Neuauflage des ursprünglich 2001 in der Reihe "Studium Jura" erschienenen Bands "Sachenrecht I".
Das Skript vermittelt kompakt, konzentriert und strukturiert den prüfungsrelevanten Stoff.
Die einprägsame Darstellung eignet sich für Studienanfänger*innen zum erstmaligen Einordnen der juristischen Materie,
für Studierende in der unmittelbaren Prüfungsvorbereitung zur Wiederholung und Vertiefung als auch für Rechtsreferendare zur kompakten und zeitsparenden Wiederholung der Schwerpunkte.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Kapitel 1. Einführung
§ 1. Begriff des Sachenrechts
A. Rechtsbeziehungen im Sachenrecht
R. Unterschied zum Schuldrecht
C. Systematik des Sachenrechts
I. Bewegliche und unbewegliche Sachen
II. Allgemeine Vorschriften
III. Übersicht
D. Dingliche Rechte
I. Eigentum
II. Beschränkt dingliche Rechte
III. Besitz als Rechtsfigur tatsächlicher Natur
IV. Dingliche Ansprüche
E. Sachbegriff
I. Körperliche Gegenstände
II. Einzelsachen
III. Vertretbare und verbrauchbare Sachen
§ 2. Prinzipien des Sachenrechts
A. Absolutheit
B. Typenzwang
I. Zahl der Sachenrechte
II. Form und Inhalt
C. Publizität
I. Bei beweglichen Sachen
II. Bei unbeweglichen Sachen
D. Spezialität
E. Abstraktion
I. Trennung von Verpflichtung*- und Verfügungsgeschäft
II. Fchlerunabhängigkeit
III. Einschränkungen
IV. Bereichcrungsrechtlichcr Ausgleich
Kapitel 2. Besitz
§ 3. Begriff des Besitzes
A. Übersicht
B. Rechtsnatur des Besitzes
I. Tatsächliche Sachherrschaft
II. Tatsächliche Rechtsfigur
§ 4. Funktionen des Besitzes
A. Publizitätsfunktion
B. Schutzfunktion
C. Erhaltungsfunktion
§ 5. Arten des Besitzes
A. Übersicht
B. An der Sachbeziehung
I. Unmittelbarer Besitz
II. Mittelbarer Besitz
C. Umfang der Sachbeziehung
I. Alleinbesitz
II. Mitbesitz
D. Art der Willensrichtung
I. Eigenbesitz
II. Fremdbesitz
E. Sonstige Besitzarten
I. Nach der Berechtigung zum Besitz
II. Nach der Art der Besitzerlangung
F. Besitz bei Gesellschaften
I. Juristische Personen
II. Gesamthandsgemeinschaften
§ 6. Besitzschutz
A. Possessorischer Besitzschutz
I. Verbotene Eigenmacht
II. Selbsthilferechte
III. Besitzschutzansprüche
B. Petitorischer Besitzschutz
I. Herausgabeanspruch gegen den bösgläubigen Besitzer
II. Herausgabeanspruch bei Abhandenkommen der Sache
ID. Ausschlußgründe
IV. Rechtsfolgen
C. Besitzschutz nach allgemeinen Vorschriften
I. Deliktischer Besitzschutz
II. Besitzkondiktion
III. Prozessual
IV. Im Insolvenz verfahren
Kapitel 3. Eigentum
§ 7. Einführung
A. Inhalt und Grenzen des Eigentums
B. Erwerb und Verlust des Eigentums.. 56
C. Übersicht
§ 8. Rcchtsgeschäftlicher Eigentumserwerb
A. Erwerb vom Berechtigten
I. Einigung
II. Übergabe
III. Übergabesurrogate
IV. Besondere Fallgestaltungen der Übereignung
V. Eigentumsübertragung unter Beteiligung von Stellvertretern
VI. Einigsein im Zeitpunkt der Übergabe
VII. Verfügungsbefugnis
B. Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten
I. Übersicht
II. Rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb
III. Übergabe und Übergabesurrogate
IV. Guter Glaube
V. Kein Abhandenkommen
VI. Rechtsfolgen des gutgläubigen Erwerbs
VII. Gutgläubiger lastenfreier Erwerb
§ 9. Eigentumserwerb durch Gesetz oder kraft Hoheitsakt
A. Eigentumserwerb durch Gesetz
I. Ersitzung, 937 - 945 BGB
II. Verbindung, Vermischung, Verarbeitung, SS 946-952 BGB
III. Erwerb von Erzeugnissen und Bestandteilen, §§ 953-957 BGB
IV. Aneignung, §§ 958 - 964 BGB
V. Fund, §§ 965 - 984 BGB
B. Eigentumserwerb kraft Hoheitsakt
I. Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen, §S 816, 817 ZPO
II. Pfändung von Geld, §815 ZPO
III. Pfändung beweglicher Sachen bei Zwangsvollstreckung in ein Grundstück, S 90 II, 55 11 ZVG
IV. Abgrenzung zur öffentlichen Versteigerung gemäß § 383 III BGB
V. Gerichtliche Zuweisung im Ehescheidungsverfahren
§ 10. Sicherungsrechte
A. Sicherungs Übereignung
I. Allgemeines
II. Sicherungsübereignung
III. Sicherungsvertrag
IV. Gesicherte Forderung
V. Rechte von Sicherungsnehmer und Sicherungsgeber
VI. Beendigung des Sicherungseigentums
VII Verwertung des Sicherungseigentums
B. Eigentums vorbehalt und Anwartschafts recht
I. Begründung des Eigentumsvorbehalts
II. Anwartschaftsrecht des Vorbehaltskäufers
Kapitel 4. Eigen turns schütz
§ 11. Herausgabeanspruch nach § 985 BGB
A. Anwendbarkeit des § 985 BGB
B. Voraussetzungen des § 985 BGB
I. Eigentum
II. Besitz
HI. Kein Recht zum Besitz, § 986 BGB
C. Anwendbarkeit der Regeln des allgemeinen Schuldrechts
I. Anwendbarkeit der Unmöglichkeitsregeln
II. Anwendbarkeit der Verzugsregeln
D. Abtretbarkeit des Herausgabeanspruchs nach § 985 BGB
E. Verjährung des Herausgabeanspruchs nach § 985 BGB
F. Herausgabeort
G. Konkurrenzverhältnisse
I. Besitzrechtliche Herausgabeansprüche
II. Gesetzliche Herausgabcansprüche
HI. Vertragliche Herausgabeansprüche
§ 12. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis
A. Allgemeines
I. Haftungssystem der §§ 987 ff. BGB
II. Ausschlußfunktion der §§ 987 ff. BGB
B. Ansprüche des Eigentümers auf Schadensersatz, §§ 989 ff. BGB
I. Haftung des unrechtmäßigen Besitzers nach 989, 990 I BGB
II. Sonderfälle im Rahmen der §§ 989, 990 I BGB
HI. Haftung nach §§ 990 II, 286 I BGB
IV. Haftung des gutgläubigen Besitzers
V. Deliktsbesitzer, §S 992, 823 ff. BGB
C. Ansprüche des Eigentümers auf Nutzungsersatz, 987 ff. BGB
I. Herausgabe von Nutzungen nach SS 987, 990 I BGB
II. Haftung des unrechtmäßigen Fremdbesitzers nach § 991 I BGB
III. Haftung des gutgläubigen unrechtmäßigen Besitzers
IV. Deliktsbesitzer, §S 992, 823 ff. BGB
D. Ansprüche des Besitzers auf Verwendungsersatz, §§ 994 ff. BGB
I. Verwendungsersatzansprüche des gutgläubigen Besitzers, §§ 994 I, 996 BGB
II. Verwendungsersatzansprüche des bösgläubigen oder verklagten Besitzers, $ 994 II i. V. m. §S 677 ff. BGB
III. Rechtsnachfolge, § 999 BGB
IV. Aufgedrängte Bereicherung
V. Geltendmachung der Verwendungsersatzansprüche, S 1000 BGB
§ 13. Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch, § 1004 BGB
I. Anwendungsbereich des S 1004 BGB
II. Anspruchsteller
III. Eigentumsbeeinträchtigung
IV. Fortdauernde oder bevorstehende Beeinträchtigung
V. Störer
VI. Duldungspflicht des Eigentümers, § 1004 II BGB
VII. Rechtsfolgen
Antworten zu den Kontrollfragen
Sachverzeichnis
Kapitel 1. Einführung
Literatur: Eisenhardt, Die Einheitlichkeit des Rechtsgeschäfts und die Überwindung des Abstr aktionsprinzips, JZ 1992, 271; Jauernig, Trennungsprinzip und Abstraktionsprinzip, JuS 1994,721
§1. Begriff des Sachenrechts
A. Das Sachenrecht regelt die rechtlichen Beziehungen einer Person zu einer Sa- 1 ehe. Das Recht an einer Sache kann begründet, erworben, ausgestaltet, geändert, übertragen und aufgehoben werden. In den Vorschriften des Sachenrechts im 3. Buch des BGB (§§ 854-1296) ist enthalten, welche Befugnisse eine Person im einzelnen hat, mit der Sache zu verfahren. Die rechtliche Zuordnung einer Sache zu einer Person geschieht jeweils durch dingliche Rechte.
Beispiele:
- Begründung des Eigentums an einer Sache durch Ersitzung (§ 937)
- Änderung des Eigentums durch Bestellung eines Nießbrauchs 1030 ff.)
- Übertragung des Eigentums durch Einigung und Übergabe (§ 929 S. 1)
Die dinglichen Rechte wirken gegenüber jedermann und werden daher als absolute Rechte bezeichnet.
B. Im Vergleich dazu regelt das Schuldrecht die rechtlichen Beziehungen von Person zu Person. Es geht um das Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner und die daraus erwachsenden Verpflichtungen in Form von Ansprüchen (vgl. §§ 194,241). Diese Rechte wirken nur relativ zwischen den beteiligten Personen. Am besten läßt sich der Unterschied zwischen absoluten und relativen Rechten verdeutlichen anhand des nachfolgenden Beispiels des Kaufvertrages:
- E und B schließen am Vormittag einen schriftlichen Kaufvertrag über den Pkw des E ab. B will den Kaufpreis von 10.000 DM am nächsten Tag in bar zahlen. Bis dahin bleibt der Wagen im Hof des E. Am Nachmittag kommt ein weiterer Interessent, I. Da dieser sofort einen Kaufpreis von 15.000 DM zahlen kann, verkauft und übergibt E den Pkw an I. Als B davon erfährt, verlangt er von I den Wagen heraus.
B hat keinen Hetausgabeanspruch nach § 985 gegen I. Das Eigentum an dem Pkw ist noch nicht auf ihn übergegangen. Durch den Kaufvertrag ist E lediglich zur Übertragung des Eigentums verpflichtet (§ 433 I). Erst mit der dinglichen Einigung und der Übergabe des Pkw (5 929 S. 1) erwirbt B das Eigentum. Der Kaufvertrag zwischen E und B entfaltet keine Wirkung gegenüber Dritten. E konnte daher wirksam einen Kaufvertrag mit I abschlicßen.
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C. Innerhalb des Sachenrechts wird zwischen dem Recht an beweglichen Sachen, dem Mobiliarsachenrecht, und dem Recht an unbeweglichen Sachen, dem Immobiliarsachcnrecht, unterschieden.
I. Bewegliche Sachen sind körperliche Gegenstände, die nicht Grundstücke oder unselbständige Teile eines Grundstücks sind (Pal. vor § 90 Rn. 1). Unbewegliche Sachen sind demgegenüber Grundstücke einschließlich ihrer wesentlichen Bestandteile (§§ 93 - 95). Ein Grundstück ist ein vermessener und abgegrenzter Teil der Erdoberfläche, der im Bestandsverzeichnis des Grundbuches aufgeführt ist (Baur/Stürner § 15 III 1). (Zum Begriff des wesentlichen Bestandteils s, u. Kapitel 3. § 9. A. I.) n. Das Sachenrecht enthält allgemeine sowohl für bewegliche Sachen als auch für unbewegliche Sachen geltende Vorschriften.
Beispiele:
- Recht des Besitzes (§§ 854-872)
- Eigentumsinhalt (SS 903, 904)
- Eigentumsschutz (§§ 985-1006)
- Nießbrauch (§§ 1030-1089)
Unterschiedliche Regelungen gelten im Sachenrecht insbesondere bei der Übertragung und Belastung von Sachen. Hier sind bewegliche und unbewegliche Sachen auseinander zu halten.
Beispiele:
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Lernhinweis: Die Systematik des Gesetzes erscheint insoweit unübersichtlich. Lesen Sie die Inhaltsübersicht zum 3. Buch des BGB (§§ 854-1296) und machen Sie sich klar, welche Vorschriften allgemein gültige Regelungen enthalten, welche allein für bewegliche Sachen gelten und welche dem Immobiliarsachenrecht vorbehalten sind!
HI. Im vorliegenden Band Sachenrecht I wird das Mobiliarsachenrecht einschließlich der allgemeingültigen Vorschriften zum Besitz, dem Eigentumsinhalt und dem Eigentumsschutz behandelt. Das Immobiliarsachenrecht mit seinen Besonderheiten ist Gegenstand des 2. Bandes des Sachenrechts. Das Pfandrecht wird innerhalb des Bandes Kreditsicherungsrechte dargestellt.
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D. Durch die dinglichen Rechte wird die konkrete Rechts bezieh ung einer Person 2 zu einer Sache ausgestaltet. Zu unterscheiden ist zwischen dem dinglichen Recht des Eigentums und den beschränkt dinglichen Rechten.
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I. Das Eigentum ist das stärkste dingliche Recht. Es gewährt dem Eigentümer eine umfassende Sachherrschaft. Er ist befugt, nach Belieben über die Sache zu verfügen und wird vor Eingriffen Dritter geschützt.
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II. Die beschränkt dinglichen Rechte haben hingegen nur einzelne Befugnisse des Vollrechts zum Gegenstand. Von dem Vollrecht des Eigentums können einzelne Ausschnitte abgetrennt werden, die auf den Berechtigten übergehen. Die Sachherrschaft des Berechtigten besteht nur eingeschränkt.
Beispiel: Eigentümer E räumt dem N ein Nutzungsrecht an seiner Obstplantage ein, indem er sein Grundstück mit einem Nießbrauch (§ 1032) belastet. N allein ist berechtigt, das Obst zu ernten.
Lernhinweis: Im Mobiliarsachenrecht sind die beschränkt dinglichen Rechte nur von geringer praktischer Bedeutung. Sie kommen lediglich in Form von Nutzungsrechten (Nießbrauch, §§ 1030 ff.) und Verwertungsrechten (Pfandrecht, §§ 1204 ff.) vor.
Hinweis: Die beschränkt dinglichen Rechte beziehen sich auf einzelne Aus- | l schnitte des Vollrechts. I III. Eine weitere Zuordnung des Sachenrechts enthält der Besitz. Er ist im ersten Abschnitt des Dritten Buches des BGB (§ § 854—872) neben den dinglichen Rechten aufgeführt. Der Besitz selbst ist jedoch kein dingliches Recht, sondern eine Rechtsfigur tatsächlicher Natur.
Beispiel: In der Mietwohnung des M hängt eine Kuckucksuhr. Durch die räumliche Beziehung hat M die tatsächliche Sachherrschaft. Der Besitz des M sagt aber noch nichts über seine Rechtsstellung aus. Er könnte Eigentümer der Uhr sein. Möglich ist aber auch, daß er die Uhr von V geliehen hat und somit nur (Fremd-)besitzer ist.
IV. Die dinglichen Rechte werden gegenüber anderen Personen durch dingliche Ansprüche verwirklicht. So gewährt insbesondere das Eigentum umfassenden Schutz vor Beeinträchtigungen. Die dinglichen Ansprüche sind Ausfluß der absoluten Wirkung der dinglichen Rechte.
Beispiel: A hat wie üblich sein Fahrrad im Hausflur abgestellt. Mitbewohner M benutzt das Rad, ohne A zu fragen und bringt cs in seinen Keller. A hat gegen M einen Herausgabcanspruch gemäß § 985. Dieser dingliche Anspruch erwächst aus dem dinglichen Recht des Eigentums.
E. Sachbegriff
Im Sachenrecht ist der Begriff der Sache wesentliche Grundlage für die rechtliche 3 Zuordnung. Da die Regelungen über die Sachen für das gesamte bürgerliche Recht gelten, sind sie in den Allgemeinen Teil des BGB (§§ 90 ff.) eingefügt.
I. Gemäß § 90 sind Sachen nur körperliche Gegenstände. Um dieses Erfordernis zu erfüllen, muß ein Gegenstand greifbar sein und räumlich abgegrenzt, zumindest aber abgrenzbar (Pal. § 90 Rn. 1 ff.).
Beispiele:
- Steine; Bäume; Holz;
LJ Sauerstoff, der in einem Behältnis aufbewahrt wird, unabhängig von seiner gasförmigen Struktur.
U Hingegen sind die freie Luft, fließendes Wasser und Licht keine körperlichen Sachen.
- Auch der lebende Körper eines Menschen ist keine Sache.
Die für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere entsprechend anwendbar (§ 90 a).
II. Die Vorschriften des Sachenrechts finden nur auf Einzelsachen Anwendung. Hingegen liegt eine Sachgesamtheit vor, wenn mehrere Einzelsachen zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefaßt werden. Erfaßt werden nur die einzelnen Gegenstände. Es gilt der Bestimmtheitsgrundsatz (s. u. § 2. D.).
Beispiele:
- Eine Einbauküche besteht aus mehreren zusammengesetzten Einzelsachen: Kühlschrank, Gefrierschrank, Herd, Arbeitsplatte, Einbauschränken etc.
- Rechtsanwalt R veräußert seine Kanzlei an seinen jüngeren Nachfolger N. Zu den Büroräumen gehört eine umfangreiche juristische Bibliothek. N möchte die Bibliothek mit erwerben. Damit N das Eigentum erlangen kann, muß E ihm jedes einzelne Buch übereignen. Er kann nicht das Eigentum an der Bibliothek als Sachgesamtheit übertragen.
III. Abgesehen von der Unterteilung in bewegliche und unbewegliche Sachen (s. o. C.) ist zu unterscheiden, ob eine Sache vertretbar oder unvertretbar ist, oder ob eine verbrauchbare Sache vorliegt oder nicht.
1, Eine Sache ist gemäß § 91 vertretbar, wenn sie sich von anderen Gegenständen der gleichen Art nicht durch individuelle Merkmale unterscheidet. Sie kann ersetzt oder ausgetauscht werden.
Beispiel: Frau F möchte einen Kuchen backen. Sie hat nicht mehr genügend Eier im Haus und „leiht“ sich von ihrer Nachbarin N sechs weiße Eier mittlerer Größe. Es handelt sich um ein Darlehen i. S. d. § 607. F kann N nicht diejenigen Eier wiedergeben, die sic für den Kuchen verwendet hat. Sie ist lediglich verpflichtet, ihr sechs Eier gleicher Güte zurückzugeben.
Weitere Beispiele: Werklieferungsvertrag, §65112; unechte Verwahrung, § 700
2. Nach § 92 I richtet sich, ob eine Sache verbrauchbar ist. Voraussetzung ist, daß sie zum Verbrauch oder zur Veräußerung bestimmt sein muß.
Beispiel: Forsteigentümer F räumt dem N ein Nutzungsrecht an dem in seinem Wald geschlagenen Brennholz ein. Gemäß § 1067 wird der Nießbraucher Eigentümer. Er ist berechtigt, das Brennholz zu verbrauchen. Allerdings ist er zum Wertersatz verpflichtet. Weitere Beispiele: Nahrungsmittel, Geld (Zum Begriff der Nutzungen s. u. Kapitel 4. § 12. C. I.).
§ 2. Prinzipien des Sachenrechts
Dem Sachenrecht Hegen fünf allgemeine Grundsätze zugrunde. Es ist von entscheidender Bedeutung, daß Sie diese Prinzipien kennen und beherrschen, um sachenrechtliche Problemkonstellationen verstehen und lösen zu können.
A. Absolutheit
4 Wie bereits ausgeführt, haben dingliche Rechte eine absolute Wirkung. Der dinglich Berechtigte hat hinsichtlich seiner Rechtsstellung einen umfassenden Rechtsschutz gegenüber jedermann. Insbesondere kann der Eigentümer Dritte, die be einträchtigend auf die Sache einwirken, ausschließen.
Beispiel: E ist Eigentümer eines großen Parkgrundstücks, das mitten in einem Naherholunsge- biet gelegen ist. Häufig betreten Spaziergänger sein Grundstück. E ist berechtigt, das Betreten seines Grundstücks zu verbieten. Hierfür steht ihm der Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 zur Verfügung.
Dem Schutz des Berechtigten entspricht auf der anderen Seite, daß die dinglichen Rechte auch von jedermann beachtet werden müssen.
Beispiel: Rechtsstudent E hat seinen „Palandt“ an den Kommilitonen K verliehen. D ist schon seit längerer Zeit an dem Buch interessiert, bisher hatte E sich aber geweigert, es ihm zu veräußern. D möchte es nun zu einem günstigen Kaufpreis von K erwerben. K muß das Eigentumsrecht des E beachten. Er darf den „Palandt“ nicht an D übereignen.
An dieser Stelle sei noch einmal der Unterschied des Sachenrechts zum Schuldrecht verdeutlicht. Schuldrechtliche Ansprüche wirken nur relativ, das heißt im Verhältnis zu den Vertragsparteien. Dritten gegenüber erwächst keine Verpflichtung.
Beispiel: Rechtssrudent E hat mit D vereinbart, daß D seinen „Palandt“ zu einem günstigen Kaufpreis erwerben soll. Am nächsten Tag, noch bevor D den Kaufpreis gezahlt hat, verleiht E das Buch an den Kommilitonen K. D verlangt von K das Buch heraus. K ist jedoch zur Herausgabe nicht verpflichtet. Gemäß § 433 I 1 ist allein Verkäufer E verpflichtet, dem Käufer D das Eigentum an dem Buch zu verschaffen. Der Kaufvertrag wirkt nur zwischen den Vertrags Parteien E und D.
Hinweis: Dingliche Rechte wirken gegenüber jedermann, also absolut.
B. Typenzwang
Die dinglichen Rechte sind nach Zahl und Inhalt im Gesetz abschließend gere- 5 gelt. Dieser Typenzwang ist die Konsequenz aus dem Absolutheitsgrundsatz. Da die dinglichen Rechte gegenüber jedermann wirken, erfordert die Rechtssicherheit, daß sie erkennbar voneinander abgrenzbar sind. Dies kann aber nur dann verwirklicht werden, wenn die Parteien nicht frei über die Ausgestaltung der dinglichen Rechte verfügen dürfen.
I Hinweis: Der Typenzwang im Sachenrecht ist ein Erfordernis der Rechts- ] l Sicherheit. J I. Die Zahl der Sachenrechte ist begrenzt auf die im Gesetz geregelten Rechtstypen. Sie beschränken sich auf das Eigentum und die aufgezählten beschränkt dinglichen Rechte. Die Parteien können keine neuen dinglichen Rechte schaffen. Beispielsfall:
K sieht bei dem Gebrauchtwagenhändler V einen Pkw, der seinen Vorstellungen entspricht. Er kann den Wagen jedoch erst in drei Monaten finanzieren. V verspricht zwar, den Wagen für K zu „reservieren“, aber K befürchtet, daß V den Pkw vorher an einen anderen Kunden veräußert. Deshalb vereinbart er mit V ein Vorkaufsrecht. Als V drei Wochen später den Wagen an D verkauft, macht K sein „Vorkaufsrecht“ geltend. Zu Recht?
Das dingliche Vorkaufsrecht ist ein beschränkt dingliches Recht, das ein Anrecht des Erwerbers auf den Erwerb einer Sache gewährleistet. Es dient der Sicherung des Vorkaufsberechtigten. Vorkaufswidrige Verfügungen sind relativ unwirksam (§ 1098 II mit § 883 II). Allerdings kann ein Vorkaufsrecht nur an Grundstücken begründet werden (§§ 1094-1104). Für bewegliche Sachen ist im Sachenrecht kein dingliches Vorkaufsrecht vorgesehen. Die Parteien können keine neue Form der dinglichen Sicherung entwickeln. Die Formen dinglicher Sicherheit sind abschließend im Gesetz beschrieben. K kann somit kein Vorkaufsrecht geltend machen.
II. Rechte an Sachen können nur in der gesetzlich festgelegten Form begründet, übertragen und aufgehoben werden. Form und Inhalt der dinglichen Rechte sind vom Gesetz vorgeschrieben. Die Gestaltungsfreiheit der Parteien ist im Sachenrecht ausgeschlossen.
Beispiel: Das Eigentum an einer Sache kann nur in der Form der 929 - 931 durch Einigung und Übergabe bzw. Vereinbarung eines Übergabesurrogats übertragen werden.
Im Gegensatz dazu besteht im Schuldrecht Typenfreiheit. Die Parteien sind grundsätzlich in der Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen frei (vgl. § 305). An gesetzliche Vorgaben sind sie nur bei zwingenden Vorschriften gebunden (Pal. vor § 854 Rn. 3).
Beispiel: Bei einem Kaufvertrag über eine Sache können die Vertragsparteien neben dem Kaufgegenstand und dem Kaufpreis auch den Zeitpunkt der Übergabe, die Fälligkeit der Kaufpreisforderung, ein Rücktrittsrecht, Nachbcsscrungspflicht bei Mängeln und ähnliches mehr vereinbaren.
C. Publizität
6 Wegen der absoluten Wirkung der dinglichen Rechte ist notwendig, daß sie für jedermann erkennbar sind. Es muß offenkundig sein, daß konkrete Rechte einer Person an einer Sache bestehen. Dieses Erfordernis wird durch das Prinzip der Publizität (Offenkundigkeit) gewährleistet. Änderungen der dinglichen Rechtslage, insbesondere bei der Bestellung und Übertragung dinglicher Rechte, müssen durch Einhaltung bestimmter Formen der Publizität äußerlich sichtbar gemacht werden.
I. Bei beweglichen Sachen verdeutlicht der Besitz als Träger der Publizität das Bestehen dinglicher Rechte. Die Änderung der Rechtslage ist grundsätzlich an einen Besitzwechsel geknüpft. Der Besitz als Publizitätsmittel hat folgende Konsequenzen:
- Die Übertragung des Eigentums sowie die Bestellung beschränkt dinglicher Rechte erfolgen grundsätzlich im Wege der Übergabe (§§ 929,1032). Es findet eine Besitzübertragung statt.
- Gemäß § 1006 wird zugunsten des Besitzers einer beweglichen Sache vermutet, daß er zugleich Eigentümer sei.
Hinweis: Bei der Eigentumsübertragung in Form der Vereinbarung eines Besitzkonstituts gemäß §§ 929, 930 wird die Sache ausnahmsweise nicht übergeben. Vielmehr behält der Veräußerer den unmittelbaren Besitz, der Erwerber wird mittelbarer Besitzer (§ 868). Die Offenkundigkeit des Eigentums durch den Besitz als Publizitätsträger ist hier zwar eingeschränkt, besteht aber dennoch. Voraussetzung für das erforderliche konkrete Besitzmittlungsverhältnis ist, daß der unmittelbare Besitzer nach außen erkennbar für den Erwerber besitzen will.
Außerdem verzichtet der mittelbare Besitzer nur für einen begrenzten Zeitraum auf die tatsächliche Sachherrschaft, so insbesondere bei der Sicherungsübereignung für die Dauer des Sicherungszwecks. (Zur Sichcrungsübercignung vgl. unten Kap. 3. § 10. A.)
II. Die an einer unbeweglichen Sache bestehenden dinglichen Rechte werden durch die Eintragung im Grundbuch (§ 873 I) offenkundig gemacht. Die Übereignung eines Grundstücks sowie die Einräumung und die Übertragung eines beschränkt dinglichen Rechts an einem Grundstück bedürfen zu ihrer Wirksamkeit grundsätzlich der Eintragung im Grundbuch.
Beispiele: Belastung des Grundstücks mit einer Hypothek (§ 1113), Bestellung einer Grundschuld (§ 1191), Einräumung eines Nießbrauchs (§ 1030)
D. Spezialität
Der Grundsatz der Spezialität (Bestimmtheitsgrundsatz) besagt, daß dingliche 7 Rechte sich auf einzelne bestimmte Sachen beziehen müssen. Dies ist aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich. Es muß eindeutig feststehen und erkennbar sein, an welchen Sachen dingliche Rechte bestehen. Erfaßt werden nur die einzelnen Gegenstände, keine Sachgesamtheiten (s. o. § 1. E. II.).
Beispiel: Rechtsanwalt R will sich zur Ruhe setzen und seine Kanzlei an den jungen Kollegen K veräußern. Überträgen wird nicht „die Kanzlei“ als solche, sondern jeder einzelne Einrichtungsgegenstand, Büromaschinen, Büromaterial, Bücher etc.
Lernhinweis: Für den Nießbrauch ist dieser Grundsatz in § 1085 ausdrücklich klargestellt: Der Nießbrauch an dem Vermögen einer Person kann nur an den einzelnen zu dem Vermögen gehörenden Gegenständen bestellt werden.
Hinweis: Von besonderer Bedeutung ist der Bestimmtheitsgrundsatz bei der Sicherungsübereignung von Sachgesamtheiten, wie Warenlager mit wechselndem Bestand. Hier müssen die zu übereignenden Sachen durch Aussonderung, Aufnahme in ein Verzeichnis, räumliche Eingrenzung oder durch Markierung hinreichend konkretisiert werden. Einzelheiten hierzu s. u. Ka-
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
E. Abstraktion
I. Das Abstraktionsprinzip besagt, daß das dingliche Rechtsgeschäft unabhän- 8 gig (abstrakt) von seinem Rechtsgrund wirksam ist. Durch das dingliche Rechtsgeschäft, auch Verfügungs- oder Erfüllungsgeschäft genannt, wird eine Sache übertragen, belastet, inhaltlich verändert oder aufgehoben. Das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft bildet den Rechtsgrund (causa) für die dingliche Verfü gung. Es wird deshalb auch als Kausalgeschäft bezeichnet. Das Verfügungsgeschäft und das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft sind zwei unterschiedliche Rechtsgeschäfte, die in ihrer Wirksamkeit grundsätzlich getrennt voneinander zu beurteilen sind.
Lemhinweis: Lesen Sie zum Abstraktionsprinzip auch im Skript Studium Jura, BGB AT 1 § 11.! Folgende vertraglichen Verpflichtungen kommen insbesondere als Rechtsgrund in Betracht:
- Kaufvertrag, §§ 433 ff.
- Schenkungsvertrag, §§ 516 ff,
- Darlehensvertrag, §§ 607 ff.
Beispiel: V und K schließen einen Kaufvertrag ab, in dem sich V verpflichtet, den Wagen zum Kaufpreis von 5.000 DM an K zu veräußern. Aus § 433 I 1 ergibt sich, daß V verpflichtet ist, dem K das Eigentum an dem Wagen zu verschaffen. Die Übereignung ist das dingliche Verfügungsgeschäft, mit dem der Verkäufer seine kaufvertraglichc Verpflichtung erfüllt.
II. Der Grundsatz der Abstraktion hat zur Folge, daß das dingliche Rechtsgeschäft auch dann gültig ist, wenn das Grundgeschäft unwirksam ist. Die Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts zieht also nicht automatisch die Unwirksamkeit des Verfügungsgeschäfts nach sich. Es besteht grundsätzlich Fehlerunabhängigkeit.
1. Es kommt nicht darauf an, ob überhaupt jemals eine wirksame schuldrechtliche Verpflichtung zu der dinglichen Verfügung bestand, oder ob das Verpflichtungsgeschäft später weggefallen ist.
Beispiele:
- Anfechtung (§ 123),
- Rücktritt (5 346),
- Wandlung ($ 459)
2. Mit der Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts fällt das dingliche Recht nicht wieder an den bisherigen Rechtsinhaber zurück. Es findet grundsätzlich kein Rückerwerb des ursprünglichen Eigentümers statt. Der Erwerber kann nunmehr selbst als Berechtigter verfügen.
Beispiel: K ficht den mit V geschlossenen Kaufvertrag wegen Täuschung an (§ 123). Der Vertrag ist rückwirkend unwirksam, § 142 I. Die Übereignung als dingliches Verfügungsgeschäft ist dennoch wirksam. Das Eigentum fällt nicht automatisch an V zurück. V kann als Eigentümer weiter über die Sache verfügen.
Hinweis: Die Frage des Rückerwerbs des ursprünglichen Eigentümers stellt ein besonderes Examensproblem dar im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung der Sache an einen gutgläubigen Dritten (§§ 932 ff.). Einzelheiten zu dieser Problematik finden Sie unten in Kap. 3. § 8. B. VI. 2.
HI. Nur ausnahmsweise erstreckt sich die Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts auch auf das Verfügungsgeschäft. Das Abstraktionsprinzip erfährt Einschränkungen in den Fällen der Fehleridentität beider Rechtsgeschäfte, bei Zugrundelegung eines Bedingungsgeschäfts sowie bei der Vereinbarung der Geschäftseinheit von Verpflichtungs- und Erfüllungsgschäft.
1. Fehleridentität beider Rechtsgeschäfte liegt vor, wenn der Mangel, der zur Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts führt, zugleich als Mangel auch das Verfügungsgeschäft erfaßt (vgl. Jauernig, JuS 1994,724). Dies kommt in folgenden Fällen vor:
- Fehlende Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff.),
- Anfechtung wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung (§§ 119 II, 123),
- Wucher (§ 138 II).
Uneinigkeit besteht darüber, ob das dingliche Rechtsgeschäft auch dann wegen Fehleridentität von der Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts erfaßt wird, wenn dieses wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 1 unwirksam ist.
Fall 1:
V hat auf seinem Grundstück ein Bordell betrieben. Er verpachtet es an P. Des weiteren veräußert er ihm die gesamte Inneneinrichtung zu einem Kaufpreis von 200.000 DM. Nunmehr beruft sich V auf die Sittenwidrigkeit sowohl des Pachtvertrages als auch des Kaufvertrages und verlangt von P Rückgabe der Inneneinrichtung. Zu Recht?
Lösung:
(A) Herausgabe der Inneneinrichtung nach § 985:
(1) P ist Besitzer der Inneneinrichtung.
(II) V müßte Eigentümer sein.
(1) Ursprünglich hatte V das Eigentum an der Inneneinrichtung.
(2) Möglicherweise ist das Eigentum aber durch das dingliche Rechtsgeschäft zwischen V mid P an P übergegangen. Nach § 929 S. 1 sind Einigung und Übergabe erforderlich.
(a) Die Einigung nach § 929 S. 1 muß sich auf die Eigentumsübertragung beziehen.
(aa) V und P haben sich dahingehend geeinigt, daß das Eigentum an der Inneneinrichtung des Lokals auf P übergehen soll. Es liegen übereinstimmende Willenserklärungen vor.
(bb) Es dürfen keine Wirksamkeitshindernisse vorliegen. In Be tracht kommt hier die Unwirksamkeit der Übereignung wegen Sittenwidrigkeitgemäß § 138 I. Die Übereignung einer Inneneinrichtung ist grundsätzlich wertneutral und daher nicht unwirksam. Wohl aber ist der zugrundeliegende Kaufvertrag wegen Sittenwidrigkeit unwirksam nach § 138 I. V ist dann Eigentümer der Inneneinrichtung geblieben, wenn die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts zugleich die Unwirksamkeit des dinglichen Rechtsgeschäfts erfaßt. Das Erfüllungsgeschäft ist grundsätzlich abstrakt, das heißt, es ist unabhängig von dem Mangel des Verpflichtungsgeschäfts wirksam. Fraglich ist, ob hier ausnahmsweise der Mangel auf dinglicher Ebene durchschlägt.
- Die Rechtsprechung verneint eine Fehleridentität zwischen Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft. Zur Begründung wird angeführt, daß das Erfüllungsgeschäft grundsätzlich wertneutral ist (BGH NJW 1973, 613).
- Die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts kann aber dann das Erfüllungsgeschäft erfassen, wenn Inhalt und Zweck des dinglichen Rechtsgeschäfts die Sittenwidrigkeit nach § 138 I ergeben, so bei Knebelung des Käufers bei verlängertem Eigentumsvorbehalt (BGH NJW 1993,1588) oder bei Verleitung zum Vertragsbruch bei Globalzession (BGH NJW 1991, 2147).
Vorliegend ist dies jedoch nicht der Fall. Die dingliche Einigung über den Eigentumsübergang nach § 929 S. 1 war somit wirksam.
(b) V hat die Inneneinrichtung an P übergeben, so daß auch das weitere Erfordernis gemäß $ 929 S. 1 erfüllt ist.
Das Eigentum an der Inneneinrichtung ist somit von V auf P durch dingliches Rechtsgeschäft übertragen worden. V hat keinen Anspruch gegen P auf Herausgabe der Inneneinrichtung nach § 985.
(B) Rückübereignung der Inneneinrichtung nach § 812 11, Fall 1:
(I) P hat etwas, nämlich das Eigentum an der Inneneinrichtung, erlangt.
(II) Dies geschah auf Kosten des V. Denn V hat durch den Verlust der Inneneinrichtung an P einen Vermögensnachteil erlitten.
(III) P hat die Einrichtung des Lokals ohne Rechtsgrund erlangt. Das Verpflichtungsgeschäft war unwirksam nach § 1381.
(IV) Dies hat zur Rechtsfolge, daß P gemäß §§ 812 I 1, Fall 1; 818 I zur Rückübereignung und Rückgabe der Inneneinrichtung verpflichtet ist.
(V) Dieser Verpflichtung steht auch nicht§ 817 S. 2 entgegen, da mit dieser Vorschrift nur verhindert werden soll, daß der sittenwidrige Leistungszweck mittelbar doch erreicht wird. Nicht hingegen soll der Fortbestand des sittenwidrigen Zustands garantiert werden. V kann somit die Inneneinrichtung von P zurückverlangen.
Ergebnis: V hat gegen P keinen Anspruch auf Herausgabe der Inneneinrichtung nach § 985, wohl aber Anspruch auf Rück Übereignung nach 812 I 1, Fall 1, 8181.
2. Die Parteien können die Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts zur aufschiebenden oder auflösenden Bedingung (§ 158 I) für das Verfügungsgeschäft machen. Stellt sich heraus, daß das Verpflichtungsgeschäft von Anfang an unwirksam war bzw. unwirksam geworden ist, so ist die Bedingung eingetreten. Das dingliche Rechtsgeschäft ist ausnahmsweise ebenfalls unwirksam. Zulässig ist solch ein Bedingungsgeschäft, wenn die Parteien es ausdrücklich vereinbaren (JauernigJuS 1994, 723; M. Wolf Rn. 311).
Beispiel: K hat dem V ein Darlehen gewährt. Sie einigen sich dahingehend, daß K dem V zur Sicherheit gegen das gewährte Darlehen seinen Pkw übereignet (§ § 929,930). Die Wirksamkeit der Sicherungsübereignung soll auflösend bedingt sein durch die Wirksamkeit des zugrundeliegenden Sicherungsvertrages.
Lernhinweis: Die Sicherungsübereignung wird ausführlich in Kap. 3. § 10. A. 11 behandelt.
3. Die Parteien können das Verpflichtungsgeschäft und das dingliche Rechtsgeschäft in einer Vereinbarung zu einer rechtlichen Einheit gemäß § 139 verbinden, so daß bei Unwirksamkeit des einen Geschäfts auch das andere ungültig ist. Damit das Abstraktionsprinzip nicht ausgehebelt wird, soll dies allerdings nur in strengen Ausnahmefällen möglich sein. Insbesondere müssen konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden Partciwillen vorliegen. Der wirtschaftliche Zusammenhang beider Geschäfte reicht hierfür nicht aus, ebensowenig wie deren Zusammenfassung in einer Urkunde (BGH NJW-RR 1989, 519; vgl. Eisenhardt JZ 1991,271).
Lemhinweis: Im Fall der Sicherungsübereignung wird jedoch die rechtliche Einheit von Sicherungsübereignung und Sicherungsvertrag angenommen Die Problematik ist ebenfalls ausführlich dargestellt in Kap. 3. § 10. A. II. Lesen Sie den dort aufgeführten Beispielsfall, nachdem Sie sich mit den Grundlagen der Sicherungsübereignung vertraut gemacht haben!
IV. Das Abstraktionsprinzip hat somit die Konsequenz, daß die Erfüllung wirk sam ist, auch wenn das Verpflichtungsgeschäft nicht besteht oder später weggefallen ist. Liegt kein wirksamer Rechtsgrund für die Verfügung zugrunde, so kann die Trennung der Wirksamkeit der beiden Rechtsgeschäfte jedoch bereicherungsrechtlich ausgeglichen werden. Es besteht grundsätzlich die Verpflichtung zur Rückabivicklung der eingetretenen Rechtsänderung nach §§ 812 ff. Folgende drei Fallgestaltungen kommen dabei in Betracht, dargestellt am Beispiel des Kaufvertrages:
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Der Käufer hat keine Ansprüche geger den Verkäufer.
Dingliche Rechte wirken gegenüber jedermann.
B. Typenzwatg
Dicdirtglich.cn Rechte sind nach Zahl und Inhalt abschiicßeml im Gesetz geregelt. G Publizität Sachenrechte müssn offenkundig sein.
D. Spezialität
Dingliche Rechte können nur an genau hescimtTiteo einzelnen Sachen bestehen.
E Abstraktion
Die Wirksamkeit der dingjichcn Verfügung ist unabhängig von dem schuldrechtlichen VerptlichtungSgeSchaft.
Kapitel 2. Besitz
Literatur: Ebenrotb/Frank, Die Übertragung des Besitzes vom Erblasser auf den Erben, JuS 1996, 794; Kollhosser, Grundfälle zu Besitz und Besitzschutz, JuS 1992, 215; Lopau, Der Rechtsschutz des Besitzes, JuS 1980,501; Prutting- Weth, Die Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO, JuS 1988,511
§ 3. Begriff des Besitzes
A. Übersicht
Während die rechtliche Zuordnung einer Person zu einer Sache im wesentlichen durch das dingliche Recht des Eigentums erfolgt, stellt der Besitz eine Zuordnung in rein tatsächlicher Hinsicht dar. Durch den Besitz kann das Sachenrecht erst verwirklicht werden. Das Gesetz hat den Besitz daher mit zahlreichen Wirkungen ausgestattet. Der Besitz erfährt darüber hinaus einen umfangreichen Schutz vor Beeinträchtigungen. Im vorliegenden Kapitel lernen Sie die Rechtsnatur des Besitzes kennen sowie seine Funktionen im Gesamtsystem des Sachenrechts. Anschließend werden die unterschiedlichen Arten des Besitzes dargestellt. Wegen seiner erheblichen Bedeutung im Examen wird der Besitzschutz ausführlich behandelt. Kapitel 2. gliedert sich demnach folgendermaßen:
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B. Rcchtsnatur des Besitzes
1 1. Besitz liegt dann vor, wenn eine Person die tatsächliche Gewalt über eine Sache hat. Man spricht von tatsächlicher Sachherrschaft.
Lemhinweis:
- Lesen Sie die Vorschrift des § 854 I! Dort wird der Begriff der tatsächlichen Gewalt über die Sache eingeführt.
- Lesen Sie § 90 über den Begriff der Sache!
- Den Sachen gleichgestellt sind Tiere (§ 90 a).
I Merke: Besitz bedeutet die tatsächliche Sachherrschaft einer Person über eine Sache oder ein Tier.
Allerdings erfährt das Erfordernis der tatsächlichen Sachherrschaft auch Einschränkungen. Beim mittelbaren Besitz etwa übt der Besitzer die Sachherrschaft nur mittelbar durch einen anderen aus, der selbst die unmittelbare Gewalt über die Sache hat und zu dem mittelbaren Besitzer in einem besonderen Besitzmittlungsverhältnis steht (vgl. § 868). Der Besitzdiener hat gar die tatsächliche Gewalt über die Sache, ohne selbst Besitzer zu sein (vgl. § 855). Schließlich hat der Erbbesitzer nach § 857 den Besitz an den zum Nachlaß gehörenden Sachen, ohne die Sachherrschaft inne zu haben.
II. Der Besitz ist kein dingliches Recht wie das Eigentum. Vielmehr ist der Besitz eine tatsächliche Rechtsfigur, die von der Rechtsordnung anerkannt und mit unterschiedlichen Wirkungen ausgestattet ist (Pal. vor § 854 Rn. 1). Die rechtliche Zuordnung einer Person zu einer Sache und die Zuordnung auf rein tatsächlicher Ebene können auseinanderfallen.
Beispiele:
- Die Jurastudentin J hat einen „Palandt“ erworben und vor sich auf dem Schreibtisch liegen. Sie ist Eigentümerin und übt auch die tatsächliche Sachherrschaft aus.
- Der Kommilitone K, der über geringe finanzielle Mittel verfügt, entwendet J in einem unbemerkten Augenblick den „Palandt“. J behält das Eigentum an dem Buch. Die rechtliche Zuordnung bleibt also bestehen. Der Dieb K hat die tatsächliche Sachherrschaft inne, ohne daß ihm der „Palandt“ auch rechtlich zugeordnet ist.
§ 4. Funktionen des Besitzes
Im Rechtsverkehr üht der Besitz bestimmte Funktionen aus. Im wesentlichen sind 2 es drei Wirkungen, die von dem Besitz ausgehen: die Publizität, die Erhaltung sowie der Besitzschutz. Grundsätzlich treten diese mit dem Besitz verbundenen Wirkungen unabhängig davon ein, ob ein Recht zum Besitz besteht. Ausnahme ist der deliktische Schutz nach § 823 I. Hier wird nur der berechtigte Besitz als „sonstiges Recht“ erfaßt. Zu den Funktionen des Besitzes im einzelnen:
A. Publizitätsfunktion
Der Besitz ist Mittel der Publizität. Er läßt darauf schließen, daß dingliche Rechte an der Sache bestehen. Übt eine Person die tatsächliche Sachherrschaft aus, so verdeutlicht der Besitz, daß die betreffende Sache ihrem Besitzer auch in rechtlicher Hinsicht zugeordnet ist. Eine Änderung der Rechtslage wird äußerlich sichtbar durch den Wechsel des Besitzes. Die Offenkundigkeit des Besitzes ist von Bedeutung:
- Bei der Eigentumsvermurung nach § 1006:
Der Besitz läßt darauf schließen, daß der Besitzer auch Eigentümer der Sache ist.
- Bei der Eigentumsübertragung, §§ 929 ff.:
Der Übergang des Eigentums ist an die Änderung der Besitzlage geknüpft.
- Beim Gutglaubenserwerb gemäß §§ 932 ff.:
Der Besitz ist Rechtsscheinträger.
B. Schutzfunktion
Die Rechtsordnung gewährt dem Besitz besonderen Schutz vor Störungen und Entzug. Dies ist erforderlich, da auch ein nur rein tatsächlich bestehendes Verhältnis einer Person zu einer Sache nicht eigenmächtig beseitigt werden darf. Auf den Rechtsgrund des Besitzes kommt es nicht an. Die Schutzfunktion des Besitzes wird insbesondere verwirklicht durch:
- Possessorische Besitzansprüche, §§ 858 - 867:
Der Besitz als solcher wird geschützt. Auf ein Besitzrecht kommt es nicht an.
- Petitorische Besitzansprüche, § 1007:
Sie setzen ein Recht zum Besitz voraus.
- Deliktischen Besitzschutz, § 823 1 sowie § 823 II i. V. m. § 858:
Der Besitz ist ein „sonstiges Recht“ i. S. d. § 823 I.
- § 812 1 1:
Der Besitz ist als „etwas“ kondizierbar.
C. Erhaltungsfunktion
Der Besitzer hat ein Interesse an der Erhaltung der Rechtslage. Dieses Erhaltungsinteresse wird ebenfalls gesetzlich geschützt. Die Erhaltungsfunktion des Besitzes zeigt sich folgendermaßen:
- Bei Abhandenkommen der Sache nach § 935 ist ein gutgläubiger Erwerb des Eigentums ausgeschlossen.
- Das Recht zum Besitz bleibt bei Veräußerung der Sache bestehen § 986 II. Entsprechendes gilt bei Miete oder Pacht eines Grundstückes, § 571.
- Fortgesetzter Besitz ermöglicht den Eigentumserwerb durch Ersitzung, SS 937 ff.
- Betreibt ein Gläubiger gegen einen Dritten die Zwangsvollstreckung, so hat der Besitzer das Recht, den Gläubiger zu befriedigen, sofern er Gefahr läuft, durch die Zwangsvollstreckung seinen Besitz zu verlieren, § 268 I 2.
§ 5. Arten des Besitzes
A. Übersicht
Der Besitz läßt sich nach verschiedenen Gesichtspunkten unterteilen. Hauptsächlich kann man darauf abstellen, wie die Beziehung des Besitzers zu der Sache ausgcstaltct ist. Je nach Intensität der Sachbeziehung liegt unmittelbarer oder mittelbarer Besitz vor. Unmittelbarer Besitz (§§ 854-856) ist die tatsächliche Herrschaft einer Person über eine Sache. Beim mittelbaren Besitz ist die Sachbeziehung weniger stark ausgeprägt. Der mittelbare Besitzer hat die tatsächliche Sachherrschaft nicht selbst inne. Vielmehr vermittelt ihm der sog. Besitzmittler den unmittelbaren Besitz aufgrund eines sog. Besitzmittlungsverhältnisses (§ 868). Eine weitere Unterscheidung kann man nach dem Umfang der Sachherrschaft treffen. Hier kommt es darauf an, ob der Besitzer die Sache unter Ausschluß anderer Personen im Allcinbesitz (vgl. § 865) hat oder ob mehrere Personen die Sache gemeinsam im Mitbesitz (vgl. § 866) haben und die tatsächliche Sachherrschaft gemeinsam ausüben. Schließlich kann bei der Unterteilung die Willensrichtung des Besitzers entscheidend sein. Besitzt jemand die Sache als ihm gehörend, so handelt es sich um Eigenbesitz (§ 872). Hingegen beim Fremdbesitz besitzt eine Person die Sache für einen anderen. Zwischen rechtmäßigem und unrechtmäßigem Besitz ist zu unterscheiden, wenn man die Berechtigung des Besitzers (vgl. § 986) zugrunde legt. Darüber hinaus kann es für die Bezeichnung der Besitzart auf die Art der Besitzerlangung ankommen. Hiernach kann der Besitz fehlerhaft oder nicht fehlerhaft (vgl. § 858 II l)sein.
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Wegen der unterschiedlichen Blickrichtungen bei der Unterscheidung der Besitzarten kommen in der Regel in einem Fall verschiedene Arten des Besitzes gleichzeitig nebeneinander vor.
Beispiel: Die Eheleute M und F haben gemeinsam einen Leasingvertrag über einen Pkw abgeschlossen. Sie sind beide unmittelbare Besitzer des Pkw, und zwar in Form des Mitbesitzes. Aufgrund des Mietverhältnisses sind sie Fremdbesitzer, wohingegen der Eigentümer und Leasinggeber den Eigenbesitz behält. Er ist mittelbarer Besitzer des Wagens.
Besonderheiten gelten beim Besitz der Personengesamtheiten, insbesondere der Gesellschaften. Beachten Sie hierzu im einzelnen den Abschnitt E!
B. Art der Sachbeziehung
I. Unmittelbarer Besitz
1. Der Erwerb des unmittelbaren Besitzes geschieht grundsätzlich in der Weise, 3 daß eine Person die tatsächliche Herrschaft über die Sache erlangt, § 854 I. Dies kann originär durch einseitige Besitzergreifung erfolgen, ohne daß ein entsprechender Wille des bisherigen Besitzers vorliegt. Typische Beispiele sind Diebstahl oder Fund einer Sache. Wirkt hingegen der bisherige Besitzer dabei mit, daß eine andere Person den Besitz erlangt, so findet ein derivativer (abgeleiteter) Erwerb statt. Ausnahmsweise kann eine Person den Besitz auch ohne Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft erwerben, und zwar im Falle des § 854 II allein aufgrund rechtsgeschäftlicher Einigung mit dem bisherigen Besitzer.
4 a) Der Besitzerwerb nach § 854 I setzt nicht nur voraus, daß eine Person die tatsächliche Herrschaft über die Sache erlangt. Darüber hinaus muß der Erwerb von einem darauf gerichteten Besitzbegründungswillen getragen sein.
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aa) Bisher haben Sie mehrfach den Begriff tatsächliche Sachherrschaft gelesen, ohne zu erfahren, was genau unter tatsächlicher Sachherrschaft oder tatsächlicher Gewalt über eine Sache zu verstehen ist. Eine Definition werden Sie im BGB vergeblich suchen. Die Rechtsprechung legt für die Interpretation eine natürliche Betrachtungsweise zugrunde. Nach der Verkehrsanschauung muß eine räumliche Beziehung der Person zu der Sache bestehen (BGHZ 101, 186). Die Person muß die Möglichkeit haben, jederzeit auf die Sache tatsächlich einzuwirken und andere von der Einwirkung auf die Sache auszuschließen. Dabei muß nicht unbedingt eine unmittelbare Nähe der Person zu der Sache bestehen (Pal. § 854 Rn. 2).
Beispiele:
- Frau A stellt ihren Pkw im Parkhaus ab, verschließt ihn und erledigt im Stadtzentrum Einkäufe. Sie behält die Sachherrschaft über den Wagen, auch wenn sie räumlich von ihm entfernt ist.
- Eheleute M und F verreisen für drei Wochen ins Ausland. Sie haben dennoch die Sachherrschaft an den Gegenständen, die sich in der Wohnung befinden.
Die Einwirkungsmöglichkeit der Person über die Sache muß auf eine gewisse Dauer angelegt sein. Es darf nicht nur eine bloß vorübergehende Sachberührung stattfinden (RGZ 92, 266).
Beispiele:
- An dem Sitzplatz im Kino oder Theater besteht keine Sachherrschaft der Besucher.
- Ebensowenig haben die Gäste in einem Restaurant die Sachgewalt über Geschirr und Besteck.
5 bb) Notwendig für den Besitzerwerb ist außerdem der Besitzbcgründungswillc. Der Wille des Erwerbers muß darauf gerichtet sein, die tatsächliche Gewalt über die Sache zu erlangen und auch auszuüben. Der Besitzwille muß nach außen erkennbar sein. Ein Wille im natürlichen Sinne genügt. Die Geschäftsfähigkeit ist daher nicht erforderlich. Ist der Erwerber geschäftsunfähig, so reicht aus, daß er die genügende Reife besitzt zu erkennen, daß er eine rein tatsächliche Sachherrschaft von gewisser Dauer begründet (BGH NJW 1988, 3260; MK § 854 Rn. 36). Der Besitzbegründungswille muß sich nicht notwendig auf eine konkrete Sache beziehen. Der Erwerber kann den generellen Willen haben, die Sachherrschaft über alle Sachen auszuüben, die sich im Herrschaftsbereich einer Person befinden (BGHZ 101, 186; MK § 854 Rn. 10). gründ einer rcchtsgeschäftlichcn Einigung mit dem bisherigen Besitzer erhalten. Er braucht nicht die tatsächliche Sachherrschaft zu erlangen.
aa) Die Sache muß sich allerdings im Besitz einer Person befinden. Dies ist in der Regel der Veräußerer.
bb) Voraussetzung für den Besitzerwerb nach § 854 II ist eine Einigung des Veräußerers mit dem Erwerber dahingehend, daß der Erwerber berechtigt sein soll, den unmittelbaren Besitz an der Sache auszuüben. Diese Einigung ist nicht bloß Realakt, wie etwa bei der Besitzübertragung nach § 854 I, sondern ein Rechtsgeschäft (Pal. § 854 Rn. 9).
Besitzübertragung rechtlich von der Einigung über den Eigentumsübergang nach § 929 S. 1 zu unterscheiden ist!
cc) Wesentlich für die Besitzübertragung nach § 854 II ist, daß der Erwerber die Herrschaftsmöglichkeit über die Sache erlangt. Er muß in die Lage versetzt werden, jederzeit einseitig die tatsächliche Gewalt über die Sache zu ergreifen. Hierzu gehört, daß der bisherige Besitzer seinerseits die tatsächliche Gewalt über die Sache aufgibt (BGHZ 27, 360).
Beispiel: Student S trifft seinen Kommilitonen K in der Mensa. K möchte den „Palandt“ des S leihen. Da der Kommentar am Arbeitsplatz des S in der Bibliothek liegt, vereinbaren sie, daß K sich das Buch selbst abholen soll. Als K in die Bibliothek kommt, sieht er, wie D das Buch mitnimmt. K läuft hinter ihm her und entreißt ihm das Buch mit Gewalt. Hierzu ist er nach § 859 (Selbsthilfe) berechtigt. K hat den Besitz, an dem Kommentar bereits zum Zeitpunkt der Einigung mit S erworben.
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7 2. Der unmittelbare Besitz endet gemäß § 856 1 entweder durch Aufgabe oder durch Verlust der tatsächlichen Sachherrschaft.
8 a) Bei der Besitzaufgabe gibt der Besitzer die tatsächliche Gewalt über die Sache mit einem entsprechenden Besitzaufgabewillen hin. Die Besitzaufgabe ist Realakt und erfordert lediglich einen Willen im natürlichen Sinne. Der Besitzer hat die Möglichkeit, den Besitz zu beenden, indem er die Sachherrschaft auf eine andere Person überträgt. Er kann den Besitz aber auch nach außen erkennbar einseitig beenden, etwa indem er die Sache wegwirft.
Beispiele:
- A überträgt den Besitz an seinem Pkw auf B.
- C beendet einseitig den Besitz an seiner Zeitung, indem er sie wegwirft.
- D bringt seinen kaputten Kühlschrank zur Müllentsorgungsstelle.
9 b) Besitzverlust bedeutet hingegen, daß der Besitzer die tatsächliche Gewalt über die Sache unfreiwillig einbüßt. Der Besitzer darf allerdings nicht bloß vorübergehend in der Ausübung der Sachherrschaft verhindert sein. Dies ist ausdrücklich in § 856 II geregelt.
Hinweis: Die Regelung in § 856 II bezieht sich nur auf den Besitzverlust!
Beispiele:
- Das Fahrrad des A, das vor der Haustür an einer Laterne befestigt war, wurde gestohlen. A hat den Besitz an dem Rad verloren.
- B verliert seine Taschenuhr auf dem Weg zur Arbeit.
- C läßt seinen Regenschirm in der Straßenbahn Nr. X stehen. Er fährt zur Endhaltestelle. Als der Straßenbahnzug Nr. X dort einrrifft, nimmt A seinen Schirm von dem Fahrer in Empfang. C war nur vorübergehend in der Ausübung seiner Sachherrschaft verhindert. Er hat den Besitz an dem Schirm nicht gemäß § 856 verloren.
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3. Als Sonderfälle des unmittelbaren Besitzes können die Ausübung der tatsächlichen Sachherrschaft durch einen Besitzdiener (§ 855) sowie der Erbenbesitz (§ 857) bezeichnet werden. Bei beiden Formen fallen Besitzereigenschaft und tatsächliche Sachherrschaft auseinander.
a) Unmittelbarer Besitz besteht auch dann, wenn der Besitzer die tatsächliche tO Gewalt über die Sache nicht selbst innehat, sondern durch einen Besitzdiener (§ 855) ausübt. Der Besitzdiener hat selbst keinen Besitz an der Sache. Er übt lediglich die Sachherrschaft für einen anderen aus.
aa) Der Besitzdiener steht in einem nach außen erkennbaren sozialen Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Besitzherrn. Er ist ihm innerhalb eines tatsächlichen Weisungsverhältnisses untergeordnet. Das Rechtsverhältnis, das dem Weisungsverhältnis zugrundeliegt, braucht nichr wirksam zu sein. Andererseits reicht aber auch eine bloß wirtschaftliche Abhängigkeit nicht aus (BGHZ 27, 360; Pal. § 855 Rn. 1).
Beispiele:
- Arbeitnehmer, Hausangestellte etc. sind Besitzdiener hinsichtlich ihrer Arbeitsgeräte.
- Boten sind Bcsitzdiener an den Gegenständen, die sie überbringen.
- Gepäckträger sind Besitzdiener an den Gepäckstücken, die sie auftragsgemäß transportieren.
bb) Der Besitzdiener übt die tatsächliche Gewalt über die Sache nur dann für seinen Besitzherrn aus, wenn er im Rahmen seines sozialen Abhängigkeitsverhältnisses tätig wird. Solange sich der Besitzdiener innerhalb des Aufgabenbereiches hält, der ihm übertragen wurde, kommt es auf seinen Willen zum Besitz nicht an. Das bedeutet, der Besitzdiener erlangt keinen Besitz an denjenigen Sachen, die auf ihn übertragen werden. Mit Übergabe der Sache an den Besitzdiener erlangt allein der Besitzherr den unmittelbaren Besitz.
Beispiel: Rechtsanwalt R bestellt für sein Büro eine Schreibmaschine. Seine Auszubildende A soll darauf das Maschineschreiben lernen. Bei Lieferung nimmt A die Maschine in Empfang. Sie stellt sie auf ihren Schreibtisch. R ist Besitzer geworden, unabhängig davon, daß A die Schreibmaschine ausschließlich für sich nutzen soll.
Hinweis: Der Besitz ist von dem Gewahrsam i. S. d. § 808 ZPO zu unterscheiden. Der Besitzdiener hat lediglich den Gewahrsam an der Sache inne. Den Besitz übt er für seinen Besitzherrn aus.
cc) Etwas anderes gilt dann, wenn der Besitzdiener einen entgegenstehenden Willen nach außen zu erkennen gibt und selbst die tatsächliche Sachherrschaft nach seinen eigenen Vorstellungen ausüben will. Dann begeht er verbotene Eigenmacht, § 858 (BGHZ 8,130; Pal. § 855 Rn. 4). Wenn der Besitzdicncr die Sache ohne Einverständnis des Besitzherrn im eigenen Namen an einen Dritten weiter veräußert, stellt sich des weiteren die Frage, ob dem Besitzherrn die Sache nach § 935 abhanden gekommen ist.
Fall 2:
Im vorangegangenen Beispiel stellt A die Schreibmaschine nicht auf ihren Schreibtisch im Büro, sondern nimmt sie mit nach Hause. Bald darauf veräußert sie die Maschine an ihre Freundin E Diese glaubt, A sei die Eigentümerin. Als Rechtsanwalt R davon erfährt, verlangt er von F die Schreibmaschine heraus. Mit Erfolg?
Lösung:
Herausgabeanspruch des R gegen F nach § 985:
(I) F ist Besitzerin der Schreibmaschine.
(II) R müßte Eigentümer sein.
(1) Ursprünglich hatte R das Eigentum an der Maschine.
(2) Möglicherweise hat er das Eigentum durch die rechtsgeschäftliche Veräußerung von A an F verloren. Da A selbst nicht Eigentümerin war, kommt allenfalls gutgläubiger Erwerb nach §§ 929 S. 1, 932 1 in Betracht.
(a) Die Voraussetzungen für einen gutgläubigen Eigentumserwerb liegen unzweifelhaft vor.
(b) Der Erwerb ist aber gemäß § 935 ausgeschlossen, wenn die Sache dein bisherigen Besitzer abhanden gekommen ist. Das ist dann der Fall, wenn R unfreiwillig den Besitz verloren hat. Stellt man auf den Besitzaufgabewillcn des R ab, so liegt Abhandenkommen vor, da R die Schreibmaschine nicht freiwillig weggegeben hat. Hält man hingegen den Willen der A für maßgeblich, so liegt kein Abhandenkommen vor,
- Zum Teil wird die Ansicht vertreten, daß es für die Beurteilung auf den Willen des Besitzdieners ankommt (M. Wolf Rn. 431; MK § 855 Rn. 23).
Argument: Der Besitzdiener, der sich den Weisungen seines Besitzherrn entzieht, tritt nach außen selbst wie ein Besitzer auf und kann in tatsächlicher Hinsicht auf die Sache einwirken. Nach außen ist das Besitzdienerverhältnis nicht erkennbar. Der Erwerber wird in seinem Vertrauen auf den Weggabewillen des Besitzdieners geschützt.
- Demgegenüber ist nach h. M. allein der Wille des Besitzherrn maßgebend. Die Veruntreuung durch den Besitzdiener stellt einen unfreiwilligen Besitzverlust und somit ein Abhandenkommen dar (OLG München NJW 1987, 1830; Pal. § 935 Rn. 4; Baur/Stürner § 52 V 2 a bb).
Argument: Es kommt allein auf die objektive Besitzlage an. Im Gesetz gibt es keine Regelung, wonach man im Rechtsverkehr bei der Ermittlung der Besitzlage jemanden nach dem äußeren Anschein für den Besitzer halten kann.
Ergebnis: Da somit der gutgläubige Eigentumserwerb der F ausgeschlossen ist, ist R Eigentümer der Schreibmaschine geblieben. Er kann von F die Herausgabe nach § 985 verlangen.
b) Eine weitere Besonderheit bei dem Erwerb des unmittelbaren Besitzes stellt 11 der Erbenbesitz nach § 857 dar.
aa) Der Erbe erlangt mit Eintritt des Erbfalls dieselbe besitzrechtliche Stellung, die der Erblasser innehatte, und zwar unabhängig davon, ob der Erbe die tatsächliche Sachherrschaft hat oder einen Besitzbegründungswillen erkennbar macht. Der Erbe braucht nicht einmal Kenntnis von dem Erbfall zu haben (MK § 857 Rn. 7).
Beispiel: E ist auf Urlaubsreise mit unbestimmtem Aufenthaltsort im Ausland, als sein Vater V verstirbt. E erfährt erst nach seiner Rückkehr von dem Tod des V. Es stellt sich heraus, daß V dem E unter anderem eine kostbare Münzsammlung hinterlassen hat, die er in einem Banksafe deponiert hatte. Zum Zeitpunkt des Todes des V ist E unmittelbarer Besitzer der Münzsammlung geworden, obgleich er von dem Erbfall noch nicht wußte.
Lernhinweis: Mit dem Tod des Erblassers tritt der Erbe im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in dessen Rechtsstellung ein. Lesen Sie hierzu § 1922! Die Vorschrift des § 857 dient der Klarstellung, daß dies auch für den Besitz gilt, der ja kein im Cesetz geregeltes Recht ist.
bb) In der rechtlichen Fallösung ist der Erbenbesitz von Bedeutung bei folgender Problemstellung, die Sie sich vergegenwärtigen sollten:
Die Erbschaft kann durch bestimmte Umstände wegfallen, und zwar durch:
- Ausschlagen der Erbschaft, § 1953
- Erbanfechtung, 1957, 2078
- Erbunwürdigkeitserklärung, § 2344
In all diesen Fällen gilt der Erbfall als nicht eingetreten. An die Stelle des bisherigen Erben tritt der wahre Erbe. Ebenso wie die Rechtsstellung, die der bisherige Erbe gemäß § 1922 erlangt hatte, fällt auch der Erbenbesitz weg. Fraglich ist, ob der wahre Erbe auch den Besitz mit Rückwirkung (§ 142 I) erlangt.
Fall 3;
Erblasser E hat seinen Freund A testamentarisch als Erbe eingesetzt. A veräußert ein wertvolles Gemälde aus dem Nachlaß an den Galerist G. Kurz darauf ficht der Neffe N des E das Testament erfolgreich an. Er verlangt von G die Herausgabe des Gemäldes. Zu Recht?
Lösung:
Anspruch des N gegen G auf Herausgabe nach § 985:
(I) G ist Besitzer des Gemäldes.
(II) N als Anspruchsteller müßte Eigentümer sein.
(1) Zunächst war das Eigentum bei dem Erblasser E. Mit Eintritt des Erbfalls ist das Eigentum auf A übergegangen (§ 1922). Durch die Anfechtung der Erbschaft ist das Erbe des A rückwirkend wcggefallen (§§ 1957,2078). Damit ist der tatsächliche Erbe N an die Stelle des A getreten. N ist somit Eigentümer des Gemäldes.
(2) Möglicherweise ist das Eigentum an dem Gemälde aber infolge rechtsgeschäftlicher Übereignung zwischen A und G auf G übergegangen. Da die Erbschaft des A als von Anfang an als nicht bestehend anzusehen ist, konnte A allenfalls als Nichtberechtigter das Gemälde veräußern. In Betracht kommt deshalb ein gutgläubiger Eigenttimserwcrb des G gemäß 929 S. 1, 932 I.
(a) Ein Veräußerungsgeschäft zwischen A und N liegt vor. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte kann hier unterstellt werden, daß G bei Erwerb des Bildes gutgläubig war.
(b) Das Gemälde könnte dem wahren Erben N aber gemäß § 935 abhanden gekommen sein. Dann müßte er unfreiwillig den Besitz verloren haben. Zum Zeitpunkt der Veräußerung an G war A, und nicht N, der Besitzer des Gemäldes. Mit Eintritt des Erbfalls war A gemäß § 857 in die be sitz rech fliehe Stellung des Erblassers E eingetreten. Aufgrund seines vermeintlichen Erbrechts hat er den unmittelbaren Besitz an dem Gemälde ergriffen und auf G weiter übertragen. Der wahre Erbe N könnte nur dann den Besitz inne gehabt haben, wenn er infolge der Erbschaftsanfechtung rückwirkend (§ 142 I) auch den Besitz an den Nachlaßgegenständen erlangt hat. Dies ist im einzelnen umstritten.
- Zum Teil wird angenommen, daß die Rückwirkung des Erbschaftsanfalls auch den Erbenbesitz (§ 857) mit erfaßt (MK § 857 Rn. 12).
Argument: Der hauptsächliche Zweck des § 857 besteht in dem Schutz des wahren Erben vor Veräußerung von Nachlaßgegenständen. Wenn aber der nicht berechtigte Erbenbesitzer ohne Wissen des wahren Erben Gegenstände aus dem Nachlaß weiter veräußert, ist dem tatsächlichen Erben der Nachlaßgegenstand abhanden gekommen (§ 935). Der gutgläubige Eigentumserwerb ist ausgeschlossen.
- Nach anderer Ansicht kommt es auf die tatsächlichen Besitzverhältnisse zurZeit der Bcsitzübertragung an (Ebcnroth/Frank JuS 1996, 794).
Argument: Die §§ 857, 1953 schaffen eine doppelte Fiktion. Diese Konstruktion muß hinter den tatsächlichen Umständen zurücktreten. Der bisherige Erbe hatte bei Übertragung des Besitzes den Erbenbesitz tatsächlich inne. Es liegt kein Abhandenkommen vor.
Wenn Sie rechtlich exakt sein wollen, argumentieren Sie mit der erstgenannten Auffassung. Demnach ist der wahre Erbe N als Besitzer des Gemäldes zur Zeit der Eigentumsübertragung anzusehen. Durch die Weiterveräußerung des vermeintlichen Erben A ist N das Bild abhanden gekommen. Als Folge davon konnte G nicht gutgläubig Eigentum erwerben.
Ergebnis: N kann von G Herausgabe des Gemäldes gemäß § 985 verlangen.
Hinweis: Der wahre Erbe verliert unfreiwillig den Besitz, wenn der Erbschaftsbesitzer aufgrund eines vermeintlichen Erbrechts Gegenstände aus dem Nachlaß veräußert. Der gutgläubige Dritte kann nach § 935 nicht Eigentum erwerben.
Anders verhält es sich, wenn der Erbschaftsbesitzer durch einen Erbschein legitimiert ist. Der Dritte erwirbt sodann das Eigentum gemäß § 2366.
II. Mittelbarer Besitz
1. Der mittelbare Besitz gemäß § 868 ist dadurch gekennzeichnet, daß der Besitz- 12 mittler in seiner besitzrechtlichen Stellung dem mittelbaren Besitzer untergeordnet ist. Voraussetzung des mittelbaren Besitzes ist, daß der mittelbare Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft durch einen anderen, eben den Besitzmittler, vermittelt erhält. Des weiteren muß der Besitzmittler den entsprechenden Fremdbesitzerwillen haben. Und der mittelbare Besitzer muß gegen den Besitzmittler einen durchsetzbaren Herausgabeanspruch haben.
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a) Zwischen dem mittelbaren Besitzer und dem Besitzmittler muß ein Besitzmitt- 13 lungsverhältnis bestehen. Erforderlich ist ein konkret bestimmtes Rechtsverhältnis, aufgrund dessen der Besitzmitrler seinen unmittelbaren Besitz vom mittelbaren Besitzer ableitet. Mit dem unmittelbaren Besitz sind Herausgabe- und Sorgfaltspflichten des Besitzmittlers verbunden. Eine bloß abstrakte Abrede, für einen anderen besitzen zu wollen, erfüllt diese Anforderungen nicht.
Beispiel: E ist Besitzer einer Hauskatze. Als er in Urlaub fährt, bittet er seinen Nachbarn N, regelmäßig nach der Katze zu sehen und ihr Futter zu geben. Außerdem soll N ab und zu die Blumen des E gießen. E und N haben nur eine allgemeine Abrede getroffen, daß N vorübergehend für E den Besitz ausiiben soll. Dies reicht für die Begründung eines konkreten Besitzmittlungsverhältnisses i. S. d. § 868 nicht aus.
Der Besitzmittler zieht eine zeitlich begrenzte Besitzberechtigung aus dem Besitzmittlungsverhältnis. Es genüge ein vermeintliches Rechtsverhältnis, es braucht also nicht rechtswirksam zu sein (Pal. § 868 Rn. 10).
Beispiel: M hat die Wohnung des V gemietet, ohne zu wissen, daß V entmündigt ist. Der Mietvertrag ist unwirksam (§ 105 I). Dennoch ist M aufgrund des vermeintlich wirksamen Rechtsverhältnisses mittelbarer Besitzer der Wohnung.
Lern hin weis: Lesen Sie die Vorschrift des § 868! Achten Sie auf den genauen Wortlaut! Der Ausdruck „auf Zeit“ verdeutlicht den begrenzten Zeitraum, für den das Besitzmittlungsverhältnis eingegangen wird. Die Formulierung „als Nießbraucher“ kennzeichnet, daß ein vermeintlich gültiges Rechtsverhältnis ausreicht.
Bestimmte Besitzmittlungsverhältnisse sind vom Gesetz vorgesehen und in § 868 aufgeführt, als da sind:
- Miete oder Pacht, §§ 535 ff.
- Verwahrung, §§ 688 ff.
- Nießbrauch, §§ 1030 ff.
- Pfandgläubiger, §§ 1204 ff.
Hierbei handelt es sich lediglich um eine beispielhafte Aufzählung. Von § 868 werden darüber hinaus auch „ähnliche Verhältnisse“ erfaßt. Gemeint sind diejenigen Rechtsverhältnisse, durch die der unmittelbare Besitzer dem mittelbaren Besitzer den Besitz in vergleichbarer Weise vermittelt. In Betracht kommen alle Rechtsverhältnisse, bei denen die Rechte und Pflichten der Parteien durch Vertrag oder aufgrund Gesetzes feststehen, insbesondere:
- Leihe, §§ 598 ff.
- Auftrag, §§ 662 ff.
- Eigentums vorbehalt, § 455
- Sicherungsvertrag bei der Sicherungsübereignung, § 305 i. V. m. §§ 929 S. 1, 930
- Eheliche Lebensgemeinschaft, § 1353
- Vermögenssorge aus dem Eltern- Kind- Verhältnis, § 1626
- Pfändung durch den Gerichtsvollzieher als staatlicher Hoheitsakt, § 809 ZPO
14 b) Der Fremdbesitzerwillen setzt voraus, daß der Besitzmittler den tatsächlichen Willen hat, dem mittelbaren Besitzer die tatsächliche Herrschaft über die Sache zu mitteln. Er muß das übergeordnete Verhältnis zu dem mittelbaren Besitzer anerkennen. Sobald sich der mittelbare Besitzer nach außen erkennbar zum Eigenbesitzer aufschwingt, endet der mittelbare Besitz.
c) Der mittelbare Besitzer muß einen durchsetzbaren Herausgabeanspruch gegen den Besitzmittler haben. Durchsetzbar ist der Anspruch auf Herausgabe, wenn er nicht verjährt ist. Er kann sich aus dem Besitzmittlungsverhältnis selbst ergeben, insbesondere aus:
- Miete oder Pacht, § 556
- Verwahrung, § 604
- Nießbrauch, § 1055
- Pfandrecht, § 1223.
Bei Vorliegen eines vermeintlichen Rechtsverhältnisses genügt ein gesetzlicher Herausgabeanspruch. Hier kommen folgende Anspruchsgrundlagen in Betracht:
- Der dingliche Herausgabeanspruch gemäß § 985
- Bcrcicherungsrecht, § 812
- Deliktsrecht, § 823 i. V. m. § 249
- Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA), § 681 S. 2 i. V. m. § 667
Beispiel: Der Mietvertrag zwischen V und M ist unwirksam, da V geschäftsunfähig ist (s. o.). V hat gegen M keinen vertraglichen Herausgabcanspruch nach § 556. Er kann jedoch Herausgabe der Wohnung gemäß § 985 verlangen, da auch die Übereignungserklärung unwirksam ist und er Eigentümer geblieben ist. Und er hat Anspruch nach $ 8121 1, E 1 auf Herausgabe des Besitzes.
Hinweis: In der rechtlichen Fallbearbeitung brauchen Sie auf die einzelnen Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes nur dann ausführlich einzugehen, wenn deren Vorliegen zweifelhaft ist, z. B. wenn der Fremdbesitzerwillen nicht eindeutig ist. Ansonsten können Sie die Frage des mittelbaren Besitzes mit Vorliegen eines anerkannten Besitzmittlungsverhältnisses kurz „abha- lkcn'' )
2. Gemäß § 871 ist auch mehrstufiger mittelbarer Besitz möglich. Es liegen meh- 15 rere mittelbare Besitzverhältnisse vor. Die Besitzer sind einander jeweils in einem Stufenverhältnis nachgeordnet. Häufigstes Beispiel ist die Untermiete.
Beispiel: V vermietet sein Einfamilienhaus an M. Dieser schließt mit der Studentin U einen Untermietvertrag über die Mansarde ab. U ist unmittelbare Besitzerin. M ist mittelbarer Besitzer 1. Grades, V mittelbarer Besitzer 2. Grades und zugleich Eigentümer.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3. Die Vorschriften §§ 868, 871 über den mittelbaren Besitz haben den Zweck, den mittelbaren Besitz dem unmittelbaren im Hinblick auf Besitzschutz gleichzustellen. Der mittelbare Besitzer hat die tatsächliche Sachherrschaft nur für einen begrenzten Zeitraum aufgegeben, indem er dem Besitzmittler den unmittelbaren Besitz überlassen hat. Er hat die Gewalt über die Sache nicht auf Dauer aufgegeben. Aus diesem Grund sollen ihm die Besitzschutzansprüche (§§ 859, 861 und 862) zustehen, sofern die erforderliche verbotene Eigenmacht (§ 858) gegen den unmittelbaren Besitzer begangen wurde.
16 4. Übertragen wird der mittelbare Besitz gemäß § 870 durch Abtretung des Herausgabeanspruchs. Erforderlich ist eine wirksame Abtretungsvereinbarung nach §398 zwischen dem bisherigen mittelbaren Besitzer und dem Erwerber des mittelbaren Besitzes.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
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- Assessorin jur. Heike Schaffrin (Author), 2020, Sachenrecht I, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/923080
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