Die Arbeit untersucht die These von einem "New Great Game" der Großmächte im Kaukasus und Zentralsien. Im Mittelpunkt stehen dabei die geostrategischen Maßnahmen der Großmächte, sowie der betroffenen Staaten, in der Frage der Weltmarktzuführung der kaspischen Öl- und Gasreserven. Im besonderen wird dabei die Rolle und Bedeutung Afghanistans vor dem 11. September 2001 untersucht.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Das „New Great Game“ - Begriffliche Abgrenzung
2 Politische und Ökonomische Voraussetzungen des „New Great Game“
3 Die internationalen Akteure und ihre Interessen
3.1 Die ehemaligen Sowjetrepubliken
3.2 Die internationalen Öl- und Erdgas-Konsortien
3.3 Die USA
3.4 Russland
3.5 Der Iran
3.6 Die Türkei
4 Die Rolle Afghanistans im „New Great Game“
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Einleitung
„Die acht Staaten Transkaukasiens und Zentralasiens haben ihre Identitätssuche noch nicht abgeschlossen, sie ringen um ihre dauerhafte Selbständigkeit, sie stehen überwiegend noch ganz am Anfang einer politischen und wirtschaftlichen Transformation [...] und sie sehen sich inmitten eines als bedrohlich empfundenen sicherheitspolitischen Vakuums den unter-schiedlichsten politischen Einflüssen von außen her ausgesetzt.“
Diese Feststellung traf ein Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion bereits im Sommer 1998, doch sie dürfte in den vergangenen Jahren noch an Bedeutung gewonnen haben. Die Begriffe Öl, Gas und Pipelines sind dabei untrennbar mit der Diskussion um die künftige Rolle des Kaukasus und Zentralasiens verbunden und wecken zuweilen imperialistische Assoziationen, wie die vom „Great Game“ zwischen dem Russischen Reich und Großbritannien im 19. Jahrhundert. Doch die Spielregeln haben sich geändert und das „Spiel“ ist im beginnenden 21. Jahrhundert weitaus komplexer geworden. Im Gegensatz zum „Great Game“ des 19. Jahrhunderts, agieren heute nicht nur Großmächte, wie die USA und Russland, sondern darüber hinaus auch eine Reihe weiterer Staaten, wie beispielsweise die Türkei und Iran. Außerdem spielen die betroffenen Staaten selbst eine ernstzunehmende Rolle im Ringen um eine zukunftsfähige politische Ordnung im Kaukasus und Zentralasien, sowie um eine einvernehmliche Lösung der Frage nach der Weltmarktzuführung der kaspischen Erdöl- und Erdgasvorkommen.
Auch heute ist die eingangs angedeutete Identitätssuche besagter Staaten nicht abgeschlossen und regionale Konfliktherde, wie auch solche von internationaler Dimension, allen voran Afghanistan, bedrohen die Stabilität der Region. Aus diesem Grund soll in der vorliegenden Arbeit das „New Great Game“ und dabei insbesondere die Rolle Afghanistans untersucht werden. Ziel der Arbeit ist es dabei zum einen, die Grundlinien des „New Great Game“ darzustellen, sowie zum anderen Afghanistans Rolle darin zu beleuchten und vorhandene Interdependenzen aufzuzeigen. Aufgrund des begrenzten Umfangs der Arbeit, wird dabei nur die Zeit vor dem elften September 2001 untersucht, da mit diesem Tag eine Reihe sicherheitspolitischer Zäsuren verbunden waren, welche die Entwicklungen in der Region erheblich veränderten.
Die Untersuchung gliedert sich in vier Teile. In einem ersten kurzen Abschnitt, wird die Begrifflichkeit des „New Great Game“ einer näheren Betrachtung unterzogen. Im zweiten Kapitel werden die politischen und ökonomischen Voraussetzungen behandelt, die zum „New Great Game“ geführt, oder es zumindest ermöglicht haben. Im dritten Kapitel folgt dann eine Analyse der einzelnen Akteure und ihrer Interessen. Abschließend soll im vierten Kapitel die Rolle Afghanistans untersucht werden.
1 Das „New Great Game“ - Begriffliche Abgrenzung
Der Begriff des „New Great Game“ bezieht sich, wie schon erwähnt, auf das „Great Game“ des 19. Jahrhunderts, als das Russische Reich und Großbritannien um die Vorherrschaft in Asien konkurrierten. Zwar bestehen vage Analogien zum heutigen Wirken internationaler Akteure im Kaukasus und Zentralasien die einen entsprechenden Vergleich provozieren, allerdings existieren auch eine Reihe von bedeutenden Unterschieden, die berücksichtigt werden müssen.[1] Wie bereits angedeutet, besteht der vielleicht gravierendste in der Komplexität der aktuellen Entwicklungen. Am „New Great Game“ sind weit mehr (später einzeln aufgeführte) Akteure beteiligt und darüber hinaus findet es nicht mehr in einer unentwickelten Region ohne staatliche Strukturen statt. Vielmehr sind die betroffenen Staaten selbst als Akteure in diesem „Spiel“ zu betrachten. Neben der größeren Anzahl staatlicher Akteure spielen heute außerdem nicht-staatliche Akteure, namentlich internationale Konzerne, eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Nicht zuletzt ist darüber hinaus die Zielsetzung eine andere. Im beginnenden 21. Jahrhundert geht es nicht mehr im strengen Sinne um die imperialistische Ausdehnung des eigenen Machtbereichs. Stattdessen existiert ein sensibles Geflecht von Interessen und Zielen verschiedenster Akteure, das durch „traditionelle“ Großmachtpolitik zwar gestört, aber nur schwerlich zum eigenen Vorteil beeinflusst werden kann.[2] Die Voraussetzungen für das im Folgenden – trotz berechtigter Zweifel an der Genauigkeit des Begriffs – als „New Great Game“ bezeichneten, internationalen Handelns im Kaukasus und Zentralasien, sowie die beteiligten Akteure und ihre Interessen, sind Gegenstand der folgenden Kapitel.
2 Politische und Ökonomische Voraussetzungen des „New Great Game“
In diesem zweiten Kapitel werden die politischen und ökonomischen Voraussetzungen untersucht, welche zum „New Great Game“ geführt haben. Den offensichtlichen Ausgangspunkt bildet der Zusammenbruch der Sowjetunion. Bei allen direkt betroffenen Staaten, mit Ausnahme von Afghanistan, also Aserbaidschan, Armenien, Georgien, Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan, sowie mit Abstrichen Tadschikistan, handelt es sich um ehemalige Sowjetrepubliken. Erst die Auflösung der Blöcke des bipolaren Systems erlaubte es insbesondere den USA, sowie westlichen Konzernen, in der Region tätig zu werden.
Die Entwicklung in der kaspischen Region nach dieser Zäsur begünstigten den Einfluss internationaler Akteure noch zusätzlich. Die politischen Strukturen in den neu entstandenen Staaten waren und sind nach 150 Jahren zaristischer und sowjetischer Fremdbestimmung unterentwickelt.[3] Eine Reihe lokaler Konflikte, wie beispielsweise der Karabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, die aus dem sowjetischen Erbe hervorgingen, oder zumindest durch die sowjetische Herrschaft eingefroren worden waren, kamen nun zum tragen und formten ein komplexes und zugleich instabiles politisches Umfeld und steigerten die Anfälligkeit für äußere Einflüsse. Nicht zuletzt die geographische Lage der neuen Staaten insbesondere des Kaukasus, an der Schwelle zwischen Asien und Europa, forderten schließlich internationale Bemühungen in die eine oder andere Richtung geradezu heraus.
Neben dem politischen Umsturz und der schwierigen Phase der Neuorientierung, erlebte die Region einen (unterschiedlich) starken Rückgang der Wirtschaftsleistung, in Folge der Auflösung und teilweisen Transformation der traditionellen wirtschaftlichen Verbindungen mit dem ehemaligen sowjetischen Kernland.[4] Dieser wirtschaftliche Niedergang steht im krassen Gegensatz zu den in der Region vorhandenen Rohstoffen, die neben den rein strategischen Ambitionen den Kern der internationalen Interessen im Kaukasus und Zentralasien bilden. Im kaspischen Becken befinden sich Erdöl- und Gasvorkommen, deren genaue Größe zwar bisher nicht bekannt ist, die allerdings mit einiger Wahrscheinlichkeit diejenigen in der Nordsee beispielsweise übertreffen.[5] Die Region erlangt dadurch nicht die energiepolitische Bedeutung der Golfregion. In Anbetracht schwindender Reserven in den Industrienationen und der politischen Fragwürdigkeit einer wachsenden Abhängigkeit von den Golfstaaten, kommt ihnen dennoch eine ernstzunehmende Bedeutung zu. Zwar beschränken sich die Energievorkommen auf die Staaten Aserbaidschan, Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan, allerdings beziehen sich die energiepolitischen Interessen der internationalen Akteure – wie noch zu zeigen ist – vor allem auf die Transportwege, auf denen die Rohstoffe zu den Absatzmärkten gelangen. Während Erdöl neben Pipelines vor allem mittels Tankern und nötigenfalls sogar per Tankwagen über Land transportiert werden kann, kann Erdgas beim derzeitigen technologischen Stand nur mit Hilfe von Pipelines vom Erzeuger bis zum Endabnehmer transportiert werden.[6] Diese Tatsache verleiht auch denjenigen Staaten des Kaukasus und Zentralasiens eine gewichtige Rolle im „New Great Game“, die nicht selbst über die begehrten Rohstoffe verfügen, wie beispielsweise Afghanistan.
Es lässt sich also über die Voraussetzungen des „New Great Game“ folgendes festhalten: Die ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus und Zentralasien befinden sich in einer Phase politischer Neuorientierung und ökonomischer Transformation, die eine fruchtbare Grundlage für äußere Einflüsse bietet. Die reichhaltigen Energievorkommen in einigen der fraglichen Staaten haben internationale Begehrlichkeiten geweckt und die geopolitische Bedeutung der Region massiv aufgewertet. Die Frage der Transportwege für diese Rohstoffe führen schließlich dazu, dass auch die rohstoffärmeren Staaten der Region zu gefragten internationalen Partnern geworden sind.
Abschließend bleibt noch eines Festzuhalten: Hatte die kaspische Region schon nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion an geopolitischer Bedeutung gewonnen, so rückte sie nach den Anschlägen vom 11.09.2001 endgültig ins Rampenlicht internationaler Politik. Zu den energiepolitischen Fragen kamen weitere, strategische Aspekte hinzu. Die Präsenz US-amerikanischer Truppen in der traditionell russisch dominierten Region stellte ein absolutes geopolitisches Novum dar. Der Krieg in Afghanistan schließlich brachte einen bewaffneten Konflikt internationaler Dimension in die Region. Die Karten des „New Great Game“ wurden neu gemischt. Auf den damit einhergehenden Interessen- und Strategiewandel der beteiligten Akteure kann jedoch in dieser Untersuchung nicht eingegangen werden.
[...]
[1] Vgl. Ebel, Robert; Menon, Rajan (Hrsg.): Energy and Conflict in Central Asia and the Caucasus, Lanham, 2000, S. 23
[2] Vgl. Müller, Friedemann: Energiepolitische Interessen in Zentralasien, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 8 / 2002, S.28
[3] Vgl. Bertsch, Gary K. (Hrsg.): Crossroads and Conflict. Security and Foreign Policy in the Caucasus and Central Asia, New York, London, 2000, S. 25
[4] Für Daten zur Wirtschaftsleistung vergleiche Tabellen in: Kolodko, Grzegorz W.: From Shock to Therapy. The Political Economy of Postsocialist Transformation, Oxford, 2000, S. 360-412
[5] Vgl. Müller: Energiepolitische Interessen, S. 26
[6] Vgl. Müller: Energiepolitische Interessen, S. 24
- Quote paper
- Stefan Weidemann (Author), 2007, Afghanistan und das "New Great Game" um Öl und Gas im Kaukasus und Zentralasien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92249
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