Wie konnte sich die Erziehungsberatung zu einem so wichtigen Teil der Jugendhilfe etablieren? Es stellt sich die Frage, wie ist die genaue Geschichte der Erziehungsberatung aus Sicht der Jugendhilfe?
Familiäre Konflikte, Entwicklungsauffälligkeiten, infrage stellen der Erziehungs-kompetenz und Auffälligkeiten im sozialen Verhalten sind unter anderem die Gründe für ein Aufsuchen einer Erziehungsberatungsstelle von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und anderen Erziehungsberechtigten. Die Entwicklungsphase der Jugend wird als Entwicklungsphase zum Übergang des Erwachsenwerdens gesehen.
Jugendliche neigen in der Entwicklungsphase die Gesellschaft, Normen und die Ansicht Erwachsener infrage zu stellen (eigene Identitätssuche). Dies hat zur Folge, dass viele Jugendliche dazu neigen, ein normabweichendes Verhalten anzunehmen. Diese Problemlagen der Jugendlichen, die auch die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten mit einbezieht, werden durch die professionelle Hilfe der Erziehungsberatungsstellen angenommen und gelöst. Die Erziehungsberatung gehört zu der Jugendhilfe.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Arbeitsfeld Erziehungs- und Familienberatung
3. Jugendhilfe in der Weimarer Republik
4. Jugendhilfe in der NS-Zeit
5. Jugendhilfe in der Nachkriegszeit
5.1. Jugendhilfe in den 40er Jahren
5.2. Jugendhilfe in den 50er Jahren
5.3. Jugendhilfe in den 60er Jahren
5.4. Jugendhilfe in den 70er Jahren
5.5. Jugendhilfe in den 80er Jahren
6. Jugendhilfe ab 1990
6.1. Jugendhilfe in den 90er Jahren
6.2. Jugendhilfe ab dem Jahr
7. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Familiäre Konflikte, Entwicklungsauffälligkeiten, infrage stellen der Erziehungs-kompetenz und Auffälligkeiten im sozialen Verhalten sind unter anderem die Gründe für ein Aufsuchen einer Erziehungsberatungsstelle von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und anderen Erziehungsberechtigten (vgl. Menne 2017: 163). Die Entwicklungsphase der Jugend wird als Entwicklungsphase zum Übergang des Erwachsenwerdens gesehen. Jugendliche neigen in der Entwicklungsphase die Gesellschaft, Normen und die Ansicht Erwachsener infrage zu stellen (eigene Identitätssuche). Dies hat zur Folge, dass viele Jugendliche dazu neigen, ein normabweichendes Verhalten anzunehmen (vgl. Jungbauer 2017: 197). Diese Problemlagen der Jugendlichen, die auch die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten mit einbezieht, werden durch die professionelle Hilfe der Erziehungsberatungsstellen angenommen und gelöst (vgl. Menne 2002: 137). Die Erziehungsberatung gehört zu der Jugendhilfe. Die Jugendhilfe versucht, Kinder, Jugendliche aber auch junge Erwachsene individuell in schweren Situationen zu fördern, zu helfen und zu unterstützen. Die Jugendhilfe bezieht auch Eltern und Erziehungsberechtigte mit ein, um sie in Fragen zur Erziehung zu unterstützen. Die gesetzliche Grundlage legt das Achte Buch des Sozialgesetzbuches dar (vgl. BMFSFJ 2013). Die Erziehungsberatung hat in Deutschland vor über 100 Jahren ihren Anfang gefunden. Die ersten Beratungsstellen wurden durch das Gesundheitswesen hervorgerufen. Kinder- und Jugendpsychiater, aber auch Jugendämter leiteten die ersten Einrichtungen (vgl. Menne: 2017: 7). Daher sind auch heute noch psychotherapeutische Verfahren in den Beratungsstellen zu finden (vgl. Menne 2017: 7). Im weiteren Verlauf der Geschichte der Beratungsstellen wurden sie dazu missbraucht, die Rassenhygiene der Nationalsozialisten umzusetzen (vgl. Geib et al. 1994: 277). Erst „mit Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) ist Erziehungsberatung in das System der Hilfen zur Erziehung (§ 27ff. SGB VIII) einbezogen worden“ (Menne 2017: 7). Die Erziehungsberatungsstellen sind zu einem in Deutschland flächendeckendem Angebot der Kinder- und Jugendhilfe geworden. Sie kombinieren verschiedene Arbeitsfelder und Angebote (vgl. Menne 2002: 136f). Wie konnte sich die Erziehungsberatung zu einem so wichtigen Teil der Jugendhilfe etablieren? Es stellt sich die Frage, wie ist die genaue Geschichte der Erziehungsberatung aus Sicht der Jugendhilfe?
2. Arbeitsfeld Erziehungs- und Familienberatung
Erziehungs- und Familienberatung ist ein Hilfsangebot der Jugendhilfe (vgl. Hundsalz 2007: 977). Die Beratung richtet sich an Kinder, Jugendliche, Eltern oder andere Erziehungsberechtigte (§ 28 KJHG). Die Erziehungs- und Familienberatung hilft nach § 28 KJHG SGB VIII bei individuellen und familienbezogen Problemen und der zugrunde liegenden Faktoren, bei der Lösung von Erziehungsfragen sowie bei Trennung und Scheidung. Häufige Themen sind daher beispielsweise Erziehungsfragen, Konflikte zwischen Kindern und Eltern, Trennung/Scheidung, emotionale Probleme aber auch Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten (vgl. Menne 2002: 136f).
Grundlegend lässt sich die Erziehungs- und Familienberatung in drei Leistungsbereiche aufteilen. Menne (2002) beschreibt die drei Bereiche als „Beratung und Therapie, präventive Angebote und Vernetzungsaktivitäten“. Das präventive Angebot gilt als Informationsangebot, um Problemen vorzubeugen oder Hilfestellung durch Erziehungs- und Familienberatung anzunehmen (vgl. Menne 2002: 137). Der Bereich der Beratung und Therapie umfasst ein multidisziplinäres Fachteam. Dieses besteht aus den Fachrichtungen Psychologie, Soziale Arbeit/ Sozialpädagogik, Kindertherapie und weitere beraterisch-therapeutische Bereiche (vgl. bke 2016: 18). Dieses Team geht auf die Problemlage des Ratsuchenden ein (vgl. Menne 2002: 137). Der dritte Bereich ist der kooperationsbezogene Bereich. In diesem Bereich vernetzt sich die Beratungsstelle mit anderen Bereichen wie der Medizin oder dem Recht (vgl. Menne 2002: 137f).
Menne (2002) weist das Wesentliche der Erziehungs- und Familienberatung auf. Das ist die einfache Zugänglichkeit der Erziehungs- und Familienberatung, die Freiwilligkeit der Inanspruchnahme, die Schweigepflicht, die Kostenfreiheit der Beratung, die fachliche Unabhängigkeit bei der Durchführung von Therapie/Beratung und die multidisziplinäre Zusammensetzung des Teams aus Fachkräften (vgl. Menne 2002: 135f).
Die Erziehungs- und Familienberatung soll jedem einfach zugänglich gemacht sein. Dies soll laut Menne (2002) durch präventive Maßnahmen, kurze Wartezeiten und offenen Sprechstunden gewährleistet werden. Freiwilligkeit ist eine Grundvoraussetzung der Inanspruchnahme und gewährleistet die Motivation der Ratsuchenden (vgl. Menne 2002: 135).
Erziehungs- und Familienberatung ist jedem Kind, Jugendlichen, Eltern oder Erziehungsberechtigtem zugänglich gemacht. Es darf daher nicht von den Finanzen des Ratsuchenden abhängig gemacht sein, ob Hilfe in Anspruch genommen werden kann. Die Gebührenfreiheit wird durch das KJHG gesichert (vgl. Menne 2002: 135).
Damit gewährleistet wird, dass die persönlichen Informationen der Ratsuchenden nicht an Dritte weitergelangt, muss der Berater die gesetzliche Schweigepflicht einhalten (vgl. Menne 2002: 135). Diese wird nur durch die „Einwilligung der Betroffenen oder aufgrund gesetzlicher Vorschriften“ (bke 1997, zit. nach Menne 2002: 135) außer Kraft gesetzt.
Erziehungs- und Familienberatungsstellen sind fachlich nicht gebunden, d. h. Beratungsschritte werden nicht mit Dritten entschieden. Alle Beratungsschritte werden in der Beratung entschieden (vgl. Menne 2002: 136).
Eine Beratungsstelle muss aus einem Team zusammengesetzt sein (vgl. Menne 2002: 136). Dieses Team besteht aus qualifiziertem Fachpersonal. Dazu gehören Psychologen, Sozialarbeiter / Sozialpädagogen, Psychotherapeuten und Ärzte (vgl. Menne 2002: 136). Aber auch weitere Fachkräfte mit Zusatzausbildungen wie z. B. der Verhaltenstherapie, der Familientherapie oder Psychoanalyse gehören zum Team (vgl. bke 2016: 19).
Zudem muss eine Beratungsstelle bei unterschiedlichen Themen in Anspruch genommen werden können wie beispielsweise bei Entwicklungsverzögerungen oder sozialen Auffälligkeiten (vgl. Menne 2002: 136). Die Therapiestunden können in Form von Einzel-, Paar, und/oder Familiengesprächen stattfinden (vgl. Körner/ Hensen 2008: 12). Die Beratungsdauer ist kurzweilig. Laut Menne (1996) beträgt die Beratungsdauer im Durchschnitt sechs Monate (stand 1993). Viele Beratungen waren bereits nach drei Monaten beendet (vgl. Menne 1996: 230) Eine längere Beratungsdauer entsteht bei sogenannten Multi-Problem-Familien laut Hundsalz (2007). Dort wechseln sich „therapeutische und informatorische Interventionen“ (Hundsalz 2007: 983) ab (vgl. Hundsalz 2007: 983).
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Ausrichtung der Erziehungs- und Familienberatungen tiefenpsychologisch. Heute hingegen gehen die Beratungsstellen einem familientherapeutischen Ansatz nach (Hundsalz 1995, vgl. nach Hundsalz 2007: 981) Die Beratungsstellen arbeiten lebensweltorientiert, d. h. sie beziehen das soziale Umfeld und Ressourcen mit ein oder kooperieren mit Einrichtungen des Ratsuchenden (Kurz-Adam 1995, vgl. Hundsalz 2007: 982). „Die Erziehungsberatung misst sich so an die Erfahrungen des Ratsuchenden an“ (Menne 2002: 140).
3. Jugendhilfe in der Weimarer Republik
Der verlorene Erste Weltkrieg zog eine schlechte Lebenssituation wie beispielsweise Ernährungsmangel, Wohnungsnot und unvollständige Familien mit sich. Die Situation von Familien, insbesondere Kinder und Jugendlichen, war perspektivlos. Diese Probleme sorgten verstärkt für ein abweichendes und unsoziales Verhalten bei Kindern und Jugendlichen (vgl. Raithel 2018). Keine Instanz fühlte sich verantwortlich zu handeln. Dies lag an der der organisatorischen und rechtlichen Zersplitterung der zum Handeln berechtigten und verpflichteten Instanzen (vgl. Geib et al. 1994: 276).
Um den Fürsorgebereich in Deutschland einheitlich zu regeln, wurde 1922 das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) verabschiedet. „Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit“ laut dem § 1 des RJWG (1922). Der Grundsatz verankert zum ersten Mal, dass ein Kind ein Recht auf Erziehung hat (vgl. Geib et al. 1994: 276). Das RJWG legt fest, dass Großstädte (mehr als 10 000 Einwohner) dazu verpflichtet sind, Jugendämter einzurichten (§ 4 Abs. 1). Die Jugendämter sollen die „Beratung in Angelegenheiten von Jugendlichen“ anbieten (vgl. Presting 1991: 10). Zudem sollen öffentliche und freie Verbände zusammenarbeiten. Das Jugendamt beteiligte die freien Verbände (§ 9). 1932 wurden bereits zwei Drittel der Beratungsstellen von freien Trägern geleitet (vgl. Geib et al. 1994: 276f). Allerdings konnte der Ausbau der Jugendhilfe wegen der Weltwirtschaftskrise 1929 nicht weiter umgesetzt werden (vgl. Geib et al. 1994: 277). Um Kosten zu sparen, veranlasste der Reichspräsident Paul von Hindenburg 1932, dass die unerziehbaren Jugendlichen keinen Anspruch mehr auf Fürsorgeerziehung haben (§ 72 RJWG) (vgl. Geib et al. 1994: 277).
4. Jugendhilfe in der NS-Zeit
Nach der Machtübernahme 1933 durch die Nationalsozialisten (NS) wurde die öffentliche und freie Jugend- und Wohlfahrtspolitik im NS-Staat neu organisiert. 1933 wurde die Nationalsozialistische Wohlfahrtsfürsorge (NSV) gegründet und als ein der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) angeschlossener Verein anerkannt. NS-Ideologen beschränkten Kinder und Jugendliche auf ihren Wert für Gesellschaft (vgl. Geib et al. 1994: 277). Dies hatte zur Folge, dass die Jugendfürsorge zur Umsetzung der Rassenhygiene missbraucht wurde (vgl. Geib et al. 1994: 277). Das RJWG blieb bestehen. Allerdings interpretierte die NSV zu Gunsten der Umsetzung ihrer Ziele (vgl. Geib et al. 1994: 278).
In der Generation der Kinder und Jugendlichen sollte mit Erziehung und Ausbildung der Grundstein für eine nationalsozialistische Volksgemeinschaft geschaffen werden (vgl. Wildt 2012: 60). Daher wurden Kinder und Jugendliche in drei Gruppen eingeteilt. Die Zuordnung zu einer Gruppe legte fest, ob und in welchem Maße den Kindern und Jugendlichen Fürsorge zustand.
Die erste Gruppe war für die hochwertigen und erbgesunden Kinder und Jugendlichen. Diese hatten den Anspruch auf Fürsorge und konnten Jugendheimstätten besuchen oder der Hitlerjugend (HJ) oder dem Bund Deutscher Mädel (BDM) beitreten (vgl. Geib et al. 1994: 279).
Die zweite Gruppe war für Kinder und Jugendliche, die als erbbiologisch und charakterlich minderwertig eingestuft wurden. Diese wurden in Fürsorgeanstalten gebracht, da diese Kinder und Jugendlichen als resozialisierbar galten. Wurde innerhalb der Fürsorgeanstalt keine Besserung der Kinder und Jugendlichen wahrgenommen, wurden diese sterilisiert und dann in Bewahrung geschickt wie beispielsweise in kirchlichen Anstalten oder Arbeitshäusern (vgl. Geib et al. 1994: 279).
Die dritte Gruppe umfasste die Kinder und Jugendlichen, die als nicht mehr resozialisierbar galten aufgrund ihrer Erbanlagen und ihres Charakters. Diese wurden direkt sterilisiert und in die Bewahrung gegeben (vgl. Geib et al. 1994: 279).
Die neue Ordnung der Wohlfahrtspolitik der NS-Ideologen konnte v. a. durch die Gründung der Freien Nationalsozialistischen Volkswohlfahrtsorganisation gelingen (vgl. Geib et al. 1994: 277).
Das Ziel der NSV war die Übernahme der Wohlfahrtsfürsorge für diejenigen, die als hochwertig und erbtauglich eingestuft waren (vgl. Kadauke-List 1989: 184). Dieses Ziel erreichte die NSV.
Die Organisation übernahm die Jugendwohlfahrt und Teile der Jugendfürsorge. Die HJ übernahm den Bereich der Jugendpflege (Jordan 1987, vgl. nach Geib et al. 1994: 279). Die Schwererziehbaren gerieten in die Obhut der Jugendämter. Damit sollte erreicht werden, dass Jugendämter und deren Arbeit als unbedeutend gelten sollte (vgl. Kadauke-List 1989: 183).
Die von der NSV eingerichteten Erziehungsberatungsstellen wurden genutzt, um nationalsozialistische Ziele umzusetzen wie beispielsweise Erbgesundheit. Diese Erziehungsberatungsstellen wurden von unausgebildeten NS-Sympathisanten geleitet (vgl. Geib et al. 1994: 279).
In die ab 1941 erbauten Jugendschutzlager kamen Kinder und Jugendliche die durch die Fürsorgemaßnahmen nicht mehr als resozialisierbar galten (Peukert 1982, zit. nach Geib et al. 1994: 284). „Diese Lager waren auf Erziehung durch Terror bei maximaler Ausbeutung der Arbeitskraft ausgerichtet“ (Geib et al. 1994: 284). Viele dieser Jugendlichen wurden in diesem Jugend-KZ ermordet (vgl. Geib et al. 1994: 284).
Bis 1943 hatte sich die NSV zu einem „Hilfs- und Kontrollsystem entwickelt“, (Geib et al. 1994: 278) mit einer Mitgliederzahl von 17 Millionen (vgl. Geib et al. 1994: 278).
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- Magdalena Sawitzki (Autor), 2020, Geschichte der Erziehungsberatung aus Sicht der Jugendhilfe, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/914355
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