In der zwischenmenschlichen Kommunikation zeigt sich eine besondere Eigenschaft der natürlichen Sprache: durch die Äußerung eines Satzes kann ein Sprecher „mehr“ meinen als er sagt, d.h. die Bedeutung einer Äußerung kann über die konventionelle Bedeutung der verwendeten Worte hinausgehen. [...]
Zu den wesentlichen Theorien der Pragmatik gehören die Sprechakttheorie von John L. Austin und die Implikaturtheorie von Paul Grice. Die Sprechakttheorie beschäftigt sich mit der Beschreibung so genannter „Sprachhandlungen“, also mit dem, was ein Sprecher tut, wenn er spricht. Grice etabliert verschiedene Konzepte, wie das der „konversationalen Implikatur“, mit denen er das „Gemeinte“ vom „Gesagten“ unterscheidet. Weiterhin beschreibt er, wie ein Hörer anhand verschiedener Konversationsmaxime erkennen kann, was ein Sprecher meint. Um die Beschaffenheit der natürlichen Sprache in der Kommunikation zu analysieren gehen die Theoretiker der Pragmatik meist von Fällen aus, in denen Kommunikation gelingt. Diese Annahme beschreibt ein idealisiertes Bild der Kommunikation und wird dem alltäglichen Gebrauch der Sprache nicht immer gerecht: In alltäglichen Situationen kommt es häufig zu Missverständnissen. Auch dieses Phänomen muss durch eine sprachwissenschaftliche Theorie der Pragmatik beschreibbar sein. In der vorliegenden Arbeit sollen daher Beispiele kommunikativer Missverständnisse anhand der Sprechakttheorie und der Implikaturtheorie dargestellt und analysiert werden. Weiterhin soll untersucht werden, ob mögliche Ursachen dieser Missverständnisse sprachwissenschaftlich fassbar sind.[...] Es wird sich zeigen, dass es der Erweiterung einiger Konzepte bedarf, um eine zufrieden stellende Beschreibung der Missverständnisse zu gewährleisten. Diese Erweiterung ermöglicht eine genauere Untersuchung der Ursachen der Missverständnisse. Abschließend möchte ich einen Ausblick über mögliche anknüpfende Untersuchungen geben. Dort soll gezeigt werden, welche Aspekte kommunikativer Missverständnisse durch eine sprachwissenschaftliche Analyse nicht fassbar sind und welche weiteren Konzepte hinzugezogen werden könnten, um eine befriedigende Beschreibung und Erklärung der Missverständnisse zu ermöglichen.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Kommunikative Missverständnisse
III. ERSTER TEIL
1. Sprachwissenschaftliche Grundlagen: Die Sprechakttheorie
1.1. Illokutionärer Akt
1.2. Perlokutionärer Akt
1.3. Illokutionskraftfamilien
1.4. Gelingensbedingungen
1.5. Indirekte illokutionäre Sprechakte
1.6. Gründe für indirekte Sprechweise
2. Sprachwissenschaftliche Grundlagen: Grices Implikaturtheorie
2.1. Konversationale Implikatur
2.2. Kooperationsprinzip und Konversationsmaxime
IV. ZWEITER TEIL
3. Beschreibung kommunikativer Missverständnisse
3.1. Perlokutionärer Akt und kommunikative Missverständnisse
3.2. Indirekte Sprechakte und kommunikative Missverständnisse
3.3. Nachbildung des Verstehensprozesses anhand der Implikaturtheorie
4. Die Familie der EXPRESSIVA
5. Die Familie der BEWERTUNGEN
5.1. Eine Untergruppe: die HÖRER-BEWERTUNG
5.2. Gelingensbedingungen der HÖRER-BEWERTUNGEN
5.3. Erfüllungsbedingungen der HÖRER-BEWERTUNGEN
6. Unterschiedliche Einschätzungen des Kontexts als Ursache kommunikativer Missverständnisse
V. Zusammenfassung und Ausblick
VI. Anhang
VII. Literatur
I. Einleitung
In der zwischenmenschlichen Kommunikation zeigt sich eine besondere Eigenschaft der natürliche Sprache: durch die Äußerung eines Satzes kann ein Sprecher „mehr“ meinen als er sagt, d.h. die Bedeutung einer Äußerung kann über die konventionelle Bedeutung der verwendeten Worte hinausgehen. Mit der Beschreibung und Analyse dieses Phänomens beschäftigt sich die Pragmatik. Sie stellt eine linguistische Disziplin dar, welche die Frage nach der Beziehung zwischen der Wortbedeutung, dem, was der Sprecher meint und dem Äußerungskontext untersucht.[1]
Zu den wesentlichen Theorien der Pragmatik gehören die Sprechakttheorie von John L. Austin und die Implikaturtheorie von Paul Grice. Die Sprechakttheorie beschäftigt sich mit der Beschreibung so genannter „Sprachhandlungen“, also mit dem, was ein Sprecher tut, wenn er spricht. Grice etabliert verschiedene Konzepte, wie das der „konversationalen Implikatur“, mit denen er das „Gemeinte“ vom „Gesagten“ unterscheidet. Weiterhin beschreibt er, wie ein Hörer anhand verschiedener Konversationsmaxime erkennen kann, was ein Sprecher meint.
Um die Beschaffenheit der natürlichen Sprache in der Kommunikation zu analysieren gehen die Theoretiker der Pragmatik meist von Fällen aus, in denen Kommunikation gelingt. Diese Annahme beschreibt ein idealisiertes Bild der Kommunikation und wird dem alltäglichen Gebrauch der Sprache nicht immer gerecht: In alltäglichen Situationen kommt es häufig zu Missverständnissen. Auch dieses Phänomen muss durch eine sprachwissenschaftliche Theorie der Pragmatik beschreibbar sein. In der vorliegenden Arbeit sollen daher Beispiele kommunikativer Missverständnisse anhand der Sprechakttheorie und der Implikaturtheorie dargestellt und analysiert werden. Weiterhin soll untersucht werden, ob mögliche Ursachen dieser Missverständnisse sprachwissenschaftlich fassbar sind.
Zunächst sollen, um die dieser Arbeit zugrunde liegende Problemstellung zu skizzieren, einige Beispiele kommunikativer Missverständnisse beschrieben werden. Die anschließende Darstellung der Sprechakttheorie und der Implikaturtheorie im ersten Teil dieser Arbeit soll als Grundlage für die Überlegungen im zweiten Teil dienen. Bei der Darstellung dieser Theorien sollen verschiedene Schwerpunkte gesetzt werden. Zum einen um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, zum anderen, da nur die Punkte der Sprechakttheorie und der Implikaturtheorie ausführlich erläutert werden sollen, die zur Beschreibung der kommunikativen Missverständnisse wichtig erscheinen.
Mit den so etablierten Konzepten sollen dann im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit die eingangs angeführten Beispiele kommunikativer Missverständnisse beschrieben und analysiert werden. Es wird sich zeigen, dass es der Erweiterung einiger Konzepte bedarf, um eine zufrieden stellende Beschreibung der Missverständnisse zu gewährleisten. Diese Erweiterung ermöglicht eine genauere Untersuchung der Ursachen der Missverständnisse.
Abschließend möchte ich einen Ausblick über mögliche anknüpfende Untersuchungen geben. Dort soll gezeigt werden, welche Aspekte kommunikativer Missverständnisse durch eine sprachwissenschaftliche Analyse nicht fassbar sind und welche weiteren Konzepte hinzugezogen werden könnten, um eine befriedigende Beschreibung und Erklärung der Missverständnisse zu ermöglichen. Dies soll jedoch nicht in aller Ausführlichkeit geschehen.
II. Kommunikative Missverständnisse
Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun analysiert in seiner Buchreihe „Miteinander reden“ typische Störungen der Kommunikation. Darauf basierend entwickelt er verschiedene Modelle, anhand derer er die Probleme zwischenmenschlicher Kommunikation und deren Ursachen auf psychologischer Ebene veranschaulicht. Auf diese Modelle soll hier nicht näher eingegangen werden. Es soll sich hier nur eines Beispiels bedient werden, das Schulz von Thun zur Erläuterung seiner Modelle heranzieht:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Beispiel eines Missverständnisses. Quelle: Schulz von Thun, F. (1981), S.63.
„Der Mann fragt beim Mittagessen: ‚Was ist das Grüne hier in der Soße?’ Die Frau: ‚Mein Gott, wenn es dir hier nicht schmeckt, kannst du auch woanders essen gehen!’“. Das Missverständnis besteht hier darin, dass die Frau die Informationsfrage des Mannes als einen Vorwurf oder eine Beleidigung interpretiert („Mir schmeckt das Essen nicht!“, „Du bist eine miese Köchin!“[2] ). Ähnliche Missverständnisse werden in den folgenden Dialogbeispielen geschildert:
(B1) In einem Restaurant nach Feierabend. Unterhaltung zwischen dem Küchenchef und der neuen Kellnerin:
Küchenchef: „Wann kommst du das nächste Mal arbeiten?“
Kellnerin: „Am 19.“
Küchenchef: „Das ist ja erst nächste Woche“
Kellnerin (denkt): ‚Ein neuer Job und schon wieder sind die Leute mit mir nicht zufrieden…’
(B2) Ein Sprecher stellt einem (sichtbar wohlbeleibten) Hörer folgende Frage:
„Möchtest du noch etwas Schokolade?“
Der Hörer antwortet:
„Warum meinen immer alle, dass ich soviel Schokolade esse?“
In (B1) lässt die (gedankliche) Reaktion der Kellnerin erkennen, dass sie aus der Äußerung schließt, der Küchenchef habe ihr mitteilen wollen sie habe eine nicht zufrieden stellende Arbeitsmoral. Der Hörer in (B2) geht davon aus, der Sprecher habe durch seine Frage auf seine Übergewichtigkeit anspielen wollen.
Um diese Beispiele kommunikativer Missverständnisse anhand sprachwissenschaftlicher Konzepte darstellen zu können und um festzustellen, wodurch die Missverständnisse entstehen konnten, ist es hilfreich die Dialoge auf gemeinsame Eigenschaften hin zu untersuchen. Zunächst lässt sich feststellen, dass die Sprecher die Äußerungen mit einer bestimmten Intention äußerten, die von den Adressaten nicht erkannt wurden. Stattdessen wurde eine Absicht unterstellt. Zweitens konnten die Hörer die unterstellte Absicht nicht aus der wörtlichen Bedeutung der Frage ableiten. Drittens kann man davon ausgehen, dass die Hörer mehr oder weniger emotional reagieren. Viertens wird in allen Beispielen unterstellt, dass der Sprecher eine (negative) Bewertung eines Sachverhalts ausdrücken wollte. Diese Beobachtungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Beobachtungen:
a) Es liegt ein Missverständnis vor.
b) Der Hörer reagiert nicht auf die wörtliche Bedeutung der Äußerung des Sprechers. Er muss davon ausgehen, der Sprecher meine mehr als er sagt.
c) Die Hörer reagieren mehr oder weniger emotional.
d) Die Reaktionen der Hörer deuten darauf hin, dass die Äußerung des Sprechers als persönliche Kritik aufgefasst wurde.
Beobachtung a) ist dabei eher eine Annahme, um die dieser Arbeit zugrunde liegende Problemstellung zu skizzieren.[3] In Beobachtung b) wird davon ausgegangen, dass die Hörer tatsächlich der Auffassung sind, dass die Sprecher das gemeint haben, was die Hörer interpretieren. Damit soll ausgeschlossen werden, dass die Hörer die Äußerungen absichtlich falsch verstehen.[4] Beobachtung c) dient unter anderem als Hinweis für Beobachtung d). Der Ausdruck „persönliche Kritik“ in Beobachtung d) soll hier zur allgemeinen Beschreibung dessen verstanden werden, was die Hörer interpretiert haben (Beleidigung, Vorwurf, Tadel, Provokation o.ä.). Diese Beobachtungen sollen im zweiten Teil dieser Arbeit anhand sprachwissenschaftlicher Konzepte näher untersucht werden. Im Hinblick auf diese Untersuchung, sollen zunächst die dazu notwendigen sprachwissenschaftlichen Grundlagen gegeben werden.
III. ERSTER TEIL
1. Sprachwissenschaftliche Grundlagen: Die Sprechakttheorie
Mit der Sprechakttheorie etablierte John Langshaw Austin eine der wesentlichen Theorien der Pragmatik. In seiner Vorlesungsreihe How to Do Things with Words (1962) stellte er die Grundideen der Sprechakttheorie vor. Eine große Anzahl philosophischer Arbeiten ging daraus hervor. Eine der einflussreichsten war die Systematisierung durch Austins Schüler John Rogers Searle (1969).
Austin unterscheidet zwischen drei verschiedenen Arten, wie man durch Sagen etwas tut.[5] Er bezeichnet diese Arten als lokutionären Akt, illokutionären Akt und perlokutionären Akt[6]. Den lokutionären Akt definiert Austin als die „Äußerung eines Satzes mit determiniertem Sinn und determinierter Referenz“[7]. Dieser bildet die Grundlage des illokutionären Aktes, durch den eine bestimmte Handlung ausgeführt wird, die konventionsgemäß mit der Äußerung vollzogen wird.[8] Auf dem illokutionären Akt basiert wiederum der perlokutionäre Akt, der die Wirkungen der Äußerung auf den Adressaten beschreibt.[9] Im Weiteren möchte ich mich nun näher dem illokutionären- und perlokutionären Akt und deren Unterscheidung widmen.
1.1. Illokutionärer Akt
Der illokutionäre Akt bildet den Hauptgegenstand der Sprechakttheorie. Austin stellte fest, dass durch die Äußerung eines Satzes oft nicht nur eine Proposition ausgedrückt wird, sondern gleichzeitig auch eine Handlung vollzogen werden kann. Zum Beispiel könne ein Sprecher mit einer Äußerung etwas feststellten, anbieten, versprechen, bemängeln, jemanden kritisieren, um etwas bitten, jemanden tadeln usw. Diese sprachliche Handlung bezeichnete Austin als „illokutionären Akt“.[10] Die Bedeutung einer Äußerung bestehe daher nicht nur aus der ausgedrückten Proposition (dem semantischen Gehalt), sondern zugleich aus der entsprechenden Illokution, die mit der Äußerung vollzogen würde.[11] Der Zusammenhang zwischen der ausgedrückten Proposition und der Illokution sei dabei von konventioneller Art.[12]
Durch die Äußerungen (1) und (2) kann aufgrund ihrer konventionellen Bedeutungen der illokutionäre Akt WARNEN[13] vollzogen werden:
(1) „Ich warne Sie, dass das Betreten Unbefugten verboten ist.“[14]
(2) „Unbefugten ist das Betreten verboten!“
Äußerung (1) führt im Gegensatz zu Äußerung (2) ein performatives Verb (warnen) und wird daher auch als „explizit-performative Äußerung“ bezeichnet.[15] Analog dazu werden Äußerungen wie (2) „implizit-performativ“ genannt. Performativa sind laut Austin diejenigen Verben, welche die sprachliche Handlung bezeichnen, die durch ihren Gebrauch vollzogen wird.[16] Die performativen Verben stellten zunächst den Hauptgegenstand der Untersuchungen von Austin dar. Später jedoch kam er von der Ansicht ab, Performativa seien eine besondere Satzart. Durch die Unterscheidung von explizit-performativen Äußerungen und implizit-performativen Äußerungen gelangte Austin zu einer allgemeinen Theorie der illokutionären Akte.[17]
Jede in kommunikativer Absicht gemachte Äußerung eines Sprechers stellt einen illokutionären Akt dar.[18] Die Absicht des Sprechers einen bestimmten illokutionären Sprechakt auszuführen, wird auch die „illokutionäre Absicht“ (illocutionary intent) genannt.[19] In der illokutionären Absicht drückt sich die charakteristische Eigenschaft von Kommunikation aus: sie ist von reflexiver Natur.[20] „Reflexiv“ beutet, dass eine an den Hörer gerichtete Äußerung dann als illokutionärer Akt gilt, wenn der Sprecher mit der Äußerung gleichzeitig zu erreichen beabsichtigt, dass der Hörer erkennt, dass diese Äußerung einen solchen illokutionären Akt darstellt.[21] Versteht der Adressat die Äußerung des Sprechers, so ist der illokutionäre Akt gelungen.[22] Das Verstehen des illokutionären Aktes bezeichnet Searle als „illokutionären Effekt“.[23] Der illokutionäre Effekt besteht laut Searle darin, dass der Hörer erkennt, welcher illokutionäre Akt ausgeführt wurde.[24]
Die Reaktionen auf die Äußerung des Sprechers, werden als „perlokutionärer Akt“ bezeichnet. Der perlokutionäre Akt und dessen Abgrenzung vom illokutionären Akt soll im folgenden Abschnitt erläutert werden.
1.2. Perlokutionärer Akt
Der perlokutionäre Akt wird definiert als „das Hervorbringen von Wirkungen auf die Hörer durch Äußerung [eines] […] Satzes“.[25] Welche Wirkungen durch eine Äußerung erzielt werden können, ist dabei von den Äußerungsumständen abhängig.[26] Austin führt den Begriff des perlokutionären Aktes wie folgt ein:
Saying something will often, or even normally, produce certain consequential effects upon the feeling, thoughts, or actions of the audience, or of the speaker, or of other persons: and it may be done with the design, intention, or purpose of producing them… We shall call the performance of an act of this kind the performance of a Perlocutionary act.[27]
Austin bezeichnet demnach das Erzeugen sämtlicher Konsequenzen als perlokutionären Akt. Andere Autoren, wie z.B. Bach und Harnish (1979), beschränken den perlokutionären Akt auf die vom Sprecher beabsichtigte Produktion eines Effektes.[28] Durch die Äußerung von (1) beabsichtigt ein Sprecher wahrscheinlich einen Adressaten davon abzuhalten einen bestimmten Ort zu betreten. Wird der Hörer daraufhin wütend, so ist dies zwar ein Effekt, den die Warnung erzeugte, jedoch nicht der vom Sprecher beabsichtigte. Damit handelt es sich nach Bach und Harnish nicht um einen perlokutionären Akt. Die Absicht des Sprechers, eine bestimmte Wirkung zu erzielen (die perlokutionäre Absicht), muss im Gegensatz zur illokutionären Absicht nicht vom Hörer erkannt werden.[29] Es kann manchmal sogar vom Sprecher beabsichtigt sein, dass die perlokutionäre Absicht nicht erkannt wird.[30] Im Gegensatz zur illokutionären Absicht, die erfüllt ist, wenn sie erkannt wird, ist eine perlokutionäre Absicht, erfüllt, wenn der beabsichtigte Effekt eintritt.[31]
Perlokutionäre Akte unterscheiden sich auch dadurch von illokutionären Akten, dass sie eine „dadurch dass“- Beschreibung zulassen:[32]
(3) Er hat ihn dadurch verunsichert, dass er fragte: „Wie geht es Ihrer Frau?“
(4) Er hat ihn dadurch aufgeheitert, dass er ihm allerlei Anekdoten erzählt hat.[33]
Die Beispielsätze (5) und (6) dagegen, scheinen eigenartig:
(5) * Er hat dadurch eine Frage gestellt, dass er sagte: „Wo warst du gestern Abend?
(6) * Er hat dadurch einen Vorschlag gemacht, dass er sagte: „Lass uns noch ins Kino gehen!“[34]
Die Sätze (5) und (6) scheinen deshalb eigenartig, da in jeweils beiden Teilsätzen der selbe illokutionäre Akt beschrieben wird. Indem man sagt „Wo warst du gestern Abend?“ stellt man eine Frage und durch die Äußerung von „Lass uns noch ins Kino gehen“ wurde ein Vorschlag gemacht. Jemanden zu verunsichern dagegen kann nicht zwangsläufig durch die Frage „Wie geht es Ihrer Frau?“ erreicht werden genauso wie nicht jeder Mensch besser gelaunt sein wird, wenn man ihm allerlei Anekdoten erzählt. Drückt man die obigen Beispiele durch „gilt als“- und „führt zu“- Relationen aus, so wird dieser Unterschied deutlicher:
(3’) Das Stellen einer persönlichen Frage kann zur Verunsicherung des Hörers führen.
(4’) Jemandem Anekdoten erzählen kann zu einer Aufheiterung des Hörers führen.
(5’) Sagen: „Wo warst du gestern Abend? gilt als Stellen einer Frage.
(6’) Sagen: „Lass uns noch ins Kino gehen!“ gilt als einen Vorschlag machen.[35]
Die „führt zu“- Relation bezeichnet Hindelang (2004) als „kausale Relation“. Diese stellt er der konventionellen „gilt als“- Relation“ gegenüber. Die Beziehung zwischen dem illokutionären Akt und dem Äußerungsakt (lokutionären Akt) identifiziert Hindelang als konventionell. Die Beziehung zwischen illokutionärem und perlokutionärem Akt dagegen wird als kausal identifiziert.[36] Hindelang stellt weiterhin fest, dass manche Verben im Bezug auf illokutionäre und perlokutionäre Akte polysem seien.[37] „Beleidigen“ zum Beispiel kann sowohl einen illokutionären Akt bezeichnen („Du blöde Sau!“) als auch einen perlokutionären Akt („Ich habe zu ihr gesagt: ‚Du siehst aus, wie deine Schwester’. Daraufhin war sie beleidigt.“).[38]
1.3. Illokutionskraftfamilien
Austin (1970) nennt die Tatsache, dass man mit bestimmten Äußerungen bestimmte Handlungen ausüben kann, die spezifische „Kraft“ einer Äußerung. Searle (1976) klassifiziert die möglichen illokutionären Kräfte einer Äußerung anhand von fünf Kategorien. Diese stellen grundlegende Äußerungstypen dar, die bestimmte Handlungsarten charakterisieren.[39] Die fünf Kategorien lauten:
(i) Repräsentativa: aussagen, schließen, feststellen, informieren, etc.
(ii) Direktiva: bitten, fragen, auffordern, befehlen, etc.
(iii) Kommisiva: versprechen, drohen, anbieten, etc.
(iv) Expressiva: danken, sich entschuldigen, willkommen heißen, gratulieren, etc.
(v) Deklarativa: exkommunizieren, den Krieg erklären, taufen, kündigen, etc.[40]
Diese Illokutionskraftfamilien zeichnen sich durch verschiedene Merkmale aus, von denen der „illokutionäre Zweck“ als das wichtigste Unterscheidungsmerkmal gesehen wird.[41] Der illokutionäre Zweck bestimmt die kommunikativen und praktischen Absichten, die mit einer Äußerung verfolgt werden.[42] Er bildet die Basiskomponente der illokutionären Kraft und ist so wesentlich für die Identifizierung eines Sprechaktes als ein bestimmter Akttyp.[43] Die verschiedenen Illokutionszwecke der einzelnen Illokutionskraftfamilien werden wie folgt definiert: Der illokutionäre Zweck der REPRÄSENTATIVA ist die Festlegung des Sprechers auf die Wahrheit der ausgedrückten Proposition. Die DIREKTIVA zeichnen sich durch den illokutionären Zweck der Veranlassung des Hörers zu einer bestimmten Handlung aus. KOMISSIVA verpflichten den Sprecher zu einer zukünftigen Handlung. Durch EXPRESSIVA drückt der Sprecher eine psychische Einstellung zu einem im propositionalen Gehalt spezifizierten Sachverhalt aus. Der Illokutionszweck der DEKLARATIVA besteht darin, dass eine bestimmte institutionelle Tatsache herbeigeführt werden soll.[44]
Eckard Rolf (1997) unterscheidet zudem zwischen dem „Ergebnisaspekt“ und dem „Folgeaspekt“ des illokutionären Zwecks.[45] Der Ergebnisaspekt beziehe sich auf Sprecherseitige Tatsachen und der Folgeaspekt auf Hörerseitige Tatsachen.[46] Auch wenn der Folgeaspekt eine hörerseitige Angelegenheit sei, sei dieser trotzdem unter die Handlungsabsichten des Sprechers zu subsumieren.[47] Die Äußerung des Sprechers müsse notwendigerweise die Ursache des Folgeaspektes sein.[48]
Der Ergebnisaspekt benennt die von Searle definierten illokutionären Zwecke der Illokutionskraftfamilien. Der Folgeaspekt der REPRÄSENTATIVA sei, die Annerkennung des Wahrheitsanspruchs durch den Hörer, ein KOMMISIV erzeuge eine Erwartungshaltung eines zukünftigen (Sprecher-) Verhaltens im Hörer, bei dem Vollzug eines DIREKTIVS wolle der Sprecher auch die Beabsichtigung eines zukünftigen Verhaltens im Hörer erzeugen, die DEKLARATIVA unterstellten eine institutionelle Wirklichkeit und durch die EXPRESSIVA würde in stabilisierender oder destabilisierender Weise Einfluss auf den Hörer genommen.
Rolf begründet diese Ausdehnung des Bezugsbereichs des illokutionären Zwecks dadurch, damit, dass für eine Beschreibung des Handlungsgrundes, welcher für die Erfassung der Handlungsabsichten entscheidend sei, eine auf seiten des Hörers anvisierte Wirkung miteinbezogen werden müsse.[49] Diese Wirkung wird von anderen Autoren als der „intendierte perlokutionäre Effekt“ beschrieben.[50]
Die Bestimmung des illokutionären Zwecks dient weiterhin dazu, die Bedingungen zu identifizieren, die erfüllt sein müssen, damit ein Sprechakt gelingen kann.[51] Auf diese Bedingungen soll im folgenden Abschnitt eingegangen werden.
1.4. Gelingensbedingungen
Austin (1962) formulierte verschiedene „Gelingensbedingungen“ (felicity conditions) aufgrund der Beobachtung, dass Performativa, obwohl sie nicht wahr oder falsch sein können, trotzdem scheitern könnten.[52] Auf Austins Überlegungen basierend entwickelte Searle seinen Beschreibungsansatz der Gelingensbedingungen am Beispiel des Sprechaktes VERSPRECHEN.[53]
Wenn ein Sprecher S im Beisein eines Zuhörers H einen Satz T äußert, dann verspricht er dem Zuhörer H durch die wörtlich gemeinte Äußerung von T richtig und aufrichtig, daß p, dann und nur dann, wenn die folgenden Bedingungen 1)-9) erfüllt sind:[54]
allgemeine Bedingung:
1) „Es herrschen normale Eingabe- und Ausgabe-Bedingungen.“
Bedingungen des propositionalen Gehalts:
2) „In der Äußerung T drückt S die Proposition aus, daß p.“
3) „Indem S ausdrückt, daß p, prädiziert S einen zukünftigen Akt A von S.“
vorbereitende Bedingungen:
4) „H würde es lieber sehen, wenn S A ausführt, als wenn er es unterlässt, und S glaubt, daß es H vorziehen würde, wenn S A ausführt, als wenn er dies unterläßt.“
5) „Es ist weder für S noch für H selbstverständlich, daß S A beim normalen Gang der Dinge ohnehin ausführen würde.“
Aufrichtigkeitsbedingung:
6) „S beabsichtigt A zu tun.“
wesentliche Bedingung:
7) „S beabsichtigt, sich mit der Äußerung von T zur Ausführung von A zu verpflichten.“
allgemeine Bedingungen:
8) „S beabsichtigt, (i-1) bei H die Erkenntnis (K) zu bewirken, daß die Äußerung von T als Verpflichtungsübernahme von S zur Ausführung von A gilt. S beabsichtigt, K durch die Erkenntnis von (i-1) zu bewirken, und S beabsichtigt, daß (i-1) aufgrund von Hs Kenntnis der Bedeutung von T erkannt wird.“
9) Die semantischen Regeln des Dialekts, den S und H sprechen, sind von solcher Beschaffenheit, daß T korrekt und aufrichtig nur dann geäußert wird, wenn die Bedingungen 1)-8) erfüllt sind.[55]
[...]
[1] Vgl. Eintrag der Stanford Encyclopedia of Philosophy
[2] Schulz von Thun, F. (1981), S.63.
[3] Man könnte natürlich auch davon ausgehen, dass die Sprecher in den Beispielen tatsächlich die der Interpretation zugrunde liegende Bedeutung der Äußerung gemeint hatten.
[4] Wäre dies der Fall, so müsste keine sprachwissenschaftliche Theorie zur Klärung der Ursachen bemüht werden.
[5] Vgl. Levinson, S. (1983), S.236.
[6] Vgl. Ebenda, S.236f.
[7] Vgl. Ebenda, S.236f.
[8] Vgl. Müller, H.M. (2002), S.290/S.470.
[9] Vgl. Levinson, S. (1983), S.237.
[10] Vgl. Levinson, S. (1983), S.236.
[11] Vgl. Heggelund, K. (2001).
[12] Vgl. Levinson, S. (1983), S.236.
[13] Ausdrücke, die sich auf bestimmte Muster einer Sprachhandlung beziehen, sollen zur Abgrenzung von Sprachhandlungsverben in Großbuchstaben geschrieben werden. Vgl. Hindelang, (1978).
[14] Levinson, S. (1983), S.229.
[15] Vgl. Ebenda, S.232.
[16] Vgl. Ebenda, S. 229.
[17] Vgl. Ebenda, S.232.
[18] Vgl. Bach, K./Harnish, R. (1979), S.7.
[19] Vgl. Ebenda, S.15.
[20] Vgl. Meggle, G. (1991), S.375.
[21] Vgl. Bach, K./Harnish, R. (1979), S.15; Grice, P. (1957), S.385; Meggle, G. (1991), S.377.
[22] Vgl. Bach, K./ Harnish, R. (1979), S.15.
[23] Vgl. Ebenda, S.13.
[24] Vgl. Ebenda, S.13.
[25] Levinson, (1983), S.237.
[26] Vgl. Ebenda.
[27] Vgl. Bach, K./ Harnish, R. (1979), S.16f.
[28] Vgl. Ebenda, S. 16.
[29] Vgl. Bach, K./ Harnish, R. (1979), S.81.
[30] Vgl. Ebenda.
[31] Vgl. Ebenda.
[32] Vgl. Hindelang, G. (2004), S.12.
[33] Vgl. Ebenda.
[34] Vgl. Ebenda.
[35] Vgl. Hindelang, G. (2004), S.12.
[36] Vgl. Ebenda, S.14.
[37] Vgl. Ebenda, S.102.
[38] Vgl. Ebenda, S.102.
[39] Vgl. Levinson, S. (1983), S.240.
[40] Levinson, S. (1983), S. 240.
[41] Als weitere Unterscheidungskriterien schlägt Searle unter anderem die „psychische Einstellung“ des Sprechers und die „Entsprechungsrichtung“ zwischen den Worten und den Tatsachen vor. Vgl. Hindelang, G. (2004), S.46.
[42] Vgl. Ebenda. Eine klare Darstellung, wie der illokutionäre Zweck mit den bereits beschriebenen Konzepten der illokutionären Absicht und des illokutionären Effekts zusammenhängt bzw. davon abgegrenzt wird, ist der gegenwärtigen Literatur nicht eindeutig zu entnehmen.
[43] Vgl. Rolf, E. (1997), S. 24.
[44] Vgl. Hindelang, G. (2004), S.47.
[45] Vgl. Rolf, E. (1997), S. 29.
[46] Vgl. Ebenda, S. 30.
[47] Vgl, Ebenda.
[48] Vgl. Rolf, E. (1997), S. 30.
[49] Vgl. Ebenda.
[50] Vgl. Rolf, E. (1997), S.29. Der Begriff des perlokutionären Aktes wurde unter Punkt 1.2. näher erläutert.
[51] Vgl. Rolf, E. (1997), S.12.
[52] Vgl. Levinson, S. (1983), S. 230.
[53] Vgl. Hindelang, G. (2004), S.85.
[54] Vgl. Hindelang, G. (2004), S.85.
[55] Vgl. Ebenda, S.85ff.
- Citation du texte
- Bachelor Beate Krickel (Auteur), 2007, Kommunikative Missverständnisse - Eine Analyse im Rahmen der Sprechakttheorie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90704
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