Der Essay setzt sich mit den Surrogaten auseinander, die in Joseph Roths „Juden auf Wanderschaft“ in Bezug auf die Heimat auftreten. Dabei stellen sich folgende Fragen: Wie lässt sich Heimat beschreiben und deuten? Lässt sich der Begriff Heimat überhaupt in Worte fassen? Impliziert die Absenz des eigenen Landes die automatische Ausschließung eines Heimatgefühls? Wie lässt sich Heimat definieren und kann man dieser überhaupt eine einheitliche Definition zusprechen?
Jede […] Nation berief sich auf die „Erde“, die ihr gehörte. Nur die Juden konnten sich auf keinen eigenen Boden […] berufen. […] Da rafften sie sich auf und bekannten sich zu einer, zu ihrer Nationalität: zur jüdischen. Den Mangel an einer eigenen „Scholle“ in Europa ersetzten sie durch ein Streben nach der palästinensischen Heimat. Sie waren immer Menschen im Exil gewesen (Roth 17).
Diese aussagekräftigen Worte des österreichischen Schriftstellers Joseph Roths drücken deutlich aus, dass jede Nation ein eigenes Stück Land für sich beansprucht. Eine Region oder ein Gebiet, in welchem die jeweilige Bevölkerung residiert. Unter den Bewohnern herrscht ein Gefühl von sozialer Bindung und kultureller Zugehörigkeit, dementsprechend würden wohl viele der Einwohner dieses Areal als ihre Heimat angeben. Dagegen die jüdische Bevölkerung, welche keinen eigenen Grund und Boden hat, keine eigene „Scholle“, zu welcher sie sich zugehörig fühlen darf. Einen Ort der emotionalen Zuflucht, Zugehörigkeit und des Rückzuges ist den Juden damit nicht vergönnt. Aber wie genau lässt sich Heimat beschreiben und deuten? Lässt sich der Begriff Heimat überhaupt in Worte fassen? Impliziert die Absenz des eigenen Landes die automatische Ausschließung eines Heimatgefühls? Wie lässt sich Heimat definieren und kann man dieser überhaupt eine einheitliche Definition zusprechen? Welche Bedeutung Heimat, die Suche nach ihr, Heimatlosigkeit und Fremde für Roth darstellt und wie diese in seinen Schriften verortet werden können, ist für meinen Essay von besonderem Interesse.
Anschließende Zeilen helfen zur Klärung des Terminus Heimat; etymologisch kommen die Vorläufer des Wortes Heimat aus dem althochdeutschen heimuoti/heimōti und mittelhochdeutschen heimout(e), die indogermanische Wurzel kei bedeutet so viel wie Ort, an dem man sich niederlässt (vgl. Seifert). Ist Heimat somit ein Haus, ein Ort, ein Stück Land? Wie genau sich Heimat beschreiben lässt, verdeutlicht folgender Absatz:
“Heimat“ wird im populären Diskurs […] im Kern als eine vor allem raumbezogen gedachte Größe verstanden, die identitäre Vertrautheit und Unterscheidbarkeit sichert. […] der persönliche Heimatbezug [entwickelt sich] dynamisch aus subjektiven Erlebnissen, die geprägt sind durch […] soziale Bindungen und Emotionen, welche mit einem bestimmten Ort verbunden sind (Seifert).
Dieser Versuch einer Definition Seiferts beinhaltet einige spannende Anhaltspunkte. Zum einen ergibt sich aus dem Vorhergehenden, dass sich der Heimatbegriff in zwei Komponenten auffassen lässt: die räumliche und die soziale, die Gefühlskomponente findet hier ersichtlich Anklang, wobei der soziale und der räumliche Bestandteil in enger Verbundenheit zueinanderstehen. Demnach ist das Gefühl von Heimat und Verwurzelung ein psychisches und emotionales Phänomen, welches meist mit einem bestimmten Territorium in emotional aufgeladener Verbundenheit steht. Zum anderen lässt dies jedoch auch die Vermutung zu, dass sich ebenso kollektive Werte und Normen vereinen können, welche ein Gefühl von Angehörigkeit und internem Zusammenhalt vermitteln, dies impliziert, dass die mit dem Begriff Heimat assoziierten Eindrücke und Erlebnisse nicht nur dem Einzelnen, sondern auch dem Kollektiv in gleicher Weise zu Teil werden können. Im gleichen Atemzug muss ich darauf hinweisen, dass sich für mich eine Kongruenz innerhalb der Begrifflichkeiten Heimat bzw. „Heimatliebe“ und Patriotismus klar herauskristallisiert. Die Folge von patriotischen Bewegungen ist oftmals die extreme Steigerung hin zu einer stark glorifizierten und idealisierten Heimat, welche die Menschen zu einseitigen, intoleranten, befangenen und voreingenommenen Ignoranten mit nur äußerst begrenztem Scheuklappen-blick werden lässt. Soweit es mich betrifft bin ich der Auffassung, dass Patriotismus die Menschen nicht voranbringt und lehne diesen bewusst ab, denn mein Vaterland ist international.
Seifert sucht die Entstehungshintergründe der Bedeutung des Heimatbegriffs auf der persönlichen, subjektiven, emotionalen und gesellschaftlichen Ebene. Anders als Seifert interessieren mich nicht nur die Effekte, die der Heimatbegriff im alltäglichen Gebrauch mit sich bringt, sondern vielmehr die literarische Darstellung einzelner Bedeutungsexistenzen in Roths Werk.
Mit dem Begriff der Heimat lässt sich heutzutage fast alles verkaufen und rechtfertigen, daher ist eine differenzierte Bestimmung umso essentieller. Im 19. Jahrhundert trug die Übertragung von Heimat auf den Geburts- und Wohnort sowie auf die Landschaft zu einem Bedeutungswandel bei, der Begriff Heimat bekam eine emotional subjektive Bedeutung (vgl. Rosenstein 226). Kleinspehn versteht unter Heimatvorstellung ein imaginäres Bild, demnach ist Heimat eine abstrakte Repräsentation, welche aber nicht direkt erfahren oder erkannt werden kann (vgl. Kleinspehn 183). Ein Empfinden von Heimat ist demzufolge nicht zwingend an Örtlichkeiten gebunden, da die Lokalität, welche als Heimat beschrieben wird, auf subjektiv empfundenem emotionalen Wert basiert und nicht auf geografischer Einordnung. Allerdings wirft dies für mich im Bezug auf Heimat, Identität und Zugehörigkeit einige Fragen auf: Impliziert dann das Nicht-Vorhandensein von Heimat das Fehlen von geistiger Verwurzelung und sozialer Identität? Ist es dem Einzelnen überhaupt möglich, sein Proprium, sein eigenes Selbst ohne die Voraussetzung einer geistigen Heimat mit Gleichgesinnten zu finden? Muss das Zuhause bzw. der Geburtsort automatisch Heimat sein? Kann die eigene Heimat einem fremd erscheinen? Welche Kontaktpunkte existieren zwischen Heimat und Fremde? Ist Heimat das, was man vermisst?
Verinnerlichte Erinnerungen und Empfindungen, welche sich auf regionale Örtlichkeiten und Lokalitäten und damit verbundene Werte, Normen und Traditionen beziehen, können abseits der geographischen Einordnung auch gegenüber anderen Elementen wahrgenommen werden. Besonders in den heutigen Massenmedien ist die narrative Präsenz von Menschen, welche erlebte Geschichten und Erfahrungen über das Verlieren und Verlassen der eigenen Heimat berichten, allgegenwärtig. Daraus schließe ich, dass das Gefühl von Heimat auch in Distanz zur geografischen Lage persönlich und individuell existieren kann. Nicht selten kommt es vor, dass vielen Menschen, die gezwungen waren ihre reale Heimat zu verlassen, die Kirchengemeinschaft, religiöse Feierlichkeiten und abgehaltene Gottesdienste ein echtes Gefühl von Heimat bieten oder zumindest eine ersetzende Funktion dessen einnehmen, was sie sich unter dem Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit erhoffen. Der Gottesglauben kann den Menschen aber nicht nur Geborgenheit und Schutz vermitteln, im Glaube kann ebenso eine eschatologische Heimat gefunden werden, welche den religiösen Menschen Trost spendet, im Hinblick auf den Fakt, dass wir unser irdisches Umfeld irgendwann verlassen müssen. Der Glaube an den Himmel ist nicht nur für Menschen ohne Heimat ein Hoffnungsträger, sondern vor allem für Gläubige, welche sich einsam, verloren und fremd in ihrem derzeitigen Wohnort fühlen.
Begrifflichkeiten wie Heimat und Identität sind meiner Auffassung nach phantomhaft, vielschichtig und komplex, man kann sich ihnen nicht mit einem bestimmten Ansatz annähern, man vermag sie nicht auf ein minimiertes Textbild zu reduzieren, mithilfe welches anschließend ausnahmslos alles erläutert wird – daran festzuhalten grenzt an Naivität. Anmerkend gilt hierbei noch zu erwähnen, dass man sich von vorliegendem Essay keine gänzlich abgeschlossenen Antworten auf gestellte Fragen erhoffen darf, welche in diesem Bezug in Erscheinung treten. Dadurch eröffnet man der Komplexität nicht den Raum, den sie benötigt und verdient. Durch die Tatsache, dass die Schlüsselworte Heimat, Heimatlosigkeit, Fremde und Identität schwer greifbare Konstrukte sind, enthüllt dies unbegrenzte Möglichkeiten einer kaleidoskopischen facettenreichen Perspektive auf den jeweiligen Ausdruck.
Heimat bedarf es nach meiner persönlichen Einschätzung im eigentlichen Sinne keiner Definition, denn sie ist immer subjektiv. Die Sicht der Ostjuden, welche nach Spanien gekommen, gibt einen interessanten Eindruck: „Es ist manchmal wie eine stille Sehnsucht, ein verdrängtes Heimweh nach diesem Lande, das so stark an die Urheimat, an Palästina, erinnert“ (Roth 83). Heimat bedarf es keiner Begriffszuschreibungen, weil sie nicht nur ein Wort ist, sondern ein individuell wahrgenommenes Empfinden. Wie bereits Herbert Grönemeyer verlauten ließ: „Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“ (Skai 103) und dieses ist stets persönlich, privat und individuell. Das Zitat abstrahiert Heimat von fixierten geografischen Zuschreibungen und lenkt auf einen allgemeinen Gefühlszustand hin. Der Gedanke an Heimat findet sich in geistigen Bildern, Erinnerungen, Assoziationen, Farben, Geräuschen, Gerüchen und vielen weiteren subjektiven Wahrnehmung wieder. Aufgrund seiner Subjektivität bedarf es der Heimat keiner einheitlichen Definition. Der Terminus ist wohl deswegen so schwer zu definieren, weil wir Menschen mit diesem Überbegriff individuelle Gefühle, Erfahrungen und Erinnerungen verbinden, durch die emotionale Aufladung des Begriffes ist eine einheitliche Allgemeingültigkeit also kaum bis gar nicht möglich. Für das Individuum scheint sich die Semantik des Ausdruckes aus der entsprechenden spezifischen Lebenslage zu ergeben, die Imagination von Heimat ist dadurch flexibel: sie wird von Faktoren wie Gesellschaft, Sprache, Biographie, Landschaft und dem eigenen Empfinden geprägt. Unter dem Begriff Heimat finden sich mannigfache Bedeutungszuschreibungen, aus welchen sich ein Mosaik oder anders ausgedrückt; ein Fragment künstlerisch gestaltet. Heimat muss damit nicht zwingend ein geographischer Ort sein, sondern erscheint vielmehr in individueller Form eines geistigen Konstrukts.
Zuhause ist für mich, wo ich mich wohl fühle und frei bewegen kann, aber das Zuhause liegt nicht zwingend in der Heimat und Heimat kann oft sehr fremd wahrgenommen werden. Sofern man die Fremde mit dem Unbekannten gleichsetzt, lässt sich etwas „Fremdes“ nicht ortsgebunden spezifizieren, da es unbekannt und damit erst erkundet werden muss. Dort, wo ich mich wohl fühle und meine emotionalen und sozialen Interessen und Bedürfnisse gestillt werden, da bin ich daheim. Aus meiner Perspektive entsteht ein Gefühl von Heimat an dem Ort, wo man geliebt wird und wo einem Chancen eröffnet werden, ein verhältnismäßig unbeschwertes Dasein zu leben, trotzdem fällt es auch mir schwer Heimat präzise in Worte zu fassen, weil sich das Gefühl von zu Hause sein und geistiger Heimat im Laufe des Lebens stetig verändert.
Sobald etwas ungreifbar ist liegt der Versuch nahe, das große Ganze in separate Bestandteile zu zerlegen. Unternimmt man diesen Versuch beinhaltet Heimat eine zeitliche, räumliche, soziale, kulturelle und emotionale Komponente. Dies lässt Fragestellungen aufkommen: Kann ein Ort, an dem man geboren und/oder aufgewachsen ist Heimat sein? Bedeutet das, dass Heimat Grenzen hat und wer bestimmt diese Grenzen? Bedeutet ein Gefühl von Heimat alte Erinnerungen im Hier und Jetzt spüren zu können oder ist Heimatgefühl dort, wo die Menschen leben, die einem selbst wichtig sind? Kann Heimat auch eine Person bzw. eine Gemeinschaft darstellen?
Es wäre fatal, würde man dieses Gefühl von Zugehörigkeit und Geborgenheit allein auf geografische Regionalität eingrenzen; Heimat muss ein offener Begriff bleiben, weil es einer Utopie gleicht das Empfinden von Heimat auf ein Kollektiv anzuwenden. Heimat ist ein individuelles und geistiges Konstrukt; „Heimat ist da, wo mein Kopf ist“ (Skai 103), gaben die Dissidenten in der Tageszeitung vom 21. Dezember 1985 an. Heimat ist für mich ein Gefühl von Selbstverwirklichung und gegenseitiger Toleranz, ein Ort der Zuflucht und innerer Geborgenheit, wo ich mich frei bewegen kann und dem nachgehen kann, was ich möchte und dabei Menschen um mich habe, die mich lieben und unterstützen und ich ihnen dieses ebenso zurückgeben kann. Gegenseitige gesellschaftliche Akzeptanz und Toleranz sind leider auch in heutigen Zeiten immer noch nicht überall selbstverständlich. Besonders in dieser digitalisierten und schnelllebigen Welt erscheint es manchmal schwierig, Menschen zu finden, die einen akzeptieren und mögen, so wie man ist. Bedingungslose Liebe und diese auch zurückgeben zu können bedeutet für mich ein Gefühl von zugehöriger Heimat.
Dennoch ist der Begriff Heimat für mich mit einer negativen Konnotation behaftet. Die patriotische Perspektive von Heimat und Nationalgefühl wird für viele zu einer Kraft, welche gegen andere kämpft. Eine Heimat, die vor anderen geschützt werden muss und von Fremden nicht betreten werden darf. Dabei erscheint mir vor meinem inneren Auge die bildliche Assoziation von Menschen, die im Sandkasten sitzen und „Meins!“ brüllen wie trotzige Kleinkinder. Wonach sie streben? Eine physische und psychische Mauer um dieses Territorium, welches sie als Heimat betiteln. Heimat wird zum Begriff der Einheitlichkeit und des Kampfes, zu einer bedrückenden Stimmung, zu einer Rechtfertigung für eine gegen andere gerichtete Macht. Sie hat im Laufe ihrer Zeit alles Unschuldige und Kindliche verloren und ist zu einer gewaltigen Kraft herangewachsen, dessen Position keinesfalls unterschätzt werden darf.
Kaum eine andere Kultur wie die jiddische, also die Kultur der osteuropäischen Juden, hat so sehr am eigenen Leibe religiöse Verfolgung, Heimatsuche, Heimatlosigkeit und Entwurzelung erfahren. Das Motiv der Heimatlosigkeit und Entwurzelung des jüdischen Volkes und die damit verbundene perfide Ausgrenzung und Verfolgung zieht sich durch Roths Essay Juden auf Wanderschaft wie eine Art warnender appellativer Ruf an die Menschheit: „Der Nationalsozialismus gibt sich selbst auf, sobald er irgendeinen Kompromiß mit Juden schließt“ (Roth 120). Die Gefahr, welche vom Nazi-Regime ausgeht, ist eindeutig: Nationalsozialismus kann nur dann funktionieren, wenn weder mit Juden verhandelt noch auf ihre Interessen eingegangen wird und ihnen damit kein würdiger Platz zum Leben gegeben wird. In seinem Essay findet sich ein Nachtrag aus dem Jahre 1937, in diesem ist klar erkennbar, dass er bereits früh erahnen konnte, welche tödliche Bedrohung die Ideologie der Nationalsozialisten für das jüdische Volk darstellt: „[M]it der Generation, die jetzt in der Hitler-Jugend heranwächst, werden weder die Juden noch die Christen, noch die kulturbewußten Europäer erfreuliche Erfahrungen machen können“ (122). Der Schriftsteller beschreibt eine Zeit, die von antisemitischen Ideologien gezeichnet ist, dieser Hass gegenüber Juden ist für ihn bereits vor Hitlers Machtübernahme sichtlich spürbar.
Roths literarisches Werk spiegelt die Verlorenheit der Juden wider, beinahe schon wehmütig schwelgt er in Erinnerungen über vergessene Traditionen. Seine Geschichte erzählt vom jüdischen Leben in Städten, wobei sein Blick oft auf ärmliche Einwohner und deren Kultur, Glaube und Strategie des Überlebens fällt. Wie zerstritten die jüdische Bevölkerung jedoch untereinander ist, wird in Juden auf Wanderschaft ersichtlich geschildert: „Sehr deutlich ist die Trennung zwischen sogenannten aufgeklärten Juden und den Kabbalagläubigen, den Anhängern der einzelnen Wunderrabbis, von denen jeder seine bestimmte Chassidimgruppe hat“ (27). Das Erzählte beinhaltet Mythen und Legenden, die Tätigkeiten der verschiedenen Wunderrabbis stehen dabei oft im Mittelpunkt. Zu den einzelnen Gruppierungen gehören die konservativ orthodoxen Juden ebenso wie die kabbalistischen Anhänger, welche sich den Lehren unterschiedlicher Wunderrabbis hingeben. Innerhalb dieser Kategorisierung gibt es wiederum „Ostjuden, welche sich an die Länder ihrer Wahl assimilieren und die Vorstellungen der einheimischen Bevölkerung von „Vaterland“, „Pflicht“, „Heldentod“ und „Kriegsanleihe“ vollkommen aufgenommen haben“ (21). Patriotische Juden, welche eher die Minderheit ausmachen, streben danach durch Anpassung an die westliche Kultur Gleichberechtigung zu schaffen. „Sie haben kein „Vaterland“, die Juden […]. In dieser Lage ist der Zionismus wirklich noch der einzige Ausweg: wenn schon Patriotismus, dann lieber einen für das eigene Land“ (21), zionistische nationale Juden kämpfen um die Anerkennung des jüdischen Volkes und die Rechte auf einen jüdischen Staat. Was offensichtlich fehlt, ist eine innere Einheit unter den einzelnen religiösen Gruppierungen.
Die nationalen und die assimilierten Juden bleiben aus unterschiedlichen Gründen im Osten; die Patrioten wollen ihre Rechte erkämpfen, die Juden, welche sich weitestgehend angepasst haben, gehen von der Annahme aus, diese Rechte bereits zu besitzen, da sie die westlichen Werte und dessen Kultur bereits verinnerlicht haben. Die Mehrheit der Ostjuden sind fromme, traditionelle Emigranten aus russischen Grenzländern: „Es sind Brotsucher, Proletarier […]. Andere sind vor dem Krieg und der Revolution geflohen“ (12), es sind zum größten Teil also konservative Bürger, Arbeitssuchende und Flüchtlinge, die sich Emigration als Ziel gesetzt haben. Aufgrund des Mangels einer inneren Einheitlichkeit fällt es den Juden schwer, sich mit den Menschen zu identifizieren, die sich zur gleichen Konfession bekennen. Das Streben nach der palästinensischen Heimat und die Hoffnung in den Messias sind ihre gemeinsamen Schnittpunkte, denn irdische Glaubenspraktiken sind ihnen nicht gemein. Viele der Juden, die nach Amerika gegangen sind, lernten nicht die Landessprache und vertrauten darauf, dass sie sich auf Jiddisch verständigen können (vgl. 90). Aufgrund dessen, dass sie ihre Sprache auch zukünftig praktizierten, konnten sie die Erinnerung an ihre kulturellen Wurzeln aufrechterhalten. Dem gegenüber gab es solche, die sich an das Land, die Kultur und die Traditionen angepasst und neuen Werte so verinnerlicht haben, dass sie zu Patrioten geworden sind. Die Geschichte des Essays ist damit einerseits als Kritik an westjiddische Gläubige zu lesen, andererseits ist es ein Tadel gegenüber zionistischen Regungen.
Spannend zu beobachten für mich sind auch gewisse Parallelen zwischen Joseph Roth als Person und den Surrogaten seines Buches. Der Autor selbst wird wie folgt beschrieben: „In Brody verbrachte er die ersten achtzehn Jahre seines Lebens, danach aber wurde er ein Reisender, der keine Heimat mehr hatte und der aber auch, […] keine Privatwohnung mehr sein Eigen nennen wollte“ (Hermann 2). Demnach findet auch Roth, ähnlich wie die Gläubigen in Juden auf Wanderschaft, weder eine Heimat noch einen Ort der Zuflucht im Sinne einer Partizipation gemeinsamer Werte und Normen auf religiöser Basis. Auch Roth war zu seiner Zeit, wie viele Juden in seinem Essay, im Exil. Hermann erklärt: „Roth ist das, was man einen assimilierten Juden nennen kann“ (2).
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- Arbeit zitieren
- Janis Alina Hindelang (Autor:in), 2020, Heimat in "Juden auf Wanderschaft" von Joseph Roth. Definition und Bedeutung des Begriffs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/915454
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