In dieser Arbeit werden die Möglichkeiten der tiergestützten Intervention im Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendarbeit dargestellt. Der Fokus wird vor allem auf die Besonderheit des Hundes in der tiergestützten Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gelegt, da er dort mittlerweile sehr vielseitig eingesetzt wird. Zudem soll hier auch die Frage beantwortet werden, welche Wirksamkeit und Bedeutung die tiergestützte Intervention mit Hunden auf Kinder und Jugendliche hat.
Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Zu Beginn wird die Grundlage der Mensch-Tier-Beziehung dargestellt, nachfolgend die tiergestützten Interventionen und zum Schluss wird spezieller auf die hundegestützten Interventionen eingegangen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Grundlagen der Mensch-Tier-Beziehung
2.1 Erklärungsansätze
2.1.1 Biophilie-Hypothese
2.1.2 Du-Evidenz und Anthropomorphismus
2.1.3 Bindungstheoretische Überlegungen
2.2 Kommunikation zwischen Mensch und Tier
3 Tiergestützte Interventionen
3.1 Geschichtliche Entwicklung
3.2 Definition von tiergestützten Interventionen
3.3 Psychische Effekte
3.4 Therapeutische und pädagogische Implikationen
3.5 Warum Kinder Tiere brauchen
3.6 Green Chimneys
4 Hundegestützte Interventionen
4.1 Abstammung und Domestikation
4.2 Kommunikation Mensch Hund
4.3 (soziale) Dienstleistungsfunktionen
4.4 Voraussetzungen/Grenzen
4.4.1 Mensch
4.4.2 Hund
4.4.3 Einrichtung
4.5 Die fünf Grundmethoden
4.6 Praxiskonzepte für verschiedene Arbeitsfelder
4.6.1 Offene Kinder und Jugendarbeit (OKJA)
4.6.2 Aufsuchende Jugendarbeit (AuJa)
4.6.3 Jugendsozialarbeit an Schulen (JaS)
4.6.4 Kindertagesbetreuung
4.6.5 Einrichtungen der Jugendhilfe
5. Fazit
6. Resümee
7. Literaturverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Ich möchte meine Bachelorarbeit mit einem Zitat beginnen:
„Der junge Mensch braucht seinesgleichen - nämlich Tiere, überhaupt Elementares, Wasser, Dreck, Gebüsche, Spielraum. Man kann ihn auch ohne das alles aufwachsen lassen, mit Teppichen, Stofftieren oder auch auf asphaltierten Straßen und Höfen. Er überlebt es, doch man soll sich dann nicht wundern, wenn er später bestimmte soziale Grundleistungen nie mehr erlernt.“1
Dieses Zitat von dem Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich (1908-1982) macht deutlich, dass Tiere eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen spielen. Die tiergestützten Interventionen können dabei eine Hilfe für Kinder und Jugendliche bieten, einen natürlichen, emotionalen, kognitiven und sozialen Zugang zu sich selbst und zur Umwelt zu finden.
In den USA wird die tiergestützte Arbeit schon seit Jahren erfolgreich angewendet. In Deutschland fehlt noch immer das Interesse an der tiergestützten Intervention. Dabei belegen zahlreiche Studien die positive Wirkung von Tieren auf das menschliche Wohlbefinden. In den letzten 30 Jahren wurde in Deutschland zwar vermehrt geforscht, aber im internationalen Vergleich stehen wir noch relativ am Anfang.2
Ich möchte in meiner Bachelorarbeit die Möglichkeiten der tiergestützten Intervention im Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendarbeit darstellen, um das Interesse weiter aufleben zu lassen. Ich selbst hatte schon als Kind Tiere um mich herum, die mein Leben ungemein bereichert haben und deshalb kann ich gut nachvollziehen, dass der Umgang mit Tieren einen positiven Effekt auf den Menschen haben kann. In dieser Thesis wird der Fokus vor allem auf die Besonderheit des Hundes in der tiergestützten Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gelegt, da er dort mittlerweile sehr vielseitig eingesetzt wird. Ferner besteht ein reges Interesse meinerseits an dem Arbeitsfeld, da ich gerne meinen Hund für die tiergestützte Arbeit ausbilden möchte. Vor allem der Bereich der Kinder- und Jugendarbeit ist ein Arbeitsfeld, welches mich interessiert und in dem ich gerne meinen Hund einsetzen möchte.
Deshalb soll hier auch die Frage beantwortet werden, welche Wirksamkeit und Bedeutung die tiergestützte Intervention mit Hunden auf Kinder und Jugendliche hat.
Die Bachelorarbeit ist in drei Teile gegliedert. Zu Beginn wird die Grundlage der MenschTier-Beziehung dargestellt, nachfolgend die tiergestützten Interventionen und zum Schluss wird spezieller auf die hundegestützten Interventionen eingegangen.
Um zu verstehen, warum Tiere eine so wichtige Rolle in der Entwicklung des Menschen spielen, möchte ich im ersten Kapitel mit der Grundlage der Mensch-Tier-Beziehung beginnen. Zuerst soll dort die geschichtliche Entwicklung der Mensch-Tier-Beziehung dargestellt werden. Daran schließen sich die möglichen Erklärungsansätze an, die versuchen, diese Beziehung wissenschaftlich zu begründen. Abgeschlossen wird das Kapitel mit den Merkmalen der Kommunikation zwischen Mensch und Tier.
Nachdem die wichtigsten Grundlagen in Bezug auf die Beziehung zwischen Mensch und Tier erklärt wurden, sollen im zweiten Kapitel die tiergestützten Interventionen in den Blick genommen werden. Es wird zunächst die Geschichte der tiergestützten Interventionen vorgestellt. Anschließend werden die Begriffsbestimmungen der USA vorgestellt, da diese klarer definiert sind. Diese werden dann mit den deutschen Definitionen verglichen. Danach wird auf die Wirksamkeit der tiergestützten Interventionen auf den Menschen anhand von psychischen Effekten und therapeutischen und pädagogischen Implikationen eingegangen. Darauf aufbauend soll die Frage untersucht werden, warum Kinder Tiere brauchen. Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit der Vorstellung der Kinder- und Jugendfarm Green Chimneys in den USA, die weltweit als Vorbild der tiergestützten Intervention gesehen wird.
Das dritte Kapitel stellt speziell die hundegestützten Interventionen vor. Um zu verstehen, weshalb der Hund eine so wichtige Rolle im Leben des Menschen spielt, soll unter Punkt 4.1 zunächst einmal die Abstammung und die Domestikation des Hundes umrissen werden. Daran schließt sich die Untersuchung der Mensch-Hund-Kommunikation an. Dabei wird speziell auf das Bellverhalten des Hundes eingegangen, da es das einzige verbale Kommunikationsmittel des Hundes ist. Als nächstes soll der vielfältige Einsatzbereich des Hundes unter dem Begriff (soziale) Dienstleistungsfunktionen dargestellt werden. Nachdem die Grundsteine gelegt wurden, wird der Fokus in Kapitel 4.4 auf die Arbeit mit Hunden im Feld der Sozialen Arbeit im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit gelegt. Schwerpunktmäßig wird auf die Voraussetzungen und Grenzen der hundegestützten Interventionen im Bereich des Menschen, des Hundes und der Einrichtung, in der die Intervention durchgeführt werden soll, eingegangen. Unter Punkt 4.5 werden fünf Grundmethoden vorgestellt, die im hundegestützten Einsatz bei Kindern und Jugendlichen Verwendung finden. Abschließend werden Praxiskonzepte für fünf verschiedene Arbeitsfelder der Kinder- und Jugendarbeit skizziert, um die Bedeutung und die Möglichkeiten der hundegestützten Interventionen zu veranschaulichen.
Die Bearbeitung des Themas wird mit einem Fazit und einem anschließenden Resümee abgeschlossen.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachform verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.
2. Grundlagen der Mensch-Tier-Beziehung
„Die Beziehung zwischen Mensch und Tier ist so alt wie die Menschheit selbst. “ (Frömming 2006, S. 4) Mit diesem Zitat von Frömming soll verdeutlicht werden, dass Mensch und Tier seit Anbeginn der Zeit miteinander leben und jeher dem Menschen ein treuer Begleiter sind. Sie dienten dem Menschen schon früh als Nahrungs- und Kleidungslieferanten sowie als Nutz- und Lasttier. (Frömming 2006, S. 4, Vernooij und Schneider 2008, S. 2) Aber nicht ausschließlich, denn zum Beispiel ist bekannt, dass König Menes, welcher ca. 2900 v. Chr. gelebt hat, verfügte, dass nach seinem Ableben seine Lieblingshunde mit ihm in der Grabstätte beigesetzt werden. Auch heute zeigen zum Beispiel spezielle Hundefriedhöfe in Großbritannien, dass Menschen durchaus eine fast anthropomorphe3 Beziehung zu ihren Tieren eingehen können, sodass eine Bestattung auf dem Friedhof fast normal erscheint. (Vernooij und Schneider 2008, S. 2)
Jedoch hat der Mensch im Laufe der Geschichte das Tier nicht nur verehrt, sondern auch verachtet. Die gesellschaftliche Stellung des Tieres und dessen Nutzung haben sich im Laufe der Zeit mehrmals verändert. Tiere waren jedoch immer Dialogpartner für den Menschen. (Otterstedt 2003 c, S. 15) Die ganze Geschichte der Mensch-TierBeziehung darzustellen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Deshalb wird die geschichtliche Entwicklung nur grob wiedergegeben, wobei der Fokus auf bedeutende Abschnitte und Wendepunkte gelegt wird. Es soll gezeigt werden, dass der Mensch seit jeher mit dem Tier verbunden ist und seine Entwicklung beeinflusst hat.
Im Laufe der Zeit hat sich die Art der Beziehung zwischen Mensch und Tier immer wieder verändert und auch der Wert, den der Mensch dem Tier beimaß, unterzog sich einem Wandel. Es scheint, als hätte der Mensch ein ambivalentes Verhältnis zu den Tieren und damit einhergehend auch zur Natur. Früher, in der Eiszeit, verstand sich der Mensch noch als ein Teil der Natur, da er Jäger und Sammler war. Durch die aufkommende Domestikation, die mit dem Wolf begann und im Kapitel 3.1 genauer beschrieben wird, wurden die Tiere gezähmt, woraufhin ihnen die Freiheit genommen und sie unter die Kontrolle der Menschen gebracht wurden. Der Mensch konnte nun sesshaft werden und sah sich als Herrscher und Kontrolleur über die Tierwelt. Diese benutzte er für seine Bedürfnisse. So wurde er vom Jäger zum Viehzüchter. (Frömming 2006, S. 4-5) Wildformen von Schafen, Ziegen, Rindern und Schweinen wurden damals auch domestiziert, aber unter einem anderen Gesichtspunkt als der Wolf. Sie sollten nicht als „Freunde“ des Menschen dienen, sondern lebende Nahrungsspender sein. (Reichholf 2009, S. 19) Auch heute noch wird den Massenarten wie Rindern, Schweinen, Schafen und Ziegen kaum eine emotionale Zuwendung durch den Menschen entgegengebracht. (Reichholf 2009, S. 20-22)
Mit ihrer Domestikation wurde das Leben der damaligen Bevölkerung in zwei Hauptrichtungen aufgeteilt. Einerseits gab es Hirtennomaden, die weiterhin umherwanderten, aber nun mit einer eigenen Herde und andererseits die Ackerbauern, die sesshaft wurden und Landwirtschaft betrieben. (Reichholf 2009, S. 19) In der Jäger-Kultur bestand keine vertraute Beziehung zwischen Mensch und Tier. Erst dadurch, dass der Landwirt nun für seine Tiere sorgen musste, entwickelte sich die erste persönliche Beziehung. (Frömming 2006, S. 5)
Durch das enge Zusammenleben von Mensch und Tier entwickelte sich in den frühen Hochkulturen nun auch eine Vorstellung von Göttern und Dämonen in Tiergestalt. Diese frühgeschichtlichen Vorstellungen haben noch heute ihre Gültigkeit in verschiedenen Naturvölkern und religiösen Gruppen, wie zum Beispiel im Hinduismus und Buddhismus. In den Anfängen vieler Kulturen ist das Tier in der Mensch-Tier-Beziehung überlegen. Es wird in der hierarchischen Weltordnung als ein übergeordnetes Glied angesehen, welches der Vermittler zwischen dem Menschen und den Göttern war. Mit der Entwicklung des Monotheismus änderte sich die Rolle des Tieres, da es als Vermittler überflüssig wurde. Die Mensch-TierBeziehung wurde grundlegend verändert. Der Gott der Monotheisten gab dem Menschen die Herrschaft über alle lebenden Wesen, sodass die Tiere unter den Menschen gestellt wurden. Die jüdisch-christliche Kultur ging sogar noch weiter. Dort heißt es, dass das Tier geschaffen wurde, um dem Menschen zu dienen. Aber der Mensch hat nicht nur die Macht, sondern muss auch Verantwortung für das Tier übernehmen. Die jüdisch-christliche Religion stammt ursprünglich aus einer Viehzüchter-Kultur, in der das Tier hauptsächlich als materielle Grundlage (Fleischlieferant, Handelsware und Arbeitsmittel) betrachtet wurde, sodass hier eine strenge Mensch-Tier-Trennung erfolgte. (Otterstedt 2003c, S. 16-18)
Im Frühchristentum und im Mittelalter wurde unerwünschtes Verhalten dem „Bösen“, also dem Dämon in Tiergestalt, zugeordnet. Diese Dämonisierung schaffte eine Abgrenzung zu anderen Religionen, die Tiere verehrten. Ab dem 12. Jahrhundert wandelte sich die Wahrnehmung. Der Glaube an den Schutz und die Rückbindung an die göttliche Schöpfung für die Tiere ging verloren. (Otterstedt 2003c, S. 21) Im 13. Jahrhundert wird ein weiterer Wandel in der Mensch-TierBeziehung deutlich. So bewertet Thomas von Aquin die Tiere nach Eigenschaften, wie zum Beispiel Einsichts- und Mitteilungsfähigkeit, Ziel- und Zweckorientierung und Fehlen einer Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Auch kommt er zu der Erkenntnis, dass Grausamkeit gegenüber Tieren zu Grausamkeit gegenüber Menschen führt. Jedoch werden diese Gedanken nicht weitergeführt. Im Gegenteil: Gegner von diesen Erkenntnissen kommen zu der Überzeugung, dass der Mensch berechtigt ist, eine Sonderstellung gegenüber der Natur einzunehmen. So verschärfte sich der Gegensatz zwischen Geistigem und Triebhaftem erneut in der Mensch-Tier-Beziehung. (Otterstedt 2003c, S. 22-23)
Im 16. Jahrhundert wird diese Sonderstellung von dem Philosophen René Descartes (1596-1650) weiterhin vertreten und erweitert. So behauptet er, dass nur der Mensch alleine eine unsterbliche Seele besitze. So wurde den Tieren „[...] jede Art von Verstand, Sprache, Bewußtsein und Seele verweigert. “ (Otterstedt 2003c, S. 24) Diese Behauptung hatte zur Folge, dass dem Tier jegliches Schmerzerleben und Leiden abgesprochen wurde. Erst durch den Philosophen Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) wurde ein neuer Weg in der Mensch-Tier-Beziehung eingeschlagen. Seine philosophischen Reflexionen führten dazu, dass dem Tier wieder Gefühle zugestanden wurden und diese sogar Gemeinsamkeiten mit dem Menschen aufwiesen. Daraus entstanden die ersten Tierschutzrechte und Tierschutzbewegungen, die zu den heutigen Tierschutzgesetzen führten. Auch erwachte das ethische Bewusstsein für das Wohl der Tiere. (Otterstedt 2003c, S. 24)
Während der Industriellen Revolution kam es zu einem erneuten Wandel. Die zuvor als Arbeitskräfte gehaltenen Tiere wurden durch Maschinen ersetzt. Auch ihr Einsatz als Nahrungslieferant veränderte sich. Der Einsatz von Maschinen ermöglichte die Masttierhaltung - die Tierhaltung wurde zur „Tierproduktion“. Otterstedt schreibt dazu: „Die Mensch-Tier-Beziehung entwickelte sich von einer Du- zu einer Es- Beziehung, das Tier wurde eine Sache, ein beliebiger Posten im Kontobuch des Betriebes“ (Otterstedt 2003c, S. 25) Je mehr Tiere der Mensch besaß, umso geringer wurde die Wertschätzung. Die ursprüngliche, über Jahre aufgebaute enge Verbindung mit den Tieren, wich einer unilateralen, immer extremer werdenden Ausbeutung. Dies macht deutlich, dass die Domestikation nicht nur zu einem positiv verstärkten Verhältnis zwischen Mensch und Tier führte. (Reichholf 2009, S. 20-22) Erst durch die Evolutionstheorie von Charles Darwin wird die Rangfolge, die den Menschen an oberster Stelle sah, wieder relativiert. Durch seine Behauptung, dass der Mensch von den Primaten abstamme, setzt er eine neue Denkweise in Gang, indem das Tier als menschlicher Vorfahre gesehen wird. Mit der Evolutionstheorie sieht sich der Mensch wieder als ein Teil der Natur. (Frömming 2006, S. 6-7) Andere Naturwissenschaftler und Philosophen setzten sich für die Lebensqualität der Tiere ein. Die Mensch-Tier-Beziehung sollte wieder durch positive Gefühle und Handlungen bestimmt werden. Diese Mensch-Tier-Beziehung nimmt auch in der heutigen Zeit wieder zu. So sind die Tiere nicht nur Nahrungsquelle, Status- oder Forschungsobjekt, sondern auch Freund und Partner mit Gefühlen und Ansprüchen. (Otterstedt 2003c, S. 24-25) Sie dienen als Ersatz zwischenmenschlicher Beziehungen und werden liebevoll umsorgt und vermenschlicht. Trotzdem gibt es eine Spaltung in der Mensch-Tier-Beziehung, denn in Schlachthöfen werden auch heute noch tausende Tiere für den übermäßigen Fleischkonsum getötet, denen jede Art von Würde häufig genommen wird. (Frömming 2006, S. 7) So schreibt Frömming dazu: „Diesbezüglich hat sich eine gewisse Anonymität zwischen Mensch und Tier eingestellt, in der beide Spezies dem naturhaften Erleben weit entfernt erscheinen. Tiere sind also durch die Geschichte hindurch nicht nur instrumentell, sondern auch emotional und sozial genutzt worden." (Frömming 2006, S. 7)
Tiere spielen also eine wichtige Rolle im Prozess der Menschwerdung, ohne sie wäre die Evolution des Menschen anders verlaufen. (Reichholf 2009, S. 24)
Der Forschungsursprung für die Mensch-Tier-Beziehung liegt in den USA, wo schon 1977 Michael McCulloch die Delta Society in Portland/Oregon gründete, die sich mit der Qualität der Beziehung zwischen Tierhaltern, Betreuenden und Heimtieren beschäftigte. (Frömming 2006, S. 12, Röger-Lakenbrink 2006, S.14) Außerdem führte sie als erste Organisation flächendeckend das „Pet Partner Program“, eine Form der tiergestützten Therapie, in den USA ein. (Röger-Lakenbrink 2006, S.14) Die Delta Society gilt heute als maßgebend in der Entwicklung von ersten Richtlinien und Handlungsanleitungen für tiergestützte Therapien und Tierbesuchsdienste. (Frömming 2006, S. 12) Aus den bedeutendsten Organisationen weltweit wurde daraufhin 1990 die International Association of Human-Animal Interaction Organisations, kurz IAHAIO, gebildet, die ihren Sitz in der Delta Society hat. (Frömming 2006, S. 12-13, Röger-Lakenbrink 2006, S. 15) Sie richtet alle drei Jahre einen Weltkongress aus, in dem Fragen bezüglich der Mensch-Tier-Beziehung sowie möglicher Einsatzgebiete von Tieren in der Therapie mit verschiedenen Personengruppen diskutiert werden. (Frömming 2006, S. 12-13)
Tiere werden mittlerweile auch in Deutschland zunehmend in der Sozialen Arbeit, (Sozial-) Pädagogik und Therapie eingesetzt, da sie in der Lage sind, Menschen zu helfen. Was für heilsame Fähigkeiten sie genau besitzen und wie dabei Hunde eingesetzt werden können, wird im Laufe der Arbeit näher erläutert.
2.1 Erklärungsansätze
2.1.1 Biophilie-Hypothese
Bisher gibt es noch wenige Erklärungsansätze für die Mensch-Tier-Beziehung. Eine mögliche Theorie stellt die Biophilie-Hypothese dar. Um es kurz zu definieren: Biophilie setzt sich aus dem griechischen „bio", was so viel bedeutet wie „das Leben betreffend“ und „philie“, was „Vorliebe, Neigung“ bedeutet, zusammen. (Vernooij und Schneider 2008, S. 5) Biophilie soll als Erklärungsversuch dienen, um herauszufinden, worin die Ursache der besonderen Beziehung zwischen Mensch und Tier besteht und wodurch Tiere einen positiven Effekt auf den Menschen ausüben können. (Olbrich 2003 a, S. 68, Frömming 2006, S. 18) 1984 veröffentlichte der Soziobiologe Edward O. Wilson in seinem Buch „Biophilia: The Human Bond with Other Species “ seine Hypothese, dass sich der Mensch in der Evolution immer zusammen mit anderen Lebewesen entwickelt haben müsse. (Olbrich 2003a, S. 69) Laut Wilson hat der Mensch das Bedürfnis, eine Bindung mit anderen Lebewesen einzugehen. Zum einen nutzt er Tiere im materiellen Sinne als Nahrungs- und Kleidungslieferant, zum anderen kann er aus dem Verhalten der Tiere Rückschlüsse auf seine Umwelt ziehen. Da der Mensch eine Bindung zu den Tieren hat, kann er auf die Signale der Tiere eingehen und das Ausdrucksverhalten richtig deuten. (Frömming 2006, S. 18) Es findet also eine gegenseitige Beeinflussung und Prägung von Mensch und Tier statt, die die Evolution grundlegend bestimmt. Die geschichtliche Entwicklung der Mensch-Tier-Beziehung wurde bereits in Kapitel 2 ausgeführt, macht aber hier noch einmal deutlich, dass der Mensch, die Tiere und die Natur seit den frühesten Anfängen miteinander verflochten sind.
Ein weiterer wichtiger Forscher in diesem Gebiet ist Stephen R. Kellert. Er beschreibt die Biophilie als eine „[...] physische, emotionale und kognitive Hinwendung zu Leben und zu Natur [...]“. (Olbrich 2003a, S. 70)
Diese wird in neun Perspektiven weiter ausdifferenziert, um den Zusammenhang von Menschen zur Natur zu erklären. (Kellert 1993, S. 42-69)
Bei der ersten Perspektive handelt es sich um die utilitarische Sichtweise, die die Nützlichkeit der Natur zum Erhalt des menschlichen Lebens und zu deren Sicherheit beschreibt. Diese Perspektive liegt vor, wenn Menschen die Tiere zum Beispiel zur Ernährung und als Arbeitskraft nutzen oder wenn ihre Existenz mit den besonderen Fähigkeiten der Tiere verbessert oder gesichert wird, wie zum Beispiel durch Mikroorganismen im menschlichen Körper.
Die zweite, naturalistische Perspektive beschreibt das tiefe, glückliche AusgefülltSein bei der Berührung mit der Natur.
Als dritte Perspektive wird die ökologisch-wissenschaftliche Sichtweise angeführt. Sie gibt den Impuls zur genauen Beobachtung sowie zur systematischen Analyse. Dabei richtet die ökologische Perspektive ihren Fokus auf die Zusammenarbeit zwischen allen belebten und unbelebten Bestandteilen in der Natur und somit auf die Verbundenheit des Ganzen. Die wissenschaftliche Perspektive richtet sich auf die Analyse und somit auf die Zerlegung der Natur in ihre Bestandteile. Zusammen ermöglichen beide Perspektiven für den Menschen einen Wissenserwerb und die Möglichkeit, die Welt zu verstehen, zu erklären und diese auch zu kontrollieren.
Die ästhetische Sichtweise beschreibt die vierte Perspektive der Biophilie. Sie zeigt auf, dass der Mensch von der wahrnehmbaren Harmonie und Schönheit der Natur beeindruckt wird.
Bei der symbolischen Perspektive gibt die Natur dem Menschen Codes vor, an denen sich die Sprache und das Denken orientieren. Diese Codes dienen der menschlichen Psyche als Kategorien zur Benennung der Besonderheiten aller lebenden und nicht lebenden Bestandteile in der Natur. Zudem werden sie auch als Metaphern für die eigene Identität genutzt.
Als sechste Perspektive wird die humanistische Sichtweise angeführt. In dieser wird die tief empfundene positive Beziehung mit der Natur beschrieben. „Es kann mit der Tendenz zu Fürsorge, zu Altruismus, zu Bindung und mit der Bereitschaft zu teilen verbunden sein, und zeigt eine wichtige Form des adaptiven Wertes von Biophilie für den Erhalt des Lebens an.“ (Olbrich 2003a, S. 71-72)
Die moralistische Perspektive beschreibt nicht nur den Bezug zur Natur als ein Erleben von Gemeinsamkeiten, sondern auch als ein Verantwortlich- und Ehrfürchtig-Sein vor dem Leben.
Die dominierende Perspektive hebt die Kontrolle und die Neigung, anderes Leben beherrschen zu wollen, in der menschlichen Beziehung zur Natur hervor.
Als letzte Perspektive in der Biophilie wird die negativisti sche Sichtweise angeführt. In dieser geht es um die Abneigung des Menschen gegenüber der Natur in Form von beispielsweise Angst, Aversion oder Antipathie. Hier kann es um einzelne Tiere, wie zum Beispiel Schlangen oder Spinnen gehen, aber auch um ganze Bereiche, die beispielsweise als „schleimig“ oder „hässlich“ gelten.
Jede dieser neun aufgeführten Perspektiven zeigt die Bezugnahme von Menschen zur Natur. Bedingt durch die Evolution hatte jede Perspektive ihren adaptiven Wert, den sie bis heute noch hat. (Olbrich 2003a, S. 70-72) Jede dieser Phasen kann alleine, zusammen oder nebeneinander auftreten. Sie besitzen unterschiedliche Funktionen und Wirkungen, die meistens unterbewusst und kaum sichtbar ablaufen. So kann zum Beispiel Zufriedenheit und Entspannung mit dem Kontakt zur Natur erreicht oder Inspiration, Sicherheit und Empathie implizit gefördert werden. Im Zusammenhang mit den tiergestützten Interventionen können einzelne Wirkungen aber auch gezielt angesteuert und gefördert werden, wie zum Beispiel Wissenserwerb oder die Förderung der Beobachtungsfähigkeit und der Interaktions- und Kommunikationsfähigkeit. (Vernooij und Schneider 2008, S. 6-7)
Wilson und Kellert (1993) fanden heraus, dass der Mensch das Bedürfnis hat, eine Verbindung sowohl zur belebten als auch zur unbelebten Natur aufzubauen. Das bedeutet, dass der Mensch eine Verbindung zur Vielfalt von Lebewesen sucht, wie auch zu Landschaften und Ökosystemen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Tiere nicht nur als Nahrungsquelle und zur Herstellung von Kleidung dienen, sondern auch als „Mitbewohner“ des gleichen Lebensraumes oder als Gefährte angesehen werden. Das Tier schützt den Menschen durch sein Verhalten vor Naturkatastrophen und vor tierischen oder menschlichen Feinden, da es über eine hervorragende, sehr differenzierte Sinnesausstattung verfügt. Damit kann es das Überleben des Menschen sichern. (Vernooij und Schneider 2008, S. 5)
Aber welche Rolle spielt die Biophilie-Hypothese nun bei Kindern?
Kinder verinnerlichen schon sehr früh das Tier als Kategorie, da sie ein besonderes Interesse am Lebendigen haben. Deshalb reagieren sie auffallend häufig auf Tiere. (Frömming 2006, S. 18) Dieses angeborene Interesse am Lebendigen geht mit der Evolution einher. Wie bereits oben schon festgestellt wurde, hat sich der Mensch in Abhängigkeit von anderen Lebewesen entwickelt. Durch den Aufenthalt in derselben Umgebung entwickelte sich eine enge Mensch-Tier-Verbindung. (Frömming 2006, S. 19) Die besondere Aufmerksamkeit, die den Tieren zukommt, wird durch die Lebendigkeit und die Bewegung der Tiere hervorgerufen und laut der Biophilie- Hypothese durch eine emotionale Verbindung verstärkt. Diese emotionale Verbindung ermöglicht es Interesse an Tieren zu wecken. Insbesondere bei Kindern gelingt dies gut, sodass pädagogisches und therapeutisches tiergestütztes Arbeiten möglich ist. (Frömming 2006, S. 18-19)
Der positive Effekt von Tieren besteht - laut Biophilie-Hypothese - darin, dass Tiere die Lebenssituationen vervollständigen oder ergänzen können. Dadurch kann eine „evolutionär bekannte“ Situation erschaffen und somit eine vorbewusste oder bewusste Erfahrung ausgelöst werden, die etwas Heilsames haben kann. Dabei tritt der soziale Effekt am deutlichsten hervor, denn die Tiere dienen als soziale Katalysatoren4 und ermöglichen einen sozialen Austausch zwischen Menschen und anderen Lebewesen. (Olbrich 2003a, S. 75-76) Die Biophilie-Hypothese erklärt jedoch nicht ausreichend die spezifische Beziehung zwischen einem menschlichen Individuum und seinem Tier. (Beetz 2003a) Diese spezifische Beziehung wird im nachfolgenden Unterkapitel näher erläutert.
2.1.2 Du-Evidenz und Anthropomorphismus
Bei der Du-Evidenz wird davon ausgegangen, dass Tiere und Menschen miteinander eine Beziehung eingehen können, die der Beziehung der jeweiligen Lebensform entspricht. Sie geht meist von dem Menschen aus, wobei die Erwiderung der Evidenz durch das Tier keine Rolle spielt. Es muss nur eine subjektive Gewissheit vorhanden sein, die annimmt, dass eine Partnerschaft vorliegt. (Frömming 2006, S. 19-20) Die Mensch-Tier-Beziehung funktioniert am besten, wenn die sozialen und emotionalen Grundbedürfnisse, die Körpersprache und die spezifischen Bedürfnisse wie Nähe, Interaktion, Kommunikation, Bewegung und Berührung, den natürlichen Bedürfnissen der beteiligten Menschen und Tiere möglichst ähnlich sind. Denn auf dieser gemeinsamen Basis können sie sich gegenseitig als „Du“ wahrnehmen und eine gemeinsame Beziehung eingehen. So ist es zum Beispiel einfacher, eine Beziehung zu einem Hund aufzubauen als zu einem Insekt, da die Unterschiede zwischen Mensch und Insekt zu groß sind. Ein Insekt hätte wahrscheinlich auch kein Interesse an einer sozialen Bindung. So geht der Mensch in erster Linie mit sozial lebenden Tieren wie Hund, Katze und Pferd eine Du-Beziehung ein, da diese dem Menschen in den oben genannten Punkten sehr ähneln. (Vernooij und Schneider 2008, S. S.8)
Die tierische Du-Evidenz, die vom Menschen empfunden wird, äußert sich in vielen Erscheinungsformen. Die deutlichste Form ist die, in der der Mensch dem Tier einen Namen gibt. Dadurch wird das Tier zu einer Besonderheit und hebt sich von seinen Artgenossen ab. Es gehört mit dem Tag der Namensgebung zur Familie, zum Empfänger von Ansprache und Zuwendung und wird dadurch zum Subjekt mit Bedürfnissen und Rechten. (Greiffenhagen und Buck-Werner 2015, S. 23)
Damit Tiere therapeutisch und pädagogisch helfen können, ist die Du-Evidenz Grundvoraussetzung. Dies ist vor allem in der Kind-Tier-Beziehung zu sehen. Kinder sind aus unterschiedlichsten Gründen dem Tier näher als der Erwachsene. Es gibt verschiedene Theorien, die eine Stufung der veränderten Wahrnehmung der tierischen Du-Evidenz mit zunehmendem Alter für möglich halten. So nimmt das Kind zunächst die Du-Subjektivität stärker wahr als die Ich-Subjektivität. Dies hat zur Folge, dass Kinder gegenüber der Du-Evidenz empfänglicher sind als Erwachsene. (Greiffenhagen und Buck-Werner 2015, S. 24)
Im Laufe des Lebens kann sich das Empfinden der Du-Evidenz gegenüber den Tieren verändern. Hier warnt der Anthropomorphismus davor, Tiere nicht zu sehr zu vermenschlichen. (Hartmann 2010, S. 93) Denn Haustierhalter neigen dazu, in ihrem Tier einen gleichberechtigten Partner zu sehen. Dabei versuchen sie die scheinbaren Bedürfnisse des Tieres zu erfüllen, die aber ausschließlich dem Erfahrungshorizont des Menschen entsprechen. (Frömming 2006, S. 114-115) Die Beziehung zwischen Mensch und Tier ist ungleich, da das Tier nicht über ein „Ich“ verfügt, wie der Mensch. Der Mensch hingegen weiß um sich, wenn er in Interaktion mit anderen Menschen oder Tieren tritt. (Greiffenhagen und Buck-Werner 2015, S. 24) Dieses Verhalten begründet sich auf dem Begriff der Empathie. Denn der Mensch neigt dazu, sich in die Gefühlswelt seines Gegenübers - sei es ein Mensch oder ein Tier - hineinzuversetzen. (Frömming 2006, S. 114-115) Der Ethnologe Frans de Waal warnt jedoch davor, sich zu viele Sorgen wegen eines falschen Anthropomorphismus zu machen. Er vergleicht die menschliche und tierische Empathie. Man müsse zwischen Mitgefühl und Hilfsbereitschaft bei Tieren und Menschen unterscheiden. Mitgefühl stelle einen hohen menschlichen Wert dar, der mit bestimmten Vorstellungen verbunden sei. Hilfsbereitschaft hingegen könne als eine Form der Unterstützung, des Beistandes und der Fürsorge für Individuen, die nicht zur eigenen Nachkommenschaft zählen und denen es nicht gut geht oder die in Gefahr leben, angesehen werden. (Greiffenhagen und Buck-Werner 2015, S. 24-25) „Eine solche Hilfsbereitschaft legt ein Hund an den Tag, der in der Nähe eines weinenden Kindes bleibt; reagiert derselbe Hund auf das Jaulen seiner Jungen, dann ist das elterliche Fürsorglichkeit.“ (Greiffenhagen und Buck-Werner 2015, S. 25)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Mensch-Tier-Beziehung durch die Du- Evidenz subjektiv erlebt wird, während der Anthropomorphismus das Verhalten des Menschen gegenüber dem Tier darstellt. Auch wenn keine direkte Du-Evidenz besteht, wird das Tier stets unter dem Aspekt des Anthropomorphismus gesehen. Um Tiere pädagogisch und therapeutisch einsetzen zu können, ist die Du-Evidenz jedoch Grundvoraussetzung. (Vernooij und Schneider 2008, S. 9-10)
2.1.3 Bindungstheoretische Überlegungen
Bowlby (1968) und Ainsworth (1969) sind die Begründer der Bindungstheorie. In ihr geht es darum, dass das Fehlen einer frühen Bindung an eine oder mehrere Bezugspersonen entscheidenden Einfluss auf die sozio-emotionale Entwicklung von Kindern haben kann. (Vernooij und Schneider 2008, S.10) An dieser Stelle kann nicht näher auf die Bindungstheorie eingegangen werden, da eine genaue Beleuchtung den Rahmen sprengen würde. Im Folgenden werden deshalb nur einzelne Elemente aufgegriffen und näher erläutert.
Die Diplompsychologin Andrea Beetz versucht die Mensch-Tier-Beziehung mit Hilfe der Bindungstheorie zu erklären. Dabei geht es darum, dass Tiere vom Menschen als Bindungsobjekte angesehen werden, dies aber auch gleichzeitig umgekehrt möglich erscheint. Auch können positive Bindungserfahrungen mit Tieren auf soziale Situationen mit Menschen übertragen werden. (Vernooij und Schneider 2008, S.10-11) Die Interaktion mit einem Tier findet fast ausschließlich auf der nonverbalen Kommunikationsebene statt, die primär der Vermittlung von Beziehungsaspekten dient. Dabei ist der Mensch überwiegend auf seine intuitive und weniger auf seine kognitive Einschätzung des ihm gegenüber stehenden Tieres angewiesen. Durch den Umgang mit Tieren und dem daraus folgenden Aufbau einer Beziehung können solche erfahrungsgeleiteten Prozesse automatisch trainiert werden. Ferner stellen sie eine wichtige Grundlage der emotionalen Intelligenz dar, sodass diese Fähigkeiten dadurch gefördert werden können. (Beetz 2003a, S. 81) Diese Erfahrungen und erlernten Fähigkeiten können auf den Umgang mit Menschen übertragen werden. Es gibt Befunde, die zeigen, dass Kinder, die mit Tieren aufwachsen, Menschen gegenüber empathiefähiger sind. (Beetz 2003a, S. 81)
Durch eine Beziehung zu einem Haustier kann die soziale Entwicklung von Kindern beeinflusst werden. Haustiere können Kindern Zuneigung und uneingeschränkte Akzeptanz entgegenbringen, die für die emotionale Entwicklung überaus wichtig sind. Tiere können empfindlicher auf den tatsächlichen Zustand oder das Verhalten des Kindes / Erwachsenen reagieren, da sie direkt auf nonverbale Kommunikation ansprechen.
Deshalb muss sich das Kind / der Erwachsene nicht verstellen, da die nonverbale Kommunikation direkt den wahren emotionalen Zustand des Kindes / Erwachsenen widerspiegelt. Beetz sagt dazu: „Durch diese ehrliche Rückmeldung erlauben sie dem Menschen eine Integration seines Verhaltens und seiner Emotionen in diesem Augenblick und können somit auch Authentizität fördern. “ (Beetz 2003a, S. 82) Krowatschek fasst zusammen, dass Kinder Tiere brauchen, um in der Welt überleben zu können. Denn er ist der Meinung: „[...] Tiere sind anhängliche und zuverlässige Freunde, sie beschützen und bewachen, machen Spaß und vermitteln Zärtlichkeit und Geselligkeit. Sie können aber auch Kraft, Eigenwilligkeit und Intelligenz demonstrieren“ (Krowatschek 2007, S. 17)
2.2 Kommunikation zwischen Mensch und Tier
Menschen verstehen genug von der Sprache der Tiere, um miteinander in Beziehung treten zu können, andersherum scheint dies auch der Fall zu sein. Aber welche Sprache ist das?
Tiere können in das Innere eines Menschen blicken und sie geben dem Menschen das Gefühl verstanden zu werden, da sie in besonderen Situationen ihre Aufmerksamkeit dem Menschen schenken. Eine falsche Annahme wäre es aber zu behaupten, dass die Tiere den Menschen einsichtig und verstehend trösten könnten. (Frömming 2006, S. 22-23) Tiere können als Dialogpartner dienen, da die Menschen sich ihnen öffnen und ihre Gefühle, wie Ängste und Sorgen bis hin zur Freude mitteilen. Sie dienen auch als Impulsgeber, um Menschen aus Trägheit oder Traurigkeit herauszuholen. Durch den körperlichen Kontakt, welchen das Tier zulässt, werden ihm großes Vertrauen und eine innere Bindung entgegengebracht. (Frömming 2006, S. 23) Aber Tiere sollten nicht als sichere Bindungsfiguren angesehen werden, da sie nicht in allen Situationen perfekt auf das Kind / den Erwachsenen eingehen können. Sie können bei Kindern, die beispielsweise negative Emotionen haben, nicht aktiv regulieren oder besänftigen. Die Empathie der Tiere, die kognitive Wertungen außer Acht lässt, ermöglicht es, dass sie zu zuverlässigen und gut einzuschätzenden Interaktions- und Bindungspartnern werden. Dadurch können Tiere beispielsweise auch bei misshandelten Kindern, die meist eine unsichere Bindung zu ihren Bezugspersonen haben, als Beziehungspartner fungieren. (Beetz 2003a, S. 82-83)
Nach Watzlawick, Beavin und Jackson bietet sich die Unterscheidung von verbaldigitaler und nonverbal-analoger Kommunikation zur Beantwortung der Frage, wie die Kommunikation zwischen Mensch und Tier funktioniert, an.
Bei der digitalen Kommunikation geht es in erster Linie darum, dass Worte nur als Zeichen (Analogie) für das Gemeinte angesehen werden. Worte werden dann verwendet, wenn sie Wissen bezüglich eines Sachverhaltes vermitteln sollen. (Watzlawick et al. 2007, S. 62)
Bei der analogen Kommunikation steht das Symbol, über das etwas ausgedrückt werden soll, in einer direkten Beziehung mit dem, was mitgeteilt werden soll. Dies können zum Beispiel sprachliche Zeichen oder allgemeine Ausdrucksgebärden sein. (Watzlawick et al. 2007, S. 63) Die analoge Kommunikation bedient sich der Gestik, der Stimmmodulation, des Gesichtsausdrucks, der Sprache der Augen und der Berührungen. (Olbrich 2003b, S. 85) Da die analoge Kommunikation ihre Wurzeln in archaischeren Entwicklungsperioden besitzt, hat sie auch eine weitaus allgemeinere Gültigkeit als die noch junge und abstrakte digitale Kommunikation. (Watzlawick et al. 2007, S. 62-63)
Tiere können zum größten Teil nur den Anteil wahrnehmen und darauf reagieren, der analog kommuniziert wird. Dafür brauchen sie von der Person, die mit ihnen in Beziehung steht, einen widerspruchsfreien Bezug. Ein widerspruchsfreier Bezug entsteht, wenn es Personen gelingt, eine gute Abstimmung zwischen digitaler und analoger Kommunikation herzustellen. Bei einer solchen stimmigen Kommunikation zwischen Mensch und Tier können Diskrepanzen zwischen Sender und Empfänger vermieden werden. Die Personen können sich zudem selbst als „einfach“ und „wahr“ erfahren und sich „einfach“ und „wahr“ mit ihrem Gegenüber austauschen. (Olbrich 2003b, S. 87)
Eine weitere Antwort auf die Frage, wie die Kommunikation zwischen Mensch und Tier funktioniert, könnte das Organon-Modell, welches von dem Psychologen Karl Bühler entwickelt wurde, geben. Es zeigt auf, dass die meisten eindeutigen Sprechereignisse „Mitteilungen von einer Person an eine andere über einen konkreten Sachverhalt sind: einer erzählt - dem anderen - etwas über eine Situation/ einen Gegenstand/ ein Lebewesen. “ (Otterstedt 2003a, S. 91) Hierbei handelt es sich um drei Fundamentalpunkte, die in der Mitte durch das Organon (griech. Werkzeug), verbunden werden. Dieses Organon symbolisiert das wahrnehmbare Phänomen, z.B. akustische, olfaktorische oder taktile Reize. (Otterstedt 2003a, S. 91) Um dies im tiergestützten Kontext zu verdeutlichen, wird eine typische Situation während der Arbeit mit Hund und Patient in der nachfolgenden Abbildung dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Organon Modell
Quelle: (Otterstedt 2003a, S. 91)
Auf der Abbildung ist zu sehen, wie der Sender (Klient) einen Ball für den Empfänger (Hund) wirft. Der Ausdruck könnte hier die Sprache in Form von „Hol' das Bällchen“ und der ausgestreckte, richtungsweisende Arm sein. An den Empfänger (Hund) wird der Appell gesendet, den Ball zu holen und dem Sender (Klienten) zurückzubringen. Der Empfänger, in diesem Fall der Hund, läuft zum Ball und holt ihn. Das Organon, also das wahrnehmbare Phänomen, wäre in diesem Beispiel die lautliche, akustische, stimmdynamische sowie die nonverbale Kommunikation zwischen Mensch und Tier. (Otterstedt 2003a, S. 91-92)
Im professionellen Setting mit Tieren ist es unerlässlich den Sender und den Empfänger genau zu beobachten und den Inhalt von Ausdruck und Appell zu erkennen. Denn das Verhalten des Empfängers - hier das Verhalten des Hundes - zeigt nicht nur den Erfolg eines gelungenen Mensch-Tier-Dialoges, sondern an ihm kann auch die Qualität von Ausdruck und Appell festgestellt werden. Dadurch kann auf die Kommunikationsfähigkeit des Senders im Sinne des pädagogischen/ therapeutischen Konzeptes geschlossen werden. (Otterstedt 2003a, S. 92-93) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Mensch und Tier sich mittels einer analogen Kommunikation verständigen. Beim Menschen müssen dazu analoge und digitale Kommunikation stimmig sein. (Hartmann 2010, S. 94)
3. Tiergestützte Interventionen
„Tiere wirken nicht wie eine Arznei, die nach naturwissenschaftlich präzis erkannten Kausalbeziehungen zum Einsatz kommt und eine spezifische bio-chemische Störung gezielt korrigiert." (Olbrich 2003a, S. 73) Das Zitat von Erhard Olbrich soll verdeutlichen, dass Tiere kein Allheilmittel sind und in jedem denkbaren Fall der Erkrankung eingesetzt werden können. Aber Tiere können auf eine andere Art und Weise helfen, wie in dem nachfolgenden Kapitel näher erklärt wird. Aber zunächst einmal soll auf die Entstehungsgeschichte der tiergestützten Arbeit eingegangen werden.
3.1 Geschichtliche Entwicklung
Tiergestützte Pädagogik und Therapie hat ihren Ursprung im angelsächsischen Raum, wo sie erprobt, angewandt und auch wissenschaftlich erforscht wurde. Dort wurde sie „pet facilitated therapy“ genannt und später aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt, sodass sie hier unter dem Namen „tiergestützte Therapie“ bekannt wurde. (Greiffenhagen und Buck-Werner 2015, S. 13) Interessant ist, dass der Einsatz von Tieren im therapeutischen Setting in Belgien schon seit dem 8. Jahrhundert bekannt ist. In England wurde im 18. Jahrhundert die erste Anstalt für Geisteskranke von Quäkern eröffnet, in denen die Patienten Gärten pflegten und Kleintiere betreuten. In Bethel (Deutschland) entstand im 19. Jahrhundert ein Epileptiker- Zentrum, welches auf die heilende Wirkung von Tieren wie Hund, Katze oder Schaf vertraute.
Eine regelrechte Revolution durchzog in den neunziger Jahren die Pädagogik, Therapie und Resozialisation in Bezug auf die heilende Wirkung von Tieren. Dem ging 1969 ein Buch des amerikanischen Kinderpsychotherapeuten Boris M. Levinson voraus, in welchem er über seine Erfahrungen mit Tieren als Co- Therapeuten berichtete. (Greiffenhagen und Buck-Werner 2015, S. 13-14) Er fand durch Zufall heraus, dass sein Hund Jingles eine positive Wirkung auf schwer zugängliche Kinder hatte. (Frömming 2006, S. 28) Um die Bedeutung dieser Entdeckung zu verstehen, wird diese Begebenheit nachfolgend wiedergegeben.
Normalerweise lag Jingles zu Füßen von Levinson, wenn dieser an seinem Schreibtisch saß und arbeitete. Während der Sitzungen mit den Kindern wurde er stets aus dem Behandlungszimmer geführt. Eines Tages erschien eine Mutter mit ihrem kleinen Jungen zu früh im Behandlungszimmer. Dieser Junge hatte schon mehrere Therapien hinter sich und war extrem auffällig, sodass Levinson zunächst gezögert hatte, diesen Fall zu übernehmen, sich dann aber doch für ein diagnostisches Gespräch entschied. Levinson begrüßte die Familie und vergaß dabei seinen Hund, der wie gewohnt unter seinem Schreibtisch lag. Jingles sprang auf und begrüßte das Kind ohne zu zögern stürmisch und leckte ihm durch das Gesicht. Levinson war überrascht, dass das Kind keine Angst zeigte, sondern sich eng an den Hund kuschelte und ihn streichelte. Die Eltern wollten das Kind von Jingles trennen, aber Levinson bat sie, das Kind in Ruhe zu lassen. Nach einiger Zeit wendete sich der Junge an Levinson und fragte, ob der Hund mit jedem Kind spielen dürfte, das zur Therapie käme. Dies bejahte Levinson, worauf der Junge meinte, dass er wiederkommen wolle, um mit dem Hund zu spielen. Levinson ließ Jingles während der nun folgenden Sitzung im Raum und sprach mit der Mutter und untersuchte das Kind. Bei den darauf folgenden Sitzungen beschäftigte sich der Junge nur mit Jingles und ignorierte dabei Levinson. Daraufhin entschied sich Levinson ebenfalls nur mit Jingles zu sprechen, sodass der Hund zum Medium zwischen Therapeut und Kind wurde. Jingles wurde nun häufiger in die Therapiegespräche mit einbezogen, sodass sich auch das Behandlungszimmer in ein wohnlicheres und hundefreundlicheres Zimmer verwandelte. Es gab nun Fressnäpfe, Hundespielzeug und ein Ruhekissen für Jingles. Dieser konnte, anders als Stofftiere in der Kinderspieltherapie, direkt auf das Kind reagieren und einfach Hund sein. So beobachtete Levinson, dass sich die Kinder oft mit Jingles verglichen und hinterfragten, warum sie nicht einfach geliebt und akzeptiert wurden bei dem was sie taten, denn schließlich fraß und urinierte Jingles ja auch in der Öffentlichkeit. Jingles wurde auch häufig von Levinson eingesetzt, um mit Kindern zu reden, mit denen ein Gespräch unmöglich erschien. So sprach Levinson dann mit Jingles über die Probleme der Kinder. Auch während der gemeinsamen Spaziergänge, konnte Levinson die Kinder genau beobachten, was sie mit seinem Hund unternahmen und wie sie auf den Hund und seine Umwelt reagierten. Levinson schrieb seine Beobachtungen und Erfahrungen in dem Buch „Pet-Oriented Child Psychotherapy“ nieder, welches unter den Befürwortern der tiergestützten Therapie schnell zum Standardwerk wurde. Unter Psychoanalytikern wurde es dagegen belächelt. So stieß er bei seinen Kollegen auf blanken Hohn, was ihn aber nicht kümmerte. Er berichtete trotz allem weiter von seinen Erkenntnissen und Erfolgen in der Therapie mit Kindern. (Krowatschek 2007, S. 116-118)
Dies hatte zur Folge, dass Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen damit begannen, Versuchsreihen und Experimente zu starten und diese dokumentierten. Durch Berichte von dem Psychologen-Ehepaar Sam und Elizabeth Corson, der Soziologin Erika Friedemann oder dem Mediziner Aaron H. Katcher über die heilenden Kräfte von Tieren auf kranke und einsame Menschen, wurde die medizinische Welt revolutioniert. Der Begriff „pet facilitated therapy“ wurde so zum Leitwort in dem neuen Wissenschaftszweig Mensch-Tier-Beziehung. (Greiffenhagen und Buck-Werner 2015, S. 13-15) Wie bereits in der Geschichte der Mensch-TierBeziehung erwähnt, wurde daraufhin die Delta Society 1977 in Oregon/USA gegründet, die es sich zur Aufgabe machte, die Mensch-Tier-Beziehung genauer zu erforschen. Diese entwickelte erstmals 1996 grundsätzliche Richtlinien für den Einsatz von Tieren im Sozial- und Gesundheitswesen. Noch heute werden diese Richtlinien als Rahmen für internationale Organisationen wie ESSAT (European Society for Animal Assisted Therapie) oder ISSAT (International Society for Animal Assisted Therapie) verwendet. (Kirchpfening 2012, S. 11) Heute gehören fast alle Unterorganisationen der westlichen Welt dieser Organisation an.
Anzumerken ist, dass die Praxis rascher vorankam, als die Theorie. So kam es im angelsächsischen Raum schnell zu „Pet Visiting Programs“, in denen Gruppen und Institutionen mit eigens dafür ausgebildeten Therapie-Tieren Alten- und Pflegeheime, psychiatrische Anstalten oder Krankenhäuser besuchten.
In Deutschland fand das Thema Mensch-Tier zunächst kaum Interessenten. Vorreiter in Forschung und Praxis wurde Deutschland dann aber im therapeutischen Reiten. Jedoch hinkt Deutschland den anderen Staaten im praktischen Einsatz von Tieren als Heiler und Helfer hinterher. (Greiffenhagen und Buck-Werner 2015, S. 13-15)
[...]
1 (Frömming 2006)
2 (Vernooij und Schneider 2008, S. 26-28)
3 Erklärung in Kapitel 2.1.2
4 Erläuterung in Kapitel 2.5
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2019, Tiergestützte Interventionen in der Sozialen Arbeit. Das Beispiel des hundegestützten Einsatzes bei Kindern und Jugendlichen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/922268
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