Das Motiv des Skatspiels in Günter Grass` „Die Blechtrommel“
1. Einleitung
Der 1959 erschienene, preisgekrönte und doch auch stark kritisierte Nachkriegsroman des Nobelpreisträgers Günter Grass, zeichnet sich aus durch einen detaillierten, bildmalerischen Schreibstil, der den Leser durch diese unbarmherzige, direkte und konkrete Darstellung der Geschehnisse oft provoziert und schockiert. Genauso häufig wird jedoch die Realität des Romans auch verschlüsselt dargestellt, mit Hilfe von Symbolen, immer wiederkehrenden Motiven, und Sprach – und Wortspielen. Grass spielt mit der Sprache, er lässt sie oft für sich sprechen, und nutzt Textstrukturen bewusst, um mehr auszudrücken, als das, was inhaltlich eigentlich gesagt wird. Genauso wie Oskar als Held des Romans, durch seine außergewöhnliche und sonderbare Position zwischen Kind und Erwachsenem, Genie und Narr, Täter und Opfer stark ambivalent ist, benutzt Grass auch Motive, die auf den ersten Blick gegensätzlich zu dem stehen, was sie eigentlich ausdrücken wollen. So verwendet er Motive wie „das Trommeln“ oder „das Skatspiel“, die in den jeweiligen Situationen, die tatsächliche Wirklichkeit zwar verdrängen und überspielen sollen, aus übergeordneter Sicht betrachtet jedoch im Gegenteil, um gegen das Vergessen anzuschreiben. So wie Oskar mit Hilfe seiner Trommel eine politische Kundgebung der Nationalsozialisten in ein frohes Fest verwandelt, auf dem die Anhänger Hitlers Walzer tanzen, verdrängt auch das Skatspiel die unabwendbare Realität, als die Bomben in der polnischen Post einschlagen. Das Motiv des Skatspiels durchfährt einen staken Wandel, von der Darstellung der Dreiecksbeziehung zwischen Alfred Matzerath, Agnes Matzerath und Jan Bronski, über das Bild des politischen Skats zwischen Deutschland und Polen, bis hin zum langsamen Ausklingen des Motivs aufgrund des konsequenten „Aussterbens“ der beteiligten Skatspieler. Doch eines begleitet die verschiedenen Phasen des Motivs durchgängig – das Spiel ist immer Ausdruck des Verdrängens, des „Überspielens“ und Evozierung des Unsagbaren. Im Folgenden werde ich die einzelnen Stufen des Motivwandels näher überprüfen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Motiv des Skatspiels in Hinblick auf die Dreiecksbeziehung zwischen Alfred Matzerath, Agnes Matzerath und Jan Bronski
2. 1. Das Fotoalbum
2. 2. Glas, Glas, Gläschen
2.3. Karfreitagskost
2.4. Die Verjüngung zum Fußende
3. Der Wandel des Motivs zum politischen Skatspiel
3. 1. Schrott
3.2. Das Kartenhaus
4. Ausklang des Motivs
4.1. Er liegt auf Saspe
4.2. Soll ich oder soll ich nicht
5. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der 1959 erschienene, preisgekrönte und doch auch stark kritisierte Nachkriegsroman des Nobelpreisträgers Günter Grass, zeichnet sich aus durch einen detaillierten, bildmalerischen Schreibstil, der den Leser durch diese unbarmherzige, direkte und konkrete Darstellung der Geschehnisse oft provoziert und schockiert. Genauso häufig wird jedoch die Realität des Romans auch verschlüsselt dargestellt, mit Hilfe von Symbolen, immer wiederkehrenden Motiven, und Sprach – und Wortspielen. Grass spielt mit der Sprache, er lässt sie oft für sich sprechen, und nutzt Textstrukturen bewusst, um mehr auszudrücken, als das, was inhaltlich eigentlich gesagt wird. Genauso wie Oskar als Held des Romans, durch seine außergewöhnliche und sonderbare Position zwischen Kind und Erwachsenem, Genie und Narr, Täter und Opfer stark ambivalent ist, benutzt Grass auch Motive, die auf den ersten Blick gegensätzlich zu dem stehen, was sie eigentlich ausdrücken wollen. So verwendet er Motive wie „das Trommeln“ oder „das Skatspiel“, die in den jeweiligen Situationen, die tatsächliche Wirklichkeit zwar verdrängen und überspielen sollen, aus übergeordneter Sicht betrachtet jedoch im Gegenteil, um gegen das Vergessen anzuschreiben. So wie Oskar mit Hilfe seiner Trommel eine politische Kundgebung der Nationalsozialisten in ein frohes Fest verwandelt, auf dem die Anhänger Hitlers Walzer tanzen, verdrängt auch das Skatspiel die unabwendbare Realität, als die Bomben in der polnischen Post einschlagen. Das Motiv des Skatspiels durchfährt einen staken Wandel, von der Darstellung der Dreiecksbeziehung zwischen Alfred Matzerath, Agnes Matzerath und Jan Bronski, über das Bild des politischen Skats zwischen Deutschland und Polen, bis hin zum langsamen Ausklingen des Motivs aufgrund des konsequenten „Aussterbens“ der beteiligten Skatspieler. Doch eines begleitet die verschiedenen Phasen des Motivs durchgängig – das Spiel ist immer Ausdruck des Verdrängens, des „Überspielens“ und Evozierung des Unsagbaren. Im Folgenden werde ich die einzelnen Stufen des Motivwandels näher überprüfen.
2. Das Motiv des Skatspiels in Hinblick auf die Dreiecksbeziehung zwischen Alfred Matzerath, Agnes Matzerath und Jan Bronski
2. 1. Das Fotoalbum
„Man mag noch soviel über die beliebte Dreiecksthematik des Theaters schimpfen; zwei Personen alleine auf der Bühne, was sollen sie tun, als sich totdiskutieren oder insgeheim nach dem Dritten sehnen. Auf meinem Bildchen sind sie zu dritt. Sie spielen Skat“ (Grass, S. 66). Diese erste Einführung des Skatmotivs zeigt schon sehr deutlich seine Intention. Oskar betrachtet mehrere Bilder auf denen Matzerath, Jan und seine Mutter gemeinsam abgebildet sind. Fotographien haben eine unmittelbarere Wirkung als die Sprache, deshalb sind sie in ihrem Wert erhöht und lassen das Erzählte realer erscheinen. Agnes steht – auch auf den Bildern – immer zwischen den beiden Männern, zwischen Liebe - und Zweckgemeinschaft, zwischen Polen und Deutschland. Das Festhalten eines Augenblicks auf einer Fotographie bedeutet aber nicht nur Unmittelbarkeit, sondern auch Simultanität und Stillstand. Sicherlich trägt dieser Stillstand – gefangen in einem ewigen Spannungsverhältnis zwischen den Fronten – auch dazu bei, dass sich Agnes eines Tages in den Selbstmord flüchtet.
Hier wird also das besondere Verhältnis dieser drei Personen durch das Skatspiel ausgedrückt. Oskar kommentiert dieses Spiel als besonders angemessen, da dieses genau für drei Mitspieler gemacht ist. Sein Vergleich mit der Dreiecksthematik des Theaters gibt einen Hinweis darauf, dass er das Verhältnis zwischen seiner Mutter und seinen beiden mutmaßlichen Vätern zumindest interessant findet, da die ewige Zweisamkeit wohl in den Tod der Langeweile führen würde. Der kurze Satz am Ende des oben angeführten Zitats „Sie spielen Skat“ verdeutlicht die Thematik noch einmal, durch die Alliteration drei aufeinander folgender Wörter.
Oskar beschreibt das Bild von der Skatrunde noch detaillierter – sein Blick richtet sich nun auf seine Mutter: „Sie hat eine Karte gezogen, zeigt sie der Linse des Fotoapparates, aber nicht ihren Mitspielern. Wie leicht durch eine einzige Geste, durch das bloße Aufzeigen der Skatkarte Herz Dame, ein gerade noch unaufdringliches Symbol beschworen werden kann; denn wer schwüre nicht auf Herz Dame“ (Grass, S. 66)! Die Herz Dame ist ein sehr prägnantes Symbol, das noch des Öfteren in der Blechtrommel auftauchen wird. Agnes verkörpert die „Herz Dame“ beider Männer. Interessant dabei ist, dass sie diese Karte zwar der Öffentlichkeit – der Linse des Fotoapparates – präsentiert, jedoch vor ihren Männern versteckt hält. Im kleinen Kreis der Dreisamkeit, wird also die wahre Beziehung zwischen diesen drei Personen verdrängt und nur verschlüsselt wahrgenommen, wohingegen ironischer Weise jeder, der hinsehen will, die tatsächliche Realität auf den ersten Blick erkennen könnte.
2. 2. Glas, Glas, Gläschen
Die erste Begegnung mit dem Motiv des Skatspiels fand also auf einem Foto statt. In dem Kapitel „Glas, Glas, Gläschen“ verändert sich das Motiv von einer anfangs statischen Beschreibung der Verhältnisse zu einer bewegten Darstellung einer tatsächlichen Skatrunde. In diesem Fall war es Oskars vierter Geburtstag, der „wie alles Außergewöhnliche Grund zum Familienskat bot“ (Grass, S. 145). Dieses Skatspiel ist Sinnbild für das intime Verhältnis zwischen Agnes und Jan Bronski. Gleich zu Anfang des Spiels schlägt Agnes vor, anstatt eines Zehntelpfennigskats einen Viertelpfennigskat zu „kloppen“, jedoch ist Jan nicht bereit, den Einsatz so hoch zu setzen. Dies spiegelt sich auch in der Realität wieder: Agnes trägt ein viel höheres Risiko und mehr Verantwortung in der geheimen Beziehung als Jan, da sie verheiratet ist und zwischen den Fronten steht. Oskar, der der leibgewordene Beweis für die geheime Liebesbeziehung ist, beobachtet unbemerkt, unter dem Tisch sitzend die intimen Begegnungen seines mutmaßlichen Vaters und seiner Mutter. Zugleich kann er jedoch – als allwissender Erzähler auch das Spiel auf dem Tisch verfolgen. Matzerath wird während dem Spiel stark in den Hintergrund gedrängt – er ist nur passiver Mitspieler. Wohingegen Jan Bronski zwar aktiv Skat spielt, seine Spiele jedoch verliert, da er stärker damit beschäftigt ist, unter dem Tisch Agnes intim zu berühren. „Alle Bewunderung für meine Mama, die trotz dieser wollenen Belästigung unter der Tischplatte oben auf strammem Tischtuch die gewagtesten Spiele, darunter einen Kreuz ohne Viern, sicher und von humorigster Rede begleitet gewann, während Jan mehrere Spiele, die selbst Oskar mit schlafwandlerischer Sicherheit nach Hause gebracht hätte, unten immer forscher werdend, oben verlor“ (Grass, S. 83). Es handelt sich hier um zwei Ebenen: Die eine findet unter dem Tisch statt. Es ist eine untergründige Ebene, wo das „Unaussprechliche“ nur in Handlungen ausgedrückt werden kann. Agnes hat die Situation unter Kontrolle: Sie genießt ihre heimliche Affäre unter dem Tisch, und ist oberhalb, auf der sichtbaren Ebene der Wirklichkeit, selbstsicher und gelassen, wobei das konsequente Gewinnen all ihrer Spiele dieses Bewusstsein verstärkt. Jan hingegen konzentriert sich nur auf seine „Herz Dame“, dabei vernachlässigt er das Spiel auf dem Tisch vollkommen und verliert. Auf der oberen Ebene der Wirklichkeit kann er Agnes nicht halten, er hat sie bereits an Matzerath verloren, was sich auch durch seine spielerischen Niederlagen ausdrückt. Obwohl er gute Karten hat, sowohl im Skat, als auch bei Agnes, verliert er sowohl im Spiel als auch in der Liebe. Agnes und Jan haben ihre heimliche Beziehung also „unter den Tisch fallen lassen“. Interessant ist auch, dass Matzerath sich nicht aktiv am Spiel beteiligt, er ist nur „Mitspieler“, doch Agnes hält die Fäden in der Hand. Er gewinnt nicht wirklich, da Agnes ihn nicht liebt, dennoch verliert er auch nicht, weil Agnes sich trotzdem für eine Ehe mit ihm entschieden hat. Matzerath ist also nur ein „passiver Mitspieler“.
2.3. Karfreitagskost
Dieses Kapitel hinterlässt aufgrund einer häufigen Verwendung des Ekelmotivs einen sehr einprägsamen Eindruck beim Leser. Es herrschen große Spannungen zwischen Matzerath und Agnes, die plötzlich die einzelnen Charaktere in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Im Gegensatz zu vorhin, ist Agnes weder selbstsicher, noch schlagfertig – im Gegenteil, sie ist am Ende ihrer Kräfte, schwach und weinerlich. Jan hingegen ist ironischer Weise der ruhig gebliebene, zwischen den Fronten schlichtende Vermittler, der sogar von Matzerath aufgefordert wird, seine Frau zu trösten. Das tut er auf seine ganz eigene Weise: „Er stand vor dem Bett, betrachtete abwechselnd Mama und die büßende Magdalena, setzte sich vorsichtig auf die Bettkante, streichelte der auf dem Bauch liegenden Mama Rücken und Gesäß, sprach beschwichtigend kaschubisch auf sie ein und fuhr ihr schließlich – weil Worte nicht mehr halfen – mit der Hand unter den Rock, bis sie aufhörte zu wimmern und Jan den Blick von der vielfingrigen Magdalena wegnehmen konnte“ (Grass, S. 202). So wie im zuvor besprochenen Kapitel, kommt auch hier das Zufluchtsmotiv Oskars zum Ausdruck, vorhin unter dem Tisch, jetzt in einem Schrank versteckt, beobachtet er die sexuellen Handlungen zwischen seiner Mutter und Jan Bronski.
Nachdem sich alle beruhigt hatten, schlägt Jan vor, zur Versöhnung Skat zu spielen. Er ist sogar von sich aus bereit den Einsatz zu erhöhen, und um Agnes, die gar nichts zu dem Vorschlag sagt, noch versöhnlicher zu stimmen einen Viertelpfennigskat zu „dreschen“. Normalerweise ist er nicht sehr risikofreudig, „denn Jan bewahrt sich immer, nicht nur beim Skatspiel, einen Rest Vorsicht“ (Grass, S. 201). In der Wortwahl „Skat dreschen“ steckt auch schon die Aggressionsbewältigung, die hier ein Ventil findet.
Das hier auftretende Motiv des Skatspiels ist wiederum ein bewegtes, jedoch von ganz anderer Struktur. Es fand eine Rollenverteilung statt, die in der eben beschriebenen Szene schon zum Ausdruck gebracht wurde. Dieses Skatspiel ist ein Spiegel des vorherrschenden, situativen Verhältnisses dieser drei Personen. „Ich nahm mein Auge von dem Sehschlitz und hörte bald darauf, wie sie die Karten mischten. Kleines vorsichtiges Gelächter, Matzerath hob an, Jan verteilte, und da reizten sie die Karten aus. Ich glaube, Jan reizte Matzerath.“ (Grass, S. 203). In diesem Spiel scheint anfangs Jan die Fäden in der Hand zu halten: Er hat das Spiel angezettelt und er verteilt die Karten. Im Spiel reizen sie die Karten aus, und im Leben reizen die beiden Männer ihre Grenzen aus. Matzerath bringt seine Frau zum Weinen und Erbrechen und Jan befriedigt diese mit großer Dreistigkeit, fast in unmittelbarer Nähe ihres Ehemanns. Jan reizt Matzerath also nicht nur im Skat, sondern auch im Leben. Die Antwort auf Jans Offensive, drückt sich in einem klaren Rückzug Matzeraths aus, „der passte schon bei dreiundzwanzig“ (Grass, S. 203). Er ist sich nämlich dessen bewusst, dass er in der Aalfrage nicht korrekt gehandelt hat, und verliert den Spielzug gegen Jan Bronski. Matzerath ist von hier ab also wieder außen vor, und nun geht Agnes in die Offensive: Sie reizt Jan bis sechsunddreißig, bis auch er „klein beigeben“ muss, denn in Wirklichkeit hat doch sie Zügel in der Hand. Sie spielt einen Grand, den sie jedoch knapp verliert. Das könnte darauf hindeuten, dass Agnes nach diesem anstrengenden Tag noch nicht wieder in ihre alte Rolle geschlüpft ist, sie ist noch etwas angeschlagen. Jan hingegen gewinnt den folgenden „Karo einfach“ bombensicher. Er verkörpert den gelassenen, selbstsicheren Sieger, der mit den extremen Geschehnissen des Tages wohl am Besten umgehen kann.
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- Arbeit zitieren
- Irena Eppler (Autor:in), 2006, Das Motiv des Skatspiels in Günter Grass` die Blechtrommel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91963
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