Die Arbeit beschäftigt sich in erziehungswissenschaftlicher Hinsicht mit dem großen Themenfeld der Flüchtlingsbewegungen seit 2015 und den daraus resultierenden Konsequenzen, insbesondere in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland. Dabei liegt der Fokus auf dem Fach Deutsch als Zweitsprache bei minderjährigen Geflüchteten, die ohne Begleitung nach Deutschland gekommen sind.
Dabei soll zunächst ein allgemeiner Überblick über die Problematik geschaffen werden. Neben statistischen Aufstellungen werden die Lebensumstände in und die daraus resultierenden Ursachen zur Flucht aus ausgewählten Herkunftsländern beleuchtet, das Vorgehen bei bzw. unmittelbar nach der Ankunft in Deutschland skizziert sowie Perspektiven zur längerfristigen Bleibe gezeichnet.
In diesem Zusammenhang wird auf die spezifische Situation der geflüchteten Menschen in Bezug auf ihre Lebens- und Bildungssituation im Aufnahmeland Deutschland eingegangen, die sich aus der Übersiedlung in die Bundesrepublik ergeben. Zuletzt wird das Lernen und Lehren von Deutsch als Zweitsprache als zentrales Werkzeug zur Integration und unabdingbare Voraussetzung zur längerfristigen Niederlassung beleuchtet. Einer einbettenden theoretischen Skizzierung des Vermittlungsbereiches mit Bezugnahme auf die Methodik und Didaktik folgt die Dokumentation eines Praxiseinsatzes, dessen Essenz eben jenes Unterrichten in Bezug auf unbegleitete minderjährige Geflüchtete ist.
Inhalt
1 Einleitung
1.2 Persönlicher Zugang zur Thematik
2 Skizzierung der Situationslage
2.1 Allgemein
2.2 Ein tieferer Einblick
2.2.1 Statistische Aufstellung
2.2.2 Ursachen und Gründe zur Flucht: eine Situationsbeschreibung der Umstände in den ausgewählten Ländern der Arabischen Republik Syrien, Afghanistan und dem Irak
2.2.2.1 Die Arabische Republik Syrien
2.2.2.2 Afghanistan
2.2.2.3 Der Irak
2.2.2.4 Gängige Fluchtrouten
2.3 Ablauf, Umfang und Facetten des Asylverfahrens in Deutschland
2.3.1 Ankunft in der Bundesrepublik
2.3.2 Erstverteilung und Unterkunft in den Aufnahmeeinrichtungen
2.3.2.1 Der Königsteiner Schlüssel
2.3.3 Der Asylantrag
2.3.3.1 Persönliche Antragstellung auf Asyl
2.3.3.1.1 Definition Erst-, Zweit-, Folge und Mehrfachantrag
2.3.3.1.2 EURODAC und das Dublin-Verfahren
2.3.3.2 Persönliche Anhörung
2.3.3.3 Resultate des Asylverfahrens
2.3.3.3.1 Formen der Schutz- und Bleibeberechtigung
2.3.3.3.1.1 Anerkennung als Asylant
2.3.3.3.1.2 Anerkennung des Status als Flüchtling mit internationalem Schutzanspruch
2.3.3.3.1.2.1 Genfer Flüchtlingskonventionen und UNHCR
2.3.3.3.1.3 Subsidiäre Schutzberechtigung
2.3.3.3.1.4 Nationales Abschiebeverbot
2.3.3.3.1.5 Besonderheiten in der Behandlung von unbegleiteten Minderjährigen
2.3.3.3.1.6 Familienasyl- und Nachzug
2.3.3.3.1.7 Ausschlusskriterien
2.3.3.3.1.8 Widerruf und Rücknahmen
2.3.3.3.2 Ablehnungen
2.3.3.3.3 Formelle Entscheidungen des Bundesamtes
3. Zur besonderen Lebens- und Bildungssituation von Geflüchteten
3.1 Die spezifische Lebenssituation
3.1.1 Nach der Ankunft: die erste Zeit in der Bundesrepublik
3.1.1.1 Individuelles Empfinden
3.1.1.2 (Interethnisches) Konfliktpotential
3.1.1.3 Besonderheiten in der Lebenssituation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge
3.1.2 Der Integrationsprozess
3.1.3 Die Rolle der Religion
3.1.4 Gefahren und Prävention
3.2 Zur Bildungssituation
3.2.1 Bildungssituation für Erwachsene
3.2.2 Bildungssituation für Schulpflichtige
4. Deutsch als Zweitsprache/Deutsch als Fremdsprache
4.1 Begriffsbestimmung und Definition
4.2 Wie kommt die Sprache zum Menschen: Theorien zum Spracherwerb
4.3 Deutsch als Zweitsprache in der Vermittlung und Aneignung
4.3.1 Die (heterogene) Gruppe der DaZ-Lemenden
4.3.1.2 Lemvariablen im Bezug auf den Aneignungsprozess von Deutsch als Zweitsprache
4.3.1.2.1 Individuelle Lernstile und Neigungen
4.3.1.2.2 Zur Bedeutung von zuvor erworbenen sprachlichen Kenntnissen
4.3.2 Die Rolle des Lehrenden
4.3.2.1 Zweit- und Fremdsprachliche Vermittlungsmethoden
4.3.2.2 Aufgaben und Material
4.3.2.3 Diagnostik und Leistungsfeststellung: Test- und Prüfungsformate
4.3.3 Inhaltsaspekte des Vermittlungsbereiches
4.3.3.1 Phonetik/Phonologie
4.3.3.2 Grammatik
4.3.3.3 Orthographie
4.3.3.4 Lexik
4.3.4 Entwicklung der Lernersprache
4.3.5 Kontrastivität: Deutsch und Arabisch im Sprachenvergleich mit phonologisch/phonetischem Schwerpunkt
5. Falldarstellung: Situation am Stift S. - eine Praxisdokumentation mit Erfahrungen aus der Bildungs- und Lernarbeit mit geflüchteten Jugendlichen
5.1 Praxisdokumentation in Originalfassung
6. Auswertung: Reflexion, Erkenntnisse und Fazit
7. Quellenverzei chnis
7.1 Literatur
7.2 Online Quellen
1 Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem großen Themenfeld der Flüchtlingsbewegungen seit 2015 und der daraus resultierenden Konsequenzen, insbesondere in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland.
Dabei soll zunächst ein allgemeiner Überblick über die Problematik geschaffen werden. Neben statistischen Aufstellungen werden die (Lebens-)Umstände in und die daraus resultierenden Ursachen zur Flucht aus ausgewählten Herkunftsländern beleuchtet, das Vorgehen bei bzw. unmittelbar nach der Ankunft in Deutschland skizziert sowie Perspektiven zur längerfristigen Bleibe gezeichnet. In diesem Zusammenhang wird auf die spezifische Situation der geflüchteten Menschen in Bezug auf ihre Lebens- und Bildungssituation im Aufnahmeland Deutschland eingegangen, die sich aus der Übersiedlung in die Bundesrepublik ergeben.
Zuletzt wird das Lernen und Lehren von Deutsch als Zweitsprache als zentrales Werkzeug zur Integration und unabdingbare Voraussetzung zur längerfristigen Niederlassung beleuchtet. Einer einbettenden theoretischen Skizzierung des Vermittlungsbereiches mit Bezugnahme auf die Methodik und Didaktik (vgl. 4) folgt die Dokumentation eines Praxiseinsatzes, dessen Essenz ebenjenes Unterrichten in Bezug auf unbegleitete minderjährige Geflüchtete ist(vgl. 5).
1.2 Persönlicher Zugang zur Thematik
Als Bewohnerin der Bundesrepublik und insbesondere als zukünftige Lehrkraft für Grundschullehramt bin ich unmittelbar mit der Thematik konfrontiert. Einerseits kann ich die Veränderungen seit 2015 beobachten, deutlich erkennen und bin insofern involviert, als dass mir ein harmonisches und integratives Miteinander in der Gesellschaft äußerst am Herzen liegt. Zugleich macht es mich betroffen und betrübt zu wissen, aus welchen Gründen und unter welchen Umständen die Flüchtlinge unser Land erreicht haben.
Es berührt mich, welche Schicksale sie zum Teil erlebt haben müssen; die Tatsache, dass viele von ihnen, insbesondere die unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, ihre Familien, aber auch ihren Freundes- und Bekanntenkreis sowie ihr komplettes soziales Umfeld und ihr bekanntes Terrain, also ihre Heimat, verlassen mussten. Gleichzeitig schockiert und entsetzt es mich zu wissen, dass es einem großen Teil der Bevölkerung in den Herkunftsländern nicht möglich ist, das Land und damit die darin vorherrschenden Umstände, die häufig geprägt sind von Angst, Hunger, Unterdrückung, Krieg und Gewalt (vgl. 2.2.2) zu verlassen, sondern diesen meist schutzlos ausgeliefert sind.
Auf der anderen Seite sehe ich die Flüchtlingsbewegung und das damit zwangsläufig verbundene Lehren von Deutsch als Zweitsprache als eine große Aufgabe für Lehrkräfte in Bezug auf alle Altersklassen, von Kindergartenkindern bis hin zur Erwachsenenbildung. Damit kommt diesem Lehrbereich für mich als spätere Lehrerin für Kinder im Grundschulalter eine signifikante Rolle zu, die ich als solche sehen und wahmehmen und auf die ich mich bestmöglich vorbereiten und ihr gerecht werden möchte.
Einen ganz besonderen und sehr individuell-persönlichen Zugang zur Thematik bekam ich allerdings im Sommer 2016, als ich im Rahmen des Seminars „Lernen mit Flüchtlingskindern und -jugendlichen in der Schule - Entwicklung und Erprobung von Lehr-Lernsequenzen für eine durchgängige Sprachbildung von Anfang an“ aus dem Fachbereich der Erziehungswissenschaften unter der Leitung von Frau S. einen Praxiseinsatz zum Unterrichten von Deutsch als Zweitsprache bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in der „Arche“, eine Aufnahmeeinrichtung in Stift S. in S. abhalten durfte. Meine Aufgabe war es, die Unterrichtseinheiten selbstständig zu planen und durchzuführen, was ich mit großem Enthusiasmus und großer Freude umsetzte. Die praktische Umsetzung von Inhalten, von Methodik, Didaktik und Abläufen, die mir theoretisch bekannt warenjedoch in erster Linie der reale Kontakt zu den Jugendlichen machten diesen Praxiseinsatz für mich zu einem hervorragenden und einschneidenden Erlebnis, woraus sich auch mein besonderes Interesse an diesem Themenfeld ableitet.
2 Skizzierung der Situationslage
2.1 Allgemein
In den letzten Jahren, explizit seit dem Jahre 2010, ist ein konstantes Wachstum der ausländischen Bevölkerung in Deutschland zu verzeichnen, welches seit dem Jahre 2013 kontinuierlich oberhalb des bis dahin seit 1998 aufgezeichneten Höchstwertes von 7.343.591 (1999) liegt und diesen seitdemjährlich neu definiert. Besonders deutlich wird diese Zunahme bei Betrachtung der Zahlen seit 2014. Hier wurde erstmals ein Wert über 8 Millionen erreicht, der sich im darauffolgenden Jahr 2015 auf einen Wert von über 9 Millionen ausdehnte und 2016,2017 und bis Ende März 2018 sogar über die 10 Millionengrenze hinausreichte (vgl. BAMF 2018 r).
In Anbetracht dieser signifikanten Veränderungen ergibt sich die Frage, woher diese Zahlen kommen. Und beantwortet man diese Frage mit der offensichtlichen Flüchtlingsproblematik, so erschließt sich die enorme Herausforderung, die diese Thematik an die Bundesrepublik stellt. Hier sind in erster Linie Maßnahmen zur Aufnahme der flüchtenden Menschenmassen sowie zu deren Integration zu nennen, was mit einem gewaltigen bürokratischen Aufwand einhergeht und sowohl großer personeller als auch räumlicher Kapazitäten bedarf. Spezifisch sind hierbei die Bearbeitung und Auswertung der einzelnen Asylanträge, aber auch die Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten in Aufnahme- und weiterführenden bzw. dauerhaften Wohneinrichtungen in den Bundesländern sowie die Bereitstellung von Sprach- und Integrationskursen zu nennen. Die betroffenen Behörden und Institutionen befinden sich aufgrund des enormen Andrangs und der hohen Anforderungen im Krisen- und Improvisationsmodus. Viele von ihnen haben bereits ihre Grenzen erreicht oder diese sogar überschritten (vgl. BAMF 2019 a; Luft2016, S. 114f).
2.2 Ein tieferer Einblick
Bisher war immer von „Flüchtlingen“ oder „Geflüchteten“ die Rede; ausländischen Menschen, die aus einem besonderen Grund nach Deutschland kommen und den Schutz der Bundesrepublik in Anspruch nehmen möchten. Aber wer sind diese Menschen, wo genau kommen sie her, warum mussten sie flüchten und was haben sie erlebt?
Die Skizzierung von Einzelschicksalen ist unter Punkt 2, der die Allgemeinsituation abbilden soll, nicht vorgesehen. Ein persönlicher Zugang ist unter 5. zu finden.
Die folgenden Abschnitte sollenjedoch dazu beitragen, durch umfangreiche faktengestütze Situationsskizzierung mit tieferen Einblicken ein besseres Verständnis für den Flüchtlingsbegriff zu generieren.
2.2.1 Statistische Aufstellung
Laut UNHCR wandern ca. 40% aller Flüchtigen weltweit aus südlichen Regionen in Richtung Norden. Das ist in erster Linie mit einem Wohlstandsgefälle zwischen den i.d.R. wirtschaftlich stärkeren nördlichen Staaten und dem vergleichsweise ärmeren Süden zu erklären (vgl. Luft 2016, S. 11).
Eine deutliche Sprache über den Andrang nach Deutschland sprechen diejährlichen Zahlen über die Asylerstantragstellungen. Diese lagen im Jahre 2015 bei 441.899 Anträgen. Diese Zahl stieg 2016 auf 722.370 Anträge und flachte 2017 und 2018 aufjeweils 198.317 sowie 161.931 ab (vgl. BAMF 2018 e).
Dabei kamen die Hauptzugänge der Erstantragssteller/innen in diesen Jahren aus den Herkunftsländern der Arabischen Republik Syrien (158.657), Albanien (53.805), dem Kosovo (33.427), Afghanistan (31.382) und der Islamischen Republik Irak (29.784) im Jahre 2015; im Jahr 2016 aus der Arabischen Republik Syrien (266.250), Afghanistan (127.012), dem Irak (96.116), der Islamischen Republik Iran (26.426) und Eritrea (18.854) sowie im Jahr 2017 aus der Arabischen Republik Syrien (48.974), Afghanistan (21.930), dem Irak (16.423), Eritrea (10.226) und der Islamischen Republik Iran (8.608) (vgl. BAMF2018j).
Im vergangenen Jahre 2018 belegten die Spitzenplätze die Arabischen Republik Syrien (44.167), der Irak (16.333), die Islamischen Republik Iran (10.857), Nigeria (10.168) sowie die Türkei (10.160) (vgl. BAMF 2018 h). Dabei ist anzumerken, dass injeder Altersklasse ein mehr oder minder ausgeprägter Überhang männlicher Antragsteller zu verbuchen ist. Die Ausnahme bildet die Gruppe der über 65 jährigen Antragsteller/innen, hier überwiegt der weibliche Anteil (vgl. BAMF 2016 p; BAMF 2017 d; BAMF 2018f; BAMF2018k).
Eine besondere Einheit unter den Geflüchteten stellen die unbegleiteten Minderjährigen dar. Sie nehmen im Asylverfahren eine Sonderrolle ein (vgl. 2.3.3.3.1.5) und sind signifikanterBestandteil vorliegender Abhandlung (vgl. 5).
Die Gesamtanzahl der unbegleiteten minderjährigen Antragstellenden belief sich im Jahre 2015 aufinsgesamt 22.255, im Jahre 2016 auf insgesamt 35.939 und im Jahre 2017 auf insgesamt 9084. Dabei waren die drei stärksten Herkunftsländer 2015 und 2016 mit Afghanistan (jeweils 34,4% und 41,6%), die Arabische Republik Syrien (jeweils 31,1% und 28%) und dem Irak (jeweils 8,4% und 8,2%) vertreten. 2017 bekleideten diese Ränge Afghanistan mit 24,4%, Eritrea mit 17,0% und Somalia mit 13,3% (vgl. BAMF 2016 q; BAMF 2017e; BAMF 2018 1).
Zum Zeitpunkt der Produktion dieser Arbeit lag der Jahresabschluss „Das Bundesamt in Zahlen“ des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für das vergangene Jahr 2018 mit den zu diesem Thema relevanten Daten noch nicht vor.
2.2.2 Ursachen und Gründe zur Flucht: eine
Situationsbeschreibung der Umstände in den ausgewählten Ländern der Arabischen Republik Syrien, Afghanistan und dem Irak Die Gründe, die Menschen dazu veranlassen, ihre Heimat zu verlassen, sind vielfältig und meist vielschichtig gelagert. Hierbei sind „Krieg, Diskriminierung, (politische) Verfolgung, Armutund Umweltkatastrophen“ (vgl. bpb 2017 t) imjeweiligen Herkunftsland auf der einen Seite und die Verheißung besserer Lebensumstände in den Zielländem und die Hoffnung, von den dort vorherrschenden inneren Zuständen profitieren zu können, auf der anderen Seite zu nennen.
Letzteres wird durch die globale Informationselektronik und den (fast) unbegrenzten und ungehinderten Zugang zu aktuellen Quellen, in denen die Standards der westlichen Welt präsentiert werden, gespeist. Diese Abstoßungs- und Anziehungsfaktoren, auch Push- und Pullfaktoren genannt, die die Menschen letztendlich zum Verlassen ihrer angestammten Heimat und zum Versuch eines Neubeginns in einem anderen Land bewegen, verstärken sich oft gegenseitig, reichenjedoch nicht als alleiniger Antriebsfaktor aus. Ergänzend und unabdingbar müssen auch die realen Gegebenheiten zur Flucht stimmen und es muss die Möglichkeit gegeben sein, sowohl in finanzieller, informationeller und praktisch umsetzbarer Hinsicht die Reise anzutreten (vgl. Luft 2016, S. 15). Existieren diese Gelegenheitsstrukturen, kann die Flucht umgesetzt werden. Welche Wanderrouten hierfür geeignet sind, häufig gewählt werden und stark frequentiert sind, ist unter 2.2.2.4 beschrieben.
Aus den (Haupt-) Ursachen zur Flucht ergeben sich u. A. spezifische Benennungen wie „Wirtschaftsflüchtlinge“, Bürgerkriegsflüchtlinge“ oder „politisch Unterdrückte“ bzw. „Asylsuchende“ (Sieferle 2017, S. 16.). Die Ursache(n) zurFluchtberuhenjedoch fast immer auf einer in irgendeiner Weise „unbefriedigenden Lage“ (ebd.) imjeweiligen Herkunftsland. Hierauf bezogen führt Sieferle 2017 das Modell von Albert O. Hirschmann an, nachdem es die Möglichkeiten „exit und voice“ (ebd.) gibt, um auf diese zu reagieren. „Voice“ (ebd.) beschreibt den Akt der Verbalisierung der Unzufriedenheit und der Missstände, bspw. durch die Organisation in Gruppen und das Erheben der Stimme durch Proteste und Demonstrationen. Dadurch würde die „Unzufriedenheit in den (politischen) Konflikt transformiert“ (ebd.). „Exit“ (ebd.) hingegen beschreibt das Verlassen des Heimatlandes, an dessen Zuständen Unzufriedenheit besteht, um in einem anderen Staat, dessen Zustände subjektiv besser erscheinen, die besser zum Flüchtenden und seinen Zukunftsperspektiven passen oder die eine günstigere längerfristige Bleibeperspektive bieten, ein Bleiberecht zu erwirken, sich niederzulassen und eine neue Existenz aufzubauen (vgl. Sieferle 2017, S. 16).
Je nach den Zuständen und vorherrschenden Kräften in denjeweiligen Ländern ist die Strategie des „voice“ (Sieferle 2017, S. 16) nicht, nur (sehr) schwer oder/und unter Risiko für die Sicherheit der durchführenden Akteure und deren Familien anzuwenden, sodass schlussendlich nur die Strategie des „exit“ (ebd.) bleibt, sofern diese realisier- und durchführbar ist.
Laut UNHCR lebtjedoch in den Krisengebieten 42% der weltweiten armen Bevölkerung. Für diese Personengruppe ist die Flucht schon allein aus wirtschaftlich finanziellen Gründen nicht realisierbar (vgl. Luft 2016, S. 15).
Die Gründe zur Flucht aus den in vorliegender Arbeit genannten Herkunftsländern sind in der Regel drastischer Natur und bedrohen Leib, Leben und Freiheit der Flüchtenden u. A. durch (Bürger-)krieg, Diskriminierung, (politischer) Verfolgung und existenzbedrohende Armut sowie Hungersnot.
Betrachtet man die unter 2.2.1 aufgeführten Statistiken zu den Herkunftsländern, so fallen einem drei Staaten auf, die sich aufgrund ihrer Ränge sowie durch die sich wiederholende Häufigkeit derjährlichen Platzierungen signifikant hervorheben. Die Rede ist hierbei von der Arabischen Republik Syrien, Afghanistan und dem Irak.
Da die Beschreibung der Zustände in allen aufgeführten Herkunftsländern den erwünschten Umfang dieser Abhandlung weit übersteigen würde und gleichzeitig für die Essenz der Inhalte keine maßgebliche Relevanz besitzt, fokussiert sich die Arbeit im Folgenden auf die o. g. Staaten, diejedoch aufgrund ihrer Präsenz als stellvertretende Exempel stehen und einen verständnisorientierten Zugang zur Problematik bieten sollen.
2.2.2.1 Die Arabische Republik Syrien
Die Arabische Republik Syrien befindet sich seit acht Jahren, genauer seit 2011,im Kriegszustand. Gewalt, ausgehend vom syrischen Regime, dem türkischen, russischen sowie dem amerikanischen Militär, dem sich zudem Militärkräfte weiterer arabischer Staaten angeschlossen haben sowie laut der UNHCR insgesamt 160 Terror- und Rebellenmilizen (vgl. Luft 2016, S. 26) wie dem “Islamischen Staat”, der salafistischen “Ahrar al-Scham”, dem Al-Kaida-Ableger “Al-Nusra” und den “Muslimbrüdern“ ist an der Tagesordnung.
Auslöser für die Eskalationen waren friedliche Proteste, die sich aus der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit einer Vielzahl an Umständen in der Arabischen Republik ergaben und die vom syrischen Sicherheitssystem brutal unterdrückt wurden.
Die tieferen Ursachen für die Konflikte in Syrien sind denjenigen recht ähnlich, die auch in anderen nahöstlichen Ländern zu Protesten und (gewaltsamen) Auseinandersetzungen im Zuge des „Arabischen Frühlings“ geführt haben.
Hierbei ist zunächst die Rolle des Staates zu betrachten: die mächtigsten und einflussreichsten Positionen des Regimes nehmen ausschließlich Familienmitglieder des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ein. Weitere wichtige Stellungen werden durch verschiedene konfessionelle Minderheiten bekleidet, wodurch es zu Spannungen, Reibungen und Machtkämpfen kommt, deren Benennung und Diskussionjedoch durch das Regime selbst unterdrückt und tabuisiert wird. Dieser Zustand festigt die Instrumentalisierung der konfessionell unterschiedlich gelagerten Stellungsinhaber zum Zweck der Machterhaltung und -Sicherung des Assad-Familienclans.
Gleichzeitig unterhält der syrische Staat einen vielschichtigen Sicherheitsapparat, bestehend aus verschiedenen, miteinander in Konkurrenz stehenden Geheimdiensten und mafiaähnlichen Gruppierungen. Dieser Sicherheitsapparat ist für die Kontrolle der ( oft verdeckten) Spionage gegen die eigene Bevölkerung zuständig, woraus sich die Eigenschaft eines Überwachungsstaates ergibt.
Betrachtet man die wirtschaftliche und soziale Lage in der Arabischen Republik so wird deutlich, dass seit den von Präsident Baschar al-Assad angestrengten wirtschaftlichen Reformen die Distanz zwischen den ärmeren und den reicheren Bevölkerungsschichten immer weiter wuchs. Die Armut in den ländlichen Gebieten nahm zu, was, zusätzlich verstärkt von einer Dürreperiode, eine Massenflucht in die Vorstädte auslöste. Gleichzeitig wuchs der Wohlstand in den Städten, sodass eine neue Mittelschicht entstand, deren Mitglieder Hoffnungen und Wünsche eine bessere Zukunft betreffend entwickelten. Auch hier ist laut Sieferle 2017, S. 13ff ein Herd für Unzufriedenheit zu sehen: das von ihm angeführte und beschriebene Model des Soziologen James C. Davies macht deutlich, dass bei steigendem Wohlstand auch gleichzeitig die Bedürfnisse exponentiell ansteigen und irgendwann Ausmaße erreichen, die imjeweiligen aktuellen Ist-Zustand nicht mehr zu erfüllen sind.
Dieser Zustand wird durch das Vergleichen bzw. Messen mit anderen Mitgliedern des jeweiligen Bevölkerungsstandes sowie durch die Möglichkeit zur (globalen) Informationsbeschaffung anhand des Zugangs zu vielschichtigen Quellen und der damit verbundenen Möglichkeit eines noch viel weitreichenderen Vergleichens zusätzlich verstärkt.
Eine weitere Ursache zur Unzufriedenheit in der Arabischen Republik Syrien ist die stark ausgeprägte Abhängigkeit von Beziehungen und Verbindungen zu einflussreichen Personen. Diese machen sich in fast allen Facetten des täglichen Lebens, wie etwa bei Rechtsstreitigkeiten, der Erwirkung von (Bau-)Genehmigungen und bei der Suche eines Arbeitsplatzes positiv bemerkbar, erleichtern diejeweiligen Prozesse, verschaffen Vorteile und führen schneller und sicherer zum gewünschten bzw. angestrebten Ziel. Diese Vergünstigungen entfallen bei Fehlen der geeigneten Beziehungen bzw. kehren sich in Nachteile um, was frustrierte Bürger zurücklässt (vgl. Spiegel Online 2016 a; Zeit Online o.Jz. a).
2.2.2.2 Afghanistan
Die Bevölkerung in Afghanistan ist von langjährigem Leid und andauernder Gewalt geprägt, ausgehend von verschiedenen Akteuren. Bis 1998 war das Land von der Sowjetunion besetzt. Kurz nach deren Abzug versank Afghanistan im Chaos, und es entstand ein Bürgerkrieg. Genährt wurde dieser von den Handlungen s. g. „Warloards“, Milizenführer mit großem Einfluss auf die Politik und die Wirtschaft des Landes. Zu dieser Zeit gab es kein Rechtssystem und schon gar keine Instanzen, die es hätten erwirken und durchsetzen können. Somit galt das „Recht des Stärkeren“, ohne regulierende Konsequenzen.
Aus diesem Zustand entwickelte sich laut der Gründungslegende unter der Führung des Korangelehrten Mullah Omar eine zunächst kleine Gegenbewegungjunger Männer, die sich gezielt von der Gesellschaft abhoben und die es anstrebten, Gerechtigkeit und Ordnung in die Gesellschaft zu bringen. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Taliban zunächst großen Zuspruchs und wachsender Beliebtheit, auch von internationaler Seite, erfreuten.
Die Miliz expandierte schnell - Koranschüler aus Pakistan hatten bereits vom Kindesalter an die Ideologien der Taliban, die strenge Auslegung und das strikte Leben nach dem Islam verinnerlicht und waren ideale und willige Neumitglieder. Mit dem Wachstum der Taliban nahm auch ihre Macht zu, bis sie 1995 die einflussreichste Fraktion Afghanistans waren und mit der Einnahme der Hauptstadt Kabul ihre Position sicherten. Ab etwa diesem Zeitpunkt begannen sie, die Bevölkerung immer stärker einzuschränken und zu reglementieren - alles im Zeichen der streng ausgelegten heilig-islamischen Gesetzesschrift, der Scharia. Die Situation für die Bevölkerung verschärfte sich immer mehr und reichte von willkürlich wirkenden Verboten diverser leichter Freizeitaktivitäten wie Musik zu hören und Drachen steigen zu lassen bis hin zu stark in die (körperliche) Freiheit eingreifenden, extrem einschränkenden und das Menschen-, insbesondere das Frauenrecht, verletzenden Geboten. Hier ist zu nennen die Pflicht zum Tragen eines Bartes bei Männernjenes zum Tragen einer Burka bei Frauen kombiniert mit dem Verbot zum Schulbesuch und zur Erwerbstätigkeit, zur Inanspruchnahme von Krankenhausbehandlungen sowie zum Verlassen des Hauses ohne Ehemann.
Es wurde noch drakonischer: Verbrechen wurde mit Körperstrafen wie Steinigungen oder das Entfernen von Gliedmaßen geächtet.
Zu dieser Zeit und aufgrund der herrschenden Umstände wurde Afghanistan von der internationalen Bevölkerung gemieden und war isoliert. Lediglich die drei Staaten Pakistan, Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate erkannten das Land an. Das hatte zur Folge, dass der internationale Handel ausblieb und die ohnehin schon geschundene Bevölkerung noch zusätzlich an Hunger und Armut litt. Internationale Hilfslieferungen wurden von den Taliban blockiert.
Ab 1996 kooperierten die Taliban eng mit dem aus dem Sudan geflohenen Al-Qaida Terroristen Osama Bin Laden, der seinerseits die Ausbildungslager der Taliban und deren Waffen mitfmanzierte und für etliche internationale Anschläge verantwortlich war. So war er auch verantwortlich für den Anschlag vom 11. September 2001 auf das US- Amerikanische World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington, was nach versagtem Antrag auf Auslieferung des Osama Bin Laden durch Mullah Omar das Eingreifen des US-Amerikanischen Militärs mithilfe der internationalen Staatengemeinschaft zur Folge hatte.
Seit 2001 bekämpft diese Militärkoalition die Taliban gezielt in Afghanistan und kann den Erfolg verbuchen, Osama Bin Laden in einem Anwesen in Pakistan aufgespürt und getötet sowie die Terrormiliz aus vielen ihrer angestammten Gebiete verdrängt zu haben. In jüngster Zeit hat sich diesejedoch reorganisiert und kooperiert im Kampf gegen das Militär und zur Re-Eroberung ihrer angestammten Gebiete in Afghanistan enger dennje mit anderen internationalen Terrororganisationen wie der Al-Quaida. Unter den bewaffneten Konflikten habenjedoch vor allem die Zivilisten stark zu leiden (vgl. Der Tagesspiegel 2019 a; Planet Wissen 2018 a).
2.2.2.3 Der Irak
Der Irak wird seit nunmehr 38 Jahren von Gewalt und Unruhen erschüttert, darunter drei Kriege und Wirtschaftssanktionen seitens der Vereinten Nationen, die mangelnde Ernährung und unzureichende medizinische Versorgung von ca. 1,5 Millionen irakischen Bürgern nach sich zogen und schließlich 2003 in einen Bürgerkrieg mündeten (vgl. Luft 2016, S. 33).
Dabei sind die Konflikte im Irak auf starke politische, konfessionelle und territoriale Spannungen zurückzuführen. Es mussjedoch zwischen dem Norden des Landes und dessen Zentrum bzw. dem Süden unterschieden werden. In zuletzt genanntem ist der Hauptkrisenherd zu finden: in diesen Teilen tobt ein blutiger Krieg mit gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ auf der einen und der irakischen Armee in Kooperation mit paramilitärischen Milizen und kurdischen Kämpfer/innen, unterstützt durch das US-amerikanische Militär in Koalition mit anderen internationalen Kräften auf der anderen Seite. Alleine die militärischen Operationen, die 2017 um die Stadt Mosul gegen die Terrormiliz durchgeführt wurden, zwangen über eine Millionen irakischer Zivilisten zur Flucht.
Dabei gehen im Irak sowohl vom Regime als auch vom „Islamischen Staat“ Repressionen und Menschenrechtsverletzungen aus: sind Frauen und Mädchen von Gesetzesseite her und damit im tagtäglichen Leben schon diskriminiert und nicht ausreichend gegen (sexualisierte) Gewalt geschützt, so haben sie unter dem Einfluss des „Islamischen Staates“, der ein Leben nach der streng ausgelegten islamischen Gesetzesschrift, der Scharia, umsetzt und ideologisiert, explizit mit (sexualisierter) Gewalt und Menschenrechtsverletzungen zu rechnen. Das gilt insbesondere, wenn sie einer ethnischen, religiösen oder/und konfessionellen Minderheit wie den Jesiden angehören. Hierbei sind u. a. sexuelle Ausbeutung, Vergewaltigung bis hin zu Tötungen zu nennen.
Ähnliches müssen Menschen fürchten, deren sexuelles Selbstverständnis und/oder sexuelle Ausrichtung nicht dem traditionellen Bild entspricht. Auch sie werden sowohl von der Seite des Staates wie auch von der Terrormiliz verfolgt, unterdrückt, diskriminiert, gefoltert und getötet.
Die Willkür ist groß bei Regime und dem „Islamischen Staat“: allein der Verdacht der Sympathie mit derjeweils anderen Seite genügt zur Festnahme von Zivilisten und der damit einhergehenden Folter, Inhaftierung und außergerichtlichen Verurteilungen, die zu Körperstrafen oder sogar zum Tod führen können. Diesen willkürlichen Handlungsspielraum setzt das irakische Regime in erster Linie gegen sunnitisch arabische Familien ein, deren männliche Mitglieder es inhaftiert, deren Kinder es entwendet und als Kindersoldaten im Kampf einsetzt und deren Besitz und Eigentum es mutwillig gezielt zerstört. In vom „Islamischen Staat“ kontrollierten Gebieten haben in erster Linie Menschen religiöser, konfessioneller und ethnischer Minderheiten zu leiden. Aber auch simple Verstöße gegen die strengen auferlegten Regeln der Scharia ziehen Strafen und Konsequenzen nach sich. Dabei ähneln die von der Terrormiliz ausgeführten Handlungen in ihrer Gewalt, Rohheit und Brutalität denen des Regimes.
Der Norden des Irak gilt generell als etwas sicherer, auch was die Einhaltung von Menschenrechten betrifft. Trotzdem ist auch hier die Lage angespannt: in der Region halten sich aktuell über eine Millionen syrischer und irakisch interner (Binnen-) Flüchtlinge auf.
Gleichzeitig sind auch hier Diskriminierungen und Unterdrückungen gegen bestimmte Menschengruppen wie Frauen und Mädchen, LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) Personen und ethnische sowie religiöse Minderheiten an der Tagesordnung. Ebenso besteht hier, wie im gesamten Staat, die Gefahr von terroristischen Selbstmordanschlägen durch den „Islamischen Staat“. Zusätzliche Unruhen und Destabilisationen werden zudem von den Autonomiebestrebungen der Kurden zur Errichtung eines eigenen, vom Irak abgegrenzten Staates generiert. Gleichzeitig ist der kurdische Sicherheitsapparat für seine Willkür in der Festnahme mutmaßlicher Terrorverdächtiger, meist sunnitisch arabische Jungen und Männer, und die Ungerechtigkeit und Willkür in anschließenden Verfahren berüchtigt (vgl. Amnesty International 2017 a; Spiegel Online o.Jz. a).
2.2.2.4 Gängige Fluchtrouten
Nachdem nun beleuchtet wurde, wer, warum und woher in die Europäische Union und insbesondere nach Deutschland einreist, bleibt noch die Frage nach dem „wie“.
Dabei lassen sich drei Hauptfluchtrouten unterscheiden, die,je nach Lokation des Herkunftslandes und anderer äußerer Faktoren wie bspw. die unterschiedlichen Grenz- und Visapolitiken der zu durchreisenden Staaten oder mögliche vorhandene Risiken bei der Bewältigung der Strecke, unterschiedlich stark frequentiert werden: die östliche Mittelmeer- und Westbalkanroute, die zentrale und die westliche Mittelmeerroute.
Die östliche Mittelmeer- und Westbalkanroute Flüchtende aus Nord- und Sub-Sahara-Afrika sowie Pakistan und Afghanistan wählen in der Regel diese Reiseroute, die sie über die Türkei nach Europa, genauer über die Landoder Seegrenze nach Bulgarien oder nach Griechenland führt. Von dort aus besteht die Möglichkeit, über verschiedene Länder des Balkan nach Ungarn und schließlich nach Österreich und Deutschland zu gelangen. Besonders für Reisende mit der marokkanischen, syrischen und tunesischen Staatsbürgerschaft ist diese Alternative reizvoll, da sie seit 2013 kein Visum mehr zur Einreise in die Türkei benötigen.
Die grenzpolitischen Bestimmungen von Ungarn, Serbien, Kroatien und Mazedonien erschwerenjedoch die Durchwanderung derBalkan-Staaten: zurRegulierung des Flüchtlingsstromes hatUngarn 2015 die Grenze zu Serbien geschlossen. Kroatien schloss im selben Jahr zeitweise die Grenze zu Slowenien. Serbien und Mazedonien hingegen führten Zulassungsbeschränkungen ein: einreiseberechtigt sind lediglich Flüchtende mit irakischer, syrischer und afghanischer Staatsbürgerschaft. Aufgrund dieser Maßnahmen herrschen chaotische Zustände - viele Menschen sitzen an den Grenzübergängen fest und können nicht Weiterreisen (vgl. Luft 2016, S. 37ff).
Die zentrale und die westliche Mittelmeerroute
Von Nordafrika, speziell von Libyen aus, sind die Insel Malta und Süditalien relativ gut über das Mittelmeer zu erreichen. Die Strecke wird als die „zentrale Mittelmeerroute“ bezeichnet. Dieser Reiseweg wird vermehrt von Flüchtenden aus Nigeria, Eritrea, dem Sudan, Gambia und Somalia gewählt.
Eine weitere Alternativ, die westliche Mittelmeerroute, führt von Nordafrika, meist von Marokko aus, zur Iberischen Halbinsel. Allerdings ist auch der Grenzübertritt nach Ceuta oder Melilla, spanische Enklaven an der nordafrikanischen Mittelmeerküste, möglich und zählt zu dieser Fluchtroute. Diese Möglichkeit wählen in erster Linie Menschen aus Ländern südlich der Sahara. Vermehrte und verstärkte Grenzkontrollen ließen genannte Routejedoch an Attraktivität einbüßen (vgl. Luft 2016, S. 39).
2.3 Ablauf, Umfang und Facetten des Asylverfahrens in Deutschland
Erreichen die Flüchtenden die Bundesrepublik Deutschland, so können sie Asyl beantragen, um eine Schutzform und/oder ein (damit verbundenes) Bleiberecht für sich zu erwirken.
Dabei sind die einzelnen Schritte und Vorgänge, die bei Durchlaufen des Verfahrens notwendig sind - von der Ankunft in der Bundesrepublik bist zur unanfechtbar getroffenen Entscheidung über den Antrag und darüber hinaus-, genauestens durch das Ausländer- und Asylgesetz, basierend auf nationalem-, Unions- und Völkerrecht, festgelegt (vgl. Heinhold 1996; Luft2016, S. 89ff).
Betrachtet manjedoch den doch sehr allgemeinen Flüchtlingsbegriff im Kontext des Asylverfahrens, so muss man einige begriffliche Unterscheidungen und feinere Definitionen bemühen. So ist ein Geflüchteter nicht gleich ein Flüchtling und umgekehrt.. Die offizielle Bezeichnung als Flüchtling ist erst dann korrekt, wenn dieser Status nach den Richtlinien der GenferFlüchtlingskonventionen (vgl. 2.3.3.3.1.2.1) zugestanden , anerkannt und internationaler Flüchtlingsschutz gewährt wurde.
Der anerkannte Flüchtling befindet sich in der übergeordneten Begriffsgruppe der Schutz- sowie Bleibeberechtigten, die er sich mit den anerkannten Asylanten und den Menschen mit subsidiärer Schutzberechtigung sowie nationalem Abschiebeverbot teilt.
Bis dieser Status erreicht ist (oder auch nicht) ist die korrekte Bezeichnung für Menschen, die die Absicht haben, einen Asylantrag zu stellen, der der „Asylsuchenden“. Personen nach ihrem Eintritt in das Verfahren und während dessen Verlauf werden als „Asylantragstellende“ bezeichnet (vgl. BAMF 2018 n; BAMF 2019 b; BAMF 2019 d).
2.3.1 Ankunft in der Bundesrepublik
Bei ihrer Ankunft in Deutschland bzw. kurz danach müssen sich die Geflüchteten bei einer staatlichen Stelle zur Registrierung melden. Dies kann sowohl direkt an der Grenze bei der Grenzbehörde mit anschließender Weiterleitung zu einer Erstaufnahmeeinrichtung oder auch später im Landesinneren geschehen. Hierfür kommen Sicherheitsbehörden wie die (Bundes- oder Länder-) Polizei, Ausländerbehörden, Ankunftszentren, Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen in Betracht. Die Registrierung erfolgt nach der s. g. Personalisierungsinfrastrukturkomponente: es werden die zu ermittelnden persönlichen Daten der Asylbegehrenden erfasst sowie ein Lichtbild aufgenommen und Fingerabdrücke von Personen über 14 Jahren genommen. Diese Merkmale werden beim Ausländerzentralregister des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zum Zwecke späterer Weiterverarbeitung zentral gespeichert. Im Gegenzug erhalten die Registrierten nach Abschluss der Durchführung als Bestätigung ein temporäres Ausweisdokument, den s. g. „Ankunftsnachweis“. Dieser ist bundesweit einheitlich und anerkannt und weist die Neuankömmlinge mit diesem ersten offiziellen staatlichen Dokument als vorübergehend legal aufenthaltsberechtigt in Deutschland aus.
Gleichzeitig eröffnet er den Zugang zu staatlichen Hilfsleistungen und Unterstützung wie dem Anrecht auf eine Wohnunterkunft, Verpflegung und Versorgung mit Nahrungsmitteln und anderen Bedarfsgütern des täglichen Gebrauchs sowie medizinischer Versorgung (vgl. 2.3.2). Manchmal geht dem Ankunftsnachweis noch eine s. g. „Anlaufbescheinigung“ quasi als ein Zwischenschritt voraus.
Diese enthält neben den persönlichen Daten des Asylbegehrenden auch die Kontaktdaten und die Adresse der für ihn zuständigen (Erst-)Aufnahmeeinrichtung, die ihm schließlich auch seinen Ankunftsnachweis ausgehändigt (vgl. BAMF 2016 a).
2.3.2 Erstverteilung und Unterkunft in den Aufnahmeeinrichtungen
Für die erste Unterbringung der Geflüchteten haben die Bundesländer (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen geschaffen. Hier finden die Asylsuchenden einen ersten „sicheren Hafen“ im neuen Land, der ihnen alles essentiell Nötige für ein menschenwürdiges Leben bietet: Sicherheit und Schutz, einen Schlafplatz, Nahrung, medizinische Versorgung, Produkte des täglichen Bedarfes sowie einen individuellen, bar ausbezahlten kleinen Geldbetrag. Die Erstversorgung der Menschen wird dementsprechend in erster Linie durch Bereitstellung von Naturalien und in Sachleistungen abgedeckt und ist durch das Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Die Dauer des Aufenthaltes in den (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen variiert und richtet sich nach der individuellen Sachlage der einzelnen Fälle, bestehend aus vielschichtigen Komponenten wie z. B. dem Herkunftsland, der Perspektive auf ein Bleiberecht oder die Möglichkeit der Familienzusammenführung (an anderer Stelle). In vielen Fällen erfolgt nach einiger Zeit in den Aufnahmeeinrichtungen eine Anschlussunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, Wohngemeinschaften oder sogar in Privatwohnungen.
Die Auf- und -Zuteilung der Menschen wird durch mehrere Komponenten bestimmt: zunächst werden die Ankommenden durch ein Quotensystem zur „Erstverteilung von Asylbegehrenden“, kurz „EASY“, welches sich nach dem Königsteiner Schlüssel (vgl. 2.3.2.1) richtet, prozentual auf die einzelnen Bundesländer verteilt.
In diesen erfolgt die Zuweisung zu denjeweiligen Aufnahmeeinrichtungen nach deren verfügbaren Kapazitäten sowie nach der Nähe zu den zuständigen, auf die Bearbeitung von Fällen aus spezifischen Herkunftsländern spezialisierten Ankunftszentren.
Diese werden nach der Aufnahme der Flüchtlinge, ebenso wie die nächstgelegenen Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, von der entsprechenden Aufnahmeeinrichtung über den Einzug informiert (vgl. BAMF 2016 d; BAMF 2019 c).
2.3.2.1 Der Königsteiner Schlüssel
Die prozentuale Quotenverteilung des Königsteiner Schlüssels bestimmt sich zu zwei Dritteln aus der Höhe der Steuereinnahmen und zu einem Drittel aus der Gesamtbevölkerung der einzelnen Bundesländer. Dabei beruft sich der Schlüssel des aktuellen Kalenderjahres immer auf die Daten aus dem Haushaltsbericht des Vorvorjahres. Die aktuelle Umsetzung und Verteilung der geflüchteten Menschen nach dem „EASY“- System erfolgt auf Grundlage desjeweils vorjährigen Schlüssels (vgl. BAMF 2018 i).
So beliefen sich die prozentualen Zahlen zur Aufnahme von Asylerstantragsteller/innen in Baden-Württemberg im Jahre 2015 auf eine Gesamtaufnahmequote von 12,97496% nach dem Königsteiner Schlüssel, was einem Wert von 13,02967% der Gesamtanzahl der Erstanträge und dem dazu korrelierenden Realwert von 57.578 in Deutschland entsprach (vgl. BAMF 2016 o). In den Jahren 2016, 2017 und 2018 lagen die korrespondierenden Zahlen für das Bundesland beijeweils 12,86456%, 12,96662 % und 13,01280 % Verteilung nach der Quote und 11,71283%, 10,77618 % und 9,9% bzw. 84.610, 21.371 und 16.062 aus der Gesamtmasse der Ankommenden (vgl. BAMF 2017 c; BAMF 2018 g; BAMF 2018i; GWK o.Jz. a).
2.3.3 Der Asylantrag
Nachdem für die Sicherung der Grundbedürfnisse Sorge getragen und die Asylbegehrenden mit dem Nötigsten versorgt sind, können sie durch die persönliche Antragstellung auf Asyl in einem Ankunftszentrum oder einer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in das Asylverfahren eintreten.
2.3.3.1 Persönliche Antragstellung auf Asyl
Der offizielle Asylantrag wird in einem der Ankunftszentren oder auch direkt beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in einer der Außenstellen gestellt. Dabei ist die persönliche Vorsprache wichtig. Ausnahmen zur schriftlichen Antragstellung können nur in festgelegten Sonderfällen genehmigt werden wie etwa bei Minderjährigen in längerfristig angelegten erzieherischen Maßnahmen. Möglich ist die schriftliche Antragstellung aber auch mit gesetzlicher Vertretung ohne die Verpflichtung, in einer (Erst-)Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, z.B. wenn sich die Asyl begehrende Person in Haftbefmdet, ein medizinisch notwendiger stationärer Aufenthalt durchlaufen wird oder bereits eine Aufenthaltsgenehmigung von über sechs Monaten vorliegt.
Die Erstanhörung wird von einer Dolmetscherin oder einem Dolmetscher derjeweiligen Sprache begleitet, die dem/der Antragstellenden die Erörterungen über seine/ihre Rechte und Pflichten in seiner/ihrer Position übersetzt. Wichtige Informationen werden ihm/ihr überdies schriftlich in derjeweiligen Muttersprache ausgehändigt.
Wenn nicht bereits an vorhergegangener Stelle geschehen, so werden spätestens an diesem Schritt des Verfahrens die persönlichen Daten der Person sowie ein Lichtbild und Fingerabdrücken (bei Personen über dem 14. Lebensjahr) aufgenommen. Dabei bedienen sich die Bearbeitenden sämtlicher verfügbarer offizieller Dokumente wie bspw. dem Nationalpass, dem Führerschein oder der Geburtsurkunde, die durch ein spezielles Verfahren, der physikalisch-technischen Urkundenuntersuchung, verifiziert und auf Echtheit geprüft werden.
Die aufgenommenen Daten werden unmittelbar mit denen des Ausländerzentralregisters verglichen, um die Art des Antrages festzustellen (vgl. 2.3.3.1.1). Gleichzeitig wird beim Bundeskriminalamt überprüft, ob über die Person eine Eintragung aufgrund einer kriminellen Handlung vorliegt, die zum Ausschluss aus dem Asylverfahren und zur Verwehrung sämtlicher Schutz- bzw. Bleiberechtsformen (vgl. 2.3.3.3.1) führen könnte. Auch wird ermittelt, ob tatsächlich die Bundesrepublik für die Bearbeitung des spezifischen Asylantrages verantwortlich ist oder ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat zuständig sein könnte.
Ist dies der Fall, so wird eine Prüfung nach dem s. g. „Dublin-Verfahren“ eingeleitet (vgl. 2.3.3.1.2). Mitjedem Asylantrag ist immer auch gleichzeitig ein Antrag auf internationalen Schutz verbunden. Der internationale Schutz wiederum beinhaltet die offizielle Anerkennung als Flüchtling nach den GenferFlüchtlingskonventionen (vgl. 2.3.3.3.1.2.1) sowie den subsidiären Schutz. Seit Dezember 2013 ist die Anspruchsprüfung auf subsidiären Schutz offiziell und praktisch im Asylantrag integriert und wird im Laufe des Asylverfahrens bearbeitet.
Greift keine der genannten Schutzformen, so prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge automatisch, ob die Berechtigung auf ein nationales Abschiebeverbot besteht (vgl. 2.3.3.3.1).
Während des Verfahrensprozesses finden gleichzeitig bereits Beratungen zu integrativen Maßnahmen wie Integrations- und Sprachkursen statt mit der Empfehlung, diese wahrzunehmen und zu besuchen sowie ein Erstkontakt mit dem Arbeitsmarkt durch Beratungsgespräche und der Aufnahme der relevanten Daten in das bundesweite Register der Bundesagentur für Arbeit.
Nach erfolgreich durchlaufenem Erstgespräch zur Antragstellung erhalten die Angekommenen ein neues Dokument, die Aufenthaltsgestattung. Diese ersetzt den Ankunftsnachweis und weist ihren/ihre Inhaber/in als einen sich legal in Deutschland befindlichen Asylantragsstellenden aus. Dabei beschränkt sich sein/ihrjeweiliges Aufenthalts- und Bleiberecht auf das Gebiet der für ihn oder sie zuständigen Aufnahmeeinrichtung, in der sie oder er auch zu wohnen verpflichtet ist.
Dies wird als Residenzpflicht bezeichnet und ist auch im neuen Dokument mit den notwendigen Angaben vermerkt. Um das Gebiet zu verlassen muss eine explizite Genehmigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge eingeholt werden.
Für Asylantragsteller mit günstiger Perspektive, ein Schutz- und/oder Bleiberecht zu erwirken, entfällt die Residenzpflicht nach drei Monaten und die vorläufige Aufenthaltsgenehmigung weitet sich auf das Gebiet der gesamten Bundesrepublik aus. Dies gilt nicht für Menschen mit geringer Erfolgsperspektive, etwa, weil die Länder ihrer Herkunft als sicher gelten.
Sie bleiben in der zugewiesenen Aufnahmeeinrichtung und deren zugeschriebenem Gebiet, bis ihr Antrag zu einer endgültigen und unanfechtbaren Entscheidung gelangt bzw. bis sie dann schließlich dem Land ausreisen (vgl. BAMF 2016 f; BAMF 2017 a; BAMF 2018 n).
2.3.3.1.1 Definition Erst-, Zweit-, Folge und Mehrfachantrag
Unter welcher Bezeichnung ein Asylantrag behandelt wird hängt von den Umständen ab, unter denen er gestellt wird. Als Erstantrag wird in selbsterklärender Weise ein solcher Antrag behandelt, der von einer Person ausgeht, die zum ersten Mal in diesen Belangen Begehren äußert. Läuft bereits ein aktuelles Asylverfahren, so wird eine erneute Antragstellung als Mehrfachantrag bezeichnet und ist damit wirkungslos, da nicht zwei oder mehrere Verfahren zur gleichen Person parallel geführt werden.
Ein Folgeantrag hingegen ist ein erneut gestellter Antrag auf Asyl in Deutschland, nachdem es in einem (oder mehreren) zuvor gestellten Anträgen bereits zu einer endgültigen und unanfechtbaren ablehnenden Entscheidung gekommen ist oder (eine) bereits erteilte Schutz- und/oder Bleibeberechtigung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus diversen stichhaltigen Gründen zurückgezogen wurde(n).
Folgeanträge werden nur aufgenommen und durchgeführt, wenn sich die Sach- und/oder Rechtslage derart verändert hat, dass sie zugunsten des Migrationswilligen angewendet zu einem positiven Ausgang des Asylverfahrens führen könnte(n).
Die s. g. Wiederaufgreifensgründe, welche die Grundlage für die Wiedereröffnung des Verfahrens bieten, können bspw. die Veränderung der (politischen, sozialen, wirtschaftlichen etc. ...) Verhältnisse im Herkunftsland oder aber auch das Vorliegen neuer stichhaltiger Beweismittel sein. Dabei darf der Schutzsuchende die neu vorgebrachten Fakten nicht in vorausgegangenen Verfahren (aus grober Fahrlässigkeit) unterschlagen haben und muss sie den zuständigen Mitarbeitern initiativ unterbreiten. Wird dem Folgeantrag stattgegeben, so wird er des Weiteren behandelt wie ein Erstantrag.
Ähnlich gelagert wie ein Folgeantrag ist ein Zweitantrag, allerdings mit dem Unterschied, dass der Zweitantrag das erste Asylbegehren in der Bundesrepublik ist und vorhergehende Verfahren mit erfolglosem Ausgang in einem anderen der sicheren Drittstaat (EU- Mitgliedsstaaten, Norwegen, Lichtenstein, Island und die Schweiz) durchlaufen wurden. Zur Bearbeitung eines Zweitantrages muss sich Deutschland zudem als zuständig erweisen (vgl. 2.3.3.1.2). Ansonsten ist er in seinen Voraussetzungen und seiner Durchführung, wie etwa in derBehandlung der Wiederaufgreifensgründe, mit dem Folgeantrag identisch (vgl. 2016 g; BAMF 2016 1; BAMF 2019 k).
2.3.3.1.2 EURODAC und das „Dublin-Verfahren“
Im „Dublin-Verfahren“ wird geprüft, welcher Mitgliedstaat dieses Abkommens (EU- Mitgliedsstaaten, Norwegen, Lichtenstein, Island und die Schweiz) für die Durchführung des Asylverfahrens imjeweils geprüften Fall zuständig ist. Mit der Bestimmung nur einer zuständigen Stelle im „Dublin-Verbund“ soll die Sekundärwanderung in Europa kontrolliert und damit sichergestellt werden, dass die Anträgejeweils nur durch einen Staat geprüft werden.
Die Zuständigkeitszuordnung folgt klar definierten, hierarchisch aufeinander aufgebauten Richtlinien; um diese zu erfüllen müssen die zuständigen Mitarbeiter sowohl ein persönliches Gespräch nach Art.5 Dublin III-VO führen als auch die europaweite Datenbank EURODAC bemühen.
Im persönlichen Gespräch wird der Antragstellende zunächst über das „Dublin-Verfahren“, seine Hintergründe und Durchführung informiert. Gleichzeitig wird in Erfahrung gebracht, ob es bei erfolgreicher Ermittlung eines zuständigen Drittstaats nach Durchführung der Prüfung des “Dublin-Verfahrens“ stichhaltige Gründe gegen eine Überstellung in diesen geben könnte. Anschließend werden durch Fragen die Umstände der Ankunft in Europa bzw. in Deutschland beleuchtet und ausfindig gemacht, ob sich vielleicht (enge) Familienmitglieder des Asylsuchenden in einem anderen „Dublin-Staat“ aufhalten.
Die wichtigsten Grundsätze zur Bestimmung eines zuständigen Staates sind hierbeijeweils das Wohlergehen von Minderjährigen sowie die Zusammengehörigkeit von Familien. Im konkreten Fall bedeutet dieses, dass Kinder und Jugendliche injeweils denjenigen Staat überstellt werden sollen, indem sich ein Familienmitglied (oder eine andere geeignete Person) aufhält, der zur Übernahme der Vormundschaft für sie geeignet ist. Im Fall der Familieneinheit haben die betroffenen Personen das Recht, in demjenigen Staat Asyl zu beantragen, in dem sich bereits andere Mitglieder ihrer Kernfamilie aufhalten und einen Asylantrag gestellt oder bereits schütz- und/oder bleibeberechtigt sind. Planen hingegen mehrere Familienmitglieder zeitnah zueinander ihr Asylersuchen zu äußern, so soll nur ein Mitgliedstaat für die Antragsbearbeitung aller Familienmitglieder zuständig sein.
Ferner ergibt sich die Zuständigkeit durch den erstmaligen Grenzübertritt eines „DublinStaates“: ein Asylantrag soll injenem Land bearbeitet werden, in dem der Flüchtende zum ersten Mal den Boden eines Mitgliedsstaates betreten hat. Dabei kann die Einreise sowohl auf legalem Wege mit gültigem Aufenthaltstitel, aber auch illegal erfolgt sein. Ebenso begründet der mindestens fünfmonatige Aufenthalt ohne Unterbrechung in einem der infrage kommenden Länder dessen Zuständigkeit. Das Gleiche ergibt sich durch die Erlaubnis einer visumsfreien Einreise oder durch Antragstellung auf Asyl im Zuge des Transitverfahrens, d.h. wenn der Asylantrag im Transitbereich eines Flughafens auf Grund und Boden eines „Dublin-Staates“ gestellt wurde. Aber auch das Stellen eines Asylantrages außerhalb des Transitverfahrens, auf regulärem Wege in einem der genannten Mitgliedsstaaten begründet dadurch automatisch dessen Zuständigkeit.
Eine große Hilfe zur Bestimmung des Ersteintritts in die „Dublin“- Koalition bietet die europaweite Datenbank EURODAC, in der die Daten samt Fingerabdrücken sämtlicher Einreisender bei ihrer Registrierung im neuen Land gespeichert werden und auf die alle verantwortlichen Staaten Zugriff haben.
Ergeben sich durch das persönliche Gespräch nach Art.5 Dublin III-VO und die Prüfung im EURODAC Verfahren Anhaltspunkte, die auf die Zuständigkeit eines Drittstaates hinweisen, so wird das nächstgelegene „Dublin“-Zentrum mit der Überprüfung beauftragt und diejeweilige Akte dorthin weiter geleitet.
Bestätigen sich die Vermutungen, so richtet die Bundesrepublik ein Übemahmeersuchen an das ausfindig gemachte verantwortliche Land, wobei sie die Fälle, wiejeder andere Staat auch, initiativ selbst übernehmen kann. Zudem gibt es gewisse Ausschlusskriterien wie etwa humanitäre Gründe, die ein Übemahmeersuchen trotz ermittelter Zuständigkeit einer anderen Fraktion unterbinden. Auch ist es dem zu Überstellenden möglich, rechtliche Schritte gegen die Entscheidung einzulegen. In diesem Fall setzt die Abschiebefrist bis zum Eintreffen der gerichtlichen Entscheidung aus.
Bei Zustimmung oder auch nach Verstreichen einer gewissen Reaktionsfrist geht die Zuständigkeit auf den ersuchten Staat über und das Verfahren auf deutscher Seite wird beendet. In diesem Fall ist die Bundesrepublik für die Überstellung zuständig, die ihrerseits auch wieder innerhalb eines befristeten Zeitraums abgehandelt werden muss. Die Fristen variieren hierbeije nach Umständen und Sachlage. Nach deren fruchtlosen Verstreichen findet sichjedoch wieder Deutschland in der Verantwortung.
Initiiert und koordiniert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Übergabe des Asylsuchenden an denjeweils ausfindig gemachten zuständigen Mitgliedsstaat, so sind doch die Ausländerbehörden für dessen konkrete Planung und in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei auch für dessen Ausführung, dem Vollzug, zuständig (vgl. BAMF 2018 c; BAMF 2018 m; UNHCR 2001-2019 e).
2.3.3.2 Persönliche Anhörung
Die zentrale Einheit des Asylverfahrens und damit den wichtigsten Termin stellt die persönliche Anhörung dar. Sie und ihr Inhalt entscheiden maßgeblich über den Verlauf und den Ausgang des Asylverfahrens. Daher ist es unabdingbar, dass die Betroffenen diesen Termin wahmehmen oder sich zumindest zeitnah um eine Verlegung aus triftigen Gründen bemühen. Auch bei Verspätung oder Krankheit muss dies dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unverzüglich mitgeteilt und der Termin (mit ärztlichem Attest) entschuldigt werden.
Fehlen die Betroffenen kommentarlos und unentschuldigt, so riskieren sie die Einstellung ihres Asylverfahrens ohne weitere Befragung zu den Gründen ihres ausbleibenden Erscheinens.
Im Rahmen dieses Gespräches erhält der/die Antragstellende ausreichend Zeit, die Gründe und den Hergang bezüglich seiner/ihrer Flucht darzulegen und die Zustände im Herkunftsland und die individuelle persönliche Situation zu beschreiben. Insbesondere ist die Einschätzung des Asylbewerbers/der Asylbewerberin nach seinen/ ihren persönlichen zu erwartenden Konsequenzen einer möglichen Rückkehr in das Heimatland von Bedeutung. Dabei müssen alle Angaben der Wahrheit entsprechen, vollständig sein und, wenn möglich und verfügbar, mit stichhaltigen Beweisen belegt werden. Aussagekräftige Indizien, die erst zu einem späteren Zeitpunkt vorliegen, können dabei noch nachträglich eingereicht werden.
Die Kommission der persönlichen Anhörung setzt sich neben dem/der Asylsuchenden selber in erster Linie aus den vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bestellten Entscheider/innen, die ihrerseits mit den vorherrschenden Zuständen imjeweiligen Herkunftsland bestens vertraut sind und deren Aufgabe darin besteht, die individuelle Sachlage und die tiefergreifenden Ursachen und Gründe der Flucht zu durchdringen und zu verstehen, sowie einem/einer Dolmetscher/in zusammen. Diese Parteien können auf Wunsch des/der Geflüchtetenjeweils so ausgewählt werden, dass sie zu ihm/ihr geschlechtsidentisch sind. Zudem stehen in besonderen Fällen Entscheider/innen mit speziellen Schulungen zur Verfügung wie etwa bei Minderjährigen oder wenn die Geflohenen Opfer sexueller Gewalt oder anderer Traumatisierungen wurden.
Zusätzlich können bei dem Gespräch zudemjeweils noch ein Rechtsbeistand, ein persönlicher Beistand des/der Vorsprechenden, der sichjedoch nicht selber im Asylverfahren bzw. kurz vor seinem eigenen persönlichen Gespräch befinden darf, der gesetzliche Vormund bei Minderjährigen sowie ein(e) Vertreter(in) des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), dessen Aufgabe die Überwachung der Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonventionen ist, anwesend sein.
Die Aussagen und Ausführungen der Angehörten werden zunächst ins Deutsche übersetzt und dann protokolliert. Im Zuge der Verifizierung und zum Zwecke der Kontrolle und des korrigierenden Eingreifens wird das Anhörungsprotokoll nach Beendigung des Gespräches für den/die Antragstellende(n) wieder in dessen Muttersprache rückübersetzt, ihm/ihr vorgelegt und nach dessen Absegnung von der betreffenden Person unterschrieben (vgl. BAMF 2016 e).
2.3.3.3 Resultate des Asylverfahrens
Bei den Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über die einzelnen Asylanträge istjeweils das individuelle Schicksal ausschlaggebend. Die jeweiligen Entscheidungen werden auf Grundlage des geführten persönlichen Gespräches und der vorgelegten Beweismittel gefällt und schriftlich begründet.
Dabei können die Bemühungen des Migrationswilligen sowohl mit einem positiven Bescheid und der Zuerkennung einer Form der Schutz- und Bleibeberechtigung beantwortet, aber auch abgelehnt werden. Zudem trifft das Bundesamt auch s. g. formelle Entscheidungen, die Asylanträge betreffend. All diese Entscheidungen gehen mit spezifischen Folgen für die Betroffenen einher.
2.3.3.3.1 Formen der Schutz- und Bleibeberechtigung
Jede einzelne der möglichen zu gewährenden Formen der Schutz- und Bleibeberechtigungen begründet sich auf unterschiedliche Voraussetzungen, stützt sich auf verschiedene gesetzliche Grundlagen und bringtjeweils andere Umstände und Möglichkeiten mit sich. Im Folgenden sollen die Formen definiert, voneinander abgegrenzt aber auch miteinander verglichen und aufeinander bezogen werden.
2.3.3.3.1.1 Anerkennung als Asylant
Das Recht auf Asyl in Deutschland begründet sich auf dem Grundgesetz, genauer auf den Artikel 16a. Dieser stellt das einzige deutsche Grundrecht dar, welches nur ausländischen Menschen zur Verfügung steht. Der Artikel besitzt in seiner Eigenschaft Verfassungsrang. Damit übertrifft die Bundesrepublik ihre Verpflichtungen, die sie als Unterzeichnerstaat der Genfer Konventionen auf sich genommen hat und nimmt so eine gewisse Sonderrolle unter den Mitgliedsstaaten ein.
Zur Anerkennung von Asyl muss der/die Antragstellende nachweisen, dass er/sie aufgrund seinerNationalität, Rasse, Religion, politischenÜberzeugung oder sozialen Zugehörigkeit politisch, und zwar ausschließlich politisch, d.h. vom Staat seines Herkunftslandes, von dem Staat zuzuordnenden Fraktionen oder einer nichtstaatlichen Organisation, die an des Staates Stelle getreten ist, verfolgt wird. Dabei müssen ihn/ihr bei Rückkehr in sein Heimatland herausragend gravierende Verletzungen seiner/ihrer Menschenrechte von politischer Seite erwarten. Weitere Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl muss die Unfähigkeit des/der Beantragenden sein, durch Flucht innerhalb des eigenen Landes Schutz zu finden oder diesen von anderer Stelle zu erhalten. Zudem ist es essentiell, dass er/sie die deutsche Bundesrepublik als Erstes der als sichere Drittstaaten anerkannten Länder betreten hat. Dies ist praktisch nur auf dem Seeweg oder durch die Luft möglich. Sobald ein vorausgegangener Grenzübertritt in einen anderen der genannten Staaten erfolgt ist, erlischt der Anspruch auf Asyl in Deutschland.
Sind die Voraussetzungen erfüllt und ist der Asylstatus schließlich zuerkannt, so geht damit eine Aufenthaltserlaubnis von drei Jahren einher. Dabei steht dem Asylanten/der Asylantin der Arbeitsmarkt offen - er/sie hat die Erlaubnis, erwerbstätig zu sein und Geld zu verdienen. Gleichzeitig können der Ehe- oder Lebenspartner und vorhandene minderjährige Kinder im Rahmen des Familienasyl (vgl. 2.3.3.3.1.6) ebenfalls nach Deutschland einreisen und den Asylantenstatus erhalten, ohne selbst auf dessen Anspruchsberechtigung geprüft zu werden. Nach drei bzw. fünf Jahren kann die Niederlassung in Deutschland beantragt und erworben werden.
Hierfür müssenjedoch einige Voraussetzungen, wie etwa das Vorweisen ausreichender deutscher Sprachkenntnisse sowie die selbstständige Bestreitung des (Familien-)Lebensunterhaltes, nachgewiesen werden.
Die Anerkennung von Asyl entspricht qualitativ der Anerkennung als „international schutzberechtigter Flüchtling“ nach den Genfer Flüchtlingskonventionen und kommt mit fast identischen Merkmalen, Rechten und Pflichten einher. Sie wird dementsprechend als (unter- bzw. eingeordneter) Bestandteil der internationalen Schutzberechtigung behandelt (vgl. BAMF 2016 i; BAMF 2018 o).
2.3.3.3.1.2 Anerkennung des Status als Flüchtling mit internationalem Schutzanspruch
Die Voraussetzungen, die zur Gewährung des internationalen Flüchtlingsschutzes nach §3 Abschnitt 1 des Asylgesetzes entsprechend der Genfer Flüchtlingskonventionen nachgewiesen werden müssen, entsprechen in ihren Ursachen zur Verfolgung und Bedrohung der Menschenrechte denen der zur Asylgewährung Notwendigen (Nationalität, Rasse, politische, religiöse und soziale Ausrichtung und Zugehörigkeit), beschränken sich aber im Unterschied zu diesem nicht nur auf staatliche Aktionen, sondern beziehen auch nichtstaatliche Akteure offiziell mit ein. Die Maßnahme richtet sich an Fliehende außerhalb des Landes, dessen Staatsbürgerschaft sie besitzen und dessen Schutz sie nicht in Anspruch nehmen können oder aus berechtigten Gründen nicht wollen.
Wird der Status als Flüchtling gewährt, so wird in der Behandlung der Menschen ebenso wie im Rahmen der Asylanerkennung (vgl. 2.3.3.3.1.1) verfahren mit dem Unterschied, dass bei Familiennachzug nicht der Asylstatus sondern ebenfalls der internationale Schutz gewährt wird ( vgl. BAMF 2016j).
2.3.3.3.1.2.1 Genfer Flüchtlingskonventionen und UNHCR
Das am 22.04.1954 in Kraft getretene Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, in vorliegender Arbeit kurz und prägnant als die Genfer Flüchtlingskonventionen bezeichnet, wurde von der Vorgängerorganisation der Vereinten Nationen, dem Völkerbund, entworfen und bis heute von insgesamt 148 Staaten unterzeichnet.
Die insgesamt 47 Seiten starke Schrift definiert zunächst ausführlich die in 2.3.3.3.1.1 und 2.3.3.3.1.2 angeführten Merkmale und Voraussetzungen, die den Flüchtlingsstatus nach dem internationalen Schutz definieren. Des Weiteren folgt eine detaillierte und vielschichtige Abhandlung von Belangen und Facetten des täglichen Lebens wie etwa den Umgang mit Eigentum, Zugang zu Gerichten, Erziehung und Bildung, Erwerbstätigkeit, Anspruch auf soziale Hilfe etc. ... mit dem Konsens, dass aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge nach den Genfer Konventionen in all diesen Dingen wiejeweils eigene Staatsbürger oder andere, sich regulär und legal aufhaltende Ausländer in diesem Land behandelt werden sollen. Offiziell anerkannte Flüchtlinge aus anderen (Dritt-)Staaten sollen injeweils anderen Ländern die gleiche Behandlung erfahren wie diejeweiligen Staatsbürger des aufnehmenden Landes.
Aufgrund von Entwicklungen und Bedarf wurde 1967 ein weiteres Protokoll aufgesetzt, welches eine Art Weiterführung, Anpassung und Erweiterung der Konventionen an die sich ändernden Umstände darstellte (vgl. BAMF 2019j; UNHCR 2015 a; UNHCR 2001-2019 d).
Die Auslegung der Grundsätze der Genfer Flüchtlingskonventionen liegt bei den einzelnen Unterzeichnerstaaten. Allerdings sind diese dazu verpflichtet, mit dem Hohen Flüchtlingskommissariat (UNHCR) zusammenzuarbeiten, der mit der Kontrolle der spezifischen Ausführungenbetrautist(vgl. Luft2016, S. 19f).
Der UNHCR wurde bereits 1950 gegründet und wird vom Hohen Flüchtlingskommissar geleitet und repräsentiert. Es ist eine Behörde der Vereinten Nationen, die sich ausschließlich und explizit auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonventionen mit allen Belangen und Angelegenheiten rund um Flüchtlinge, flüchtende Personen und Staatenlose weltweit befasst, mit anderen (humanitären) Organisationen kooperiert, (Hilfs-) Aktionen koordiniert und in diesem Zusammenhang auch humanitäre Hilfe leistet (vgl. BMZ 2010-2019 a; UNHCR 20012019 a; UNHCR 2001-2019 b; Wikipedia 2019 a).
2.3.3.3.1.3 Subsidiäre Schutzberechtigung
Der subsidiäre Schutz nach §4 Abschnitt 1 des Asylgesetzes ist an Menschen gerichtet, die in ihrem Herkunftsland erheblichen Schaden und massive Verletzungen ihrer Menschenrechte zu erwarten haben und gleichzeitig den Schutz ihres Staates nicht annehmen können oder aus begründeter Furcht nicht annehmen wollen. Die Aktionen können dabei sowohl von staatlichen als auch von nichtstaatlichen Fraktionen ausgehen, sind aber, anders als bei Asyl und Flüchtlingsstatus, nicht an bestimmte, eindeutig definierte Merkmale (Nationalität, Rasse, politische, religiöse und soziale Ausrichtung und Zugehörigkeit) geknüpft.
Wird der subsidiäre Schutz in Deutschland gewährt, so berechtigt er die Geflüchteten zunächst zu einem Aufenthalt von einem Jahr; Verlängerungen vonjeweils zwei Jahren sind möglich. Zu dieser Zeit ist dem/der subsidiär Schutzberechtigten die Erwerbstätigkeit in vollem Umfang gestattet. Nach fünf Jahren und wenn andere Voraussetzungen, wie etwa die Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes sowie der Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse, erfüllt sind, kann die dauerhafte Niederlassung in der Bundesrepublik beantragt werden. Auch ein Familiennachzug im Rahmen der Gewährung von „Familienasyl“ ist seit dem 1. August 2018 möglich. In diesem Fall erhalten die nachgezogenen Familienmitglieder ohne individuelle Anspruchsprüfung den internationalen Flüchtlingsschutz (vgl. BAMF 2016 k; BAMF 2018 d; BAMF 2018 q).
2.3.3.3.1.4 Nationales Abschiebeverbot
Sind die Voraussetzungen für eine der drei Schutzmaßnahmen nicht erfüllt, prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von Amts wegen, ob ein nationales Abschiebeverbot nach § 60 Abschnitt 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes in Frage kommt. Dieses setzt keine Verfolgung von staatlicher oder nichtstaatlicher Seite voraus und knüpft auch an keine bestimmten Merkmale an. Essentiell für die Erteilung eines solchen Abschiebeverbotes in den Herkunftsstaat ist die Gefährdung der betroffenen Person an Leib, Leben und/oder Freiheit bzw. die Gefahr einer Menschenrechts- und/oder Verletzung der Grundfreiheiten nach den Europäischen Konventionen. Eine solche Gefahr stellen bspw. Naturkatastrophen oder aber auch die Erkrankung des/der Antragstellenden mit Aussicht auf erhebliche Verschlechterung bei Rückführung dar. In einem solchen Fall erhält die entsprechende Person von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltsgenehmigung. Ausschlaggebend zur Gewährung dieser Schutzform istjedoch, dass es dem Schutzsuchenden nicht möglich ist, in ein anderes Land zu reisen und dort qualitativ vergleichbare Schutzmöglichkeiten zu erhalten sowie dass er seine Pflichten zur Mitwirkung während des Verfahrens nicht vernachlässigt hat.
Ist das nationale Abschiebeverbot gewährt, so wird der Aufenthalt für mindestens ein Jahr mit der Möglichkeit zur wiederholten Verlängerung gewährt. Nach fünf Jahren und unter den gleichen Voraussetzungen wie bei den o. g. Schutzformen kann die dauerhafte Niederlassung in der Bundesrepublik beantragt werden. Anders als bei ebenjenen Schutzformen istjedoch der Nachzug der engsten Angehörigen im Zuge des „Familienasyl“ nicht vorgesehen. Während der Aufenthaltszeit bis zurNiederlassung darf mit Zustimmung der Ausländerbehörde gearbeitet werden (vgl. BAMF 2016 h).
2.3.3.3.1.5 Besonderheiten in der Behandlung von unbegleiteten Minderjährigen
Als unbegleitet gelten Minderjährige, die alleine, d. h. ohne geeigneten Vormund bzw. gesetzlichen Vertreter in die Bundesrepublik einreisen bzw. nach ihrer Ankunft allein gelassen werden.
Die Personengruppe der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge gilt in Deutschland als besonders schutzbedürftig. Deshalb wird im Umgang mit ihnen stets der allergrößte Wert auf das Wohl der Schutz befohlenen Kinder und Jugendlichen gelegt.
Nach ihrer Ankunft werden die Minderjährigen zunächst dem nächstgelegenen Jugendamt zugeordnet. Dort wird ihr Gesundheitszustand, ihr Alter und der voraussichtlich nötige Erziehungsbedarf überprüft und bestimmt. Gleichzeitig wird ihre körperliche und psychische Verfassung, vor allem in Bezug auf die Durchführung späterer Maßnahmen, beurteilt und die Möglichkeit einer Familienzusammenführung mit Verwandten und Angehörigen in Deutschland geprüft.
Das zuständige Jugendamt koordiniert und organisiert die Weitervermittlung der Minderjährigen an Einzelpersonen wie etwa Verwandte, Angehörige oder Pflegefamilien, aber auch an Jugendhilfeeinrichtungen oder s.g. „Clearinghäuser“ zur vorläufigen Aufnahme und Betreuung. Dabei wird darauf geachtet, dass minderjährige Personen mit besonderer Bindung zueinander nicht getrennt, sondern nach Möglichkeit gemeinsam untergebracht werden.
Nach der ersten Aufnahme findet innerhalb einer 14-tägigen Frist eine weitere Verteilung innerhalb Deutschlands statt. Dabei wird der oder die Minderjährige einem anderen Jugendamt zugewiesen, auf seiner oder ihrer Reise dorthin von Mitarbeitern des Jugendamtes begleitet und persönlich an die neue verantwortliche Stelle übergeben. Auch hier finden weitere medizinische und psychologische Untersuchungen sowie eine Klärung des Aufenthaltsstatus statt. Das aktuell zuständige Jugendamt kümmert sich zudem, wie das vorangegangene Amt auch, um die Frage der Unterbringung bei Einzelpersonen oder in Einrichtungen. Zudem wird die Ernennung eines gesetzlichen Vormunds bzw. eines Verantwortlichen beantragt, der bis zum Erreichen der Volljährigkeit, die sich dabei an den Richtlinien des jeweiligen Herkunftslandes orientiert, die gesetzliche Vertretung übernehmen soll. Die endgültige Entscheidung hierüber obliegt dem Familiengericht.
Im nächsten Schritt erfolgt eine endgültige Klärung des Aufenthaltsstatus im Zuge von Maßnahmen des Aufenthalts- und Jugendhilferechts mit anschließender Beratung durch die Ausländerbehörde, das Asylverfahren bzw. andere aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten betreffend.
Kommt es zum Asylantrag, so entscheidet dasjeweilige Alter der Kinder und Jugendlichen darüber, ob sie den Antrag, im Falle der Volljährigkeit nach deutschem Recht, selbstständig zu stellen haben oder ob er von ihrem gesetzlicher Vormund bzw. vom für sie zuständigen Jugendamt schriftlich gestellt werden muss. Injedem Fall kann und soll der bestellte Vormund, genau wie andere gewählte Vertrauenspersonen zum Zwecke des Beistandes auch, bei der persönlichen Anhörung im Rahmen des Asylverfahrens anwesend sein. Den unterstützenden Personen ist es gestattet, sich, wenn es dem Verfahren dienlich ist, einzubringen und bspw. gezielte konstruktive Fragen zu stellen.
Auch im persönlichen Gespräch genießt das Wohl des Kindes bzw. des Jugendlichen oberste Priorität. Es findet z. B. generell erst dann statt, wenn ein geeigneter Vormund gefunden und bestimmt ist. Ebenso haben die Mitarbeiter/innen des Bundesamtes, die die Anhörung leiten, eine spezielle Schulung absolviert, um feinfühlig und hochsensibel auf die Minderjährigen mit ihren (oft traumatischen) Fluchterfahrungen einzugehen. Dabei klären die s. g. Sonderbeauftragten auch, ob für die Flucht kindesspezifische Fluchtgründe wie etwa Zwangshochzeiten, Genitalverstümmelung, Rekrutierung als Kindersoldaten, häusliche Gewalt oder Menschenhandel vorliegen.
Die auf Grundlage der persönlichen Anhörung gefällte Entscheidung über den Asylantrag wird in schriftlicher Form und begründet an den Vormund des Antragstellers übersandt (vgl. BAMF 2016 m).
2.3.3.3.1.6 Familienasyl- und Nachzug
Bei der Skizzierung der Schutz- und Aufenthaltsformen war von Familienasyl und Nachzug die Rede.
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- Beate Maria Weber (Author), 2019, Unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Deutschland. Ursachen der Flucht, Bildungssituation in Deutschland und Deutsch als Fremdsprache im Lehr-Lernbereich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/923583
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