Die EU-Osterweiterung am 01. Mai 2004, bei der gleich zehn neue Länder in die Europäische Union (EU) aufgenommen wurden, hat die Europäische Staatengemeinschaft vor große Herausforderungen gestellt und gleichzeitig mit vielen Entwicklungschancen ausgestattet. In zahlreichen Kommentaren in Europa wurde die Erweiterung als historische Chance gesehen, den europäischen Kontinent wiederzuvereinigen und damit eine dauerhafte Sicherung von Frieden und Stabilität zu gewährleisten (vgl. Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 14/228, S. 2). Gleichzeitig gab und gibt es aber auch eine große Skepsis gegenüber den neuen Mitgliedsländern, die sich durch weite Teile der deutschen Bevölkerung erstreckt (vgl. Europa digital, 22.04.07).
In meiner Seminararbeit will ich die Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf die Bundesrepublik Deutschland betrachten, Chancen und Risiken gegeneinander abwägen und einen Ausblick wagen, wie auf die Entwicklungen der EU-Osterweiterung nachhaltig reagiert werden sollte.
Ich verstehe unter der ›EU-Osterweiterung‹ den Beitritt der zehn neuen Mitgliedsstaaten am 01. Mai 2004 – den Beitritt von Bulgarien und Rumänien zum 01. Januar 2007 werde ich in der Seminararbeit nicht explizit berücksichtigen, da die grundlegenden Wirkungsketten und die für Deutschland relevanten Veränderungen bereits im Mai 2004 ausgelöst wurden. Bevor ich auf die Situation der Bundesrepublik Deutschland eingehe, möchte ich einen kurzen Abriss über die historische Entwicklung des europäischen Einigungsprozesses und der Osterweiterung geben. Als am 25. März 1957 sechs Länder in Rom den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) unterzeichneten, war noch nicht abzusehen, dass dieser Vertrag den Startpunkt für einen dynamischen Annäherungs- und Einigungsprozess darstellen sollte. In den Folgejahren und -jahrzehnten wurde eine Erweiterungsrunde nach der anderen durchgeführt, so dass die Gemeinschaft bis 1995 auf 15 Mitglieder anwuchs.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989/90 bemühten sich zudem viele ehemalige Sowjet-Staaten intensiv um eine Annäherung an die EU und in langwierigen Verhandlungen und durch zahlreiche Reformprozesse in ihrem eigenen Land signalisierten sie ihre Beitrittsbereitschaft. Anhand der ›Kopenhagener Kriterien‹ wurden die Beitrittskandidaten auf ihre Aufnahmefähigkeit überprüft.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung, Problemstellung und Zielsetzung
2. Hintergrund der EU-Osterweiterung
2.1. Die historische Entwicklung der Osterweiterung
2.2. Rückblick: Die Stimmungslage in Deutschland vor dem Beitritt
3. Chancen und Risiken
3.1. Die Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt
3.1.1. Der reglementierte Arbeitsmarktzugang und seine Auswirkungen
3.1.2. Die Entwicklung der Beschäftigung und mögliche Arbeitslosigkeit
3.1.3. Direktinvestitionen in den neuen Mitgliedsstaaten
3.2. Der verschärfte internationale Steuerwettbewerb
3.3. Migration
3.3.1. Effekte der Zuwanderung auf Wachstum, Löhne und Beschäftigung
3.3.2. Effekte der Zuwanderung für den Sozialstaat
3.4. Innere Sicherheit
3.5. Handel
3.5.1. Die Entwicklung des Außenhandels
3.5.2. Sonderfall Baden-Württemberg
3.6. Die Gefährdung der Entwicklung Ostdeutschlands
3.7. Finanzielle Belastungen
3.7.1. Der Strukturfonds
3.7.2. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP)
4. Fazit und Ausblick
5. Anlagenverzeichnis
6. Quellenangaben
1. Einführung, Problemstellung und Zielsetzung
Die EU-Osterweiterung am 01. Mai 2004, bei der gleich zehn neue Länder in die Europäische Union (EU) aufgenommen wurden, hat die Europäische Staatengemeinschaft vor große Herausforderungen gestellt und gleichzeitig mit vielen Entwicklungschancen ausgestattet. In zahlreichen Kommentaren in Europa wurde die Erweiterung als historische Chance gesehen, den europäischen Kontinent wiederzuvereinigen und damit eine dauerhafte Sicherung von Frieden und Stabilität zu gewährleisten (vgl. Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 14/228, S. 2). Gleichzeitig gab und gibt es aber auch eine große Skepsis gegenüber den neuen Mitgliedsländern, die sich durch weite Teile der deutschen Bevölkerung erstreckt (vgl. Europa digital, 22.04.07).
In meiner Seminararbeit will ich die Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf die Bundesrepublik Deutschland betrachten, Chancen und Risiken gegeneinander abwägen und einen Ausblick wagen, wie auf die Entwicklungen der EU-Osterweiterung nachhaltig reagiert werden sollte.
Ich verstehe unter der ›EU-Osterweiterung‹ den Beitritt der zehn neuen Mitgliedsstaaten am 01. Mai 2004 – den Beitritt von Bulgarien und Rumänien zum 01. Januar 2007 werde ich in der Seminararbeit nicht explizit berücksichtigen, da die grundlegenden Wirkungsketten und die für Deutschland relevanten Veränderungen bereits im Mai 2004 ausgelöst wurden.
2. Hintergrund der EU-Osterweiterung
Bevor ich auf die Situation der Bundesrepublik Deutschland eingehe, möchte ich einen kurzen Abriss über die historische Entwicklung des europäischen Einigungsprozesses und der Osterweiterung geben.
2.1. Die historische Entwicklung der Osterweiterung
Als am 25. März 1957 sechs Länder[1] in Rom den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) unterzeichneten, war noch nicht abzusehen, dass dieser Vertrag den Startpunkt für einen dynamischen Annäherungs- und Einigungsprozess darstellen sollte. In den Folgejahren und -jahrzehnten wurde eine Erweiterungsrunde nach der anderen[2] durchgeführt, so dass die Gemeinschaft bis 1995 auf 15 Mitglieder anwuchs.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989/90 bemühten sich zudem viele ehemalige Sowjet-Staaten intensiv um eine Annäherung an die EU und in langwierigen Verhandlungen und durch zahlreiche Reformprozesse in ihrem eigenen Land signalisierten sie ihre Beitrittsbereitschaft. Anhand der ›Kopenhagener Kriterien‹ wurden die Beitrittskandidaten auf ihre Aufnahmefähigkeit überprüft. Die ›Kopenhagener Kriterien‹ gehen hierbei von drei zentralen Voraussetzungen aus: Als politische Voraussetzung gelten die Verwirklichung einer institutionellen Stabilität, um eine rechtsstaatliche und demokratische Ordnung zu garantieren, die Wahrung der Menschenrechte und der Schutz von Minderheiten. Als zweites wird eine funktionsfähige und dem Wettbewerb standhaltende Marktwirtschaft vorausgesetzt und schließlich muss der Beitrittskandidat die Umsetzung des ›Acquis communautaire‹ (gemeinschaftlicher Besitzstand, ca. 80.000 Seiten Gesetzestext) in Landesrecht veranlassen.
Der 1. Mai 2004 stellte dann einen echten Meilenstein dar: Gleich zehn neue Länder[3] (darunter fünf mitteleuropäische Staaten) wurden für aufnahmefähig befunden und traten der Europäischen Union (EU) bei. Besonders durch die Aufnahme der osteuropäischen Länder wurde endgültig die Spaltung Europas überwunden, die über Jahrzehnte durch den Eisernen Vorhang dokumentiert worden war. Erstmals wurden Länder aufgenommen, deren wirtschaftlicher Hintergrund nicht in der marktwirtschaftlichen Tradition, sondern in der sozialistischen Planwirtschaft zu finden ist und die eine radikale Wende hin zur Marktwirtschaft vollzogen haben. Auf der einen Seite stellt der Beitritt das Ergebnis der umfangreichen Anstrengungen und Bemühungen der zehn Staaten dar und ist zugleich der Erfolg einer Heranführungsstrategie durch die EU, die den neuen Mitgliedsländern über mehrere Jahre eine privilegierte Stellung im Verhältnis zur EU eingeräumt hatte. Die Beitrittswelle ist aber auf der anderen Seite auch Startpunkt für einen weiteren intensiven Anpassungsprozess, dem sich die EU derzeit stellen muss. Die Chancen und Risiken für die erweiterte EU sind vielfältig, im weiteren Verlauf der Seminararbeit soll jedoch eine Fokussierung auf die Chancen und Risiken Deutschlands gelegt werden.
2.2. Rückblick: Die Stimmungslage in Deutschland vor dem Beitritt
In der deutschen Bevölkerung gab es vor dem 01. Mai 2004 ein sehr buntes Meinungsbild über die Chancen und Risiken der Erweiterung. Viele Menschen hatten Sorge überfordert zu werden, sich mit neuer Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt messen zu müssen und mit einer Zunahme der internationalen Kriminalität konfrontiert zu sein. In Ostdeutschland standen 38% der Bürger der Erweiterung skeptisch gegenüber, in Westdeutschland waren es gar 45% der Bevölkerung, die die Erweiterung ablehnten (vgl. Europa digital, 22.04.07).
Eine Umfrage der Europäischen Kommission, die im Juli 2006, also zwei Jahre nach der Erweiterung erschienen ist, hat ergeben, dass 66% der gesamtdeutschen Bevölkerung der EU-Osterweiterung nach wie vor skeptisch gegenüber stehen. Dies ist europaweit der höchste Wert, der für ein einzelnes Mitgliedsland ermittelt wurde (vgl. European Commission, 24.04.07). Als Vergleichswert sei der Durchschnitt aller befragten EU-Bürger genannt, der mit 55% Ablehnung gegen die Osterweiterung auch noch erstaunlich hoch ist. Da die Glaubwürdigkeit beider Quellen vorausgesetzt wird, lässt sich zusammenfassend sagen, dass es entweder deutlich wahrnehmbare Risiken gibt oder dass es insbesondere der deutschen Politik seit der Osterweiterung nicht gelungen ist, die Befürchtungen der Bevölkerung zu zerstreuen oder zu widerlegen. Die Skepsis gegenüber der Osterweiterung ist größer als je zuvor – ob dies berechtigt ist, will ich in dem nachfolgenden Kapitel untersuchen.
3. Chancen und Risiken
Bereits Anfang der neunziger Jahre wurde den beigetretenen Ländern eine privilegierte Stellung im Verhältnis zur EU eingeräumt. Das hat dazu geführt, dass wesentliche Implikationen des vergrößerten Binnenmarktes bereits heute spürbar sind (vgl. Deutsche Bundesbank, 2004, S. 6) und nach dem offiziellen Beitritt keine gravierenden neuen wirtschaftlichen Entwicklungen ausgelöst wurden. Schon zwischen 1993 und 2003 waren deutsche Unternehmen sehr erfolgreich im Werben um einen wachsenden Außenhandel mit den Beitrittsländern und konnten in diesem Zeitraum den Anteil des Außenhandels mehr als vervierfachen (vgl. Deutsche Bundesbank, 2004, S. 7). Welche Chancen und welche Risiken birgt nun also ein Beitritt, der über diese Handelsprivilegien hinausgeht?
3.1. Die Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt
Die größten Sorgen der deutschen Gesellschaft waren sicherlich dem hohen Einkommensgefälle zwischen Deutschland und den neuen Mitgliedsstaaten (NMS) geschuldet. Das Pro-Kopf-Einkommen der neuen Mitgliedsländer erreichte 2004 (in Kaufkraftparitäten gemessen) nicht einmal 50% des Durchschnitts der ›alten‹ Mitgliedsländer. Eine mögliche Zuwanderung von Arbeitskräften, die bei weniger Lohn arbeiten oder die Auslagerung von arbeitsintensiver Produktion in die NMS und daraus resultierender Arbeitslosigkeit für die deutschen Arbeiter, löste viel Ablehnung aus.
Die Theorie der komparativen Kosten von Ricardo jedoch lehrt uns, dass gerade bei einer Integration von Ländern mit hohen Einkommensunterschieden und Faktorausstattungen erhebliche Einkommensgewinne zu erwarten sind. Je größer die Unterschiede in den Arbeitsproduktivitäten, umso größer ist die Möglichkeit komparative Kostenvorteile einzusetzen und den eigenen Wohlstand zu vermehren (vgl. Wienert, 2001, S. 59-64).
Deutschland hat durch die Osterweiterung die Chance sich auf die Bereiche zu konzentrieren, in denen gegenüber den Neumitgliedern komparative Vorteile vorhanden sind. Die in den NMS günstig hergestellten Produkte (möglicherweise auch Vorleistungen für hochwertige deutsche Produkte) können importiert werden, während die Nachfrage nach deutschen Investitionsgütern beispielsweise durch den vergrößerten Markt deutlich angekurbelt wird.
3.1.1. Der reglementierte Arbeitsmarktzugang und seine Auswirkungen
Der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ist für Migranten aus den NMS stark reglementiert. Bei der Osterweiterung wurden Übergangsregelungen vorgesehen, die es den ›alten‹ Mitgliedsstaaten erlaubt, die Arbeitnehmerfreizügigkeit für maximal sieben Jahre (bis 2011) deutlich einzuschränken. Da Deutschland von dieser Option Gebrauch gemacht hat und zumindest bis 2009 die Freizügigkeit beschränken wird, verlief die Nettozuwanderung aus den NMS nach Deutschland bislang verständlicherweise sehr moderat: Im Jahr 2004 waren es 36.000 zugewanderte Personen, im Jahr 2005 kamen im Saldo 63.000 Personen nach Deutschland (vgl. Baas/ Brückner/ Hönekopp, 2007, S. 2).
Da Großbritannien und Irland keinen Gebrauch von den Übergangsfristen gemacht und ihre Arbeitsmärkte direkt für die ausländische Bevölkerung geöffnet haben, sind die Migrationsströme auf die britischen Inseln umgelenkt worden. Die Arbeitslosenrate der eingewanderten Personen aus den NMS in Großbritannien und Irland ist entgegen der Vermutung allerdings deutlich niedriger als die der einheimischen britischen bzw. irischen Bevölkerung. Die vorhandene Arbeitnehmerfreizügigkeit in Großbritannien und Irland hat dafür gesorgt, dass insbesondere die jungen, mobilen und gut ausgebildeten Fachkräfte den Sprung in den ausländischen Arbeitsmarkt gewagt haben. Angesichts der abzusehenden demographischen Entwicklung der nächsten Jahre und dem bereits existenten Fachkräftemangel in den ›alten‹ Mitgliedsländern ist das eine gewaltige Chance, die in der Form allerdings nur von Großbritannien und Irland genutzt wurde.
In Deutschland meinte man, sich durch die Übergangsregelungen vor einem Migrationsansturm schützen zu müssen. Im Vergleich zu Großbritannien und Irland jedoch ist die Arbeitslosenrate der zugewanderten Arbeitskräfte in Deutschland auffällig hoch. Das lässt sich unter anderem damit erklären, dass die eingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland dazu führt, dass Zuwanderer fast ausschließlich in Sektoren beschäftigt sind, die mit hohen Arbeitslosigkeitsrisiken behaftet sind. Als Saisonarbeiter finden sie eine Beschäftigung in der Landwirtschaft, im Hotel- und Gaststättengewerbe oder anderen einfachen Dienstleistungstätigkeiten. Die vorübergehende Beschäftigung öffnet dann wiederum die Tür zu einer regulären Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung, was sich nicht nur auf die Beschäftigtenstruktur der ausländischen Arbeitnehmer negativ auswirkt, sondern möglicherweise auch eine Belastung der Sozialkassen nach sich zieht.
[...]
[1] Die sechs Gründungsstaaten waren: Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande.
[2] Die erste Erweiterungswelle 1973: Beitritt von Großbritannien, Irland und Dänemark
Die Süderweiterung: Beitritt von Griechenland 1981, Spanien und Portugal 1986
Die Norderweiterung 1995: Beitritt von Finnland, Schweden und Österreich
[3] Die zehn Beitrittsländer der Osterweiterung waren: die mitteleuropäischen Staaten Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie die Mittelmeerinseln Malta und Zypern.
- Quote paper
- Benjamin Finis (Author), 2007, Deutschland und die EU-Osterweiterung: Chancen und Risiken, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91913
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