Zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels werden weltweit Artikel über ihn und sein praktisches und theoretisches Schaffen erscheinen, deren Anzahl man, wenn überhaupt, nur abschätzen kann und deren Überschriften fast alle formelhaft mit ‚Friedrich Engels und die Lage der arbeitenden Klassen in England‘, Friedrich Engels und die Militärwissenschaft‘, ‚Friedrich Engels und der deutsche Bauernkrieg‘, ‚Friedrich Engels als Soldat der 48er Revolution‘ … usw. beginnen werden. Die Eigentümlichkeit meines Gegenstandes lässt eine Variante zu, eingedenk der Tatsache, dass Friedrich Engels dabei war, durch die Vorlage des Anti-Dühring, geschrieben vom Herbst 1876 bis Mitte 1878, dessen Manuskript Engels Marx vorgelesen hatte, in dem erstmals eine geschlossene Darlegung der marxistischen Weltanschauung mit ihren Kerngehalten des dialektischen und historischen Materialismus, unter kritischer Verarbeitung aus der philosophischen Tradition Deutschlands (Hegel-Feuerbach) stammend, aus der politischen Ökonomie, unter kritischer Verarbeitung aus der Tradition der englischen Ökonomie (Smith-Ricardo) stammend und des wissenschaftlichen Sozialismus, unter kritischer Verarbeitung aus der französischen Revolutionsgeschichte stammend, Lenin spricht von drei Quellen des Marxismus, und durch die Arbeit an der Veröffentlichung von Band 2 (1885) und 3 (1894) des Kapitals die Texte von Marx zum Marxismus hin abzurunden. 1886 erschien in der ‚Neuen Zeit‘ eine Buchbesprechung von Engels über eine Darstellung Starckes über Leben und Werk des materialistischen und atheistischen Philosophen Ludwig Feuerbach aus dem Jahr 1885, der für die Herausbildung der Marxschen Lehre eine fast so wichtige Rolle spielte wie Hegel, der allerdings durch seine von ihm entwickelte und in der ‚Logik‘ dargelegten Dialektik, noch den Namen der Tradition anbringend, das Werk hätte folgerichtig ‚Dialektik‘ heißen müssen, von geradezu essentieller Bedeutung für Marx wird.
„Und diese materialistische Dialektik, die seit Jahren unser bestes Arbeitsmittel und schärfste Waffe war, wurde merkwürdigerweise nicht nur von uns, sondern außerdem noch, unabhängig von uns und selbst von Hegel, wieder entdeckt von einem deutschen Arbeiter, Joseph Dietzgen“. 1.
Zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels werden weltweit Artikel über ihn und sein praktisches und theoretisches Schaffen erscheinen, deren Anzahl man, wenn überhaupt, nur abschätzen kann und deren Überschriften fast alle formelhaft mit ‚Friedrich Engels und die Lage der arbeitenden Klassen in England‘, Friedrich Engels und die Militärwissenschaft‘, ‚Friedrich Engels und der deutsche Bauernkrieg‘, ‚Friedrich Engels als Soldat der 48er Revolution‘ … u. s. w. beginnen werden. Die Eigentümlichkeit meines Gegenstandes lässt eine Variante zu, eingedenk der Tatsache, dass Friedrich Engels dabei war, durch die Vorlage des Anti-Dühring, geschrieben vom Herbst 1876 bis Mitte 1878, dessen Manuskript Engels Marx vorgelesen hatte, in dem erstmals eine geschlossene Darlegung der marxistischen Weltanschauung mit ihren Kerngehalten des dialektischen und historischen Materialismus, unter kritischer Verarbeitung aus der philosophischen Tradition Deutschlands (Hegel-Feuerbach) stammend, aus der politischen Ökonomie, unter kritischer Verarbeitung aus der Tradition der englischen Ökonomie (Smith-Ricardo) stammend und des wissenschaftlichen Sozialismus, unter kritischer Verarbeitung aus der französischen Revolutionsgeschichte stammend, Lenin spricht von drei Quellen des Marxismus, und durch die Arbeit an der Veröffentlichung von Band 2 (1885) und 3 (1894) des Kapitals die Texte von Marx zum Marxismus hin abzurunden. 1886 erschien in der ‚Neuen Zeit‘ eine Buchbesprechung von Engels über eine Darstellung Starckes über Leben und Werk des materialistischen und atheistischen Philosophen Ludwig Feuerbach aus dem Jahr 1885, der für die Herausbildung der Marxschen Lehre eine fast so wichtige Rolle spielte wie Hegel, der allerdings durch seine von ihm entwickelte und in der ‚Logik‘ dargelegten Dialektik, noch den Namen der Tradition anbringend, das Werk hätte folgerichtig ‚Dialektik‘ heißen müssen, von geradezu essentieller Bedeutung für Marx wird. Man lese nur den Schluss des Nachwortes zur zweiten Auflage des Kapitals aus dem Jahr 1873, in dem Marx die Verdienste der idealistischen Dialektik hervorhebt. Marx und Engels waren sich einig, formulierten es allerdings unabhängig voneinander, dass Feuerbach im Vergleich zu Hegel durchaus arm sei, Marx im Zusammenhang mit seiner Auseinandersetzung mit Proudhon, Engels in seinem 1886 geschriebenen ‚Ludwig Feuerbach‘. 2. Doch wir sollten Feuerbach Gerechtigkeit widerfahren lassen, es war ein ‚Hauen und ein Stechen‘ unter den Linkshegelianern im Vormärz, und diese wieder gegen die Rechtshegelianer. Die Spaltung der Hegelschule als Reflex des Klassenkampfes ereignete sich noch zu Lebzeiten Hegels. Die Wunden brauchten Zeit zur Ausheilung. Hegel hinterließ eine Menge intelligenter Schüler, aber wie Alexander der Große keinen Nachfolger, dessen Füße in die großen Schuhe passten. Von allen Schülern entwickelte sich nach Marx und Engels Eduard Gans am weitesten, er forderte Kollektive von Arbeitern gegen die Despotie der Fabrikherren. Marx und Feuerbach konnten es nicht werden, da Marx schon in jungen Jahren, als 26jähriger, und der 14 Jahre ältere Feuerbach als 35jähriger alles daransetzten, Hegels selbst ausgefertigte und zugesprochene exzeptionelle Position in der Geschichte der Philosophie als deren Vollender, als Anmaßung zu entlarven. Durchbrach Feuerbach den Kreis des Linkshegelianismus halb, so Marx den der Philosophie überhaupt ganz.
Es ist bekannt, dass der junge Marx in der Vorbereitungsperiode der 48er Revolution zunächst unter dem Einfluss der Philosophie Hegels stand und sich durch mehrere philosophisch hochgradige und komplexe Arbeiten von seinem Einfluss, lax formuliert, ‚freischwamm‘, und zwar durch die Kritik des Hegelschen Staatsrechts, geschrieben im Sommer 1843, durch die Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie/Einleitung, geschrieben um die Jahreswende 1843/44 und durch die Kritik an seiner „Dialektik und Philosophie überhaupt“ in den Pariser Manuskripten, geschrieben in den Monaten April bis August 1844. Marx hatte sich von einem philosophischen Idealisten zu einem kritischen Materialisten entwickelt, der das Bestehende kritisieren und aufheben wollte. Und zwar zusammen mit Friedrich Engels, mit dem er etwas später im Sommer 1844 in Paris eine auf weitgehende Gedankenübereinstimmung basierende lebenslange Freundschaft schloss. 1845/46 gingen beide in Brüssel daran, philosophisch den Gegensatz zwischen idealistischer und materialistischer Weltanschauung herauszuarbeiten. Es geschah dies in der sogenannten ‚Deutschen Ideologie‘, in der sie sich mit der nachhegelschen Philosophie auseinandersetzten, schwerpunktmäßig mit Feuerbach. Aber eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Doktrin Feuerbachs war das noch nicht, die ‚Deutsche Ideologie‘, in der der Versuch unternommen wurde, die bisherige wirkliche Lebensproduktion der Menschen theoretisch zu rekonstruieren, blieb zudem ein Fragment. Bis zum Tod von Marx 1883 lag also nur eine fundamentale Auseinandersetzung mit der Philosophie Hegels durch ihn selbst vor. Es fehlte noch eine grundsätzliche Kritik und Würdigung Feuerbachs und zu diesem Unternehmen war das Feuerbachkapitel in der ‚Deutschen Ideologie‘ nach den Worten von Engels aus dem Jahr 1886 unbrauchbar.
Im Todesjahr von Marx erschien eine Dissertation über Feuerbach aus der Feder des dänischen Philosophen, Soziologen und Freimaurer Carl Nicolai Starcke, worauf die ‚Neue Zeit‘ bei Friedrich Engels anfragte, diese zu besprechen. Das war der äußere Anlass für Engels, der bereits über ein halbes Jahrhundert politische Erfahrung im Gepäck hatte, sich grundsätzlich vom Standpunkt von Marx, also im Sinne des wissenschaftlichen Sozialismus zu Hegel und Feuerbach zu äußern, auf die Dissertation selbst wird recht stiefmütterlich eingegangen. Das vorliegende prägnante Schriftgut von Marx zu Hegels Dialektik bildet für Engels eine Art Folie, eine Art Licht auch, mit dem Methode und System von Hegel durchleuchtet werden. War das Feuerbachkapitel aus der ‚Deutschen Ideologie‘ auch unvollendet und für die Buchbesprechung Starckes, um die es eigentlich nicht ging; es ging um die Position der Lehre von Marx zur Philosophie Hegels und zu der Feuerbachs, unbrauchbar, so dürfen doch der Schluss der Pariser Manuskripte mit dem Kapitel über die Hegelsche Philosophie und Dialektik überhaupt und die Marxschen ‚Thesen über Feuerbach‘ nicht unerwähnt als „der geniale Keim der neuen Weltanschauung“. 3. bleiben. Im Kontext des wissenschaftlichen Sozialismus liegen uns also zwei grundsätzliche Auseinandersetzungen mit Hegel vor, die des jungen Marx und die des alten Engels. Die erste ist nicht unser Thema und wird hier höchstens gestreift werden.
Wenden wir uns also der kritischen Würdigung von Engels zu: Er beginnt seine Hegel-Kritik mit zwei der bekanntesten und umstrittensten Sätze Hegels: „Alles, was wirklich ist, ist vernünftig, und alles was vernünftig ist, ist wirklich“. 4. Und: „ … die Wirklichkeit erweist sich in ihrer Entfaltung als Notwendigkeit“. Man kann diese Sätze von Hegel metaphysisch interpretieren, dann sanktionieren sie das gegenwärtig Bestehende, sind also konservativ; interpretiert man sie aber selbstredend dialektisch, dann liegt in ihnen ein revolutionärer Kern verborgen. Engels entfaltet uns diesen in aller Konsequenz, demonstrativ über Hegel hinausgehend, denn am Ende war ja Hegel, wie er sagt, ein Philosoph, der „wie seinem Zeitgenossen Goethe ein Stück Philisterzopfs hinten hing“. 5. Hegel war in seiner Jugend ein Verehrer Rousseaus und der französischen Revolution, am Vorabend des Geburtstages von Rousseau brennt kurz vor Mitternacht nur in einem Zimmer im Tübinger Stift noch Licht und Hegel notiert in sein Tagebuch: ‚Weiß denn niemand, was morgen für ein Tag ist? Selbst Hölderlin schläft!‘, auf dem Höhepunkt seiner Universitätslaufbahn war er indessen ein Apologet einer ständischen Monarchie, eines Grundbesitzeradels, „… wobei uns noch die Notwendigkeit des Adels auf spekulativem Weg demonstriert wird“. 6., Abschluss eines philosophischen Denkens also, dem sein revolutionärer Kern ziemlich aufgeweicht wurde. Am Grab Hegels war es, wie Rosenkranz berichtet, der Theologe Marheineke, der die Grabrede hielt und ihn in ihr als einen „König im Reich des Gedankens“ bezeichnete. Wie erläutert nun Engels die Dialektik Hegels zunächst einseitig als primär dialektisch-revolutionär, also bewusst überzogen? Engels gibt der Hegelschen Dialektik eine Schärfe, vor der Hegel selbst zurückgeschreckt wäre. Ich schreibe ‚primär‘, denn auch die revolutionäre Dialektik hat, was leicht zu übersehen ist, eine konservative Seite, sie erkennt die vorübergehende, zeitweise dauernde Existenzberechtigung von Phasen, in denen sich der Prozess verdichtet hat zu einer eine Zeit lang bleibenden Kontur, eine Prozessverdichtung zu einer Stufe der Gesellschaft und zu einer Stufe der Erkenntnis sozusagen. Dass die konservative Seite der Dialektik relativ, ihr revolutionärer Charakter absolut, das gilt für Marx absolut, Engels spricht von dieser Dialektik als von einer durch und durch revolutionären Denkmethode, für Hegel relativ, denn bei diesem kommt es ja in seiner philosophischen Entwicklung zu einem Umschlag zum Konservatismus hin, zum Stillstand des Prozesses, zur Anpassung ans Gegebene, zur Achtung vor Staat und Religion, zum ‚Heulen mit den Wölfen‘, Hegel formuliert es selbst so in einem Brief an Schelling, zum abschließenden System mit seinen gewaltsamen Konstruktionen und zum Ende der Philosophie und der Geschichte. Hegel kippte um, es floss zu viel Theologie in seinem Blut; der Atheist Marx hielt durch, die Meute verfolgte ihn bis zu seinem letzten Atemzug. Während konservative Ideologie intendiert, die je erreichte uns umfassende Stufe zu einem unwandelbaren Kristall einzufrieren, sie zu einer ewigen Naturform zu verabsolutieren, betonen die revolutionären Dialektiker immer wieder die historische Vergänglichkeit (Negativität) aller historischen Formationen in einem ununterbrochenen Prozess der Entfaltung von Niederem zu Höherem. Polemisch wendet sich Hegel gegen Schlegel, für den es in Indien ein Urvolk gegeben habe und wir nur noch dessen Ausläufer seien. Schon der antike Philosoph Heraklit, dem nach Lenin bereits in der Antike eine sehr gute Darstellung des dialektischen Materialismus gelang („Die Welt war, ist und wird sein ewiglebendes Feuer“) tat mit dem Satz, dass ‚Alles fließt‘ der Weltweisheit Genüge, zwei Wörter, die unbedingt zur Weltphilosophie gehören. Der gigantische Strom der Weltgeschichte fließt ständig, wir wissen heute, dass er sich vorantreibt mit einer sich negierenden Negativität, die die Staudämme des Kapitals waffengewaltig einreißen wird müssen, soll die Weltgeschichte am Ende nicht ein einziger leerer Wahn sein. Darauf tendiert die dekadente Bourgeoisie, die an ihrer eigenen Herrschaft mehr und mehr irre wird. Irrationalismus, Kapitalismus und Faschismus sind mittlerweile im Mutterbauch des Imperialismus Drillinge. Geschichte ist für den Beamtensohn Hegel ein Prozess der Negativität, nicht ein Aufeinanderstapeln von Aktenordnern mit Geschehnissen. Für Hegel ist das Böse die Form, die die Triebkräfte der geschichtlichen Entwicklung in sich hält. Zur Rolle des Bösen in der Geschichte hat sich Feuerbach als Vertreter einer sonnenklaren positiven Philosophie, das Positive ist zu setzen gegen die Negation der Negation, nicht geäußert, was nicht erstaunt. Hegel hat das Böse in der Geschichte eindeutig favorisiert in einem Prozess sich ständigen Aufhebens von Konstellationen, die nicht selten Ewigkeitsanspruch kundtun (Nordkorea: ‚Ewiger Präsident‘. Die Sonne des Kommunismus sollte man nicht zu hoch strahlen lassen, solange noch der Gegensatz zwischen Arbeiter und Bauer existiert, und der existiert doch noch sehr wohl in Nordkorea, die Metropolen stehen noch, die Provinz ist und bleibt dunkel). Gerade auf dem Gebiet der Geschichte wird ständig alles Heilige permanent preisgegeben, die Dialektik im Inneren der Geschichte, die manchmal fantastische Zickzackbewegungen aufweist, ist eine zutiefst ruhelose, ihre Ergebnisse mitunter grell. Für Hegel stellt das Böse in der Geschichte die Form, „worin die Triebkraft der geschichtlichen Bewegung sich darstellt“. 7. Jeder Fortschritt ist Frevel in den Augen des Überlieferten und Gegenwärtigen, das im ekelhaften Spießbürgerbrei, in Tradition und Gewohnheit drei starke Stützen hat, in sich gesättigt ist und für eine bessere Zukunft der Menschheit nichts übrighat. Tabu- und Milieubruch, wie bei Solon, Bankraub und guerillamäßige Liquidierungen von Faschistinnen und Faschisten auch schon vor einer Massenrevolution – hierzu liegt hohe Absolution vor. Hegels Bestimmung des Bösen als positiv-negative Kraft in der Geschichte – hier hat Bakunin, der in Berlin noch Vorlesungen Schellings als Hegelwiderleger und neben Savigny, dem Haupt der ‚historischen Rechtsschule‘, Töter der dialektischen Drachensaat gehört hatte, viel kopiert – findet seit dem Aufkommen der Klassengegensätze, seit denen des Feudalismus und des Kapitalismus, vollste Bestätigung. Gerade Habgier, der Kleinbürger reißt an sich, was er kann, alles andere ist ihm schnuppe, und großbürgerliche Herrschsucht sind heute zu mächtigen Hebeln des gesellschaftlichen Fortschritts geworden und werden es im sich zwanghaft steigernden Imperialismus immer mehr. Hier und heute hat diese Form des ‚Kriminellen‘ schon idiotische Formen angenommen, nicht nur in den USA, nur bietet sich deren Präsident förmlich an. Da Feuerbach nicht die Rolle des moralisch Bösen in der Geschichte untersucht, er touchiert hier nicht mal, entgeht ihm, dass Habgier und Herrschsucht Hebel der geschichtlichen Entwicklung sind, dass Marx und Engels das positiv ausdeuteten und Lenin die aus Habgier betriebene ungeheure Vergesellschaftung der Produktion durch die Kernimperialisten ab Beginn des 20. Jahrhunderts löblich hervorhebt als eine bessere Entfaltungsmöglichkeit für die Arbeiterklasse. Der Kapitalismus arbeitet gegen die Arbeiter und ihnen auch zu. Krieg ist ein Übel, aber die allgemeine Wehrpflicht ist es für die Arbeiterklasse nicht, ebenso nicht die Militarisierung der Frauen und der Jugend. Ohne Waffen in der Hand bleibt die Arbeiterklasse ein Spielball fremder Mächte. Die Militarisierung durch die bürgerliche Gesellschaft kann natürlich auch zum Faschismus führen, und als nach dem Sieg über den deutschen daran gegangen wurde, im Preußentum ideologische Wurzeln zu eruieren, die Denkmäler von Blücher und Scharnhorst auf Anordnung der sowjetischen Militärverwaltung in Berlin entfernt wurden, da erschienen in sowjetischen Fachzeitschriften Artikel, die die Bösartigkeit des Hitlerfaschismus ideologisch bis auf Hegel zurückverfolgten und dem Philosophen durch seinen Satz aus den Grundlinien der Philosophie des Rechts: „Man glaubt etwas sehr Großes zu sagen, wenn man sagt: Der Mensch ist von Natur gut; aber man vergißt, daß man etwas weit Größeres sagt mit den Worten: Der Mensch ist von Natur böse“ eine geistige Mitschuld an Auschwitz gaben. Auch Hegels Satz: Es sei die Ehre großer Männer, schuldig zu sein, gehört hierher. Hegel hatte das deutsche Volk als das auserwählte der Weltphilosophie gesehen, sich selbst als den größten Philosophen aller Zeiten, einen Kult des Absoluten zelebriert, in dessen Zerstörung Feuerbach 1839 die relativ leicht zu lösende primäre Aufgabe der Hegelkritik sah, und eine Gigantomanie hochgezogen, in der sich ein spezifisch deutscher Größenwahn widerspiegelte, der im größten Feldherrn aller Zeiten gipfelte, der am Ende völlig losgelöst war von der Wirklichkeit, ein Grundzug deutscher Mentalität, wie Marx und Engels in der ‚Deutschen Ideologie‘ hervorhoben. Aus der totalen Philosophie, deren Geheimnis Feuerbach richtig im Geheimnis der Theologie ausgemacht hatte, sei nach der Durststrecke des kantischen Agnostizismus der totale Krieg gefolgert worden, nicht der Spur Kants zum ‚Ewigen Frieden‘ folgend. Heute werden bei dieser Thematik viele Fragzeichen gesetzt, aber ganz abwegig war das kurz nach Hitlers Selbstmord nicht, in der damaligen Situation allemal verständlich. Die deutschen Imperialisten waren in der Sowjetunion bis auf wenige Ausnahmen böse gewesen. Streng genommen ist das ‚Böse‘ jedoch keine wissenschaftlich verwertbare Kategorie, in den Naturwissenschaften ohnehin nicht, aber auch nicht in der Geschichtswissenschaft. Der Staat ist nicht das Böse und der Krieg kommt nicht durch den bösen Willen der Kapitalisten in die Welt. In der Ökonomie liegt der Schlüssel zum Verständnis aller Arten von Kriegen. Diese entspringen nicht dem bösen Willen der Kapitalisten, worauf Lenin uns mehrmals aufmerksam gemacht hat.
„Was vernünftig ist, das ist wirklich; was wirklich ist, das ist vernünftig“. Hegel setzt also Vernunft und Wirklichkeit gleich und scheint auf den ersten Blick das Bestehende zu sanktionieren. Es liegt aber, wie immer bei Hegel, keine Gleichheit mit einem Gleichheitszeichen vor, sondern eine reziproke: Was vernünftig ist, wird wirklich, und die Wirklichkeit ist gewordene Vernünftigkeit, ein gegenseitig in den Grund Gehendes. Eine schlechte Regierung findet ihre Entsprechung in schlechten Untertanen und so scheint sich alles im unverrückbaren Lot zu finden. So nahmen es die Konservativen, die Rechtshegelianer und die Metaphysiker, zu denen vom religiösen Grundansatz seiner Philosophie her („Geschichte als Gotteswerk“, so Hegel; Geschichte als „Abfall von Gott“, so Schlegel) auch Hegel zählt, dessen Methode aber ganz antimetaphysisch ist. Deshalb ist Wirklichkeit für Hegel nie etwas Fixes, sie ist etwas sich Entfaltendes, so dass eine historische Wirklichkeit, eine bereits alternde, verdrängt wird durch eine sich entwickelnde, in eine neue übergehende. Ein flüchtiger Blick in jedes beliebige Geschichtsbuch bestätigt dies. „Und so dreht sich der Hegelsche Satz durch die Hegelsche Dialektik selbst um in sein Gegenteil: „Alles, was im Bereich der Menschengeschichte wirklich ist, wird mit der Zeit unvernünftig, ist also schon seiner Bestimmung nach unvernünftig, ist von vorherein mit Unvernünftigkeit behaftet; und alles, was in den Köpfen der Menschen vernünftig ist, ist bestimmt wirklich zu werden, mag es auch noch so sehr der bestehenden scheinbaren Wirklichkeit zu widersprechen. Der Satz von der Vernünftigkeit alles Wirklichen löst sich nach allen Regeln der Hegelschen Denkmethode auf in den andern: Alles was besteht, ist wert, daß es zugrunde geht“. 8. Das in den Grund Gehen ist ein Zugrundegehen.
Engels legt 1886 die Dialektik Hegels zunächst nach der von Marx entwickelten dar. Wir haben dadurch eine dialektisch-materialistische Auslegung des Hegelschen Prozessdenkens vor uns. Philosophie bestand nicht länger als eine Sammlung von Sprüchen aus dem Bauernkalender, als eine Sammlung fertiger Dogmen, aus Texten gelehrter Magister oder in den in der Geschichte der Philosophie hervorgebrachten wichtigsten Ergebnisformeln, „die Wahrheit lag nun in dem Prozeß des Erkennens selbst“. 9. Ohnehin wurde Philosophie mehr und mehr zu ihrer Geschichte, und im Denken Hegels ist dies ganz offenkundig: Philosophie ist ihre Geschichte bis auf Hegel, ihrem Vollender. Aber Hegel sagt auch, dass die Philosophie ein so übernächtiges Werk sei als das Gewebe der Penelope, das immer wieder von vorne beginne. Wie die technisch-industrielle Revolution all die altehrwürdigen Einrichtungen überkommener Produktionsweisen vernichtete, so lässt die Dialektik nichts Heiliges, nichts Endgültiges bestehen, reißt alles ununterbrochen in den Schlund des Weltprozesses hinein. Ihr Hass gilt allem, was Ewigkeit beansprucht, sie ist kritisch und revolutionär und anerkennt als einzig Ewiges nur den ununterbrochenen Prozess des Werdens und Vergehens … dessen bloße Widerspiegelung im denkenden Hirn sie selbst ist“. 10. Der Metaphysik lastete immer die Dogmatik auf dem Kopf, die permanent auf unerschütterliche Wahrheiten drückte. Die heutige nichtbürgerliche Wissenschaft geht äußerst vorsichtig mit dem Begriff ‚Wahrheit‘ um, sie liegt nicht feil wie ein Geldstück fürs Portemonnaie, sondern relativiert sich sofort im Prozess, der heute objektiv oft gegen unseren Willen und über uns abläuft, der aber nur durch die Wissenschaft gebändigt werden kann. Der sich nach vollbrachter Weltrevolutionstat, nach Beendigung seines Anleitens zum revolutionären Handeln selbst aufhebende Marxismus-Leninismus, ist diese sich selbst negierende Wahrheit. Diese Selbstaufhebung hat besonders Rosa Luxemburg betont, ohne für ihr konsequentes zu Ende Denken des Marxismus viel Gehör bekommen zu haben, was heute angesichts des wie eine Seuche grassierenden oberflächlichen ‚Reinpfeifen von Marx‘ durch innerlich verwahrloste Bürgerkinder leider auch noch der Fall ist. In Tirana ist 1983 anlässlich des 100. Todestages von Marx eine Aufsatzsammlung erschienen mit dem Titel: ‚Die Marxsche Lehre immer jung und unsterblich‘. Ein offensichtlich metaphysischer Umgang mit der Lehre. Diese ist der theoretische Gegenpol der kapitalistischen Barbarei, sie überlebt den Kapitalismus und überlebt ihn nicht. Bekanntlich hat sich die ‚Partei der Arbeit Albaniens‘ am 12. Juni 1991 aufgelöst, immer wieder fallen Metaphysiker auf die Schnauze. Die Konterrevolution zimmert sich jeweils zur Unterdrückung der Völker Wahrheiten mit Ewigkeitsanspruch zurecht. Der Lohnsklave darf kein Licht sehen, ist konterrevolutionäre Ideologie doch selbstredend Anleitung zum konterrevolutionären Handeln von volksfeindlichen Schmarotzern. Sie stehen unter dem Zwang der Ewigkeitsdogmatik, denn sie wollen nie den Platz ihrer Sklaven einnehmen. Die Sklavenhalter schädigen die körperliche und mentale Gesundheit der Völker durch Polizeiknüppel und literarische Machwerke, die die Gehirne der Versklavten paralysieren sollen. Nur der Marxismus-Leninismus gibt uns die Lichtquellen in die Hand, diese Machwerke zu durchschauen. Die tiefste Revolution in der Geschichte der Menschheit, die proletarische, ist ohne Studium des wissenschaftlichen Sozialismus zum Scheitern verurteilt, denn der verschlagene Klassenfeind muss total durchleuchtet sein, soll er denn fallen.
Den entscheidenden Fehler seines Gelehrtenlebens hat Hegel mit der Konstruktion eines abschlusshaften Systems der Wissenschaften als eines entfaltetes System intelligenter Organisation, dessen formelle Spitze das Denken ist, gemacht, in dem die Wahrheit des logischen Prozesses zu einer dogmatischen, seine eigene Dialektik brechenden wird, obwohl es von bewundernswertem gedanklichen Reichtum, wahren „Schätzen“ (Engels) und tiefen Erkenntnissen durchfruchtet ist. Es wurde in der philosophischen Tradition eine Art absoluter Wahrheit als Systemkrönung verlangt, der auch Hegel noch genügt. Nach Hegel muss nun die gesamte Menschheit zur Erkenntnis seiner absoluten Idee kommen, die nur insofern absolut ist, als der Hohepriester des Absoluten absolut nichts von ihr zu sagen weiß. Feuerbach deutet dieses, der Stolz der klassischen deutschen Philosophie, richtig als sinnlos bzw. Unsinn. Unsinn also die Spitze Hegelschen Denkens als Totalerkenntnis der Welt, die nun in eins zu setzen sei mit der Weltgesellschaft werdender Hegelscher Philosophen. Bis zu dieser Spitze hat sich die Menschheit zu entwickeln. Es wäre eine Weltgesellschaft von Hegelianern, während der Kommunismus ja keine Weltgesellschaft von Marxisten ist. Engels weist Hegel als Vordenker der Menschheit, in dessen Philosophie die Erkenntnis der absoluten, widerspruchsfreien und für alle erreichbaren Idee vorläge, eindeutig und umkehrend zurück: Was Hegel allein versuchte, kann nur der ganzen Menschheit gelingen. Es geht hier um zweierlei: Erstens um Hegel als System philosophen, der intellektuell aus einem unvergänglichen Bedürfnis des Menschengeistes, alle Widersprüche in einem System zu beseitigen, vorging. Und sich sofort wieder einen neuen Widerspruch einhandelte, sich in der Dialektik des Widerspruchs einer beendigten und nicht beendigten Weltgeschichte, herrührend aus dem Widerspruch zwischen System und Methode, verstrickte. Den der Dialektik genuin inliegenden unendlichen Prozess der Erschließung neuer Seiten und Beziehungen, des Vordringens von der Erscheinung zum Wesen, vom weniger tiefen zum tieferen, und damit auch der Erkenntnisvertiefung hat der Hegel des Systems abgeschnitten. Und zweitens hat Hegel allerdings die richtige Frage einer im Kontext der Vorgeschichte liegenden Widerspruchsüberwindung gestellt und falsch gelöst: Er wollte als einzelner Philosoph lösen, „was nur die gesamte Menschheit in ihrer fortschreitenden Entwicklung leisten kann“. 11. Schon Feuerbach stellte 1839 in seiner Studie ‚Zur Kritik der Hegelschen Philosophie‘ die Fragen, ob denn die Philosophie sich in einem Philosophen absolut verwirklichen könne und ob es einen Messias der Philosophie geben müsse bzw. könne, dessen Philosophie die absolute Wirklichkeit der Idee der Philosophie wäre. Feuerbach sagt ganz im Sinn der objektiven Philosophie, dass das, was der Einzelne nicht weiß, alle wissen. Das gesamte Gattungswissen ist gleich dem göttlichen. Ein philosophischer Messias wäre für Feuerbach der Stillstand der Vernunft, der Stillstand der Zeit, der Untergang der Welt. Feuerbach weist in diesem Zusammenhang auf einen Brief Goethes an Schiller hin, indem Goethe ausführt, dass nur sämtliche Menschen die Natur erkennen, nur sämtliche Menschen das Menschliche leben. Wie tief und wahr! ruft Feuerbach aus, Inkarnation und Geschichte sind absolut unverträglich miteinander, wo die Gottheit in die Geschichte eintritt, hört Geschichte auf. Es ging um den Nachweis, dass Hegels Objektivitätsphilosophie auch eine besondere subjektive ist, das beweisen sowohl Feuerbach und Engels. Gerade durch Hegel, dem Weltphilosophen in Person, endet daher die Tradition der philosophischen Säulenheiligen, die Galerie der großen Geister, die der Heroen der denkenden Vernunft. Die wissenschaftliche Initiative ist auf die großen Volksmassen übergegangen, die die ganze Philosophie in ihrem bisherigen Sinn aufheben. Diesen hohen Wert haben die Volksmassen, die Schopenhauer als ‚Fabrikware der Natur‘ denunzierte. Die marxistische Philosophie bleibt bei dieser Thematik der Dialektik treu und kann keiner irgendwie allein im Kopf ausgetüftelten absoluten Wahrheit nachjagen, eine Tradition, die auch nach der Erkenntnis von Heinrich Heine in seiner ‚Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland‘ mit dem großen metaphysischen Gesamtsystem Hegels endet, sondern favorisiert durchdringbare, auflösbare relative Wahrheiten und setzt nicht auf große Persönlichkeiten, auf große Geister in der Geschichte. Nichts ist hier absolut und alles ist relativ, schreibt Engels in einem Brief an H. Barth. 12. Selbst die großen Denker kommen über den epochalen Rand ihres Lebenskreises nicht hinaus. Wir müssen immer die Systemvergewaltigung der durch und durch revolutionären Methode durch Hegel im Hinterkopf behalten und obwohl ziemlich häufig revolutionäre Zornesausbrüche in seinem Werk vorliegen, ist an den Bestimmungen der Hegelschen Philosophie als einer aristokratischen Reaktion auf die Französische bürgerliche Revolution in den ‚Großen Sowjetenzyklopädien‘ der Stalin-Zeit nichts zu beanstanden. 13. Anlässlich Morgans ‚Ancient Society‘, in der dieser ausführt, dass die Familie in der alten Welt das aktive Element bildete, die Verwandtschaftssysteme das passive, notiert Marx: „…ebenso verhält es sich mit den politischen, juristischen, religiösen, philosophischen Systemen überhaupt“. 14. Die politische Legitimierung eines ständischen Systems der Monarchie durch einen (auch idealistischen) Dialektiker setzt voraus, seiner eigenen Methode mehr als nur nebensächlich untreu geworden zu sein.
Es ist zunächst einmal Hegel selbst, der eine exzeptionelle Position in der Geschichte der Philosophie, die er als Prozess der Selbsterkenntnis des Geistes als Schöpfer einer objektiven Welt deutet, beansprucht, was auf der Hand liegt für einen Philosophen, der sich durch ein gigantisches System als Vollender der Geschichte seiner Disziplin begreift und der ihr eine weitere Entwicklung in der Zukunft abspricht. Was ebenfalls auf der Hand liegt, da in Hegels Denken das Weltwissen, die alles durchdringende reine Weltseele, in ihm sich als sich selbst erfasst. Hegel weist eine Selbstwerdung und Selbstbewegung der Materie ab. Nach Hegel kann es nach ihm, nach dem der Weltgeist durch ihn sich selbst erkannt hat, nur Philosophiehistoriker geben, keine Philosophen mehr. Nach Marx kann es im Kommunismus keine Politik, keine Philosophie und keine Religion mehr geben. Beide sehen also ein Ende der Philosophie, einmal als Vollendung, einmal als Auflösung, als Aufhebung allemal. Erinnert sei an dieser Stelle an den einfachen Satz von Ernst Bloch, dessen Worte zu geflügelten geworden: Hegel leugnete die Zukunft, keine Zukunft wird Hegel leugnen. Die exzeptionelle Position, die Hegel sich erarbeitet hatte, wird auch geteilt von den Alt- und Junghegelianern, von Heinrich Heine, Friedrich Engels und Karl Marx. Die große Meute der Philosophen, die meint, mit ihrem fantastischen Köpfchen heute die Gefängnismauern der kapitalistischen Gesellschaft einreißen zu können, ebnet heute natürlich Hegel wieder ein zu einem Glied in der Kette, zu einem höchst wichtigen selbstredend. Karl Marx erklärt uns, wie Hegel zu seiner Behauptung seiner ausnahmephilosophischen Ausgangsstellung kam, wie er sich gegenüber allen bisherigen Großphilosophen, die das übernächtige Gewebe der Philosophiegeschichte geknüpft hatten, als deren Oberhaupt und Erlöser sowohl der christlichen als auch der irdischen Qual zusammenfasste: Die Philosophie kommt durch den Denker zum Abschluss, der den Philosophen der Vergangenheit ihre Position im geschichtlichen Verlauf zuweist, so dass die kontinuierliche Reihe zur Kette um den Hals der Weltgeschichte wird. Hegel knüpft diese Kette zusammen. Zu dieser historischen, aber noch rein geistigen Tat kommt es nach Marx, weil Hegel auf dem Standpunkt der modernen Nationalökonomie steht, alles geistige Leben als geschichtliches Leben auffasst, und die Arbeit als das Wesen, als das sich bewährende Wesen des Menschen erfasst. Den Hegelschen Arbeitsbegriff ordnet Marx als einen nur positiven ein, der Mangel Hegels besteht hier darin, keinen negativen entwickelt zu haben. „Die Arbeit, welche Hegel allein kennt und anerkennt ist die abstrakt geistige. Was also überhaupt das Wesen der Philosophie bildet, die Entäusserung des sich wissenden Menschen oder sie sich denkende entäusserte Wissenschaft, diß erfaßt Hegel als ihr Wesen, und er kann daher den vorhergehenden Philosophen gegenüber ihre einzelnen Momente zusammenfassen und seine Philosophie als die Philosophie darstellen“. 15. Drastisch, aber regelrecht hegelkonform, kann ein Bibelwort variiert werden: Die Philosophen wissen nicht, was sie tun, zumindest alle Philosophen vor Hegel wussten nicht, was sie taten. „Was die andern Philosophen thaten – daß sie einzelne Momente der Natur und des menschlichen Lebens als Momente des Selbstbewußtseins und zwar des abstrakten Selbstbewußtseins fassen – das weiß Hegel als das Thun der Philosophie. Darum ist seine Wissenschaft absolut“. 16. Ein grundlegendes Anliegen Hegels überhaupt besteht darin, Fixes dialektisch zu dynamisieren. Die Philosophen haben für ihn bisher nur fixe Abstraktionen hervorgebracht, der ‚Pfiff Hegels‘ besteht nun darin, an die Stelle der in der Geschichte der Philosophie fixierten Abstraktionen den in sich kreisenden Akt der Abstraktion zu setzen. „ … damit hat er einmal das Verdienst die Geburtsstätte aller dieser – ihrem ursprünglichen Datum nach einzelnen Philosophen zugehörigen ungehörigen Begriffe nachgewiesen, sie zusammengefasst und statt einer bestimmten Abstraktion die in ihrem ganzen Umkreis erschöpfte Abstraktion als Gegenstand der Kritik geschaffen zu haben …“. 17. So hatte sich Hegel als der Weltphilosoph ergeben und diese gigantische Gestalt wurde zwar von Feuerbach, der erkannt hatte, dass Hegel die neuere Philosophie vollendet hatte und man mit einer Kritik Hegels auf der Höhe der Zeit stehe, beschädigt, aber nicht wirklich gestürzt. Wie die bisherige Philosophie gegen die Theologie gerichtet war, so müsse sich jetzt die aktuelle Philosophie gegen Hegel richten. Dass die etatistischen Rechtshegelianer gegen den ideologischen Apologeten des preußischen Staates keine Umsturzabsichten haben konnten, versteht sich von selbst, auch dass der späte Schelling in seiner Attacke auf Hegel den Staat zu einem Heiligtum verklärte, aber auch auf dem jungen, munteren Flügel der Linken bissen sich hervorragende Köpfe an Hegel die Zähne aus. Es gelang nicht, das System zu sprengen, bis 1841 Feuerbachs ‚Wesen des Christenthums‘ erschien. Marx und Engels ordnen nun aber auch Ludwig Feuerbach noch als den letzten Mohikaner des Hegelianismus ein, obwohl Marx 1844 über Feuerbach in den ‚Pariser Manuskripten‘ sagt, er sei der „wahre Überwinder der alten Philosophie“. 18. Das bezieht sich auf Feuerbachs Widerlegung des Hegelschen Idealismus bzw. auf den Nachweis, dass die Philosophie Hegels ausgeführte Theologie sei, und auf die von Feuerbach atheistisch begründete Kritik der Religion. Und Engels hat ebenso recht, wenn er 1886 in seiner Besprechung der Starckeschen Dissertation über Feuerbach diesem vorwirft, er habe Hegel einfach als unbrauchbar beiseitegelegt, das bezieht sich auf die dialektische Methode. Weltanschaulich ist Feuerbach ein Überwinder, methodologisch geht er flüchtig vor. Von der Kritik der Religion braucht er einen zu langen Schritt zur Kritik der Politik, er bewegt sich vom Himmel zur Erde, aber von da aus nicht wieder zum Himmel. Philosophische Befangenheit lässt die irdischen Wurzeln als Urwurzeln unentdeckt. Radikal sein, heißt, gerade diese rauszureißen, dem philosophischen Materialisten und anthropologischen Philosophen, der vom Menschen ausgeht, wie er auf dem „Grund und Boden der Natur“ steht, so sehr vom Menschen ausgeht, das von Feuerbach der Ausspruch vorliegt: Der Mensch denkt, nicht das Ich und nicht die Vernunft, letzteres gegen den objektiven Idealismus gerichtet, bleiben die historischen und sozialen Fragen sekundär. Feuerbach begründet die Geschichte der Philosophie anthropologisch: Der Mensch wird erstens unwiderstehlich zum Denken getrieben und zweitens tritt eine bestimmte Idee durch äußere Umstände bedingt, als eine besondere Bestimmung der absoluten Idee nur zu einem bestimmten Zeitpunkt auf. Man sieht, Feuerbach ist halb Materialist, halb Idealist und Marx hatte mit dem Vorwurf der Inkonsequenz recht. Hegel hatte sich angepasst, philosophierte in Berlin als preußischer Staatsphilosoph „seinem Amte gemäß“; Feuerbach arbeitet nicht konsequent genug, bleibt auf halbem Wege stehen und vibriert in der so entstandenen Spannung. Weder war Feuerbach für Engels ein eindeutiger Materialist, noch ein eindeutiger Atheist, auch wusste er mit der Dialektik, die er durch Einfügung eines Mittelbegriffs zwischen den Extremen, die sich zudem gegenseitig ausschließen, verstümmelte, nichts Rechtes anzufangen, Dialektik, sagt er, sei kein Monolog, sie reduziert sich für ihn auf einen Dialog zwischen Ich und Du. Er brachte nur eine schwülstige Liebesreligion hervor, an die der deutsche wahre Sozialismus mit seinem Konzept einer Befreiung der Menschheit durch ‚Liebe‘ anknüpfte, und eine magere Ethik hervor. Die ethische Idee ist für Feuerbach die allein positive Idee der Religion. Die Liebe gilt durch sich selbst als religiös. Nur die Liebe lasse den Menschen Gattung werden. Der höchste Satz des Christentums ist für ihn: ‚Gott ist die Liebe‘. Und diesen kritisiert er dahingehend, dass in ihm die Liebe nur das Prädikat ist, hinter Gott lauere der Glaube, hinter Gott sei noch Platz für Lieblosigkeit. Gehaltvoll wäre der Satz ‚Die Liebe ist Gott‘, aber der kommt in der Bibel nicht vor, wohl aber an exponierter Stelle in Feuerbachs ‚Wesen des Christentums‘. Homo homini Deus est. Das Erste der Religion ist das zweite. Eine eingebildete Ursache wird in den Religionen zur wirklichen, der wirklich alles produzierende lebendige Mensch, der das Maß der Vernunft ist, ein aus imaginärer Quelle zum Produkt kristallisierter, dieser Mensch, diese Welt sind sekundär, die Amoralität schlechthin. Das ist die berühmt berüchtigte Verwechslung aller Religionen, sie sind also allesamt genuin inhuman, denn sie kennen nur eine abgeleitete Liebe, sie wirken „grundverderblich auf die Menschheit“. 19. Das höchste Wesen für den Menschen ist der Mensch – Feuerbach begreift diese Erkenntnis, dieses Vernichten einer Illusion, dieses Sich-Selbsterfassen der Menschen als Wendepunkt der Weltgeschichte. „Und wir dürfen, wie gezeigt, die religiösen Verhältnisse nur umkehren, das, was die Religion als Mittel setzt, immer als Zweck fassen, was ihr das Untergeordnete, die Nebensache, die Bedingung ist, zur Hauptsache, zur Ursache zu erheben so haben wir die Illusion zerstört und das ungetrübte Licht der Wahrheit vor unseren Augen“. 20. Aus der Umstellung der traditionellen Ursachenverkehrung der Weltentstehung rangiert für Feuerbach die Vernunft vor der Bibel, die Politik vor der Religion, die Erde vor dem Himmel, die Arbeit vor dem Gebet, und vor allem findet die Liebe in der Weltphilosophie ihre Anerkennung. Nur in der Liebe sei das Endliche und Unendliche eins. Die Liebe sei Leidenschaft und nur diese das Wahrzeichen der Existenz. 21. Nur was Objekt der Leidenschaft ist, ist auch, der spekulativen Abstraktion setzt Feuerbach also die Leidenschaft entgegen. Feuerbach fasst es für uns ganz kurz: An die Stelle des Christen ist der Mensch getreten, an die Stelle des gespaltenen, religiös vergifteten Menschen der mit sich einige. Wir können das weiter ausführen, so, dass an die Stelle der Inhumanität Humanität getreten ist. Galt die Religion schon nach der radikalen bürgerlichen Aufklärung für pervers, so kann sie heute für den wissenschaftlich ausgerichteten Menschen nur als ultrapervers bezeichnet werden. Feuerbach bezeichnete die Religion als Gift, der junge Engels in seiner Schrift über ein Buch von Carlyle als Entleerung des Menschen und der Natur von allem Gehalt, Marx als Opium und Lenin als eine Art geistiger Fusel. Vor allem ist die Unredlichkeit des Wunderglaubens herauszustreichen, denn sowohl der philosophische Idealismus als auch der religiöse Glauben müssen irgendwie eine Weltschöpfung unterstellen, bar jeglicher Funktionalität des Ablaufs, bar jeder Möglichkeit der Erklärung, wie Gott die Materie, wie Denken Sein schuf, dieser Zahn fehlt den Ewiggestrigen im bissigen Kampf gegen den wissenschaftlichen Atheismus. „Die materiellen Dinge können aus Gott nur abgeleitet werden, wenn Gott selbst als ein materielles Wesen bestimmt wird “. 22. Religionswissenschaft ist das Unwort unserer Zeit. Die vom Göttlichen durchflutete Welt ist zu einer Welt ohne Gott geworden, das ist der Grundzug der Neuzeit, aber das Hauptargument gegen die Religion kann nicht im historischen Ablösungsprozess, der nur Auswirkung ist, liegen. Ganz zu Recht vermerkt Feuerbach, dass es in der neueren Zeit nur so von tatsächlichen Negationen des Christentums wimmelt. Aber Feuerbach, für den Spinoza der Schlüsselphilosoph im Kampf für den Atheismus ist, er bezeichnet ihn als den Moses der modernen Freigeister und Materialisten, wird sofort wieder trübe, rückfällig mit seinem Satz: „Das Leben ist überhaupt in seinen wesentlichen Zügen durchaus göttlicher Natur … Heilig ist und sei Dir die Freundschaft, heilig das Eigentum, heilig die Ehe, heilig das Wohl des Menschen, aber heilig an und für sich selbst“. 23. Da haben wir es, diese Halbheiten, die auf eine nicht durchtriebene Dialektik hinweisen, eine mangelhafte Dialektik verwässert das Perverse, das es auf den Begriff zu bringen gilt. Atheismus in Reinkultur liegt eben bei Feuerbach nicht vor. Kann noch verwundern, wie das letzte Wort seiner religionskritischen Hauptschrift lautet? Amen.
Die Revolte der Linkshegelianer vollzog sich unter der Fahne ‚Entwicklung des Selbstbewusstseins‘, soviel blieb von Hegel, es blieb die dynamische Seite seiner Philosophie, verquickt mit einer materialistischen Position. Und die bezog Feuerbach am konsequentesten als Guerillakämpfer gegen die Hegelsche Orthodoxie. In der Entwicklung des Linkshegelianismus können wie eine Schwerpunktverlagerung von Entwicklung des Selbstbewusstseins zu der des Materialismus verfolgen, je tiefer sich die Gesellschaft spaltete und die sich bekämpfenden Klassen zum Vorschein kamen und Profil gewannen, desto intensiver wurde der Guerillakrieg der Linkshegelianer gegen das gegebene System, in das sich die Rechtshegelianer einbinden ließen und wohlig eingebunden fühlten. Die Konservativen sind glücklich wie naive Maler; die Linke will sich ein Ohr abschneiden. Dann ergeben sich Allianzen: Fortschritt mit Materialismus und Naturwissenschaften, Reaktion mit Religion und Geisteswissenschaften. Es war der kleine Kopernikus Feuerbach, der Hegel vom Kopf auf die Füße stellte, bevor er vom großen Kopernikus Marx selbst justiert wurde. Die ‚Thesen über Feuerbach‘ sind dazu nur ein Dokument unter anderen. Doch bevor wir auf die Charakterisierung Feuerbachs durch Engels eingehen, haben wir erst noch zu untersuchen, was es mit dem berühmten ‚Auf die Füße-Stellen Hegels‘ auf sich hat: In gewöhnlichen Philosophiegeschichten wird angegeben, dass sich aus dem ‚System Hegel‘ zwei philosophische Schulen ausgefaltet haben. Engels deutet dieses System zugleich als Wurzel auch des Systems von Marx, das einzige, das aus der idealistisch-materialistischen Transformation wirkliche Früchte hervorbrachte. Während die Hegelianer behaupten, Hegel hätte den Geist, dessen Erkenntnis die höchste und schwerste sei, in einer geistfeindlichen Zeit gerettet, hatte Marx die bewusste Dialektik zu einer Zeit gerettet, in der man Hegel in Deutschland als ‚toten Hund‘ behandelte. Die Dialektik Hegels war die wichtigste Frucht der klassischen deutschen Philosophie und die Rettung dieser von Marx seine wichtigste philosophische Tat. Die Weltanschauungen des idealistischen Denkers Hegel und die des materialistischen Berufsrevolutionärs Marx sind aber selbstredend diametral entgegengesetzt. „Das Absolute ist der Geist, diß ist die höchste Definition des Absoluten“. Von der Größe und Macht des Geistes könne der Mensch nicht groß genug denken. Und: „Der Satz, dass das Endliche ideell ist, macht den Idealismus aus“, so steht es in Hegels Logik, heißt, das Weltliche ist das sich Negierende, Sekundäre, Philosophie beginne dort, wo der Geist sich auf sich selbst bezieht, bei sich ist, dann ist er frei – und Feuerbach, für den entgegengesetzt die Wahrheit des Unendlichen das Endliche ist, „ … so ist ja in Wahrheit das Endliche das Unendliche“ 24., hatte als Grundgehalt der idealistischen Philosophie ganz richtig ausgemacht, dass das Reich der Idealisten nicht von dieser Welt sei. Den Schlüsselsatz gegen Hegel finden wir am Ende von Feuerbachs Grundsätzen der Philosophie der Zukunft: „ … nur wo das Denken nicht Subjekt für sich selbst ist, sondern Prädikat eines wirklichen Wesens ist, nur da ist auch der Gegenstand nicht vom Sein getrennt “. 25. Aus dieser Überlegung heraus ergab sich für ihn ein kategorischer Imperativ: „Wolle nicht Philosoph sein im Unterschied vom Menschen; sei nichts weiter als ein denkender Mensch; denke nicht als Denker, d.h. in einer aus der Totalität des wirklichen Menschenwesens herausgerissenen und für sich isolierten Fakultät; denke als lebendiges, wirkliches Wesen, als welches du den belebenden und erfrischenden Wogen des Weltmeeres ausgesetzt bist; denke in der Existenz , in der Welt als ein Mitglied derselben, nicht im Vakuum der Abstraktion, als eine vereinzelte Monade, als ein absoluter Monarch, als ein teilnahmsloser, außerweltlicher Gott – dann kannst Du darauf rechnen, daß deine Gedanken Einheiten sind von Sein und Denken“. 26. Für Feuerbach ist die Natur die Basis des Menschen und die neue Philosophie macht diesen zum universalen und höchsten Gegenstand der Philosophie, sie macht die Anthropologie zur Universalwissenschaft.
Hegel, den schon Feuerbach als Philosoph der sinnlichen Gewissheit auf den Kopf gestellt hat mit der Order an die materialistischen Philosophen, das Endliche als das Unendliche zu erkennen, bekannt bzw. bekannter ist das Umwenden von Marx, drückt sein Denken selbst ganz richtig aus in dem Satz: „Das Denken, als dies für sich selbst seiende Allgemeine ist das Unsterbliche“. 27. In der ‚Deutschen Ideologie‘ steht der Satz, dass die Philosophie sich zur Wirklichkeit verhalte, wie die Onanie zum Geschlechtsverkehr. Diesen Gedanken hatte auch Feuerbach: Hegels Geist ist inzestuös, denn die Welt kann nicht nur etwas Gedachtes sein und der Beweis, dass etwas nicht nur Gedachtes ist, kann nicht aus dem Denken allein stammen. Wenn zu einem Objekt des Denkens Materielles hinzukommt, so ist dieses Hinzukommende nicht nur Gedachtes. Das philosophische Sein, „reines Sein“ Hegels ist ein Gespenst, das absolut im Widerspruch steht mit dem wirklichen Sein und dem, was der Mensch unter Sein versteht. Dass Hegels Geist inzestuös ist, demonstriert Feuerbach so am Anfang der Logik Hegels, er beginnt mit seinem ‚reinen Sein‘ gegen die sinnliche Realität, gegen den Verstand der Wirklichkeit, ohne diesen Widerspruch aufzulösen, kurz: Das reine Sein erweise sich selbst als rein, beweise sich selbst als wahr, zum Beweisen gehören aber zwei; Hegels reines Sein, sein Geist insgesamt also seien inzestuös, zum Beweisen gehören zwei, im sexuellen Verkehr zwischen Ich und Du als dem elementarsten Erlebnis, in der Begattung erst realisiert sich Gattung, wird Ich Du, Du Ich. Ich = Du, spätestens an dieser Stelle lastet dem Philosophieren Feuerbachs etwas Holzschnittartiges an, weit unter Fichtes Nicht-Ich liegend, im Vergleich zu Hegel eine Verflachung, als finge man wieder mit den Fingern an zu zählen. Und als Philosoph der sinnlichen Gewissheit wirft Feuerbach den Theologen und spekulativen Philosophen Unehrlichkeit und Unredlichkeit vor. Sie machen aus Nichts etwas und so gilt ihnen dann auch das Etwas als Nichts. Dieses In-Einander-Haften, mehr noch In-Einander-Kehren der Begriffe, unterbricht Feuerbach. Auch Maos In-Einander-Kehren von Basis und Überbau muss insofern unterbrochen werden, dass nicht der Überbau die Basis in fundamental-idealistischer Weise bestimmen kann. Der Idealismus gilt Feuerbach für blutarm. Die verschrobene blasse Abstraktion blieb beim absoluten Idealisten Hegel für ihn ohne Erfüllung, da zum Denken ursprünglich zwei gehören, das Du reziprok als Objektivität. Die Dialektik, sagt Feuerbach, ist kein Monolog der Spekulation mit sich selbst, sondern ein Dialog der Spekulation und Empirie, also so stellt er die Sache dar: Der Dialektiker hat sein eigner Gegner zu sein, er muss die Konfrontation mit er Realität aushalten, die Schale der Begriffsphilosophie zu durchbrechen, er hat dem reinen Sein der Logik nicht ein reines Nichts der Logik entgegenzusetzen und somit im Sich-Selbst-Denken des Geistes zu bleiben, sondern das sinnliche konkrete Sein, das das reine leugnet. Und so gelangt Feuerbach zu der Aussage, dass die neueren Philosophen mit Ausnahme von Descartes nicht mit dem Mut des Selbstzweifels begannen, mit sich nur begannen und nicht mit ihrem Gegenteil. Der Gedanke, in dem sich Ich und Du vereinigen, ist erst ein wahrer. Das ist eine Art Credo Feuerbachs. Er verhält sich komplementär zu Descartes, dem Entdecker des Ichs, er fügt das Du hinzu und gelangt auf dieser Sparflamme zu einer Vorahnung von der Gattung, von der Wissenschaft als kollektiver Prozess, vom Kollektiv, vom Kommunismus. Das Ich-Du-Verhältnis hat etwas Armes und Schwaches an sich und unter den Giganten Hegel und Marx, wird Feuerbach fast erdrückt und zwischen dem Weltgeist und dem Weltkommunismus fast aufgerieben. Es bleibt Feuerbach ein anarchistischer Impuls, denn das Du und das Ich soll ohne Institutionen oder mit möglichst geringen auskommen. Nicht nur in der Frage der Weltanschauung, sondern auch in der Staatsfrage, die sich aus jener ergibt, steht Feuerbach in einem eklatanten Gegensatz zu seinem einstigen philosophischen Idol, das in seiner intellektuellen Entwicklung mehr und mehr zum Staatstreuen verkam. Unter den bürgerlichen Ideologien, die allesamt staatsfixiert und inhuman sind, glimmt Feuerbachs Philosophie nur schwach empor, sie ist heute eine Angelegenheit von Fachphilosophen, die auch sexuelle Liebe zwischen zwei Menschen liegt heute in der Gosse der Straße der Weltphilosophie. Das ist ein trauriges Schicksal, der Komplex Hegel-Marx ist natürlich essentiell, wir wollen in unserer schnelllebigen Zeit das Essentielle rasch greifbar, übersichtlich, leicht handhabbar, aber wir würden durch die Hinzunahme des Mittelgliedes Feuerbach gewinnen und reicher sein.
Es ist innerhalb des Hegelschen Systems nur konsequent, dass Hegel in seiner Geschichte der Philosophie den materialistischen Philosophen Demokrit und den Atheisten Epikur halbschattig ‚abhandelt‘, letzteren lässt Hegel von der philosophischen Qualität her durchfallen, seine Atomistik sei das Langweiligste, das sich denken lässt, während Marx sie lobend hervorhebt, und den französischen Materialismus als eigenständige philosophische Position ausschließt, ihn einem ‚Kult des Geistes‘ opfert, er lässt ihn nicht als Philosophie gelten. Und genau auf diesen Materialismus mit seiner Religionskritik, der ideologisch half, 1789 vorzubereiten, wenigstens mechanisch, und zwar so mechanisch, dass Hegel in seiner Geschichtsphilosophie noch behaupten konnte, diese Revolution sei ein reines Kopfprodukt 28., sei also nicht aus menschlichen Bedürfnissen hervorgebracht, sah sich die Masse der entschiedenen Junghegelianer des Vormärz in ihrem Kampf gegen die feudale Reaktion und in der Vorbereitung der bürgerlichen Revolution in Deutschland zurückgeworfen. 29. In diesen Kontext gehören auch Marx und Engels. Letzterer schrieb 1843, dass die Junghegelianer von 1842 erklärte Atheisten und Republikaner waren. 30. Die Trennung von Hegel lässt sie nicht wie auch die Junghegelianer nicht ins ideologisch Bodenlose fallen, sondern geht einher mit dem Überlaufen auf die diametral entgegengesetzte Richtung der Geschichte der Philosophie, die ja nichts als eine Lagerspaltung in je eine idealistische und materialistische Grundposition als sich gegenseitig negierende ist. Ist die Natur dem Geist gegenüber oder ist der Geist der Natur gegenüber das Primäre, ist also die Natur das Kind eines vorher schwangeren, mit einem Mutterbauch ausgestatteten Geistes, bei Hegel sogar eines Weltgeistes, diese Frage nach dem Verhältnis des Geistes zur Natur ist die höchste Frage der gesamten Philosophie und je nach Antwort spalteten sich über die Epochen hinweg die Philosophen in zwei große Lager, von denen eins bis heute nicht erklären kann, wie Geist Materie werden kann? Der irre Idealismus ist aber primär nicht aus subjektiver Unzulänglichkeit von Intellektuellen, aus kranken Gehirnen zu erklären, sondern aus epochal spezifischen Klassengesellschaften, in denen die große Mehrheit des Volkes darbte und darbt. Das soziale Elend stellt den Nährboden für Obskurantismus, Pfaffentum, Hoffnung auf einen Lottogewinn, wobei den Armen noch mehr Geld aus der Tasche gezogen wird, und Verdummung dar. Das hatte Feuerbach durchaus gesehen. Die Geschichte der Philosophie ist durchgängig die Geschichte dieser permanenten Lagerspaltung und es ist hier zunächst nur zu konstatieren, dass alle Vorbereiter der 48er Revolution als Idealisten Hegelscher Prägung begannen, auch Marx und Engels. Hegel war ein objektiver Idealist, der einzelne Philosoph tritt hinter der Sache zurück; eine Meinung ist lediglich mein. Bakunin schrieb 1842: ‚Vertrauen wir dem Ewigen Geist‘. Er hinkte ideologisch weit hinter Marx zurück, der im Frühjahr 1843 in der 11. Feuerbachthese nicht nur die Philosophie, die Hegel in einer Pseudowelt hatte wuchern lassen, aus dem Himmel zur Erde zurückgeholt hatte, hierin Feuerbach folgend, sondern auf die Umwälzung irdischer Verhältnisse verpflichtete, hierin über Feuerbach hinausgehend. Die 48er Revolution ist von Überläufern vorangetrieben worden, und darin liegt auch ein Grund ihres Scheiterns, viele Revoluzzer fielen in alte Gesinnungen zurück, Feuerbach hielt während der Revolution Vorlesungen im Frankfurter Rathaussaal über das Wesen der Religion, und nur Marx, Engels und Dietzgen der Ältere erarbeiteten sich eine dialektisch-materialistische Grundposition. Im ‚Anti-Dühring‘ spricht Engels davon, dass Marx und er wohl ziemlich die einzigen waren, „die aus der deutschen idealistischen Philosophie die bewußte Dialektik in die materialistische Auffassung der Natur und Geschichte hinübergerettet hatten“. 31.
Doch es ist Zeit, sich der fundamentalen Transformation des Idealismus in den Materialismus und der einen Dialektik in die andere zuzuwenden. Weltanschaulich führten nur Marx und Engels den Materialismus wirklich konsequent durch, Marx sah den Grundfehler von Feuerbach immer nur darin, nicht konsequent materialistisch in seinem Denken gewesen zu sein. Engels bestimmt das Wesen des Materialismus als Auffassung der Welt – Natur und Geschichte – „wie sie sich selbst einem jedem gibt, der ohne vorgefasste idealistische Schrullen an sie herantritt; man entschloss sich, jede idealistische Schrulle unbarmherzig zum Opfer zu bringen, die sich mit dem in ihrem eignen Zusammenhang, und in keinem phantastischen, aufgefaßten Tatsachen nicht in Einklang bringen ließ. Und weiter heißt Materialismus überhaupt nichts“. 32. Zum ersten Mal habe Marx mit dem Materialismus auf jedem Gebiet Ernst gemacht, wobei der Ausdruck ‚Schrulle‘ von Engels bemerkenswert ist. Sowohl für Hegel als auch für Marx ist methodologisch die Dialektik eine Prozesswissenschaft, für Hegel ist sie ausschließlich eine Begriffsdialektik, eine Wissenschaft der gesetzmäßigen Entwicklung der Vernunft in der Zeit, da er der Natur keine Entfaltung in der Zeit zuspricht, kein Nacheinander, sondern nur einer Auslegung im Raum, einem Nebeneinander. Für Marx ist die Dialektik die Wissenschaft von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der menschlichen Gesellschaft und des Denkens, um hier mal die klassische Formulierung von Engels aus dem Anti-Dühring zu bemühen. 33. Nicht nur Engels, auch Lenin gibt uns eine Bestimmung der Dialektik: „Die Dialektik kann kurz als die Lehre von der Einheit der Gegensätze bestimmt werden. Damit wird der Kern der Dialektik erfasst sein, aber das muß erläutert und weiterentwickelt werden“. 34. Natur, Gesellschaft, Denken sind Naturprozesse. Dagegen befindet sich der folgende Gedankengang nicht bei Engels, scheint mir aber als eine kurze Ergänzung, die mit dem Hinweis auf Stalin endet, angebracht. Während Hegel aber die Weltgeschichte als dialektische Entfaltung nur einer einzigen Weltvernunft sieht, er fragt nicht, wie entfaltet sich die Vernunft in der Geschichte, sondern wie entfaltet sie sich als Geschichte, sie entfaltet sich über Völker mit einer Jünglings- Mannes- und Greisenphase, wobei der letzte Übergang sehr fließend ist, leugnet Marx eine durchgängige eintönige dialektische Gesetzmäßigkeit, an Stelle der drei Lebensalter setzt er fünf verschiedene Gesellschaftsformationen, die den Übergang von einem anthropologischen Ansatz zu einem ökonomischen markieren: Die Urgesellschaft, die Sklaverei, der Feudalismus, der Kapitalismus und der Sozialismus, wobei zu betonen ist, dass jede ökonomische Gesellschaftsformation ihre je eigene innere Gesetzmäßigkeit aufweist, die durch eine unterschiedliche Spezifik des Verhältnisses sich ständig ändernder Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse mit einer jeweils epochenspezifischen Arbeitsorganisation durch die Produktionsmittel, ihrerseits bedingt durch die Entwicklungsstufe der Arbeit und der Familie, ist. Mit der Auflösung der Geschlechtsverbände durch das Aufkommen der Klassengesellschaften, mit den sich wandelnden Produktionsverhältnissen und der mit ihr verknüpften Vertiefung wissenschaftlicher Forschung über diesen Wandel, ist eine qualitativ andere Widerspiegelung der Prozesse gegeben, deren Gehalt im Übergang von Gottvaterbildern der ersten Sklavenhaltergesellschaften zum Kommunismus immer objektivere Formen annimmt. Bezeichnend ist eine Festschreibung von Marx und Engels in der ‚Heiligen Familie‘: „Es handelt sich nicht darum, was … das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird“. 35. Der Platz für historisch herausragende Personen wird immer enger und Nietzsche sah mit dem Sozialismus das Ende der großen Geschichtsmänner kommen. Der Personenkult widerlegt ihn. Der Personenkult ist unvereinbar mit einer Epoche, in der große Massen, ganze Völker und in jedem Volk wieder ganze Volksklassen Geschichte schreiben „zu dauernder, in einer großen geschichtlichen Veränderung auslaufender Aktion“. 36. Es gibt zum Beispiel kein sich stets gleichbleibendes Bevölkerungsgesetz. 1865 kritisierte Marx Weston, der sowohl den Betrag der nationalen Produktion als auch den Reallohnbetrag zu konstanten Größen fixierte, während in Wirklichkeit fortwährender Wechsel vorliegt. Wie Stalin sagt, und damit kommen wir zum Ende der kurzen Ergänzung: „Alles hängt ab von den Bedingungen, von Raum und Zeit“. 37.
Die Literatur über das Verhältnis der Hegelschen Dialektik zur Marxschen füllt heute ganze Bibliotheken und wir tun gut daran, uns davon nicht einschüchtern zu lassen, sondern unsere ganze Aufmerksamkeit zunächst auf zwei Passagen im Gesamtwerk beider zu konzentrieren. Ohne Zweifel ist das von Marx verfasste Nachwort zur zweiten Auflage des ‚Kapitals‘ vom 24. Januar 1873 äußerst aufschlussreich, nicht minder gewichtig ist die Ausführung von Engels im vierten Kapitel seiner Studie über Feuerbach aus dem Jahr 1886: Hegel, sagt Engels, gegen Feuerbach gerichtet, wurde nicht einfach beiseitegelegt, „man knüpfte im Gegenteil an an seine oben entwickelte revolutionäre Seite, an die dialektische Methode, aber diese Methode war in der Hegelschen Form unbrauchbar“. 38. Ohne Zweifel ein Schlüsselsatz: DIE DIALEKTIK HEGELS WAR FÜR MARX UNBRAUCHBAR. Das Proletariat kann eine Dialektik nicht gebrauchen, die politisch auf die ständische Monarchie der damaligen Zeit hinauslief. Immer wieder versuchen revisionistische Ideologen, mit einer idealistischen Dialektik den Marxschen Materialismus aufzuweichen. Wir müssen zuallererst diese Abgrenzung ganz markant ziehen, ohne zu übersehen, dass es sich bei einer dialektischen Negation mit der klaren Grenzziehung, wie sie soeben von Engels vorgenommen wurde, nicht um eine Totalabweisung und Vernichtung handeln kann, sondern die Negation der Hegelschen Dialektik durch Engels ist eine bestimmte. Die Negation enthält eine Entwicklung, nicht so bei den Metaphysikern, für die diese kein Kampf der Gegensätze ist. Und da stellt Marx heraus, dass Hegel die allgemeinen Bewegungsformen der Dialektik: Die Einheit und den Kampf der Gegensätze, den Umschlag von Quantität in Qualität und die Negation der Negation, zuerst in umfassender und bewusster Weise dargestellt habe. Es gebe in der mystischen Hülle des Idealismus einen rationellen Kern. 39. Hegels irrationelle Dialektik, also mit unterdrücktem revolutionärem Kern, legitimiert das Bestehende; in ihrer rationellen Gestalt, mit entpupptem Kern, delegitimiert sie es. In der Einheit und dem Kampf der Gegensätze erfolgt der Umschlag von Quantität in Qualität als einer von Extremen in ihr Gegenteil, eine entscheidende Wendung, und in beiden Bewegungen liegt bereits die Bewegung in sich gedoppelter Negation vor. Das muss ganz deutlich sein, von einem Extrem ins andere. Das ist nicht typisch deutsch, sondern ein Weltgesetz, dialektisches Denken einigt sich nicht in der Mitte, auf etwas, was der Engländer im politischen Sinn ‚Middle of the Road Government‘ nennt. Und der Umschlag erfolgt plötzlich, in Hegels erster umfassender Darbietung seines Verständnisses von Dialektik in der ‚Phänomenologie‘ fehlt das Wort ‚Blitz‘ nicht. Blitz ist aber mehr ein Reflex der französischen Revolution als der einer proletarischen, die zwar auch an einem bestimmten Punkt die blitzartige Entladung von Klassenwut in ihrer totalen Brutalität aufweist, aber erst nach einer längeren Periode der Kampfqual und ständiger Selbstkritik, Marx spricht davon, dass diese Revolution sich selbst ständige verhöhnt. Es sei mir erlaubt, zunächst das Verhältnis von Hegel und Marx in seinem dialektischen Zusammenhang zu entfalten: Der Wissenschaftler und Forscher Marx war zunächst Hegelianer, er war identisch mit Hegel als Idealist, nichtidentisch als ein anderer als Hegel, der 48 Jahre alt war, als Marx geboren wurde. Aus einer platten Identität hätte sich nichts ergeben. Hegel und Marx waren keine geistig eineiigen Zwillinge, durch seine fortgesetzten Forschungen hatten sich quantitativ Material und Erkenntnisresultate angesammelt, die zu einem Negation enthaltenen qualitativen Sprung führten aus dem Lager des Idealismus in das des Materialismus. Die Einheit mit Hegel war gesprengt und beide standen sich jetzt sogar in einer gegenseitigen Negation entgegen. Die Negation des Materialismus war bei Marx umgeschlagen in eine des Idealismus, Hegel hatte als dialektischer Idealist den mechanischen Materialismus negiert, Marx negierte jetzt als dialektischer Materialist den Idealismus Hegels. War Hegel dem alten Materialismus durch seine Methode überlegen, so war er Marx weltanschaulich und methodisch unterlegen. Man sieht zugleich, wie unmöglich es ist, vom mechanischen Materialismus auf rein materialistischer Bahn zum modernen Materialismus zu kommen. In der ersten These über Feuerbach wird das ausgedrückt. Soviel ist wahr am Gegensatz zwischen Idealismus und Materialismus, dass die Dialektik Hegels ihre Physiognomie hat, die Dialektik von Marx die ihrige, dass sie aber auf den ersten Blick als Zwillinge erscheinen können. Hegels Zeitdiagnose ist nicht falsch, aber seine Lösung, im Inneren ist seine Methode stumpf: Bei allem Reichtum, sagt er, den die bürgerliche Gesellschaft erzeugt, sei die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug, die Armut des Pöbels zu steuern. Dem ist nicht zu widersprechen, dem insbesondere in Deutschland aus dem Spießbürgertum stammenden, dem Kapital hörigen Politiker haftet die Gebrechlichkeit eines Kretins an, wenn er neben dem ‚Großen Steuermann Mao‘ steht. Aber Hegels Lösung der sozialen Frage ist falsch: Kolonialismus. Nein, revolutionäre Dialektik hat sich im Inneren Deutschlands gegen die nicht zahlreichen Elemente der „Schmarotzertiere“, ein Ausdruck von Engels, zu kehren.
Was dieser als unbrauchbar bezeichnete, ist also nicht der rationelle Kern, sondern die mystische Hülle und diese Unterscheidung gilt es zu beachten. Die Dialektik steckte im philosophischen Weben Hegels umschlossen durch einen ewigen Begriff, der die eigentliche bestehende lebendige Seele der ganzen bestehenden Welt ausmacht, und diese Seele galt es zu vernichten, wie sie in der Religion zu vernichten war. Das scheint mir der Grundwiderspruch der Hegelschen Philosophie zu sein, sie bleibt letztendlich eine theologische und seine theologische Dialektik, die die Religion stützt, birgt in sich die richtige Widerspiegelung des dynamischen Weltprozesses. Diesen ewigen Begriff lässt Hegel nun verschiedene Entwicklungsstufen durchmachen, bis sich der Kreis schließt und der Begriff zu sich selbst zurückkehrt. In seiner Selbstentwicklung zu sich selbst durchläuft er die sich in seiner Immanenz befindlichen Stufen der Logik, geht aus der begrifflichen Immanenz in die Natur über, ein Verwandlungsprozess in die Natur, hier figuriert er ohne Bewusstsein seiner selbst als in sich kreisende Naturnotwendigkeit, bis er im Menschen zu sich kommt und wieder Selbstbewusstsein aufweist, das sich nun wiederum begrifflich in der Geschichte aufwärts entwickelt und im philosophischen System Hegels in seiner Totalität krönend zu sich selbst kommt, also in der Philosophie, die daher für Hegel die höchste Stufe der Wissenschaft darstellt. Die Wanderung der Weltseele durch die Natur und durch die Geschichte als sich dialektisch entfaltende Weltseele ist nach Engels nur der „Abklatsch“ begrifflicher Selbstbewegung, wobei der Ausdruck „Abklatsch“ bemerkenswert ist, gebräuchlich ist im marxistischen Jargon der Ausdruck ‚Abbild‘. Hegels Philosophie ist der Abklatsch einer eingebildeten absoluten Idee. Es liegt aber keineswegs eine reine willkürliche Erfindung einer Seelenkonstruktion bzw. bloße Fantasie des großen idealistischen Hegelschen Kopfes vor. Was uns Hegel darlegt ist schon weitgehend gedanklich und begrifflich die Gesetzmäßigkeit realer Weltentwicklung, diese sei aber nur ein Abklatsch. Die Welt als Abklatsch eines nicht zu verortenden absoluten ideellen Prozesses. Damit war also Hegel aufgetreten in der Meinung, die finale Frage der Weltphilosophie gelöst zu haben, religionsphilosophisch ausgedrückt: Nicht mehr Gott erlöst den Menschen, Hegel, der den Weltprozess zu Ende gedacht zu haben vorgibt, erlöst Gott, indem dieser erst durch seine vollendete Religionsphilosophie zum endgültigen Begreifen seiner selbst kommt. Gott hätte sich ohne Hegel nicht zu Ende denken können, das ist der wohl devoteste und dominanteste Satz der Religionsphilosophie, in der christlichen Theologie war Gott immer durch seinen Sohn schon zu Ende gedacht, endliche Wesen fügten nichts mehr hinzu. Etwas Atheistisches liegt hierin, dass Gott ohne menschliche Philosophie unvollkommen bleibe, es klingt an, dass Gott letztendlich doch wohl ein Produkt des Menschen sein könnte. 40. Jetzt schließt erst Hegel den Kreis im Kreisen der Philosophie um ihre eigene Weltachse. Die Endgestik im Denken Hegels war die Abrundung, das Kreisen in sich, sie war nicht primär die Wiederholung von Prozesskonstellationen auf höherer Stufe. Wie reagiert der junge Marx in seiner Auseinandersetzung mit Hegel darauf? In seiner Dissertation über Demokrit und Epikur steht der zukunftsschwangere Satz über das Schicksal der Philosophie: „Was innerliches Licht war, wird zur verzehrenden Flamme“. 41. Und wie reagiert der alte Engels 1886 auf Hegels seinem Idealismus geschuldeten Finalismus? Nüchtern stellt Engels über Hegels Verkehrung des Primats von Denken und Sein fest: Die „ideologische Verkehrung galt es zu beseitigen. Wir faßten die Begriffe unseres Kopfs wieder materialistisch als die Abbilder der wirklichen Dinge, statt die wirklichen Dinge als Abbilder dieser oder jener Stufe des absoluten Begriffes“. 42. Die in der äußeren Welt (Geschichte der Natur und Geschichte der menschlichen Gesellschaft) wirkenden Bewegungsgesetze wie die im menschlichen Denken bilden nur zwei Reihen von Gesetzen. Engels führt aus, dass in der Umkehr der ideologischen Verkehrung, Hegel vom Kopf auf die Füße zu stellen, eine Reduzierung der Dialektik vorliege. Die Dialektik reduziere sich auf zwei Reihen von Gesetzen, den bewusstlosen Welt- und den bewussten Denkgesetzen, zwischen denen also Identität und Nicht-Identität besteht. In der Natur wirken durch die Wirrnisse ständiger Umwandlungen hindurch dieselben einfachen und allgemeingültigen dialektischen Bewegungsgesetze wie in den Wirrnissen der Geschichte und wie in der irrtumsbegleitenden Entwicklungsgeschichte des menschlichen Denkens. Obwohl die Bewegungsgesetze einfach aufzufassen sind, ist das dialektische Denken doch die höchste Form des menschlichen Denkens, denn diese durchdringen sich wechselseitig prozessual, sie sind also zugleich ineinander und auseinander zu denken, das macht die Schwierigkeit aus. Kurz: Nicht in jedem Buch, auf dem Dialektik steht, ist auch Dialektik drin. 43. Erst durch die marxistische Kritik an Hegel datiert Philosophie als Wissenschaft. Hegel beanspruchte das auch, die wissenschaftliche Begründung der Philosophie, hatte aber die Substanz der Philosophie einseitig-idealistisch als Geist gefasst und diesen ins Unendliche auswuchern lassen. Feuerbach wiederum, führt Engels aus, wusste mit der Dialektik nicht rechtes anzufangen, auf die eben skizzierten Residuen der Dialektik findet sich in seinen ‚Grundsätzen der Philosophie der Zukunft‘ nicht einmal eine Andeutung, geschweige denn ein Hinweis.
Es ist erstens also zunächst festzustellen, dass der Niedergang der klassischen deutschen Philosophie und der Aufstieg des Marxismus qualitativ einhergehen mit einem fundamentalen weltanschaulichen Bedeutungswandel von der Dominanz des Idealismus zu der des Materialismus und einer Umgestaltung der Dialektik aus einer idealistisch verbrämten zu einer materialistisch fundierten, dass zweitens dieser Umschlag von einer bürgerlichen Hegeldialektik, die das Bestehende gelten lässt und sanktioniert, zu einer proletarisch- kritischen und revolutionären, zugleich eine Reduzierung des generellen Bedeutungsgehaltes der Dialektik einschließt. Im Marxismus reduziert sich der Bedeutungsgehalt der Dialektik auf die Untersuchung von Denkprozessen, auf die Gesetze der formalen Logik, etwa der Kausalität, und die des dialektischen Denkens, der in ihr zu entwickelnden Wechselwirkung, selbst mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust der Natur- und der Geschichtsphilosophie, da beide Wissenschaftsreihen, die Natur- und die Geisteswissenschaften, durch ihre internen wissenschaftlichen Fortschritte Lücke auf Lücke schließen und keine überbrückende Hilfe von außen durch eine philosophische Mutterdisziplin, durch eine alle anderen Disziplinen zusammenfassende Wissenschaftswissenschaft mehr brauchen. 1841 bezeichnet Feuerbach die Philosophie als die Mutter der Wissenschaften, sie bleibt dies bis an sein Lebensende, so sehr er die Philosophen auf die Bedeutung der handfesten Empirie aufmerksam macht. Zwar nimmt er der Philosophie, die sich zu den empirischen Wissenschaften auf vornehme Distanz hält, die sich als superdelikate Persönlichkeit aufspielt, in gewisser Weise den Heiligenschein, diese irre sich, wenn sie allein in sich ihre Würde finden und nicht zur Empirie herabsteigen will. Das sind Gedanken, die andeuten, dass es außerhalb der Philosophie die Geschichte bewegende Kräfte gibt, für Engels waren diese 1886 die Fortschritte der Industrie und der Naturwissenschaften. In der ‚Deutschen Ideologie‘ hatten Marx und Engels bereits ausgeführt, dass die bisherige selbständige Philosophie mit der Darstellung der Wirklichkeit ihr Existenzmedium verliere. Dort wurde als Ersatzaufgabe der Philosophie noch grob gemeißelt angegeben: Zusammenfassung der allgemeinsten Resultate, die sich aus der Betrachtung der historischen Entwicklung der Menschen abstrahieren lassen. 44. Die Philosophie war bisher eine Ergänzungs- ja Abrundungsdisziplin für die ihr angeblich untergeordneten und lückenhaften wissenschaftlichen Disziplinen, dabei hatte sie geniale Vorahnungen bei den Lückenschließungen; brachte aber auch viel Unsinn in den offenen Stellen hervor bzw. hinein. Noch bei den Enzyklopädisten um Denis Diderot wird das recht deutlich. Da man die mechanischen Künste bisher weitgehend verachtet hatte, weiß man mitunter wenig über ihren Ursprung. Hier müsse man, sagt Diderot zum Beispiel im Enzyklopädie-Artikel ‚Kunst‘ wörtlich, seine Zuflucht zur philosophischen Vermutung nehmen, „von irgendeiner wahrscheinlichen Hypothese, von irgendeinem zufälligen ersten Ereignis ausgehen und bis zu dem Punkt vordringen, den die Kunst in ihrer Entwicklung erreicht hat“. 45. Das ist vage genug. Mit Zunahme des eigenen wissenschaftlichen Gehaltes der Natur- und der Geschichtswissenschaften indessen, die ihre Zusammenhänge intern und untereinander dialektisch erfassen, erübrigt sich mehr und mehr eine philosophisch-dialektische Zusammenschau. „Für die aus Natur und Geschichte vertriebne Philosophie bleibt dann nur noch das Reich des reinen Gedankens, soweit es noch übrig: die Lehre von den Gesetzen des Denkprozesses selbst, die Logik und die Dialektik“. 46. 1854 hatte der Philologe August Boeckh die für ihn düstere Vorahnung, dass das Licht der Philosophie bald ausgelöscht sein wird, 1887 sieht Nietzsche in seiner Schrift ‚Jenseits von Gut und Böse‘ die Philosophie in ihren letzten Zügen. Und fürwahr: Obsolet geworden ist das ‚System der Natur‘ des mechanischen Materialisten Holbach aus dem 18. Jahrhundert, von vornherein obsolet bzw. reaktionär sind aber zugleich jegliche Versuche naturphilosophischer Konstruktionen (neuer ‚Systeme der Natur‘). „Es kommt überall nicht mehr darauf an, Zusammenhänge im Kopf auszudenken, sondern sie in den Tatsachen zu entdecken“. 47. Und drittens ist auf den Unterschied zwischen der Naturdialektik und der Dialektik in der Geschichte und in der Gesellschaft hinzuweisen: In der Natur, diese rein für sich, ohne menschliche Rückwirkungen auf sie betrachtet, geschieht alles bewusstlos, in der Geschichte und Gesellschaft handeln die Menschen mit Bewusstsein. Das hat auch Hegel gewusst, und mit seiner eigenartig idealistischen Behandlung dieses Unterschiedes können wir dann auch den Hegelkomplex abrunden.
Hegel sagt, der Satz, dass das Endliche ideell ist, mache den Idealismus aus, d. h. der Idealist geht darüber hinaus, dass das Endliche endlich ist. Für den Materialisten ist das Endliche endlich, oder um den Jargon Hegels zu verlassen, für den Materialisten gehören wir mit Fleisch und Blut und Hirn der Natur (dem Endlichen) an und stehen mitten in ihr. 48. Für den Idealisten Hegel gibt es nun neben der Natur noch einen essentielleren Bereich, in dem eine unabhängig von jedem menschlichen Gehirn vor sich gehende Selbstbewegung des Begriffes bzw. die einer absoluten Idee stattfindet. Durch diese unsinnige, der Religion geschuldeten Verdopplung der Welt, sieht Hegel in den elementarsten Dingen nicht klar, er meint: Wir haben zwar auch Alltagsbegriffe im Kopf, es gibt aber noch einen höheren Begriff, der als sich entlassene Begriffskette durch den Kopf des logisch-dialektisch denkenden Weltphilosophen hindurchgeht, sich in der Logik Hegels lesend nachvollziehbar für die ganze Menschheit ausdrückt, dann aus dem Kopf des Philosophen wieder zu sich zurückkehrt. „Diese ideologische Verkehrung galt es zu beseitigen. Wir faßten die Begriffe unsres Kopfs wieder materialistisch als die Abbilder der wirklichen Dinge, statt die wirklichen Dinge als Abbilder dieser oder jener Stufe des absoluten Begriffes“. 49. So gibt es kein Drittes mehr, das Hegelsche Absolute fällt ganz weg, im Vergleich zur idealistischen Dialektik stellt also die materialistische eine Reduktion dar: Es gibt, wie es oben schon gesagt wurde, nur zwei Reihen von dialektischen Entwicklungen, zwei Reihen von allgemeinen Gesetzen der Bewegung, die in der Natur und die im menschlichen Denken. Wenn aber erst durch den Menschen diese allgemeinen Gesetze zum Bewusstsein kommen, so blieben diese in der bisherigen Naturgeschichte ganz unbewusst als äußere Notwendigkeit, denn der Mensch ist ein Spätprodukt der Natur, legt man die Geschichte der Natur um auf die Dauer eines Tages, so hat die menschliche Natur gerade zwei Sekunden zu beanspruchen, und der zunächst gewöhnlich (‚gewöhnlich‘ ist der Ausdruck Hegels, mit dem er das noch vor seiner dialektischen Entfaltung stehende Bewusstsein belegt) denkende, dann, mehr entwickelt, dialektisch denkende Mensch ist es noch mehr. Durch Umwendung der ideologisch-idealistischen Verkehrung, der Entthronung von zwei Sekunden durch 23 Stunden, 59 Minuten und 58 Sekunden, erweist sich die Begriffsdialektik als bewusster Reflex der dialektischen Bewegung der wirklichen Welt. Auch rein quantitativ betrachtet, sehen wir, welche ungeheure Perversion die Idealisten mit dem Menschengeschlecht treiben. Im Ausdruck ‚Reflex‘ – die Dialektik im Kopf als Reflex realer dialektischer Weltbewegung – liegt meines Erachtens die prägnanteste Greifbarkeit des Vorgangs, der als Auf-die-Füße-Stellen-Hegels sowohl in die Geschichte der Philosophie als auch in die Geschichte der Gesellschaftswissenschaften eingegangen ist. Der Idealist Hegel wird vom Kopf auf die Füße gestellt, d. h. die angeblich höhere Begriffsdialektik göttlichen Ursprungs wird entlarvt als bewusster (rein menschlicher) Reflex dialektischer Weltbewegung. Hegel geht dann aufrecht, als atheistischer Materialist, und in der Tat brüten ja heute noch die Hegelianer über die Frage nach, ob nicht Hegel im Geheimen ein Atheist gewesen sei. Zugleich ist aber auch das System Hegels nur ein „nach Methode und Inhalt idealistisch auf den Kopf gestellter Materialismus“. 50. Das liegt auf der Hand, so sehr zumal, weil Hegel selbst sagt: ‚Das Empirische, in seiner Synthesis aufgefasst, ist der spekulative Begriff‘. Was Hegel nicht begriff, war, dass in seinem System objektive Wirklichkeit subjektiv-philosophisch widergespiegelt wird, Hegel macht sich nicht zum Medium der richtigen Widerspiegelung weltlicher Wirklichkeit, und eine andere gibt es nicht, er macht sich zum Medium einer von ihm selbst eingebildeten Superstition, mag auch jedes dritte Wort das Wort ‚Vernunft‘ sein und eine Weltvernunft manisch angerufen werden. Diese eine und einzigartige Weltvernunft hat Unheil angerichtet, insofern sie vor lauter Dichte nur einen Menschenrechtsmenschen zum Vorschein kommen ließ, keinen Klassenkampf. Das Wort ‚Weltvernunft‘ beißt sich mit dem Wort ‚Klassenkampf‘, der Sonnenschein der idealistischen Vernunft verwirft den Klassenkampf in sein Schattenreich. Bekanntlich versprach Hegel seinen Studenten in seiner Antrittsvorlesung, „ein vernünftiges Bild des Universums zu geben“. 51. Und er beschloss diese Vorlesung mit dem imposanten Gedanken, der Philosophie gelinge die Totaltransparenz des Universums, den der Schelling der Mythologie und Offenbarung nach Hegels Tod versenken wollte. 22 Jahre nach Hegels Antrittsvorlesung in Berlin formuliert der alte Schelling den Gegen-Satz: Der Mensch könne nicht als das Medium zur Erfassung eines vollendeten Weltwissens gewertet werden. Das wäre dem jungen Schelling fremd gewesen.
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- Magister artium Heinz Ahlreip (Author), 2020, Hegel und Feuerbach im Licht des Marxismus im Jahr 1886, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/923256
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