Im Zentrum der folgenden Unterrichtseinheit steht weniger die konkrete Erzählung als vielmehr der Begriff der Erzählung selbst. Dementsprechend rücken die formalen Aspekte der durchzunehmenden Texte in den Vordergrund. Die Interpretation von Inhalt und Ausdruck wird zwar vorerst vernachlässigt, bleibt aber als Thema weiterer Einheiten jederzeit nutzbar.
Ziel der Einheit ist es, die Schüler für die Gattungsproblematik und überhaupt für die Probleme fester Gattungskriterien zu sensibilisieren und sie an die fachwissenschaftliche Kontroverse heranzuführen. Dabei geht es nicht darum, diese Kontroverse aufzunehmen oder gar zu ergänzen, sondern vielmehr den Schülern klarzumachen, daß literaturwissenschaftliches Wissen und die Erkenntnisse des Deutschunterrichts nicht unumstößlich und in Stein gemeißelt sind, sondern außerhalb des Klassenraums von Fachleuten durchaus diskutiert werden. Natürlich kann es nicht die Absicht des Literaturunterrichts sein, innerhalb kürzester Zeit mündige Schüler auszubilden, die sich völlig selbständig in den Tiefen der wissenschaftlichen Kontroverse zurechtfinden, aber er kann einen Beitrag dazu leisten, den durch den teilweise recht dogmatischen Deutschunterricht geprägten Horizont der Schüler aufzubrechen und zu erweitern. Aus demselben Grund wird in der vorliegenden Unterrichtseinheit auch auf die traditionelle Erzähltheorie verzichtet und statt dessen auf die durchaus komplexere und wohl auch anspruchsvollere Theorie von Gérard Genette zurückgegriffen. Die damit verbundenen Probleme und Schwierigkeiten werden im Folgenden noch zu besprechen sein, ebenso wie die Vorteile und Möglichkeiten für den Unterricht. Die Einheit ist entworfen für die 11. Klasse eines Gymnasiums. Die Einführungsstunde soll im Folgenden genauer beschrieben werden; die Einheit als Ganzes wird kurz skizziert.
1. Einleitung
Im Zentrum der folgenden Unterrichtseinheit steht weniger die konkrete Erzählung als vielmehr der Begriff der Erzählung selbst. Dementsprechend rücken die formalen Aspekte der durchzunehmenden Texte in den Vordergrund. Die Interpretation von Inhalt und Ausdruck wird zwar vorerst vernachlässigt, bleibt aber als Thema weiterer Einheiten jederzeit nutzbar.
Ziel der Einheit ist es, die Schüler für die Gattungsproblematik und überhaupt für die Probleme fester Gattungskriterien zu sensibilisieren und sie an die fachwissenschaftliche Kontroverse heranzuführen. Dabei geht es nicht darum, diese Kontroverse aufzunehmen oder gar zu ergänzen, sondern vielmehr den Schülern klarzumachen, daß literaturwissenschaftliches Wissen und die Erkenntnisse des Deutschunterrichts nicht unumstößlich und in Stein gemeißelt sind, sondern außerhalb des Klassenraums von Fachleuten durchaus diskutiert werden. Natürlich kann es nicht die Absicht des Literaturunterrichts sein, innerhalb kürzester Zeit mündige Schüler auszubilden, die sich völlig selbständig in den Tiefen der wissenschaftlichen Kontroverse zurechtfinden, aber er kann einen Beitrag dazu leisten, den durch den teilweise recht dogmatischen Deutschunterricht geprägten Horizont der Schüler aufzubrechen und zu erweitern.
Aus demselben Grund wird in der vorliegenden Unterrichtseinheit auch auf die traditionelle Erzähltheorie verzichtet und statt dessen auf die durchaus komplexere und wohl auch anspruchsvollere Theorie von Gérard Genette zurückgegriffen.[1] Die damit verbundenen Probleme und Schwierigkeiten werden im Folgenden noch zu besprechen sein, ebenso wie die Vorteile und Möglichkeiten für den Unterricht.
Die Einheit ist entworfen für die 11. Klasse eines Gymnasiums. Die Einführungsstunde soll im Folgenden genauer beschrieben werden; die Einheit als Ganzes wird kurz skizziert.
2. Sachanalyse
2.1. Gattungsproblematik
Die Klärung des Begriffs Erzählung als „mündl. oder schrift. Darstellung von realen oder fiktiven Ereignisfolgen, vorwiegend in Prosa, aber auch in Versform“[2] bereitet keine Schwierigkeiten und kann mit großer Wahrscheinlichkeit in einer 11. Klasse im Verband schnell gefunden werden. Das Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft ist noch etwas genauer, indem es auf die Notwendigkeit eines Erzählers, des Erzählten und den Akt des Erzählens eingeht und diese Kriterien näher bestimmt.[3]
Anders verhält es sich mit der zweiten Bedeutung des Wortes als „Narrativer literarischer Text kürzeren bis mittleren Umfangs“,[4] also als einer „selbständ. Einzelgattung innerhalb der Grundgattung Epik [...]“.[5] Hier fällt eine Definition wesentlich schwerer, ist es doch beinahe unmöglich, die Textgattung der Erzählung gänzlich von Nachbargattungen wie der Novelle, der Kurzgeschichte, der Anekdote oder dem Märchen abzugrenzen. Dementsprechend vorsichtig beschreibt das Reallexikon der Literaturwissenschaft die Erzählung als einen „ungenau gefaßten Begriff für eine Einzelgattung (engl. tale, story, frz. conte) in Abgrenzung zu anderen, wohldefinierten Gattungen wie der Novelle, der Kurzgeschichte oder dem Märchen“.[6] Doch auch eine negative, abgrenzende Definition als „[...] nicht so knapp und andeutend wie Skizze und Anekdote; im Gegensatz zur Novelle weniger scharf profiliert, weniger verschränkt und durchgestaltet, nicht so streng um ein oder zwei Hauptereignisse und Überraschungsmomente zentriert; weniger pointiert und weniger konsequent auf den Schluß hin komponiert als die Kurzgeschichte; nicht wie Märchen und Legende auf Bereiche des Unwirklichen und Wunderbaren bezogen“[7] ist problematisch, denn allein die phantastische Literatur – so zum Beispiel Edgar Allan Poes „Phantastische Erzählungen“ (1840) – beweist, daß Erzählungen sehr wohl das Unwirkliche und Wunderbare zum Gegenstand haben können. Auch die Abgrenzung von der Novelle ist bei genauerer Betrachtung nicht ohne weiteres möglich. Grund dafür ist allein schon, daß auch die Novelle nicht hinreichend definiert werden kann, denn eine fest vorgeschriebene Form widerspricht der künstlerischen Wirklichkeit. Die Kriterien für eine ‚echte‘ Novelle wurden immer wieder verändert, doch wurden sie auch immer wieder durchbrochen, denn „[e]in klares Muster und eine zugleich wandlungsfähige Gestalt der Novelle gibt es nicht“.[8] Diesem Problem Rechnung tragend, verzichtet das Fischer-Lexikon auf eine klare Abgrenzung von Novelle und Erzählung und behandelt beide in einem einzigen Artikel. Klaus Manger kommt darin zum Schluß: „Gattungen [...] wandeln sich mit der Zeit, bestehen aus veränderlichen Kategorien“.[9] Eine unabänderliche Definition der Novelle ist in dem Artikel nicht zu finden, vielmehr eine Fülle sich wandelnder inhaltlicher und formaler Aspekte, die diese Gattung ausmachen. Auf die Erzählung trifft das gleiche – vielleicht sogar in gesteigertem Maße – zu.
Das impliziert auch Doris Marquardt, wenn sie sagt, daß die Kriterien zur Bestimmung einer Novelle zumeist auf die gesamte erzählende Dichtung zuträfen.[10]
Wenn es also der Fachwissenschaft schon nicht gelingt, den Gegenstand dieser Unterrichtseinheit genau zu definieren, dann kann dies erst recht nicht die Aufgabe der Schüler sein. Wohl aber können anhand der Erzählungen grundsätzliche Begriffe der Erzähltheorie durchgesprochen und inhaltliche wie formale Kriterien der erzählerischen Dichtung gesucht und gesammelt werden. Die Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten, das Thema des Unterrichts überhaupt erst einmal hinreichend zu definieren, sensibilisiert die Schüler für die literaturwissenschaftliche Arbeitsweise und die Probleme, die mit Forschungsthemen einhergehen, die nicht so fest umrissen sind, wie es in den Naturwissenschaften der Fall ist und wie es in der Schule auch manchmal in den Geisteswissenschaften erscheint. Ziel der Beschäftigung mit der Gattungsproblematik ist es also nicht, eine Definition für Erzählungen zu finden, die über die Erfordernisse des Deutschunterrichts hinausgeht. Vielmehr steht der Weg, also die Beschäftigung selbst, im Vordergrund.
[...]
[1] Nach der Zusammenfassung in: Matias Martinez, Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. 3. Auflage, München 2002 (Im Folgenden kurz: Martinez, Scheffel, 2002).
[2] Rainer Schönhaar: Erzählung, in: Günther und Irmgard Schweikle (Hrsg.): Metzler Literaturlexikon, Begriffe und Definitionen. 2. Überarbeitete Auflage, Stuttgart 1990, S. 138. (Im Folgenden kurz: Metzler Literaturlexikon)
[3] Manfred Schmeling, Kerst Walstra: Erzählung1. in: Klaus Weimar (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1, Berlin, New York 1997, S. 517-519, S. 517. (Im Folgenden kurz: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft)
[4] Manfred Schmeling, Kerst Walstra: Erzählung2. in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. S. 519-522, S. 519.
[5] Metzler Literaturlexikon, S. 138.
[6] Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, S. 519.
[7] Metzler Literaturlexikon, S.138.
[8] Klaus Manger: Novelle/Erzählung. in: Ulfert Ricklefs (Hrsg.): Fischer-Lexikon Literatur, Bd. 3, Frankfurt/M. 1996, S. 1434 – 1449 (Im Folgenden kurz: Fischer-Lexikon Literatur), S. 1438.
[9] Fischer-Lexikon Literatur, S. 1438.
[10] Vgl. Doris Marquardt: Erzählung, Novelle und Kurzgeschichte im Unterricht. in : Günter Lange, Karl Neumann, Werner Ziesenis (Hrsg.): Taschenbuch des Deutschunterrichts. Literaturdidaktik. Bd. 2, 6. vollständig überarbeitete Auflage, Baltmannsweiler 1998, S. 579-599 (Im Folgenden kurz: Taschenbuch des Deutschunterrichts) S. 580.
- Arbeit zitieren
- Johannes Kaufmann (Autor:in), 2004, Unterrichtseinheit zur Textgattung "Erzählung", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92102
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.