Wer sich auf Memento einlässt, sollte nicht nur damit rechnen, auch nach dem mehrmaligen Anschauen unter einem Gefühl von nagendem Unwissen zu leiden und nicht nur damit, in einem Zustand von faszinierter Verwirrtheit und Verstörtheit zurückgelassen zu werden. Vielmehr muss man sich nach der Lektüre dieses Films ernsthaft selbst nach dem eigenen Verständnis von Gut und Böse, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit befragen. Auch dann jedoch wird man unbefriedigt feststellen, dass ein endgültiger Schluss, mit dem man beruhigt sein altes Weltbild und die eigene Menschenkenntnis bestätigt sehen könnte, kaum in greifbare Nähe rückt, sooft man den Film auch anschauen mag.
Memento ergreift nicht vordergründig Partei, lädt nicht ein zu moralischem Urteilen, zieht keine klaren Grenzen zwischen Schwarz und Weiß, sondern taucht zunächst einmal alles in ein verschwommenes Grau, sowohl Personen als auch Handlungen. Die so entstehende Unschärfe erschwert es dem Zuschauer enorm, mit dem, wenn auch etwas vagen, Gefühl der Befriedigung aus dem Film zu gehen. Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, dass die besondere Form der Erzählführung von Memento mit beträchtlichem Erfolg eine eindeutige, unzweifelhafte und transparente Wahrnehmung der Figuren auf den ersten Blick verhindert. Die daraus resultierenden mannigfaltigen Ansätze zur Auffassung und Interpretation des Films können ohne Zweifel stimulierend und diskussionsfördernd wirken, sofern man es denn zulässt.
Angeregt durch den Inhalt einiger Texte zu Memento, in denen leider recht einseitig und auch scheinbar unumstößlich Position zu der Endaussage des Films bezogen wurde, soll es Gegenstand dieser Arbeit sein, die Ambivalenz der Figuren und deren Auswirkungen auf eine mögliche filmische Aussage zu untersuchen. Dabei konzentriere ich mich insbesondere darauf, wie dem Zuschauer auf der narrativen Ebene, die in Memento einige Besonderheiten aufweist, Informationen vermittelt werden, die ihn zu dieser oder jener Einsicht führen können. Genauso gut sind diese Informationen jedoch in der Lage, Einstellungen des Zuschauers zu modifizieren. Auch diesem „Phänomen“ gilt im Folgenden meine Aufmerksamkeit.
Inhaltsverzeichnis
1. Eine Einführung
2. Die Figuren
2.1 Die zwei Gesichter des Leonard Shelby
2.2 Natalie - berechnende femme fatale oder verzweifelte Überlebende?
2.3 Teddy alias John Edward Gamble
3. Schlussbetrachtungen
Literaturverzeichnis
1. Eine Einführung
Wer sich auf Memento einlässt, sollte nicht nur damit rechnen, auch nach dem mehrmaligen Anschauen unter einem Gefühl von nagendem Unwissen zu leiden und nicht nur damit, in einem Zustand von faszinierter Verwirrtheit und Verstörtheit zurückgelassen zu werden. Vielmehr muss man sich nach der Lektüre dieses Films ernsthaft selbst nach dem eigenen Verständnis von Gut und Böse, Gerecht und Ungerecht befragen. Auch dann jedoch wird man unbefriedigt feststellen, dass ein endgültiger Schluss, mit dem man beruhigt sein altes Weltbild und die eigene Menschenkenntnis bestätigt sehen könnte, kaum in greifbare Nähe rückt, sooft man den Film auch anschauen mag.
Memento ergreift nicht vordergründig Partei, lädt nicht ein zu moralischem Urteilen, zieht keine klaren Grenzen zwischen Schwarz und Weiß, sondern taucht zunächst einmal alles in ein verschwommenes Grau, sowohl Personen als auch Handlungen. Die so entstehende Unschärfe erschwert es dem Zuschauer enorm, mit dem wenn auch etwas vagen Gefühl der Befriedigung aus dem Film zu gehen. Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, dass die besondere Form der Erzählführung von Memento mit beträchtlichem Erfolg eine eindeutige, unzweifelhafte und transparente Wahrnehmung der Figuren auf den ersten Blick verhindert. Die daraus resultierenden mannigfaltigen Ansätze zur Auffassung und Interpretation des Films können ohne Zweifel stimulierend und diskussionsfördernd wirken, sofern man es denn zulässt.
Angeregt durch den Inhalt einiger Texte zu Memento, in denen leider recht einseitig und auch scheinbar unumstößlich Position zu der Endaussage des Films bezogen wurde, soll es Gegenstand dieser Arbeit sein, die Ambivalenz der Figuren und deren Auswirkungen auf die filmische Aussage zu untersuchen. Dabei konzentriere ich mich insbesondere darauf, wie dem Zuschauer auf der narrativen Ebene, die in Memento einige Besonderheiten aufweist, Informationen vermittelt werden, die ihn zu dieser oder jener Einsicht führen können. Genauso gut sind diese Informationen jedoch in der Lage, Einstellungen des Zuschauers zu modifizieren. Auch diesem „Phänomen“ gilt im Folgenden meine Aufmerksamkeit.
2. Die Figuren
2.1 Die zwei Gesichter des Leonard Shelby
Um eine Figur wie die des Leonard Shelby zunächst „unter rein narrativen Gesichtspunkten zu analysieren“[1], ist es notwendig, gemäß des filmischen Aufbaus chronologisch vorzugehen, um mit demselben Material arbeiten zu können, das auch dem Zuschauer vorliegt.
Somit kann man auch der Auffassung Philippe Hamons gerecht werden, der „die Figur nicht als eine gegebene ‚Einheit‘, sondern als eine Konstruktion oder genauer einen textuellen Effekt“[2] ansieht. Für die Figuren von Memento im Allgemeinen bedeutet dies auch, „einen dynamischen Begriff der Erzählung“[3] einzuführen, in deren Rahmen die Prägung der Charaktere modifiziert werden kann.
Davon ausgehend, dass sich eine Figur „zum einen durch ihr Sein [...] und zum anderen durch ihr Tun [...] definiert“[4], also sowohl durch das äußere und charakterliche Erscheinungsbild als auch durch ihre Handlungen, bietet es sich zunächst an, die Eingangsszene von Memento genauer zu betrachten. Hier entsteht spätestens bei dem ersten Blick in das Gesicht des Protagonisten Leonard der Eindruck eines etwas „angeschlagenen“ Mannes mit womöglich kriminellem Hintergrund. Der Zuschauer mag sich in einer solchen Vermutung noch bestätigt sehen, wenn er die frischen Wunden in Leonards Gesicht, seinen teuren Anzug und den - wenn auch rückwärts ablaufenden - Mord an einem augenscheinlich wehrlosen, am Boden liegenden Mann dazu addiert. Womöglich ruft dieser erste Auftritt Leonards beim Zuschauer einige Antipathie und Abscheu hervor, nicht zuletzt auch Irritation, etwa aufgrund der Seltsamkeit des Fotographierens. In der darauffolgenden Schwarz-Weiß-Szene bietet sich jedoch ein anderes, weitaus differenzierteres Bild. War Orientierung bisher nur möglich anhand visueller Merkmale und Effekte und der irreführenden Geräuschkulisse, tritt nun ein primärer Reiz des Sichtbaren, nämlich die Farbigkeit des Bildes, in den Hintergrund, zugunsten der einsetzenden Stimme Leonards aus dem Off. Zugleich bietet sich auch ein völlig anderer Anblick des vermuteten kaltblütigen Killers. Sein äußeres Erscheinungsbild gleicht eher dem eines „durchschnittlichen“ Hotelgasts. Anstelle des Designeranzuges der vorigen Szene trägt Leonard ein eher simples kariertes Hemd, jedoch keine Hosen, was ihn auf eine subtile Art angreifbar und verletzlich zu machen scheint. Auch seine Gestik und das Sitzen auf dem Bett inmitten eines anonymen Hotelzimmers suggerieren hilflose Verlorenheit, noch bevor der Zuschauer überhaupt von Leonards Handicap erfährt.
Bereits hier, in den ersten Minuten des Films, wird deutlich, wie sehr der Eindruck des Zuschauers von den Charakteren durch die Narration bestimmt wird.
In Memento, the tension between plot and story is more obvious and dramatic: this unusual plot, about a man without a short-term memory, begins with a murder and proceeds backward in time through a series of short episodes, as the film unveils fragments of information about who the man is and why he committed the murder.[5]
Nicht nur ist es ob der gewöhnungsbedürftig angelegten Erzählweise des Films notwendig, mit gehöriger Konzentration die Wahrnehmung zu überlisten, sodass sie einmal nicht chronologisch ablaufende Bilder auch für in sich chronologisch hält. Es sind nicht allein die vermeintlich unüberschaubar eintreffenden, schwer einzuordnenden Informationen, die dem Zuschauer in Leonards Zustand Einblick gewähren, ihn sogar nachfühlbar machen. Die durchaus länger anhaltende Wirkung des Films ist die, dass auch im Nachhinein, vielleicht sogar noch nach dem mehrmaligen Anschauen keine Gewissheit herrschen kann, was die Ausrichtung der einzelnen Charaktere angeht, insbesondere Leonards Rolle. Was mit seiner Figur erreicht wurde, ist der Entwurf eines äußerst komplexen Charakters, dem in all seiner Zweifelhaftigkeit auch mit bester Menschenkenntnis nicht beizukommen ist. Ohne Frage ist eine solche Ambiguität durchaus gewollt. Der Zwiespalt, in den der Zuschauer somit unweigerlich gerät, nimmt beinahe erbarmungslose Züge an, indem ein Großteil des Films mit der sympathisch-offenen und mitleiderregend bedrückten Stimme Leonards aus dem Off unterlegt ist. Kombiniert mit der verschobenen Wiedergabe des Geschehens in Anlehnung an Leonards „Zustand“ ergibt sich ein äußerst subjektives Gesamtbild, dessen überwältigender Macht sich der Zuschauer kaum zu entziehen vermag. Vielleicht trifft man auch deshalb auf so manche mit beinahe trotziger Vehemenz verfochtene Filmkritik von Memento, wo jegliche Sympathieregung gegenüber dem Protagonisten unweigerlich als Ergebnis ausgeklügelter filmischer Manipulation angeprangert wird.
Sicherlich ist die fesselnde Wirkung der Off-Stimme, die in der ersten Person erzählt, nicht zu unterschätzen. Dass dies ein gewollter Effekt ist, belegt auch eine Äußerung des Regisseurs Christopher Nolan:
What we tried to do in Memento is simply block the film from the character’s point of view as much as possible. So he walked into a room, you’re kind of looking over his shoulder, you’re exploring the room as he does and you’re always at his eye line – the camera’s always a little bit closer to him. [...] I wanted to have a certain element of consciously reminding people: you’re in this guy’s point of view, so they understand the structure.
There’s probably more voice over in this film than there was in the script. I kept missing it when it wasn’t there for 20 minutes, because you just needed it to keep drawing people into his mind, so they understand what we’re seeing it from this guy’s point of view and that’s why you’re confused and that’s why you don’t know who this guy is. I find it quite satisfying that people will come out of this film arguing about who the good guys and who the bad guy is. Not because there isn’t one but because we’re using an unreliable narrator, calling into question the judgements of who’s the good guy and who’s the bad guy, which I think is like real life.[6]
[...]
[1] Blüher, Dominique: „Französische Ansätze zur Analyse der filmischen Figur“, in: Heller, Heinz
B./ Prümm, Karl/ Peulings, Birgit: Der Körper im Bild. Schauspielen - Darstellen - Erscheinen.
Marburg: Schüren 1999. S. 65.
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Ebd., S. 66.
[5] Corrigan, Thomas : The film experience: an introduction. Boston, MA: Bedford/ St. Martin’s
2004. S. 217.
[6] Kaufman, Anthony: Interview: Mindgames; Christopher Nolan remembers „Memento“. Online
im Internet: URL: http://www.indiewire.com/people/int_Nolan_Christoph_010316.html Stand:
10.03., 15.55 Uhr
- Arbeit zitieren
- Franziska Rosenmüller (Autor:in), 2005, Memento - wenige Darsteller, aber viele Gesichter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90929
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