Migration ist sowohl in der Bundesrepublik Deutschland, als auch in Frankreich kein neues Phänomen. In dieser Seminararbeit wird der Frage nachgegangen, welche Unterschiede in Frankreich und in Deutschland hinsichtlich der Ausländerpolitiken ersichtlich sind und woher diese Unterschiede, trotz der vielen Gemeinsamkeiten der beiden Staaten, herrühren. Der Schwerpunkt der Untersuchung ist darauf ausgerichtet zu klären, ob es in der politischen Kultur Frankreichs und Deutschlands mehr integrative oder überwiegend ausschließende Elemente, Denkweisen oder Ideologien zu verzeichnen gibt und wie sich diese auf die Ausländerpolitik des jeweiligen Landes auswirken. Auch wird stark thematisiert, wie der soziale Wandel sowie die fortschreitenden Prozesse der Globalisierung, diese Elemente beeinflusst haben.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Ausländerpolitik der Bundesrepublik Deutschland
2.1. Historischer Hintergrund
2.2. Derzeitige Regelungen
3. Die Ausländerpolitik Frankreichs
3.1. Historischer Hintergrund
3.2. Derzeitige Regelungen
4. Die politische Kultur Frankreichs und ihre Wirkung auf die französische Migrationspolitik
4.1. Zur Legitimität der politischen Ordnung
4.2. Die Kollektivität der Kommunikation zwischen Bürgern und Staat und die Intensitätsgrade politischen Dissenses
5. Die deutsche politische Kultur im Kontext der Ausländerpolitik
5.1. Zur Legitimität der politischen Ordnung
5.2. Die Kollektivität der Kommunikation zwischen Bürgern und Staat, die Intensitätsgrade politischen Dissenses und die Rolle der Eliten
6. Schlussbetrachtungen
7. Literaturverzeichnis
8. (Anlage 1) Landratsamt Schwäbisch Hall - Ausgleichs- und Eingliederungsamt - „Deutschland heute“
9. (Anlage 2) Loyalitätserklärung
1. Einleitung
Migration ist sowohl in der Bundesrepublik Deutschland, als auch in Frankreich kein neues Phänomen. Dies hatte zur Folge, dass heute in beiden Ländern bedeutende Minderheiten existieren, die nur über partielle bürgerliche Rechte verfügen oder anderweitig aus der Gesellschaft ausgegrenzt sind. Dies wirft Legitimationsprobleme in den betroffenen Staaten auf und verschärft zudem bereits existente soziale Spannungen. Bei beiden Staaten handelt es sich um westliche Regierungssysteme und um Industriegesellschaften, wobei die Bundesrepublik Deutschland eine parlamentarische, Frankreich hingegen eine präsidentielle Variante des Parlamentarismus verkörpert. In beiden Ländern ist ein Bedarf an Migration aufgrund demographischer Gegebenheiten feststellbar, bekommt doch die einheimische Bevölkerung zu wenige Kinder, um einen ständigen Bevölkerungszuwachs gewährleisten zu können. Dennoch wurde und wird noch immer ganz unterschiedlich mit Migranten verfahren, obschon die heute akuten gesellschaftlichen und ökonomischen Probleme in den beiden Staaten in vielerlei Hinsicht ähnlich gelagert sind.
In dieser Seminararbeit soll der Frage nachgegangen werden, welche Unterschiede in Frankreich und in Deutschland hinsichtlich der Ausländerpolitiken ersichtlich sind und woher diese Unterschiede, trotz der vielen Gemeinsamkeiten der beiden Staaten, herrühren. Hierzu soll die politische Kultur dieser Staaten analysiert und einer Untersuchung unterzogen werden. Diese soll klären, inwieweit die Ausländerpolitiken von der spezifischen politischen Kultur des jeweils zu untersuchenden Staates beeinflusst werden. Aus dieser Intention lässt sich die dieser Seminararbeit zugrunde liegende Fragestellung ableiten, die da lautet: welchen Einfluss hat die politische Kultur Frankreichs und Deutschlands auf die Ausländerpolitik des jeweiligen Staates?
Unter „politischer Kultur“ sind geistige Traditionslinien, Mentalitätsbestände sowie Haltungen der Bürger gegenüber den staatlichen Institutionen und Strukturen, also die subjektive Dimension des Politischen, zu verstehen.[1] Letztlich soll dieses Konzept erklärbar machen, warum „anscheinend Gleiches letztlich doch sehr ungleich ist und von seinen spezifischen Voraussetzungen her verstanden werden muss, kurz: wo der messende Vergleich seine Grenzen erreicht!“[2] Das Konzept der politischen Kultur geht auf den amerikanischen Politologen Gabriel A. Almond zurück, welcher einen Analyserahmen zu entwerfen suchte, der vergleichende Studien aller politischen Systeme ermöglichen und die Beschränkungen der Vergleichenden Regierungslehre überwinden sollte. Ein nur auf die Betrachtung von Institutionen und Verfassungstexten reduziertes Politikverständnis reichte ihm nicht weit genug.[3]
Der Schwerpunkt der hiesigen Untersuchung ist deshalb darauf ausgerichtet zu klären, ob es in der politischen Kultur Frankreichs und Deutschlands mehr integrative oder überwiegend ausschließende Elemente, Denkweisen oder Ideologien zu verzeichnen gibt und wie sich diese auf die Ausländerpolitik des jeweiligen Landes auswirken. Auch war sehr von Interesse, wie der soziale Wandel sowie die fortschreitenden Prozesse der Globalisierung, diese Elemente beeinflusst haben.
Zu diesem Zweck wurde die Seminararbeit in sechs Kapitel gegliedert. Bei dem ersten handelt es sich um die Einleitung.
Im zweiten und dritten Kapitel soll dem Leser ein Überblick über die Ausländerpolitiken der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs gegeben werden. Hierzu ist es unerlässlich, neben den derzeitigen rechtlichen Bestimmungen auch die historischen Rahmenbedingungen aufzuführen. Da die politische Kultur in einem hohen Maße von kollektiven Erfahrungen geprägt wird, muss auch die jeweilige Ausländerpolitik in ihrer historischen Dimension betrachtet werden. Erst dadurch kann an fortgeschrittener Stelle eine Einschätzung erfolgen, inwieweit eine Beeinflussung der Ausländerpolitik durch die politische Kultur stattgefunden hat und als wie vorteilhaft diese im Hinblick auf das Gemeinwohl des betreffenden Staates tatsächlich angesehen werden kann.
Im vierten und fünften Kapitel werden die wesentlichen Grundelemente der politischen Kulturen Frankreichs und Deutschlands aufgeführt und sogleich, auf der Basis des in den Kapiteln zwei und vier Gelernten, in einen Kontext zu der jeweiligen Ausländerpolitik gesetzt.
Abschließend soll in den Schlussbetrachtungen eine Zusammenschau, auf der Grundlage der in den einzelnen Kapiteln gewonnenen Erkenntnisse, erfolgen. Hierbei wird die zentrale Fragestellung erneut aufgegriffen.
Insgesamt kann festgestellt werden, dass sich die Gliederung der Arbeit als äußerst schwierig gestaltet hat. Dies liegt daran, dass das Konzept der politischen Kultur teilweise recht schwammig definiert und gewissermaßen allumfassend ist. Der Autor dieser Seminararbeit war aus diesem Grunde bemüht, nur die zur Beantwortung der Fragestellung notwendigen Elemente der politischen Kultur in die Untersuchung aufzunehmen. Dennoch entpuppte sich das Thema als sehr vielschichtig und drohte den Rahmen einer einfachen Seminararbeit zu sprengen.
Die Literaturlage zur politischen Kultur Frankreichs und Deutschlands sowie der politischen Kultur im Allgemeinen, ist nahezu unübersehbar. Das Themengebiet ist sehr gut erforscht, wobei das Erkenntnisinteresse der jeweiligen Untersuchungen stark davon abhing, ob eher eine Arbeit innerhalb der Soziologie oder der vergleichenden Regierungslehre angefertigt werden sollte. Besonders hervorzuheben ist der „Länderbericht Frankreich“, herausgegeben von Marieluise Christadler und Henrik Uterwedde und 1999 von der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht. Ebenfalls sehr hilfreich waren die Schriften Adolf Kimmels, die sehr zum Verständnis des Autors beitrugen wie die polity- Ebene der Politik mit der politischen Kultur Frankreichs verknüpft ist. Besonders hervorzuheben sind die Werke des Hamburger Politikwissenschaftlers Jürgen Hartmann, welche in einer verständlichen Sprache geschrieben, einen umfassenden Überblick über Aufbau, Struktur und Zusammenhänge innerhalb westlicher Regierungssysteme zu geben in der Lage sind. Diese haben maßgeblich dazu beigetragen, den schwammigen Begriff „politische Kultur“ greifbarer werden zu lassen.
2. Die Ausländerpolitik der Bundesrepublik Deutschland
2.1. Historischer Hintergrund
Zuwanderung ist kein neues Ereignis innerhalb der deutschen Geschichte. Bereits im wirtschaftlich aufstrebenden deutschen Kaiserreich wurden ausländische Arbeitskräfte, hauptsächlich polnischer Herkunft, angeworben und im Laufe der Zeit vollständig assimiliert.[4] In der Tat basierte das bis 2004 gültige Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) von 1913 auf der Erkenntnis der damaligen deutschen Eliten, dass klare Vorgaben notwendig sind, soll Migration geordnet und in einer Weise vonstatten gehen, welche die Kultur der einheimischen Bevölkerung weder überfordert noch diese in Frage stellt. So konnten gemäß dem obig genannten Gesetzeswerk auch ausländische Arbeitnehmer die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen und sodann an ihre Kinder weitergeben, wenn diese mindestens zwölf Jahre straffrei in Deutschland gelebt haben und über ein gesichertes Einkommen verfügten.[5]
Bereits an dieser Stelle kann eine Grundtendenz deutscher Ausländerpolitik festgestellt werden, welche bis zum heutigen Tage das Handeln der unterschiedlichen deutschen Regierungen maßgeblich bestimmt hat. So orientierte sich die deutsche Ausländerpolitik zu einem bedeutenden Teil an wirtschaftlichen Aspekten, wobei ebenfalls in diesem Zusammenhang erwähnt werden muss, dass wirtschaftliche Notwendigkeiten und die in der Gesellschaft vorhandenen Einstellungen gegenüber Ausländern oftmals in einem nicht geringfügigen Kontrast zueinander standen und noch immer stehen. Die oftmals antagonistischen Ziele von wirtschaftlichem Subsystem und breiter Öffentlichkeit haben, je nach ökonomischer Rahmenlage, in unterschiedlicher Weise die deutsche Ausländerpolitik bestimmt. Darüber hinaus haben aber auch ideologische Aspekte, so z.B. die Ansicht, bei Deutschland handele es sich um eine „Kulturnation“, immer wieder erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der deutschen Ausländerpolitik entfalten können.
Die moderne Zuwanderung im bundesdeutschen Kontext begann im Jahre 1955 mit der Anwerbung von Gastarbeitern im Zuge des so genannten deutschen Wirtschaftswunders und bedingt durch die Aufstellung der deutschen Bundeswehr. Bereits 1954 war ein Zustand der Vollbeschäftigung deutschen Arbeitskräftepotentials erreicht, zudem sollten neue Verbände ausgehoben werden, was die Situation am Arbeitsmarkt zusätzlich verschärfte. Aus diesem Grunde wurden die ersten Gastarbeiter aus Italien nach Deutschland eingeladen.[6] Weitere folgten aus Staaten wie der Türkei, Griechenland, Jugoslawien und Spanien. Marokkanische, portugiesische und tunesische Arbeitskräfte konnten in jener Zeit nur in vermindertem Umfang gewonnen werden, da deren Herkunftsstaaten bereits Verträge mit Frankreich abgeschlossen hatte, welches ebenfalls in der „Trente glorieuses“[7] einen erheblichen Arbeitskräftebedarf zu verzeichnen hatte. Begünstigt wurde die Anwerbung von „Gastarbeitern“[8] zudem durch die bereits im Jahre 1957 gegründete Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.[9]
1973 kam es im Zuge der Ölkrise zu einer in allen westeuropäischen Staaten gleichermaßen spürbaren Wirtschaftskrise. Diese hatte die massenhafte Entlassung von Arbeitnehmern zur Folge, was dazu führte, dass sowohl die deutsche als auch die französische Regierung Anwerbestopps für ausländische Arbeitskräfte verfügten. Auch waren die vormaligen Anwerbeländer bemüht, zumindest einen Teil der noch kurz zuvor angeworbenen ausländischen Arbeitskräfte zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer zu bewegen, sollte doch der Arbeitsmarkt entlastet und Platz für einheimische Arbeitskräfte geschaffen werden, doch waren diese Maßnahmen wenig erfolgreich.[10]
Obwohl mit dem Anwerbestopp der weitere Zuzug von Ausländern nach Deutschland zur Arbeitsaufnahme beendet wurde, stieg der Umfang der ausländischen Wohnbevölkerung hierzulande rapide an. Dies hatte zum einen mit dem Nachzug der Familien von Gastarbeitern aus den Herkunftsländern zu tun, als auch mit der hohen Geburtenrate ausländischer Bevölkerungsgruppen.[11] Des Weiteren kam es aufgrund des deutschen Asylrechts zu einem massenhaften Zuzug von Ausländern, was jedoch im Jahre 1992 als Reaktion auf den in Deutschland massiv auftretenden Fremdenhass zu jener Zeit, von der christlich-liberalen Koalition geändert und restriktiver gehandhabt wurde.[12] Insbesondere seit dem Ende des Ost-West-Konflikts hat der Zustrom deutschstämmiger Personengruppen aus dem Ausland an Bedeutung gewonnen, die heute meist als „Spätaussiedler“ bezeichnet werden.[13] Individuen, welche zu diesem Personenkreis zählen bekommen jedoch sogleich nach ihrer Ankunft in Deutschland die deutsche Staatangehörigkeit zugesprochen, weswegen diese auch nicht im eigentlichen Sinne zur ausländischen Wohnbevölkerung gezählt werden können, wenngleich auch diese von großen Teilen der einheimischen Bevölkerung als fremdartig erachtet werden. Ebenfalls von Relevanz ist nunmehr der Anteil von Ausländern aus EU-Mitgliedsstaaten, welche über Niederlassungsfreiheit verfügen, das Recht zur Arbeitsaufnahme haben und auf kommunaler Ebene in der Bundesrepublik Deutschland wählen dürfen.[14]
2.2. Derzeitige Regelungen
Die vorangegangenen Ausführungen des Abschnitts 2.1 haben deutlich gemacht, dass in der Vergangenheit der Zustrom ausländischer Personengruppen auf deutsches Staatsgebiet in einem nicht unerheblichen Ausmaß stattgefunden hat.
Derzeitig leben schätzungsweise 7.300.000 Ausländer in Deutschland[15], was in etwa einem Ausländeranteil von 8,87 Prozent entspricht.[16] Frankreich, als klassisches Einwanderungsland, hat heute einen Ausländeranteil von nur 5,58 Prozent zu verzeichnen.[17]
Die hat die rot-grüne Regierung nach ihrem Amtsantritt im Jahre 1998 bewogen festzustellen, dass es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um ein Einwanderungsland handele, was auch ein neues Zuwanderungsgesetz zur Folge haben müsse.[18] Dieser Perspektivenwechsel ist vor allem an drei Maßnahmen zu erkennen:
So kam es zu einer Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts und damit einhergehend zu einer Abkehr von dem im RuStAG fixierten Ius sanguilis. Dazu gehört die Einführung der doppelten Staatsangehörigkeit. Diese kann von Kindern erworben werden, deren Eltern bereits seit mindestens acht Jahren regulär in Deutschland lebten. Diese Kinder müssen sich bis zum 23. Lebensjahr zwischen der deutschen oder der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern entscheiden.
Die Einführung der so genannten „Green Card“ lässt erstmalig seit dem Anwerbestopp von 1973 wieder längerfristige Arbeitsmigration mit sozialer Absicherung zu und hat die Gewinnung hochqualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland zum Ziel.
Seit 2001 war bereits das erste Zuwanderungsgesetz in der Geschichte der BRD in der politischen Diskussion, welches am 01.01.2005 in Kraft trat.[19]
Das neue Zuwanderungsgesetz löst das überkommene RuStAG, das alte Ausländergesetz (AuslG) sowie das bisherige Aufenthaltsgesetz/EWG ab und regelt Änderungen des Asylverfahrensrechts.[20] Dieses Gesetzeswerk soll in Verbindung mit dem bereits geänderten Staatsangehörigkeitsgesetz, „die rechtlichen Rahmenbedingungen mit den gesellschaftlichen Realitäten in Einklang bringen.“[21] Es führt unterschiedliche Aspekte von der Arbeitsmigration und den humanitären Aufenthaltsrechten über die Integration bis hin zu Sicherheitsfragen in einem Gesetzeswerk zusammen. Eine weitere Zuwanderung wird ausdrücklich bejaht, wobei für Nicht- und Geringqualifizierte der Anwerbestopp aufrechterhalten werden soll, wobei hier kritisch zu hinterfragen wäre, inwieweit Anspruch und Wirklichkeit wirklich beieinander liegen. So besteht noch immer kein parteiübergreifender Konsens, was mit „Integration“[22] eigentlich gemeint ist, weswegen auch nicht klar sein dürfte, was mit den vorgesehenen Integrationsmaßnahmen für bedürftige Ausländer eigentlich erreicht werden soll. Des Weiteren muss ein vermehrter Zuzug Geringqualifizierter sogar angenommen werden, da in Deutschland geduldeten Personen der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht länger verwehrt bleibt, was in der Regel zu einer Verfestigung ihres Aufenthalts führt.
3. Die Ausländerpolitik Frankreichs
3.1. Historischer Hintergrund
Frankreich ist ein Land mit einer langen Zuwanderungstradition, wenngleich mit einer wechselhaften Offenheit für Zuwanderer.[23] Die aktive Bevölkerungspolitik Frankreichs hat ihren Ursprung im späten 19. Jahrhundert, als auf französischer Seite dem eklatanten demographischen Ungleichgewicht gegenüber dem Deutschen Reich begegnet werden musste.[24] Auch waren die verschiedenen französischen Regierungen des 19. Jahrhunderts bereits früh zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte gezwungen, da die Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung stagnierte, die französische Industrie hingegen auf einen weiteren Bevölkerungszuwachs angewiesen war.[25] Anfangs kamen hauptsächlich belgische sowie italienische Staatsangehörige nach Frankreich. Anfang des 20. Jahrhunderts folgten zunächst Polen und später Algerier.[26] Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte eine Wanderungsbewegung aus den übervölkerten Kolonialterritorien in das Mutterland, welche selbigem weiterhin Arbeitskräfte zur Verfügung stellten. Insgesamt kann als durchgängiges Muster französischer Ausländerpolitik, das bis in die jüngste Vergangenheit hinein Gültigkeit besaß, das Bemühen Frankreichs festgestellt werden, die eigene Bevölkerung systematisch durch Einwanderung zu vergrößern. In der Folge wurde die Einbürgerung zu einem politisch bedeutsamen Rechtsmittel, um einen chronischen Bevölkerungsmangel auszugleichen.[27] Weitere bedeutende Zuwanderungsströme fanden ihren Ursprung in Ländern wie Marokko, Spanien, Portugal, Tunesien, Polen, Jugoslawien und seit einigen Jahren auch aus der Türkei. Diese traditionell überaus liberale Einwanderungspolitik wurde erst im Jahre 1974, im Zusammenhang mit der bereits im vorangegangenen Kapitel angesprochenen Wirtschaftskrise, durch eine restriktivere Haltung abgelöst. So wurde zwar der Zuzug ausländischer Arbeitskräfte erschwert, doch konnte der Zustrom von Ausländern auch hier niemals gänzlich unterbunden werden.[28] Als Gründe hierfür wären zum einen der Nachzug von ausländischen Verwandten bereits naturalisierter Franzosen zu benennen sowie der ungesteuerte Zuzug illegaler Einwanderer, der so genannten „Sans-papiers“ auf der Basis des französischen Asylrechts[29].
Aus den vorangegangenen Schilderungen ist deutlich geworden, dass Frankreich bereits auf eine lange Tradition als Einwanderungsland zurückblicken kann. Neuankömmlinge wurden bisher bereits spätestens in der dritten Generation vollständig assimiliert und waren von da an nicht mehr von „Ursprungsfranzosen“ zu unterscheiden. Dieses Assimilationsmodell, welches in Kapitel vier noch ausführlich zu erläutern sein wird, ist jedoch seit der Wirtschaftsrezession zu Beginn der 1970er Jahre zusehends ins Stocken geraten. Diese Entwicklungen haben schwerwiegende soziale Umwälzungen mit sich gebracht, die auch auf die Migrationspolitik des französischen Staates Auswirkungen haben musste, welche nunmehr restriktiver gehandhabt wird, als dies in nahezu einem Jahrhundert zuvor fast durchgängig der Fall gewesen ist.
[...]
[1] Butterwegge, Christoph (2000): Ambivalenzen der politischen Kultur, intermediäre Institutionen und Rechtsextremismus, in: Schubarth, Wilfried, Stöss, Richard (Hrsg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz, Bonn, S. 293.
[2] Hartmann, Jürgen (1995): Vergleichende Politikwissenschaft. Ein Lehrbuch, Frankfurt/Main, New York, S. 55.
[3] Birle, Peter, Wagner, Christoph (1994): Vergleichende Politikwissenschaft: Analyse und Vergleich politischer Systeme, in: Mols, Manfred, Lauth, Hans-Joachim (Hrsg.): Politikwissenschaft. Eine Einführung, Paderborn, München, Wien, Zürich, S. 104 f.
[4] Vgl. von Hey, Arnulf (1981): Ausländer, in: Greiffenhagen, Martin, Prätorius, Rainer (Hrsg.): Handwörterbuch zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Ein Lehr- und Nachschlagewerk, Opladen, S. 73.
[5] Vgl. Hagedorn, Heike (2001): Bilanz der Einbürgerungspolitik in Deutschland und Frankreich, in: Hunger, Uwe, Woyke, Wichard (Hrsg.): Migration in erklärten und unerklärten Einwanderungsländern. Analyse und Vergleich, Münster, S. 40 f.
[6] Vgl. Herbert, Ulrich (2001): Geschichte der Ausländerpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, München, S. 202 f.
[7] Dieser Begriff hat sich mittlerweile als populäre Bezeichnung für die ersten drei Nachkriegsjahrzehnte und die in dieser Zeit erfolgte sozioökonomische Modernisierung Frankreichs unter Wachstumsbedingungen durchgesetzt. Der Begriff geht jedoch ursprünglich auf den Bestseller des Schriftstellers Jean Fourastie´, Les Trente glorieuses aus dem Jahre 1979 zurück.
Zitiert aus Dubet, Francois (1999): Strukturwandel der Gesellschaft: von den Klassen zur Nation, in: Christadler, Marieluise, Uterwedde, Henrik (Hrsg.): Länderbericht Frankreich. Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Opladen, S. 115.
[8] Der Begriff „Gastarbeiter“ hat sich im deutschen Sprachgebrauch aus zweierlei Gründen als Bezeichnung für in der BRD werktätige ausländische Arbeitskräfte durchgesetzt. Zum einen sollte die Bezeichnung „Fremdarbeiter“ für die genannte Personengruppe vermieden werden, welche noch aus der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft stammt und bei dessen Gebrauch meist Zwangsarbeiter gemeint waren. Zum anderen sollte jener Begriff der politischen Zielsetzung Rechnung tragen, dass diese ausländischen Arbeiter nur auf beschränkte Zeit in der Bundesrepublik tätig sein und dann wieder in ihr Heimatland zurückkehren würden.
Vgl. hierzu Sontheimer, Kurt, Bleek, Wilhelm (2001): Grundzüge des politischen Systems Deutschlands, München, S. 157.
[9] Vgl. Ebenda, S. 157.
[10] Vgl. Sezer, Ahmet Necati (2001): Zur Geschichte der türkischen Migration nach Deutschland, in: Hunger, Uwe, Woyke, Wichard (Hrsg.): Migration in erklärten und unerklärten Einwanderungsländern. Analyse und Vergleich, Münster, S. 240.
[11] Vgl. Bernsdorff, Norbert (1986): Probleme der Ausländerintegration in verfassungsrechtlicher Sicht, Frankfurt am Main/Bern/New York, S. 3.
[12] Vgl. Sontheimer/Bleek (2001), S. 160.
[13] Vgl. Donges, Juergen B., Engels, Wolfram (1994): Einwanderungspolitik – Möglichkeiten und Grenzen, Bad Homburg, S. 11.
[14] Vgl. Schmid, Josef (2001): Bevölkerungsentwicklung und Migration in Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/2001, S. 7.
[15] So das Bundesministerium des Innern hinsichtlich des Zuwanderungsrechts in Deutschland. Zu finden online im Internet: URL: http://www.zuwanderung.de/tabellen/1-02.html [Stand 17.04.2005].
[16] Vgl. o.V. (18.01.2005): Zahl der Zuwanderer nimmt weiter ab, in: Berliner Morgenpost. Online im Internet: URL: http://www.morgenpost.de/content/2005/01/18/politik/729105.html [Stand 25.04.2005].
[17] Auch hierzu das Bundesministerium des Innern. Online im Internet: URL: http://wwwzuwanderung.de/images/img/large/1-6.gif [Stand 17.04.2005].
[18] Vgl. Mukazhanov, Timur (2004): Ein „weltoffenes“ Land? Deuschlands Weg zu einer neuen Politik der Zuwanderung. Neue Ansätze in deutscher Migrationspolitik und Einstellung der Bevölkerung, Freiburg, S. 89.
[19] Vgl. Birsl, Ursula (2004): Deutschland, in: Gieler, Wolfgang, Fricke, Dietmar (Hrsg.): Handbuch europäischer Migrationspolitiken. Die EU-Länder und die Beitrittskandidaten, Münster, S. 45 f.
[20] Vgl. Allenberg, Nele, Neupert, Renate (2005): Das Zuwanderungsgesetz, eine Information des Beauftragten für Integration und Migration des Senats von Berlin (Hrsg.), S. 6. Online im Internet: URL: http://www.berlin.de/sengessozv/auslaender/zuwg.pdf [Stand 25.04.2005].
[21] Schily, Otto (2004): Vorwort des Bundesinnenministers, in: Bundesministerium des Innern. Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.): Zuwanderung – das neue Gesetz, Berlin, S. 1. Erhältlich im Internet unter: URL: http://www.e/nn-121894/Internet/Content/Broschueren/2004/Zuwanderung_-_das_neue_Gesetz_Id_95217_de.html. [Stand 19.04.2005].
[22] Der Begriff „Integration“ kann grundsätzlich zwei Bedeutungen annehmen:
Einerseits wird damit der innere Zusammenhalt eines aus mehreren einzelnen Elementen bestehenden Systems bezeichnet, andererseits der Einzug von zuvor der Umwelt angehörenden Elementen ins System oder die Erweiterung des Systems um diese Elemente, welche nunmehr zur Selbsterhaltung des vergrößerten Systems beitragen.
„Integration“ und „Assimilation“ werden oftmals einander gegenübergestellt und voneinander abgegrenzt. Unter Assimilation kann ein Prozess der Angleichung einer sozialen Gruppe an eine andere verstanden werden. Dieses Phänomen kann wie in diesem Kontext, den Verlust der ursprünglichen nationalen Identität und das ideologische Bekenntnis zu einer anderen Nation umfassen.
Vgl. hierzu Jawhari, Reinhold (2000): Wegen Überfremdung abgelehnt. Ausländerintegration und symbolische Politik, Wien, S. 4-7.
[23] Vgl. Aden, Hartmut (2004): Frankreich, in: Gieler, Wolfgang, Fricke, Dietmar (Hrsg.): Handbuch europäischer Migrationspolitiken. Die EU-Länder und die Beitrittskandidaten, Münster, S. 61.
[24] Vgl. Thränhardt, Dietrich (1997): Immigration/Einwanderung, in: Picht, Robert, Hoffmann-Martinot, Vincent (Hrsg.): Fremde Freunde. Deutsche und Franzosen vor dem 21. Jahrhundert, München, S. 200.
[25] Vgl. Sturm-Martin, Imke (2001): Zuwanderungspolitik in Großbritannien und Frankreich. Ein historischer Vergleich (1945-1962), Frankfurt am Main, S. 35.
[26] Vgl. Aden (2004), S. 61.
[27] Vgl. Sturm-Martin (2001), S. 35 f.
[28] Vgl. Haensch, Günther, Tümmers, Hans J. (1991): Frankreich. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, München, S. 239 f.
[29] Sans papiers bedeutet wörtlich aus dem französischen übersetzt ohne Papiere. Gemeint sind mit dem Begriff „Sans-papiers“ all jene Personen, welche sich ohne eine gültige Aufenthaltsbefugnis auf französischem Staatsgebiet aufhalten und darum auch über keine Ausweispapiere verfügen. Vgl. hierzu Lindemann, Ute (2001): Sans-papiers-Proteste und Einwanderungspolitik in Frankreich, Opladen, S. 64 f.
- Citation du texte
- Diplom-Politologe Terry Daniel Meincke (Auteur), 2005, Welchen Einfluss haben die politischen Kulturen Frankreichs und Deutschlands auf die Ausländerpolitik der jeweiligen Staaten?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91829
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