In der ersten Planungsphase dieser Arbeit stand die Idee im Vordergrund, eine besiedlungschronologische Übersicht für das Oberbergische Land zu ermitteln und mit Hilfe dieser dann unter dem Titel „Kulturwandel im Oberbergischen Land“ eine qualifizierte Aussage über Entwicklungsprozesse und Kontinuität in der Region machen zu können. Der literarische Zustand, welcher von mir zunächst als unvollkommene Quellenlage zur regionalen Archäologie interpretiert wurde, musste nach genauer Überprüfung jedoch mit der allgemeinen und oft beklagten „Fundleere“ des Berglandes während bestimmter historischer Epochen begründet werden. So ist für das Paläolithikum bisher einzig die spätpaläolithische rückenretuschierte Pfeilspitze von Rattenberg in Hückeswagen bekannt. Ebenso ist nur eine einzige eisenzeitliche Fundstelle für das Oberbergische nachgewiesen.
Angesichts der mehr als dürftigen Fundlage einerseits, des vielschichtigen Begriffes „Kulturwandel“ andererseits, zu dessen Diskussion eine feingliedrige Bandbreite gut erschlossener und chronologisch weitgehend lückenloser Fundplätze gehört hätte, musste von der ursprünglichen Idee, eine Siedlungschronologie für das Oberbergische zu erarbeiten, ja eventuell sogar verlässliche Aussagen zu den Bereichen Ethnos und Kulturwandel machen zu können, Abstand genommen werden.
Doch so wenig ergiebig die Region in ihren archäologischen Funden und Befunden bislang immer noch ist, soviel scheint darüber von Heimatforschern geschrieben worden zu sein. So widmete ich die weiteren Untersuchungen der Frage, wie reichhaltig das „Nichts“ dokumentiert ist - die Ergebnisse sind in der vorliegenden Arbeit nachzulesen.
Inhalt
Einführung
Geologie
Forschungsgeschichte
Rezeption archäologischer Themen in der oberbergischen Heimatliteratur
Wissens- und Forschungsstand über die Epochen in der Heimatliteratur
Späte Altsteinzeit
Mittlere Steinzeit
Jungsteinzeit
Metallzeiten
Römerzeit
Frühmittelalter
Ringwallanlagen
Zur urkundlichen Erstnennung oberbergischer Ortsnamen
Fazit
Exkurs zum Umgang mit dem Kultbegriff
Literatur
Quellen
Einführung
Menschen hinterlassen Spuren.
Wenn diese Aussage richtig ist, dann gilt: Wo Menschen sind oder waren, da werden wir auf ihre Spuren stoßen. Und es gilt umgekehrt: Wo die Spuren fehlen, dort fehlt auch der Mensch.
Der Oberbergische Kreis mit seiner Kreisstadt Gummersbach ist einer der Landkreise des Bergischen Landes und wesentlich dünner besiedelt als etwa der Rheinisch-Bergische Kreis.
Das Bergische Land ist Teil des Rheinischen Schiefergebirges rechts des Rheins. Es erstreckt sich zwischen der Ruhr im Norden mit den heutigen Städten Duisburg und Essen und der Sieg im Süden und steigt von der Niederterrasse des Rheins nach Osten hin an, wo es vor allem im Südosten des Oberbergischen Landes Mittelgebirgscharakter hat. Im Osten des Oberbergischen Kreises schließt sich das Siegerland an.
Während die sandigen Rheinterrassen der Bergischen Tiefebene archäologisch in vieler Hinsicht aufschlussreich und mehr oder weniger gut erschlossen sind, gilt für die innerbergischen Höhenlagen, das Oberbergische, dasselbe nicht. Vielleicht ist es so zu erklären, dass die Berufsarchäologie die Region bislang sehr spärlich publiziert hat.
In der ersten Planungsphase dieses Buches stand daher die Idee im Vordergrund, eine besiedlungschronologische Übersicht für das Oberbergische Land zu ermitteln und mit Hilfe dieser dann unter dem Titel „Kulturwandel im Oberbergischen Land“ eine qualifizierte Aussage über Entwicklungsprozesse und Kontinuität in der Region machen zu können. Der literarische Zustand, welcher von mir zunächst als unvollkommene Quellenlage zur regionalen Archäologie interpretiert wurde, musste nach genauer Überprüfung jedoch mit der allgemeinen und oft beklagten „Fundleere“ des Berglandes während bestimmter historischer Epochen begründet werden.
Für das Paläolithikum (11.800 – 9.500 v. Chr.)[1] ist uns bisher einzig die spätpaläolithische rückenretuschierte Pfeilspitze von Rattenberg in Hückeswagen bekannt.[2]
Bei den Funden, die dem Mesolithikum und Neolithikum zuzuschreiben sind, handelt es sich vor allem um Beilklingen und einige Silex-Pfeilspitzen aus privaten Sammlungen, deren genaue Herkunft jedoch in vielen Fällen nicht rekonstruierbar ist. Zufällige Oberflächenfunde, eines Fundkontextes entbunden, sind de facto die einzigen Zeugen menschlicher Anwesenheit im Bergland der Steinzeit.
Die Suche nach Belegen für eine Besiedlung im Kreisgebiet während der Bronzezeit verlief bislang ergebnislos, so dass man für die Zeit zwischen ca. 2.000 – 750 v.Chr. nicht eine Fundstelle nachweisen kann.[3]
Eine einzige eisenzeitliche (ca. 750 v.Chr. – Zeitenwende) Fundstelle ist für das Oberbergische bekannt. Es handelt sich um den Siedlungsplatz Hoff bei Waldbröl, dem anhand von Keramik eine mehrphasige Besiedlung innerhalb der Eisenzeit nachgewiesen werden kann.[4]
Die vielfach diskutierte Frage, ob und in welchem Umfang die Region von den Römern aufgesucht wurde, kann weder positiv beantwortet werden, noch lässt sie sich letztendlich negieren. Es gibt allerdings Indizien, die gegen eine römische Anwesenheit um die Zeitenwende sprechen. Allem Anschein nach sind die vielfach als sehr alt beschriebenen Straßen und Höhenwege des Bergischen und Oberbergischen Landes, die demnach „Römerstraßen“ hätten sein können, nicht früher als im Mittelalter entstanden[5], auch wenn zum Teil selbst neueste Publikationen ein anderes Bild zeichnen wollen[6]. Wirkliche „römische“ Funde bleiben insbesondere in den Höhenlagen aus, und auch eine durch Namen wie Römershagen, Römerwiesen, Römerweg, Römerbach oder Römerlager suggerierte „römische“ Vergangenheit lässt sich nach genauerer Betrachtung der jeweiligen Objekte nicht verifizieren.
Angesichts der mehr als dürftigen Fundlage einerseits, des vielschichtigen Begriffes „Kulturwandel“ andererseits, zu dessen Diskussion eine feingliedrige Bandbreite gut erschlossener und chronologisch weitgehend lückenloser Fundplätze gehört hätte, musste von der ursprünglichen Idee, eine Siedlungschronologie für das Oberbergische zu erarbeiten, ja eventuell sogar verlässliche Aussagen zu den Bereichen Ethnos und Kulturwandel machen zu können, Abstand genommen werden.
Doch so wenig ergiebig die Region in ihren archäologischen Funden und Befunden bislang immer noch ist, soviel scheint darüber von Heimatforschern geschrieben worden zu sein. So widmete ich die weiteren Untersuchungen der Frage, wie sozusagen das „Nichts“ dokumentiert ist.
Oftmals kann die Situation des Oberbergischen Landes nicht losgelöst von der des Bergischen Landes betrachtet werden, weshalb auch wesentliche Befunde mitunter aus den Randgebieten des Bergischen Landes, so beispielsweise von der Iddelsfelder Hardt bei Köln oder der Wedau bei Duisburg zu nennen sind.
Dabei lassen sich „seriöse“ archäologische Beiträge zwar finden, stehen quantitativ aber weit hinter den sonstigen heimatkundlichen und „populärwissenschaftlichen“ Veröffentlichungen zurück. Es ergibt sich aus dieser Fülle unterschiedlichen Textmaterials ein derart undurchsichtiges Konglomerat aus Wissen, Halbwissen und Phantasie, dass eine differenzierte Betrachtung kaum noch möglich ist.
Im Folgenden soll also der Frage nachgegangen werden, wie die Geschichte und Archäologie des Oberbergischen Landes von volkstümlicher Seite bis heute verstanden, interpretiert und gewertet wurde. Es soll untersucht werden, wo sich „allgemeingültige Wahrheiten“ finden lassen, an welchen Stellen aber Fehlinterpretationen überliefert sind und sich ihrerseits als „Wahrheiten“ manifestieren. Gibt es also möglicherweise Thesen früherer Forscher, deren Richtigkeit zwar nie belegt wurde, die aber dennoch zu „Wahrheiten“ gemacht worden sind?
Wie stellt sich die Rezeption der oberbergischen Geschichte in der Heimatliteratur dar? Welche Aussagen sind nachprüfbar, welche Falschaussagen lassen sich als solche überführen? Und schließlich: Handelt es sich hierbei um „unbeabsichtigte“ oder „vorsätzliche“ Falschaussagen? Das heißt, wird oder wurde möglicherweise durch das „In-die-Welt–Setzen“ falscher oder nicht nachweisbarer Forschungsergebnisse – ob bewusst oder unbewusst – ein übergeordneter Zweck verfolgt?
Anders gesagt: Wünscht sich die Forschung oder wünschen sich einzelne Forscher für das Oberbergische Land eine Geschichte, die aber nicht beweisbar ist? Gibt es vielleicht gar eine Art „Abstammungstopos“ für die Berglandbewohner, wie wir ihn von einigen Germanischen Volksstämmen[7] kennen?
Oder sind gewisse Fehler in der Beschreibung der Heimatgeschichte einfach nur auf den Wunsch zurückzuführen, die Sachverhalte möglichst spannend und verständlich zu schildern, wie Ernst Branscheid 1937 andeutete[8] ?
Dabei kann die kritische Analyse der einschlägigen Beiträge zur oberbergischen Geschichte und Archäologie im Hinblick auf sachliche und wissenschaftliche Richtigkeit nur ein Teilaspekt der vorliegenden Untersuchung sein.
Vielmehr muss auch der geistige Rahmen betrachtet werden, in dem sie sich bewegen.
Eine ideologiekritische Anschauung der untersuchten heimatkundlichen Publikationen wird also notwendiger Bestandteil dieser Arbeit sein, bei der es darum gehen muss, den Zusammenhang von Kultur, Kulturschaffen und Kulturanalyse mit den sozailfunktionalen Ebenen der Gesellschaft zu untersuchen.
Ernst Branscheid urteilte 1937:
„Wo die Geschichte zu uns spricht, bedarf es keines verbrämenden Beiwerks, (-) da bedarf es nur des ehrfürchtig darstellenden Wort[e]s. Wo aber Sage und Überlieferung, das, was von Mund zu Mund geht, uns die Dinge malen, (-) was tut´s, wenn da [der] Verfasser die Feder ein bisschen in den Regenbogen tauchte und farbenfroh beschrieb, was manchem düster [er]schien.
Das geschah um der Alten Willen, um die es schon ein wenig dunkel wird, (-) und damit die Jungen das Büchlein nicht gleich in den Winkel stellen.“[9]
Geologie
Das Bergland der oberen Agger und Wiehl bildet den südöstlichsten und höchsten Teil des Bergischen Landes, das Oberbergische. Es ist Teil des Rheinischen Schiefergebirges.[10]
Geologisch herrschen Ablagerungen des Paläozoikums, des Erdaltertums vor und lassen eine breite, küstennahe Zone mit großräumigen Wattflächen erkennen[11].
In der Hauptsache sind die Ablagerungen des Oberbergischen Landes dem Devon zuzuschreiben, stammen also aus einer Zeit vor etwa 395 bis 345 Millionen Jahren.
Es handelt sich um meist mittel-devonische Tonschiefer, Grauwacken und Sandsteine. Hiervon bildet die Grauwacke die stärkste Gruppe.
Bei Wiehl und Ründeroth treten zudem auch mitteldevonische Kalke auf, meist Riffkalke, in denen mehrere große Tropfsteinhöhlen entdeckt wurden.
Der Kalkstein der fossilen Riffe wie etwa des Riffkörpers bei Bredenbruch an der Aggertalsperre wurde in den vergangenen Jahrhunderten mit der Baustoffgewinnung zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor im Oberbergischen Land, worauf heutige Ortsnamen wie Kalkofen bei Schloss Homburg, Kalkberg bei Waldbröl oder Kalkkuhl im Leppetal Hinweis geben[12].
Die tertiären tektonischen Vorgänge schoben die afrikanische Platte nach Norden, so dass sich in einer Zeit vor 60 bis 30 Millionen Jahren im Zuge der Alpenbildung auch das Rheinische Schiefergebirge in dessen weiterem Vorfeld aufschob. In die so entstandene Hochfläche haben fließende Gewässer tiefe, steilwandige Kerbtäler eingeschnitten und dem Oberbergischen das heute noch charakteristische Erscheinungsbild eines Mittelgebirges verliehen.
Von den oberbergischen Berglagen ist das nördlich der Agger gelegene Gummersbacher Bergland mit dem Unnenberg (506 m) der höchstgelegene Teil des ganzen Bergischen Landes.
Die nach Nordwesten gerichteten Wupper und die zunächst nach Süden fließende Agger mit ihren Nebenbächen haben das Bergland in Nord - Süd gerichtete Täler und Riedel zerschnitten. Auf diesen Nord - Süd - Rücken liegen die beiden einzigen Städte dieses Raumes, Gummersbach und Bergneustadt.
Das Wiehler Bergland, das sich süd-östlich anschließt, flacht nach Süden zur Sieg hin ab, wird aber trotzdem von der oberen Wiehl nach Westen entwässert.
Süd-westlich begrenzt der Nutscheidrücken das Wiehler Bergland, ein langgestreckter, West – Ost verlaufender Höhenzug.
Höhenlage und Exposition zu den vorherrschenden ozeanischen westlichen Luftmassen bedingen hohe Niederschläge zwischen 1100 und 1300 mm.
Die klimatischen Bedingungen zusammen mit der geologischen Situation verantworten die heute anstehenden Lössflächen und vor allem Verwitterungslehme, wobei zu sagen ist, dass allein im nördlichen Bergischen Dreieck zwischen Ratingen, Mettmann und Wülfrath größere für den Ackerbau hochwertige Lössinseln anzutreffen sind.
Die klimabedingt entstandenen und heute in den Hochlagen anzutreffenden Braunerden sind Nährboden für Eichen- und Buchenmischwälder.
In der Tiefebene herrscht aufgrund des früher oft hohen Grundwasserstandes ein hydromorpher Boden vor, auf dem der dem Auenwald ähnliche Eichen-Hainbuchen-Wald gedeiht[13].
Ein großer Teil der heutigen landwirtschaftlichen Nutzfläche wird als „Drieschland“ genutzt, wobei Acker - und Weidenutzung periodisch miteinander abwechseln.
Forschungsgeschichte
Das Bergische Land ist in sporadischer Regelmäßigkeit Gegenstand archäologischer Forschung und Betrachtungen. Inzwischen finden sich gut recherchierte und fachlich einwandfreie Arbeiten zu vielen Aspekten der Geschichte und Archäologie des Bergischen Landes. Oftmals wird darin die Sonderstellung des Oberbergischen im Bezug auf sein geringes archäologisches Fundmaterial expliziert. In der Tat ist zu konstatieren, dass sich die archäologische Forschung des Oberbergischen Landes vor allem aus den schon beschriebenen Gründen nach wie vor auf unsicherem Boden befindet und gegenüber der besser nachvollziehbaren Bergischen Archäologie im Rückstand befindet.
Wie auch Thomas Frank[14] anmerkt, war die archäologische Forschung im Bergischen Raum lange einseitig auf die oberirdischen Denkmäler der „Niederrheinischen Grabhügelkultur“ konzentriert.
1936 verfasste Werner Buttler einen kurzen Bericht[15], der für lange Zeit der einzige zusammenfassende und wissenschaftliche Beitrag zur Ur- und Frühgeschichte des Bergischen Landes blieb[16].
Es sei jedoch hier auch die „Chronik der Neustadt“ von 1937 erwähnt, in der Ernst Branscheid einen immerhin zwanzigseitigen Abriss der Geschichte des Bergischen Landes versucht, welcher von der Steinzeit bis in das Hochmittelalter reicht und erst mit der Stadtgründung Bergneustadts im Jahr 1301 endet[17]. Zwar weisen Branscheids Ausführungen einige immanente Fehleinschätzungen auf, worauf später noch hingewiesen werden soll und worauf bereits hingewiesen wurde, jedoch scheint sein Werk für einige spätere Autoren durchaus maßgeblich gewesen zu sein[18].
1954 erschien das lange einzigartige Katalogwerk von Arthur Marschall, Karl J. Narr und Rafael von Uslar[19], welches man auch heute noch als „Standardwerk“ bezeichnen kann. Die Autoren unternehmen hierin den erstmaligen Versuch, einen chronologischen Besiedlungsvorgang in der Region anhand der formenkundlichen Zugehörigkeit bergischer Funde zu rekonstruieren.
Sie gelangen zu beachtlichen Ergebnissen, denen vielfach (wenn auch nicht immer) heute – ein halbes Jahrhundert später – noch nicht widersprochen werden kann, und die wir deshalb als grundlegend für die Geschichte des Bergischen Landes ansehen müssen.
In den Kontext dieser Publikation gehört auch eine Arbeit K. J. Narrs von 1958, die „Ur- und Frühgeschichte des Bergischen Landes“[20], in welcher Narr nochmals einen gut strukturierten chronologischen Überblick über die (nicht schriftführende) Bergische Geschichte gibt, der aber gegenüber dem 1954 erschienenen Werk ohne Quellenangaben und ohne Fundanalysen auskommen muss.
Bereits 1956 versuchte Heinrich Dittmaier, anhand von Namensendungen die Siedlungsgeschichte des Bergischen Landes zu rekonstruieren[21]. Obwohl seine Betrachtungen bezüglich der erkennbaren fränkischen und sächsischen Ursprünge in bergischen Siedlungsnamen auch heute noch weitgehend unstrittig sind, stoßen seine hierauf begründeten sehr frühen Datierungen der Siedlungen nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. Auf die Probleme seiner Darstellung ist im Folgenden noch einzugehen.
Für die jüngere Forschung sind vor allem M. Gechter, H.E. Joachim und T. Frank zu nennen. Letzterer versuchte 1993[22] (Diss., mit Veröffentlichung 1998) einen zusammenfassenden Überblick der neolithischen Funde des Bergischen Landes. Obwohl es sich bei der von ihm untersuchten Fläche leider nur um ein Transsekt handelte, bietet seine Arbeit ein gutes Bild neolithischer „Siedlungsspuren“.
Insbesondere die historische Erforschung des Oberbergischen Landes stand lange im Schatten der Untersuchungen zu den Grafschaften Mark und Berg, und selbst heute noch findet der interessierte Leser beim Durchstöbern der heimatkundlichen Abteilungen der regionalen Bibliotheken und betitelt als („die“) „Geschichte des Oberbergischen Landes“ in der weit überwiegenden Mehrzahl Beiträge zum Leben der Adelsfamilien[23] sowie über Archäologie, Architektur und Bauabschnitte von Schloss Homburg bei Nümbrecht und Schloss Burg bei Wermelskirchen. Erst die Ausdehnung der Recherche einerseits auf den Oberbegriff „Rheinland“, andererseits auf die oben schon genannten „populärwissenschaftlichen“ Werke macht eine
sinnvolle Literatur- und Quellenanalyse überhaupt erst möglich.
Daran aber lässt sich auch ablesen, dass die so gefundenen Beiträge in vielen Fällen das Bergische oder Oberbergische Land nur am Rande betrachten, mithin immer wieder nur grobgerasterte Auskünfte liefern können, oder dass sie schlicht falsche Informationen vermitteln, die auf eine zu fahrlässige Recherche der Autoren zurückzuführen sind.
Es seien, verallgemeinernd, auch die Veröffentlichungen der oberbergischen Abteilung des Bergischen Geschichtsvereins genannt, die „Beiträge zur Oberbergischen Geschichte“, die bis zum derzeit aktuellen Band 7 (2000) in dieser Arbeit Berücksichtigung fanden. Hier finden sich immer wieder auch Arbeiten zum Erscheinungsbild der Region im Zeitraum zwischen der frühen Steinzeit und dem Hochmittelalter, wenn auch in unterschiedlicher Qualität.
Hervorzuheben ist insbesondere die Arbeit des 1994 verstorbenen Oberstudienrates und Rheinlandtaler-Trägers von 1977, Oskar Osberghaus, der sich bereits in den frühen sechziger Jahren mit dem Siedlungsgeschehen auf Bergischem Boden beschäftigt hat[24], und der 1986 umfangreiche Betrachtungen zur Besiedlung des Südbergischen angestellt hat[25], welche im ersten Band der Reihe – herausgegeben anlässlich des 75. Geburtstags Osberghaus´ - publiziert wurden.
Osberghaus, mit den Worten des Landrates Wichelhaus und Oberkreisdirektors Dr. Fuchs einer der „Nestoren der oberbergischen Geschichtsforschung“ und „gründlicher Wissenschaftler“[26], legt damit eine Arbeit vor, die in erstaunlicher Weise eigene Thesen mit bereits erschienenen Publikationen zu belegen sucht, dabei jedoch den betreffenden Autoren Äußerungen zuschreibt, die an den angegebenen Stellen nicht zu finden sind[27]. „Das Südbergische in vor- und frühgeschichtlicher Zeit“ wird so zu einem Beitrag, in dem sich Osberghaus´ unbestrittene Sachkenntnis besonders der nachchristlichen Jahrhunderte mit dem etwas unglücklichen Umgang mit den Epochen vor der Zeitenwende abwechseln.
Allerdings muss angemerkt werden, dass, wie vorher bereits erwähnt, sich offenbar nicht alle Arbeitsmethoden mit historischen Sachverhalten zu archäologischen Disziplinen streng kongruent verhalten. Osberghaus´ Ausführungen[28] etwa den „Mauspfad“ betreffend, welche seine Arbeit von 1986 in wesentlichen Zügen stützen, sind nicht eben unstrittig. Die Datierung des „Mauspfades“ in die Eisenzeit anhand der von Osberhaus sogenannten „Mauspfadnekropole“ kann durchaus kontrovers diskutiert werden und es stellt sich die Frage, ob seine Entstehung nicht vielmehr dem Herzogtum Berg zu verdanken ist, welches ihn als Parallelweg zu einer Trasse auf der linken Rheinseite anlegte, die geographisch dem Erzbistum Köln zufiel. Da aber der Datierung der entdeckten Gräber (wenn auch ihre Anzahl mit 12.000 Einzelgräbern nicht zwingend in derartiger Höhe beziffert werden muss!) in der Nähe des „Mauspfades“ in die Urnenfelderzeit nicht schlüssig widersprochen werden kann, bleibt die Frage nach einem Sinnzusammenhang zwischen Mauspfad und Gräbern zu diskutieren.
Überhaupt sind Alter und Bedeutung der Straßen und Wege im Bergischen Land oft als sehr alt beschrieben worden[29], und es soll im folgenden geklärt werden, ob es für diese Behauptungen Grundlagen oder Beweise gibt.
Die jüngere Forschung unternimmt heute den Versuch, ohne die für viele Zeitabschnitte leider immer noch fehlenden Funde dennoch treffliche Aussagen über besiedlungschronologische und –kontinuierliche Fragen die Region betreffend zu machen.
Die verstärkte Miteinbeziehung naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden könnten in der nächsten Zeit zu vielversprechenden Ergebnissen in der „Archäobotanik“ führen. Hierbei könnten sich dendrochronologische, vor allem aber pollenanalytische Untersuchungen als recht hilfreich erweisen. Auf diese Weise sollte es möglich sein, zumindest relative Vorkommenshäufigkeiten festzustellen und Aussagen über das Aufkommen von Nutz- und Ackerpflanzen sowie Bewaldung und Abholzung zu machen.
Bezüglich der Vorstöße, die auf das Alter und die Struktur des Bergischen und oberbergischen Verkehrswesens eingehen möchten, ist aktuell ein Disput entstanden.
Auf der einen Seite findet sich eine Fraktion von Heimatforschern, die den Bergischen und oberbergischen Straßen ein verhältnismäßig hohes Alter zuschreiben möchte, nennenswert sind vor allem der Mauspfad, dessen späteste Entstehung Osberghaus[30] in die Eisenzeit verlegt, die Nutscheidstraße, deren Bestehen von L. Wirths[31] für die römische Kaiserzeit zumindest als wahrscheinlich angenommen wird, oder die Brüderstraße, die zuletzt in der festen Überzeugung von H. Nicke[32] um 500 v.Chr. zu datieren sei.
Demgegenüber finden sich Publikationen vor allem von M.Gechter[33], aber zum Beispiel auch von M. Berges[34], die die Entstehung zumindest der oberbergischen Straßen als mittelalterliches Phänomen sehen möchten. Interessanterweise tritt hier wiederum Oskar Osberghaus in Erscheinung, welcher ebenfalls einräumt, dass keine der oberbergischen Straßen älter als mittelalterlich sein könnte.
Rezeption archäologischer Themen in der oberbergischen Heimatliteratur
Eine Unterscheidung zwischen der berufsmäßigen Forschung von Archäologen und Historikern auf der einen Seite und der an dieser Stelle als „Freizeitforschung“ eingeführten Hobbyarchäologie ist ebenso notwendig wie auf der Hand liegend. Es ist offenbar und bedarf keiner umfangreichen Ausführungen, dass beide Felder zwangsläufig auf unterschiedliche Ergebnisse von unterschiedlichem qualitativen Niveau stoßen müssen, insofern sie in Methodik und Zielsetzung bereits unterschiedliche Ergebnisse anstreben. Wie es scheint, sucht die Freizeitforschung tendenziell, die heimischen Sagen und Mythen und die angesprochenen zu beweisen, jedoch ohne sie mit der nötigen Vorsicht zu betrachten, die aufgrund von überregionalen – nationalen, internationalen - archäologischen Erfahrungen immanent geworden ist. Spektakuläre und publikumswirksame Ergebnisse stehen dabei nicht am Ende eines im Wortsinn unprofessionellen Forschungsunternehmens, sondern am Beginn, werden thetisiert und sodann zu beweisen versucht.
Demgegenüber sollte also die Berufsforschung sich zur Aufgabe machen, auf Indizien zu reagieren. Funde und Befunde können in vielen Fällen ein immerhin einigermaßen sicheres Fundament für wissenschaftliche Aussagen bieten, machen die Ergebnisse also transparent und nachprüfbar.
Es stellt sich also auch die Frage danach, welche wissenschaftliche Stringenz von Publikationen aus den verschiedenen „Forschungsfeldern“ überhaupt zu erwarten ist, und dass hierbei qualitative Unterschiede auftreten, sollte nicht weiter verwunderlich sein und kann nicht allein Zielsetzung der vorliegenden Arbeit sein.
Vielmehr ist doch interessant zu erfahren, warum die von Hobbyforschern und Berufsarchäologen gemachten Aussagen mitunter so stark differieren, dass der Leser annehmen möchte, es seien völlig unterschiedliche Forschungsgegenstände zum Inhalt der Arbeiten gemacht worden.
Wenn aber, wie oben verdeutlicht, für die Gruppe der Freizeitforscher die Publikumswirksamkeit ihrer Veröffentlichungen ungleich mehr Bedeutung innehat als für die Berufsarchäologie, deren wissenschaftliche Reputation allzu leichtfertige Behauptungen schon von ihrer Definition her ausschließt, dann sollte es doch hilfreich sein, einen Blick auf eben dieses Publikum zu werfen. Das Publikum, der öffentliche Erfolg ist letztlich das entscheidende Maß für den Hobbyforscher, nicht seine wissenschaftliche Reputation.
Wenn wir den Leser als Spiegel des Publizisten bezeichnen wollen, dann wird sich wie bei einem wirklichen Spiegel das projizierte Bild mit dem Original verändern.
Und auch der Publizist spiegelt sein Publikum wider. In dem Maße, in dem sich eine öffentliche Meinung zu einem bestimmten Sachverhalt durchsetzt, wird sich auch gleichlautendes Schrifttum hierzu finden lassen.
Schließlich aber ändert sich eine öffentliche Meinung in den allermeisten Fällen nicht abrupt, sondern unterliegt dem ständigen Wandel. Auch kann sie niemals isoliert betrachtet werden.
Ganz allgemein gesprochen, also nicht explizit archäologische Themen fokussierend, kann man sagen, dass sie vielfältigen Strömungen und Umständen unterworfen ist. Dies sind gleichermaßen politische, gesellschaftliche, soziale Faktoren.
Das alles lässt die (nicht berufsmäßige) Heimatforschung zugegebenermaßen zunächst in einem nicht sehr guten Licht erscheinen. Dabei hat sie gegenüber der Berufsarchäologie immerhin auch entschiedene Vorteile. Denn auch wenn sie sich selbst in Ihrer „Freiheit der Forschung“ beschneidet, indem sie sich in die Abhängigkeit von ihrem Publikum begibt, so gilt im Umkehrschluss, dass ihre Publikumsnähe von der Berufsarchäologie nicht erreicht werden kann, die sich in ihrem Selbstverständnis nicht vornehmlich dem Publikum, sondern der Wissenschaft verschrieben hat. Es scheint ausdrücklich die Hobbyforschung zu sein, die historische und archäologische Themen ins öffentliche Interesse und Bewusstsein rückt.
Es sei an dieser Stelle daher ausdrücklich angemerkt, dass die benutzten Begriffe wie „halbwissenschaftlich“, „populärwissenschaftlich“, „Hobbyforscher“ und derlei mehr niemanden persönlich oder in seinen Forschungen angreifen wollen, sondern lediglich zur Unterscheidung von Berufsarchäologen und Freizeitforschern dienen.
Letztlich verdankt die Geschichts- und archäologische Forschung im Bergischen und Oberbergischen Land auch und vielleicht gerade denjenigen eine Menge neuer Impulse und Lösungsvorschläge archäologischer Probleme abseits der ausgetretenen wissenschaftlichen Pfade, die in ihrer Freizeit dazu bereit sind, einen Blick in die Vergangenheit zu versuchen.
In alledem verdeutlicht sich, dass zwar eine „Prädikatierung“ der einzelnen Veröffentlichungen im Hinblick auf ihre wissenschaftliche Stringenz erfolgen muss, dies aber nicht der letzte Schritt einer Bestandaufnahme sein kann. Vielmehr führt dies zu einer weiteren Unterscheidungsebene, die die Heimatliteratur, aber auch wissenschaftliche Publikationen passieren müssen, nämlich diejenige, nach der zu beurteilen ist, inwiefern das Publikum oder die Öffentlichkeit Impulsgeber für die einzelne Arbeit war.
Mit anderen Worten liegen die Unterschiede nicht nur im „Innern“ einer Publikation, messbar an ihrem wissenschaftlichen Standard, sondern auch „außen“, das heißt der Frage folgend, wie der zu erwartenden Leserschaft Rechnung getragen wurde, ja welche Meinungsströmungen im Veröffentlichungsjahr überhaupt vorlagen, letztlich mit welchen Erwartungen die Veröffentlichung gelesen wurde.
Um Rechenschaft gegenüber diesem Unterschied wahrzunehmen, ist es also unumgänglich, hier den Begriff der „Ideologiekritik“ einzuführen.
Sobald das Wort „Ideologie“ fällt, entsteht beinahe zwangsläufig die Konfrontation mit der im nationalsozialistischen Deutschland verbreiteten Irrlehre von „Rassenreinheit“ und dem damit verbundenen Glauben an eine im Wortsinn primitive Abstammungsreihe der Völker.
Und in der Tat finden sich genügend heimatkundliche Werke aus der Zeit des Nationalsozialismus und davor, die solchem Gedankengut Tribut zollen.
Ich möchte an dieser Stelle jedoch noch einen Schritt weiter gehen.
Die Ideologie des Dritten Reiches kritisch zu betrachten, ist aus heutiger Sicht nicht mehr eine solch intellektuelle Herausforderung wie in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren. Es muss jedoch ausdrücklich gesagt werden, dass es nicht nur im Nationalsozialismus Ideologien gab, denen eine breite Masse des Volkes „anhingen“, sondern dass die Menschen selbst heute wie in jeder anderen Zeit Ideologien folgen, welche zu sondieren ungleich schwieriger sein dürfte, je aktueller der betrachtete Zeitpunkt ist.
Die Legitimation für das Vorhandensein von Ideologien in welcher Gesellschaftsstruktur auch immer bezieht sich vereinfacht aus der Tatsache, dass eine Gesellschaft, die mehr ist als ein loser und zufälliger Verbund einzelner Individuen, als eqno V[35] betrachtet werden muss, als existent, insofern seine Entstehung, seine genesiV zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt ist („Ethnogenese“).
Ethnos ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten])[36]: (v. [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]: zusammengewöhnte oder zusammenwohnende Menge?)
1. Schar, Haufe [...] , 2. Geschlecht, Volk, Volksstamm, Menschenklasse; NT[37] : Heiden[38]
Genesis ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]): 1. Ursprung, Erzeugung, Entstehung [...], 2. Entstandenes, [...] Geschlecht
Das Kompositum Ethno - genese in seinem urprünglichen Sinn beschreibt also zunächst einmal nichts weiter als die Entstehung bzw. das Entstandensein eines „Ethnos“, einer irgendwie erkennbaren Einheit oder Gruppierung von Menschen.
Dies für sich betrachtet stellt noch kein Problem dar, da eine solch weitgefasste Definition von „Ethnos“ dem frühmittelalterlichen Individuum bei gleichzeitiger Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppierung größtmögliche Gesinnungs- und Handlungsfreiheit zugesteht. Die Selbstidentifikation des Individuums mit dieser Gruppierung wäre dann zwar unproblematisch, gleichzeitig aber praktisch ohne Wert, da diese Zugehörigkeit ja nur noch auf einer faktischen Beobachtung beruht.
Wäre „Ethnos“ nichts weiter als zum Beispiel die Schar derer, die sich - von irgendwo kommend - jetzt vor der Grenze des Römischen Reiches eingefunden haben, dann stimmte die Einschätzung des historischen Beobachters (von außen) mit dem Empfinden des Individuums (von innen) überein. Es existierte ein Ethnos, also hätte eine Ethnogenese stattgefunden.
Das Beispiel soll zeigen, dass eine derart weitgefasste Einstufung von „Ethnos“ methodisch und wissenschaftlich unbrauchbar ist.
„Ethnos“ ist in diesem Sinne also tatsächlich etwa mit „Volk“ zu übersetzen, eine „Ethnogenese“ also hat nur dann wirklich stattgefunden, wenn die Kriterien für das Bestehen eines „Volkes“ erfüllt sind.
Es bedarf also einer Klärung des Begriffes „Volk“.
Dieter Geuenich hat für seine „Geschichte der Alemannen“ den Begriff bei Brockhaus nachgeschlagen.
Volk[39] 1. ethnisch-spezifische Einheit einer Gruppe im Sinne von „Ethnie“ , 2. Gruppe von Menschen, die sich als ideelle Einheit, d.h. als eine durch gemeinsame Herkunft, Geschichte, Kultur und Sprache, zum Teil auch durch Religion verbundene Einheit begreift.
Die Eingangs bereits beschriebene Vorstellung, dass ein Volk in seiner Entfaltung und Ausbreitung aus einem einzelnen „Keim“ hervorgegangen sei, wurde in der Tat erst 1961 mit Reinhard Wenskus[40] vollends aufgegeben. Walter Pohl[41] macht deutlich, dass das Modell des Stammbaumes, nach dem alle Völker aus der Teilung älterer Völker hervorgegangen seien, nicht mehr ist als ein Mythos.
Vielmehr enstanden viele Völker aus ethnischer Vermischung, aus Spaltung und Neuzusammensetzung. Polyethnie ethnischer Verbände war nach Wenskus eher die Regel. Ethnische Zugehörigkeit konnte und kann auch heute noch wechseln, ist demnach eher traditionell denn angeboren. So spricht denn auch bereits H. Munro Chadwick 1912 von relativ kleinen „Traditionskernen“[42], die große Verbände von der Gültigkeit ihrer Überlieferung überzeugen konnten.
Festgehalten werden muss also, dass das „Volk“, wie oben gezeigt, mehr Verbindlichkeit besitzen muss als ein loser Verband „einzelgängerischer Individuen“.
Die Qualitäten eines „Volkes“ erstrecken sich darüber hinaus im Sinne des Brockhaus auf eine gemeinsame Kultur und eine gemeinsame Sprache. Gemeinsame Herkunft und Geschichte eines Volkes werden mittels der oben beschriebenen Traditionsträger bewahrt. Das Volk begreift sich in der Tat selbst als ideelle Einheit. Hinzuzufügen ist noch, dass diese Einheit sich nach außen geschlossen und nach innen einmütig im Sinne der oben genannten Kriterien zeigt.
Ist das Volk eine ideelle Einheit, so besitzt es schon nach seiner wörtlichen Transkription eine Ideologie. Diese aber begründet sich wie bereits gesagt in Sprache und Kultur. Damit aber ist das Vorhandensein sogar einer „Ideologienchronologie“ nachgewiesen:
Die Verwirklichung, die Aneignung von Kultur muss als offener Prozess verstanden werden. Demgegenüber ist auszuschließen, dass Kultur einem gegebenen kulturellen Lebenszusammenhang entspräche, etwas „Einheitliches, Ganzes sei, das von [...] immer identischen Sinnbezügen reguliert würde“[43].
„Sinn“ und „Sinnverflechtung“ als bedeutende kultursoziologische Kategorien haben dementsprechend entscheidende Bedeutung für die Deutung einer Kulturkomplexität: Lipp sieht Kultur in erster Linie als „Verflechtungszusammenhang“, als „ausstrahlende sinnradiative Kraft“[44], deren Aufgabe es ist, funktional und sachlich divergierende Teilkomplexe des allgemeinen Lebens zu einer sinnhaften gegenseitigen Überlagerung zu führen. Scheinbar sich ausschließende Elemente, wie Religion und Wirtschaft oder Fremde und Einheimische, gehen so in Reaktion zueinander, werden mit Hilfe von Kultur also „vermittelt“.
Kultur wirkt grundsätzlich auf allen sozialfunktionalen Ebenen, zu nennen sind mit Lipp etwa die Bereiche Religion, Wirtschaft, Herrschaft, Familie, Hilfsgemeinschaft und Bürokratie[45].
Damit wird deutlich, dass nicht nur Autor und Leserschaft in eine aktive, sozusagen „automatisierte“ Wechselbeziehung treten, sondern dass auch der Autor für sich betrachtet ein Teil des ideologiegebundenen Verbundes ist, insofern nicht als Individuum zu betrachten ist, sondern eben als Publizist seines zeitgenössischen Kulturverständnisses gesehen werden muss. Und das erklärt letztlich den zuvor herausgestellten Unterschied zwischen Hobby- und Berufsforschung, da der Wissenschaftler als Mensch zwar einerseits den genannten sozialfunktionalen Einflüssen genauso unterliegt wie der Freizeitforscher, die Wissenschaft aber über einen Fundus von Methodik und Didaktik verfügt, welcher sie bei seiner sorgfältigen Anwendung vor ideologisch begründeten Einschätzungen mehr oder weniger bewahrt, wenn er diese auch nicht vollständig kompensieren kann.
Die Begriffe „Forscher“ und „Autoren“ wurden gleichberechtigt auf alle Verfasser der in dieser Arbeit berücksichtigten Veröffentlichungen angewandt, unabhängig davon, inwieweit diese Publikationen „richtig“ oder nützlich im Hinblick auf Methode und Sachlichkeit erscheinen.
Das folgende, der Anschaulichkeit dienende Beispiel soll also in keiner Weise die „Ehrenhaftigkeit“ der Versuche einzelner Heimatforscher infrage stellen, vor allem im Bereich der Bodendenkmäler auf Forschungsmissstände aufmerksam zu machen. Was in vielen Fällen gelingt, resultiert aber leider in einigen Beispielen aus einem „Fauxpas“ oder dem Wunsch nach einer illustreren Bergischen Vergangenheit, als sie sich uns in Wirklichkeit darstellt.
Wurde ein schlichter Erdhügel erst einmal als Ringabschnittswall angesprochen, wird er für bestimmte Kreise automatisch zum „Bodendenkmal“, auch wenn es möglicherweise nachfolgenden Untersuchungen gelingen konnte, diese Fehldeutung zu korrigieren. Das vermeindliche „Ringwallfragment“ wird zur „Burgruine“, die Burgruine zur Pilgerstätte von Hobbywissenschaftlern und sogar Schulklassen, deren Lehrer die Falschinformation nach bestem Wissen und Gewissen weitervermitteln und auf diese Weise vervielfältigen.
Selbst wenn der Wall tatsächlich einer historischen Befestigungsanlage zugehörig war, so scheint man dahin zu tendieren, diese für wesentlich älter zu halten als sie ist (zum Beispiel die als „Römerlager“ bezeichnete Wallanlage im Bereich der heutigen Aggertalsperre in Gummersbach).
Möglicherweise hat die Begründung hierfür den gleichen sozialen Gedanken zum Ursprung wie der Erbfolgegedanke vergangener Kulturen, gedacht ist hier etwa an die Traditionsidee der alten Ägypter oder auch der Adelsfamilien des 17. Und 18. Jahrhunderts, nach der das gesellschaftliche Ansehen der Dynastie umso höher ist, je länger die Vater-Sohn-Folge nachweislich eingehalten wurde, auch wenn der heutige „Oberberger“ sich in den meisten Fällen natürlich nicht als leiblicher Nachkomme einer antiken Römerfamilie sehen wird.
[...]
[1] Datierung lt. Museumsführer Homburg, 1999, S.78
[2] J. Gechter-Jones in: Museumsführer Homburg, 1999, S.78
[3] J. Gechter-Jones in: Museumsführer Homburg, 1999, S.86
[4] J. Gechter-Jones in: Museumsführer Homburg, 1999, S.86
[5] hierzu u.a.: Gechter, Verkehr, 2001; Berges, 1993, S.24:“...[es ist richtig,] dass es weder römische Straßen, noch römische Militärlager, noch römische Siedlungen im Bergland [...] gab.“
[6] Nicke, 2000, vor allem S.209 ff., möchte die Brüderstraße spätestens seit der Eisenzeit belegt sehen, schließt aber auch nicht völlig aus, dass dieselbe schon in der Römerzeit existent war; die Anmerkung Nickes von S.52 sei aufgrund mangelnden Begreifens seitens des Verfassers vorliegender Arbeit hier nur kommentarlos wiedergegeben: „Schon aufgrund dieser überzeugenden Trassenführung [...] muss man auf ein sehr hohes Alter der Brüderstraße schließen. Denn (hierzu) gehörte nicht nur eine jahrhundertealte Kenntnis der Landschaft, sondern auch eine ebensolange Erfahrung mit ihr.“
[7] zum Beispiel erscheint selbst in neueren Publikationen immer wieder ein Bild der Goten, die aus Skandinavien eingewandert wären, obwohl es sich hierbei in der Tat um einen Topos – ein Idealbild also – handelt. Der Beweis läßt sich im Wesentlichen über die gotischen Fundplätze in Skandinavien antreten, die jünger sind als diejenigen im Bereich der heute Polnischen Ostseeküste. Dabei hätte eine gotische Einwanderung aus Skandinavien höchstens in der Zeit zwischen 340 v.Chr. und 5 / 6 n.Chr. stattfinden können:
Pytheas von Massalia (=Marseille) unternahm im vierten vorchristlichen Jahrhundert eine Seereise, bei der er über Großbritannien nach Skandinavien und von dort an die festländische Ostseeküste gelangte. Dort begegnen ihm um 340 v.Chr. die Lygier (oder Lugi), jedenfalls keine Goten, während wir aber bei Tacitus erfahren, dass die GoutwneV nördlich der Lugier ansässig waren.
Bevor auch Plinius d.Ä. und Ptolemaios von den Goten berichten, bietet der griechische Geschichtsschreiber Strabo den terminus ante quem für eine mögliche gotische Übersiedlung, der um 5 / 6 n.Chr. bereits festländische Goten kennt. Vgl. hierzu: Bierbrauer, Volker, Die Goten v.1. - 7. Jh. n. Chr., in: Straume/Skar (Hg.), Petegrinatio Gothica III, Oslo 1992
[8] Branscheid, 1937, S.9.
[9] Branscheid, 1937, S.9
[10] Grabert, 1980, S.2
[11] Schüttler, Adolf, in: Schmitthüsen/Meynen 1953-62, Band 1, S. 523 ff.
[12] Schüttler, Adolf, in: Schmitthüsen/Meynen 1953-62, Band 1, S. 523
[13] Schüttler, Adolf, in: Schmitthüsen/Meynen 1953-62, Band 1, S. 524
[14] Thomas Frank, Die neolithische Besiedlung zwischen der Köln-Bonner Rheinebene und den Bergischen Hochflächen, in: Archäologische Berichte 10, Bonn 1998 (Diss. Köln 1993)
[15] Buttler, W., Vor- und Frühgeschichte des Bergischen Landes. Rheinische Blätter 13/3 1936, 163-170
[16] vgl. auch: Frank 1998, S.77
[17] Branscheid, 1937, S.11 - 31
[18] vgl. hierzu z.B. Gerhard, 1953, besonders im Kapitel „Aus der Vorzeit“, S.1 ff.
[19] A. Marschall/K.J. Narr/R.v. Uslar, Die vor- u. frühgeschichtliche Besiedlung des Bergischen Landes, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins, Bd. 73, 1954
[20] Narr, 1958
[21] Dittmaier, 1956
[22] Frank, 1998
[23] z.B. Franz Gruß, Geschichte des Bergischen Landes, Leverkusen, 1994
Hansjörg Laute, 1989
[24] O.Osberghaus, 1962
[25] Oskar Osberghaus, Das Südbergische in vor- und frühgeschichtlicher Zeit - Kelten als Träger eisenzeitlicher Kolonialisation, in: Beiträge zur Oberbergischen Geschichte, Gummersbach 1986
[26] Wichelhaus / Fuchs, in: „Beiträge zur Oberbergischen Geschichte“, 1986, Grußwort
[27] So schreibt Osberghaus z.B. K.J.Narr die These zu, dass die „Mauspfadbestattungen“ in ununterbrochener Abfolge über 20 Generationen erfolgt seien, Narr selbst deutet an zitierter Stelle jedoch im Gegenteil ausdrücklich an, dass eine ununterbrochene Abfolge der Bestattungen eher fraglich seien.
[28] O. Osberghaus, das Südbergische, 1986
[29] vgl. hier z.B. Berges, 1993, S.24
[30] O. Osberghaus, das Südbergische, 1986
[31] L.Wirths, Nutscheidstraße, 2000, S.85
[32] H. Nicke, 2000
[33] vgl. u.a. M.Gechter, Verkehr, jedoch auch div. Andere Publikationen des gleichen Autors
[34] Berges, 1993, S.24
[35] Die folgenden Ausführungen zur Erklärung der Verflechtung von „Ethnogenese“ und „Kultur“ sind vom Autor der vorliegenden Arbeit sinngemäß zum Teil bereits in zwei Hausarbeiten mit den Titeln „Ethnos und Ethnogenese“ beziehungsweise „Kultur und Kulturwandel“ (beide unveröffentlicht) dem Institut für Vor- und Frühgeschichte an der Universität zu Bonn vorgelegt worden. Die Verknüpfung der beiden Begriffe lag jedoch bislang nicht vor, so dass die erneute Aufnahme der Argumentationsführung an dieser Stelle erforderlich wurde.
[36] W. Gemoll, Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch, München 1908, 9.Auflage 1965, Nachdruck 1991
[37] NT: Neues Testament
[38] Dieser eindeutig aus dem christlichen Kontext stammende Begriff ist ebenfalls im Sinne der Beschreibung der nichtchristlichen „Völker“ zu verstehen, bietet also insofern keinen neuen Impuls und kann für die Erklärung des Kompositums „Ethnogenese“ vernachlässigt werden.
[39] Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden, Bd. 23, Mannheim 1994 aus: D. Geuenich, Geschichte der Alemannen, Stuttgart/Berlin/Köln, 1997, S.10
[40] R. Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, 1961, 2.Auflage Köln/Graz 1977
[41] W. Pohl, Tradition, Ethnogenese und literarische Gestaltung: Eine Zwischenbilanz, in: Ethnogenese und Überlieferung, Wien 1994
[42] H. Munro Chadwick, The heroic Age, Cambridge 1912, „kernel of tradition“
[43] Wolfgang Lipp, Kulturtypen, Kulturcharaktere: zur Einführung, in: Schriften zur Kultursoziologie, Bd.7: Wolfgang Lipp (Hg.), Kulturtypen, Kulturcharaktere: Träger, Mittler und Stifter von Kultur, 9-22, Berlin 1987
[44] Wolfgang Lipp, Kulturtypen, 1987
[45] Wolfgang Lipp, Kulturtypen, 1987
- Quote paper
- M.A. Andreas Galk (Author), 2002, Die Rezeption der oberbergischen Geschichte und Archäologie in der Heimatliteratur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91372
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