkerung. Theoretisch begründet wird dies nachfolgend anhand der Culture Theory sowie der Livability Theorie. Beide Ansätze kennzeichnen sich zwar durch unterschiedliche Herangehensweisen, sagen aber für Migranten ein niedrigeres SWB voraus. Diese Annahme soll auf die Untersuchungseinheit der russlanddeutschen Aussiedler konkretisiert werden. Beide Theorieansätze repräsentieren die Brücke zwischen der Makro- und Mikroebene. Weiter stellte Bălţătescu (2005) fest, dass Migranten die sozioökonomischen Bedingungen im jeweiligen Zielland signifikant höher bewerteten als die einheimische Bevölkerung. Dieses paradoxe Ergebnis gilt es ebenfalls auf Russlanddeutsche zu übertragen. Wie bereits erörtert, spielen dabei Vergleichsprozesse eine wichtige Rolle. Die zu formulierenden Hypothesen befinden sich somit auf zwei Ebenen: Hypothese 1 beschäftigt sich mit dem SWB von Individuen und Hypothese 2 mit der Bewertung sozioökonomischer Bedingungen.
4.3 Culture Theory (Diener & Lucas)
Mit Einführung der Culture Theory findet der Kulturbegriff Verwendung, der als „schillernd“ (Vester 1991: 98) beschrieben werden kann: „Faßt man Kultur als ein potentiell komplexes und kompliziertes Zeichensystem auf, dann schließt diese Konzeption selbstverständlich nicht nur Symbole, sondern auch Weltanschauungen, Orientierungen und Werte ein (…)“ (ebd.: 98). Die Theorie „maintains that ethnic origin is a predictor for subjective well-being of individuals, because of the national character that influence global evaluations of people’s live” (Bălţătescu 2005: 4), was zur grundlegenden Annahme führt, dass Kultur die Gesellschaft reflektiert. Zur Realisierung müssen entsprechend auf Aggregatebene zwei Gesellschaften miteinander verglichen werden, um einen Vergleich im SWB zu erreichen, was wiederum bedeutet, dass ein Vergleich zwischen russlanddeutschen Aussiedlern und der deutschen Bevölkerung angestrebt ist. Betont werden muss, dass damit für die erste Gruppe jene Kultur gemeint ist, in der sie aufgewachsen ist (Vgl. Abschnitt 7.1). Dieser Vergleich ist dann schon insofern interessant, als das in der Literatur von einer Dichotomie ‚Rußland – Europa’ gesprochen wird (Vgl. Scherrer 2003, S. 127).
Davon abgeleitet, lautete die erste Annahme, dass ein Großteil dessen, was wir denken und fühlen, durch die Kultur, in der wir leben, determiniert ist (Vgl. Diener & Lucas 2002, S.60 ff.). Es wird dann zweitens weiter angenommen, dass diese kulturelle Komponente bei jenen russlanddeutschen Aussiedlern Einfluss ausübt, die in Deutschland leben. Drittens sind entsprechende kulturelle Differenzen auf das SWB übertragbar. Da angenommen wird, dass es kulturelle Differenzen zwischen Deutschland und den ehemaligen Ländern der UdSSR gibt, müssten sich diese im SWB widerspiegeln.[18] Gemäß den noch vorzustellenden empirischen Befunden wird viertens vermutet, dass das SWB von Russlanddeutschen niedriger ausfallen muss als das der deutschen Bevölkerung.
Dieser von Diener & Lucas beschriebene Einfluss der kulturellen Komponente wird empirisch untermauert (Vgl. Diener & Diener, M. 1995). Die Autoren wiesen nach, dass die Korrelation zwischen der Selbsteinschätzung und der Lebenszufriedenheit in individualistischen Ländern größer ist als in Kollektivländern. Begründen lässt sich das unter anderem damit, dass die Autonomie in individualistischen Ländern größeres Gewicht hat. In einer anderen Studie konnten Diener & Suh (1999) belegen, dass es zwischen den Nationen bezüglich des SWB Unterschiede gibt. Menschen in reicheren Ländern tendieren dazu, das SWB höher zu bewerten. Die Autoren vermuten, dass der Wohlstand häufig mit den Menschenrechten, der Gleichheit, der Individualität und der Erfahrung der grundlegenden biologischen Bedürfnisse korreliert. Empirisch belegt wird dies durch Daten der World values Study group (1994). Bei einem Vergleich von Lebenszufriedenheit, dem hedonistischen Gleichgewicht (angenehmen Affekte – unangenehme Affekte) und den positiven und negativen Affekten konnte ermittelt werden, dass Bulgarien, gefolgt von Russland und Weißrussland am schlechtesten durch die Bürger bewertet wurden. Dies veranlasst sie, der kulturellen Dimension mehr Gewicht einzuräumen und speziell die Aspekte von Individualität (z.B. USA) und Kollektivität näher zu betrachten. Hofstede (1991) benennt Gesellschaften als kollektivistisch, in denen das Interesse der Gruppe über dem des Einzelnen steht, in individualistischen Gesellschaften steht das Individuum entsprechend über der Gruppe. Für Hofstede (1991) sind diese Extreme von Kollektivismus und Individualismus „opposite poles of a second global dimension of national cultures, after power distance (…)“ (ebd.:51). Besonders für kollektive Länder besteht eine Priorität zur In-Group, also zu Familie und Freunden (Vgl. Diener & Suh 1999, S. 441). Es überrascht demnach nicht, dass für individualistische Länder das SWB signifikant wichtiger ist als für Kollektivländer. Gleichzeitig erklärt sich damit aber auch die nachweislich geringere Lebenszufriedenheit in Kollektivländern, denn durch die Zeit, die man mit der Familie verbringt, entgeht dem Einzelnen viel seiner persönlichen Freiheit.
Zusammenfassend formuliert führen nach Diener & Lucas kulturelle Unterschiede zu unterschiedlichen Werten des SWB. Konkret auf russlanddeutsche Aussiedler übertragen bedeutet dies, dass die Bewertungen des SWB nicht nur von individuellen Merkmalen, sondern auch von kulturellen Faktoren abhängen. Das SWB der russlanddeutschen Aussiedler müsste dann dem von Russen ähnlicher sein. Dies würde automatisch niedrigere Werte gegenüber der einheimischen deutschen Bevölkerung implizieren.
In dem Kontext sei abschließend auf eine Studie von Veenhoven (2001) verwiesen, die sich mit dem Phänomen der niedrigen Umfragewerte bezüglich des SWB der russischen Bevölkerung beschäftigt. Zentrale Frage ist dann, ob Russen tatsächlich so unglücklich sind, wie es die Umfrageforschung immer wieder ermittelt. Er kommt zu dem Entschluss, dass die kulturelle Komponente als Einflussfaktor abgelehnt werden muss, da gemäß der Annahmen Differenzen zwischen Russen und Russlanddeutschen kaum bestehen dürften. Oder anders formuliert: Russische Migranten müssten eine größere Unzufriedenheit äußern als andere Migranten. Die für ihn plausible Erklärung für die Unterschiede im SWB schreibt er den sozioökonomischen Bedingungen des Landes zu. Das niedrige SWB-Level in Russland würde sich dann durch die seit Auflösung der UdSSR einsetzenden Transformationsprozesse erklären. Er vermerkt aber auch, dass die Ergebnisse des SWB niedriger waren, als sie erwartet worden sind. Sein Fazit lautet dann, dass der Fall Russland eine gewisse Sonderrolle einnimmt und es damit im Bereich der Forschung besondere Aufmerksamkeit erhalten solle (Vgl. Veenhoven 2001, S. 127). Diese Vermutungen von Veenhoven bilden eine gute Überleitung zum nächsten theoretischen Ansatz.
[...]
[1] Das generelle Interesse manifestiert sich u.a. in meinem Russistikstudium.
[2] Laut Statistischem Bundesamt (2006, S.28) sind folgende Herkunftsländer der Spätaussiedler/ -innen für 2005 aufgelistet: 59,4% Russische Föderation, 31,5% Kasachstan, 3,7% Ukraine und 5,3% sonstige Länder.
[3] Malchow et al. (1990, S.57ff.) fassen die Leistungen für Aussiedler in zwei Kategorien: Zum einen in jene Leistungen, die allen Bundesbürgern zustehen (Renten- /Arbeitslosen- /Krankenversicherung, Sozialhilfe), zum anderen in jene Leistungen, die nur Aussiedlern zustehen.
[4] 1995: 217.898, 1997: 134.419, 1999: 104.916, 2001: 98.484, 2003: 72.885 (Vgl. InfoDienst Deutsche Aussiedler, Nr.118).
[5] 1994 hatten knapp 61% der Emigranten den Status des Spätaussiedlers und 37,3% deren Angehörige, 1995 waren es nur noch 19% Spätaussiedler, aber 65,3% Angehörige und Ehegatten.
[6] Die Aussiedleraufnahme muss im Herkunftsland statt wie bisher in Deutschland vollzogen werden.
[7] Die Kriegsfolgenschicksalsvermutung besteht dabei fort, da deren Aufhebung mit einer Beendigung der Spätaussiedlerzuwanderung gleichzusetzen wäre.
[8] Zwischen Juli 1996 und Dezember 2002 erhielten insgesamt 271.532 Ausreisewillige eine Einladung zu einem Sprachtest, von denen nur 47% bestanden (Vgl. Sauer 2005).
[9] Lust – Unlust, Erregung – Beruhigung, Spannung - Lösung
[10] Affekt meint nach Mees (2006) hier keinen „außergewöhnlichen Zustand“.
[11] z.B. Gödtel (2002) Wege zum Glück, Carnegie (2003) Freu dich des Leben!. Die Kunst, beliebt, erfolgreich und glücklich zu werden
[12] Die Zeit (17.12.2003, Nr.52) Was für ein Glück, WAZ (13.02.2007) Die Deutschen sind glücklich, Die Zeit (11.03. 2004, Nr.12) Vom Staat und vom Glück
[13] Die erste Komponente definiert sich als „the degree to which the various affects a person experiences are pleasant in character“(ebd.: 26, Hervorh. im Orig).
[14] Die zweite Komponente definiert sich als „the degree to which an individual perceives that his aspirations are being met“ (ebd.: 27, Hervorh. im Orig.
[15] aktiv – inaktiv, angenehm – unangenehm (Vgl. Veenhoven 2006, S.7).
[16] Das AW meint das momentane Erleben einer Person und umfasst in erster Linie die Stimmung.
[17] Dieser Ansatz bietet dann besonders im Diskussionsteil noch Erklärungsansätze.
[18] Die Besonderheit der ausgewählten Untersuchungseinheit zeigt sich an dieser Stelle sehr deutlich. Russlanddeutsche beziehen durch ihren Status als Volksdeutsche eine Sonderposition. In der Literatur wird oft berichtet, dass sie zwischen zwei Kulturen stehen (Vgl. Abschnitt 7.2 dieser Arbeit).
- Citation du texte
- Christiane Matthes (Auteur), 2008, Russlanddeutsche und ihr Glücksempfinden , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92457
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