Die Bundesregierung verfolgt mit ihrer Drogenpolitik neben der Reduzierung des Drogenangebotes durch die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität das vorrangige Ziel, die Nachfrage nach illegalen Rauschmitteln so gering wie möglich zu halten. Dies
bedingt neben einer offensiven und gezielten Öffentlichkeitsarbeit und Suchtprävention ein ausreichendes und flächendeckendes Angebot an Beratungs- und Therapieplätzen, um bereits Drogenabhängigen einen Ausweg aus der Sucht zu öffnen.
„Ziel der Maßnahmen von Polizei, Zoll und Justiz ist es, die Rauschgiftproduktion zu verhindern, Schmuggel und Handel mit Drogen und Suchtstoffen zu unterbinden, umfangreiche Mengen von Rauschgiften sicherzustellen und zu vernichten,
Händlerorganisationen zu zerschlagen, Verbrechensgewinne zu ermitteln und abzuschöpfen sowie den Zugang zu den Rauschgiften zu erschweren.“ (Vgl.: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Deutschland); 1997; S. 10)
Trotz verschiedener ambulanter und stationärer Behandlungsformen, stieg die Zahl der Drogentoten in der Bundesrepublik von 1.565 im Jahr 1995 um 9,4% auf 1.712 für
1996. (Vgl.: Böllinger, L.; Stöver, H.; Fietzek, L.; 1995; S. 242)
Hiervon sind allein 999 Personen (58,4%) durch eine Heroinüberdosis (bei 198 Todesfällen in Verbindung mit anderen Drogen) ums Leben gekommen. (Vgl.: Bundeskriminalamt (Deutschland); 1996; Tabellen 30 und 31).
Angesichts der hohen Zahl von Heroinkonsumenten unter den Drogentoten stellt sich die Frage, wie gerade den Heroinabhängigen geholfen werden kann, die durch die
bisher bestehenden Therapieformen, zum Beispiel die Methadonsubstitution, nicht bzw. nicht mehr erreicht werden können und in ihrer Sucht zu verelenden bzw. zu sterben drohen. Für diese Zielgruppe wurde in der Schweiz in einem Modellversuch die ärztlich kontrollierte Verschreibung von Betäubungsmitteln erprobt, bei dem die Abhängigen überwiegend mit Heroin substituiert wurden. Die vorliegende Arbeit besteht aus acht Kapiteln.
Das erste Kapitel gibt eine Einführung in die Sucht und Abhängigkeitsproblematik, damit die Drogenabhängigkeit aus ihren Wurzeln her verstanden werden kann. Das zweite Kapitel zeigt das Drogenhilfesystem, von der Drogenberatung über die
abstinenzorientierte Drogenhilfe zur akzeptierenden Drogenhilfe, bzw. zur Substitution. Abschließend endet das Kapitel mit den Zielen der Substitution. [...]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Die Drogenabhängigkeit
1.1 Was sind Drogen und Betäubungsmittel
1.2 Sucht und Abhängigkeit
1.3 Bedeutung und Entstehung der Drogenabhängigkeit
1.3.1 Entstehung und Ursache der Drogenabhängigkeit
1.4 Die Physische (körperliche) Abhängigkeit
1.5 Die Psychische Abhängigkeit
2 Die Drogenhilfe
2.1 Entwicklung der Drogenarbeit in Deutschland
2.2 Drogenhilfe zwischen Abstinenz und Substitution
2.2.1 Die Drogenberatung
2.2.2 Drogentherapie
2.2.2.1 Drogentherapeutische Versorgung in Deutschland
2.2.3 Die abstinenzorientierte Drogenhilfe
2.2.4 Die akzeptierende Drogenhilfe
2.2.4.1 Niedrigschwellige Drogenhilfe
2.2.4.1.1 Substitution als akzeptierende Drogenhilfe
2.2.4.1.1.1 Substitution war schon im 19. Jahrhundert ein Thema
2.2.4.1.1.2 Ziele der Substitution
3 Die Methadonsubstitution
3.1 Was ist Methadon?
3.2 Methadon ist das die Lösung?
3.3 Ursprung und Hintergrund der Methadon-Substitution
3.4 Pharmakologie des Methadons
3.4.1 Eigenschaften und Wirkungen von Methadon
3.5 Methadonsubstitution in der Praxis
3.5.1 Struktur und Methodik der Substitutionstherapie
3.6 Rechtliche Grundlagen der Substitution mit Methadon
3.7 Vorteile der Methadonsubstitution
3.8 Nachteile einer Methadonsubstitution
3.9 Wer kann mit Methadon substituiert werden?
3.9.1 NUB-Richtlinien
3.10 Wem hilft Methadon?
3.11 Zum Problem der Methadon-Substitution
3.11.1 Verhindert Methadon den Konsum anderer Drogen?
3.11.2 Polytoxikomanie und Suchtverlagerung durch Methadonsubstitu
3.11.3 Probleme im Bereich der medizinischen Hilfe
3.12 Wissenschaftliche Ergebnisse zur Methadon-Substitution
3.13 Interview mit Heroinabhängigen im Metha-Programm
3.13.1 Fragebogenauswertung
3.14 Zusammenfassung
4 Die Drogenpolitik
4.1 Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG)
4.2 Neue Wege bei der Drogen- und Suchtbekämpfung
4.2.1 Heroin soll verschreibungsfähig gemacht werden - erste Projekte stehen an -
5 Heroin (Diacetylmorphin) - ein Opioid
5.1 Opioide
5.1.1 Herkunft und Verwendungsform
5.1.2 Zur Wirkungsweise der Opioide
5.1.3 Zur Pharmakologie der Opioide
5.1.4 Zur Toxikologie der Opioide
5.1.5 Zu den Entzugserscheinungen bei Opioidabhängigkeit
5.1.6 Zur Toleranzentwicklung bei Opioidabhängigkeit
5.2 Historische Anmerkung zum Arzneimittel Heroin
5.3 Legende und Wirklichkeit des Heroinkonsums
6 Heroinabgabe bzw. Originalsubstitution
6.1 Warum kontrollierte Abgabe von Heroin?
6.2 Konzepte einer kontrollierten Heroinabgabe in Deutschland
6.3 Kontrollierte Heroinabgabe in der Schweiz
6.3.1 Schweizer Ideen und Schweizer Realitäten
6.4 Das Schweizer Forschungsprojekt (PROVE) "Versuche für eine ärztliche Verschreibung von Betäubungsmitteln"
6.4.1 Historische Anmerkungen zur Entstehung des Projektes
6.4.2 Ziele des Gesamtversuchs
6.4.3 Die Forschungsfragen des Gesamtversuchs
6.4.4 Anmerkungen zu den rechtlichen Voraussetzungen einer ärztlichen Verschreibung von Betäubungsmitteln
6.4.5 Forschungsergebnisse
6.4.5.1 Allgemeines zur Datenauswertung
6.4.5.2 Statistische Zielgruppencharakteristik bei Projekteintritt
6.4.5.3 Darstellung der Ergebnisse
6.4.5.3.1 Substanzbezogene Ergebnisse
6.4.5.3.2 Patientenbezogene Ergebnisse
6.4.5.3.3 Projektbezogene Ergebnisse
6.4.5.4 Schlußbetrachtung des Gesamtversuchs
6.4.5.5 Schlußfolgerungen der Forschungsergebnisse
6.5 Heroinabgabe in Zürich (Zokl2)
6.5.1 Zokl2
6.5.1.1 Grundlagen, Ziel und Zweck
6.5.1.2 Betreuungsabgebot
7 Methadon- und heroinunterstützte Behandlung Heroinabhängiger im Vergleich
7.1 Substanzbezogene Untersuchungen
7.1.1 Pharmakologische Vergleichsuntersuchung
7.1.2 Toxikologische Vergleichsuntersuchung
7.2 Deutschschweizer Methadon- und Heroinpatienten im Vergleich
7.2.1 Vergleich der Eintrittsmerkmale
7.2.2 Vergleich der Austritte
7.2.3 Analyse des Behandlungsverlaufs
7.2.3.1 Veränderungen in den strukturellen Integrationsmerkmalen
7.2.3.2 Veränderungen der sozialen Vernetzung
7.2.3.3 Veränderungen des Suchtmittelkonsums
7.2.3.4 Veränderungen von Szenenkontakten und Delinquenz
7.2.3.5 Veränderungen hinsichtlich psychischer und körperlicher Beschwerden
7.2.3.5.1 Veränderungen der psychischen Beschwerden
7.2.3.5.2 Veränderungen hinsichtlich der körperlichen Beschwerden
7.2.3.6 Resümee zur Analyse des Behandlungsverlaufs
7.3 Auswertung und Diskussion der Ergebnisse
7.4 Zusammenfassung
8 Zur Rolle der Sozialarbeit in bezug auf die kontrollierte Heroinabgabe
8.1 Zur allgemeinen Aufgabe der Sozialarbeit
8.2 Sozialarbeit im interdisziplinären PROVE-Team
8.3 Auftrag der Sozialarbeit in den PROVE-Projekten
8.4 Probandenspezifische Zielsetzung der PROVE-Sozialarbeit
8.5 Umsetzung des Auftrags der Sotialarbeit in den PROVE-Projekten
8.5.1 Interventionsbereiche der PROVE-Sozialarbeit
8.5.2 Beratungsgespräche
8.5.2.1 Rahmenbedingungen der Beratungsgespräche
8.5.2.2 Inhalt der Beratungsgespräche
8.5.3 HIV-Prävention, Betreuung von HIV-Positiven und Aids-Kranken
8.5.3 Gruppenarbeit
8.5.3.1 Ziele der Gruppenarbeit
8.5.3.2 Erfahrungen der Gruppenarbeit
8.5.3.3 Themen der Gruppenarbeit
9 Schlußbetrachtung aus sozialarbeiterischer Perspektive
10 Anhang
10.1 Abkürzungsverzeichnis
10.2 Literaturverzeichnis
Einleitung
Die Bundesregierung verfolgt mit ihrer Drogenpolitik neben der Reduzierung des Drogenangebotes durch die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität - das vorrangige Ziel, die Nachfrage nach illegalen Rauschmitteln so gering wie möglich zu halten. Dies bedingt neben einer offensiven und gezielten Öffentlichkeitsarbeit und Suchtprävention ein ausreichendes und flächendeckendes Angebot an Beratungs- und Therapieplätzen, um bereits Drogenabhängigen einen Ausweg aus der Sucht zu öffnen.
„Ziel der Maßnahmen von Polizei, Zoll und Justiz ist es, die Rauschgiftproduktion zu verhindern, Schmuggel und Handel mit Drogen und Suchtstoffen zu unterbinden, umfangreiche Mengen von Rauschgiften sicherzustellen und zu vernichten, Händlerorganisationen zu zerschlagen, Verbrechensgewinne zu ermitteln und abzuschöpfen sowie den Zugang zu den Rauschgiften zu erschweren.“ (Vgl.: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Deutschland); 1997; S. 10)
Trotz verschiedener ambulanter und stationärer Behandlungsformen, stieg die Zahl der Drogentoten in der Bundesrepublik von 1.565 im Jahr 1995 um 9,4% auf 1.712 für 1996. (Vgl.: Böllinger, L.; Stöver, H.; Fietzek, L.; 1995; S. 242)
Hiervon sind allein 999 Personen (58,4%) durch eine Heroinüberdosis (bei 198 Todesfällen in Verbindung mit anderen Drogen) ums Leben gekommen. (Vgl.: Bundeskriminalamt (Deutschland); 1996; Tabellen 30 und 31).
Angesichts der hohen Zahl von Heroinkonsumenten unter den Drogentoten stellt sich die Frage, wie gerade den Heroinabhängigen geholfen werden kann, die durch die bisher bestehenden Therapieformen, z.B. die Methadonsubstitution, nicht bzw. nicht mehr erreicht werden können und in ihrer Sucht zu verelenden bzw. zu sterben drohen. Für diese Zielgruppe wurde in der Schweiz in einem Modellversuch die ärztlich kontrollierte Verschreibung von Betäubungsmitteln erprobt, bei dem die Abhängigen überwiegend mit Heroin substituiert wurden.
Die vorliegende Arbeit besteht aus acht Kapitel wobei der thematische Schwerpunkt auf den Kapiteln 3,5,6,7 und 8 liegt.
Das erste Kapitel gibt eine Einführung in die Sucht und Abhängigkeitsproblematik, damit die Drogenabhängigkeit aus ihren Wurzeln her verstanden werden kann, um dadurch effektiver auf Drogenabhängigkeit eingehen zu können, und um geeignete individuelle Hilfemaßnahmen zu finden.
Das zweite Kapitel zeigt das Drogenhilfesystem, von der Drogenberatung über die abstinenzorientierte Drogenhilfe zur akzeptierenden Drogenhilfe, bzw. zur Substitution. Abschließend endet das Kapitel mit den Zielen der Substitution.
Ebenfalls wie das erste Kapitel dient das zweite Kapitel unter anderem dazu einen Grundstock für nachfolgenden Themenschwerpunkte zu setzen.
Kapitel eins stellt sozusagen das Problem „Drogenabhängigkeit“ dar wobei im zweiten Kapitel die „Drogenhilfe“ als problemlösendes System dargestellt wird.
Die Methadonsubstitution im dritten Kapitel setzt den ersten Themenschwerpunkt. Hier geht es um die Darstellung des Stoffes "Methadon" mit seinen Eigenschaften und Wirkungen. Im ganzen geht es kurz gesagt, um die Vor- und Nachteile bzw. um den Erfolg der Methadonsubstitution und um die Probleme bei der Methadonbehandlung.
Bedeutend in diesem Kapitel ist es herauszufinden, ob die Methadonsubstitution auf alle Heroinabhängige anspricht und ausreichend ist. Zugleich dient die Darstellung der Methadonsubstitution als Brennpunkt zum Vergleich mit der Heroinabgabe.
Interviews mit Heroinabhängige bilden den Abschluß dieses Kapitels. Diese Interviews sollen Auskunft geben, wie zufrieden Heroinabhängige mit der Methadonsubstitution sind und ob ersatzweise zur Methadonsubstitution auf eine Orginalsubstitution mit Heroin Interesse besteht.
Kapitel vier zeigt anhand vom Betäubungsmittelgesetz und der Drogenpolitik, die Problematik und die Schwierigkeit ein kontrolliertes Heroinabgabe-Projekt in Deutschland zu verwirklichen. Es zeigt das Betäubungsmittelgesetz als Hindernis der Drogenhilfe. Das Kapitel gibt zu verstehen, daß die derzeitige Drogenpolitik geändert werden muß, damit Drogenhilfe individuell gestaltet werden kann, d.h., daß Projekte wie eine kontrollierte Heroinabgabe realisiert werden können.
Das fünfte Kapitel beschreibt das Betäubungsmittel Heroin (Diacetylmorphin). Es gibt Anmerkungen zu seiner Geschichte und erklärt die Wirkungsweise der Opioide, zu denen Heroin als Morphinderivat zählt. Ausführungen zu den Wirkungen und Nebenwirkungen der Opioide sowie zu den auftretenden Entzugserscheinungen und der Toleranzentwicklung bei Opioidabhängigkeit verdeutlichen die substanzspezifischen Hintergründe einer Heroinsucht.
Das sechste Kapitel stellt das Konzept der Heroinabgabe in Deutschland dar und befaßt sich mit dem Schweizer Versuch der ärztlichen Verschreibung von Betäubungsmitteln. Neben geschichtlichen Anmerkungen zur Entstehung des Projektes, erläutert es seine Ziele und rechtliche Grundlage. Bei den Forschungsergebnissen wird zwischen patienten-, substanz- und projektspezifischen Ergebnissen unterschieden, welche jeweils gesondert aufgeführt und bewertet werden. In einem Vergleich werden die Ergebnisse des Modellversuchs denen anderer Suchtbehandlungsformen gegenübergestellt. Desweiteren wird in diesem Kapitel eine Einrichtung vorgestellt (Zokl2), welche kontrollierte Heroinabgabe in Zürich unter wissenschaftlicher Begleitung praktiziert. Das siebte Kapitel vergleicht die Methadonsubstitution mit der Orginalsubstitution (Heroinabgabe). Zu Beginn des Kapitels wird ein substanzbezogener Vergleich aufgeführt. Darauffolgend werden Methadonpatienten mit Heroinpatienten verglichen. Das achte Kapitel beschäftigt sich mit der Rolle der Sozialarbeit innerhalb des Schweizer Projektes. Es erläutert zunächst die allgemeine Aufgabe der Sozialarbeit und zeigt anschließend ihre Position im Betreuungsnetzwerk der Versuchsteilnehmer und ihren Tätigkeitsbereich im interdisziplinären Team der Behandlungsstellen. Neben dem konkreten Auftrag der Sozialarbeit im Versuch der kontrollierten Betäubungsmittelvergabe und seiner Umsetzung in der Praxis, werden ihre probandenspezifischen Behandlungszielsetzungen beschrieben.
In der Schlußbetrachtung wird das Schweizer Modellprojekt, speziell die kontrollierte Verschreibung von Heroin, aus sozialarbeiterischer Perspektive betrachtet und der aktuelle Stand zur Durchführung eines ähnlichen Versuchs in der Bundesrepublik geschildert. Letzteres beispielhaft am Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes bezüglich der Klage der Stadt Frankfurt am Main gegen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte um Zulassung eines wissenschaftlich begleiteten Pilotprojektes zur ärztlich kontrollierten Heroinvergabe an Abhängige.
Im folgenden Text wird aufgrund der besseren Lesbarkeit die grammatikalisch männliche Form in bezug auf Personen, Berufsgruppen etc. verwendet. Soweit nicht gesondert gekennzeichnet, sind jeweils Männer und Frauen gemeint.
1 Die Drogenabhängigkeit
1.1 Was sind Drogen und Betäubungsmittel?
In der Pharmazie versteht man unter Drogen sowohl die pflanzlichen (seltener: tierischen, mineralischen, künstlichen) Grundstoffe für Arzneimittel als auch die bereits zubereiteten Medikamente, und zwar unabhängig von der psychoaktiven Wirkung und der Juristisch-moralischen Bewertung.
Die WHO definierte Drogen 1969 als „jede Substanz, deren Einverleibung zur Reizung empfänglicher biologischer Substrate führt“ – eine Definition, die es schwer machte, eine Grenze zwischen Drogen und anderen Nahrungsmitteln bzw. Atemluft und dem Trinkwasser zu ziehen.
In der Alltagssprache werden unter Drogen häufig die verbotenen Rausch- und Genußmittel (Cannabis, Heroin, Kokain, Ecstasy usw.) verstanden.
Eine in der Wissenschaft häufigere Definition versteht unter Droge jede psychoaktive Substanz, also insbesondere alle stimulierende, sedierenden oder sonst auf das zentrale Nervensystem wirkende Stoffe, Mittel und Substanzen, die aufgrund ihrer chemischen Natur, Strukturen oder Funktionen im lebenden Organismus verändern, wobei sich diese Veränderungen insbesondere in den Sinnesempfindungen, in der Stimmungslage, im Bewußtsein oder in anderen psychischen Bereichen oder im Verhalten bemerkbar machen. (Vgl.: Scheerer; 1995; S. 35)
Landläufig versteht man unter Drogen nur jene illegalen Stoffe, die abhängig machen können, wie zum Beispiel Heroin, Kokain oder LSD. Die Genußmittel werden davon abgegrenzt, obwohl diese Grenze, was die Wirkung betrifft, gar nicht existiert. Als Genußmittel werden Getränke, Tabak, Gewürze und Bestandteile der Nahrung bezeichnet, die eine anregende Wirkung haben. Alkohol kann jedoch ebenso abhängig machen wie „harte Drogen“.
Diese unterschiedliche Bewertung der „legalen“ und „illegalen“ Abhängigkeiten hat in unserem Bewußtsein die Einschätzung der Sucht- und Drogenproblematik verzerrt. In der Bundesrepublik gibt es rund 1,8 Millionen Alkoholabhängige, schätzungsweise 300.000 bis 600.000 Medikamentenabhängige und etwa 100.000 Opiat- und Cannabisabhängige. (Vgl.: Corazza; V.; S. 887)
1.2 Sucht und Abhängigkeit
Eine allgemeingültige Definition von Sucht gibt es nicht. Sucht war in der deutschen Sprache ursprünglich das Wort für Krankheit. Heute versteht man darunter eine krankhafte, zwanghafte Abhängigkeit von Stoffen; das Verlangen nach einer ständig erneuten Einnahme dieser Stoffe, um ein bestimmtes Lustgefühl zu erreichen oder Unlustgefühle zu vermeiden. Dieser Zustand tritt nach einer längeren Phase der Gewöhnung ein, wenn regelmäßiger oder dauernder Konsum zu einer physischen und/oder psychischen Abhängigkeit geführt hat. (Vgl.: Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren e.V. (DHS), 1993, S. 3)
Begriffsdefinition: Der Begriff Abhängigkeit wird im Suchtbereich als Standardbegriff verwendet. Wir unterscheiden psychische und physische Abhängigkeit. Parallele Begriffe zur psychischen Abhängigkeit sind Gewöhnung und Gewöhnheitsbildung. Die Weltgesundheitsorganisation (WGO) definierte 1957 psychische Abhängigkeit als ein Stadium periodischer oder chronischer Berauschung durch wiederholte Einnahme der Droge. Typische Anzeichen sind:
a) Ein Verlangen (aber kein Zwang), ständig eine Droge einzunehmen, um das Gefühl eines gesteigerten Wohlbefindens zu genießen, welches sie verschafft.
b) Geringe oder fehlende Neigung, die Dosis zu steigern.
c) Ein bestimmter Grad psychischer Abhängigkeit vom Effekt der Droge, aber Fehlen physischer Abhängigkeit, Fehlen eines Enzugssyndroms.
d) Schädliche Folgen, wenn überhaupt, vorwiegend für den Abhängigen. Die vielgeübte Unterscheidung zwischen abhängig- und süchtigmachenden weichen und harten Drogen ist zwar nicht falsch, darf aber nicht unberücksichtigt lassen, daß es einen "harten Mißbrauch" weicher Drogen gibt, der durchaus Suchtcharakter hat. Psychische Abhängigkeit und physische Abhängigkeit sind vom Sachverständigenausschuß der WGO unter dem Oberbegriff Abhängigkeit zusammengefaßt worden und nach den verschiedenen Typen einer Abhängigkeit aufgegliedert worden. Die Einteilung erfolgt nach ICD-10 (Klassifikationssysteme psychischer Störungen)
Die nach ICD-10 auf die verschiedenen Abhängigkeitsformen reduzierte Suchtproblematik läßt die gesellschaftlichen Faktoren der Suchtgenese unberücksichtigt. Bei physischer Abhängigkeit liegt immer auch eine psychische vor. Psychische Abhängigkeit als Symptom für eine psychosoziale Reifungsstörung ist das Kernproblem der Sucht und damit auch der Behandlung.
Eine Umfassende Definition von Abhängigkeit erscheint insbesonders für die praktische soziale Arbeit notwendig, um die Vielschichtigkeit von möglichen Interventionen bemessen zu können. Folgende Definition soll das Gesamtspektrum der Abhängigkeit erfassen. Wir verstehen unter stoffgebundener Abhängigkeit und deren Folgen:
1. den Konsum von psychisch hochwirksamen Drogen,
2. die psychische und physische Bindung an eine Droge/Substanz,
3. die ökonomische Bindung an den/die Drogenhändler bzw. die Drogenszene,
4. die Tendenz zur Dosissteigerung beim Konsumenten,
5. die Erreichung eines bestimmten Konsumniveaus (Erhaltungsdosis) und dem anschließenden, zwangsläufigen Zyklus von Konsum mit raschfolgenden Entzugserscheinungen,
6. Folgeschäden der Drogenbindung für den einzelnen (körperlich, seelisch und sozial) und die Gesellschaft
7. Einen polytoxikomanen Drogenkonsum,
8. Eine Spezialisierung des Konsumverhaltens auf eine bestimmte Droge/Drogengruppe und die Entwicklung einer Hauptform von Abhängigkeit,
9. Die Affinität von individuellem Bedürfnis und Drogenwirkungen,
10. Schichtspezifische Entstehung und Verlauf der „Drogenkarriere“ und Abhängigkeit11. Geschlechtspezifische Entstehung und Verlauf der Abhängigkeit.
Neben der stoffgebundenen Abhängigkeit nehmen die Formen nichtstoffgebundener Abhängigkeit immer mehr zu, bzw. sie werden zunehmend entdeckt. Dazu gehören die Spielsucht, die Arbeitssucht (workaholics), die Sexsucht u.a.
Die gesellschafts- und gesundheitspolitische Bedeutung des Verständnisses von Abhängigkeit der verschiedensten Ausprägungen sollte nicht unterschätzt werden. So sind die Formen des illegalen Drogenkonsums wesentlich mehr im Zentrum des öffentlichen Interesses als z.B. die Medikamentenabhängigkeit von Frauen, die Problematik des Alkoholismus im Straßenverkehr oder die Nikotinsucht. Die Definitionsversuche werden oft dazu benutzt, um bestimmte Konsumentengruppen auszugrenzen (z.B. die Heroinsucht) oder aus wirtschaftlich-politischen Gründen von der gesellschaftsweit stärksten Abhängigkeitsproblematik, der Alkoholsucht, abzulenken. Eine Definition von Abhängigkeit ist immer auch vor dem Hintergrund des/der Definierenden zu sehen und im Spektrum von Ideologie, Wirtschafts- und politischen Interessen zu verorten. (Vgl.: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, 1993, S. 1-2)
Heute existieren zwei Merkmalskataloge der Abhängigkeit. Sie orientieren sich an klinischen Beobachtungen:
Abhängigkeitskriterien nach ICD 10 und Abhängigkeitskriterien nach DSM-III-R. DSM-III-R: Diagnostical Manual of Manual of Mental Disorders, III. Edition, Revised, herausgegeben von der American Psychiatric Association.
ICD 10: International Classification of Diseases, 10th Rev., herausgegeben von der
WHO.
Beide Klassifikationssysteme dienen der diagnostischen Einordnung bei einer Drogenabhängigkeit. Die Kriterien der Abhängigkeit entstammen völlig unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen: der Pharmakologie (Toleranz, Entzugssyndrom), der kognitiven Persönlichkeitstheorie (Verhalten wird durch Antizipation des Entzugssyndroms gesteuert) und der Verhaltenstheorie (Drogeneinnahme als positiver Verstärker zur Konfliktvermeidung). Soziologische (Drogenkarriere) und ebensgeschichtliche (maturing out) Interpretationen versuchen diese Komplexität des Suchtgeschehens durch umfassende Deutungen aufzuheben. (Vgl.: Gölz, J., 1995, S.8)
Fazit
Sucht ist eine Krankheit. Deshalb muß die Hilfe für Suchtkranke weiterentwickelt werden. Ziel ist die Sicherstellung einer effektiven, qualitätsorientierten Suchtbehandlung und der gesundheitlichen Versorgung einschließlich deren Finanzierung. Dazu gehören:
- Verkürzung der Wartezeiten vor einer drogenfreien Therapie,
- Verbesserung der substitutionsgestützten Behandlung mit Methadon und anderen Medikamenten,
- die rechtliche Absicherung von Drogenkonsumräumen,
- Modellversuche zur heroingestützten Behandlung drogenabhängiger Menschen.
Mit diesen differenzierten Maßnahmen können auch langjährig Abhängige erreicht werden, zu denen es bisher kaum einen Zugang gab. Außerdem wird dadurch dem Beschaffungsdruck und der damit verbundenen Kriminalität entgegengewirkt.
1.3 Bedeutung und Entstehung der Drogenabhängigkeit
Drogenabhängigkeit bedeutet einen akuten und chronischen Mißbrauch von Rauschdrogen. Die Grenze zwischen akutem und chronischem Mißbrauch ist schwer zu ziehen, da sie individuell unterschiedlich und abhängig von der Art der Droge ist. Bei sogenannten Probierern kann man von akutem Mißbrauch sprechen, wenn sie nach wenigen Versuchen wieder von der Droge lassen. Tritt aber eine Abhängigkeit auf, dann liegt chronischer Mißbrauch vor. Das Probieren mancher sogenannter weicher Drogen wird für die meisten jungen Menschen nicht sofort die Gefahr einer Drogenabhängigkeit bedeuten; bei harten Drogen (z.B. Heroin) besteht in der Regel schon nach ein- bis dreimaligem Probieren höchste Gefahr, süchtig zu werden. Dabei spielt das soziale Umfeld eine wichtige Rolle. Denn nicht allein das Vorhandensein einer Droge bedingt eine Drogenabhängigkeit, sondern die individuelle Bereitschaft zum fortgesetzten Konsum einer Substanz.
Viele „Drogenkarrieren“ beginnen mit dem Konsum von Haschisch und LSD und ein Teil davon endet in der Heroinabhängigkeit. Die Verteufelung einer Droge sollte ebenso wie die Verneinung der Abhängigkeitsgefahren vermieden werden. Nüchterne und sachliche Aufklärung sind notwendig.
Das Drogenproblem ist heute weitgehend bestimmt durch die Drogen Haschisch und Heroin, seit neuestem auch zunehmend durch Kokain. Die Haschisch- und vor allem aber die Heroinsüchtigen betreiben meist polyvalenten Mißbrauch. Sie steigen zeitweilig auf Alkohol, Medikamente oder andere Drogen um, wenn die Hauptmißbrauchsubstanzen nicht verfügbar sind. Drogenabhängige, einmal übergegangen zum Injizieren (Fixen) der Drogen, werden fast ausnahmslos kriminell und sind von Vergiftungen und schweren körperlichen Krankheiten bedroht. Die Zahl der Drogentoten in der BRD hat 1991 erstmals die Zahl 2000 überschritten.
Eine wichtige neue Debatte ist die der Entkriminalisierung. Darunter versteht man allgemein die Reduzierung bzw. Verhinderung von negativen Konsequenzen aus der Beschaffung der Drogen. Beschaffungskriminalität entsteht im Zyklus des Konsumzwanges des Suchtkranken zur Vermeidung der Entzugserscheinungen. Die Annahme ist, daß bei Straffreiheit des reinen Konsums illegaler Drogen der „einfache“ Süchtige nicht mehr in den Kreislauf der fortwährenden Festnahme bzw. Inhaftierung geraten muß. Die Maximalforderung in der „Entkriminalisierungsdebatte“ bezieht die Legalisierung aller zur Zeit illegalen Drogen als Ziel ein. Das Betäubungsmittelgesetz (BtmG) soll entsprechend geändert werden. Da, der einzelne Suchtkranke nicht in die Mühlen der Justiz gehört, ist ein Allgemeinplatz. Gesellschaftspolitisch gesehen wird daraus keine Konsequenz gezogen. In den Justizvollzugsanstalten sind bis 50% oder 60% der Inhaftierten drogenabhängig und zählen zum überwiegenden Teil nicht zum Kreis größerer Dealer. Hier ist, unabhängig von der Debatte um die Freigabe von illegalen Drogen, tatsächlich eine Problemlösung insbesonders auch durch den Gesetzgeber erforderlich, um dem Kreis der Betroffenen eine Kranken entsprechende
Behandlung zukommen zu lassen und sie aus dem Regelkreis „Drogenszene Verhaftung – Inhaftierung – Entlassung – Rückfall“ zu lösen. Die Debatte um „Entkriminalisierung“ wird im europäischen Raum ideologisch in einem EntwederOder-Sinne geführt.
Dem einzelnen Süchtigen helfen nur konkrete und erreichbare Ausstiegshilfen. Die Legalisierung von Drogen verhindert nicht das weitere Anwachsen der Zahl von Suchtkranken.
Das Rauschdrogenproblem ist ein Phänomen unter jungen Menschen, die meist in der Phase der Pubertät beginnen, Drogen zu nehmen. Allerdings trifft man auch auf Schüler, die mit 9 bis 11 Jahren angefangen haben, Drogen zu nehmen. So begannen 50% aller Drogenabhängigen in Berlin vor dem 16. Lebensjahr mit dem Drogenkonsum, 80% bevor sie 18 Jahre alt waren, mithin begannen nur 20% nach ihrem 18. Lebensjahr, Drogen zu nehmen. Diese Erfahrung mit „Früheinsteigern“ machen seit 2 Jahren wieder verstärkt z.B. Beratungsstellen in der Hamburger Innenstadt. Seit 1985 soll der Anteil unter den 12- bis 29jährigen, die schon einmal illegale Drogen probiert haben, von 12% auf 16% gestiegen sein. Neben der weithin sehr großen Gruppe von jungen Menschen, die schon einmal illegale Drogen genommen haben, soll der Anteil von 12% auf 16% gestiegen sein. Neben der weiterhin sehr großen Gruppe von jungen Menschen, die heroinabhängig sind (ca. 80-100.000 Menschen), existieren die noch größeren Gruppen der Alkohol-, Medikamenten- und Cannabis-Konsunmenten. Einer Schätzung nach können wir von ca. 3 Millionen Cannabiskonsumenten in der BRD ausgehen.
Eine wesentliche Voraussetzung für das Entstehen einer „Drogenkarriere“ Ist das Angebot an Drogen, sie müssen verfügbar sein, und es muß jemanden (den Dealer) geben, der Interesse daran hat, daß Drogen konsumiert werden, der also einen Markt schafft. Neue Formen von Drogenabhängigkeit werden durch die zunehmend wachsenden Marktangebote an Kokain und Designerdrogen (Aufputsch, z. B. „Ecstasy“) geschaffen. Sie stehen in engem Zusammenhang mit der Leistungsgesellschaft und der immer intensiveren Ausschöpfung und Ausbeutung der persönlichen Ressourcen im Arbeits- und Freizeitprozeß. Arzneimittelabhängigkeit ist eher ein Problem der älteren Erwachsenen-Generation. Die Grundlage für diese Abhängigkeitsform wird jedoch bereits früh durch die recht umfassende Medikamentenverschreibung an Kinder und Jugendliche gelegt. (Vgl.: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, 1993 S. 243- 246)
1.3.1 Entstehung und Ursache der Drogenabhängigkeit
Es gibt nach wie vor keine allgemeingültige wissenschaftliche Erklärung für die Entstehung der Drogenabhängigkeit. Allgemeine Einigkeit besteht darin, daß es keinen spezifischen Persönlichkeitstyp des Drogenabhängigen gibt. Die immer wieder zu beobachtende Versuchung, Drogenabhängige einem bestimmten Persönlichkeitstypus zuzuordnen, resultiert wohl aus der lapidaren Erfahrung, daß Drogenkonsumenten während ihres Drogengebrauchs gewisse Charaktereigenschaften zuzuschreiben sind. Von der Vielzahl der theoretischen Erklärungsansätze ist die Psychoanalyse von herausragender Bedeutung. Danach ist das Beziehungsgefüge zwischen Eltern und Kind und die Bewältigung psychodynamischer Prozesse in der frühen Kindheit für die Herausbildung einer reifen Persönlichkeit von entscheidender Bedeutung. Entsteht beispielsweise ein Gefühl emotionaler Vernachlässigung, der Verlust an Zuwendung und damit verbunden in besonderem Maße Angst, können unbewußt Bedingungen für ein späteres Suchtverhalten prädestiniert sein. Drogensucht wird als Regression gewertet, die Droge wird zum Ersatzobjekt. Eine Situation wird vom Drogenabhängigen als unerträglich empfunden, er fühlt sich verlassen, überfordert, unzufrieden.
Mit Hilfe der Droge wird die Situation erträglich gemacht und kurzfristig überwunden.
Verschiedene Verhaltensweisen, wie sie bei Drogenabhängigen besonders häufig beobachtet werden, lassen sich ebenfalls psychoanalytisch gut erklären. Frühe Verwöhnung kann besonders in der Pubertät zu einer Identitätskrise führen, was in einer Konsumgesellschaft und ihren bestimmenden Wertemustern begünstigt wird. Gefühle von Leere, Sinnlosigkeit und Kontaktarmut und geringe Frustrationstoleranz lösen ebenfalls bei vielen Menschen die Versuchung aus, sich durch die Einnahme von Drogen von den damit verbundenen Belastungen zu befreien. Die Droge hat die Funktion, zu schützen und eine durch sie definierte Innenwelt gegen die äußere Realität aufzubauen.
Die lerntheoretischen Ansätze haben keine geringere Bedeutung als Erklärungsversuch, insbesondere bieten sich daraus abgeleitet gute therapeutische Interventionsstrategien an. Die Theorie basiert auf der Annahme, daß ein Verhalten am ehesten wiederholt wird, wenn es durch eine positive Verstärkung bekräftigt wird. D.h. die Drogeneinnahme wird wiederholt, wenn durch die Droge ein unangenehmes Gefühl beseitigt wurde (operantes Konditionieren). Auch das klassische Konditionieren dient als Erklärungsmodell für Drogenkonsum. Ein beliebter, neutraler Reiz kann allein eine Reaktion auslösen, wenn er über einen längeren Zeitraum mit einem anderen Reiz verknüpft war, der diese Reaktion schon immer hervorrufen konnte. Wird beispielsweise in einer bestimmten Umgebung eine Droge eingenommen, so kann nach wiederholtem Konsum die Sehnsucht nach der Droge bereits in dieser Umgebung akut ausgelöst sein. Eine dritte lerntheoretische Variante ist das Lernen am Modell, nach dem Verhalten imitiert wird, das bei anderen als erfolgreiches Verhalten, d.h. hier befriedigendes Verhalten, erkannt wird. (Vgl.: Längle; 1996; S. 210-211)
Sucht oder Abhängigkeit hat nie eine einzige Ursache, sondern entsteht aus einem komplexen Ursachengefüge, in einem Prozeß und nicht von heute auf morgen.
Wurzeln können in der Persönlichkeit des Betroffenen liegen, wenn er nicht gelernt hat, schwierige Situationen zu bewältigen, wenn er sich nicht dagegen wehren kann, von Gefühlen wie Angst, Wut, Scham, Langeweile und Einsamkeit erdrückt zu werden.
Wurzeln können aber auch im sozialen Umfeld liegen, in Kindheitserfahrungen oder in Ereignissen, die bedrohlich und ausweglos erscheinen, wie Trennung von einer geliebten Person, Verlust des Arbeitsplatzes, Geldnot, Schulprobleme, Schwierigkeiten in der Familie.
Das Zusammentreffen mehrerer belastender Faktoren kann den Einstieg in den Drogenkonsum begünstigen. Dabei spielt natürlich auch die Verfügbarkeit der Droge eine Rolle.
Hat man in einer schwierigen Situation einmal die Erfahrung gemacht, daß durch Drogen im engeren oder weiteren Sinne schlechte Gefühle abgestellt und gute Gefühle hervorgerufen werden, ist die Gefahr groß, immer wieder zu diesem Mittel zu greifen, sich „per Knopfdruck“ Erleichterung zu verschaffen, bis ein Wohlbefinden ohne diese Hilfe nicht mehr möglich ist.
Aber auch Leichtfähigkeit im Umgang mit Suchtstoffen, Selbstüberschätzung („...ich kann schon damit umgehen, ich werde schon nicht abhängig...“) sind oft der Einstieg in eine Suchtkarriere.
Der Wunsch nach Hochgefühl, Entlastung, Erleichterung, Flucht wird mit Hilfe der Droge befriedigt, das Verlangen danach wird größer, die Dosis wird gesteigert. Schuldgefühle entstehen; man versucht, sich zu rechtfertigen, sich selbst und andere zu täuschen, zu vertuschen; Vorsätze und Versprechungen werden nicht eingehalten; die Familie und Freunde werden belogen, bestohlen; das Suchtmittel wird Dreh- und Angelpunkt des Lebens. Die Sucht hat die ürsprünglichen Probleme überlagert und neue geschaffen, die dem Betroffenen unüberwindlich scheinen. (Vgl.: Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren e.V.; 1993; S. 5)
Seit im Jahre 1975 die Existenz der körpereigenen Drogen nachgewiesen werden konnte, hat sich unser Bild vom Verhältnis zwischen Menschen und Drogen insgesamt tiefgreifend verändert. Denn während man bis dahin glauben konnte, daß sich Gesundheit geradezu durch die Tatsache der „Drogenfreiheit“ definieren ließe, so weiß man heute, daß niemand ohne Drogen überleben könnte – Drogen, die das Zentrale Nervensystem eines Menschen selber herstellt und die dem Hauptwirkstoff des Opiums, dem Morphin, so verblüffend ähneln, daß alle positiven Gefühle und Empfindungen biochemisch durch die verstärkte Produktion körpereigener Belohnungsstoffe vermittelt werden: ob Freude, Lust oder Leistungseuphorie, ob Essens-, Sex- oder Kunstgenuß – immer wird dabei zumindest eines der Zentren im Belohnungssystem des Gehirns durch Drogen stimuliert. (Vgl.: Scherer, S.; 1995; S. 39-41)
1.4 Die Physische (körperliche) Abhängigkeit
Von körperlichen Abhängigkeit spricht man, wenn der Körper den Stoff in seinen Stoffwechsel eingebaut hat und wenn nach Absetzen der Drogen körperliche Entzugserscheinungen wie Schweißausbrüche, Fieber, Muskelschmerzen, Erbrechen auftreten.
Die physische Abhängigkeit ist nur durch Entzugserscheinungen nach Absetzen des Suchtstoffes feststellbar. Physische Abhängigkeit entsteht durch wiederholte Anwendung eines Suchtstoffes: Schließlich „braucht“ der Körper den Stoff. Eine körperliche Abhängigkeit entwickelt sich nicht bei allen Suchtstoffen. (Poser; 1996; S. 21-22)
Unser Körper, unser Nervensystem, die Sensibiltität unserer Wahrnehmungsorgane befinden sich im Alltag in einem Normalbereich, der eine gewisse Bandbreite nicht überschreitet. Verglichen mit einer mathematischen Kurve, befinden wir uns in Zeiten der Entspannung oder des Schlafs sozusagen unter dem 0-Punkt. In dieser Zeit regenerieren wir, um im Alltag den Normalbereich aufrechterhalten zu können. Bei körperlicher Aktivierung, wie zum Beispiel sportlichen Leistungen, sexueller Aktivität oder in besonderen Gefahren, befinden wir uns im positiv ansteigenden Bereich dieser Kurve. Unser Körper ist so beschaffen, daß er stets das Gleichgewicht sucht. Ein gesunder Mensch ist weder dauerhaft entspannt noch dauerhaft angespannt. Wir brauchen die Ruhe und den Normalzustand im Alltag, um in außergewöhlichen Situationen die Kraft für besondere Aufmerksamkeit und Anspannungen aufzubringen. Alltägliche Gefahren im Straßenverkehr oder auch andere Situationen, die höchste Konzentration erfordern, gibt es genug.
Für die Bewältigung dieser besonderen Situationen hält der Körper eine besondere Belohnen bereit: Er schüttet im Gehirn Endorphine aus, Stoffe, die in ihrer Struktur den Opiaten ähnlich sind und ein Glücksgefühl vermitteln. Bergsteiger, Jogger, Rennfahrer wissen davon zu berichten. Aber auch jeder der jemals einen Orgasmus erlebt hat. So schön dieses Glücksgefühl ist, es bleibt auf kurze Zeiträume begrenzt. Permanente Lust, wäre sie denn möglich, wäre gesundheitsschädlich. Für alle diesen natürlichen Wege, ein solches Gefühl zu erreichen, gilt: Sie sind wiederholbar, aber die Wiederholung setzt Zeit und vor allem eine gewisse Mühe oder Anstrengung voraus. Nun können Menschen in Situationen geraten, in denen sie das dringende Bedürfnis verspüren, ihre Aktivität, ihren Bewußtheitszustand deutlich aus dem Normalbereich herauszuheben, und diesen Zustand ganz schnell und möglichst ohne Anstrengung erreichen zu wollen. Der Veränderungswunsch kann in Richtung Aktivierung gehen: Jemand möchte immer mehr, immer schneller, immer intensiver empfinden, leisten, tun. Die Veränderung kann aber auch Dämpfung zum Ziel haben: Jemandem ist alles zuviel, er möchte weniger wahrnehmen, er möchte sich „dicht“ machen gegenüber den störenden Reizen von außen.
Für beide Veränderungswünsche gibt es Drogen: Kokain, Amphetamine, aber auch Koffein zum Beispiel aktivieren. Heroin, Morphin, Valium, Adumbran, Medinox usw. dämpfen. Von Droge zu Droge verschieden ist die Intensität der Veränderung. Koffein regt an, aber deutlich schwächer als beispielsweise Kokain. Unterschiedlich ist ebenfalls, in welchem Maße die dämpfende oder erregende Wirkung begleitet wird durch die zusätzliche Wirkung der Euphorie. Dazu ein Beispiel: Obwohl Methadon eine sehr starke Droge und in manchen Eigenschaften mit Heroin vergleichbar ist, erzeugt es im Gegensatz zu diesem keine Euphorie. Die sehr stark euphorisierende Wirkung von Heroin – stärker noch als die des Morphins – war schließlich der Grund für seinen Namen: Heroin kommt von heroisch.
Ein drittes, wesentliches Kriterium zur Unterscheidung der Wirkung von Drogen – neben der Wirkungsintensität und dem euphorieauslösenden potential – ist die Fähigkeit des jeweiligen Stoffes, eine Toleranzbildung im Körper hervorzurufen. Nicht jede Droge besitzt diese Fähigkeit. Bei Haschisch zum Beispiel konnte sie noch nicht nachgewiesen werden; bei Kokain oder bei Nikotin ist sie umstritten. „Toleranzbildung“ ist der Grundmechanismus der körperlichen Abhängigkeit: Führt sich jemand eine Gebrauchsmenge einer Droge zu, etwa um eine Dämpfung zu erreichen, also ungefähr 0,2g Heroin oder auch eine Tablette Valium oder Adumbran, so wirkt dieser Stoff nur eine gewisse Zeit. Der Körper wehrt sich. Er achtet gewissermaßen darauf, daß wir wieder in den Normalbereich unserer Aufmerksamkeit zurückkehren. Der Körper spült das ihm zugeführte Gift wieder aus. Die Zeit, die er dafür braucht, ist je nach Droge verschieden. Manche Stoffe haben eine längere, manche eine kürzere sogenannte Halbwertszeit (Methadon zum Beispiel 24 bis 36 Stunden, Heroin 4-6 Stunden).
Dann beginnt der Kampf des Drogenkonsumenten gegen seinen Körper. Er spürt das Nachlassen der Wirkung und nimmt die Droge erneut ein. Wird so der Versuch des Körpers, das Gift auszuscheiden, durch immer neue Drogenzufuhr konterkariert, wendet er eine weitere Abwehrstrategie an. Er kann zwar nicht verhindern, daß das Gift immer wieder in den Kreislauf gelangt, aber er kann die Wirkung abschwächen. Er bildet Toleranz aus.
Hat der Drogenkonsument eine solche Droge (sei es Valium oder Heroin) etwa 10- bis 15mal in gleichbleibender Dosierung und zeitlich aufeinanderfolgend eingenommen, ist die Toleranz so weit ausgebildet, daß mit der Einnahme lediglich die Erhaltung des Normalzustandes, aber nicht mehr die ursprünglich angestrebte Dämpfung oder Aktivierung erreicht wird. Die Dosis muß also erhöht werden. Und mit der erhöhten Dosis beginnt der Kampf von neuem.
Dieser Prozeß kann bis zu einem Ausmaß fortgesetzt werden, bei dem der Konsument sich an Drogenmengen gewöhnt hat, die bei einem gesunden Menschen zum Tode führen würden. In der Tat ist dies eine nicht seltene Todesursache bei Drogenabhängigen: wenn nach einem körperlichen Entzug wieder die vorherige Höchstdosis eingenommen wird, ohne daß der Körper Gelegenheit zur Toleranzbildung hatte. So ist das Entstehen der körperlichen Abhängigkeit ein negativer Effekt dieses verzweifelten Kampfes des Körpers gegen die Drogenwirkung. Der Abhängige erreicht kaum noch Euphorie und auch nur kurzfristig Dämpfung oder Aktivierung. Er braucht die Droge allein schon, um den Normalzustand zu erhalten und um die quälenden Entzugserscheinungen zu vermeiden. Denn nachdem der Körper diese Gegenkräfte, die Toleranz gegen die Drogenwirkung aufgebaut hat, würde der Verzicht auf die Droge zu körperlichen Reaktionen führen, die der vorherigen Drogenwirkung entgegengesetzt sind: Bei vorheriger Aktivierung wäre dies Erschöpfung, bei vorheriger Dämpfung Unruhe, Schlaflosigkeit usw.
Diese Reaktion des Körpers auf den Entzug der Droge nach vorheriger Gewöhnung und Toleranzbildung fällt um so stärker aus, je höher die inzwischen erreichte Dosis ist. Zu Beginn mag es sich nur als ein nicht genau definierbares Unwohlsein bemerkbar machen, das der Konsument vielleicht noch gar nicht als in Beziehung zur Droge stehend erkennt, bis er „lernt“, daß es infolge der Drogeneinnahme verschwindet. Wurde die Dosis jedoch mehrfach gesteigert und hat sich der Körper lange an die Droge gewöhnt, fallen die Entzugserscheinungen stark und quälend aus. Daher „sucht“ der Abhängige bereits wieder nach der Droge, wenn sich nur die ersten Entzugsbeschwerden andeuten. (Vgl.: Kindermann; 1991; S. 36-41)
Entzugserscheinungen:
Unabhängig von welchem Mittel entzogen wird, ist der Entzug immer begleitet von starker Angst, innerer Unruhe, Unsicherheit und der Versuchung, wieder auf das Mittel zurückzugreifen. Die körperlichen Symptome können durch solche Gefühle bis auf ein unerträgliches Maß gesteigert werden. Hilfreich ist eine suchtmittelfreie Umgebung und Menschen, die einfühlsam sind, ablenken, beruhigen, Mut machen, kurz: „durchhelfen“. Der Heroinentzug gleicht einer starken Grippe und ist in drei bis sieben Tagen durchgestanden. Die auftretenden Entzugserscheinungen können jedoch je nach Dauer und Dosierung des Stoffes, insbesondere bei gleichzeitiger Abhängigkeit von anderen Suchtmitteln (Medikamente, Alkohol) wesentlich gravierender sein. (Vgl.: Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren; 1993; S. 7)
1.5 Die Psychische Abhängigkeit
Psychische Abhängigkeit ist das Verlangen, den bekannten Effekt des Suchtstoffs erneut zu erfahren und den Konsum fortzusetzen (Cox u. Mitarb. 1983, Gerchow u. Mitarb. 1987). Man könnte auch von der Bindung des Suchtkranken an seinen“ Stoff sprechen. Die psychische Abhängigkeit manifestiert sich unter anderem im sogenannten Drug seeking behavior, ein auf Erlangung des Suchtstoffes hin gerichtetes Verhalten (Wanke 1987). Die psychische Abhängigkeit kann sich sehr schnell entwickeln, unter Umständen schon nach dem ersten Konsum. Bei Opioiden, vor allem Heroin, entsteht in einem Teil der Fälle die psychische Abhängigkeit schon mit der ersten Zufuhr. Die psychische Abhängigkeit kann so schwer werden, daß der Suchtstoff für den Betroffenen zum wichtigsten Inhalt seines Lebens wird, hinter dem alle anderen Werte zurückzustehen haben.
Voraussetzungen für die Entwicklung einer psychischen Abhängigkeit sind:
- Der Stoff wirkt euphorisierend, oder er beseitigt eine Dysphorie
- Die Stoffwirkung kann von der anderer Stoffe unterschieden werden und wird auch dem Stoff zugeschrieben
- Der Stoff induziert den Wunsch nach erneuter Einnahme
Die psychische Abhängigkeit ist der Motor jeder süchtigen Entwicklung. (Vgl.: Poser; 1996; S. 19-20)
Der Begriff der psychischen Abhängigkeit wurde eingeführt, weil bei einigen Drogen (z.B. LSD, Kokain, Haschisch) keine körperliche Abhängigkeit eintritt. Das Verlangen, den Konsum fortzusetzen, ist dennoch sehr stark und nicht mehr steuerbar. Wenn das Mittel abgesetzt wird, treten Unlustgefühle und Depressionen auf. Sucht bedeutet in beiden Fällen Unfreiheit. Der Mensch kann mit Suchtmittel nicht mehr frei umgehen. (Vgl.: Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren e.V.; 1993; S. 3)
So drastisch die Entzugsbeschwerden subjektiv dem Abhängigen, aber auch dem Betrachter erscheinen mögen, dieses körperliche Unwohlsein ist die im Vergleich eher harmlose Seite der Abhängigkeit. Sie kann in einem Zeitraum von Tagen oder längstens wenigen Wochen überwunden werden. In guten Entzugsprogrammen wird die körperliche Abhängigkeit auch leicht bewältigt.
Wesentlich schwerer und von längerer Dauer ist die psychische Abhängigkeit von Drogen.
Manche Drogen erzeugen körperliche und seelische Abhängigkeit, andere (nämlich diejenigen, die keine Toleranzbildung bewirken) „nur“ seelische. Eine Vorstufe der seelischen Abhängigkeit ist die Gewöhnung. In welchem Maße aus Gewöhnung Abhängigkeit geworden ist, erkennen wir, wenn das Gewohnte fehlt.
Die Gewöhnung an Drogen: Das ist, als ob jemand einmal in seinem Gehirn einen Schalter umgelegt und dabei etwas ungemein Positives erfahren hat. Er kann schweben, ohne etwas dafür zu tun. Er kann schweben, ohne etwas dafür zu tun. Er empfindet keine Probleme, keine Schwierigkeiten, keine Alltagssorgen mehr – solange die Droge wirkt. Also legt er diesen Schalter wieder um, und wieder...Irgendwann geschieht das Umlegen des Schalters gar nicht mehr bewußt. Es muß einfach sein. Der kleinste Anlaß genügt, um das dringende Verlangen nach der Droge auszulösen. Das Verlangen wird immer mächtiger, die Entscheidungskraft immer geringer. „Kontrollverlust“ ist das Schlüsselwort der Abhängigkeit. Liegt „Kontrollverlust“ vor, dann besteht seelische Abhängigkeit.
Sie wirkt noch lange weiter, auch wenn die körperliche Abhängigkeit bereits überwunden ist: Die Erinnerung daran, was geschieht, wenn der Schalter umgelegt wird, ist nicht auszulöschen. Es genügt eine schwierige Alltagssituation, ein Beziehungskonflikt, Ärger am Arbeitsplatz oder auch einfach Langeweile – und das Verlangen erwacht.
Der Schuß ersetzt dem Abhängigen alles: im Winter den Pelz, bei Hunger das Essen. Er nimmt die Zahnschmerzen und gibt Trost in der Verzweiflung, wie auch immer sie entstanden sein mag. Er ersetzt Partner, Familie, Kinder, Eltern.
Aber immer nur für eine gewisse Zeit. Mit jedem Erwachen werden die Probleme, vor denen der Abhängige flieht, größer. Die Kälte beißender, die Einsamkeit lähmender, die Selbstentäuschung vernichtender. Am Ende ist nur noch Verzweiflung. Das alles ist Abhängigkeit. (Vgl.: Kindermann; 1991; S. 42-46)
Exkurs zu Toleranz und Suchtpotential:
Toleranz (Gewöhnung):
Toleranz und Gewöhnung sind in der Fachsprache Synonyme. Da aber Gewöhnung umgangssprachlich in zwei verschiedenen Bedeutungen benutzt wird
(Gewohnheitsbildung oder Toleranz), sollte um der Klarheit willen nur der Begriff Toleranz gebraucht werden. Toleranzentwicklung ist eine häufige Antwort des Organismus auf einen Fremdstoff, die nicht nur bei Exposition mit Suchtstoffen beobachtet wird.
Die deutlichste Toleranz entwickelt sich unter Opioiden: Hier wurde in einigen Fällen eine Dosissteigerung auf das 50fache beobachtet. Die Toleranzentwicklung kann total sein, d.h. der Stoffeffekt ist auch mit Dosiserhöhungen nicht wiederherzustellen. Häufiger ist eine partielle Toleranz, wobei die Wirkung durch Dosiserhöhung teilweise oder ganz wiedererreicht werden kann.
Toleranz besteht nicht nur gegenüber dem Stoff selbst. Auch die Wirkung nah verwandter Stoffe ist abgeschwächt oder aufgehoben. Das heißt, ein Individuum, das eine Toleranz gegenüber Heroin entwickelt hat, ist damit automatisch auch gegenüber Levomethadon, Pethidin, Kodein usw. tolerant. Dieses Phänomen wird Kreuztoleranz genannt. Eine einmal entstandene Toleranz ist rückbildungsfähig. Bei den Opioiden verschwindet sie im Lauf einiger Tage bis Wochen komplett; dies Phänomen heißt Toleranzverlust. Wenn der bertoffene Suchtkranke nach einer erzwungenen Abstinenz einen Toleranzverlust erlitten hat, sich aber trotzdem die alte Menge Opioid zuführt, dann kann es zu akuten Intoxikationserscheinungen kommen. So erklären sich manche Todesfälle durch die erste Heroininjektion nach einer längeren Haft. (Vgl.: Poser; 1996; S. 24-25)
Suchtpotential:
Das Suchtpotential einer Substanz ist die fiktive Eigenschaft, bei manchen oder allen Menschen eine Abhängigkeit oder einen Abusus zu erzeugen (Keup 1980, Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren 1987). Man stellt sich vor, jede Substanz verursache bei einem definierten Prozentsatz der Dauereinnehmer eine Abhängigkeit. Je höher dieser Prozentsatz ist, desto höher das Abhängigkeitspotential. Diese Definition berücksichtigt nicht die zeitliche Komponente: Zwar erzeugen Stoffe mit hohem Suchtpotential wie Heroin nicht nur besonders häufig, sondern auch besonders schnell eine Abhängigkeit. Klassische Opiate wie Morphin, Heroin und Levomethadon haben ein extrem hohes Suchtpotential. Je höher das Suchtpotential einer Substanz ist, desto müheloser läßt sich eine Abhängigkeit erzeugen. (Vgl.: Poser; 1996; S. 26-27)
2 Die Drogenhilfe
2.1 Entwicklung der Drogenarbeit in Deutschland
Die psychosoziale und therapeutische Versorgung Drogenabhängiger ist 1995 gekennzeichnet von einem guten bis sehr guten Hilfesystem stationärer Einrichtungen, einem flächendeckenden Angebot von Beratungsstellen, die allerdings nur zum geringeren Teil mit der Arbeit mit Drogenabhängigen vertraut sind, dem zunehmenden Aufbau von Kontaktläden für niedrigschwellige Angebote und einer unbekannten Zahl von substituierenden Ärzten in Praxen. Die Drogenarbeit war 20 Jahre lang Stiefkind der Medizin, im Zuge einer Qualifizierung der Therapie und insbesondere mit zunehmender Substitution kristallisiert sich ein bedeutendes Aufgabenfeld für Ärzte heraus. Drogenarbeit steht heute in Gefahr, sich in zwei Lager zu spalten: Eine medizinisch bestimmte Versorgung versus einer psychosozialen Versorgung mit mehr pädagogischen und psychologischen Anteilen.
Maßgebend für diesen Entwicklungsstand ist das frühere Desinteresse der Medizin an der Arbeit mit Drogenabhängigen. Psychiatrische Kliniken waren lediglich für die Akutversorgung, Allgemeinkrankenhäuser für die Sekundärerkrankungen ansprechbar. Obwohl 1967 Abhängigkeitskrankheiten im Rahmen der Reichsverordnung (RVO) als
Krankheiten anerkannt wurden, gab es noch erhebliche Probleme bei der finanziellen Absicherung einer Drogentherapie. Das was sich in Deutschland seinerzeit entwickelte, entstand aus der Initiative von Pädagogen und Psychologen sowie Sozialarbeitern, die sich meist aus solidarischer Haltung Drogenabhängiger annahmen und in Wohngemeinschaften, später therapeutischen Geimeinschaften, Lebensfelder entwickelten, die einen Ausstieg aus der Drogenszene ermöglichen. Für Deutschland war sowohl die Release-Bewegung im Sinne einer akzeptierenden Annahme prägend als auch die Selbsthilfebewegungen aus den USA von Synanon und Daytop. Zwischen diesen Polen bildeten sich an vielen Orten im Lande Initiativen und Vereine, die den Beginn einer therapeutischen Arbeit begründeten. Besonders schnell entwickelten sich therapeutische Gemeinschaften und die damit eine Versorgung im stationären Bereich. Mit zunehmender Qualifizierung der Mitarbeiter wuchsen die Ansprüche an ein therapeutisch begründbares Konzept. Dem gegenüber standen ab 1978 mit der Empfehlungsvereinbarung Sucht der Rentenversicherungsträger und Krankenkassen an die Einrichtungen gerichtete Ansprüche eines Grundstandards.
Drogenabhängige, die den Anforderungen nicht entsprachen, fanden nur in wenigen Einrichtungen Aufnahme. Es entwickelte sich wie im Alkoholbereich eine Spaltung zwischen den Drogenabhängigen, die noch über Ressourcen zur Mitwirkung an der Therapie verfügten und denjenigen, für die sich aufgrund ihres Zustandes keine Tür in eine Therapieeinrichtung mehr öffnen ließ.
Mitte der Achziger Jahre entstand mit der Aidsproblematik eine neue Herausforderung an die Drogenarbeit. Der Aspekt der Prävention rückte in den Vordergrund und damit die Frage, wieviele Drogenabhängige durch das bestehende Hilfesystem erreicht werden. In Deutschland entzündete sich ein heftiger Ideologiestreit. Manche stationären Einrichtungen befürchteten eine Aufweichung ihrer Therapieziele, manche Aidshilfen traten für eine Umkehrung in der Problemanalyse ein: Nicht die Drogen seien das Problem, sondern das mit dem Verbot verbundene Elend der drogenabhängigen und ihre ständige Verfolgung durch die Polizei, womit jegliche Prophylaxemaßnahmen torpediert würden.
Eine Herausarbeitung der therapeutischen Möglichkeiten durch Substitution und eine differenzierte Indikationsstellung für abstinenzorientierte Therapien war in einer so polarisierten Gegnerschaft kaum möglich.
Heute ist die Phase weitgehend durchlebt und eine Integration verschiedener Ansätze wird mehr und mehr umgesetzt. (Vgl.: Längle G.; 1996; S. 208-209)
„Der Ausstieg braucht ebensoviel Zeit wie der Einstieg.“
Wie die Entstehung einer Abhängigkeit ein individuell unterschiedlich langer Prozeß ist, muß auch der Ausstieg als Prozeß begriffen werden. In dessen Verlauf wird die Fähigkeit, der Realität standzuhalten, größer, das Erkenntnis-, Denk- und Urteilsvermögen setzt wieder ein, die Angst vor der Zukunft nimmt ab, die Fluchtwünsche werden weniger, das Selbstvertrauen nimmt zu, bis schließlich Nüchternheit als befriedigend erlebt wird.
2.2 Drogehilfe zwischen Abstinenz und Substitution
2.2.1 Die Drogenberatung
Drogenabhängige können sich bei Drogenberatungsstellen informieren und selber entscheiden welche Hilfe für sie am sinnvollsten ist.
Es muß von Seiten der Drogenberatungsstellen dem Drogenabhängigen klar gemacht werden, daß für den Drogenabhängigen mehrere Möglichkeiten der "Drogenhilfe" vorhanden sind, dementrsprechen sind individuelle Angebote von der Drogenberatung zu machen, damit das Drogenproblem individuell Beahandelt werden kann.
Zum Tätigkeitsfeld der Drogenberatung zählen je nach Konzeption des Trägers, Ortslage und Personalausstattung folgende Bereiche :
1. Beratung von Betroffenen und deren Angehörigen;
2. Niederschwellige Angebote wie z.B. Kontaktstelle, Dusch und Waschmöglichkeiten, Übernachtungen, Spritzenaustausch;
3. Suchtbegleitung;
4. Vermittlung von Entgiftungsplätzen;
5. Vermittlung von Therapieplätzen in ambulanten und stationären Einrichtungen;
6. Präventionsarbeit (in Schulen, Jugendfreizeitheimen u.a.);
7. nachgehende Betreuung im Sinne der Reintegration ehemaliger Süchtiger;
8. Kooperation mit anderen Suchteinrichtungen;
9. ambulante Suchttherapie. In der BRD (alte und neue Bundesländer) arbeiten ca. 1250 „ambulante Beratungs- und Behandlungsstellen für Suchtkranke“, von denen sich ca. 200 auf die Abhängigkeit von illegalen Drogen spezialisiert haben.
Drogenberatungsstellen betreiben anonyme Drogenberatung in der Szene, um mit Süchtigen in Kontakt zu kommen. Die Drogenberatung in Beratungsstellen, Haftanstalten, Kliniken, psychiatrischen Kliniken, Jugendfreizeitheimen, Heimen, etc. hat zum Ziel, den süchtigen Jugendlichen oder Erwachsenen anzusprechen, zu erreichen und einen guten Kontakt zu halten. Fragen des Betroffenen nach Bewältigung des Alltags, Hilfen bei der Findung von Klinikbetten (für die körperliche Entgiftung), Auskünfte über Möglichkeiten amtlicher Hilfeleistungen usw. bilden einen wichtigen Ansatz der Drogenberatung im sogenannten niedrigschwelligen Bereich. Damit verbunden ist ein weiter moderner Begriff, die „akzeptierende Drogenarbeit“.
Letzterer meint, den süchtigen Menschen in seiner Suchtbefindlichkeit anzunehmen, ohne Bedingungen oder Hilfeziele anzubieten (Linderung der dringensten materiellen und gesundheitlichen Notstände). Im engsten Zusammenhang ist dann die Vergabe von Substitutionsstoffen wie Methadon oder Codeinpräperaten die Konsequenz. Die Ersatzstoffevergabe an (Heroin-) Süchtige gilt als weiterer Hilfeansatz, der zwar in anderen Ländern wohlvertraut ist (USA, Niederlande, Italien, Großbritannien), der jedoch in der BRD weiterhin stark umstritten ist. Niedrigschwellige Angebote und akzeptierende Drogenarbeit können als resignative Antworten auf das immer größer werdende Drogenproblem verstanden werden. Es geht vielfach in der Drogenhilfe nicht mehr um „Ausstiegshilfen“ in der Richtung, daß der süchtige Mensch ein drogenfreies und autonomes Leben zu führen lernt. Mit den vermeintlich modernen Hilfen wird eine große Zahl suchtkranker junger Menschen im Einflußbereich der illegalen Drogenszene gehalten, da keine konkreten Ausstiegsziele angestrebt werden. (Vgl.: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, 1993, S. 246-247)
2.2.2 Drogentherapie
2.2.2.1 Drogentherapeutische Versorgung in Deutschland
Es gibt etwa 850 Behandlungsplätze zum Qualifizierten Entzug für Drogenabhängige, die in der Regel in psychiatrischen Kliniken oder auf speziellen Stationen in Allgemeinkrankenhäusern untergebracht sind. Für die Langzeittherapie (12 Monate) gibt es ca. 4.890 Behandlungsplätze, für die Kurzzeittherapie (bis zu 6 Monaten) 362 Behandlungsplätze. Bundesweit gibt es 142 Kontaktläden und Notschlafstellen.
1. Langzeittherapie (12 Monate)
2. Kurzzeittherapie (3-6) Monate) Kompakttherapie (3Monate)
3. Außerstationäre Therapie (6-12 Monate)
4. Ambulante Rehabilitation (6-12 Monate)
Muß jeder Drogenabhänge einen stationären Behandlungsplatz bekommen?
Aufgrund der Illegalität und Strafandrohung sind sehr viel mehr Drogenabhängige in ambulanter Betreuung bei Drogenberatungsstellen. Aber auch Drogenabhängige konsultieren vermutlich in überwiegendem Maße Praxen, weil sie sich hier unmittelbare Hilfe erhoffen und ihre Erwartungen auch meist bestätigt werden. Der gerade von Politikern zu vernehmende Ruf nach mehr Therapieplätzen, um Drogenabhängigen sofort und unmittelbar einen Ausstieg zu ermöglichen, trifft nicht den Kern des Problems. Mehr Therapieplätze werden notwendig, wenn Drogenabhängige früher in Behandlung gehen als bisher und schneller die Bereitschaft und Motivation zum Durchhalten einer stationären Therapie entwickeln. Davon kann aber nicht ausgegangen werden. In Abhängigkeit vom frühen Einstiegsalter kann drogenkonsumierenden Jugendlichen nur bedingt der Weg aus der Drogenabhängigkeit verkürzt werden. Sie fühlen sich zu Beginn des Drogenkonsums anders als typische Drogenabhängige und glauben, auch nach ersten Mißerfolgen, daß ihnen ein Ausstieg noch immer gelingen würde. Je Jünger der Drogenabhängige ist, desto geringer die Chance einer sehr frühen erfolgreichen Intervention.
Eine Lösung des Problems kann nicht durch eine weitere Zufallsverteilung herbeigeführt werden, sondern erfordert eine am Bedarf orientierte und die Vielfalt verschiedene Hilfeansätze berücksichtigende Gesamtversorgungskonzeption.
Dazu gehört die Prüfung, wie viele Drogenabhängige über intensive ambulante Betreuung ausreichende Hilfen bekommen und wie viele über Substitutionsbehandlung eine angemessene Unterstützung erfahren. Ebenso ist eine differenzierte Indikation zur Dauer der stationären Therapie erforderlich. Es kann davon ausgegangen werden, daß mangels einer gesicherten Indikationsstellung Langzeittherapieplätze teilweise fehlbelegt sind. Eine bedarfsgerechte Versorgung erfordert eine stärkere Zusammenarbeit und Vernetzung der verschiedenen Bereiche als bisher. (Vgl.: Längle; 1996; S. 216-217)
Da Drogentherapie heute nicht mehr als ein medizinisches-psychiatrisches, sondern im wesentlichen als vielschichtiges psychosoziales Problem gesehen wird, muß sich Drogentherapie über das traditionelle Verständnis von medizinischer Therapie weit hinaus gehen und grundlegende Prinzipien einer sozial psychiatrischen Versorgung aufgreifen. Die Behandlungskette aus Beratung – Entgiftung – Entwöhnung – Rehabilitation – Nachsorge muß Richtschnur für ein differenziertes regionales, gemeindenahes System der Drogenhilfe sein. Letztlich ist es vom Einzelfall und der konsumierten Droge abhängig, welche Drogentherapie angezeigt ist und wie lange sie dauern muß. Mit der Kontaktaufnahme zu einer Drogenberatungsstelle beginnt für viele Drogenabhängige die Bewältigung ihrer Suchtprobleme. Die körperliche Entgiftung steht vor dem Eintritt in eine Drogentherapie,; nach dem Therapieende sollte die Nachsorge die Stabilisierung des individuellen Therapieerfolges sichern helfen. Die Drogentherapie findet als stationäre Therapieform überwiegend in Langzeittherapieeinrichtungen statt.
(Vgl.: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge; 1993; S. 247-248)
2.2.3 Die abstinenzorientierte Drogenhilfe
Der therapeutische Ansatz der abstinenzorientierten Therapien ist eklektisch.
In Deutschland war über lange Jahre das Mittel der Wahl die Langzeittherapie. Langzeittherapien sind in der Regel abstinenzorientierte Therapien, die im Sinne einer therapeutischen Gemeinschaft strukturiert sind. Die Mitglieder leben nach einer festen Regelvorgabe, übernehmen in weiten Teilen Eigenverantwortung und organisieren den Lebensalltag in der Gemeinschaft selbst und beherzigen drei Grundsätze: Keine Drogen, keine Gewalt und Ehrlichkeit. Es gibt therapeutische Gemeinschaften als Selbsthilfeorganisationen wie bei Synanon, die meisten aber sind professionell organisiert und von einem multiprofessionellen Team angeleitet. Die Behandlungsdauer beträgt in der Regel 12 Monate, früher waren es 18 Monate und mehr. Langzeittherapien standen lange Zeit im Verruf, extrem repressiv, autoritär und hierarchisch gegliedert zu sein. Mit der isolierten Lage, oft in alten Schlössern, Burgen und alten Bauwerken, die in Eigenarbeit wiederaufgebaut wurden und meist sehr abseits liegen, wurde der therapeutische Grundsatz verbunden, den Drogenabhängigen möglichst weit weg von seiner Heimatgemeinde zu behandeln. Auch diese, ehemals eiserne, Grundregel ist heute zu hinterfragen. Ebenso sind Rückfälle heute in die Behandlung konstruktiv miteinzubeziehen und nicht auf eine Abwehrstrategie und Therapievermeidung zu reduzieren. Eine Abschottung von der Umwelt durch Kontaktverbot und Isolation wird ebenfalls neu definiert, es werden Partner eingeladen, es finden Familiengespräche statt und es werden eigene Unternehmungen im Verlauf der Therapie gefördert. (Vgl.: Längle; 1996; S. 211-212)
Der Entzug in der Klinik leistet die Überwindung der körperlichen Abhängigkeit. In der stationären Therapie muß die seelische Abhängigkeit überwunden werden. Dies braucht Zeit. Fern von den früheren Belastungen erhält der Abhängige in der stationären Therapie die Gelegenheit, allmählich eine neue Perspektive zu entwickeln. Dazu muß er zunächst lernen, seinen Lebensrythmus umzustellen.
War er früher häufig nachts unterwegs, so muß er sich in der Therapieeinrichtung an einen Tagesablauf gewöhnen, der den Regeln unserer Arbeitswelt entspricht. Er muß auf Drogen verzichten. Er muß lernen, soziale Konflikte gewaltfrei auszutragen, und er muß lernen, sich zu seiner Person und seinen Problemen zu bekennen, um schließlich daran arbeiten zu können.
Die Zeit der Therapie muß einen bedeutsamen Einschnitt im Leben des Abhängigen darstellen. Es ist wichtig, daß auch seine Angehörigen dies akzeptieren. Therapie ist eine Zeit der Nachreifung. Reifung braucht Zeit und Ruhe. (Vgl.: Kindermann; 1991; S. 195-196)
Fazit
Drogenhilfe darf nicht zu starr angelegt sein sie muß flexibel sein und individuell auf den Abhängigen zugeschnitten.
Verschiedene Behandlungsprinzipien sind mittlerweile überholt wie die mit ihnen verknüpften Dogmen der frühen Drogenhilfe: „Leidensdruck ist die Voraussetzung für Therapie; die Motivation muß durch harte Eingangsprüfungen getestet werden; ambulante Therapie ist unmöglich; die sanfte Begleitung eines Abhängigen ist Suchtverlängerung...“
Heute versucht man, therapeutische Netze aufzubauen, ein Wegesystem anzulegen, das den Abhängigen über verschiedene Stationen zum Ziel der Drogenfreiheit führen kann: Tagestherapie, Arbeitsprojekte, Selbsthilfegruppen sind Stichworte für diese Richtung der Hilfe. Und: Man akzeptiert heute auch Umwege. Man akzeptiert, daß die Schwere der Abhängigkeit den schnellen Erfolg eher unwahrscheinlich macht. Drogenhilfe ist Hilfe zum Lebenlernen. Das klingt bescheidener als manches psychotherapeutische Konzept.
2.2.4 Die akzeptierende Drogenhilfe
Die Abstinenzorientierung dominierte bis vor kurzem die traditionelle Drogenarbeit fast ausschließlich. Danach gilt als vorrangiges Ziel, Persönlichkeit und Lebensstil der Drogenabhängigen im Sinne einer lebenslangen Abstinenz von Drogen zu verändern. Akzeptanz der Abhängigkeit und die Verbesserung der gesundheitlichen und sozialen Lebensbedingungen galten diesem "Königsweg" gegenüber eher als "Komplizenschaft mit der Sucht" denn als sinnvoller Interventionsansatz. Drogenhilfe, die nicht unmittelbar auf das Abstinenzziel ausgerichtet war, galt als kontraproduktiv.
Erst das Auftreten der HIV-Infektion einerseits, das drastische Ansteigen der Zahlen der Drogenabhängigen und Drogentoten in der Bundesrepublik Deutschland andererseits führten zu neuen Herangehensweisen. Diese sind inzwischen insbesondere durch drei Begriffe "niedrigschwellige Drogenarbeit", "Akzeptierende Drogenarbeit" und "medikamentengestützte Drogentherapie" (Bossong u. Stöver 1989) gekennzeichnet. Im Kern geht es darum, davon abzugehen, das Ziel der Drogenfreiheit als verabsolutierendes Paradigma vor Gesundheitsförderung und Gesunderhaltung von Drogenkonsumenten zu setzen.
2.2.4.1 Niedrigschwellige Drogenhilfe
Niedergschwellige Drogenhilfe-Zentren sind wichtige Hilfen für die, die aus irgendeinem Grund an ihrer Abhängigkeit festhalten, dadurch gesundheitlich und sozial äußerst gefährdet sind und schnell praktischer Hilfe bedürfen. Krisenzentren bieten eine breite Palette von Hilfen an: Ärztliche Hilfen, juristische Beratung, Übernachtung, Hygiene, Essen und Trinken, saubere Spritzbestecke, soziale Beratung. Die Zentren unterscheiden sich untereinander, so daß bestimmte Hilfen nur in bestimmten Zentren angeboten werden. Allen gemeinsam ist, daß man sich dort ohne Auflagen aufhalten kann und daß keine Abstinenzforderung geäußert wird.
2.2.4.1.1 Substitution als akzeptierende Drogenhilfe
2.2.4.1.1.1 Substitution war schon im 19. Jahrhundert ein Thema
Man hat gelegentlich die Methadon-Substitution mit der Kokainbehandlung des Morphinismus verglichen.
Kokain bei Morphinismus
Kokain als Substitutionsmittel zu verwenden steht heute wieder hoch im rennen, Durch Metha-Substitution fehlt den Drogenabhängigen der Kick auch bleibt er beim Heroin allmählich aus. Die Frage hat sich schon aufgetan Substitution mit Methadon und Heroin wird wahrscheinlich nicht ausreichen, Kokain wird dazukommen.
Schon im 19. Jahrhundert war Kokain-Substitution in Amerika ein Thema, wo über ein neues Medikament zur Erleichterung des Morphin-Entzugs, nämlich den Extrakt von Erythroxylon Coca. Zwischen 1880 und 1890 wurden in Kreuzlingen 47 Morphinisten behandelt, 10 Frauen und 37 Männer (übrigens finden sich in allen damals veröffentlichten Berichten über Morphinismus zwischen 20 und 27 % Frauen). 47% waren Ärzte oder Arztfrauen, 9% Militärs, auch dies entspricht den Relationen anderer Kliniken. Zwischen 1884 und 1887 wurden in Kreuzlingen 18 Entziehungen mit Kokain durchgeführt. Man gab innerhalb von 3-7 Tagen Dosen von 1-5g Kokain in subkutaner Injektion, durchschnittlich etwa 500 mg täglich. Die Entzüge verliefen darunter wesentlich komplikationsarmer und weniger unangenehm. Die Zeiten bis zur völligen Morphinabstinenz verringerten sich unter der Kokaintherapie von 10 auf 5 Tage. Die Kreuzlinger Ärzte Smidt und Rank veröffentlichten ihre positiven Ergebnisse an wenigen Patienten im Jahr 1885. Sie bezeichneten das Kokain bei der Morphiumentziehung als „ein höchst schätzbares, dieselbe bedeutend erleichterndes und abkürzendes, geradezu unentbehrliches Mittel ohne nenneswerte üble Neben- und Nachwirkungen“. Eine Gewöhnung des Organismus an das Kokain scheine nicht einzutreten. Allerdings waren gelegentlich Delirien mit Angstzuständen und Halluzinationen aufgetreten, und es blieb für längere Zeit eine Streitfrage, ob es sich bei diesen Erscheinungen um ein Morphiumentzugsdelierium oder um Erscheinungen einer Vergiftung durch hohe Kokaindosen handle. Friedrich Albrecht Erlenmeyer, der Sohn jenes Arztes, der einst so warm für die subkutan Morphiumgaben eingetreten war, bestätigte Ranks positive Berichte nicht. Das Kokain führe nur ganz vorübergehend zu einer Besserung des Allgemeinbefindens während des Morphiumentzugs, sein hoher Preis stehe in keinem Verhältnis zu der unsicheren und flüchtigen Wirkung. Kokain sei auch keinesfalls, wie Freud geglaubt hatte, ein Gegenmittel gegen das Morphium, vielmehr nur ein schwacher Ersatz, also nicht ein Antagonist, sondern ein Substituens.
Die Anschauungen der Befürworter und Gegner der Kokaintherapie wurden in der Folge kontrovers diskutiert, 1887 wird Kokain in Kreuzlingen letztmals zum Morphiumentzug verwendet, danach scheint die Angelegenheit erledigt, ohne daß die positiven Effekte wirklich widerlegt worden wären.
Die Kokaintherapie der Morphiumsucht in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts mußte vor allem deshalb scheitern, weil die eigentliche psychologische Dimension der Sucht noch nicht erkannt, die Bedeutung der Substanz für den Abhängigen nicht ins Auge gefaßt, also das zugrundeliegende Persönlichkeitsproblem nicht gesehen werden konnte. Stattdessen blieb man auf der physiologischen Ebene, diskutierte die frage, ob Kokain Ersatz- oder Gegenmittel sei, welche Wirkungen auf die physiologischen Parameter die eine und die andere Substanz in entsprechender Dosierung hätten. Entzug und Entgiftung wurden vielfach gleichgesetzt, und so waren hohe Rückfallraten nicht verwunderlich. Eine eigentliche psychotherapeutische Behandlung der Sucht wurde im 19. Jahrhundert noch nicht entwickelt.
Heute versuchen wir Sucht als somatisches, womöglich genetisches determiniertes Phänomen zu verstehen.
Der Vergleich hinkt aber. Substitutionstherapien dienen doch in erster Linie dazu, Süchtige aus dem Teufelskreis von Illegalität und Beschaffungskriminalität herauszuholen. (Längle, 1996, S. 302-311)
2.2.4.1.1.2 Ziele der Substitution
Substitution- die Behandlung Opiatabhängiger mit der synthetischen Ersatzdroge Methadon – ist seit Ende 1992 als Methode der Behandlung Drogenabhängiger bundesweit gesetzlich anerkannt.
Durch die Substitution sollen unmittelbar drohende körperliche, seelische und soziale Schäden verhindert werden. Das Substitut bzw. die Ersatzdroge ist jeweils nur ein Hilfsmittel, um die eigentlich therapeutischen Prozesse wirksam werden zu lassen.
Substitutionsbehandlung beinhaltet weder eine Verabschiedung vom Ziel der Drogenfreiheit noch begreift sie ihre Patienten als therapieresistent. Allerdings bejaht sie, unabhängig vom Therapieziel Drogenfreiheit, auch einen Anspruch auf Leidenslinderung, auf eine eigenständige Hilfe bei Reduzierung von körperlichem und psychosozialem Elend.
Dies äußert sich in den Zielen der Substitutionsbehandlung:
Ziel der Substitution ist nicht in erster Linie die Abstinenz, sondern die soziale Rehabilitation. Der Grundgedanke der Substitutionsbehandlung besteht darin, daß es durch die Abgabe eines Ersatzstoffes (oder Originalstoffes) dem Patienten ermöglicht wird, den Gebrauch von illegalen Suchtmitteln zu verzichten. Da er nicht mehr auf den illegalen Drogenmarkt angewiesen ist, läßt der Beschaffungsstreß nach. Beschaffungskriminalität wird entbehrlich, da die Finanzierung der Suchtmittel anders geregelt wird. Er hat die Möglichkeit, sein Alltagsleben neu zu organisieren und sich zu rehabilitieren. Um diese Schritte realisieren zu können, bedarf es in individuell unterschiedlichem Ausmaß eine begleitende Behandlung und Unterstützung.
Die häufigsten Indikatoren für die Effizienz der Substitutionsbehandlungen sind Abnahme der Kriminalität; Zunahme der sozialen Integration; Verzicht auf illegale bzw. auf nicht verordnete Suchtmittel und Verbesserung der Gesundheit.
Oberstes Ziel in der Suchtbehandlung ist das Erreichen einer selbständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung in Suchtfreiheit. Bis dies erreicht ist, müssen die Abhängigen im Rahmen der Suchtbehandlung einen langen Weg mit verschiedenen Teilzielen zurücklegen. Während dieser Zeit wird deutlich, daß das Erlangen der Suchtfreiheit nicht von jedem und nicht jederzeit erreichbar ist und Süchtige deshalb zum Teil nicht bereit sind, eine Behandlung fortzusetzen, welche die ausnahmslose Abstinenz als oberstes Gebot hat. Für diese Personen kann eine
Substitutionsbehandlung ein erster Schritt in Richtung Suchtfreiheit sein. In diesem Therapiebereich, wo illegale Suchtmittel durch 'legale' ersetzt werden, ist das suchtfreie
Leben nicht die Voraussetzung sondern die Folge des Erreichens einzelner Teilziele (Vgl.: Uchtenhagen, A.; 1997; S. 13)
Auswirkungen der Substitution
Substitution zeigt meßbare Wirkungen in der HIV-Prophylaxe und führt zu einem Rückgang der Kriminalitätsbelastung. Von Bundesländern angelegte "SubstitutionsProgramme" sollen Drogenabhängigen, die für eine stationäre Langzeittherapie nicht in Frage kommen, gesellschaftliche Integration durch Verbesserung des Allgemeinzustandes, durch Vermittlungen in Arbeit und Wohnung erhalten. Diese Integration wird allerdings nicht durch das Substitut, sondern nur durch psychosoziale Betreuung erreicht. Daher ist die Wirksamkeit der Vergabe von begleitenden Angeboten bestimmt.
Resümee:
Abstinenz oder Substitution?
Der Streit um Abstinenz oder Substitution wird sich wesentlich entschärfen, wenn es gelingt, im Rahmen einer mit allen an der Drogenarbeit Beteiligten auf die Belange einer Gemeinde abgestimmten umfassenden Konzeption den Drogenabhängigen die Hilfe anzubieten, die sie brauchen.
Die Zahl der Therapieplätze ist in den letzten Jahren ständig erweitert worden. Zunächst wurden vor allem stationäre Plätze geschaffen, in den letzten Jahren zunehmend auch ambulante und teilstationäre Plätze. Bedarf an Verbesserung besteht vor allem im Bereich der psychosozialen Betreuung. Sie ist unverzichtbar, denn wer nach einer Therapie nicht aufgefangen wird, stürzt schnell wieder ab. Es kommt darauf an, die Suchtkrankenhilfe umfassend auszugestalten. Eine solche umfassende Hilfe beinhaltet Gespräche ebenso wie Hilfen bei der Wohnungssuche, zur Arbeitsvermittlung, zur Wiederherstellung der Gesundheit und beim Aufbau von sozialen Kontakten und stabilen menschlichen Beziehungen.
Sucht ist eine Krankheit. Deshalb muß die Hilfe für Suchtkranke weiterentwickelt werden. Ziel ist die Sicherstellung einer effektiven, qualitätsorientierten Suchtbehandlung und der gesundheitlichen Versorgung einschließlich deren Finanzierung. Dazu gehören:
- Verkürzung der Wartezeiten vor einer drogenfreien Therapie,
- Verbesserung der substitutionsgestützten Behandlung mit Methadon und anderen Medikamenten,
- die rechtliche Absicherung von Drogenkonsumräumen,
- Modellversuche zur heroingestützten Behandlung drogenabhängiger Menschen.
Mit diesen differenzierten Maßnahmen können auch langjährig Abhängige erreicht werden, zu denen es bisher kaum einen Zugang gab. Außerdem wird dadurch dem Beschaffungsdruck und der damit verbundenen Kriminalität entgegengewirkt.
Besonders die große Zahl der jährlich am Drogenkonsum sterbenden Menschen zeigt, wie wichtig die Überlebenshilfe und Linderung von Krankheitsfolgen ist. Es geht um eine Verringerung der Schäden und nicht um ideologische Fixierungen auf das utopische Ziel einer suchtfreien Gesellschaft. Diese wird es nie geben.
( URL:http://www.bmgesundheit.de/krankhei/drogen/fragen.htm [Stand 1.3.2000] )
3 Die Methadonsubstitution
Seit Methadon für die Langzeitbehandlung Heroinabhängiger durch das Ärztepaar Dole & Nyswander 1965 in New York eingeführt wurde, haben Zehntausende von Patienten von dieser Methode profitiert. Heute ist die Methadonbehandlung die häufigste Behandlungsmethode bei Heroinabhängigen.
Trotz der guten Erfahrungen wird die Behandlung der Opiatabhängigkeit mit Methadon bzw. mit anderen Substitutionsmitteln immer wieder kontrovers diskutiert. Kritiker der Methadonbehandlung argumentieren, daß durch die Einführung einer Langzeitsubstitution das Ziel der Abstinenzerreichung in der Behandlung der Opiatabhängigen fallengelassen werde. Gemäß den Kritikern untergräbt die Möglichkeit einer Substitutionsbehandlung generell die Abstinenzmotivation der Opiatabhängigen. Ein weiteres Argument der Substituionsgegner ist die Befürchtung, daß Methadon auf den Schwarzmarkt gelangen könnte. Die Beführworter der Substitution setzen dieser Kritik das Argument entgegen, daß durch eine Substitutionsbehandlung eine Stabilisierung und Wiedereingliederung erreicht werde. Laut ihren Aussagen ermöglicht eine Substitution eine Neuorientierung, die bei vielen Opiatabhängigen die Voraussetzung einer Abstinenzmotivation sei.
3.1 Was ist Methadon?
Methadon (chemische Bezeichnung: d1-6-Dimethylamino-4,4-diphenyl-3heptanon) (Marx, H.; 1991; S. 25)
Es ist in der Anlage II zu § 1 Abs.1 Betäubungsmittelgesetz aufgeführt (verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel). Es handelt sich um ein synthetisches Opioid. Wenn von Methadon-Substitution die rede ist, ist in dem Gültigkeitsbereich unseres Betäubungsmittelgesetzes das Levomethadon bzw. LPolamidon gemeint.
Levomethadon ist in der Anlage III zu §1, Abs. 1 Betäubungsmittelgesetz aufgeführt und somit verkehrsfähig und verschreibungsfähig. Es handelt sich um ein syntetisches Opioid.
3.2 Methadon ist das die Lösung?
Immer wieder wird in den Medien „Methadon“ als Zauberformel diskutiert. Dies geschieht auf eine Art und Weise, daß mancher glauben könnte, Methadon sei ein Medikament gegen die Heroinabhängigkeit.
Was ist Methadon aber wirklich, und was kann es leisten?
Methadon (in Deutschland Polamidon) ist ein synthetisches Opiat.
Es wirkt an den gleichen Stellen im Gehirn wie Heroin, doch seine Wirkung hält länger an (24 bis 35 Stunden) als die des Heroins (drei bis fünf Stunden). Diese längere Wirkungsdauer macht es möglich, Methadon einmal täglich zu verabreichen und so dem Abhängigen den Weg in einen geregelten Tagesablauf zu erleichtern; sie hat jedoch eine Kehrseite: Der Entzug von Methadon dauert länger.
Methadon wird nicht gespritzt, sondern geschluckt. Es ist also auch einfacher zu verabreichen, und die mit dem Spritzen verbundenen Gesundheitsrisiken entfallen. Aber: Mit dem Spritzen entfällt auch das organische Körpergefühl, der „Kick“ oder „Flash“, den fast alle Heroinabhängigen suchen. Das hat zur Folge, daß ein Heroinabhängiger, der auf Methadon umgestellt wird, meist – und in der Anfangszeit fast immer – versucht, die positiveren Drogengefühle anderweitig zu erreichen.
Zum Beispiel mit Kokain. Denn: Methadon, in hoher Dosierung eingenommen, blockiert zwar die Endorphinrezeptoren gegenüber Heroin, dieses wirkt dann nicht mehr, aber es behindert die Wirkung von Kokain überhaupt nicht. Dies alles führt dazu, daß die sogenannte Substitution (Ersatzbehandlung) Heroinabhängiger mit Methadon keineswegs die leichtere Behandlungsmethode ist. Sie verlangt ebensoviel Sorgfalt, Mühe und ebenso intensive psychosoziale Betreuung wie die drogenfreie Therapie.
Methadon ist nicht der Weg der Wahl, sondern ein Weg der Not. Er muß dann eingeschlagen werden, wenn nur so das Überleben des Abhängigen gerettet werden kann. Denn das Überleben ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, daß überhaupt „leben lernen“ möglich wird.
Es gibt heute viele Abhängige, die schon so lange süchtig sind oder schon so zahlreiche gesundheitliche Beeinträchtigungen erfahren haben – Aids ist nur das spektakulärste Beispiel -, daß dieser Weg, zumindest für eine gewisse Zeit, eingeschlagen werden muß. Dieser Weg der Not ist aber kein Ersatz für die anderen, therapeutischen Wege, auch keine Konkurrenz zu diesen, sondern eine Ergänzung. Meist auf Zeit, in manchen Fällen auf Dauer. Methadon ist also keine Zauberformel, kein Patentrezept, kein Medikament gegen die Sucht – aber trotzdem für manche die letzte Chance. (Vgl.: Kindermann; 1991; S. 197-198)
Ein zentraler Vorwurf gegen die Befürworter von Substitutionstherapien lautet: Sie überschätzen die körperliche und ignorieren die Dominanz der psychischen Dimension der Heroinsucht.
In diesem Zusammenhang entwickelt Schied folgende Suchttheorie:
„Die Problematik illegaler Drogen, insbesondere des Heroins, liegt in erster Linie in der psychischen Abhängigkeit, und die psychische Abhängigkeit ist ein zweitrangiges Problem, denn Methadon ändert an der psychischen Abhängigkeit der Droge nichts. Das der Sucht eigentlich zugrundeliegende Bedingungsgefüge, gemeint sind hier defizitäre Persönlichkeitsstrukturen, bleibt unbehandelt. Methadonbehandlung bedeutet also den Verzicht auf eine kausale Therapie und den Ersatz der den Konsumenten zerstörende Krücke durch eine andere, in mancher Hinsicht noch gefährlichere. Substitutionsbehandlung kann allenfalls Symptombekämpfung sein und wer immer noch glaubt, daß das Problem die Droge sei, der irrt.“ (Vgl.: Bossong; Stöver; 1989; S. 38)
3.3 Ursprung und Hintergrund der Methadon-Subsitution
Methadon wurde 1941 auf Befehl der Deutschen Wehrmacht, die für den Einsatz im Feldlazarett ein Ersatzmittel für Morphium suchte, in den Labors der Farbenindustrie synthetisiert. In diesen Labors fanden es 1945 Angehörige des amerikanischen Department of Commerce Intelligence. Eingetragen unter dem Namen Methadon wurde diese Substanz durch Council of Pharmacy and Chemistry of the American Medical Association. Nach verschiedenen Tierversuchen, bei denen sich die analgetische Wirkung des Methadon gezeigt hatte, war Isbell (Isbell et al. 1948) einer der ersten, die Versuche am Menschen mit dieser Substanz vornahmen, und zwar an 15 ehemaligen Morphiumabhängigen, die sich freiwillig gemeldet hatten. Euphorie wurde von den Versuchenspersonen nach wiederholten niedrigen Dosen oder nach einer hohen Einzeldosis erlebt. Der Entzug wurde als lang und schwierig erlebt. Der Entzug kann bei Methadon bis zu 14 Tagen dauern.
Jasinski und Preston (1986) führten eine Untersuchung durch, an der 9 Gefängnisinsassen mit einer langen Opiatabhängigkeit teilnahmen. Das Ergebnis war, daß die intravenös verabreichten Substanzen Heroin, Methadon und Morphium in der euphorischen Wirkung gleich sind. (Vgl. Marx, H.; 1991; S. 25)
Unter dem Eindruck der relativ ungünstigen Behandlungschancen der Heroinabhängigkeit schlugen der Pharmakologe Dole und die Psychiaterin Nyswander 1965 vor, diesen Patienten auf Dauer Methadon zu verabreichen, d.h. sie zu substituieren. Die Autoren gingen dabei von einem Mangel an endogenen Opiaten aus, der auf diese Weise kompensiert werden könne.
Zum Zeitpunkt des Vorschlages von Dole und Nyswander (1965) waren die natürlichen Liganden der Opioidrezeptoren (Endorphine und Enkephaline) noch unbekannt, sie wurden erst 1975 von mehreren Arbeitsgruppen gleichzeitig entdeckt. Daher ist die Vorwegnahme der späteren Entdeckung bemerkenswert. Allerdings ist die Gesamttheorie von Dole und Nyswander vereinfachend und in großen Teilen falsch. (Vgl.: Poser; 1996; S. 217-218)
Als 1965 Doles und Nyswanders Artikel „Eine medizinische Behandlung für Heroinsüchtige“ erschien, war Methadon bereits fast 20 Jahre lang als Medikament der ersten Wahl akzeptiert, um Entzugssymtome zu vermeiden. Das so postulierte Ziel der „Detoxifikation“ mittels Methadon, das keinerlei Versprechen für eine dauernde „Heilung“, d.h. für Drogenfreiheit enthielt, war der Grund, warum die Entzugsbehandlung mit Methadon als unentbehrlich abgetan wurde. Der Entzug mit Methadon wurde allenfalls empfohlen als „...der erste und am weniger wichtige Schritt in der Behandlung von Drogensucht“. (Vgl.: Gölz, J.; 1995; S. 35)
3.4 Pharmakologie des Methadons
Bei der Methadonsubstitution ist es wichtig, daß der Arzt dem
Methadonsubstituierenden die Pharmakologie von Methadon beschreibt. Z.B., daß Methadon die Rezeptoren für Heroin blockiert. Folgt nach Methadoneinnahme noch eine Heroinzufuhr, so erfährt der Betroffene kein "high" Gefühl, weil die Rezeptoren blockiert sind. Die Folge ist es kann leicht zu einer Überdosis kommen.
3.4.1 Eigenschaften und Wirkungen von Methadon
Methadon ist ein vollsynthetisch hergestelltes Razemat aus rechts- und linksdrehendem 4,4-Diphenyl-6-dimethylamino-3-heptanon. Nur die linksdrehende Form ist biologisch wirksam. In der Bundesrepublik ist bis jetzt nur das reine L-Isomer unter dem Handelsnamen "L-Polamidon" im Handel. L-Polamidon ist doppelt so wirksam wie Methadon.
Das synthetisch hergestellte Betäubungsmittel Methadon stimmt in seinen wesentlichen Effekten mit denjenigen des Morphins überein, hat jedoch eine längere Wirkungsdauer (Halbwertszeit ca. 15 Stunden). Methadon ist weniger lipophil und passiert die Bluthirnschranke langsamer, wodurch auch psychotrope Effekte vermindert auftreten. (Uchtenhagen A.; 1997; S. 33)
Methadon besitzt eine Morphin-Teilstruktur, d.h. wesentliche funktionelle Merkmale der Opiate sind in dieser Verbindung vereinigt. Aus diesem Grunde weist es die Wirkungen der Opiate auf. Methadon ist ein starkes Analgetikum, das auch oral verabreicht werden kann:
Es besitzt eine vierfach stärkere und doppelt so lange Wirkdauer (>40 h) als Morphin.
Methadon existiert in zwei stereoisomeren Formen: eine linksdrehende (RKonfiguration) und eine rechtsdrehende Form (S-Konfiguration). Die linksdrehende Form ist 12mal stärker analgetisch wirksam als die rechtsdrehende Form. In Deutschland wird nur die linksdrehende Verbindung, das Levomethadon, in Tropfenform und in Injektionslösung als L-Polamidon gehandelt.
Gegenüber dem Gemisch aus beiden Formen, dem normalen Methadon, wirkt Levomethadon doppelt so stark, weist aber nur die 1,4fache Toxizität auf. Wie bei anderen Opiaten sind Euphorie, Halluzinationen, Entzugserscheinungen und Toleranzentwicklungen charakteristisch. 1 mg Methadon entspricht 1 mg Heroin. Die Unterschiede liegen in der differenzierten Affinität und Aktivität zu den Subtypen der Morphinrezeptoren. Dementsprechend sind die Nebenwirkungen von Methadon in der Regel etwas schwächer als bei Morphin, können Desorientiertheit und Zerfahrenheit jedoch stärker ausgeprägt sein. Zu den Akuten Vergiftungserscheinungen zählen Kollaps, Bewußtseinsstörungen bis zum Koma, spastische Obstipation und Atemdepression; die beiden letzteren können zum Tode führen. Die Abstinenzerscheinungen entwickeln sich langsamer (Höhepunkt nach 10 Tagen), dauern aber länger (ca. 30 Tage) an.
(Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren; 1991; S. 31-32)
Wirkungen der l- und der d-Form
Methadon besteht aus einem racemischen Gemisch von d-Methadon und l-Methadon. Nach Misra und Mule (1973) ist bei analgetisch wirkenden Substanzen im allgemeinen die d-Form die inaktive Form. Erste Untersuchungen von Misra und Mule zeigten, daß bei dem racemischen Gemisch von Methadon die l-Form die wirksame Komponente darstellt.
Keup (1973) berichtet, daß diese Form beim Menschen doppelt aktiv und außerdem toxisch sein soll. Dole (1988) hatte sowohl die l-Form wie auch die d-Form in seiner Wirkung bei Patienten untersucht. Bei Gabe der d-Form waren Entzugssyndrome aufgetreten.
In den verschiedenen Ländern Europas werden verschiedene Formen des Methadon verwendet, in der BRDeutschland z.B. die l-Form.
Die Pharmakologie beschreibt die Wirkungen und Nebenwirkungen von körperfremden Stoffen auf einen Mechanismus. Wird ein solcher Wirkstoff vom Organismus aufgenommen, so kann es sein, daß er in seiner ursprünglichen Molekülstruktur im Zielorgan an bestimmten Wirkungsorten (u.a. Rezeptoren) wirkt.
Eine Beschreibung des Metabolismus von Methadon beim Menschen findet sich sowohl in dem Bericht der WHO (World Health Organisation) von 1974 wie auch bei Moore (1987). Nach Moore (1987) kann im Urin des Menschen nach 24 Stunden noch 60% der Dosis nachgewiesen werden.
Von Intrussi et al. (1972) wurden bei 5 Methadonsubstituierten bei einer Dosis von 100 bis 120 Milligramm pro Tag die Plasmaspiegel gemessen. Methadon wird nach 4 Stunden abgebaut, die mittlere Halbwertzeit beträgt 25 Stunden. Der lange Aufenthalt im Plasma könnte das langsame Einsetzen und die lange Dauer von Entzugssyndromen beim Absetzen von Methadon erklären. Nach Dole (1973, 1988) macht die bei Methadon mögliche stabile Dosierung erst die Blockade der Narkotika-Rezeptoren und damit die Stabilisierung des Patienten über einen längeren Zeitraum möglich.
(Vgl.: Marx, H.; 1991; S. 27-28)
Dosierung des Methadons
Die Anfangsdosis wird nach folgender Faustformel ermittelt:
Tägliche Heroinmenge in mg / 30 = Levomethadon in mg.
Tägliche Heroinmenge in mg / 15 = Methadon in mg.
Ausgehend von dieser Dosis sollte dann in der ersten Woche eine Dosis Anpassung in Absprache mit dem Patienten erfolgen: Zeigt der Patient Entzugssymptome in den ersten 24 Stunden, sollten täglich 5 mg Levomethadon (bzw. 10 mg Methadon) höherdosiert werden. Ist der Patient mit der errechneten Anfangsdosis überdosiert (Schwindelgefühl, Konzentrationsstörungen, "leerer Kopf") sollte die Dosis in 5 mg Schritten (bzw. 10 mg Methadon) reduziert werden. Der Patient darf auf keinen Fall zu knapp dosiert sein, so daß er unter latentem Heroinhunger leidet. Er soll ja innerlich frei sein für Aufgaben, die ihm gestellt sind. Die gefundene Dosis bleibt oft jahrelang unverändert. Nur bei körperlichen Erkrankungen und bei psychischen und sozialen Streßsituationen kann sich der bedarf vorübergehend erhöhen. Substitutionen, in denen ständig um die Dosierung gekämpft wird, erfüllen sicher nicht ihren Zweck.
Die Anfangsdosis sollte 40 mg Methadon pro Tag nicht überschreiten und möglichst in zwei Einzeldosierungen oral eingenommen werden. Es folgt eine schrittweise Dosiserhöhung um jeweils 10 mg Methadon alle ein bis zwei Tage- je nach Klinik, so daß nach einigen Tagen keine Entzugssymptome mehr auftreten. Eine zu hohe Dosierung zu Beginn der Behandlung führt zu einer vitalen Gefährdung, wenn anfangs ein fortgesetzter Konsum illegaler Drogen und atemdepressiver Substanzen besteht.
Nach der Einstellung fortgesetzter Heroinabusus weist auf eine zu niedrige Methadondosierung hin, da das Heroin noch freie Rezeptoren besetzen kann. Eine Erhöhung der Methadondosis oder die Aufteilung auf zwei Tagesrationen kann diesen Beigebrauch beenden. Eine Erhöhung der Methadondosis kann auch durch körperlich anstrengende Tätigkeiten, psychische Streßsituationen oder körperliche Erkrankungen notwendig werden. (Broschüre: Subletter, Ausgabe 4, Mai 1999, S. 1)
Überdosierung
„Methadon kann in Überdosierungen durch Lähmung des Atemzentrums tödlich wirken. Die tödliche Dosis beim nichttoleranten Individuum beträgt ca. 1.0 bis 1,5 mg/Kg Körpergewicht.
Wer in einer Substitutionsbehandlung steht, erträgt auch höhere Dosen. Wird ihm das Methadon entzogen verliert er die Toleranz, und es gibt für ihn dieselbe Letaldosis. Todesfälle kommen vor, wenn die Betroffenen nach dem Entzug die früher gewohnte Dosis unvermittelt wieder einnehmen. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß der Gebrauch von Alkohol, Schlafmitteln oder anderen Betäubungsmitteln während einer Methadonbehandlung die Wirkung des Methadons auf das Atemzentrum verstärken kann“ (Gäumann, 1981, Schweiz). (Vgl.: Marx, H.; 1991; S. 30)
Unerwünschte Wirkungen
Intoxikationen können durch Kumulation infolge niedriger Einnahme des Wirkstoffs oder durch Kombination mit anderen zentralwirksamen Medikamenten entstehen. In diesem Zusammenhang muß vor einer Wiederaufnahme der Vergabe in gleich hoher Dosierung nach längerfristiger Unterbrechung (etwa Haft) wegen reduzierter Opiattoleranz gewarnt werden. Symptome einer Methadonintoxikation sind
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- Citar trabajo
- Dipl. Sozialarbeiter Michael Rapp (Autor), 2000, Heroinabgabe statt Methadonsubstitution, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91106
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