Diese Hausarbeit beschäftigt sich damit, inwiefern die Beziehung zwischen Tristan und Isolde einen gleichberechtigten Charakter aufweist. Untersucht wird die Frage: wie sieht die Liebesbeziehung zwischen Tristan und Isolde in Gottfrieds Tristan-Version in Bezug auf Gleichwertigkeit aus? Um diese Frage beantworten zu können, soll unser Blick zuerst auf den gesellschaftlichen Kontext, in den das Werk erschienen ist, gelenkt werden. Ebenso sollen die Tendenzen in der Minne-Dichtung hinsichtlich der Gleichwertigkeit in der Liebe berücksichtigt werden. Danach wird der Versuch unternommen, anhand von Interpretationsansätzen aus der Sekundärliteratur sowie geeigneten Textstellen aus dem Werk die Forschungsfrage zu beantworten.
Inhalt
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1. Das Liebeskonzept in der hochmittelalterlicher Gesellschaft
2.2. Das Liebeskonzept in der Minne-Lyrik
2.3. Das Liebeskonzept bei Gottfried von Straßburg
3. Schluss
Literaturverzeichnis
Bildverzeichnis
1. Einleitung
Wer mich in diesen Junitagen in meinem Arbeitszimmer trifft, wird auf meinem Schreibtisch drei orangen Büchlein finden, die alle den Titel „Tristan“ tragen. Wer sich mit dem bekannten Wagneroper auskennt, fragt sich vielleicht, ob es in den Bändchen um dasselbe Paar geht, oder ob hier nur das Leben Tristan beschrieben wird.
Der mittelalterliche Dichter Gottfried von Straßburg (gestorben um 1215) hat den Tristan und Isolde-Stoff aufgenommen und verarbeitet. Dieses Lebenswerk hat er um 1210 als Fragment hinterlassen. Im Gegensatz zu der französischen Dichter Thomas von Bretagne (um 1170 geboren), wurde Von Straßburg nicht in dem Ritterstand geboren.1 Dementsprechend wird seine Fassung in der Rezeption nicht als von dieser Kultur durchdrängt empfunden.2 Es sei allerdings darauf hinzuweisen, dass Gottfried dem Stoff weitgehend treu geblieben ist.3 Das Epos ist von seiner Hand also inhaltlich nicht großzügig verändert worden, vielmehr war er, wie alle mittelalterliche Ependichter „ein Schöpfer, indem er bekannte Geschichten neu zusammenfügte und interpretierte, aber auch, indem er Neues einbrachte. Wir haben es also bei diesen Werken in besonders starkem Maße mit einer Mischung aus alten Erzählinhalten und neuen Interpretationen zu tun.“4
Als Zeitgenosse von Walther von der Vogelweide (ca. 1170 – 1230) ist es annehmlich, dass er dessen progressive neue Akzentsetzung für die Minnelyrik miterlebt haben müsste,5 möglicherweise davon auch inspiriert sein könnte. Folgendes Zitat nährt beispielsweise die Hoffnung, dass es sich in „Tristan“ von einer gleichberechtigten Liebe handelt:
„ich will in wol bemaeren von edelen senedaeren, die reiner sene wol tâten schîn: ein senedaere unde ein senedaerîn, ein man ein wîp, ein wîp ein man, Tristan Isolt, Isolt Tristan.“6
Diese Hausarbeit beschäftigt sich damit, inwiefern die Beziehung tatsächlich diesen gleichberechtigten Charakter aufweist. Untersucht wird die Frage: wie sieht die Liebesbeziehung zwischen Tristan und Isolde in Gottfrieds Tristan-Version in Bezug auf Gleichwertigkeit aus? Um diese Frage beantworten zu können, soll unser Blick zuerst auf den gesellschaftlichen Kontext, in den das Werk erschienen ist, gelenkt werden. Ebenso sollen die Tendenzen in der Minne-Dichtung hinsichtlich der Gleichwertigkeit in der Liebe berücksichtigt werden. Danach wird der Versuch unternommen, anhand von Interpretationsansätzen aus der Sekundärliteratur, sowie geeigneten Textstellen aus dem Werk, die Forschungsfrage zu beantworten.
2. Hauptteil
2.1. Das Liebeskonzept in der hochmittelalterlicher Gesellschaft
Um eine Idee davon zu bekommen, inwieweit der mittelalterliche Dichter in der Position gewesen ist, sich der Idee einer gleichberechtigten Liebe anzuschließen, ist es notwendig, eine Idee davon zu bekommen, wie der gesellschaftliche Kontext aussah. Das wird in diesem Teilkapitel möglichst prägnant geschildert.
Gleichberechtigung setzt eine gleichgestellte Position der Frau voraus. Obwohl die hohe Minnelyrik die Vermutung wecken dürfte, dass die Frau auf ein Podest gestellt wurde, sah dieses Verhältnis in der hochmittelalterlichen Gesellschaft anders aus. So unterstreicht Bumke, dass die Frau der Mann deutlich untergeordnet war7 und obwohl Frauen 1147 an Kreuzzügen teilhatten, betrachtete auch die Kirche Frauen sehr negativ: sie seien den Ursprung aller Sünde.8 Da der Einfluss der Kirche unermesslich war, setzten sich diese Ideen auch in den mittelalterlichen Gesetzen durch. So war eine doppele Geschlechtsmoral auszumachen, die besagte, dass, wenn der Mann seiner Frau untreu ist, die Frau daran schuld war.9 Außerdem musste die Frau „pur“ in die Hochzeit gehen, während von dem Mann bereits Erfahrung im Liebesspiel zu erwarten sei.10
Wer sich ein Bild davon machen vermöchte, wie die Frau ihre Position erlebt haben musste, soll sich vergegenwärtigen, dass Frauen diese Unterdrückung jedoch in weniger maßen erfahren haben müssen als beispielsweise in der heutigen Zeit. Dies hat damit zu tun, dass die ganze mittelalterliche Gesellschaft auf einem System von Abhängigkeit und Gehorsam beruhte.11
Vor dem Hintergrund dieses „Zeitgeists“ wurde der Liebe keinen besonders hohen Wert beigemessen. Vernunft, kirchliche Tugend und vor allen Dingen politische Ziele waren die wichtigsten Ehemotive.12 Die Liebe spielte sowieso keine Rolle in der Öffentlichkeit, sondern galt als eine private Emotion.13 Darauf, wie sich Tristan in Bezug auf dieses Konzept verhält, soll später noch eingegangen werden.
2.2. Das Liebeskonzept in der Minne-Lyrik
Um 1170 bis 1190 entstand die hohe Minnedichtung:14 Der Herr verehrt seine „frouwe“, welche ihm übergeordnet ist. Dass dieses Verhältnis nicht den Gesellschaftszustand widerspiegelt, dürfte deutlich geworden sein. Vielmehr findet sich in der hohen Minne ein Idealbild, eine Utopie.15 Es ging darum, den Weg für eine neue Gesellschaftsidee freizumachen, zumindest geistlich. Darin sollte außerdem die Liebe im Zentrum der Beziehung zwischen Mann und Frau rücken.16 Andere Geschlechtskombinationen standen zurzeit wahrscheinlich sowieso außer Frage.
Laut Kuhn sei dieses Idealdenken nur mit Vorsicht zu genießen. Es ginge ihm zu folge nicht um ein erzieherisches Mittel, sondern um eine Art Hobby des Adels.17 Höfische Liebe war ein Statussymbol in dem Sinne, dass die Kompetenz als Zugehöriger der Adelsgesellschaft daran abzulesen war, wie fähig man in der Liebeskunst war.18 Die Frau war also der Spielball für dieses Hobby.
Was die Liebe anbelangt, so stimmt sich die Lyrik meines Erachtens mit dem bereits beschriebenen gesellschaftlichen Konsensus überein, dass Liebe privat, beziehungsweise heimlich stattfindet. Dies wird deutlich anhand der Thematik des sogenannten Tageliedes, in der die Liebe, die in der freien Natur, weit aus der Sicht von Mitmenschen konsumiert wird. Bei Tagesdämmerung müssen die Geliebte einander verlassen und wieder in die Gesellschaft zurückkehren.
Aus der hohen Minne entstand die „ebene“ Minne. Wie bereits erwähnt war unter anderem Walther von der Vogelweide bei dieser Entwicklung federführend. In der ebenen Minne ist die Liebe erfüllt und sind beide Geliebte gleich.19 In seinen Werken führte er den Begriff „wîp“ ein, womit eine Frau gemeint ist, die, im Gegensatz zu der „frouwe“ auf die Avancen des Mannes eingeht und ihr Herz also für die Liebe öffnet. Somit „fordert [er] ein neues Verhältnis zwischen Mann und Frau, eine neue Minne-Auffassung: Er tritt ein für die Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit; für die gleiche Verpflichtheit der beiden Partner, die sich in echter Personenliebe begegnen.“20
In dieser neue Minne-Auffassung tritt die „ethische Qualität“ anstelle der Herkunft. Fourie stellt fest, dass Von Straßburg von seinem Zeitgenosse beeinflusst sein muss21, wofür der gleiche Wortgebrauch in dem Zitat auf Seite 4 als Beleg dient.
2.3. Das Liebeskonzept bei Gottfried von Straßburg
Dann kommen wir jetzt zu der eigentlichen Frage dieser Hausarbeit: wie lässt sich das Liebeskonzept in „Tristan“ anhand des Textes einordnen? Rinn ist der Meinung, dass das Werk ein Musterbeispiel für die Darstellung einer Liebesbeziehung mit gegenseitigem Charakter ist.22 Das Kommentar des Autors nach der Einnahme des Minnetranks illustriert eben diese Gegenseitigkeit:
„si haeten beide ein herze ir swaere war sîn smerze sîn smerze war ir swaere. si wâren beide einbaere an liebe unde an leide“23
Auch Fourie ist der Meinung, dass eine intime Verbindung angegangen wird: die beiden teilen quasi eine Identität und seien „identity-less without the other.“24 Zu gleicher Zeit ist es Fourie, der daraufhin weist, dass es für mittelalterliche Verhältnisse ungewöhnlich ist, wie gebildet Isolde ist.25 Im Einklang mit dem patriarchalen Gesellschaftsbild ist es dennoch Tristan selbst, die ihr geschult hat.26 Dadurch, dass die beiden sehr gebildet sind, stehen sie einander sehr nahe, was das Fundament für die Tristanliebe sei, welche, ihm zufolge, „is realised through the Minnetrank on the ship“27 Schindele dagegen, nimmt sehr deutlich Stellung dagegen ein und meint, dass die Geschichte auch ohne den Zaubertrank hätte stattfinden können.28 Demzufolge könnte der Minnetrank lediglich als symbolisches Ausdrucksmittel für die Liebe aufgefasst werden. Nach Meinung von Rinn stellt der Minnetrank ein Bruch dar, nach welchem die Figur Isolde sich um 180 Grad verändert.29 Wo sie in der Badeszene noch als starke, unabhängige Frau abgebildet wurde, beschäftigt sie sich nach dem Minnetrank nur noch mit Tristan.30 Rinn wirft die Frage auf, inwieweit Isoldes Handeln ab dieser Szene eigentlich als freiwillig aufzufassen ist.31 Sie scheint damit fast zu suggerieren, dass Isolde durch den Liebestrank etwa betäubt gewesen sei. Nüchtern oder nicht, Rinn meint, dass Gottfried dies absichtlich so geschrieben hat, um zu illustrieren, dass die Frau immerhin Objekt ist.32 Es stellt sich die Frage ob hier eine Unzufriedenheit über die gesellschaftlichen Verhältnisse herauszulesen ist, welche Gottfried in seinem Werk ansprechen wollte.
Die Liebesbeziehung zwischen Tristan und Isolde nach dem Minnetrank wirkt auf jeden Fall sehr magisch. Der Liebe wird dabei eine große Bedeutung beigemessen. Als besonders aussagekräftige Textstelle zur Beschreibung der Liebeskraft sehe ich die folgende:
„Minne diu arzâtînne si vuorte ze handen ir siechen Tristanden. ouch vant s'Îsôte ir siechen dâ. die siechen beide nam si sâ und gab in ir, im sîe ein ander z'arzâtîe.“33
Der Minne wird hier eine heilende Funktion zugeschrieben. Weiterhin typisch für die Darstellung der Liebe ist laut Rinn, dass sie nicht mit der Thematik der Ritterdienst noch der Frauendienst zusammenfällt, sondern:34
„Er [Gottfried] hat mit dieser Liebespaar-Geschichte eine Beziehungsform idealisiert, die auf gegenseitiger Attraktion im Gegensatz zur gesellschaftlich-dynastischen Eheverbindung beruht.“35
Tristan und Isolde lieben einander bedingungslos und lösen dabei die Erwartungen, die an ihnen gestellt werden, nicht ein: Isolde entflieht die Ehe mit Marke und Tristan vernachlässigt ebenfalls seine Pflichte.36 Langer bezeichnet dieses Verhalten als asozial.37 Dies bewirkt, dass sie sich aus der Gesellschaft zurückziehen müssen, was die Minnegrotte-Episode verkörpert. Obwohl dort die Liebe weiterhin idealisiert wird, muss gesagt werden, dass in dem Werk Gottfrieds an dem oben beschriebenen Konzept festgehalten wird, dass die Liebe nur außerhalb der Öffentlichkeit seinen Platz hat.
Nicht nur bleibt Gottfried dem Stoff treu, sondern er scheint auch die mittelalterlichen Gesetze immerhin zu berücksichtigen, wie sich auch Fourie ausdrückt:
„Gottfried employs all the courtly traditions, mysticism, aestheticism, religion and medieval laws in presenting a new idea.“38
Ein Beispiel dafür, wie er die oben diskutierte mittelalterliche Gesetzgebung für dieses Ideal einsetzt, findet sich in dem Teil, wenn Marke entdeckt, dass Tristan und Isolde einander heimlich liebhaben. Untenstehendes Zitat suggeriert, dass die Realität in der Geschichte eingrifft und, dass Isoldes Untreue jetzt ernsthafte Konsequenzen hat:
„alsus hiez man Îsolde ir schulde an disen sünden got unde der werlde künden nu haete Îsôt êre unde leben vil verre an gotes güete ergeben.“39
[...]
1 Vgl. Bernd Lutz: Mittelalterliche Literatur, in: Deutsche Literatrugeschichte, hg. v. Wolfgang Beutin et al. (Stuttgart: Springer-Verlag GmbH 2013. , S. 1-47, hier S.31.
2 Vgl. Ebd.
3 Vgl. Ebd.
4 Karin Rinn: Liebhaberin, Königin, Zauberfrau. Studien zur Subjektdarstellung der Frau in der deutschen Literatur um 1200 (Göppingen: Kümmerle Verlag 1996), S.80.
5 Vgl. Lutz (2013), S.31.
6 Gottfried von Straßburg: Tristan. Band 2. (Stuttgart Reclams Universal-Bibliothek 2006), S.16, V.125-130.
7 Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur: Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter (München: Dtv 1986), S.456.
8 Vgl. René Cécile Fourie: The role of woman in Gottfried's Tristan: A literary-sociological study. (Kapstadt: University of Cape Town 1991), S.3.
9 Vgl. Ebd., S.21.
10 Vgl. Ebd.
11 Vgl. Rinn (1996), S.275.
12 Vgl. Fourie (1991), S.20.
13 Vgl. Ebd.
14 Vgl. Lutz (2013), S.37.
15 Vgl. Rinn (1996), S.292
16 Vgl. Bumke (1986), S.528.
17 Vgl. Hugo Kuhn: Determinanten der Minne, in: LiLi. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 7 (1977), H 26, S.83-94, hier S.90.
18 Ebd.
19 Vgl. Lutz (2013), S.43.
20 Friedrich Maurer: Walther von der Vogelweide: Die Lieder (München: Wilhelm Fink Verlag 1972), S.25.
21 Vgl. Fourie (1991), S.30.
22 Vgl. Rinn (1996), S.146.
23 Von Straßburg (1210), S.112, V.11726-11731.
24 Fourie (1991), S.123.
25 Vgl. Ebd., S.128.
26 Vgl. Ebd.
27 Fourie (1991), S.139.
28 Vgl. Gerhard Schindele: Tristan (Stuttgart: Verlag W Kohlhammer 1971), S.59ff.
29 Vgl. Rinn (1996), S.172.
30 Vgl. Ebd.
31 Vgl. Ebd.
32 Vgl. Ebd.
33 Von Straßburg (1210), S.138, V.12154-12170.
34 Vgl. Rinn (1996), S.143.
35 Rinn (1996), S.143.
36 Vgl. Fourie (1991), S.39f.
37 Vgl. Otto Langer: Der ''Künstlerroman'', in: Euphorion (1974), H.68, S.1-41, hier S.2.
38 Fourie (1991), S.24.
39 Von Straßburg (1210), S.345, V.15670-15674.
- Arbeit zitieren
- Dave Buhrs (Autor:in), 2020, Hat die Liebesbeziehung zwischen Tristan und Isolde in Gottfried von Straßburgs „Tristan“ einen gleichberechtigten Charakter?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/909664
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