Schon 1963 trat die Debatte um den EU-Beitritt der Türkei in den Vordergrund, als erstmals eine Vollmitgliedschaft der Türkei angestrebt wurde.
Im Dezember 2004 fiel schließlich durch den Europäische Rat der Beschluss ab Oktober 2005 Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Der Türkei wurde somit erstmals eine klare europäische Perspektive eingeräumt. Als Bedingung wurde jedoch genannt, dass die Beitrittskriterien erfüllt werden müssen.
Es wird von kaum einer Seite bestritten, dass es sich bei einem EU-Beitritt der Türkei in der Tat um eine große Herausforderung handelt. Die Türkei ist ein sehr großer Staat, der nicht nur wirtschaftlich deutlich weniger entwickelt ist als die anderen (speziell die westlichen) EU Staaten, sondern auch noch immer deutliche Demokratiedefizite aufweist und darüber hinaus unmittelbar an Krisenregionen im Nahen Osten angrenzt.
Des Weiteren wird die Debatte aber auch genauso vom Aspekt der kulturellen und religiösen Differenz geprägt, wie auch von der Frage nach der Identität und Finalität der EU.
Kennzeichnend für die deutsche Debatte ist, ein starker Einbezug von kulturell-historischen Aspekten und die Diskussion um Form und Existenz einer europäischen Identität. Die Argumentation von SPD und CDU erweist sich in vielen Punkten als genau gegensätzlich. So sieht die SPD beispielsweise in den kulturellen und religiösen Unterschieden eine Chance für Annäherung an islamische Staaten und eine Bereicherung für die EU, während die CDU ein Sicherheitsrisiko in der Integration eines islamischen Staates sowie eine Gefahr für die Basis einer entstehenden europäischen Identität zu erkennen glaubt.
Unsere Untersuchung gliedert sich in sechs Arbeitschritte. Zu Beginn soll ein kurzer
Überblick über den historischen Hintergrund der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU gegeben werden. Im zweiten Arbeitschritt werden dann die Fragestellung sowie die Ausgangshypothesen dargestellt und erläutert.
Anschließend erfolgt eine theoretisch-methodische Zuordnung der Analyse und es werden erste methodische Vorüberlegungen angestellt. Im vierten Arbeitsschritt soll dann das konkrete Untersuchungsvorgehen unserer Arbeit dargestellt werden.
Daraufhin werden im 5. Arbeitschritt die Ergebnisse unsere Analyse vorgestellt. Diese
beinhalten die Ergebnisse der Themenfrequenz-, der Feinanalyse und der Frame-Analyse. Abschließend möchten wir dann versuchen diese Ergebnisse in Hinblick auf unsere Ausgangshypotesen zu bewerten.
Inhalt
Einleitung
1. Historische Entwicklung
2. Fragestellung uns Ausgangshypothesen
3. Theoretisch-methodische Zuordnung der Analyse
3.1 Die Wissenssoziologische Diskursanalyse
3.1.1 Die Medieninhaltsanalyse
3.2 Allgemeine methodische Vorüberlegungen
3.2.1 Forschungspraktische theoretische Herangehensweise
3.2.2 Quantitative und qualitative Elemente der Inhaltsanalyse
3.2.3 Qualitative Forschung Interpretation und Kontrolle – hermeneutischer Zirkel und seine methodische Umsetzung
3.2.4 Qualitative Analyseinstrumente I Frames, Argumentationsmuster, Argumentationsebene/stil, Bias
3.2.5 Qualitative Analyseinstrumente II und quantitative Gewichtung von Frames, Argumenten und Schlüsselbegriffen
4. Untersuchungsvorgehen
4.1 Untersuchungszeitraum
4.2 Untersuchungseinheiten
4.3 Ausschlusskriterien
5. Ergebnisse
5.1 Vergleich der Relevanz des Themas
5.1.1 Querschnittanalyse
5.1.1.1 Frankfurter Allgemeine Zeitung
5.1.1.2 Frankfurter Rundschau
5.1.1.3 Die Zeit
5.1.1.4 Gesamtvergleich der Querschnitts- und Symbolanalyse
5.1.2 Längsschnittanalyse
5.2 Feinanalyse und Rekonstruktion der Frames
5.2.1 Zurück in die Zukunft
5.2.2 Schröders Risiko
5.2.3 Über die Grenzen hinaus
5.2.4 Brüssler Eingeständnisse
5.2.5 Die Türkei als Brücke – aber wohin?
5.2.6 Die Türkei im Übergang
5.2.7 Eine Frage der Identität
5.2.8 Pack den Tiger in die EU
5.2.9 Bitte keinen Größenwahn
5.2.10 Wie nett die Europäische Union zur Türkei sein kann
5.3 Codierung, Identifizierung und Gewichtung der Frames
5.3.1 Codierschema für die Inhaltsanalyse
5.3.2 Identifizierte Frames
6. Interpretation und Bewertung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Schon 1963 trat die Debatte um den EU-Beitritt der Türkei in den Vordergrund, als erstmals eine Vollmitgliedschaft der Türkei angestrebt wurde, was sich im Ankara-Abkommen zwischen der damaligen EWG und der Türkei manifestierte.
Die Diskussion rückte wieder in den Mittelpunkt des Interesses nachdem die Europäischen Kommission der Türkei 1999 den Kandidatenstatus verlieh. Im Dezember 2004 fiel schließlich durch den Europäische Rat der Beschluss ab Oktober 2005 Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Der Türkei wurde somit erstmals eine klare europäische Perspektive eingeräumt. Als Bedingung wurde jedoch genannt, dass die Beitrittskriterien erfüllt werden müssen.
Es wird von kaum einer Seite bestritten, dass es sich bei einem EU-Beitritt der Türkei in der Tat um eine große Herausforderung handelt. Die Türkei ist ein sehr großer Staat, der nicht nur wirtschaftlich deutlich weniger entwickelt ist als die anderen (speziell die westlichen) EU-Staaten, sondern auch noch immer deutliche Demokratiedefizite aufweist und darüber hinaus unmittelbar an Krisenregionen im Nahen Osten angrenzt.
Des Weiteren wird die Debatte aber auch genauso vom Aspekt der kulturellen und religiösen Differenz geprägt, wie auch von der Frage nach der Identität und Finalität der EU.
Obwohl es sich um eine gesamteuropäische Debatte handelt, wird sie eher länderspezifisch geführt. D.h. es gibt verschiedene thematische Schwerpunkte, und die Diskussion verläuft hauptsächlich zwischen verschiedenen Lagern und Parteien innerhalb einzelner Staaten.
Kennzeichnend für die deutsche Debatte ist, ein starker Einbezug von kulturell-historischen Aspekten und die Diskussion um Form und Existenz einer europäischen Identität.[1]
Die Argumentation von SPD und CDU erweist sich in vielen Punkten als genau gegensätzlich. So sieht die SPD beispielsweise in den kulturellen und religiösen Unterschieden eine Chance für Annäherung an islamische Staaten und eine Bereicherung für die EU, während die CDU ein Sicherheitsrisiko in der Integration eines islamischen Staates sowie eine Gefahr für die Basis einer entstehenden europäischen Identität zu erkennen glaubt.
Unsere Untersuchung gliedert sich in sechs Arbeitschritte. Zu Beginn soll ein kurzer Überblick über den historischen Hintergrund der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU gegeben werden. Im zweiten Arbeitschritt werden dann die Fragestellung sowie die Ausgangshypothesen dargestellt und erläutert.
Anschließend erfolgt eine theoretisch-methodische Zuordnung der Analyse und es werden erste methodische Vorüberlegungen angestellt. Im vierten Arbeitsschritt soll dann das konkrete Untersuchungsvorgehen unserer Arbeit dargestellt werden.
Daraufhin werden im 5. Arbeitschritt die Ergebnisse unsere Analyse vorgestellt. Diese beinhalten die Ergebnisse der Themenfrequenz-, der Feinanalyse und der Frame-Analyse.
Abschließend möchten wir dann versuchen diese Ergebnisse in Hinblick auf unsere Ausgangshypotesen zu bewerten.
1. Historische Entwicklung
Als weltweit einziges Land, das auf zwei Kontinenten liegt, hat die Türkei seit langem einen Sonderstatus. Für eine eindeutige Zuordnung nach Asien oder Europa ist sie für die einen zu europäisch und für die anderen nicht europäisch genug.
Bis zum 18. Jahrhundert war das Osmanische Reich davon überzeugt, eine dem Westen überlegene Weltordnung zu haben. Erst durch die schmerzhafte Zurückdrängung aus Europa begann ein langsamer Wandel und die Übernahme europäischer Elemente, der schließlich unter Kemal Atatürk seinen Höhepunkt fand. Der Gründer der Türkischen Republik machte die europäische Orientierung zur Grundlage der Verfassung und leitete eine weitgehende öffentliche Säkularisierung ein, die einherging mit Modernisierung und Europäisierung.[2] Allgemein lässt sich feststellen, dass zumindest die staatliche Führung und die Eliten des Landes[3] seit beinahe 300 Jahren zunehmend auf den Westen und Europa konzentriert waren und daraus bis heute ihre Zugehörigkeit zu Europa und ihre Beitrittsberechtigung ableiten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg suchte die Türkei in Anbetracht der Spannungen zwischen Ost und West auch institutionell Anschluss an den Westen und gab damit das vorher von Atatürk verfolgte Prinzip der vollkommenen Ungebundenheit auf. Die Türkei zählte 1948 zu den Gründungsmitgliedern der OEEC (spätere OECD), trat 1949 dem Europarat bei und wurde 1952 NATO-Mitglied. Später trat sie auch dem GATT und der Europäischen Zahlungsunion bei.[4]
1959 stellte die Türkei einen Antrag auf Assoziation mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Die EWG-Staaten stimmten diesem Antrag in erster Linie aus sicherheitspolitischen Erwägungen zu, da eine Annäherung der Türkei an die Ostblockstaaten durch eine noch stärkere Westbindung verhindert werden sollte. Am 12. September 1963 schloss die EWG schließlich ein Assoziierungsabkommen mit der Türkei in Ankara. Dieses so genannte Ankara-Abkommen beinhaltete eine Vorbereitungs-, eine Übergangs- und eine Endphase. In der fünf- bis neunjährigen Vorbereitungsphase sollte eine Wirtschaftskonsolidierung der Türkei durch Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und den Abbau von Handelshemmnissen erreicht werden. In der Übergangsphase sollte stufenweise eine Zollunion erreicht werden, und schließlich sollte die Türkei in der Endphase die Möglichkeit erhalten, der EWG beizutreten, falls dies die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zuließen.
Auch wenn die Vorbereitungsphase nicht den erwünschten wirtschaftlichen Aufschwung herbeiführen konnte und die Beziehungen zur EWG durch den Zypern-Konflikt belastet waren, begann die türkische Regierung ab 1967 auf den Eintritt in die Übergangsphase zu drängen. Im November 1970 wurde ein Zusatzprotokoll zum Ankara-Vertrag unterzeichnet. Mit dessen Inkrafttreten im Januar 1973 begann die Übergangsphase, die 12-22 Jahre dauern sollte.
In der EG zeichnete sich in den folgenden Jahren eine zunehmende Spaltung in ein rechtes und ein linkes Lager ab. Das linke Lager plädierte für eine Aussetzung des Ankara-Abkommens und setzte dies im Januar 1982 durch.
1988 wurde in Folge des griechischen EU-Beitritts das Assoziierungsabkommen wieder aufgenommen, die ursprünglich für 1986 geplante Arbeitnehmerfreizügigkeit wurde aber nicht eingeführt. Schließlich nahm 1989 die Kommission zum Beitrittsgesuch Stellung und hielt es angesichts der wirtschaftlichen und politischen Lage in der Türkei sowie des Zypernkonflikts nicht für sinnvoll, in absehbarer Zeit neue Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Zudem war für 1993 die Realisierung des EG-Binnenmarktes geplant, was eine Erhöhung der Beitrittshürden bedeute. Schließlich wurde im Juni 1990 diesbezüglich ein Maßnahmenpaket verabschiedet, das eine Vollendung der Zollunion bis 1995 sowie eine Erweiterung der finanziellen, technischen, politischen und kulturellen Zusammenarbeit vorsah.
Die Neunziger waren darüber hinaus vom Aufstieg der Wohlfahrtspartei unter Necmettin Erbakan geprägt, die islamitische Tendenzen aufwies. Allerdings waren die Bindungen an die EU schon zu stark, als dass eine Umorientierung problemlos realisierbar gewesen wäre. Daher wurde 1995 die Zollunion wie geplant vereinbart.[5] Auf dem EU-Gipfel in Luxemburg 1997 wurde die Türkei aber im Gegensatz zu vielen Staaten des ehemaligen Ostblocks nicht in den Erweiterungsprozess mit einbezogen, was von der Türkei als beleidigend und verletzend empfunden wurde, so dass die EU-GegnerInnen in der Türkei an Zuspruch gewannen und es innerhalb der darauf folgenden zwei Jahre fast zu einem Zusammenbruch der Beziehungen kam. Auf dem Gipfel in Helsinki 1999 wurde der Türkei dann aber schließlich der Kandidatenstatus verliehen.
Ab 2002 begann die AKP unter der Führung von Recep Erdogan mit der Verabschiedung eines umfassenden Reformpakets, dass auf der 2001 beschlossenen Verfassungsänderung aufbaute, um sich an die EU-Standards anzunähern.[6]
Auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen wurde beschlossen, 2004 über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu entscheiden, was anhand der Fortschritte hinsichtlich der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien (institutionelle Stabilität als Garant der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung, eine funktionstüchtige Marktwirtschaft und Übernahme des gemeinsamen Besitzstandes der EU) beurteilt werden sollte.[7]
Weitere Anstrengungen seitens der Türkei den Reformprozess voran zu bringen führten dazu, dass der Europäische Rat im Dezember 2004 den Entschluss fasste, ab Oktober 2005 Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen.
2. Fragestellung uns Ausgangshypothesen
Im Rahmen des Diskurses um den EU-Beitritt der Türkei wird auch der Frage nach der Identität und Finalität der EU wieder größere Bedeutung zugemessen.
Da die EU nicht mit einem Nationalstaat vergleichbar ist, es sich aber dennoch um weit mehr als einen einfachen Wirtschaftszusammenschluss handelt, stellt sich nun die Frage welche Bezugspunkte für die Bildung einer gemeinsamen Identität dienen könnten.
Gemeinsame Sprache, Geschichte und Kultur, die in Nationalstaaten als Bindungskräfte wirken sind als identitätsstiftende Größen nur bedingt vorhanden. Auch gibt es weltweit keinen vergleichbaren supranationalen Zusammenschluss, der als Vorbild dienen könnte. Letztlich kann die EU auch nicht als ein feststehendes Gebilde gesehen werden, sondern vielmehr als ein Projekt, dessen zukünftige Entwicklung nicht festgelegt ist.
Auf der Basis dieses Hintergrundes möchten wir uns im Rahmen unserer Analyse des deutschen Diskurses um den EU-Beitritt der Türkei mit zwei Fragen auseinandersetzen:
(1) Welche Konstrukte der Europäischen Identität kommen in der aktuellen Debatte um den EU-Beitritt der Türkei zum Ausdruck und wie wird innerhalb / Unter zu Hilfenahme dieser Konstrukte argumentiert?
Nach Claus Leggewie kommen in der Debatte um die europäische Identität fünf Konzepte zum Ausdruck:
- Europa als geographischer Raum in festen, natürlichen Grenzen (wogegen die a priori exzentrische Identität Europas und seine exterritorialen Wirkungen sprechen);
- Europa als historische Erinnerungs- und Schicksalsgemeinschaft (entwertet durch ein schwindendes Geschichtsbewusstsein);
- Europa als Erbe des christlichen Abendlands (dementiert durch rasche Entchristlichung und wachsenden religiösen Pluralismus);
- Europa als kapitalistische Marktgemeinschaft mit sozialstaatlichen Elementen (in Frage gestellt durch die neoliberale Globalisierung);
- Europa als Hort von Demokratie und Menschenrechten (die als universale Werte und Normen nicht regional einzuengen sind).[8]
Wir möchten die Unterscheidung von Leggewie ein wenig weiter fassen und arbeiten mit folgender Ausgangshypothese:
Wir gehen davon aus, dass die verschiedenen Konstrukte der „europäischen Identität“ zur Bildung der zentralen Argumente in der Debatte um die EU Erweiterung dienen und erwarten auf folgende zwei Konstrukte zu stoßen:
- Die „europäische Identität“ ist historisch, kulturell, auf der Basis von Religion, Wertesystemen, Kultur, historischer Entwicklung, Tradition und geographischer Verortung definiert.
- Europa definiert seine Identität durch gemeinsame Interessen. Hierzu zählen insbesondere Wirtschaft, Sicherheitspolitik, Stabilität, Wahrung der Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und „machtpolitische“ Ziele
(2) Wie argumentieren die zwei großen politischen Lager in Deutschland im Kontext der deutschen Debatte um den EU-Beitritt der Türkei im Rahmen dieser Konstrukte? Mit welchen Argumenten werden die Konstrukte ausgefüllt? Gibt es seitens der beiden Lager eine Präferenz bezüglich eines der Konstrukte?
Ausgangshypothese:
Das konservative Lager argumentiert vorwiegend auf Basis des politisch-strategischen Konstruktes tendenziell gegen den Beitritt der Türkei, während das sozial-demokratische Lager eher auf Basis des historisch-kulturellen Konstruktes tendenziell dafür plädiert.
3. Theoretisch-methodische Zuordnung der Analyse
Die von uns durchgeführte Untersuchung stützt sich grundlegend auf zwei wissenschaftliche Analysemethoden, zum einen die Diskursanalyse und zum andere die Textanalyse. Dabei konnten erste Analyseergebnisse mittels einer einfachen Themenfrequenzanalyse und einer kurzen qualitativen Inhaltsanalyse erzielt werden; eine nähere Vorstellung dieser Methoden und Ergebnisse erfolgt in Kapitel 5.1.
Es sollen nun die ausgewählten Methoden zur Durchführung der Untersuchung im Folgenden für eine erste Richtungsweisung innerhalb der unterschiedlichen, vielfältigen wissenschaftlichen Analysemethoden genauer vorgestellt werden. Hierbei beschäftigt sich Kapitel 3.1 zunächst mit der Diskursanalyse und geht im folgenden Kapitel 3.1.1 auf die Darstellung der Textanalyse ein.
In Kapitel 3.2 werden dann die erläuterten Analysemethoden detaillierter beschrieben und in ihrer Vorgehensweise erläutert. Des Weiteren werden Fragen und Probleme bei der Aufbereitung und Anwendung der dargestellten Methoden aufgeworfen.
3.1 Die Wissenssoziologische Diskursanalyse
Der Theorieansatz der ‚Wissenssoziologischen Diskursanalyse’ geht von der Annahme aus, dass „(...) alles, was wir wahrnehmen, erfahren, spüren, über sozial konstruiertes, typisiertes, in unterschiedlichen Graden als legitim anerkanntes und objektiviertes Wissen (Bedeutung, Deutungs- und Hadlungsschemata) vermittelt wird.“[9]
Sie hat die Aufgabe die Prozesse der gesellschaftlichen Wissensaneignung zu beschreiben. Es wird davon ausgegangen, dass sich Wissen nicht auf ein „ (...) angeborenes, kognitives Kategoriensystem...“[10] zurückführen lässt, sondern auf von Diskursen erzeugten, „...gesellschaftlich hergestellte(n) symbolische(n) Systeme(n) oder Ordnungen...“[11] basiert. Im Wesentlichen geht es hierbei um, „...gesellschaftliche Praktiken und Prozesse der kommunikativen Konstruktion, Stabilisierung und Transformation symbolischer Ordnungen sowie deren Folgen...“[12], die es zu untersuchen gilt. Einer der Hauptgedanken ist das Wissen als „Ergebnisse kontextabhängiger Zuschreibungen verstanden werden kann, die auf gesellschaftlichen Diskursen beruhen“.
Innerhalb der diskurstheoretischen Forschung kann man hauptsächlich zwei Grundrichtungen unterscheiden: Zum einen Ansätze, die sich auf Michel Foucaults Diskurstheorie beziehen[13] und zum anderen solche, welche die innere Struktur eines Textes aufschlüsseln. Innerhalb der Ansätze, die auf sich auf die Foucaultsche Diskurstheorie aufbauen, kann man wiederum zwischen unterschiedlichen Ansätzen unterteilen, die von verschiedenen Diskursbegriffen ausgehen. Diese sollen hier jedoch nicht weiter vorgestellt werden, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Grundlegend für unsere vorliegende Untersuchung ist vor allem die Foucaultsche Diskurs-Definition, nach der ein Diskurs ein inneres Regelsystem ist, also eine bestimmte Art und Weise, die Wirklichkeit zu analysieren. „Hierbei geht es (...) darum, Prozesse der sozialen Konstruktion, Objektivierung, Kommunikation und Legitimation von Sinn-, d.h. Deutungs- und Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. sozialen (...) Akteuren zu rekonstruieren und die gesellschaftlichen Wirkungen dieser Prozesse zu analysieren.“[14] So wird versucht, Diskursforschung mit Entwicklung qualitativer Methoden der Sozialforschung zu kombinieren, wobei besonders das „(...) interpretative Paradigma (dazu) dient (...), die Kategorien der Akteure und ihrer Handlungen wieder in die Diskursanalyse einzuführen. Hierzu kommt eine vorangeschrittene Reflexion über Prozesse des Verstehens und der interpretativ-hermeneutischen Erschließung qualitativer Daten.“[15]
Des Weiteren beschäftigt sie „(...) sich mit Prozessen und Praktiken der Produktion und Zirkulation von Wissen auf der Ebene der institutionellen Felder (wie bspw. Wissenschaft, Öffentlichkeit) der Gegenwartsgesellschaften. Diskurse werden dabei als analytisch abgrenzbare Ensembles von Praktiken und Bedeutungszuschreibungen verstanden.“[16] Bezogen auf die vorliegende Untersuchung gilt es, die den verschiedenen Zeitungsartikeln inhärenten Regelsysteme zu rekonstruieren.
Die Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit bezieht sich auf die Analyse politischer Diskurse, speziell die Analyse der Diskurse um den Beitritt der Türkei in die Europäische Union. Die Diskursanalyse soll dabei Positionen verschiedener zum Großteil politischer Akteure aufdecken und ihre „Ideologien“, über die sie die Realität wahrnehmen aufzeigen. So wird davon ausgegangen, dass verschiedene politische Akteure die Welt, die Gesellschaft, und die politischen Geschehnisse um sich herum aus einem bestimmten Blickwinkel heraus betrachten, und diese aus diesem Grund unterschiedlich interpretieren bzw. unterschiedliche Konsequenzen ziehen. Dabei geht es in der Diskursanalyse nicht darum lediglich herauszuarbeiten, wie zum Beispiel der Autor eines Texte für oder gegen etwas argumentiert, es geht vielmehr um die Frage aus welchen Motiven heraus sich derjenige sich für oder gegen etwas ausspricht.
Um weiter vorgehen zu können, müssen nun Innerhalb der ausgewählten Textkörper, in unserem Fall sind es Artikel aus zwei deutschen Tageszeitungen und einer wöchentlich erscheinenden Zeitung , solche Diskurse zum EU-Beitritt der Türkei aufgedeckt werden, die verschiedene soziale Gruppen, Organisationen und Institutionen produzieren (so zum Beispiel durch den Autor und dessen politischer Orientierung, Meinung oder politischen Ideologie etc.). Diese Diskurse konkurrieren dabei durchaus miteinander oder schließen im Extremfall sogar einander aus. Die Diskursanalyse wird auf der Grundlage von Texten aus den Printmedien durchgeführt, da diese die verschiedenen Diskurse aufnehmen und verbreiten. Ermittelt werden sollen die verschiedenen Diskurse zum einen durch eine Themenfrequenzanalyse und eine quantitative Inhaltsanalyse zum einen im Hinblick auf das gesamte Material und zum anderen im Hinblick auf die einzelnen Texte vor allem durch die Frame-Analyse[17] jeden Artikels. Jeder dieser Einzelanalysen werden qualitative Inhaltsanalysen ausgewählter Artikel vorangestellt.
3.1.1 Die Medieninhaltsanalyse
„Die standardisierte und quantifizierte Inhaltsanalyse ist die nach wie vor am häufigsten verwendete Methode zur Analyse von Medienbotschaften (...).“[18]
Die Inhaltsanalyse von Medientexten ist eine „(...) empirische Methode zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen (...)“[19] und gleichzeitig „(...) eine Methode zur Erhebung sozialer Wirklichkeit, bei der von Merkmalen eines manifesten Textes auf Merkmale eines nicht manifesten Kontextes geschlossen wird.“[20] Im Vordergrund stehen hier die „(...) Deskription von Medieninhalten nach wissenschaftlichen Kriterien wie Systematik und Intersubjektivität (...) und der „(...) erklärende Anspruch (...).“[21] „Die Inhaltsanalyse ist als Methode 1) nicht reaktiv, d.h. beeinflusst ihren Untersuchungsgegenstand nicht. 2) Sie benötigt zudem kein vorstrukturiertes Material. Dokumente bzw. Texte können also auch im Nachhinein untersucht werden. (...) 4) Die Inhaltsanalyse sollte schließlich gegenstandsgerecht und flexibel konzipiert werden, d.h. als Instrument sowohl zur Beantwortung der entsprechenden Fragestellung als auch im Bezug auf die untersuchten Texte geeignet sein.“[22]
[...]
[1] Vgl.: Große Hüttmann, Martin: Die Türkei ist anders als Europa. Die öffentliche Debatte um einen EU-Beitritt der Türkei in Deutschland, in: Giannakopoulos/Maras (Hrsg.): Die Türkei-Debatte in Europa: Ein Vergleich,, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2005, S. 39.
[2] Vgl.: Langen, von Dr. Werner: „Gehört die Türkei zu Europa? Perspektiven des Erweiterungsprozesses“, in: „Schriften zur Europäischen Integration“ 02/00, hrsg. von: CDU/CSU im europäischen Parlament, S. 5-11
[3] Vgl.: Langen, von Dr. Werner: „Gehört die Türkei zu Europa? Perspektiven des Erweiterungsprozesses“, in: „Schriften zur Europäischen Integration“ 02/00, hrsg. von: CDU/CSU im europäischen Parlament, S. 6
[4] Vgl.: Yazicioglu, Ümit: Die Türkei-Politik der Europäischen Union, Der Andere Verlag, Osnabrück, 2004, S.36ff.
[5] Vgl.: Ebd., S.36ff.
[6] Vgl.: Logotheti, Amaryllis: Political Islam in Turkey, in: Yazicioglu, Ümit (Hrsg.): Europäische Studien zur
Integration der Türkei, Der Andere Verlag, Osnabrück, 2002, S.94-113
[7] Insel, Ahmet: Europäisierung der Türkei: Eine historische Reifeprüfung der nationalen Würde?, in: Giannakopoulos/Maras (Hrsg.): Die Türkei-Debatte in Europa: Ein Vergleich, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2005, S. 197 - 212
[8] Vgl.: Leggewie, Claus (Hrsg.): Die Türkei und Europa. Die Positionen, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 2004, S.13 ff.
[9] Vgl.: Keller, Reiner: Diskursforschung, Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen, Wiesbaden 2004,
S. 57.
[10] Vgl.: Ebd.
[11] Vgl.: Ebd.
[12] Vgl.: Ebd.
[13] Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt am Main 1991.
[14] Vgl.: Ebd.
[15] Vgl.: Keller, Reiner: Diskursforschung, Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen, Wiesbaden 2004, S.58.
[16] Vgl.: Keller, Reiner: Diskursforschung, Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen, Wiesbaden 2004, S. 59.
[17] Auf die Besonderheiten der Frame-Analyse wird in Kapitel 3.2 genauer eingegangen.
[18] Vgl.: Bonfadelli, Heinz: Medieninhaltsforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Konstanz 2002, S.79.
[19] Vgl.: Ebd.
[20] Vgl.: Ebd.
[21] Vgl.: Ebd.
[22] Vgl.: Bonfadelli, Heinz: Medieninhaltsforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Konstanz 2002, S.79, 80.
- Citar trabajo
- Jenni Egenolf (Autor), 2006, Untersuchungen der deutschen Mediendebatten um den möglichen EU-Beitritt der Türkei, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91204
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