Die zentrale Frage, die sich im Kontext der Problematik rund um den Begriff der Analytizität ergibt, ist seit Kant die nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori. Im Laufe der Geschichte der Logik ist es dabei zu einigen Umdeutungen der Begrifflichkeiten von Analytizität und Apriorität, und mithin auch ihrer Gegenbegriffe, gekommen, welche unterschiedliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Logik als philosophische, aber auch als autonome Wissenschaft zur Folge hatten. Um diese eingangs genannte Frage verständlich zu machen, muss zunächst eine in der Literatur zur formalen Logik als Standard geltende Einführung erfolgen.
Essay
Analytizit ät und Apriorität in der neuzeitlichen und modernen Logik – differente Implikationen für die Logik bei Kant und Frege
Die zentrale Frage, die sich im Kontext der Problematik rund um den Begriff der Analytizität ergibt, ist seit Kant die nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori. Im Laufe der Geschichte der Logik ist es dabei zu einigen Umdeutungen der Begrifflichkeiten von Analytizität und Apriorität, und mithin auch ihrer Gegenbegriffe, gekommen, welche unterschiedliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Logik als philosophische, aber auch als autonome Wissenschaft zur Folge hatten. Um diese eingangs genannte Frage verständlich zu machen, muss zunächst eine in der Literatur zur formalen Logik als Standard geltende Einführung erfolgen.
Für die moderne Logik gilt der definitorische Grundsatz, sie sei die Lehre vom gültigen Schließen der bloßen Form nach. Das in dieser Formulierung zuletzt angefügte Attribut sagt dabei aus, dass im Rahmen dieser Auffassung von Logik lediglich die Form eines Schlusses, nicht aber sein Inhalt von Bedeutung sei. Aufgrund dessen wird die moderne auch als formale Logik bezeichnet. Jene wurde begründet mit der Begriffschrift des Mathematikers Gottlob Frege und bildet in der Phaseneinteilung, in welcher sich die Entwicklung der Logik als Disziplin über die vergangenen zweieinhalb Jahrtausende fassen lässt, die dritte und jüngste Periode. Bis zu diesem Zeitpunkt 1879 lässt sich mit der ab 1662 und durch die Logik von Port Royal begründeten „neuzeitlichen“ sowie von der davor von Aristoteles ausgehenden „älteren“ oder Logik sprechen.1 Das hauptsächliche Unterscheidungskriterium dieser Phasen bildet ihr jeweiliger Bezug auf den Begriff bzw. das Wesen der Logik. Während es der modernen Auffassung ausschließlich um das Schließen in rein formaler Hinsicht geht, herrschte in der neuzeitlichen Periode die Auffassung, dass der Gegenstand der Logik zwar auch das formale Schließen, aber darüber hinaus genereller die Regeln und Gesetze „[…] des richtigen Verstandes- und Vernunftgebrauchs […]“ seien. Im Zentrum der Logik in dieser neuzeitlichen Periode steht dabei also das Denken, mithin eine psychologische und den erkenntnistheoretischen Kontext von Logik mit einbeziehende Auffassung von Logik, wohingegen sich die moderne Logik „primär auf die Sprache als der zentralen Voraussetzung des Denkens und der bloßen, vom Subjekt unabhängigen Form der Logik konzentriert und mithin eine semantische Auffassung darstellt. Die ältere Logik wiederum stellt die Logik auf eine semantische sowie eine ontologische Basis, betrachtet sie also im Lichte des Seins und der Sprache.
Innerhalb dieses Abrisses unbeachtet blieb bisher aber der Begriff des Schlusses bzw. des Schließens. In der Umgangssprache sind für den Kern des logischen Schlusses Begriffe wie Schlussfolgerung oder auch Herleitung, welcher sich auch bei Kant wiederfindet, gebräuchlich. Dieser Kern besteht darin, dass von einem (logischen) Schluss gesprochen wird, sofern von mindestens zwei Aussagen, welche die so genannten Prämissen darstellen, auf eine dritte bzw. weitere Aussage, die Conclusio, geschlossen werden kann. Diese Sprechweise enthält jedoch, zwar nicht so stark wie beim „Herleiten“, aber dennoch, die Konnotation eines Hervorgehens der Conclusio aus den Prämissen. Eine solche „dynamische Auffassung“ allerdings ist nach Tugendhat und Wolf mit der formalen Logik nicht vereinbar. Vielmehr bestehe zwischen den Prämissen einer- und der Conclusio im Gegenteil eine „statische , mithin unmissverständliche Beziehung der Implikation. Dies bedeutet so viel, als dass der Fall, der in der Aussage der Conlusio zum Ausdruck kommt, bereits in der Kombination der Prämissen mit inbegriffen ist und zwar mit Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit bezieht sich auf die Beziehung der jeweiligen Wahrheitswerte der Prämissen und der Conclusio: Sind die Prämissen wahr, so ist der Schluss notwendigerweise wahr, sofern der Schluss formal gültig und die Prämissen wahr im Sinne materialer Wahrheit sind. Hierzu ein kurzes Beispiel:
1. Prämisse: Alle Kugeln sind aus grünem Käse; 2. Prämisse: Der Mond ist eine Kugel Conclusio: Der Mond ist aus grünem Käse. (= formal gültig, ≠ wahr). Der Begriff der Notwendigkeit wiederum lässt sich erklären, indem man sagt: Notwendig ist jenes, dessen Negation einen Widerspruch enthielte. Es ist beispielsweise notwendig, nicht etwas und sein Gegenteil zugleich, also einen Widerspruch, zu behaupten, möchte man eine Aussage tätigen. Zu behaupten, eine Kugel sei gleichzeitig rund und eckig, enthielte einen Widerspruch und würde eine Aussage schlichtweg unmöglich machen, weil es keinen Informationsgehalt gäbe.3 Auch die Behauptung, ein in der Hand gehaltener Stein würde, sobald man ihn loslasse, gleichzeitig zu Boden fallen und gen Himmel steigen, enthielte einen Widerspruch und die Möglichkeit, etwas zu „sagen“ (im Sinne von „eine Aussage treffen“) würde hinfällig.4 Was nun den Begriff der Analytizität betrifft, so kann man ihn anhand dieser Beispiele und unter Bezug auf Immanuel Kant explizieren. Wie man leicht erkennt, impliziert der im obigen Beispiel verwendete Begriff der Kugel bereits das ihm zuzurechnende Attribut „rund“ und wenn man sagt „Kugeln sind rund“, so ist diese Aussage als wahr identifizierbar, ohne dazu eine zusätzliche Kenntnis, welche über die der Bedeutung des Subjekts und des Prädikats dieses Satzes hinausgeht oder eine Sinneswahrnehmung, heranzuziehen. Sätze mit einer solchen Prädikation, die unabhängig von jeglicher Erfahrung, also a priori, als wahr erkannt werden können aufgrund dessen, dass das Prädikat in der Bedeutung des Subjekts enthalten ist, sind nach Kant so genannte analytische Urteile.5 Ein Urteil hingegen, in welchem man einen Satz als wahr identifiziere, indem man „die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt […]“ „ohne Identität“ denke, bezeichnet er hingegen als synthetische Urteile.6 Hier besteht zwischen Subjekt und Prädikat zwar eine wie auch immer geartete Beziehung, impliziert wird letzteres vom ersteren jedoch nicht. Das von Kant herangezogene und klassisch gewordene Beispiel ist dieses: „Einige Körper sind schwer.“ Nur a posteriori, indem man erfahren hat, dass nicht alle Körper schwer, sondern einige auch leicht sind, kann man dieses Urteil als wahr bezeichnen.
Bezüglich des zuletzt erwähnten und Kant zugeschriebenen Postulats wäre es nun aber fatal, die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen mit derjenigen zwischen a priori und a posteriori gleichzusetzen. Vielmehr ist es so, dass die Unterscheidung zwischen a priori und a posteriori auf die Quelle von Erkenntnissen zielt, während die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen auf deren Erkenntnisgehalt rekurriert. Zwar können die analytischen Urteile als stets unter den Begriff der Erfahrungsunabhängigkeit des a priori sowie alle Urteile a posteriori als stets zum Begriff der synthetischen Urteile fallend gefasst werden. Allerdings ist es wie eingangs erwähnt so, dass es in Frage steht, ob auch der umgekehrte Fall zutrifft und mithin synthetische Urteile stets a posteriori erfolgen müssen.
Nach Kant ist genau dies nicht der Fall. Um das Phänomen der synthetischen Apriori jedoch sauber darstellen zu können, muss noch einmal exakter auf die kantische Unterscheidung von a priori und a posteriori eingegangen werden. Kant erkennt im Rahmen seiner Einleitung zur Kritik der reinen Vernunft die Schwierigkeit, Erkenntnis, die ihre Quelle unabhängig von Erfahrung hat von derjenigen, welche unter Beteiligung von Erfahrung entsteht, sauber zu trennen. Vor allem der Begriff der „Erfahrung“ muss in diesem Kontext expliziert und festgelegt werden. Kant versteht darunter „Eindrücke[n] der Sinne“ und deren kognitive Verarbeitung.7 In dieser Hinsicht scheint das oben verwendete Beispiel der runden Kugel unproblematisch. Man gelangt vom Begriffe der Kugel aus a priori auf den Begriff des Runden, ohne dass beide einen (zeitlich vorhergehenden) erfahrungsgemäß gewonnenen Eindruck einer „runden Kugel“ voraussetzen und sind somit mit Kant „schlechterdings“, also „rein“ a priori und nicht vermischt mit etwas Erfahrungsabhängigem. Klar zu Tage tritt dies aber z.B. im oben erwähnten klassisch kantischen Beispiel des schweren Körpers. Wollte man allerdings spitzfindig sein, so könnte man auch hinsichtlich des Kugel-Beispieles den Einwand erheben, dass doch der Begriff der Kugel oder des Runden nicht vollkommen unabhängig von einer durch Erfahrung generierten Vorstellung einer Kugel im Subjekt erfolgt. Tatsächlich bestreitet Kant auch keineswegs, dass alle Erkenntnis stets in der Erfahrung ihren Anstoß findet.8 Um diese Schwierigkeit zu überwinden, führt Kant die zwei Kriterien der Notwendigkeit und der strengen Allgemeinheit von Apriorität ein. Dies bedeutet soviel, als dass reine Urteile a priori, sofern sie negiert werden bzw. falsch sind, einen Widerspruch enthalten, also notwendig sind und dass sie darüber hinaus eine Regel enthalten, von welcher, anders als bei aus der Erfahrung abgeleiteter „komparative[r] Allgemeinheit (durch Induktion)“, keine Ausnahme möglich ist. Vor allem letzteres Kriterium stellt einen raffinierten Kunstgriff dar, indem Kant aufgrund der Unmöglichkeit von erschöpfender empirischer Erkenntnis auf die Unmöglichkeit einer a posteriorischen strengen Allgemeinheit und die Notwendigkeit einer solchen als a priori schließt.9
Erst durch diese scharfe Abgrenzung, innerhalb welcher die enge Verknüpfung zwischen Apriorität und Notwendigkeit erfolgt, wird in Kombination mit der definitorischen Eigenschaft der Uninformativität des Analytischen die sinnvolle Frage danach möglich, ob erkenntniserweiternde, mithin synthetische, Urteile a priori möglich sind. Es geht demnach hier um Urteile, in deren Subjekt das Prädikat nicht bereits enthalten ist, die aber trotzdem sowohl notwendigerweise als auch streng allgemein wahr (bzw. falsch) sind.10 Für Kant zählen hierzu sowohl mathematische, naturwissenschaftliche als auch metaphysische Urteile.11 Am bekanntesten dürfte dabei das Beispiel des Satzes „7+5=12“ sein. Kant stellt schlüssig dar, dass unter Anwendung der Definition des Analytischen festgestellt werden muss, dass das Subjekt des Satzes (7+5) in keinerlei Hinsicht bereits das Prädikat 12 beinhaltet. Das Denken des Begriffes einer Summe ist zu trennen vom in der „Anschauung“ stattfindenden arithmetischen Satz, der über die bloßen Begriffe der 7, der 5 und der Summe aus beiden hinausreicht und mithin „jederzeit synthetisch“ ist.12 Da die Mathematik an sich stets den Notwendigkeitscharakter impliziert, sind solcherlei Urteile also synthetisch und a priori. Weiterhin betrachtet er auch naturwissenschaftliche Urteile, genauer gesagt Naturgesetze wie das Kausalitätsprinzip, das Wechselwirkungsprinzip und mithin den Energie- und Massenerhaltungssatz, die der Natur der Sache nach synthetisch sind und aufgrund ihrer Notwendigkeit aber auch a priori gelten, als Vertreter dieser Kategorie.13
Hauptsächlich kritisiert hat diese Einteilung Gottlob Frege, welcher v.a. die Urteile der Arithmetik als genuin analytisch definiert. Hierzu kommt er aufgrund einer alternativen Konzeption der Analytizität. Anders als Kant begreift er nicht das, dessen Prädikat im Subjekt enthalten ist, als analytisch, sondern vielmehr jenes, welches „rein logisch bewiesen werden“ kann.14 Frege zeigt dies in Anlehnung an das leibnizsche Axiom: „Wenn man Gleiches an die Stelle setzt, bleibt die Gleichung bestehen.“15 Das Kriterium für diese Konzeption von Analytizität bildet also die logische Wahrheit, die je nachdem, ob innerhalb eines Urteils (einer Existenz-, generellen oder partikulären Aussage) ein Begriff durch ein definitorisches Äquivalent ersetzt wird, besteht oder nicht besteht. Der Schritt der Anschauung hingegen, welchen Kant als Beweis der apriorischen Synthetizität anführt, schadet Freges Auffassung nach seinem Postulat der apriorischen Komponente, weil in ihr eine empirische Konnotation mitschwingt.16 Auch die Nicht-Informativität analytischer Urteile ist mit der Einteilung Freges hinfällig. Die Möglichkeit der logischen Rückführung stellt vielmehr bei analytischen Urteilen wie in der Arithmetik den Erkenntnisgewinn dar, eben genau weil, wie es Kant als Grund für die Synthetizität anführt, es nicht „unmittelbar einleuchtend“ ist, dass die Addition zweier Zahlenwerte einer bestimmten Zahl logisch äquivalent ist. Die kantische Differenzierung hingegen ist laut Frege nicht erschöpfend, da er sie auf Beispielen aufbaut, welche meist universale affirmative Prädikationen sind. Fälle wie Existenz- oder partikuläre Aussagen können bei der Einordnung in dieses Schema zu Problemen führen.
Nach dem bisher Gesagten fällt auf, dass der Gebrauch von Begriffen wie „wahr“, „Aussage“, „Satz“, „Urteil“, „Bedeutung“ und auch von „Begriff“ relativ wahllos und ohne vorherige genaue Festlegung erfolgt. Für den Bereich der formalen Logik wäre dies nicht haltbar. Hier sollte aber weniger ein definitorisches Kompendium der begrifflichen Instrumentarien der formalen Logik erfolgen, als vielmehr der Übergang von der neuzeitlichen hin zur modernen Logik anhand der zentralen Begriffe von Analytizität und Apriorität verdeutlicht werden. Wie grundlegend jene sind, wird nicht zuletzt durch die hier dargelegte kantische Auffassung und deren Kritik und Erweiterung durch Frege deutlich. Zwar hat jener durch das Herauslösen der Logik aus jeglichen psychologisierenden Kontexten die formale Logik nicht erfunden (auch Kant sprach schon von formaler Logik), hat sie allerdings weg von einer transzendentalen hin zu einer an Axiomen ausgerichteten, symbolischen Logik weiterentwickelt.
Weiterhin wird in dieser knappen Abhandlung deutlich, dass mit unterschiedlichen Auffassungen von Analytizität und Apriorität auch verschiedene Ansichten hinsichtlich für den Bereich der Logik konstitutiver Begriffe wie z.B. den der Notwendigkeit oder der Identität einhergehen können. So wie jene auch schon im Vergleich zwischen Kant und Frege zu Tage treten, spielten sie auch in der historisch späteren Entwicklung der Logik v.a. bei Quine und Kripke eine wichtige Rolle.
[...]
1 Vgl. Tugendhat/Wolf 1983: 7f.
2 Vgl. a.a.O.: 9f.
3 Vgl. a.a.O.: 31f.
4 Vgl. a.a.O.: 55.
5 Vgl. KrV B 10.
6 Vgl. Ebd.
7 Vgl. a.a.O. B 1,2.
8 Vgl. a.a.O. B 1.
9 Vgl. a.a.O. B 3,4.
10 Vgl. Newen/Horvath 2007: 17.
11 Vgl. KrV B 14-18.
12 Vgl. a.a.O. B 15, 16.
13 Vgl. a.a.O. B 17, 18.
14 Vgl. Frege in Newen/Horvath 2007: 62.
15 Leibniz nach Frege in Newen/Horvath 2007: 61.
16 Vgl. Frege in Newen/Horvath 2007: 60.
- Citation du texte
- Stefan Herber (Auteur), 2013, Analytizität und Apriorität in der neuzeitlichen und modernen Logik. Differente Implikationen für die Logik bei Kant und Frege, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/911981
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