Erlebnispädagogik ist ein weit gefächertes Terrain, das bis heute auf der Suche nach sich selbst ist. Immer noch fällt es schwer, eine einheitliche Definition von Erlebnispädagogik in
all ihren Formen und Facetten zu geben. Das zeigt, dass die Erlebnispädagogik noch nicht ausgereift ist und sie sich noch immer in einem Prozess der Weiterentwicklung befindet. Neue Sichtweisen und Formen der Erlebnispädagogik sind daher gefragter als je zuvor. Wer sich auf erlebnispädagogischem Gebiet bewegt wird schnell feststellen, wie schwierig es sich darstellt, zu wirklich guten, neuen Ansätzen vorzustoßen. Dennoch hat man bei der Erlebnispädagogik noch gute Chancen beim Ausbau ihres Wesens mitzuwirken. Das Gebiet, auf dem ich mich bewege, ist die erlebnispädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Im Jahre 2003 habe ich bei EOS-Erlebnispädagogik e.V. begonnen, eine 2 jährige berufsbegleitende Ausbildung in Erlebnispädagogik (mit waldorfpädagogischen Hintergrund) zu absolvieren. Noch während der Ausbildung engagierte ich mich bei zahlreichen Ferienlagern und Klassenfahrten und arbeitete mich somit immer weiter in die erlebnispädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein. Als ich merkte, mit wie viel Freude die Kinder und Jugendlichen an den Ferienlagern teilnahmen und welche starken Auswirkungen allein ein Ferienlager auf das Leben von einzelnen Kindern haben kann, bekam die Erlebnispädagogik einen zentralen Stellenwert in meinem Leben. Immer wieder bemerkte ich, dass z.B. gerade Kinder und Jugendliche, die als sog. ADS- Kinder mit schwieriger schulischer Laufbahn galten, sich auf Ferienlagern ganz anders zeigten. Dadurch wurde mir immer klarer, dass diese erlebnispädagogischen Ferienlager eine wichtige Ergänzung zur schulischen Bildung darstellen können. Auch während meiner zahlreichen pädagogischen Praktika aufgrund meines Lehramtstudiums versuchte ich, einige erlebnispädagogische Elemente in meinen Unterricht mit einfließen zu lassen. Ganz besonders merkte ich, dass die Kinder an meinen Lippen hingen, wenn ich ihnen Geschichten erzählte. Dasselbe Phänomen bemerkte ich auch auf den Ferienlagern, nämlich, dass man Kinder durch Geschichten auf einer ganz tiefen seelischen Ebene ansprechen kann.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Wurzeln der Erlebnispädagogik
Mythen und ausgewogene Bildung bei den alten Griechen
Rousseau oder die Bildung durch die Natur
David Henry Thoreau und Lehrmeisterin Natur
Die Reformpädagogik und ihre Strömungen
Die Kulturkritik
Die Kunsterziehungsbewegung
Die Jugendbewegung
Die Arbeitsschulbewegung
John Dewey
Die Landerziehungsheimbewegung
Die Erlebnistherapie von Kurt Hahn
Jugendarbeit nach 1945 bis heute
Einsatz und Entwicklungsfelder der modernen Erlebnispädagogik
Medien der Erlebnispädagogik
Wirkungsmodelle der Erlebnispädagogik
The Mountain speaks for themselves
Outward Bound Plus Modell
Metaphorische Erlebnispädagogik
Die kreativ-rituelle Prozessgestaltung
Die Wichtigkeit des Transfers
Skills in der Erlebnispädagogik
Hard Skills
Soft Skills
Meta Skills
Das Erlebnis in der Pädagogik
Das Abenteuer in der Erlebnispädagogik
Psychologisch-humanistische Erklärungsversuche der Abenteuersuche
Soziologische Erklärungsversuche der Abenteurersuche
Anthroposophische Elemente – als Grundlage für neue Formen der Erlebnispädagogik
Rudolf Steiner als Erzieher
Das anthroposophische Menschenbild
Die Erziehung des Jugendlichen aus Sicht der Waldorfpädagogik
Erziehung zum geistigen Bewusstsein
Erziehung zur Eigenständigkeit
Erziehung zur Selbstentwicklung
Erziehung zum Willen
Das Erlebnis bei Rudolf Steiner
Erlebnis und Fähigkeit
Die Schulung der Erlebnisfähigkeit
Elemente zur Fähigkeitenentwicklung an der Waldorfschule
Die Verarbeitung von Erlebnissen
Der Versuch einer anthroposophischen Erlebnispädagogik am Beispiel von EOS- Erlebnispädagogik
Das Projekt Schulzirkus eingebettet in das Thema Zigeuner
Elemente der Märchen und Mythen in der Erlebnispädagogik
Suche nach dem Sinn im Leben – und der Beitrag der Märchen und Mythen
Von der Wirkung der Märchen
Von der Wirkung von Mythen
Mythos als erzieherisches Vorbild?
Die Vorbildfunktion bei Eduard Spranger
Die Vorbildfunktion bei Rudolf Steiner
Lernen am Vorbild- die lernpsychologische Sicht
Der Erlebnispädagoge als Vorbild
Archetypen in der Erlebnispädagogik
Auf den Spuren des König Artus – ein Ferienlager in Südengland
Lernziele
Vorbereitungen und Planung
Der Verlust der Mythen als Ausdruck fehlender Übergangsrituale in unserer Gesellschaft
Das „Big Solo“ als Versuch eines erlebnispädagogischen Initiationsritus
Das „Big Solo“ Ferienlager
Interviews mit den Teilnehmern des „Big Solo“ Ferienlagers
Interview mit Mädchen 14 Jahre
Heimweh nach dem Paradies – ein Grund für die Anziehungskraft der Erlebnispädagogik?
Fazit
Literatur
Einleitung
Erlebnispädagogik ist ein weit gefächertes Terrain, das bis heute auf der Suche nach sich selbst ist. Immer noch fällt es schwer, eine einheitliche Definition von Erlebnispädagogik in
all ihren Formen und Facetten zu geben. Das zeigt, dass die Erlebnispädagogik noch nicht ausgereift ist und sie sich noch immer in einem Prozess der Weiterentwicklung befindet. Neue Sichtweisen und Formen der Erlebnispädagogik sind daher gefragter als je zuvor. Wer sich auf erlebnispädagogischem Gebiet bewegt wird schnell feststellen, wie schwierig es sich darstellt, zu wirklich guten, neuen Ansätzen vorzustoßen. Dennoch hat man bei der Erlebnispädagogik noch gute Chancen beim Ausbau ihres Wesens mitzuwirken. Das Gebiet, auf dem ich mich bewege, ist die erlebnispädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Im Jahre 2003 habe ich bei EOS-Erlebnispädagogik e.V. begonnen, eine 2 jährige berufsbegleitende Ausbildung in Erlebnispädagogik (mit waldorfpädagogischen Hintergrund) zu absolvieren. Noch während der Ausbildung engagierte ich mich bei zahlreichen Ferienlagern und Klassenfahrten und arbeitete mich somit immer weiter in die erlebnispädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein. Als ich merkte, mit wie viel Freude die Kinder und Jugendlichen an den Ferienlagern teilnahmen und welche starken Auswirkungen allein ein Ferienlager auf das Leben von einzelnen Kindern haben kann, bekam die Erlebnispädagogik einen zentralen Stellenwert in meinem Leben. Immer wieder bemerkte ich, dass z.B. gerade Kinder und Jugendliche, die als sog. ADS- Kinder mit schwieriger schulischer Laufbahn galten, sich auf Ferienlagern ganz anders zeigten. Dadurch wurde mir immer klarer, dass diese erlebnispädagogischen Ferienlager eine wichtige Ergänzung zur schulischen Bildung darstellen können. Auch während meiner zahlreichen pädagogischen Praktika aufgrund meines Lehramtstudiums versuchte ich, einige erlebnispädagogische Elemente in meinen Unterricht mit einfließen zu lassen. Ganz besonders merkte ich, dass die Kinder an meinen Lippen hingen, wenn ich ihnen Geschichten erzählte. Dasselbe Phänomen bemerkte ich auch auf den Ferienlagern, nämlich, dass man Kinder durch Geschichten auf einer ganz tiefen seelischen Ebene ansprechen kann. Das warf bei mir die Frage auf, was steckt eigentlich hinter den Geschichten und auch ganz besonders hinter Märchen und Mythen? Während meiner Ausbildung lernte ich bereits, wie man Märchen, Mythen und Geschichten für die Erlebnispädagogik nutzbar machen kann. Doch meine Frage ist vielmehr, welches Potential könnte sich noch hinter den Märchen und Mythen für die erlebnispädagogische Arbeit verbergen? Dieser Frage versuchte ich in meiner Arbeit ein Stückchen näher zu kommen. Außerdem ist es mir auch ein Anliegen, nach „neuen Formen der Erlebnispädagogik“ zu suchen. Deswegen findet sich in dieser Arbeit auch ein Kapitel über „anthroposophische Elemente der Erlebnispädagogik “. Da eine komplette Auslegung der Erlebnispädagogik auf die Anthroposophie den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, habe ich versucht zu schauen, welche Elemente der Anthroposophie in der Erlebnispädagogik einen Platz finden könnten. Um darzustellen, was an einer Erlebnispädagogik aus Sicht der Märchen und Mythen sowie aus anthroposophischer Sicht anders ist, enthält diese Arbeit 3 verschiedene Fallbeispiele aus meiner eigenen praktischen Erfahrung. Ziel der Arbeit ist es nicht, ein vollständig neues Konzept vorzustellen, sondern es ist vielmehr ein Versuch, einen Beitrag zu erlebnispädagogischen Überlegungen zu leisten. Diese Arbeit ist dabei so angelegt, dass sie auch Menschen, die sich mit Erlebnispädagogik oder Anthroposophie noch nicht beschäftigt haben, einen verständlichen Überblick verschaffen kann. Deswegen enthält diese Arbeit als erstes eine ausführliche Übersicht über die „Wurzeln der Erlebnispädagogik“ sowie über den aktuellen Forschungsstand, die Arbeitstechniken und über das „Erlebnis in der Pädagogik“. Dabei war es mir auch ein zentrales Anliegen, die „Ursache der Abenteuersuche“, die ja in der Erlebnispädagogik einen zentralen Stellenwert einnimmt, ausführlicher zu betrachten. Die Arbeit ist dabei so angelegt, dass sie wie ein Trichter immer mehr ins Detail und auf spezifische Themen hinführt.
Wurzeln der Erlebnispädagogik
Mythen und ausgewogene Bildung bei den alten Griechen
Einer der ersten griechischen Erzieher war der große Mythen und Geschichtenschreiber Homer. Am Ende seiner Abhandlung über den Staat berichtete Platon einst über Homer, das er noch zu seiner Zeit von vielen Leuten als derjenige angesehen wurde, der mit seiner Dichtung ganz „Griechenland erzogen“ habe. Bei seinen Mythen handelt es sich dabei nicht um historische Berichte, sondern um phantastische Gewebe aus der Volkserzählung. Doch in diesen phantastischen Mythen, dem Kampf um Troja oder der Heimkehr des listenreichen Odysseus, sind einige Erziehungselemente enthalten.
Der ruhmreiche Held Achilles im Epos „Ilias“, wird Zeit seiner Jugend von dem adligen Phönix betreut, den sein Vater für ihn auserwählt hatte. Als Achilles nun zum Manne herangewachsen war und sich bereits als Führer der Archaier im Trojanischen Krieg bewährt hat, sagt ihm rückblickend sein alt gewordener väterlicher Freund:
„Du warst jung noch und wusstest nichts vom Kampfe, der keinen verschont, noch vom Rat, wodurch würd’ge Männer sich hervortun. Darum hatte (dein Vater) mich abgesandt, dich alles zu lehren, um überlegten Rat erteilen und große Taten vollbringen zu können.“ (Homer zit. n. Fischer/Löwisch, 1998, S. 2)
Studiert man die Mythen des Homer etwas genauer, wird man noch auf einige dieser Erziehungselemente stoßen. Daran kann man dann das damalige griechische Erziehungsvorbild ablesen, bei dem meist ein junger Adliger Ratschläge eines Älteren empfing, dem er zur Erziehung anvertraut war. Spannend ist hier jedoch, dass Mythen und Geschichten bereits bei den alten Griechen ein grundlegendes Mittel zur Erziehung waren.
Später war es nicht nur der Adel, der seine Kinder zur Schule schickte, sondern auch das Volk schickte seine Kinder zu Lehrern, um sie im Schreiben und Rechnen, doch vor allem aber in Gymnastik, in Musik und der Literatur Homers zu lehren. Denn die Griechen achteten schon früh auf eine ausgewogene Bildung, zwischen Kopf und Hand. (vgl. Fischer/Löwisch, 1998, S. 2-5) In Athen waren die Eltern jedes Standes sogar durch das Gesetzt verpflichtet, ihre Kinder vom 7. Jahre an musisch und gymnastisch (d.h. geistig und körperlich) ausbilden zu lassen. Der Unterricht der Knaben, den sie unter Aufsicht eines „Knabenführers“ (Pädagogen) erhielten, beinhaltete Lesen, Schreiben, Sprachlehre, Musik, Gymnastik, Zeichnen, Rechnen und die Literatur des Homer. Viele lernten die ganze Ilias und Odyssee auswendig. Das Religiöse wurde durch Literatur und Musik, mehr noch durch Miterleben und Mittun beim Kult in der Öffentlichkeit und in der Familie geweckt. Die Gymnastik betrieb man in Palästra (Turnschulen). Dort übte man dann den Fünfkampf (Springen, Laufen, Diskuswerfen, Speerwerfen, Ringen) sowie Schwimmen und Tanz. An Nationalfeiertagen, in Schulen oder bei Festen wurden dann Wettkämpfe veranstaltet. Doch das Ziel aller Erziehung bei den Griechen war die „Kalokagathie“: Schönheit und Ebenmaß des Körpers und der Seele. (vgl. Reble, 1993, S. 26)
Die Griechen erkannten schon sehr früh die Wichtigkeit einer ausgewogenen Erziehung für den Menschen und bildeten damit eine Wurzel der heutigen Erlebnispädagogik.
Sehr früh nährten sich die Griechen von ihren Mythen und Sagen. Denn diese beinhalteten bereits ihr ganzes Wissen und die tiefen Fragen über die Zusammenhänge der Welt. Liegt in den Mythen nicht auch heute noch Erziehungspotential, das es nur zu entdecken und anzuwenden gilt? Wäre es nicht an der Zeit unsere alten Sagen und Mythen wieder hervorzuholen und auf moderne Art in die Pädagogik hineinzuverflechten? Auch für die Erlebnispädagogik liegt meiner Meinung nach ein großes Potential in den alten Mythen, das es nur auszuschöpfen gilt.
Rousseau oder die Bildung durch die Natur
Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) war ein philosophischer und pädagogischer Vordenker, der mit seinem Erziehungsroman „Emile“ das pädagogische Denken seines Kontinentes unwiederbringlich verändert und geprägt hat. Er war ein Denker gegen den Geist der Zeit. Jean-Jacques Rousseau ist der Überwinder der Aufklärung und der Wegbereiter der Romantik.
Sich selbst zu erkennen bedeutete für ihn Erkenntnis der Welt. Er setzt einen freien Naturzustand des Menschen voraus, in dem der Mensch als starker Einzelgänger ganz in der natürlichen Ordnung lebt. Dabei kann sich der Mensch ganz auf sein Gefühl verlassen. Denn die Reflexion durch den Verstand stellt nur eine Quelle sozialen Übels dar und auch die Entzweiung des Menschen mit sich selbst. Gefühle, vor allem das Mitleid, lassen sich bei Rousseau aus der Selbstliebe ableiten. Aus den bestehenden Ordnungen der Natur entstehen primitive Ordnungen, die aber die bestehende Freiheit und Gleichheit der Menschen nicht verletzten. Denn nur durch die Entwicklung der Kultur (Sprache, Wissenschaft, Kunst) und der Gesellschaftsformen löst sich diese natürliche Gleichheit auf. Die ursprünglich positive Selbstliebe schlägt nun in Selbstsucht um. Die Kultur verdirbt die natürliche Erziehung des Menschen. Die Arbeitsteilung und die Aufteilung von Besitztümern lässt die Menschen in Konkurrenz zueinander treten. Vernunft und Wissenschaft schwächen das natürliche Gefühl für die Sitten. Luxus zerstört die Menschen, verweichlicht sie und macht ihre Manieren unredlich. (vgl. Kunzmann/Burkard/Wiedmann, 1991, S.133)
Dagegen setzt Rousseau den Weg der Freiheit und diese zu verwirklichen ist sein Erziehungsideal. In seinem Buch „Emile“ (1762) stellt er sein Ideal einer Erziehung vor.
Bereits der erste Satz des Emile beginnt mit der Aussage: „Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt, alles entartet unter den Händen des Menschen“( Rousseau, 1962, S.11) Die Erziehung des Emile ist so angelegt, dass sie den schlechten Einfluss der Gesellschaft auf den Zögling verhindert. Der Lehrmeister für Emile soll ganz allein die Natur sein. Wissen soll er erst erhalten wenn er danach fragt. Demnach werden Belehrungen und Bücher von ihm ganz fern gehalten. Rousseaus Ziel ist die Herzensbildung und der Weg dahin ist weitgehend die „negative Erziehung“.
„Übt seinen Körper und seine Organe, seine Sinne und seine Kräfte, lasst aber seine seelischen Kräfte in Ruhe, solange es möglich ist. Haltet alle Meinungen von ihm zurück, bevor er sie beurteilen und prüfen kann.“ (Rousseau 1962, S. 81)
Das Kind soll unabhängig durch das Handeln und das Erleben über die Sinne an den Dingen lernen. Dabei soll sich die Erziehung der kindlichen Entwicklung anpassen. Mit Beginn der Jugend soll der Zögling dann in Kunst, Religion und Literatur geschult werden und seinem Bedürfnis nach der Gesellschaft Rechenschaft getragen werden. (Kunzmann/Burkard/Wiedmann, 1991, S.9)
In einem Zitat Rousseaus über den „Sinn des Lebens“ lässt sich noch einmal die Bedeutung seiner Erlebnismethode veranschaulichen:
„ Der Mensch, der am längsten gelebt hat, ist nicht derjenige, der die meisten Jahre zählt, sondern derjenige, der das Leben am meisten als solches empfunden hat. Mancher ist im hundertsten Jahre begraben worden, der schon bei der Geburt starb. Für ihn wäre es ein Gewinn gewesen, wenn er als Kind gestorben wäre, vorausgesetzt, dass er wenigstens bis zu dieser Zeit gelebt hätte“ (Rousseau, 1962, S. 18)
Mit seiner „Erlebnisphilosophie“ hat Rousseau das Gedankengebäude der Erlebnispädagogik errichtet. 100 Jahre später hat dann David Henry Thoreau diese Arbeit weitergeführt.
David Henry Thoreau und Lehrmeisterin Natur
Ein weiterer Vordenker der heutigen Erlebnispädagogik war der Pädagoge und Philosoph David Henry Thoreau (1817 -1862). Während Rousseau Zeit seines Lebens ein Theoretiker blieb, unterzog sich Thoreau selbst einem Experiment. Er zog sich (1845) sozusagen im Eigenexperiment, in die Wälder Kanadas zurück, um seinen Landsleuten, die gerade zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einem Leben geprägt von Luxus, Technik, Mode, Bequemlichkeit und Naturbeherrschung steckten, etwas entgegenzusetzen.
In seinem Werk „Walden“ (engl. Life in the Woods) beschrieb er sein einfaches Leben am See und in der Natur, integrierte aber auch Themen wie Wirtschaft und Gesellschaft. Auch bei ihm ist die Natur die große Erzieherin und Lehrmeisterin. Das Experiment stellte jedoch nicht nur einen romantischen Rückzug in die Wälder dar, sondern dahinter steckt ein komplexes Gedankengebäude. Vielmehr stellt es einen philosophischen und praktischen Gegenentwurf zu dem „american way of life“ dar. Er will damit auch beweisen, dass durch die Reduktion unnötiger Bedürfnisse und mit wenig Geld eine solide Lebensgrundlage Aufgebaut und erhalten werden kann. Durch das einfache Leben in den Wäldern möchte er zum eigentlich Wichtigen im Leben vorstoßen. Luxus z.B. stellt für ihn ein Hindernis auf dem Weg der Erkenntnis dar. Deshalb zog er sich für zweieinhalb Jahre in die freiwillige Armut der Wälder des Waldensees zurück.
„Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hatte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte“ (Thoreau, 1854, S. 470)
Während seiner Zeit in den Wäldern besuchte er einmal pro Woche das nahe gelegene Städtchen Lincoln, um dort Vorträge zu halten. Für Thoreau galt, wer die Natur erforscht, erkennt sich selbst und auch den göttlichen Urgrund. In ihr offenbart sich der immaterielle Seinsgrund. Wer dies nicht erkennt und dagegen nach Reichtum strebt, muss einen psychisch kranken Charakter haben. Denn der Reichtum kann zwar die materiellen Bedürfnisse stillen, nicht aber die geistig-seelischen.
In der Erziehung fordert er die Unmittelbarkeit, den Augenblick, um eigene Erfahrungen zu machen und im Versuch und von den Irrtümern in möglichst realen Situationen zu lernen. Thoreau wünscht sich von der Erziehung, dass die Kinder das Leben von vorne lernen dürfen. Denn Kindheit ist Wiederholung der Phylogenese und das bedeutet, dass Kinder auch einmal „Jäger und Sammler“ sein dürfen. Kinder sollen Raum haben um ihre eigenen Interessen und Fähigkeiten entdecken zu können. Die Erzieher des Kindes sollen die Natur und die Kultur sein. Thoreau würde für die Erziehung lieber die berühmtesten Denker des 19 Jahrhunderts in die Stadt holen lassen, als Gebäude, Brücken und Denkmäler zu bauen.
Thoreau kann durch seine vielen ökologischen wie pädagogischen Impulse ebenso wie Jean-Jacques Rousseau ein Wegbereiter der Erlebnispädagogik genannt werden (vgl. Heckmair, 2004, S. 22-31)
Die Reformpädagogik und ihre Strömungen
Die Reformpädagogik beginnt nicht mit einem bestimmten Datum. Es gibt keinen Auslöser der Reformdiskussion. Dennoch lässt sich eine Verdichtung der Kritik an den Schulen, um das 19 Jahrhundert herum feststellen. Die Reformpädagogik, beginnend 1880/90, bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 umfasst verschiedene Bewegungen mit unterschiedlichen Bereichen und Schwerpunkten.
Die verschiedenen reformpädagogischen Bewegungen, die heute als Wurzeln der modernen Erlebnispädagogik gelten, entstanden aufgrund der mit der Industrialisierung einhergehenden Probleme und des infolge kritisch diskutierten Gesellschafts- und Kulturverständnisses. (vgl. Witte, 2002, S.25)
Die Kulturkritik
Der Prozess der Technisierung, die beginnende Industrialisierung sowie das zunehmende Leben in der Stadt waren ausschlaggebend für entscheidende Veränderungen des privaten und öffentlichen Lebens. Während die Wirtschaft wuchs und der Qualitätsanspruch stieg, wurde die Not der verarmten Arbeiterschicht immer größer. Dies führte zu einer Neuausrichtung der Schulbildung. Die Schule sollte aus der Not helfen, denn sie war der Garant für den sozialen Aufstieg. Doch bisher vermittelte sie dem Schüler nur fachliches Wissen. Es fand bisher nur Frontalunterricht statt, so dass die Schüler meist nur passiv am Unterricht teilnahmen. Die Bildung jener Zeit war keine an dem Menschen ausgerichtete Bildung, sondern eher eine Ausbildung im Sinne einer fortschrittsgläubigen Industriegesellschaft. Friedrich Nietzsche (1844-1900), Paul de Lagardes (1827-1891) und Julius Langbehn (1851-1907) verfassten einige Schriften, die sich kritisch mit den Gesellschaftsstrukturen dieser Zeit auseinandersetzten. (vgl. ebenda, S.25) Doch ob die Schriften der „Kulturkritiker“ tatsächlich Einfluss auf die deutsche Reformpädagogik genommen haben, darüber lässt sich streiten. Jürgen Oelkers kommt jedenfalls zu dem Ergebnis:
„So ist die Kulturkritik, stilisiert zur entscheidenden Einflussquelle der deutschen Reformpädagogik, eine Fiktion, wenngleich nicht geleugnet werden soll, dass die damit verbundenen Diskussionen kritische Einstellungen verstärkt und geprägt haben.“ (Oelkers, 1996, S. 72)
Dennoch war die Kulturkritik ein charakteristisches Merkmal dieser Krisenstimmung und eine radikale Gesellschafts- und Erziehungskritik, die die Reformpädagogen in den folgenden Jahren in neue Bildungsinhalte umsetzten.
Die Kulturkritiker richteten sich gegen den Intellektualismus und die Verwissenschaftlichung der Bildung. Sie werfen der wissenschaftlichen Bildung eine Vereinseitigung im Intellektuellen und eine dadurch entstehende Leere und Lebensfremdheit vor. (vgl. Witte, 2002, S. 28)
Die Kunsterziehungsbewegung
Dass sich das Neue auf dem Gebiet der Kunsterziehungsbewegung zeigt ist nicht verwunderlich, wurden doch Gemüt und Phantasie durch Technik und Industrialisierung besonders unterdrückt. Vieles wurde nun maschinell hergestellt und die künstlerische Eigenarbeit immer mehr zurückgedrängt. Kunst wurde zu einem eigenen Bezirk, der im Museum, im Konzertsaal oder Theater stattfindet, aber nicht mehr Teil des alltäglichen Lebens war. Dagegen bildete sich nun eine Kunsterziehungsbewegung, die der Kunst wieder mehr Geist einhauchen wollte. Einer ihrer Hauptvertreter war der Dirktor der Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwark (1852-1914). Sein Hauptanliegen war es, zur „hohen Kunst“ hinzuführen. Er gründete 1896 in Hamburg die „Lehrervereinigung zur Pflege der künstlerischen Bildung in der Schule“. (Reble, 1993, S. 292) Damit gelang es ihm die Kunst wieder in die Schule zu bringen. Im Mittelpunkt seines Unterrichts standen Übungen zur Bildbetrachtung, um das ästhetische Urteilsvermögen und die künstlerische Genussfähigkeit des Kindes zu schulen. Ziel war nicht die kunstgeschichtliche Belehrung, sondern die Weckung des künstlerischen Gestaltungstriebes und der produktiven Kräfte des Kindes, damit es selbst möglichst schöpferisch tätig werden konnte. Die Kinder sollten die Möglichkeit haben, ihr eigenes Erleben unmittelbar und in ungekünstelter Weise ausdrücken zu können. Die Kinder sollten durch die Kunst zur Kunst hingeführt werden. (vgl. Witte, 2002, S. 27)
Die Jugendbewegung
Die Jugendbewegung verschmilzt mit der Kunsterziehungsbewegung an verschiedenen Punkten zu einer Bewegung. Denn das Ziel beider Strömungen war es, das Schöpferisch-Irrationale im Menschen zur bestimmenden Kraft werden zu lassen, so dass der Mensch in Wahrhaftigkeit und mit rechten Lebensformen existieren kann. Wobei die Kunsterziehungsbewegung erst an die weckende und bildende Kraft des Erlebnisses (durch erleben von fremden Werken) dachte, geht die Jugendbewegung einen Schritt weiter: sie will ein unmittelbares, urtümliches in elementaren Kunstformen (Lied, Tanz, Spiel) Ausdruck findendes Leben. Diese Kunstformen wollen nicht Selbstwert (hohe Kunst) sondern vielmehr Ausdruck sein. Die Jugend erlebt die Kunst ganz unmittelbar.
„Es entsteht also hier eine von musischem Erleben hochgesättigte Wirklichkeit, bei der aber der Akzent nicht auf einem abgeschlossenen, zu betrachtenden Werk, sondern auf dem schöpferischen Menschen, auf der gestaltenden inneren Kraft liegt. Daraus erwächst ein neuer Musikwille, ein neuer Tanz- und Spielwille.“ (Reble, 1993, S. 294)
Wenn von der Jugendbewegung gesprochen wird, so sind darunter in erster Linie die drei großen Jugendbünde zu verstehen, die sich durch die große „Bündigung“ seit 1922 bildeten: Wandervogel, Freideutsche Jugend und Pfadfinder. Die Jugend, die ja den Geist des 19. Jahrhunderts am konzentriertesten in sich trugen, wehrten sich jetzt gegen die Lebensentfremdung, gegen die Großstadt, die bloße Wissenskultur, gegen Nutzen und Leistung und gegen die ältere Generation, die diese Lebensform vertritt. Losreißen wollte man sich von dem bürgerlichen Elternhaus und der Autoritätsschule. Die Jugend verlegte ihr wirkliches Leben jetzt nach außerhalb der Schule. Die „Wanderfahrt“, bei der die Jugendlichen ganz unter sich in kleinen Gruppen zusammenlebten und sich aus eigenem Antrieb zu einer urtümlichen Gemeinschaft zusammenfanden, stellte ein packendes und tief greifendes Erlebnis für die Jugend dar. Diese kleine Gemeinschaft forderte auch die Selbsterziehung und Selbstentfaltung. Diese Jugend wollte in Bewegung bleiben und nicht zum Ziel kommen. Das ist mit der Grund dafür, dass viel problematisiert wurde, auch über sich selbst, dass viel Unklarheit in ihr war, da sie sich auch vor etwas Endgültigem und einer Einordnung in Organisationen sehr scheute. Deswegen hat es die Jugendbewegung auch versäumt, ihre Absichten und Methoden theoretisch darzulegen oder zu dokumentieren. Es lebte auch ein starker individualistischer Trieb in ihr, so dass das tiefe Erleben eben an kleinere Gruppen und persönliche Gemeinschaften gebunden war. So entstand eine Reihe von kleinen Gruppen und Bünden, von denen sich die meisten zur „Freideutschen Jugend“ zusammenschlossen. Dennoch blieb dieser Zusammenschluss eine lockere Form.
Der pädagogische Grundtrieb der Jugendbewegung beeinflusste viele Bezirke außerhalb der Schule, aber auch die Erziehung in der Schule. Die Schulen öffneten sich nun für Jugendfragen, Schulwanderungen, Schullandheime, für die Gymnastik und für vieles mehr, was die Jugendbewegung mit sich brachte. Auch die ersten Jugendherbergen entstanden, in denen der Geist und die Leistung der Jugendbewegung noch lange Zeit unmittelbar spürbar geblieben sind.
1933 zerschlug der Nationalsozialismus die Jugendbünde oder gliederte sie sich teilweise ein. Die Hitlerjugend übernahm manche bündischen Formen (Kleidung, Fahrt, Fackelzüge usw.) und auch von dem kulturellen Wollen wurde vieles vom Dritten Reich für seine Absichten verwertet und missbraucht.
„Aber die Seele der Jugendbewegung wird getötet, ihr zentrales Anliegen, die Menschen aus der Macht des organisierten Massendaseins zu befreien und sie „vor eigener Verantwortung mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten“ zu lassen, wird mit Füßen getreten.“ (Reble, 1993, S. 290)
Doch der Geist der Jugendbewegung ist zum Nährboden der modernen Erlebnispädagogik geworden.
Die Arbeitsschulbewegung
Die Arbeitsschulbewegung ist eine Bewegung, die auch wiederum verschiedene Tendenzen zusammenfasst. Die einen haben unter der „Arbeitsschule“ das Prinzip der Selbsttätigkeit gemeint (Hugo Gaudig), andere betonten das Wesen der Handarbeit unter dem Gesichtspunkte der allgemeinen Menschenbildung (Kerschensteiner) und einige sahen in ihr auch die berufliche Vorbereitung oder den wirtschaftlichen Nutzen (Produktionsschulen). Trotzdem war ihr gemeinsames Ziel, eine Alternative zu der verkopften „Lernschule“ des 19. Jahrhunderts zu schaffen. Besonders geprägt wurde die Arbeitsschulbewegung durch Georg Kerschensteiner (1854-1932), der den Gedanken der Handarbeit in der Schule praktisch vorantrieb, theoretisch vertiefte und pädagogisch weiterbrachte. Er erkannte die Dringlichkeit einer sozialethischen und staatsbürgerlichen Erziehung und strebte deren Verwirklichung im gesamten Schulleben an. Dabei entwickelte er auch eine weiterführende Schule für die Volksschulentlassenen und wird damit als der „Vater der Berufsschule“ bezeichnet. Kerschensteiner strebte eine Erziehung an, die geistiges Tun mit manuellem Tun verbindet. Außerdem wollte er auch wieder eine engere Verbindung zwischen der Menschenbildung und dem Beruf herstellen. Den Menschen sah er eingebunden in das Gemeinschaftswesen und wollte ihn daher auch zu einem guten, mitverantwortlichen „Staatsbürger“ erziehen. Die Erziehung zur Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit durch eigenständiges Tun, lag Kerschensteiner sehr am Herzen.
Betont Kerschensteiner doch die manuelle Tätigkeit und die staatsbürgerliche Erziehung, liegt die Betonung bei der Strömung von Hugo Gaudig (1860-1923) eher auf der Bildung einer geistig selbständigen Persönlichkeit. Dabei liegt auch bei ihm das formale Prinzip der Selbsttätigkeit zugrunde, die er an den herkömmlichen Schulen des 19. Jahrhunderts vermisste. Bei ihm soll jedes Fach und jede einzelne Aufgabe des Unterrichts auf Selbsttätigkeit ausgerichtet sein. Er möchte, dass die Schüler lernen selbständig zu arbeiten.
Doch neben dem Arbeiten stand bei Gaudig und Kerschensteiner auch immer das Prinzip des Erlebens als Unterrichtsform im Vordergrund. (vgl. Reble, 1993, S.301-310)
John Dewey
In den USA prägte John Dewey (1859-1952) das Schlagwort „learning by doing“. Er gilt in den USA und Kanada als der Vater des Handlungs- und erfahrungsorientierten Lernens. Deweys Anliegen ist es, den Pragmatismus in der Pädagogik und der Politik wirksam werden zu lassen. Er versteht den Pragmatismus als Instrument des Erkennens. Doch für ihn ist das Erkennen nicht passiv, sondern aktiv, da es selbst schon ein Handeln darstellt. Das Erkennen stellt ein Instrument des erfolgreichen Handelns dar. Es dient der Beherrschung von Situationen und der Lösung praktischer Probleme. Seine Idee des Problem- und projektorientierten Lernens verwirklichte er an seiner „Laborschule“. Der Unterrichtsstoff wird an der „Laborschule“ nicht vorgegeben, sondern die Schüler sollen von Problemen zu Lösungen kommen und diese dann als Projekt oder in der Gruppe gemeinsam lösen. Der Schüler soll vom Objekt des Lehrens zum Subjekt des Lernens werden. (Kunzmann, Burkard, Wiedmann, 2003, S.173)
In seinen Analysen bezieht sich Dewey immer wieder auf Rousseau, dessen Erziehungsideal er sehr schätzte. Auch bei Dewey liegen die Quellen der Erziehung in der Natur, den Dingen und dem Menschen. Allerdings kritisiert er Rousseaus Konstruktion, die von einem schematischen Nebeneinander dieser drei Einflüsse ausgehe. Dewey spricht da von einer Wechselwirkung der drei Quellen und dem erzieherischen Potential, das eben durch ihre Verbindung erst erschlossen werden kann. Er war tief davon überzeugt, dass Lernen durch Handeln nachhaltiger wirkt, als durch Vorgaben, Verbote und Befehle. Dennoch wehrte sich Dewey gegen die Auswüchse eines reinen Empirismus ebenso wie gegen einen „Sensualismus“, der das Wahrnehmen nur auf die Sinneseindrücke reduziert.
Deweys radikaler Ansatz, in dem er die Erfahrung als den „Lernort“ seiner Pädagogik positionierte, schaffte einen ganz neuen Blick auf die Pädagogik und durch seinen Ansatz des „Problemlösens“ bereitete er den Boden für eine der Grundfiguren erlebnispädagogischen Handelns.
Die Landerziehungsheimbewegung
Man sah die Landerziehungsheime als Alternative zum Leben und Lernen in der Massengesellschaft der Städte. In schöner ländlicher Umgebung sollten neue Lebensformen für Schüler und Lehrer entstehen. Damit erhoffte man sich, die Gesellschaft von innen reformieren zu können.
Der Gründer des ersten Landerziehungsheimes war Hermann Lietz (1868-1919). 1898 gründete er sein erstes Landerziehungsheim bei Ilsenburg. Sein Anspruch war es, nicht nur das lebensfremde, intellektuelle Schulwesen zu verändern, sondern auch das Leben zu reformieren. Durch das Handwerk, die Landarbeit und die sportliche Betätigung wollte er die Kinder zu einem edlen und gesunden Lebensstil erziehen. Für ihn galt auch das Vorbild der Familien, so dass seine Zöglinge in Kleingruppen mit einem Erzieher zusammen lebten.
Gustav Weyneken (1875-1964), der zunächst Erzieher in einem von Lietz gegründeten Heim war, gründete 1906 die „Freie Schulgemeinde“ Wickersdorf, bei der die Heimordnung nun ganz aus der Jugend selbst gewonnen werden sollte. Die Lehrer sollten nur noch Helfer und Kameraden darstellen, aber nicht mehr diejenigen, von denen die Erziehung bestimmt wird.
Revolutionär war dann auch das Landerziehungsheim von Paul Geheeb (1870-1961), der als erster die Koedukation der Geschlechter einführte und sich bei Entscheidungen den Mehrheitsbeschlüssen der Schulgemeinde stellte. Er gab den Kindern und Jugendlichen das gleiche Stimmrecht wie den Lehrern und Erziehern.
Nach dem ersten Weltkrieg entstanden noch zahlreiche andere Heime wie z.B. 1920 die Schule Schloss Salem von Kurt Hahn oder 1923 das Heim von Minna Specht in Walkenmühle.
Während der Diskussionen im 19 Jahrhundert um die neuen Reformen ist das Wort „Erlebnispädagogik“ zwar nie explizit gefallen, jedoch handelte es sich dabei immer darum, die Schule oder das Leben mehr ins „Erleben“ zu bringen. Deshalb bereiteten die Bemühungen der Reformpädagogen um eine „erlebnisreichere“ Schulbildung den Boden für die Entwicklung der modernen Erlebnispädagogik.
Die Erlebnistherapie von Kurt Hahn
Einer der grundlegendsten Ansätze der Erlebnispädagogik stammt von seinem sog. Gründungsvater, Kurt Hahn (1886-1974). Sein Konzept erhielt den Namen Erlebnistherapie, weil es sich an Defiziten orientierte und seine Angebote therapeutische Wirkung haben sollten.
Hinter der Erziehung Kurt Hahns steckte auch immer ein „politischer Wille“. Denn Kurt Hahn wusste, dass es keine „eigenständige“ Pädagogik gibt, „sondern dass sie immer auf die Politik, genauer: die Polis bezogen bleibt; seine Anstrengungen haben gerade deshalb immer der Stärkung des Individuums gegolten – dessen, was es befähigt, in der Gemeinschaft für die Gemeinschaft zu bestehen: des Charakters.“ (Hentig, 1966, S. 43) Seine Erziehung soll den zunehmenden „Verfallserscheinungen“, einer „kranken“ Gesellschaft entgegenwirken. Zu den „Verfallserscheinungen der Gesellschaft“ zählen für Kurt Hahn vor allem:
- Der Verfall der Unternehmungslust (das Auto etwa nimmt uns das Wandern ab, Fernsehen die Entdeckungsfreude)
- Der Verfall der Sorgsamkeit ( das Handwerk erzog zur Beobachtung des Details; die Fertigfabrikation enthebt uns nicht nur dieser Beobachtung, sondern auch der Achtung vor und des pfleglichen Umgangs mit den Dingen)
- Der Verfall der menschlichen Anteilnahme (Organisationen, Verwaltung, Verkehrsregeln usw., haben die Verantwortung, das Erbarmen ersetzt Auch die Sucht nach schnellem Wechsel oberflächlich erlebter neuer Eindrücke vermindert die Fähigkeit zu tiefem Erleben und echtem Mitgefühl)
Hinzu kommen für Kurt Hahn noch die Gefahren einer enthemmten Erotik, einer korrupten Politik, der legalisierten Gifte (Alkohol und Nikotin) und einer pädagogischen „Irrlehre“, die weniger die Schulen als die Eltern und die Öffentlichkeit beherrscht. (vgl. ebd. S. 45) Erziehung bedeutet für Kurt Hahn vor allem Schutz vor negativen Umwelteinflüssen und eine Vorbereitung auf die Wirklichkeit des Lebens. Dabei war Hahn stets gegen bloße Belehrungen sondern für Erlebnisse. Er sah das Erlebnis als pädagogische Aufgabe. In einem Satz, den Kurt Hahn 1957 für eine Rundfunkansprache formulierte, macht er die pädagogische Aufgabe deutlich:
„Es ist eine Verwahrlosung, Kinder in Meinungen hineinzuzwingen, aber es ist Verwahrlosung, ihnen nicht zu Erlebnissen zu verhelfen, durch die sie ihrer verborgenen Kräfte gewahr werden können.“ (Hahn, zit. n. Hentig 1966, S. 44)
Erziehung bestand für Kurt Hahn in erster Linie aus Erfahrungen, die der Mensch durch Erlebnisse sammelt, die ihm seine eigenen Möglichkeiten eröffnen sollten. Charakter und Wissensbildung sollten somit wechselseitig gesehen werden. Um den Verfallserscheinungen der Gesellschaft entgegenzuwirken und dem Jugendlichen durch tiefe Erlebnisse zur Charakterbildung zu verhelfen, entwickelte Kurt Hahn seine Erlebnistherapie. Diese bestand aus genau vier Elementen, die den Verfallserscheinungen entgegen wirken sollten:
- Körperliches Training: Neben den klassischen Sportarten wie Leichtathletik zur Schulung der Schnellkraft, Sprungkraft, Ausdauer und Körperbeherrschung stehen auch Bergsteigen, Segeln, Skilaufen, Reiten, Klettern und Volleyball auf dem Programm. Das körperliche Training soll nicht nur dem Kampf gegen die körperliche Verweichlichung dienen, sondern auch der Schulung der Leistungsfähigkeit und des Willens. Denn „der Wille muss angemessenen Widerstand erfahren, um seine Kraft zu spüren.“ (Schwarz, 1968, S. 42) Die sportliche Tätigkeit soll auch dem Erlebnis der Selbstentdeckung und Selbstüberwindung dienen.
- Expedition und Projekt: Durch Expedition und Projekt soll der jugendliche Forschungstrieb befriedigt werden. Das Projekt soll den Verfall der Sorgsamkeit, die Expedition die schwindende Initiative der Jugend bekämpfen. Beim Projekt liegt der Schwerpunkt bei der Vorbereitung zum Ziel, bei der Expedition steht die Ausführung eines weitgehend vorbereiteten Planes im Mittelpunkt. Daher zeichnet sich eine Expedition eher durch das räumliche Vorwärtsdringen, ein Projekt eher durch sorgfältiges geistiges oder handwerkliches In-die-Tiefe-Dringen aus.
- Dienst am Nächsten: Im Dienst am Nächsten sieht Kurt Hahn das wichtigste Element der Heilung gegenüber den gesellschaftlichen Verfallserscheinungen, dem Verfall von Erbarmen und Anteilnahme. Im Dienst am Nächsten sieht Kurt Hahn auch ein gelebtes Christentum. Denn dadurch glaubt er, dass durch den Dienst am Nächsten ein für die Saat der christlichen Wahrheit aufnahmebereiter Boden hergestellt wird. So kann z.B. die „Rettung eines Menschenbruders aus Gefahr zu einer „Quelle der Offenbarung“ werden, die den Willen Gottes im Inneren erfahren lässt.“ (ebd. S. 43) Kurt Hahns Schulen waren die ersten in der Welt, in denen Übungen im Rettungsdienst in den Bergen oder an der See ein regelmäßiger Bestandteil des Unterrichts waren. In seinen Schulen werden die Jugendlichen in verschiedenen Rettungszweigen geschult: Erste Hilfe, Feuerwehr, Küstenwache, Bergrettung. Kurt Hahn glaubt, dass nicht nur der Einsatz im Ernstfall sondern auch die Schulung für den Ernstfall eine befreiende und veredelnde Wirkung auf den Jugendlichen hat. (vgl. ebd. S. 44)
Bedeutsam war für Kurt Hahn auch die zukünftig-schützende Wirkung der prägenden Erlebnisse bei körperlicher Tätigkeit, Expedition, Projekt oder Rettungsdienst in Form „heilsamer Erinnerungsbilder“ für das spätere Leben. Denn für Hahn ist der Identitätsgrad eines Erlebnisses im späteren Leben bei ähnlicher Erfahrung für die Wieder- Erinnerung oder Nicht-Erinnerung verantwortlich. Dem Jugendlichen müssen daher eine Vielzahl unauslöschlicher Erinnerungen durch prägende Erlebnisse ermöglicht werden, die ihn dann im späteren Leben bei Handlungen oder Entscheidungen führen können. Wichtig ist Kurt Hahn auch die „Erziehung zur Verantwortung“. Die Jugendlichen sollen zu einer „staatsbürgerlichen Verantwortung“ erzogen werden. „Dieses Verantwortungsbewusstsein des einzelnen Bürgers muss in einer Demokratie so stark entwickelt werden, dass es sich durch ein „zorniges Knurren“ äußert, welches „aus den Tiefen eines Volkes aufsteigt, wenn immer die Regierung unrecht tut“.“(ebd. S.45) Deshalb sollen die Jugendlichen nicht nur über ihre staatsbürgerlichen Pflichten belehrt werden, sondern sich auch im staatsbürgerlichen Handeln üben. So wundert es nicht, dass die Schule Schloss Salem als Schulstaat entstand. Kurt Hahn zielte dabei auf eine mikroskopische Nachbildung des Staatswesens. Durch Ämter, Dienst oder sonstige Zuständigkeiten sollten so politische Verantwortung und kooperatives Handeln geübt werden. Um die Schüler vor den gesellschaftlichen Missständen zu schützen, liegen seine Schulen in ländlicher Umgebung. Denn weitab vom großstädtischen Leben sollen die Jugendlichen in Selbsterziehungsheimen zu einer gesunden und sozialen Lebensführung erzogen werden.
Kurt Hahn gründete nicht nur Landerziehungsheime wie die Schule Schloss Salem, sondern auch zahlreiche Kurzschulen oder sog. Outward Bound Schulen. Outward Bound ist ein englischer Seemansspruch, der für zum Auslaufen bereite Schiffe benutzt wurde. Diese Kurzschulen existieren bis heute noch und wollen helfen „im Erziehungswesen unserer Zeit eine Lücke zu schließen.“ (Bauer, 1985, S. 29) Die heutigen Outward Bound Kurse dauern meist 2 Wochen und bieten den heranwachsenden jungen Menschen durch erlebnispädagogische Aktionen in der Natur die Möglichkeit, ganz neue Erfahrungen in der Gemeinschaft und alleine zu machen.
Jugendarbeit nach 1945 bis heute
Nach dem zweiten Weltkrieg versuchten die Alliierten mit Nachdruck in die Erziehung der Jugendlichen einzugreifen. Es wurden Programme entworfen, die den Jugendlichen die nationalsozialistischen Prägungen austreiben sollten. Obwohl die Alliierten auf dem Hintergrund des gerade überwundenen Nationalsozialismus Vorbehalte gegen die Uniform tragenden Pfadfinder hegten, waren es doch die pfadfinderischen Elemente (Fahrten, Lager) die einen hohen Stellenwert in der Jugendarbeit einnahmen. Trotz dass sich eine spezifische Jugendkultur bis in die ersten Jahrzehnte der BRD nicht entwickeln konnte, waren doch Zeltlager, Fahrten und Sport bevorzugte Unternehmungen der Jugendverbände.
Im Wesentlichen gestalteten sich die Jugendverbände sehr ähnlich wie die Jugendbewegung vor der Naziherrschaft. Die Jugendverbände hatten zwar die Funktion der Bünde übernommen, doch von Selbstorganisation konnte da nicht mehr gesprochen werden. Vielmehr standen sie unter den Fittichen der Erwachsenen, die versuchten, die Jugendlichen zusammenzufassen und für verschiedene Verbände zu mobilisieren. Durch attraktive Unternehmungen wollte man die Jugendlichen an die Verbände binden und somit den Nachwuchs der Organisation sichern. Ein pädagogisches Konzept lag diesen Jugendverbänden nicht zugrunde. Daher lässt sich auch nicht wirklich von einer „Erlebnispädagogik“ sprechen. Später, als die Jugendverbände ihren pädagogischen Auftrag erkannten, formulierten viele ihre pädagogischen Ziele auf den Elementen der Hahnschen Erlebnistherapie. Dies geschah jedoch nicht immer bewusst. Die Pfadfinder versuchten die Persönlichkeit der Kinder durch ein Leben in der Natur zu bilden. Die Naturfreundejugend versuchte es mit „sozialem Wandern“ und die Arbeitersportvereine legten ihren Schwerpunkt auf die politische, soziale und ökologische Bildung, die sich aus dem jeweiligen Umfeld der Natursportarten ergab. In den helfenden Verbänden wie dem Jugendrotkreuz, der Jugend-Feuerwehr oder dem Jugend- DLRG kommen durch ihre rettenden Einsätze zwangsläufig abenteuerliche und erlebnisintensive Elemente vor, die auch Kurt Hahn in seiner Erlebnistherapie einsetzte. Dennoch hat im Selbstverständnis dieser Vereine die Erlebnispädagogik keinen Platz. Es gibt ohnehin nur sehr wenige Jugendverbände, die sich explizit auf die Erlebnispädagogik beziehen. Zu denen gehört auch die Jugend des Deutschen Alpenvereins (JDAV), die die „Persönlichkeitsbildung der Jugendlichen“ an erste Stelle setzte. Die Alpinistik wurde daher zu einem Medium heruntergestuft. Inwieweit die Jugendarbeit jedoch erlebnispädagogisch gearbeitet hat, lässt sich nur schwerlich feststellen. Als viele Kommunen entdeckten, welche befriedigende Wirkung es auf Jugendliche hat, wenn man ihnen ein Zentrum baut, entstanden nach und nach immer mehr Jugendhäuser. Mitte der 80er Jahre kam dann ein Trend, der die Jugendlichen aus dem Haus herausführte, zu Kletterausflügen, Kanutouren, Wanderungen und gemeinsamen Ausflügen. Natürlich ist das noch keine Erlebnispädagogik gewesen, doch es zeigt einen Trend in diese Richtung. (vgl. Heckmair/Michl, 2004, S. 49-53)
Einsatz und Entwicklungsfelder der modernen Erlebnispädagogik
Die ersten erlebnispädagogischen Aktionen begannen bereits zu Beginn der 70er Jahre.
Anfangs wurde die moderne Erlebnispädagogik jedoch ausschließlich in Verbindung mit segelpädagogischen Aktivitäten gesehen und vorangetrieben. Zu den ersten segelpädagogischen Projekten zählen das Projekt „Outlaw“ oder die Segelschiffe „Fridjof Nansen“ und „Thor Heyerdal“. Man wollte die nützliche Arbeit an Bord mit Therapieangeboten für junge Menschen in psychosozialen Notlagen verbinden. Die Fridjof Nansen ist inzwischen ein beliebtes Projekt für schulmüde oder schuluntragbare Kinder und Jugendliche geworden. Auf der „Thor Heyerdal“ werden seit 1983 regelmäßige Kursprogramme für Jugendliche angeboten, die sich konsequent an den Elementen der Erlebnistherapie von Kurt Hahn orientieren. Dabei wird nicht das Lernen über den Kopf angestrebt, sondern auf das Lernen über die Hand kommt es an. Als 1990 schließlich die Neufassung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) herausgebracht wurde, war dies fruchtbarer Boden für viele Initiativen. Die erlebnispädagogischen Aktivitäten flossen nun in die Heimerziehung, die pädagogische Einzelbetreuung und die Hilfe für junge Volljährige mit ein. Gerade die Jugendlichen, die mit den konventionellen Mitteln der Pädagogik nicht mehr erreicht wurden schickte man auf erlebnispädagogische Segeltörns oder Abenteuerprojekte ins Ausland. Schwierige Kinder wurden zunehmend zu projektorientierten Lernformen ins Ausland gebracht. Dabei sollten sie zwischenmenschliche Beziehungsprobleme schrittweise abbauen und lernen die neuen positiven Erfahrungen im Alltagsleben umzusetzen.
Schon 1977 wurde die Brücke zwischen der Sport- und Erlebnispädagogik geschlagen. Ausschlaggebend war die Arbeit von Wolfgang Schleske mit dem Titel „Abenteuer-Wagnis-Risiko im Sport“. Auch die Verbindung zwischen der Umwelterziehung und den erlebnispädagogischen Inhalten wurde bald durch Institutionen wie „alp ergo“ oder dem B.U.N.D. in erlebnispädagogische Handlungsfelder umgesetzt. Heute bietet die Bund-Jugend regelmäßig Themenferienlager für Kinder an (Planwagen-Camp zum Thema Mittelalter). Auch „alp ergo“ bieten immer wieder erlebnispädagogische Feriencamps für Kinder und Jugendliche an. Erich Birkelbach verknüpfte 1985 in seiner Dissertation „Schule-Freizeit-Segeln“ systemtheoretische Vorstellungen der Freizeitpädagogik mit der Erlebnispädagogik. Nun fanden neben den segelpädagogischen Aktivitäten auch Freizeitpädagogische Aktivitäten wie Höhlentouren, Camps oder Reiseprojekte Einzug in die Erlebnispädagogik. Auch die Rehabilitationspädagogik fand bald den Weg in die Erlebnispädagogik. Man sah darin Alternativen für den Jugendarrest oder eine Hilfe zur Resozialisierung von straffälligen Jugendlichen. Auch in der beruflichen Bildung wurden immer mehr Erlebnispädagogische Aktivitäten eingeführt. Es sollte die Auszubildenden mehr auf die Teamarbeit und die Persönlichkeitsbildung hinlenken. Außerdem hatte man erkannt, dass zwischen dem Ausbildungskontext der Jugendlichen und ihrem Freizeitverhalten direkte Zusammenhänge bestehen. Diese sollten in natursportlichen Aktivitäten aufeinander bezogen werden. Diese Erkenntnis wurde dann weiter durch die „Outward Bound Deutschland“ entwickelt. Es wurden immer mehr erlebnispädagogische Konzepte zur Personalentwicklung hervorgebracht. Auch firmeninterne Bedürfnisse wurden mit Outdoor Aktivitäten verknüpft. Man erkannte wie wichtig in einem Betrieb nicht nur die fachliche Kompetenz ist, sondern auch die Arbeit in einem Team. Somit führten viele Unternehmen in ihrer betrieblichen Erstausbildung erlebnispädagogische Aktivitäten ein, die die soziale Kompetenz und die Teamfähigkeit stärken sollten. Somit entwickelte sich schließlich das „Outdoor Management Development“, ein erlebnispädagogisches Trainingsprogramm speziell für Firmen und Betriebe. Auch die „Arbeitsgemeinschaft für Erziehungshilfe (AFET) hat erlebnispädagogische Elemente für die Heimerziehung programmatisch erfasst und weiterentwickelt. Die Erlebnispädagogik ist heutzutage in beinahe alle pädagogischen Bereiche hineingeflossen und weiterentwickelt worden. Mittlerweile gibt es bei Outward Bound, an einigen Hochschulen, Outdoorschulen und privaten Erlebnispädagogik Anbietern die Möglichkeit eine 2 Jährige berufsbegleitende Zusatzqualifikation in Erlebnispädagogik zu absolvieren. Der „Bundesverband für Erlebnispädagogik“, der sich 1992 aus dem „Bundesverband der Segelpädagogik-Therapie“ gegründet hat, repräsentiert heute ein weites Spektrum an vielen Facetten des erlebnispädagogischen Handlungsspektrums und zeigt sich als eine Anlaufstelle für Erlebnispädagogik:
„Ziel all dieser Projekte ist es, den jungen Menschen auf den unterschiedlichsten Gebieten und Lebensbereichen die menschliche Grunderfahrungen machen bzw. nachholen zu lassen, die für ihre individuelle Entwicklung und Erweiterung ihrer persönlichen Kompetenz wichtig und oft unerlässlich sind.“ (Vorstand des Bundesverbandes für Erlebnispädagogik (Hrsg.), 1994, S. 13.)
Weitere Anlaufstellen, die sich mit der Weiterentwicklung und der Forschung der Erlebnispädagogik beschäftigen, sind die Hochschulen. Dazu zählen das bayrische „Forum für Erlebnispädagogik“, das „Hochschulforum Erlebnispädagogik“ in Augsburg und das Institut für Erlebnispädagogik Lüneburg. Auch zahlreiche Autoren, Pädagogen und Erlebnispädagogen beschäftigen sich mit den Standards und der Weiterentwicklung der Erlebnispädagogik. In den letzten Jahren sind zahlreiche Bücher herausgebracht worden, die sich mit dem Thema Erlebnispädagogik beschäftigen. Der „Ziel Verlag“ ist sogar ein spezieller Verlag, der sich nur mit den zahlreichen Facetten der Erlebnispädagogik beschäftigt. Doch leider gibt es bis heute keine genauen Erlebnispädagogischen Standards, die definieren, was überhaupt unter den Begriff der Erlebnispädagogik fallen darf, sowie eine nach Standards festgelegte erlebnispädagogische Ausbildung. Im Prinzip kann man alles, was man anbietet als Erlebnispädagogik verkaufen und jeder der möchte kann sich Erlebnispädagoge nennen. Das Spektrum der Erlebnispädagogik ist sehr weit gefasst, so dass ständig neue Ideen und Einsetzungsmöglichkeiten wie Pilze aus der Erde schießen.
Auch die Schulen entdecken zunehmend die Möglichkeiten der Erlebnispädagogik und schöpfen sie aus. Immer mehr Lehrer richten ihre Klassenfahrten nach einem erlebnispädagogischen Prinzip aus: Eine Woche Segeln in Kroatien oder Klettern in Tirol.
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- Arbeit zitieren
- Ines Haier (Autor:in), 2006, Neue Formen der Erlebnispädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91842
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