Frankfurt spricht davon, dass sich der Begriff Bullshit als bewusste falsche Darstellung der Wahrheit definieren lässt. Jedoch unterscheidet sich Frankfurts Begriff von der klassischen Auslegung der Lüge durch die Intension des sogenannten Bullshitters: Diese liegt darin, dass dem Wahrheitsgehalt einer Aussage keinerlei Bedeutung zugemessen wird. Dem Lügen hingegen liegt ein ursprünglicher Wahrheitsgehalt zu Grunde, welcher verschwiegen oder bewusst ausgespart werden soll. Diese begriffliche Einordnung Frankfurts soll den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit darstellen. Davon ausgehend soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, inwiefern das Phänomen der Fake-News im Sinne von Frankfurt als Bullshit definiert werden kann. Fundament erhält diese Fragestellung dadurch, dass gerade die Thematik der sogenannten Fake-News durch die rasante Entwicklung der sozialen Medien und des Internets an Bedeutung gewinnt. Zwar sind Falschmeldungen keine gänzlich neue Erscheinung, wie es Claudia Nothelle diagnostiziert, jedoch erhalten diese durch die schnelle Verbreitung im Netz eine neue Dimension, die es zu untersuchen gilt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Harry G. Frankfurts Bullshit
2.1. Begriffliche Annäherung
2.2. Lüge und Bullshit
3. Fake-News
4. Fake-News und Bullshit
5. Fazit
6. Quellenverzeichnis
7. Literaturverzeichnis
8. Internetquellen
1. Einleitung
„Zu den auffälligsten Merkmalen unserer Kultur gehört die Tatsache, dass es so viel Bullshit gibt. Jeder kennt Bullshit. Jeder trägt sein Scherflein dazu bei. Und doch neigen wir dazu, uns damit abzufinden.“1
Diese Bestandsaufnahme setzt der Philosoph Harry G. Frankfurt an den Anfang seines Essay „On Bullshit“2. Von dieser Analyse ausgehend entwickelt er in seinem Werk eine Skizze des Begriffes Bullshit und versucht sich an einer theoretischen Unterfütterung dieses Phänomens.3 Frankfurt spricht davon, dass sich der Begriff dabei als bewusste falsche Darstellung der Wahrheit definieren lässt. Jedoch unterscheidet sich Frankfurts Begriff von der klassischen Auslegung der Lüge durch die Intension des sogenannten Bullshitters: Diese liegt darin, dass dem Wahrheitsgehalt einer Aussage keinerlei Bedeutung zugemessen wird. Dem Lügen hin-gegen liegt ein ursprünglicher Wahrheitsgehalt zu Grunde, welcher verschwiegen oder be-wusst ausgespart werden soll.4
Diese begriffliche Einordnung Frankfurts soll den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit darstellen. Davon ausgehend soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, in-wiefern das Phänomen der Fake-News im Sinne von Frankfurt als Bullshit definiert werden kann. Fundament erhält diese Fragestellung dadurch, dass gerade die Thematik der sogenann-ten Fake-News durch die rasante Entwicklung der sozialen Medien und des Internets an Be-deutung gewinnt. Zwar sind Falschmeldungen keine gänzlich neue Erscheinung, wie es Claudia Nothelle diagnostiziert, jedoch erhalten diese durch die schnelle Verbreitung im Netz eine neue Dimension, die es zu untersuchen gilt.5
Um der zuvor formulierten Fragestellung nachzugehen soll deshalb zunächst der Be-griff des Bullshits näherhin definiert werden. Des Weiteren soll Frankfurts Entwurf von der klassischen Definition der Lüge bei Augustinus abgegrenzt werden, ehe die Thematik der Fake-News analysiert werden soll. Abschließend erfolgt eine Untersuchung der Fragestellung.
2. Harry G. Frankfurts Bullshit
2.1. Begriffliche Ann äherung
Harry G. Frankfurt beginnt seine Untersuchung dieses begrifflichen Phänomens mit der grundlegenden Feststellung, dass der Begriff Bullshit häufig im Kontext einer Engführung auf die Verwendung in der Vulgärsprache gebraucht wird. Dieser Engführung versucht Frankfurt eine Konzeption entgegenzustellen, die zusätzlich die zahlreichen weiteren Facetten des Be-griffes miteinbezieht.6 Um dieses Ziel zu erreichen, bezieht sich der Philosoph auf bereits existente sprachtheoretische Analysen.
Eine solche Analyse findet Frankfurt in Max Blacks Schrift „The Prevelance of Hum-bug“7 vor. Darin entwirft Black eine Definition des Wortes Humbug, die laut Frankfurt eine deutliche Nähe zu seinem Begriff von Bullshit aufweist.8
„Humbug: insbesondere durch hochtrabendes Gehabe in Wort und Tat irreführende […], an Lüge grenzende Darstellung eigener Gedanken, Gefühle und Einstellungen”.9
Strukturelemente des Humbugs sind folglich die Nähe zur Lüge durch die täuschende Absicht und das bewusste Verschweigen der eigenen Intention. Ferner ist die Komponente des Han-dels von Relevanz: Humbug ist nicht nur ein sprachliches Phänomen, sondern hinzukommend eines, welches durch prätentiöses Agieren zusätzlich verstärkt wird.10 Frankfurt sieht in dieser definitorischen Annäherung an Humbug Ähnlichkeiten zum Bullshit, dennoch attestiert er Black, das Wesen des Bullshits noch nicht in Gänze erfasst zu haben und rezipiert deshalb weiterführend den österreichischen Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein.11
Wittgenstein unterscheidet zwischen sinnvollen Sätzen, die etwas Wahres über die Welt berichten und unsinnigen Sätzen, die keinerlei Bezug zur Wahrheit aufweisen12 jedoch vorgeben „mehr zu transportieren als die bloße Wirklichkeit13 “. Unsinn entsteht folglich, wenn kein Bemühen um die Wahrheit gegeben ist - wenn „die Aussage vom Streben nach Wahrheit abgeschnitten ist“14. Das entscheidende Merkmal des Unsinns liegt also im vorsätz-lichen Desinteresse gegenüber der Realität. In dieser Begriffsbestimmung sieht Frankfurt auch ein wesentliches Element des Bullshits.15 Damit wird auch klar, warum das Wort Humbug den Bullshit nicht treffend genug erfassen kann, denn beim Humbug ist eine zu große struktu-relle Ähnlichkeit zur Lüge gegeben.
Anschließend an Definitionen des Begriffes Bullshit aus verschiedenen Lexika erwei-tert Frankfurt Wittgensteins grundlegende Aussage um die sprachlichen Komponenten Bluff, Prahlerei und heiße Luft. Prahlerei deshalb, da hier wiederum auf die handelnde Ebene, wie bei Blacks Humbug-Definition verwiesen werden kann. Bei einem Bluff steht zudem viel-mehr das Fälschen als die falsche Aussage im Vordergrund und das sprichwörtliche „heiße Luft“ reden bezieht sich auf das gänzlich Inhalts-leere bestimmter Aussagen.16 Bullshit lässt sich dahingehend folgendermaßen definieren: Wer Bullshit redet, der misst dem Wahrheits-gehalt einer Aussage keinerlei Bedeutung zu. Es geht ihm um das gezielte Fälschen zu seinen eigenen Zwecken, ohne dabei die realen Gegebenheiten zu beachten.17
2.2. L üge und Bullshit
Um das Wesen des Bullshits noch besser einzugrenzen, soll zunächst der Vergleich zur klas-sischen Konzeption der Lüge gezogen werden. Dazu soll exemplarisch das Lügen-Verständnis des Augustinus analysiert werden.
Augustinus sieht in der Lüge „eine fundamentale Pervertierung der Bestimmung des Menschen, ein Leben in Wahrheit zu führen“18, wie es Alfons Fürst formuliert. Deshalb ist für Augustinus selbst die geringste Lüge abzulehnen. Dies begründet er durch die grundsätzliche Nähe der Wahrheit zur göttlichen Wahrheit.19 Dahingehend steht die Lüge für eine Abkehr von der Beziehung zu Gott und zum Mensch-Sein selbst.20 Dennoch gilt es einschränkend zu erwähnen, dass Augustinus die Lüge nicht eindeutig definiert. Den primären Beweggrund hinter dem Lügen sieht er lediglich in der bewussten Absicht zu täuschen. Davon ausgehend formuliert er acht Kategorien der Lüge, in denen er die verschiedenen Varianten einer Lüge aufzuzeigen versucht. Allen Formen der Lüge zugleich ist jedoch, dass eine Kenntnis über die Wahrheit gegeben ist. Der Lügner weiß um die Wahrheit, verfälscht sie jedoch bewusst in der Absicht zu täuschen, sei es in der Lüge aus der reinen Lust am Betrug oder in der Lüge in Glaubensfragen.21
Frankfurt grenzt seinen Bullshit-Begriff von der augustinischen Herangehensweise ab. Für Frankfurt stellt das zentrale Element des Bullshittens das völlige Ignorieren jeder realen Tatsache dar. Während der Lügner noch um die Wahrheit weiß, diese allerdings zu seinem Nutzen zurückweist, schenkt der Bullshitter der Wahrheit erst gar keine Beachtung.22 So re-sümiert Frankfurt: „Niemand kann lügen, sofern er nicht glaubt, die Wahrheit zu kennen. Zur Produktion von Bullshit ist eine solche Überzeugung nicht erforderlich […]. Der Bullshitter ist außen vor […]. Es ist ihm gleichgültig ob seine Behauptungen die Realität korrekt be-schreiben.“23
3. Fake-News
Im Anschluss an diese Definition soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, inwie-fern das Phänomen der Fake-News als Bullshit definiert werden kann. Dazu soll zunächst die Thematik der sogenannten Fake-News eruiert werden.
Einschränkend muss Erwähnung finden, dass derzeit noch keine allgemein gültige oder juristische Definition von Fake-News existiert.24 Deshalb soll an dieser Stelle auf eine Wortbestimmung durch den deutschen Bundestag aus dem Jahre 2016 zurückgegriffen wer-den. Dieser zufolge lassen sich Fake-News charakterisieren als „absichtlich falsche Nachrich-ten, die eigens zum Zweck der viralen Verbreitung über das Internet und die sozialen Netz-werke produziert wurden“25. Damit verweist der deutsche Bundestag zum einen auf die be-sondere negative Qualität, die diese Falschmeldungen durch das Internet erhalten. Falschmel-dungen sind kein völlig neues Phänomen, indes potenziert sich durch die schnelle und vielfäl-tige Verbreitung im Netz ihre gefährliche Wirkung.26 Eine rasante Verbreitung ermöglicht, dass in Sekundenbruchteilen potentiell eine Großzahl an Menschen von der Falschmeldung erfahren. Dies mag hinsichtlich „einfacher“ falscher Nachrichten wie gefälschten Promi-Interviews nicht zwingend destruktiv sein, im Falle von gezielter Desinformation wie im US-Wahlkampf 2016 geschehen, hingegen schon. Walter Quattrociocchi akzentuiert diesbezüg-lich, dass Fake-News „direkte Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und ihre politische, ökonomische und weltanschauliche Ausrichtung“27 haben. Demzufolge dürfen Fake-News in ihrer Auswirkung nicht unterschätzt werden. Der deutsche Bundestag betont, neben der vira-len Verbreitung im Internet, zusätzlich die bewusste Täuschungsabsicht als grundsätzliches Element von Fake-News28. Ähnliches analysiert Tom Mould: Er sieht in der gezielten Desin-formation, das heißt der bewussten Täuschung und Irreführung, ein entscheidendes Merkmal von Fake-News gegeben.29
Dennoch gilt es, von dieser Bedeutungsebene die Bedeutung von Fake-News als zum Beispiel unbewusste Falschmeldung zu differenzieren. Ferner können auch Meldungen mit satirischer Intension unter den Term Fake-News subsumiert werden.30 Internet-Portale wie die deutsche Satire-Website „der Postillion“31 veröffentlichen satirische Artikel, die den Anschein einer Nachrichtenmeldung erwecken und demnach der Terminologie nach durchaus auch Fake-News genannt werden können. Auch Verschwörungstheorien können dieser begriffli-chen Bestimmung zugeordnet werden.32 Darüber hinaus existiert das Internet-Phänomen des sogenannten Trollens. Darunter versteht Walter Quattrociocchi die Verbreitung falscher In-halte im Internet, um Diskussionen zu stören.33 Trotz alledem hat die Definition von Fake-News als gezielt gefälschte Information Konjunktur,34 wie es sich anhand des Vorschlages des deutschen Bundestages aufzeigen lässt. Demzufolge ist das Phänomen der Fake-News schwer begrifflich zu erfassen.
Mould unterscheidet deshalb zwischen der Intention und der Auswirkung, um Fake-News zu untersuchen. Liegt die Intention in der bewussten Fälschung oder der bewussten Erfindung von Meldungen, ohne dabei satirisch verfälschend vorzugehen, so handelt es sich definitiv um Fake-News. Auf der anderen Seite können auch satirische Elemente durch ihre Auswirkung zu Fake-News werden. Dies kann beispielsweise durch die Rezeption unter Aus-lassen des humoristischen Hintergrundes geschehen. Wenn Menschen eine Nachricht unab-hängig ihres Kontextes rezipieren, können ebenso Fake-News entstehen, wie durch eine be-wusst falsch verbreitete Nachricht.35
[...]
1 Frankfurt, Harry G.: Bullshit (=Suhrkamp Taschenbuch Bd. 4490), Frankfurt a.M. 2014, S. 7. [Im Folgenden zitiert als: Frankfurt, Harry G.: Bullshit].
2 Vgl. Ebd.
3 Vgl. Ebd. S.7f.
4 Vgl. Ebd. S. 40f.
5 Vgl. Nothelle, Claudia: Vorsicht Falle. Scripted Reality, retouchierte Fotos, Pseudonyme – Täuschung als me-dienethische Herausforderung, in: Klaus-Dieter Altmeppen u.a. (Hrsg.): Soziale Kommunikation im Wandel. 50 Jahre Medienethik und Kommunikation in Kirche und Gesellschaft. Sonderband anlässlich des 50-Jährigen Jubi-läums der Zeitschrift Communicatio Socialis, Baden Baden 2017, S. 106 [Im Folgenden zitiert als: Nothelle, Claudia: Vorsicht Falle].
6 Vgl. Frankfurt, Harry G.: Bullshit, S. 7-9.
7 Vgl. Black, Max: The Prevelance of Humbug, Ithaca 1985 [Im Folgenden zitiert als: Black, Max: Humbug].
8 Vgl. Frankfurt, Harry G.: Bullshit, S. 10.
9 Black, Max: Humbug, S. 143 zitiert nach: Frankfurt, Harry G.: Bullshit, S. 10.
10 Vgl. Frankfurt, Harry G.: Bullshit, S. 10-17.
11 Vgl. Ebd. S. 18.
12 Vgl. Hürter, Tobias/Rauner, Max: Schluss mit dem Bullshit. Auf der Suche nach dem verlorenen Verstand, München 2014, S. 31 [Im Folgenden zitiert als: Hürter, Tobias/Rauner, Max: Schluss mit dem Bullshit].
13 Vgl. Frankfurt, Harry G.: Bullshit, S. 24.
14 Ebd. S. 26.
15 Vgl. Ebd. S.26f.
16 Vgl. Ebd. S. 27-38.
17 Vgl. Ebd. 41.
18 Fürst, Alfons: Patristische Diskussionen über die Lüge, in: Rochus Leonhardt (Hrsg.): Dürfen wir lügen? Bei-träge zu einem aktuellen Thema, Neukirchen-Vluyn 2002, S. 84.
19 Vgl. Ebd. S. 84.
20 Vgl. Schockenhoff, Eberhard: Zur Lüge verdammt?. Politik, Justiz, Kunst, Medien, Medizin, Wissenschaft und die Ethik der Wahrheit, Freiburg 2005, S. 46.
21 Vgl. Ebd. S. 50-52.
22 Vgl. Frankfurt, Harry G.: Bullshit, S. 44f.
23 Ebd. S. 41.
24 Vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags: Fake News. Definition und Rechtslage (2017), URL: https://www.bundestag.de/resource/blob/502158/99feb7f3b7fd1721ab4ea631d8779247/wd-10-003-17-pdf-data.pdf [zuletzt abgerufen am: 07.08.2019], S. 6 [Im Folgenden zitiert als: Deutscher Bundestags: Fake News].
25 Ebd. S. 6.
26 Vgl. Nothelle, Claudia: Vorsicht Falle, S. 106.
27 Quattrociocchi, Walter: Fake News in den sozialen Medien, in: Karsten Cönnecker (Hrsg.): Fake oder Fakt?. Wissenschaft, Wahrheit und Vertrauen, Berlin 2018, S. 144 [Im Folgenden zitiert als: Quattrociocchi, Walter: Fake News].
28 Vgl. Deutscher Bundestags: Fake News, S.6.
29 Vgl. Mould, Tom: Introduction to the Special Issue on Fake News. Definitions and Approaches, in: Journal of American Folklore 131 (2018), S. 373 [Im Folgenden zitiert als: Mould, Tom: Fake News].
30 Vgl. Ebd. S. 372.
31 Vgl. hierzu: https://www.der-postillon.com [zuletzt abgerufen am 04.09.2019].
32 Vgl. Mould, Tom: Fake News, S. 372f.
33 Vgl. Quattrociocchi, Walter: Fake News, S. 152.
34 Vgl. Mould, Tom: Fake News, S. 373.
35 Vgl. Ebd. S. 373-376.
- Arbeit zitieren
- Björn Schweizer (Autor:in), 2019, Fake-News. Alles Bullshit?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/907641
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