Dieser Essay beschäftigt sich mit den Eigenschaften des Computerspiels als erzählendes Medium im Unterricht. In der Vergangenheit sind digitale Spiele im öffentlichen Diskurs eher negativ betrachtet worden, da insbesondere Gewaltverherrlichung und Suchtpotential im Zentrum der Diskussion stehen. Dabei ist das relativ junge Medium seit 2008 als offizielles Kulturgut durch den Verband GAME, der eine Vertretung im deutschen Kulturrat hat, anerkannt. Daher sollten digitale Spiele sowohl im privaten als auch im professionellen Kontext Lehrkräften näher gebracht und Vorzüge vermittelt werden.
Für eine Integration von Medien im Schulunterricht sprechen drei gewichtige Argumente: Spielfilme oder Computerspiele erzählen wie epische Werke Geschichten, allein das Medium des Erzählens hat sich gewandelt. Weiterhin können Medienproduktionen ein hohes Bildungspotential aufweisen, da sie komplexe Kunstwerke sind, die anspruchsvolle Rezeptionsprozesse erfordern und eine differenzierte Wirklichkeitssicht nahelegen. Außerdem haben Medien in der außerschulischen Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler einen hohen Stellenwert, sodass die Kinder häufig Produktionen in Medienverbünden wie bspw. Werke, die als Literatur, Hörbuch oder Filmfassung erscheinen, rezipieren. Besonders narrative Computerspiele sind didaktisch gesehen sehr interessant, da sie im Medien- und Erzählalltag vieler (männlicher) Jugendlicher eine bedeutende Rolle spielen.
Essay zum Thema: „Das Computerspiel als erzählendes Medium im Unterricht“
In der Vergangenheit sind digitale Spiele im öffentlichen Diskurs eher negativ betrachtet worden, da insbesondere Gewaltverherrlichung und Suchtpotential im Zentrum der Diskussion stehen. Dabei ist das relativ junge Medium seit 2008 als offizielles Kulturgut durch den Verband GAME, der eine Vertretung im deutschen Kulturrat hat, anerkannt. Daher sollten digitale Spiele sowohl im privaten als auch im professionellen Kontext Lehrkräften näher gebracht und Vorzüge vermittelt werden.1
Für eine Integration von Medien im Schulunterricht sprechen drei gewichtige Argumente: Spielfilme oder Computerspiele erzählen wie epische Werke Geschichten, allein das Medium des Erzählens hat sich gewandelt. Weiterhin können Medienproduktionen ein hohes Bildungspotential aufweisen, da sie komplexe Kunstwerke sind, die anspruchsvolle Rezeptionsprozesse erfordern und eine differenzierte Wirklichkeitssicht nahelegen. Außerdem haben Medien in der außerschulischen Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler2 einen hohen Stellenwert, sodass die Kinder häufig Produktionen in Medienverbünden wie bpsw. Werke, die als Literatur, Hörbuch oder Filmfassung erscheinen, rezipieren. Besonders narrative Computerspiele sind didaktisch gesehen sehr interessant, da sie im Medien- und Erzählalltag vieler (männlicher) Jugendlicher eine bedeutende Rolle spielen.3
Nach Jan Boelmann sind narrative Spiele definiert als „Computerspiele, die eine Geschichte erzählen, die bereits vor Rezeptionsbeginn festgelegt ist, und welche sich auch in verschiedenen Rezeptionsdurchgängen nicht maßgeblich verändert und darüber hinaus eine im weitesten Sinne komplexe Handlungsstruktur aufweisen, die den Einsatz verschiedener Analysemethoden ermöglicht.“4 Hans Joachim Backe verwendet hierfür den Begriff der „explizit narrativen Computerspiele“, bei denen Objekte und Vorgänge der Spielwelt Teil einer Geschichte sind, in der sich Spiel- und Erzählelemente verbinden.5
Eine Art mündliche oder schriftliche Rede bezeichnet man als „Erzählen“, wenn jemand jemandem etwas Besonderes mitteilt. Sähe man von der Bedeutung im weiteren Sinne wie „etwas im Vertrauen sagen“ ab, so ist die Rede eine Erzählung, wenn diese einen ihr zeitlich vorausliegenden Vorgang vergegenwärtigt, welcher als „Begebenheit“ oder auch „Geschehnis“ identifiziert werden kann.6 Erzählungen spiegeln Werte- und Normensysteme wider, in denen moralische Konflikte und Dilemmata ausgetragen werden. Sie sind „Sedimente von Erfahrungen“, die Erfahrungen abbilden und vor allem darstellen.7
Computerspiele bieten zahlreiche Ansätze für das Erzählen von Geschichten. Doch inwieweit entsprechen oder unterscheiden sie sich von dem Medium Text? Welche Möglichkeiten eröffnen digitale Spiele im Unterricht? Nachfolgend möchte ich mich mit diesen Fragen auseinandersetzen und die Unterscheidung zwischen Computerspielen und Literatur herausarbeiten.
Ein Spiel wird in literaturwissenschaftlichen Untersuchungen stets als Text angesehen, der quasi-sprachlich vermittelt ist. Dabei bezieht sich das Paradigma „Text“ auf Spiele, die auf einer vorausgehenden Erzählung basieren oder in denen das Spiel durch Texteingabe gesteuert wird.8
Digitale Spiele zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Gegensatz zum Text Bilderscheinungen sind. Bausch und Jörissen (2005) verwenden hierfür den Terminus „erspielte Bilder“. Dabei steht nicht das Spielen mit dem Programm oder der Hardware im Zentrum, sondern die Interaktion mit der Bilderscheinung.9 Die Spielumgebung ist nicht nur Ort der Handlung, sondern beleuchtet durch die meist aufwendige Gestaltung Hintergründe des Spieluniversums. Damit ist sie ähnlich wie beim Theater mit der Erzählung verflochten. Die Bühne als Schauplatz ist ein ebenso wichtiger Handlungsträger und mit dem Medium Computer vergleichbar.10
Im Unterschied zu Texten oder audiovisuellen Medienproduktionen sind Spiele auf die aktive Nutzung angewiesen, bspw. über die Eingabe von Maus, Touchpad, Tastatur etc. Doch auch die Interaktivität im Spiel unterscheidet sich deutlich zum Text. Demnach muss bspw. in Abenteuerspielen der/die Spieler/in durch kognitive Leistungen der Figur beim Bestehen verschiedener Abenteuer helfen.11
Das Computerspiel kann ähnlich wie Literatur, linear oder nichtlinear erzählt werden. Die lineare Story bietet Entwicklern/innen mehr Kontrolle über eine Geschichte, da Tempo und Dramaturgie der Erzählung gesteuert wird. In diesem Erzählmodus läuft eine Geschichte mit all ihren dramatischen Höhepunkten für jeden/e Spieler/in identisch ab. Inhalt und Verlauf der Geschichte wird vorgegeben, weshalb der/die Spieler/in eine passive Rolle einnimmt. Bekannte Vertreter dieses Stils ist „Medal of Honor“ und die „Call of Duty“ Reihen.12 Andere Spiele sind wiederum gekennzeichnet von der nichtlinearen Rezeption; hierbei kann man zwischen Alternativen wählen und damit den Ausgang der Geschichte verändern.13
Doch die Besonderheit von digitalen Spielen liegt auf der Ebene der Handlung. Während bei einer Erzählung die Interpretation der Rezipienten variieren kann, variiert das Spiel auf der Handlungsebene. Die Spieler/innen haben unterschiedliche Möglichkeiten in nichtlinearen Konzeptionen die Geschichte selbst durch Wahlmöglichkeiten zu gestalten. Solche Optionen haben Leser/innen eines Buches nicht. Trotzdem muss berücksichtigt werden, dass Handlungsoptionen auch im Spiel begrenzt sind. Diese Möglichkeit der Steuerung beeinflusst den gesamten Spielverlauf. Die Handlungsabfolge des Spiels geht aus der Arbeit der Spieler/in hervor, was wieder im totalen Gegensatz zu Literatur steht.14
Der dänische Spieltheoretiker Jesper Juul formuliert weitere Unterscheidungsmerkmale zwischen Computerspielen und Literatur. Dazu gehört „einmaliger und mehrmaliger Konsum“. Mehrmaliges Lesen eines Buches ist zwar möglich, doch die Geschichte verändert sich dadurch nicht. Man kann allenfalls bisher unbekannte Anspielungen aufdecken, aber neue Figuren werden durch mehrmaliges Lesen nicht aufgedeckt. Beim Spielen kann sich durch jede alternative Handlung ein neues Ereignis ergeben. Das zeigt, dass die einzelnen Sequenzen in Büchern fest sind und die des Spiels variabel. Weiterhin verweist Juul darauf, dass Bücher passiv rezipiert werden und Spiele aktiv – auch in der Zeitform gibt es eindeutige Unterschiede. Die Erzählzeit in der traditionellen Schriftform ist die Vergangenheit. Aber selbst, wenn von zukünftigen Ereignissen erzählt wird, ist die Produktion der Geschichte schon vergangen und der zukünftige Verlauf festgelegt. Das Spiel ist zwar ebenfalls in der Vergangenheit programmiert worden, die Handlung im Spiel erfolgt dennoch stets in der Gegenwart und ist nicht determiniert, unabhängig davon, in welcher historischen Zeit das Spiel angesiedelt ist.15
Es bleibt festzuhalten, dass sich Spielehandlungen wie Texte oder Filme analysieren lassen (vgl. Ammann und Hermann 2004). Narrative Handlungen haben darüber hinaus auch emotionale Qualitäten, die für Lernprozesse wesentlich sind. Fremdsprachliche Spiele können Einsatz im Fremdsprachenunterricht finden und ihr großes Potential, insbesondere, wenn das Spiel Dialogsituationen ermöglicht, entfalten.16
Letztendlich besitzen Computerspiele ein offensichtliches und großes Motivationspotenzial für die Jugendlichen. Es ist zu vermuten, dass
„Computerspiele den Bedingungsfaktoren intrinsischer Motiviertheit nahezu idealtypisch entsprechen. Nach Deci & Ryan (1993;1985) steht intrinsische Motivation in einem engen Zusammenhang mit den Grundbedürfnissen des Autonomieerlebens, Kompetenzerlebens und der sozialen Eingebundenheit."17
Im Unterricht können Computerspiele vielfältig Gebrauch finden. Hierbei ist stets zu berücksichtigen, dass nicht jedes digitale Spiel im Schulkontext verwendet werden kann. Spiele, die narrative Elemente enthalten, sind für den Einsatz in der Schule geeignet, da sie essentiell für die Förderung des (literarischen) Lernens sind. Dabei sind die Aufgabentypen sehr vielfältig: SuS können Charakterisierungen von Figuren vornehmen oder Figurenexpositionen entwerfen, eine Vorgeschichte und den weiteren Verlauf der Geschichte konzipieren, alternative Enden entwickeln und diese argumentativ begründen oder Sachtexte erstellen auf Basis von erfüllten Quests oder gelösten Rätseln. Die Anschlusskommunikation ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Im Unterrichtsgespräch können sich Lehrkräfte und SuS über das Spiel austauschen, Vorgehensweisen und Handlungsoptionen diskutieren sowie den Inhalt des Spiels interpretieren, analysieren und reflektieren.18
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1 Vgl. o.V. (2015): Spielend lernen? – Der Einsatz von digitalen Spielen im Schulunterricht. Eine Zusammenfassung diverser Artikel von Jan Boelmann. http://stiftung-digitale-spielekultur.de/spielend-lernen-der-einsatz-von-digitalen-spielen-im-schulunterricht/ (letzter Zugriff am 04.06.2019 – 09:37 Uhr)
2 wie folgt abgekürzt mit SuS
3 Vgl. Leubner, Martin/Saupe, Anja/Richter, Matthias (2016): Literaturdidaktik. 3., überarbeitete und ergänzte Auflage. Göttingen, S. 136.
4 o.V. (2015): a.a.O.
5 Vgl. Froschauer, Adiran (2014): „Computerspiele und ihre narrativer Gehalt: Hans-Joachim Backe bietet einen Überblick über Erzähl- und Spieltheorie sowie eine Typologie narrativer Computerspiele [Rezension zu: Hans-Joachim Ba>
6 Vgl. Martinez, Matias/Scheffel, Michael (2016): Einführung in die Erzähltheorie. 10., überarbeitete und aktualisierte Auflage. München, S. 11-12.
7 Vgl. Haker, Hille: Narrative Ethik. In: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik. Herausgegeben von Johannes Rohbeck. Heft 2/2010, S. 78.
8 Vgl. Günzel, Stephan (2013): Raum(bild)handlung im Computerspiel. In: Kultur – Wissen –Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften. Bielefeld, S. 492.
9 Vgl. Günzel, Stephan (2013): a.a.O., S. 490-491.
10 Vgl. Lorber, Martin (2013): Narrative Strukturen in Computer- und Videospielen. Veröffentlich im EA BLOG für die digitale Spielkultur. https://spielkultur.ea.de/themen/gesellschaft-und-kultur/narrative-strukturen-in-computer-und-videospielen/ (letzter Zugriff am 04.06.2019 – 09:28 Uhr)
11 Vgl. Fromme, Johannes (2011): Nicht nur ballern! Vielfalt der Computerspiele. In: Schüler. Wissen für Lehrer. o.O., S. 38.
12 Vgl. Lorber, Martin (2013): a.a.O.
13 Vgl. Günzel, Stephan (2013): a.a.O., S. 493-494.
14 Vgl. Ebd., S. 494-496.
15 Vgl. Ebd., S. 496-498.
16 Vgl. Petko, Dominik (2008): Unterrichten mit Computerspielen. Didaktische Potentiale und Ansätze für den gezielten Einsatz in Schule und Ausbildung. In: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung. Themenheft Nr.15/16: Computerspiele und Videogames in formellen und informellen Bildungskontexten, S. 4-5.
17 Ebd., S. 6.
18 Vgl. o.V. (2015): a.a.O.
- Quote paper
- Julia Kobán (Author), 2019, Das Computerspiel als erzählendes Medium im Unterricht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/914829