Einleitend ist zu erwähnen, dass sich Friedrich Nietzsche in der Mitte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts dazu entschließt sein Hauptwerk zu verfassen. Dieses Hauptwerk sollte ursprünglich den Titel »Der Wille zur Macht. Versuch einer Umwerthung aller Werthe« tragen. Der Grundgedanke bestand darin, aufzuzeigen, dass der Wille zur Macht, verstanden als Grundprinzip des Lebens, das Motiv bildet für die Revision aller Moralvorstellungen, eben die »Umwertung aller Werte«. Die Vorarbeiten zum »Willen zur Macht« finden teilweise schon in seinen früheren Werken Eingang. Unter anderem weist Nietzsche 1887 in der »Genealogie der Moral« nach, dass moralische Werte keine zeitlosen, universalen Wahrheiten, sondern vielmehr durch etwaige historische Umstände bedingt sind. Im Herbst des Jahres 1888 vollendet Nietzsche seine Umwertung aller Werte mit dem Titel »Der Antichrist. Fluch auf das Christentum«. Dieses Werk sollte eigentlich den ersten Band eines vierbändigen Hauptwerkes bilden, doch nach der Fertigstellung des Textes befand Nietzsche, dass er mit seinem Projekt »Der Wille zur Macht« bereits am Ende angekommen war. Mit anderen Worten, die ganze Umwertung wurde bereits im »Antichrist« vollzogen.
Inhaltsverzeichnis
1 Die Intention des »Antichrist«
2 Die Frage nach der Wahrheit
3 Die Frage nach den Überzeugungen
4 Die Frage nach dem Skeptiker
5 Das Politischwerden der Philosophie
Literaturverzeichnis
1. Die Intention des »Antichrist«
Einleitend ist zu erwähnen, dass sich Friedrich Nietzsche in der Mitte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts dazu entschließt sein Hauptwerk zu verfassen. Dieses Hauptwerk sollte ursprünglich den Titel »Der Wille zur Macht. Versuch einer Umwerthung aller Werthe« tragen. Der Grundgedanke bestand darin, aufzuzeigen, dass der Wille zur Macht, verstanden als Grundprinzip des Lebens, das Motiv bildet für die Revision aller Moralvorstellungen, eben die »Umwertung aller Werte«. Die Vorarbeiten zum »Willen zur Macht« finden teilweise schon in seinen früheren Werken Eingang. Unter anderem weist Nietzsche 1887 in der »Genealogie der Moral« nach, dass moralische Werte keine zeitlosen, universalen Wahrheiten, sondern vielmehr durch etwaige historische Umstände bedingt sind. Im Herbst des Jahres 1888 vollendet Nietzsche seine Umwertung aller Werte mit dem Titel »Der Antichrist. Fluch auf das Christentum«. Dieses Werk sollte eigentlich den ersten Band eines vierbändigen Hauptwerkes bilden, doch nach der Fertigstellung des Textes befand Nietzsche, dass er mit seinem Projekt »Der Wille zur Macht« bereits am Ende angekommen war. Mit anderen Worten, die ganze Umwertung wurde bereits im »Antichrist« vollzogen.
Bereits im Vorwort lässt die Frage nach dem Adressaten ein gewisses Spannungsverhältnis sichtbar werden, denn einerseits gibt dieses Buch vor, lediglich „den Wenigsten“ (167,1) zu gehören, aber anderseits soll es millionenfach gedruckt und in sieben Sprachen übersetzt werden. Wenn Nietzsche weiter schreibt, „morgen schon werden sie es wissen“ (50-229,12), ist dies diesem Umstand nicht sonderlich abträglich, denn es liegt die Vermutung nahe, dass hier ein welthistorisches Dokument als eine Art Gesetzgebung intendiert wird. Gleichzeitig hat dieses Werk aber den Anspruch, ein philosophisches Traktat zu sein, welches unabhängig von der historischen Wirkung verstanden werden will, und zwar von denen, „welche meinen Zarathustra verstehn“ (167,2-3).
Will man der in diesem Œuvre gestifteten Verwirrung nicht zu sehr anheim fallen, dann drängt sich dem interessierten Leser relativ zeitig eine alles entscheidende Frage auf: Was ist die wahre Intention des Antichristen? Ausschlaggebend bei der Lektüre des »Antichrist« ist, durch welche Brille dieser gelesen wird. Auf der einen Seite kann in ihm lediglich ein Affront gegen das christliche Denken gesehen werden, auf der anderen Seite wird einem auch die Möglichkeit offeriert, ihn als eigenständigen und in sich schlüssigen Gegenentwurf zu betrachten, welcher Nietzsches neues Zeitalter einleiten soll. Im letzteren Fall wäre das Christentum lediglich bloß Mittel zum Zweck. Unter dieser Prämisse würde sich »Der Antichrist« auf eine Meta-Ebene emporheben, und auch nach einem möglichen Zerfall des Christentums nicht obsolet beziehungsweise anachronistisch werden.
Obwohl das Werk sich augenscheinlich an zwei Adressaten richtet, geht es Nietzsche vermutlich erst in einem zweiten Schritt darum, ein neues Wertesystem zu schaffen, welches der breiten Masse geoffenbart werden kann. Das Hauptaugenmerk gilt seiner auserwählten Minderheit, denn diese ist es, bei der eine skeptische Grundhaltung, sofern nicht schon in den Grundzügen vorhanden, gegenüber jeglicher Art von Überzeugung beziehungsweise Glauben bewirkt werden soll, um auf diesem Wege überhaupt erst die Bedingung der Möglichkeit für ein adäquates Politischwerden zu schaffen. Um das Bewusstsein für eine skeptische Grundhaltung hervorzurufen, folgt der Text bewusst keiner stringenten, argumentativen Logik, vielmehr werden die Argumente stets auf die jeweiligen Situationen zugeschnitten; es herrscht eine stete Verkehrung der Logik und der Werte vor.
Der von Nietzsche intendierte Skeptiker, für den alle Überzeugungen und jede Art von Glauben keinen intrinsischen Wert darstellen, muss sich deshalb sowohl den christlichen als auch hyperboreischen Werten widersetzen. Die Ausdrucksweise des »Antichrist«, welche mitunter selbst dogmatisch und priesterlich erscheint, fordert dies ja geradezu heraus. Sie führt bei »den Wenigsten« unweigerlich zu einem Skeptizismus sowohl gegenüber der christlichen als auch antichristlichen Lehre. Liest man den »Antichrist« auf diese Art, so will der Autor mit der Umkehrung der christlichen Werte nicht ausschließlich eine Antihaltung gegenüber dem Christentum evozieren, sondern bei seinen Lesern gleichzeitig eine krasse Horizonterweiterung provozieren. So könnte man konstatieren, dass es durchaus der Didaktik des Autors entspricht, den Leser im Idealfall zuerst zu einer Abkehr von der christlichen Wahrheitslehre, hin zu einer Gegenposition zu bewegen, um ihn schließlich dann auch diesen Zustand überwinden zu lassen.
Mittels einer eingehenden Analyse der »Psychologie des Glaubens« soll nun die Stichhaltigkeit dieser Hypothese untersucht werden. Hauptgegenstand der Analyse bilden die §§ 12 und 50 bis 55, sowie 56 bis 58, wobei im Vorfeld zu vermerken ist, dass der § 54 das esoterische Zentrum der §§ 50-58 darstellt und der § 57 den Fluchtpunkt der Paragraphen 56-58 bildet. Um die »Psychologie des Glaubens« in ihren Gesamtzusammenhang einzubetten, muss aber zuallererst einmal auf die Paragraphen 46-49 rekuriert werden, da jene die Frage nach der Wahrheit zum Inhalt haben.
2. Die Frage nach der Wahrheit
Nachdem Nietzsche zuerst die „Psychologie des Erlösers“ (28-198,32) und anschließend die „Psychologie des Priesters“ (49-228,3) zum Gegenstand der Untersuchung hatte, schließt sich nun in den Paragraphen 50 bis 58 eine Analyse der „Psychologie des »Glaubens«“ (50-229,7f.) an.
Das ganze Thema der „Psychologie der Überzeugung, des »Glaubens«“ (55-237,21f.) ist eingebettet in einen viel umfassenderen Themenbereich, nämlich den der Wahrheitsfrage. Bereits im achten Paragraphen fragt sich Nietzsche das erste Mal, ob es überhaupt eine Antwort auf die Frage: „was ist Wahrheit?“ (8-175,12) gibt und gegen Ende des 46. Paragraphen lässt sich der römische Stadthalter Pilatus nicht ernsthaft auf „[e]inen Judenhandel“ (46-225,4) ein. Wenn Jesus sagt, „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6), dann wird dies als „ein unverschämter Missbrauch [der] mit dem Wort »Wahrheit« getrieben wird“(46-225,7f.) empfunden. Als der skeptische Pilatus schließlich auch noch konstatiert: „»was ist Wahrheit!«“ (46-225,10), impliziert dies für Nietzsche bereits eine Kritik beziehungsweise die Vernichtung des Neuen Testaments.
Der Autor führt dieses Zitat aus dem Johannes Evangelium natürlich nicht ohne Hintergedanken an, weil die adäquate Beantwortung dieser Frage eines höherwertigen Typus` von Mensch bedarf, wie er ihn in »den Wenigsten« meint, gefunden zu haben. Erst diese verfügen nämlich über die notwendigen Voraussetzungen, eine so geartete Frage überhaupt aufzuwerfen. Auch Pilatus, der den Wahrheitsanspruch von Jesus als puren Fanatismus quittiert, ist zwar als ein vornehmer Römer einzustufen, jedoch reicht sein politisches Plädoyer nicht aus, um sich zum Hyperboreer oder Philosophen emporzuschwingen. Diese würden jene Frage schließlich zum Gegenstand ihres Lebens machen und am Ende nicht mit einem Ausrufe-, sondern Fragezeichen versehen.
Bereits auf den ersten Seiten wird der Leser mit den antichristlichen Maximen konfrontiert. Das Sprachrohr der Hyperboreer präsentiert die eigenen Werte, die sehr stark an die lutherischen Katechismen angelehnt sind. Danach hat alles als gut zu gelten, was „den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht“ (2-170,1f.), aber lediglich in einem aristokratischen Sinne, denn so heißt es, „(Tugend im Renaissance-Stil, virtù, moralinfreie Tugend)“ (2-170,9f.). Demgegenüber wird all dasjenige als schlecht angesehen, „was aus der Schwäche stammt“ (2-170,4). Nicht „Zufriedenheit“, sondern „Glück“, dass ist das Gefühl, „dass die Macht wächst“, wird als erstrebenswertes Ziel angesehen (2-170,5-10). Alles Schwache und Missratene muss „zu Grunde“ gerichtet werden, ergo ist das christliche „Mitleiden [...] mit allen Missrathnen und Schwachen“ auch „schädlicher als irgendein Laster“ (vgl. 2-170,9-16).
Die Absicht besteht darin, die Entstehung eines „höherwerthigeren, lebenswürdigeren, zukunftsgewisseren“ (3-170,22f.) Typus von Mensch zu züchten, damit dieser eben nicht mehr lediglich als Glücksfall in der Geschichte der Menschheit auftaucht. Die Wenigsten werden als diejenigen ausgewiesen, die „lieber [abseits] im Eise leben“ (1-169,15), einen „Wille[n] zur Ökonomie grossen Stils“ besitzen und eben nicht mehr fragen „ob die Wahrheit nützt, [oder] ob sie Einem Verhängnis wird“. Nicht die pragmatische Veranlagung, sondern die intellektuelle Redlichkeit stehen hier im Vordergrund, denn „[m]an muss rechtschaffen sein in geistigen Dingen bis zur Härte“, gegebenenfalls auch radikal gegen sich selbst (vgl. 167,9-22).
[...]
- Citation du texte
- Markus Altmann (Auteur), 2006, Der Antichrist - Die Psychologie des Glaubens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91205
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