Die Leitgedanken der Sozialen Arbeit im Nationalsozialismus und heute könnten nicht unterschiedlicher sein. Eindeutig ist, dass sich die ausführende Soziale Arbeit im Nationalsozialismus aktiv an der Euthanasie beteiligte und sich dem Weltbild des NS-Regimes fügte.
Diese Hausarbeit setzt sich mit den Themen auseinander, wie sich die Soziale Arbeit unter dem Einfluss des Nationalsozialismus entwickelte und welche Aufgaben und Ziele sie in dessen Schatten verfolgte. Des weiteren werde ich auch die Ausbildungsbedingungen und Widerstände gegen die Vorstellungen von Sozialer Arbeit bzw. Volkswohlfahrt aufgreifen.
Inhaltsverzeichnis
Einführung
1 Historischer Überblick
2. Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) und die Gleichschaltung der Wohlfahrtspflege
3. Handlungsfelder, Aufgaben und Ziele der Volkswohlfahrt
3.1 Jüdische Wohlfahrtspflege
3.2 Jugendhilfe
3.3 Psychisch kranke und beeinträchtigte Menschen
3.4 Winterhilfswerk (WHW)
4 Fachkräfte, Ausbildung und Ausbildungsstätten
5 Widerstände gegen das System der Volkswohlfahrt am Beispiel von Alice Salomon
Fazit
Literaturverzeichnis
Einführung
Die Geschichte der Menschheit und deren einzelne Epochen sind vom Mittelalter an auch eng mit der Entwicklung der Sozialen Arbeit verknüpft. Sie versteht sich als Teil der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in der Zivilisation, aber auch als eine eigenständige geschichtliche Entwicklung. Dies zeigt sich vor allem in der Entwicklung der Begrifflichkeiten, Theorien, Institutionen, Handlungsfeldem und vielen weiteren Bereichen, die die Soziale Arbeit als Profession begründen. Bei dieser Entwicklung handelt es sich um einen andauernden Prozess, der auch in Zukunft nicht enden wird, sondern folglich immer weiter voran schreiten wird. Gerade der Begriff und das Verständnis von den sog. „sozialen Problemen“ hat sich in vergangen Zeiten immer weiter gewandelt und wird sich auch in Zukunft noch weiterhin verändern, indem neue Inhalte und Aspekte hinzukommen und bereits bestehende Inhalte aussortiert werden.
Gerade auf die Zukunft der Sozialen Arbeit lässt sich gespannt sein, da sie das berufliche Selbstverständnis, die Grundlage des Handelns (sowohl in der Praxis, als auch Wissenschaft) und die allgemeine Gegenwart aller Fachkräfte der Sozialen Arbeit begründen wird.
Jedoch ist es für die (zukünftigen) Sozialarbeiterinnen auch von großer Bedeutung in Kenntnis über die Anfänge und Vergangenheit der Berufsgruppe und Profession zu sein. Dieser Zusammenhang zur Geschichte wird in folgender These von Engelke, Spatscheck und Borrmann skizziert und bildet somit die übergreifende Thematik dieser Hausarbeit:
„Der Werdegang der Sozialen Arbeit als Praxis und Wissenschaft hängt eng mit dem gesellschaftlichen Prozess der Zivilisation, der Industrialisierung und der Demokratisierung zusammen.“ (Engelke/Spatscheck/Borrmann 2009, 40)
Da ich die Verknüpfung zwischen dem Werdegang der Sozialen Arbeit und gerade der Demo - kratisierung für einen der wichtigsten Pfeiler für die weitere Entwicklung der Profession sehe und mich auch auf persönlicher Ebene mit der Thematik auseinandersetze, habe ich mich mit ei - nem der bedeutendsten, düsteren Kapitel der Sozialen Arbeit beschäftigt, welches sich nur schwer in den Verlauf der Moderne des 19. und 20. Jahrhunderts einordnen lässt:
Die Soziale Arbeit im Schatten des NS-Regimes:
Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt und deren Auswirkung auf „Minderheiten“ Aber um erst einmal eine Differenz zur heutigen Sozialen Arbeit darstellen zu können, sollte das Verständnis dieser Berufsgruppe von heute zu damals deutlich abgegrenzt werden. Hierzu hat die Internationale Federation of Social Workers (2016) eine klärende Definition begründet: „Soziale Arbeitfördert aispraxisorientierte Profession und 'wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen. Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein.“
Vertretend für das NS-Regime begründete der Amtsleiter für Volkswohlfahrt, Hermann Althaus, 1937 das Verständnis bzw. die Aufgabe von Sozialer Arbeit bzw. der sog. Volkswohlfahrt wie folgt: „Ihr gilt nicht der Satz von der Gleichheit der Staatsbürger. Sie weiß, dass die Erbanlage die Menschen ungleich in ihrem Wert für das Wohl des Volkes ausgerichtet ist, wird im Gegensatz hierzu die Minderwertigen in einer ausmerzenden Erbpflege zurückdrängen. “ (Lambers 2018, 173 zit. n. Amthor 2003, 303)
Es lässt sich also erkennen, dass die Leitgedanken dieser beiden Definitionen nicht unterschiedlicher sein könnten. Eindeutig ist, dass sich die ausführende Soziale Arbeit im Nationalsozialismus aktiv an der Euthanasie beteiligte und sich dem Weltbild des NS-Regimes fügte.
Im Folgenden werde ich mich nun mit der Frage auseinandersetzen, wie sich die Soziale Arbeit unter dem Einfluss des Nationalsozialismus entwickelte und welche Aufgaben und Ziele sie in dessen Schatten verfolgte. Dennoch werde ich auch die Ausbildungsbedingungen und Widerstände gegen die o. g. Vorstellung von Sozialer Arbeit bzw. Volkswohlfahrt aufgreifen.
Einen Hinweis zu bestimmten Begrifflichkeiten und Redewendungen möchte ich zu Beginn ge - ben. Redewendungen und Begriffe, die der rassistischen, diskriminierenden und ausgrenzenden Sprache der Nationalsozialisten entspringen, werden im Verlauf übernommen und in Anführungszeichen gesetzt (vgl. Schaper, Nadine 2011).
1. Historischer Überblick
Im Januar 1933 wurde die Regierung von Deutschland durch die NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) übernommen. Dies galt rückblickend als Endpunkt einer krisenhaften Entwicklung, wofür ein Grund die mangelnde Akzeptanz der republikanisch-demokratischen Staatsformen war. Des Weiteren war auch die ,,[...] schleichende Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie durch sog. ,Parteigezänk‘ einerseits und durch die ,Notverordnungs- politik' andererseits“ (Hering /Münchmeier 2014, 167) ein Grund (vgl. Hering / Münchmeier 2014, 167).
Seit 1930 war die Bevölkerung daran gewohnt, dass es keine genaue parlamentarische Kontrolle der Regierung mehr gab, da die Amtsinhaber Brüning und Papen, welche von 1930 bis 1933 regierten, zur ihrer Zeit schon demokratische Grundlagen missachteten. Dies betraf auch Hilfsprogramme, welche nicht funktionierten. Daraus resultierend erhielt Hitler durch die Bevölkerung die Chance, diese Probleme in Form seiner ganz eigenen Vorgehensweise in den Griff zu kriegen bzw. gar zu beseitigen (vgl. ebd.).
Frühes Unbehagen der linken Fraktion gegenüber der NSDAP fand keinen Anklang. Auch mögliche Zusammenschlüsse der anderen Parteien gegen die NSDAP scheiterten am Problem des weiterhin bestehenden „Parteigezänks“ (vgl. ebd.). Die Ignoranz gegenüber den ersten kritischen Stimmen gegen die NSDAP fand sich in den Reichstagswahlen 1933 wider. Bei dieser kamen der NSDAP 43,9% aller Stimmen zu gute (vgl. Wikimedia Foundation Inc.: Reichstagswahlen März 1933).
Mit den ,,[...] Verhaftungen aller prominenten politischen Gegnerinnen und Gegner, Auflösung des Parlaments, Entlassung politisch Unzulässiger' aus dem öffentlichen Dienst, Überwachung durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo), Rechtsbeugung, Schauprozesse (beginnend mit dem Reichstagsbrandprozess), Aufbau von Massenorganisationen, Repressalien gegen Unangepasste und erste Schritte zur Ausgrenzung ,nichtarischer‘ [...] (Hering / Münchmeier 2014, 168) trat die Herrschaft der Nationalsozialisten ein.
Nachdem die Gegnerinnen des NS-Regimes vertrieben, verhaftet oder exekutiert wurden, begann die „Gleichschaltung“ aller Organisationen durch den Zusammenschluss zur völkischen Ideologie (vgl. Hering / Münchmeier 2014, 169).
Folglich stellte das NS-Regime aber nicht nur Terror dar. Es stellte ein großes und buntes Konzept zum Aufbau und der Festigung der Volksgemeinschaft auf. Um ein paar Beispiele zu nennen: Aufmärsche von jungen, blonden Ariern in Uniformen; Sport; Ferienfahrten; Propagandafilme und letztlich auch ein landesweiter Straßenschmuck aus roten Fahnen mit Hakenkreuzen. Dies sollte also das glückliche Zusammenleben der arischen Rasse darstellen, die erst als voll - ends hochwertig angesehen werden konnte, wenn „rassische Minderheiten“ aussortiert würden (vgl. ebd.).
Somit prahlte diese „arische Rasse“ mit einem Alltag ohne Arbeitslosigkeit, mit einer aufblühenden Wirtschaft, ohne öffentliche Konflikte, ohne Angst vor Obdachlosigkeit etc. Doch auf welchen Umständen diese Tatsachen beruhten offenbarte sich nur denen, die das System wirklich kritisch hinterfragten (vgl. ebd.).
Die Schreckenstaten der Nationalsozialisten zeigten sich erst, als die Welt in den größten Land-, See- und Luftkrieg der menschlichen Geschichte gestürzt wurde (vgl. a.a.o., 170), welcher insgesamt über 70 Millionen Menschen (vgl. Weidenbach 2020) das Leben kostete.
2. Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) und die Gleichschaltung der Wohlfahrtspflege
Bei der sog. Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) handelte es sich um den Träger der Wohlfahrtspolitik im Nationalsozialismus, welcher sich in Reichsleitung der NSDAP befand. Geleitet wurde die NSV von Erich Hilgenfeldt. Gegliedert hat sich die NSV in Gau-, Kreis- und Ortsverwaltungen, sowie in Zellen und Blöcke (vgl. Scriba 2015a).
Mit dem Ziel der zentralen Einbindung und Steuerung der kompletten freien Wohlfahrt (vgl. Lambers 2018, 174) wurde der Selbsthilfeverein 1932 in Berlin gegründet (vgl. Scriba 2015a).
Durch die sich ausdehnenden Wohlfahrtseinrichtungen, Gesundheitsprogramme und sozial-fürsorglichen Einrichtungen, zum Zweck der Propaganda für das NS-Regime (vgl. Lambers 2018, 174), wuchs die NSV zur zweitgrößten Massenorganisation des deutschen Reichs an (vgl. Scriba 2015a). 1943 zählte sie insgesamt ca. 17 Millionen Mitglieder (vgl. ebd.).
Der Schwerpunkt ihrer Arbeit fand sich u. a. in der Gesundheitsfürsorge, in Vorsorgeuntersuchungen und in medizinischer Betreuung, die während des Krieges überwiegend von Bomben- opfem in Anspruch genommen wurde. Aber auch die Stärkung der rassisch definierten Volksgemeinschaft war einer der Arbeitsschwerpunkte. Schulungen und Beratungen wurden daraus resultierend um Belehrungen bzgl. des Weltbildes und der Rassenhygiene ergänzt (vgl. ebd.).
Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten änderte sich auch einiges für die bereits be - stehenden Wohlfahrtsorganisationen. Durch finanzielle Unterstützung, wie Spenden und Mitgliedsbeiträge, aber auch Unterstützung durch ehrenamtliche Helfer*innen, standen der NSV ausreichend Ressourcen zur Verfügung, um in fast alle Sozialbereiche vordringen zu können (vgl. ebd.). Somit wurde z. B. der Patriartische Wohlfahrtsverband im Jahre 1934 erst mit der NSV gleichgeschaltet (Def.: „Prozess der Vereinheitlichung“ (Wikimedia Foundation Inc.: Gleichschaltung)) und folglich von den eigenen Mitgliedern aufgelöst (vgl. Lambers 2018, 174).
„Der Wohlfahrtsausschuss der Christlichen Arbeiterschaft und die Arbeiterwohlfahrt wurden - ebenso wie die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und die Gewerkschaften - 'verboten“ (Lam- bers2018, 174).
Die Arbeit des Deutschen Roten Kreuzes, der Inneren Mission und des Deutschen Caritasver- bandes wurde mit der NSV gleichgeschaltet und nicht aufgelöst, da sie unter dem Schutz des Reichskonkordats (Def.: Staatskirchenvertrag (Konradin Medien GmbH: Reichskonkordat) von 1933 standen.
Die Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden wurde anfangs noch geduldet, bevor sie 1937/38 von der deutschen Winterhilfe ausgeschlossen wurde. 1939 wurde in Folge des Kriegsausbruch der Verband zwangsaufgelöst und die Mitglieder in Konzentrationslager deportiert (vgl. ebd.). Somit gab es keine Fürsorge der Juden mehr (vgl. Scriba 2015a), sondern folglich das Gegenteil: Diskriminierung, Rassismus, Ausgrenzung, Verfolgung, Verschleppung, Folter und Morde an Millionen von Menschen (vgl. ebd.).
Unzählige körperlich, als auch geistig beeinträchtigte Menschen, die erbbiologisch als „minderwertig“ verleumdet wurden, fielen ab Oktober 1939 der Euthanasie der Nationalsozialisten zum Opfer. Laut ihnen handelte es sich bei diesen Menschen um sog. „Ballastexistenzen“.
Ebenso betroffen waren Alkoholiker, bereits entlassene Sträflinge und weitere „Minderheiten“, da diese für das sog. „gesunde Volk“ von keinem Wert waren (vgl. Scruba 2015a).
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- Citation du texte
- Lea-Melina Mann (Auteur), 2020, Die Soziale Arbeit im Schatten des NS-Regimes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/923076
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