Diese Masterarbeit beschäftigt sich mit der zentralen Fragestellung, wie sich die Personalpolitik der verschiedensten Fluggesellschaften im Zuge der Deregulierung des europäischen Luftverkehrsmarktes verändert hat. Mit der vollständigen Liberalisierung in den 1990er Jahren konnten sich neben den bereits bestehenden Fluggesellschaften auch sogenannte Low-Cost-Carrier etablieren, die durch günstige Flugtickets und neue Konzepte den Luftverkehrsmarkt nachhaltig veränderten. Die durchschnittlichen Ticketpreise sind in den letzten Jahren deutlich gefallen. Folglich hat sich auch die finanzielle Lage vieler Fluggesellschaften verschlechtert.
In vielen Fällen waren die erzielten Erlöse so gering, dass die Fluggesellschaften den Betrieb einstellen mussten. Um Kosten zu sparen und im liberalisiertem Luftverkehrsmarkt Europas bestehen zu können, haben viele Unternehmen ihre Strategie verändert. Dies hat unter anderem Auswirkungen auf die Personalpolitik. Die Gehälter für Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter sind deutlich unter Druck geraten. Viele sind nicht mehr bei der Fluggesellschaft selbst angestellt, sondern finden sich in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis wieder. In einigen Fällen werden Gesetzeslücken gezielt ausgenutzt oder rechtliche Grenzen bewusst übertreten, um die Personalkosten weiter zu reduzieren. Diesen Herausforderungen müssen sich die Angestellten in Europas Luftfahrtbranche gemeinsam stellen.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Abstract
1. Einleitung
1.1. Problemstellung
1.2. Forschungsfragen und Zielsetzung
1.3. Methodisches Vorgehen
1.4. Aufbau der Arbeit
2. Historische Entwicklung des Luftverkehrs
2.1. Anfänge der motorisierten Luftfa h rt
2.2. Die Entwicklung der zivilen Verkehrsluftfahrt ab dem Jahr 1918
2.3. Die Entwicklung der zivilen Verkehrsluftfahrt ab dem Jahr 1945
2.4. Die Entwicklung der zivilen Verkehrsluftfahrt ab dem Jahr 1960
2.5. Liberalisierungstendenzen in der europäischen Luftfahrt in der 1980er Jahren
2.5.1. Erstes Liberalisierungspaket 1987
2.5.2. Zweites Liberalisierungspaket 1989
2.5.3. Drittes Liberalisierungspaket 1993
2.5.4. Volle Kabotage 1997
2.6. Die Entwicklung der zivilen Verkehrsluftfahrt nach der vollständigen Liberalisierung 1997
3. Arten von Fluggesellschaften
3.1. Linienfluggesellschaften
3.2. Charterfluggesellschaften
3.3. Regionalfluggesellschaften
3.4. Billigfluggesellschaften
3.5. Übersicht über die Fluggesellschaften in Europa
4. Kosten und Erlöse einer Fluggesellschaft
4.1. Kosten des Flugbetriebes
4.1.1. Kerosinpreis
4.1.2. Personalkosten
4.1.3. Technikkosten
4.1.4. Flugsicherungsgebühren
4.1.5. Flughafenentgelte und Groundhandling
4.1.6. Kapitalkosten und Leasinggebühren
4.1.7. Servicekosten und Versicherungsbeiträge
4.1.8. Administration, Marketing und Vertrieb
4.2. Beispielrechnung der Kosten eines Fluges
4.3. Erlöse des Flugbetriebes
4.3.1. Ticketverkauf
4.3.1.1. Preiselastizität
4.3.1.2. Preisdifferenzierung
4.3.1.3. Revenue Management
4.3.2. Verkauf von Zusatzleistungen
4.3.3. Beförderung von Fracht und Post
4.3.4. Erlöse aus Abkommen mit Partnerunternehmen
4.4. Gegenüberstellung der Kosten und Erlöse eines Flugbetriebes
5. Personalmanagement in der Luftfahrtbranche
5.1. Aspekte des Personalmanagements
5.1.1. Personalbedarfsplanung
5.1.2. Personalbeschaffung
5.1.3. Planung und Koordination des Personaleinsatzes
5.1.4. Entlohnung und betriebliche Sozialpolitik
5.1.5. Personalentwicklung und -controlling
5.1.6. Personalabbau
5.2. Aktuelle Herausforderungen im Personalmanagement
5.2.1. Wertewandel und demografische Veränderungen
5.2.2. Einflüsse durch Staat und Politik
5.2.3. Globalisierung und Technologisierung
5.2.4. Neue Arbeitswelt
6. Allgemeine Strategien und Personalmanagement der Luftfahrtbranche
6.1. Allgemeine Strategien
6.1.1. Strategie der Linienfluggesellschaften
6.1.2. Strategie der Billigfluggesellschaften
6.1.3. Strategien von Fluggesellschaften in Nischenmärkten
6.1.4. Angleichung der Strategien
6.2. Auswirkungen auf die Personalpolitik
6.2.1. Personalbedarfsplanung
6.2.2. Personalbeschaffung
6.2.3. Planung und Koordination des Personaleinsatzes
6.2.4. Entlohnung und betriebliche Sozialpolitik
6.3. Aktuelle Trends in der Personalpolitik der Fluggesellschaften
7. Zukünftige Entwicklungen in der Luftfahrtbranche Europas
Literaturverzeichnis
Anhang 1: Interviews
Anhang 2: Liste der Fluggesellschaften in Europa
Anhang 3: Berechnung der Kosten eines Fluges
Zusammenfassung
Diese Masterarbeit beschäftigt sich mit der zentralen Fragestellung, wie sich die Personalpolitik der verschiedensten Fluggesellschaften im Zuge der Deregulierung des europäischen Luftverkehrsmarktes verändert hat. Mit der vollständigen Liberalisierung in den 1990er Jahren konnten sich neben den bereits bestehenden Fluggesellschaften auch sogenannte Low-Cost-Carrier etablieren, die durch günstige Flugtickets und neue Konzepte den Luftverkehrsmarkt nachhaltig veränderten. Die durchschnittlichen Ticketpreise sind in den letzten Jahren deutlich gefallen. Folglich hat sich auch die finanzielle Lage vieler Fluggesellschaften verschlechtert. In vielen Fällen waren die erzielten Erlöse so gering, dass die Fluggesellschaften den Betrieb einstellen mussten. Um Kosten zu sparen und im liberalisiertem Luftverkehrsmarkt Europas bestehen zu können, haben viele Unternehmen ihre Strategie verändert. Dies hat unter anderem Auswirkungen auf die Personalpolitik. Die Gehälter für Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter sind deutlich unter Druck geraten. Viele sind nicht mehr bei der Fluggesellschaft selbst angestellt, sondern finden sich in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis wieder. In einigen Fällen werden Gesetzeslücken gezielt ausgenutzt oder rechtliche Grenzen bewusst übertreten, um die Personalkosten weiter zu reduzieren. Diesen Herausforderungen müssen sich die Angestellten in Europas Luftfahrtbranche gemeinsam stellen.
Abstract
This master thesis deals with the main question of how the personnel policy of various airlines has changed in the context of deregulation in the European aviation industry. With the complete liberalisation in the 1990s, so called low-cost-carriers were able to establish themselves in addition to the existing airlines, influencing the air transport market strongly through cheap flight tickets and new concepts. The average ticket prices have fallen significantly in recent years. Consequently, the financial situation of many airlines has also deteriorated. In many cases the generated revenues were so low that the airlines had to cease their operations. In order to cut costs and survive in the liberalised air transport market in Europe, many airlines have changed their strategy. This also has strong implications for the personnel policy. The salaries of flight attendants have come under considerable strain. Many are no longer employed by the airline itself, but find themselves in atypical employment conditions. In some cases, loophole in the law are exploited or legal limits are deliberately exceeded in order to reduce personnel costs even more. The employees in Europe's aviation industry have to face these challenges together.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Flügelprofile von Leonardo da Vinci
Abbildung 2: Montgolfiere in Paris im Jahr 1783
Abbildung 3: Junkers JU 52 der Lufthansa in London Croydon im Jahr 1933
Abbildung 4: Absolventinnen und Absolventen des Ersten Flugbegleiterlehrgangs im Jahr 1955 in Hamburg
Abbildung 5: Anzahl der Fluggesellschaften in Europa im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2019
Abbildung 6: An- und Abflugbewegungen an einem Hubflughafen; Flüge der Lufthansa in München im November 2019
Abbildung 7: Anzahl der Linienfluggesellschaften in Europa im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2019; Häufung der Gründungen und Insolvenzen
Abbildung 8: Anzahl der Charterfluggesellschaften im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2019; Häufung der Gründungen und Insolvenzen
Abbildung 9: Anzahl der Regionalfluggesellschaften im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2019; Häufung der Gründungen und Insolvenzen
Abbildung 10: Streckennetze europäischer Billigfluggesellschaften im Jahr 2019
Abbildung 11: Anzahl der Billigfluggesellschaften im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2019; Häufung der Gründungen und Insolvenzen
Abbildung 12: Übersicht über die Fluggesellschaften in Europa; Anzahl und Insolvenzen im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2019
Abbildung 13: Total Operating Costs einer Fluggesellschaft
Abbildung 14: Entscheidungskriterien bei der Flugbuchung im zeitlichen Verlauf von 2013 - 2018
Abbildung 15: Umsätze bei hoher und geringer Preiselastizität
Abbildung 16: Darstellung der Verbindungen, Buchungsklassen und Preise für einen Flug von Frankfurt nach New York
Abbildung 17: Preisdifferenzierung bei Flugtickets
Abbildung 18: Schematische Darstellung eines Revenue Management Systems
Abbildung 19: Buchungsverlauf am Beispiel eines Fluges
Abbildung 20: Yield- Entwicklung im kommerziellen Luftverkehr weltweit von 1960 - 2020
Abbildung 21: Dimensionen des Personalmanagements
Abbildung 22: Phasen des Rekrutierungsverfahrens
Abbildung 23: Gestaltungsrahmen des Entgeltsystems
Abbildung 24: Personalfreistellungsmaßnahmen
Abbildung 25: Marktdominanz der Linien-, Billig-, Regional- und Charterfluggesellschaften nach Flottengröße und Sitzplatzkapazität
Abbildung 26: Konkurrenzsituation im Luftverkehr
Abbildung 27: Kundenübersicht bei Low-Cost-Airlines
Abbildung 28: Typischer Firmenaufbau einer Low-Cost-Airline
Abbildung 29: Konvergenz der Geschäftsmodelle
Abbildung 30: Bestimmung des benötigten Crewfaktors pro Flugzeug in Abhängigkeit von Personal- und Flugzeugproduktivität
Abbildung 31: Art der Anstellung bei Linien- und Billigfluggesellschaften
Abbildung 32: Kennzahlen der Produktivität des fliegenden Personals
Abbildung 33: Gegenüberstellung der Dienstpläne bei eine Linien- sowie einer Billigfluggesellschaft
Abbildung 34: Monatliche Vergütung von Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern bei Linien- und Billigfluggesellschaften im Vergleich
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Die Freiheiten der Luft
Tabelle 2: Effekte der Liberalisierung
Tabelle 3: Unterscheidungsformen der Fluggesellschaften
Tabelle 4: Operative Fixkosten des Beispielfluges München - Madrid
Tabelle 5: Flugabhängige Kosten des Beispielfluges München - Madrid
Tabelle 6: Passagierabhängige Kosten des Beispielfluges München - Madrid
Tabelle 7: Determinanten der Preiselastizität
Tabelle 8: Merkmale der Preisdifferenzierung
Tabelle 9: Gegenüberstellung der Erlöse und Kosten pro ASK bei ausgewählten europäischen Fluggesellschaften im Jahr 2018
Tabelle 10: Berechnung von Personalbedarf und Personalüberhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Nach vielen Versuchen, unter anderem mit Ballonen, Hängegleitern und motorisierten stoffbespannten Flügeln, feierte man im Jahr 1919 schließlich den Jungfernflug des ersten rein für zivile Passagier- und Frachtflüge entwickelten Flugzeuges, der Junkers F 13 (Eiselin 2018b). In den letzten 100 Jahren hat sich die Luftfahrtindustrie rasant entwickelt. Fliegen ist heute für die meisten Menschen nahezu alltäglich geworden und lässt sich aus einer modernen Gesellschaft nicht mehr wegdenken. Im Jahr 2017 gab es weltweit über vier Milliarden beförderte Passagiere, davon alleine mehr als eine Milliarde in Europa (Afhüppe 2018; Dahlenburg 2018).
Historisch gesehen entwickelte sich in Europa mit dem Aufkommen des Massentourismus, nach den beiden Weltkriegen, in den 1950er Jahren, neben der Eisenbahn auch das Flugzeug zum Massentransportmittel (Schmude und Namberger 2015). Moderne Flugzeuge haben inzwischen eine Sitzplatzkapazität von über 150 Sitzen. Es war daher nicht mehr alleine den höheren und reicheren Gesellschaftsschichten vorenthalten, sondern zunehmend für alle Personen erschwinglich, mit dem Flugzeug zu verreisen. Die Ferienfluggesellschaft Lufttransport- Unternehmen (LTU) warb zu dieser Zeit mit dem Slogan „Fliegen ist für alle da“ (vgl. Krauthäuser und Kappner 1996, S. 104). Neben den bereits bestehenden, staatlichen Linienfluggesellschaften, wie etwa Alitalia, Air France oder Lufthansa, gründeten sich in dieser Zeit eine ganze Reihe an sogenannten Ferienfluggesellschaften, wie beispielswiese die Condor, LTU, Transavia oder die Hapag Lloyd.
Mit der Liberalisierung des Luftverkehrs und der Auflösung bilateraler Abkommen zwischen den europäischen Staaten, Ende der 1980er- und Anfang der 1990er Jahre, war der Markteintritt für weitere, neue Unternehmen frei. Kapazitäts- und Preisbeschränkungen wurden vollständig aufgehoben. Nach dem Vorbild der US-amerikanischen Fluglinie Southwest konnten sich zahlreiche, sogenannte Low-Cost-Carrier, neben den bereits bestehenden Fluggesellschaften, etablieren (Bergmann 2015, S. 428; Machatschke 2004). Mit schlanken Unternehmensstrukturen und neu erdachten Konzepten, warben sie mit sehr niedrigen Ticketpreisen um neue Kundschaft.
Hauptgewinner dieser Marktveränderungen sind sicherlich die Passagiere, da die Ticketpreise in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken sind und sie aus einem umfangreichen Angebot an beflogenen Routen und angeflogenen Destinationen wählen können. Allerdings überlebten viele Fluggesellschaften den harten Wettbewerb und den teils ruinösen Preiskampf nicht. Gerade in den letzten zehn Jahren verschwanden etliche vom Markt. Etwa Spanair, Air Berlin, Monarch, flyNiki, Intersky, Small Planet Airlines oder zuletzt die Germania (Sendner 2019). Alleine während des Verfassens der vorliegenden Masterarbeit sind die Fluggesellschaften Adria Airways, Aigle Azur, XL Airways France, Thomas Cook sowie Flybe pleitegegangen.
Es ist bereits deutlich erkennbar, dass die Marktöffnung und die Deregulierung, neben dem massiven Ausscheiden von Marktteilnehmern, auch zu verschlechterten Arbeitsbedingungen geführt haben. Die Luftverkehrsbranche ist inzwischen von vielen Seiten unter Druck geraten. Dies zeigt sich unter anderem durch Rationalisierungen bei Strecken und Personal, steigender Arbeitsintensität sowie schlechter werdenden Löhnen und Gehältern für die Angestellten (Wilke et al. 2016b, S. 10ff.).
1.1. Problemstellung
Das Unternehmen gegenüber ihren Angestellten aber auch gegenüber der Umwelt eine Verantwortung haben, wird zunehmend, gerade bei politischen Diskussionen, in den Vordergrund gestellt. Die Anzahl der Reisenden ist in den letzten Jahren global stark angestiegen und wird sich auch in Zukunft weiter erhöhen. Bis zum Jahr 2040 werden wahrscheinlich doppelt so viele Menschen, wie heutzutage, eine Flugreise antreten. Das werden laut Prognosen bis zu 9,4 Milliarden sein (Tretbar 2019).
Das immer mehr Passagiere zu immer günstiger angebotenen Ticketpreisen befördert werden hat starke Auswirkungen auf das Fortbestehen vieler etablierter Fluggesellschaften und renommierten Arbeitgeber aber auch gravierende ökologische Folgen. Carsten Spohr, Vorstandsvorsitzender der Lufthansa sagte kürzlich auf der Jahreshauptversammlung 2018: „Wenn die Taxifahrt zum Flughafen mehr kostet als der Flug selbst, dann ist fliegen zu billig (vgl. Afhüppe 2017).“
Gerade aber im Kontext der aktuellen Klimadebatte aber auch unter Berücksichtigung der Situation vieler Angestellten in der Luftfahrtindustrie müssen die Auswirkungen der Deregulierung genauer betrachtet werden. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, vor allem die Berufsgruppe der Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter, befinden sich in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, welche durch einen hohen ökonomischen Druck, der auf den Fluggesellschaften lastet, entstanden sind.
Bereits in den letzten Jahren schon, aber vor allem in den letzten Monaten, war vermehrt von prekären Arbeitsverhältnissen bei Fluggesellschaften in den europäischen Medien zu lesen. Besonders die Fluggesellschaft Ryanair war häufig in der Kritik, da sie über ein trickreiches Anstellungsmodell ihre Personalkosten extrem reduzieren konnte (Wiedenhöft 2018). Aber auch die Angestellten vieler anderer Airlines, wie beispielsweise der Air France, Iberia oder Lufthansa legten, durch zahlreiche Streiks, oft über mehrere Tage den Flugbetrieb lahm, um sich gegen stetig schlechter werdende Arbeitsbedingungen zu wehren. Teilweise müssen Angestellte bereits unter als unwürdig empfundenen Arbeitsbedingungen arbeiten und mit einem so niedrigen Gehalt zurechtkommen, dass eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, trotz Vollzeitbeschäftigung, kaum mehr möglich ist (Jorens et al. 2015, S. 214).
1.2. Forschungsfragen und Zielsetzung
Ausgehend vom bisherigen Forschungsstand und unter der Annahme, dass der ökonomische Druck, den viele Fluggesellschaften durch geringe Flugticketpreise erleiden, in direkter Korrelation mit der Personalpolitik steht und sich somit direkt oder indirekt auf die Arbeitsbedingungen auswirkt, lauten die Forschungsfragen wie folgt:
- Mit welchen Strategien versuchen europäische Luftverkehrsgesellschaften im liberalisierten Markt Europas zu bestehen und welche Auswirkungen hat dies auf die Personalpolitik am Beispiel der Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter?
- Gibt es Unterschiede in der Personalpolitik zwischen Linienfluggesellschaften, Billigfluggesellschaften, Charterfluggesellschaften sowie Regionalfluggesellschaften?
Ziel der vorliegenden Masterarbeit ist es, herauszufinden mit welchen betriebswirtschaftlichen Strategien und mit welchen Konzepten, Ideen und Neuerungen die europäischen Fluggesellschaften versuchen im vollständig liberalisierten Luftverkehrsmarkt zu bestehen. In Abhängigkeit des rauen Wettbewerbes soll zudem herausgearbeitet werden, wie sich die Personalpolitik als Teil der Unternehmensstrategie in den letzten Jahren verändert hat und wie sie sich in den nächsten Jahren weiter verändern wird. Dabei wird konkret auf die Personalpolitik gegenüber den Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern eingegangen.
Außerdem soll untersucht werden, ob es Unterschiede bei der Wahl der Unternehmensstrategie hinsichtlich des Personalmanagements, der Personalpolitik sowie der Unternehmenskultur zwischen den vier unterschiedlichen Bereichen der europäischen Luftfahrtbranche, also den Linienfluggesellschaften, Billigfluggesellschaften, Charterfluggesellschaften sowie Regionalfluggesellschaften gibt.
1.3. Methodisches Vorgehen
Der Masterarbeit liegt im Wesentlichen eine umfangreiche Literaturrecherche zugrunde, um die wichtigsten Theorien und Konzepte sowie Grundlagen der Luftfahrtindustrie umfassend darstellen zu können Des Weiteren stützt sich diese Masterarbeit vor allem auf Beiträge in der einschlägigen Fachliteratur sowie Artikel aus Fachzeitschriften, um einen konkreten und aktuellen Bezug zu den wichtigsten Aspekten der Luftfahrtindustrie herstellen zu können.
Des Weiteren wurde sich darauf fokussiert statistische Analysen aus gesammelten Daten auszuwerten und anschauliche Grafiken daraus zu erstellen, die die Informationen aus der Fachliteratur sowie Zusammenhänge verdeutlichen.
Um auch sehr aktuelle Trends mit in diese Masterarbeit aufzunehmen und die Literaturrecherche um weitere Blickwinkel zu ergänzen, wurden Expertinnen und Experten aus der Luftfahrtbranche interviewt. Um durch lange Gespräche einen tiefergehenden Einblick in das System des Luftverkehrs zu erhalten wurden von August bis Dezember des Jahres 2019 qualitative Befragungen durchgeführt. Ein Leitfaden hat die Themenbereiche des Gespräches zwar vorgegeben, jedoch konnten durch den relativ freien Gesprächsverlauf interessante Informationen gesammelt werden, da die Befragten, Aspekte, die ihnen selbst wichtig waren, ergänzen konnten. Insgesamt wurden vier Interviews durchgeführt. Zwei davon mit Vertretern und Vertreterinnen von Flugbegleitergewerkschaften in Deutschland und Österreich, sowie zwei Interviews mit Vorständen einer Fluggesellschaft. Abschließend wird aus den gewonnenen Erkenntnissen der Interviews und unter Bezugnahme der Fachliteratur die aktuelle Situation sowie die Perspektive der Angestellten im europäischen Luftverkehr herausgearbeitet.
1.4. Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Masterarbeit gliedert sich in insgesamt sieben Kapitel mit zahlreichen Unterkapiteln in denen einzelne Aspekte vertieft werden. Zunächst einmal wird die historische Entwicklung des Luftverkehrs beschrieben, dabei wird sich besonders auf die Faktoren der Liberalisierung fokussiert (vgl. Kapitel 2: Historische Entwicklung des Luftverkehrs). Um im späteren Verlauf der Masterarbeit die gestellten Forschungsfragen differenziert beantworten zu können, wird im nächsten Kapitel die gängige Gliederung des Luftverkehrsmarktes beschrieben. Statistische Daten geben einen aktuellen Eindruck von der Entwicklung der verschiedenen Segmente der europäischen Luftverkehrsbranche im zeitlichen Verlauf (vgl. Kapitel 3: Arten von Fluggesellschaften). Der zunehmende ökonomische Druck, den Fluggesellschaften in Europa derzeit erfahren, wird im vierten Kapitel erläutert und mit einer Beispielrechnung anschaulich ergänzt (vgl. Kapitel 4: Kosten und Erlöse einer Fluggesellschaft). Im weiteren Verlauf wird auf die grundlegenden Aspekte des Personalmanagements und Besonderheiten in der Luftfahrtbranche eingegangen (vgl. Kapitel 5: Aspekte des Personalmanagements). Im sechsten Kapitel werden die eingangs gestellten Forschungsfragen hinsichtlich der aktuellen Strategien der Fluggesellschaften im deregulierten europäischen Markt beschrieben sowie auf die aktuellen Veränderungen in der Personalpolitik eingegangen. Aussagen aus den durchgeführten Interviews vervollständigen die skizzierten Strategien und Auswirkungen (vgl. Kapitel 6: Allgemeine Strategien und Personalmanagement in der Luftfahrtbranche) Abschließend wird ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und Perspektiven der Angestellten gegeben (vgl. Kapitel 7: Zukünftige Entwicklungen in Europas Luftfahrtbranche).
2. Historische Entwicklung des Luftverkehrs
„Wenn du das fliegen einmal erlebt hast, wirst du für immer auf Erden wandeln, mit deinen Augen himmelwärts gerichtet. Denn dort bist du gewesen und dort wird es dich immer wieder hinziehen (vgl. Gibbs-Smith und Rees 1980, S. 42).“
Versuche des Menschen zu fliegen gab es immer wieder. Der Mensch wollte sich, den Vögeln gleich, vom Boden lösen und die Welt von oben entdecken. Einer der bekanntesten Universalgelehrten war Leonarda da Vinci, der sich mit vielen Disziplinen, unter anderem mit dem Fliegen, beschäftigte. Deshalb studierte er bereits im 16. Jahrhundert intensiv den Vogelflug und skizzierte erstaunlich genaue Profile eines Flügels (vgl. Abbildung 1: Flügelprofile von Leonardo da Vinci). Seine Arbeit kann als entscheidende Grundlagenforschung für spätere Tüftler und Versuche, wie etwa jene von Otto Lilienthal angesehen werden (Gibbs-Smith und Rees 1980, S. 20f.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Flügelprofile von Leonardo da Vinci (Quelle: Gibbs-Smith und Rees 1980, S. 20)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Montgolfiere in Paris im Jahr 1783 (Quelle: Wilhelm 2014)
Die Gebrüder Montgolfier waren die Ersten, denen es im Jahr 1783 gelang, mit einem Ballon aus Leintuch und Papier, der mit heißer Luft gefüllt war, in der Nähe von Paris in die Luft aufzusteigen (vgl. Abbildung 2: Montgolfiere in Paris im Jahr 1783). Diese Flüge erfolgten nach dem Prinzip „leichter als Luft“, konnten nicht gezielt gesteuert werden und hatten eine begrenzte Flugzeit, nämlich so lange, bis sich die heiße Luft wieder abgekühlt hatte und der Ballon zu Boden sank. Dennoch schafften sie es, eine ganze Nation für das Thema Luftfahrt zu begeistern und erbrachten den Nachweis, dass der Mensch einen Flug, auch in größeren Höhen, sicher überstehen kann. Ihre Experimente brachten sie bis in Höhen von etwa drei Kilometer (Freyer 2015, S. 223; Löw 1953, 19 ff.; Schmitt und Schwipps 1995, S. 9f.). Im Jahr 1807 konstruierte Jakob Degen, ein österreichischer Uhrmacher, Schwingen, die 14 sich mit Muskelkraft bewegen ließen und mit denen er unter zu Hilfenahme eines Wasserstoffballons flugfähig war. Über dem Wiener Prater gelang ihm der erste, wenige Minuten andauernde, gezielt gesteuerte Rundflug (Löw 1953, S. 24ff.). Dennoch war seine Erfindung kein Flugzeug. Um genug Auftrieb für den Flug zu erhalten war vor allem ein Ballon notwendig. Die Schwingen dienten lediglich zur Steuerung der Flugrichtung. Dennoch war er der Erste, der die beiden damaligen Möglichkeiten zu fliegen - „leichter als Luft“ und „schwerer als Luft“ - auf geschickte Weise miteinander verband.
Otto Lilienthal war schließlich der Erste, der es im Jahr 1891 hinbekam, mit einem Hängegleiter Flüge durchzuführen, die dem Prinzip „schwerer als Luft“ folgten und anders als Ballone keine heiße Luft oder Gase an Bord hatten, die bei allen vorherigen Flugversuchen als Auftriebshilfe eingesetzt wurden. Alleine durch die umströmende Luft erzeugten seine ausgefeilten Flügelprofile einen Auftrieb, der stark genug war, um einen Menschen in die Luft zu heben und wenige Augenblicke dort zu halten (Waßermann 1991, S. 9ff.).
Die Arbeit der soeben vorgestellten Pioniere, die sich schon früh mit dem Traum des Fliegens auseinandergesetzt hatten, war maßgeblich für die nun folgende rasante Entwicklung der Fliegerei. Denn sie alle haben wichtige Grundlagenforschungen betrieben, auf deren Erkenntnisse viele spätere Flugzeugkonstrukteure immer wieder zurückgreifen konnten.
2.1. Anfänge der motorisierten Luftfahrt
Die Gebrüder Wright schafften es im Jahr 1904, mit einem motorisierten Doppeldecker mehrere Minuten in der Luft zu bleiben und mit Hilfe von Quer-, Höhen- und Seitenrudern das Flugzeug gezielt zu manövrieren (Sproule 1992, S. 6f.). Dies gilt als der erste kontrollierte Motorflug, dessen Prinzipien bis heute beibehalten worden sind. Quer-, Höhen- und Seitenruder lassen sich immer noch ausnahmslos bei jedem Flugzeug finden. Die Möglichkeit, mit einem Flugzeug gezielt von einem Ausgangspunkt zu einem bestimmten Ziel zu fliegen, war also gegeben und der Beweis erbracht, dass kontrollierte Flüge sicher durchgeführt werden können. (Schmitt und Schwipps 1995, S. 116ff.)
Auf Grundlage dieser Erkenntnisse und Beweise folgten viele Firmen und Konstrukteure den bewährten Konstruktionstechniken der Gebrüder Wright, verbesserten und verfeinerten diese. Zivile Passagiere wurden noch nicht befördert, da die meisten Flugzeuge nicht mehr als einen Piloten tragen konnten. Dennoch wurden die neuesten Konstruktionen bei Flugshows einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt und Flugzeugrennen veranstaltet. Die höchsten Geschwindigkeiten, die Anfang des 20. Jahrhunderts dabei erreicht wurden, lagen in etwa bei 120 km/h (Hundertmark 1991, 31 ff.). Während des Ersten Weltkrieges wurden viele zuvor konstruierte Flugzeuge im Krieg als Waffe eingesetzt. Die Zuverlässigkeit der Flugzeuge war allerdings noch nicht besonders hoch, dennoch führte der tägliche Einsatz zur Erprobung neuer Ideen und Techniken, aus denen zahlreiche technische Verbesserungen abgeleitet worden sind. Der Krieg war ein maßgeblicher Innovationstreiber für die Verbesserung zahlreicher Systeme. Als erstes Flugzeug, das schließlich reif war für die zivile Luftfahrt, galt die Junkers F13, die im Jahr 1918, gleich nach dem Ersten Weltkrieg, auf den Markt kam. Sie konnte vier Passagiere in einer beheizten und beleuchteten Kabine transportieren und war das erste Flugzeug, welches Sicherheitsgurte hatte, um die Passagiere bei Start und Landung sowie bei Turbulenzen gegen Verletzungen zu schützen (Eiselin 2018b). Die Entwicklung hin zu einer professionellen, zivilen Verkehrsluftfahrt dauerte aber noch viele Jahrzehnte an und wird in den folgenden Kapiteln genauer beschrieben.
2.2. Die Entwicklung der zivilen Verkehrsluftfahrt ab dem Jahr 1918
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entwickelte sich die Luftfahrt rasch weiter. Viele Konstruktionen, die im Verlauf des Krieges getestet worden waren, wurden nun für den zivilen Luftverkehr genutzt und weiterentwickelt. In der Nachkriegszeit bildete sich eine große Nachfrage nach Verkehrsflügen, da die Flugzeuge inzwischen einigermaßen zuverlässig und sicher unterwegs waren. Einer der ersten zivilen Passagierflüge der Nachkriegszeit fand am 18. Dezember 1918 von Berlin nach Hamburg statt. Bereits am 1. März 1919 wurde ein regelmäßiger Linienverkehr auf dieser Strecke aufgenommen (Ott 1991, S. 61). Die erste internationale Luftverkehrsverbindung, die in Europa im Liniendienst bedient wurde, führte von Malmö über Kopenhagen, Hamburg und Amsterdam bis nach London. Der Erstflug fand am 15. September 1920 statt. Die Flüge waren je nach aktueller Wetterlage mehr oder weniger planmäßig unterwegs und wurden bei geringer Sichtweite oft nur mehrere Meter über dem Erdboden durchgeführt, um die Orientierung gewährleisten zu können. Die Kooperation mehrerer nationaler Fluglinien führte zur Gründung der International Air Traffic Association (IATA), die bis heute existiert (Ott 1991, S. 62). Die IATA regelte, welche Fluggesellschaft wann und wie oft eine bestimmte Strecke befliegen durfte und setzte die Ticketpreise sowie die Aufteilung der Erlöse im grenzüberschreitenden Verkehr fest (Siebert 1996, S. 142).
Waren die Flugzeuge anfangs nur für einen Piloten und maximal vier Passagiere konstruiert, wurden sehr schnell neuere, größere und komfortablere Flugzeuge entwickelt und den Fluggesellschaften von den Herstellern zur Verfügung gestellt. Vor allem die Junkers Flugzeugwerft hatte die Kompetenz, sichere und zuverlässige Flugzeuge zu entwickeln, die sich bei Fluggesellschaften wie auch bei Reisenden großer Beliebtheit erfreuten (Mader 1929). Des Weiteren wurden Bordinstrumente und Funkgeräte entwickelt und erprobt, um auch bei schlechtem Wetter und ohne direkte Sicht zum Boden fliegen zu können. Durch diese technischen Neuerungen stieg aber auch die Arbeitsbelastung des Piloten enorm an, so dass dieser bald um einen zweiten Piloten sowie teilweise einen Funker ergänzt wurde. Die neuen Verfahren trugen maßgeblich zu mehr Sicherheit, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit bei. Mit der Junkers G 31 konnten erstmals 16 Passagiere auf hohem technischem Niveau von zwei Piloten und einem Funker bei Tag und Nacht geflogen werden (Berson et al. 1929). Zusätzlich wurde oft noch ein Mechaniker mitgenommen, der die technische Instandhaltung während der Flüge und in den Transitzeiten am Boden gewährleisten sollte. Des Weiteren wurde von der Luft Hansa und der Österreichischen Luftverkehrs AG (ÖLAG) erstmals ein Steward eingesetzt, um die Reisenden, vor allem auf längeren Strecken, betreuen zu können. Der Beruf der heute zahlreichen Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter war somit im Jahr 1928 geboren (Ott 1991, S. 70). Anfang der 1930er Jahre wurde mit der zuverlässigen Junkers JU 52 der vorläufige Höhepunkt der zivilen Luftfahrt erreicht (vgl. Abbildung 3: Junkers JU 52 der Lufthansa in London Croydon im Jahr 1933). Alleine im deutschsprachigen Raum waren über 70 Exemplare im Einsatz (Ott 1991, S. 75ff.; Klußmann und Malik 2018).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Junkers JU 52 der Lufthansa in London Croydon im Jahr 1933 (Quelle: Deutsche Lufthansa AG 1933; Museum für Verkehr und Technik Berlin 1991, S. 74)
2.3. Die Entwicklung der zivilen Verkehrsluftfahrt ab dem Jahr 1945
Während des zweiten Weltkrieges kam der zivile Luftverkehr in Europa größtenteils zum Erliegen. Die meisten Fluggesellschaften mussten ihre Flotte dem Militär zur Verfügung stellen oder im Auftrag des Militärs Truppen- und Versorgungsflüge durchführen (Ott 1991, S. 77ff.). Noch während des Krieges wurde am 07.12.1944 auf der Konferenz von Chicago über den weltweiten Aufbau des zivilen Luftverkehrs diskutiert. Dazu hatte die amerikanische Regierung alle verbündeten und neutralen Staaten eingeladen. Aufgrund der Kriegserfahrungen bestanden die Luftverkehrsbehörden nahezu aller Länder darauf, den Luftraum über dem eigenen Staatsgebiet selbst kontrollieren zu können. Des Weiteren waren die Staaten somit im Besitz von Verkehrsrechten und konnten mit der Nutzung dieser einen wirtschaftlichen Nutzen für ihre Volkswirtschaften erzielen und politische Interessen gezielt steuern (ICAO - International Civil Aviation Organization 1944a, 1944b). Eine Einigung über die universelle Freizügigkeit bei der Nutzung der Lufträume, wie von den Vereinigten Staaten von Amerika gewünscht und angestrebt, konnte deshalb nicht erreicht werden. Dennoch einigte man sich aber auf die fünf Freiheiten der Luft, die nach und nach um weitere vier Freiheiten ergänzt worden sind (vgl. Tabelle 1: Die Freiheiten der Luft). Schließlich wurden eine grundsätzlich friedliche Zusammenarbeit sowie einheitliche Standards und Regelungen zur Durchführung des zivilen Luftverkehrs und zur Gewährleistung gleichwertiger Sicherheitsniveaus vereinbart (Rasch 2017). Auf der Konferenz wurde das Abkommen von Chicago verabschiedet und die Gründung der International Civil Aviation Organisation (ICAO) beschlossen. Diese hat ihren Sitz in Montreal und gilt als öffentlich-rechtliche Vertretung aller UN Mitgliedsstaaten die am zivilen Luftverkehr beteiligt sind. Sie ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Des Weiteren wurde auch die schon bestehende International Air Traffic Association (IATA) neu gegründet und in International Air Transport Association (IATA) umbenannt sowie mit weitreichenden regulatorischen und vermittelnden Kompetenzen ausgestattet (IATA - International Air Transport Association 2019). Um eng mit der neu geschaffenen ICAO zusammenarbeiten zu können, wurde der Sitz von Den Haag in den Niederlanden nach Montreal in Kanada verlegt.
Nach dem Krieg durften im deutschsprachigen Raum nur die Besatzungsmächte Flüge durchführen. Den Staaten Österreich und Deutschland blieb die Durchführung eigener Flüge vorerst untersagt. Anfänglich war sogar das Mitfliegen ziviler Personen verboten, diese Regelung wurde jedoch im Jahr 1948 bereits wieder abgeschafft (Hillebrand 1991, 129 f.). Nach der Wiedererlangung der Lufthoheit am 05. Mai 1955 entwickelte sich auch im deutschsprachigen Raum (Österreich und Deutschland) wieder eine nationale Zivilluftfahrt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Die Freiheiten der Luft (Quelle: ICAO - International Civil Aviation Organization 14.07.2019; Freyer 2015, S. 229; Rasch 2017)
Flugzeuge wie auch Personal wurden aber zunächst in Frankreich und den USA eingekauft, da nach dem Zweiten Weltkrieg die Produktion von Flugzeugen sowie die Ausbildung von fliegendem Personal von den Besatzungsmächten zunächst verboten worden war. Um den Personalmangel etwas entgegen zu setzen und rasch wieder einen eigenen Personalstamm zur Verfügung zu haben, begannen die Fluggesellschaften schnell damit, Flugschulen und Ausbildungszentren zu eröffnen. Der erste Flugbegleiterlehrgang des deutschsprachigen Raumes begann im Januar 1955 in der neu gegründeten Verkehrsfliegerschule in Hamburg (vgl. Abbildung 4: Absolventinnen und Absolventen des Ersten Flugbegleiterlehrgangs im Jahr 1955 in Hamburg). Die Reichweite des Streckennetzes war aber nach wie vor begrenzt, da den Fluglinien erst einmal nur Propellerflugzeuge zur Verfügung standen, die häufig zwischenlanden mussten. Eine Flugreise von Hamburg nach New York dauerte daher und bedingt durch geringe Flughöhen und vergleichsweise langsame Fluggeschwindigkeiten beinahe einen ganzen Tag (Hillebrand 1991, S. 130ff.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Absolventinnen und Absolventen des Ersten Flugbegleiterlehrgangs im Jahr 1955 in Hamburg (Quelle: Deutsche Lufthansa AG 1955)
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele Fluglinien von den Staaten selbst gegründet, sogenannte Flag-Carrier. Dies spiegelte sich auch zumeist in der Namensgebung wieder. Alitalia war und ist die nationale Fluglinie Italiens, Air France die Fluggesellschaft Frankreichs sowie Scandinavian Airlines System (SAS), die nationale Fluglinie der Staaten Dänemark, Norwegen und Schweden.
Das Streckennetz der Fluggesellschaften sowie die Ticketpreise und Tarife zur Fracht- und Postbeförderung waren streng von den jeweiligen nationalen Behörden reguliert. Damit einhergehend wurde dann, wenn es aus volkswirtschaftlichen oder politischen Gründen sinnvoll erschien, ein staatlich vorbestimmtes Streckennetz bedient und aufrechterhalten. Dabei wurden bewusst negative Betriebsergebnisse in Kauf genommen (Pompl et al. 2007, S. 8). Der Interessensverband IATA koordinierte die Tarife, Vertriebsregelungen sowie die Beförderungsbedingungen im internationalen Luftverkehr (Pompl et al. 2007, 9 f.). Die Tarife unterlagen zwar letztlich der Genehmigung der jeweiligen nationalen Luftfahrtbehörden, jedoch wurde diese Aufgabe fast immer supranational von der IATA wahrgenommen, die auf regelmäßig stattfindenden Tarifkonferenzen die Preise, Flugpläne und Verkehrsrechte unter den Ländern und Fluggesellschaften abstimmte (Siebert 1996, 141 ff.). Diese internationalen Regulierungen gaben den Fluggesellschaften einen gesicherten Handlungsrahmen und boten einen starken Schutz gegen unerwünschten Wettbewerb (Pompl et al. 2007, S. 10). Grundlage nahezu aller internationalen Flugverbindungen waren und sind auch heute noch eine Vielzahl bilateraler Verträge zwischen den jeweiligen Ländern (ICAO - International Civil Aviation Organization 14.07.2019).
2.4. Die Entwicklung der zivilen Verkehrsluftfahrt ab dem Jahr 1960
Mit der Boeing 707 wurde Anfang März 1960 das Zeitalter der Jets eingeläutet. Nordatlantikstrecken ließen sich nun bei jedem Wetter nonstop bewältigen. Eine Flugreise von Hamburg nach New York dauerte nur noch neun bis zehn Stunden statt einen ganzen Tag (Hillebrand 1991, S. 132ff.; Spaeth 2010).
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Abbildung 5: Anzahl der Fluggesellschaften in Europa im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2019 (Quelle: eigene Darstellung - Datengrundlage: Flottau und Plath 2012; Job 2019; Leichtfried 2019; Mendel 2019)
Zudem entwickelte sich in den 1960er Jahren der Tourismus stetig weiter. War anfangs das Auto oder die Bahn das Mittel der Wahl, um an die Feriendestinationen, vor allem im Mittelmeerraum zu gelangen, kam nun auch immer häufiger das Flugzeug in Frage, denn es hatte sich in den letzten Jahren als zuverlässiges und schnelles Transportmittel erwiesen. Die Charterflugepoche hatte somit auch in Europa begonnen (Schmude und Namberger 2015, S. 21ff.). Die Passagierzahlen stiegen durch die Verfügbarkeit von größeren und schnelleren Flugzeugen sprunghaft an, auch die Anzahl der Anbieter entwickelte sich rasant. Waren 1960 etwa 61 Fluggesellschaften in Europa aktiv, so waren es im Jahr 1980 mindestens schon 128 (vgl. Abbildung 5: Anzahl der Fluggesellschaften in Europa im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2018).
2.5. Liberalisierungstendenzen in der europäischen Luftfahrt in der 1980er Jahren
Im Jahr 1978 wurde mit dem Airline Deregulation Act eine entscheidende rechtliche Veränderung für den US-Binnenmarkt herbeigeführt. Die starre Kontrolle über Ticketpreise und Streckenangebote wurde aufgehoben und der freie Zugang zum Luftverkehrsmarkt ermöglicht, da die bisherige Struktur als ineffektiv und innovationshemmend empfunden wurde (Maurer 2006, S. 13ff.; Pompl et al. 2007, S. 397ff.). Als erfolgsversprechend galt dabei, dass es zu wettbewerbsorientierten Flugpreisen kommen werde und durch die Flexibilisierung der Preise unterschiedliche Zielgruppen besser bedient werden könnten. Des Weiteren würde die angebotene Anzahl der Flüge steigen und die Beförderungskategorien könnten differenzierter und angepasster ausfallen, wenn mehr Fluggesellschaften im direkten Wettbewerb zueinander stünden. Durch Optimierungen und Effizienzsteigerungen sollte es zu einem optimalen Einsatz der Flugzeuge und in Folge dessen zu einem dichten und für viele Kunden attraktiven Streckennetz kommen. Als Kritikpunkte der Liberalisierung gelten insbesondere, dass diese zunächst einmal zu einem ruinösen Preiswettbewerb führen könne, den viele Marktteilnehmer nicht überleben würden, ehe die erwarteten positiven Effekte zum Tragen kämen. Durch die Aufgabe von unrentablen Strecken zu kleinen Orten könnte die Konnektivität einzelner Regionen sinken. Des Weiteren werde die Steigerung der Produktivität zu Kosteneinsparungen führen und dies ginge zu Lasten der hohen Sicherheitsstandards sowie zu Lasten des angestellten Personals, welches Lohnkürzungen zu befürchten hätte. Insgesamt wurde die Liberalisierung aber als positiv bewertet und von der Politik in den USA im Jahr 1978 schlussendlich umgesetzt (Pompl et al. 2007, S. 396ff.).
Zehn Jahre nach der Liberalisierung ließen sich folgende Tendenzen feststellen: Durch die nun mögliche Preisdifferenzierung gab es eine hohe Bandbreite an Flugpreisen und ein ganz neues Tarifgefüge als vor dem Jahr 1978. Die Mehrheit der Passagiere profitierte von günstigeren Preisen. Allerdings stiegen die Preise auf den Monopolstrecken zum Teil deutlich an. Da auf den meisten Strecken aber eine Konkurrenzsituation vorherrschte, sanken die realen Flugpreise innerhalb von zehn Jahren durchschnittlich um etwa 15 - 25 %. Die Zahl der angebotenen Frequenzen und Routen vergrößerte sich enorm und es wurde ein gänzlich neues Routensystem entwickelt.
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Tabelle 2: Effekte der Liberalisierung (Quelle: verändert nach: Pompl et al. 2007, S. 398f.)
Die Vielzahl der Direktverbindungen wurden meist zugunsten eines zentralen Umsteigeflughafens aufgebeben. Dies ermöglichte eine hohe Konnektivität und dichte An- und Abflugswellen, aber auch eine Dominanz einzelner Airlines an ihren jeweiligen Primär- und Umsteigeflughäfen (Hub). Die befürchteten Verluste der Verbindungen zu kleinen Städten traten zunächst nicht ein, da sie in das Hubsystem der Fluggesellschaften integriert worden waren, weil man keine Kundschaft durch mangelnde Angebote in der Peripherie verlieren wollte. Die Anzahl der Beschäftigten hat nach dem Kauf neuer Flugzeuge und dem damit verbundenen hohen Bedarf an Arbeitskräften stark zugenommen, wobei sie durchschnittlich aber zu schlechteren Lohn- sowie Arbeitsbedingungen eingestellt worden sind. Insgesamt aber galt die Liberalisierung des US-Binnenmarktes als erfolgreich und der Luftverkehr stellte ein gut funktionierendes System dar (Maurer 2006, S. 13ff.; Pompl et al. 2007, S. 400ff.).
Aus diesem Grund versuchte Großbritannien ab dem Jahr 1984 durch eine Vielzahl bilateraler Vertrage eine Liberalisierungsbewegung in Europa einzuleiten (Pompl et al. 2007, S. 429). Die EG, als Vorläufer der heutigen EU, setzte wenig später ebenfalls erste Maßnahmen zur Liberalisierung des Luftverkehrs in Europa und berief sich dabei auf die Ziele, die im Jahr 1967 im Vertrag zur Gründung der europäischen Gemeinschaft festgelegt worden waren. Das Ziel war und ist es einen Raum ohne Binnengrenzen zu schaffen, mit dem Recht auf Freiheit des Personen-, Waren- und Kapitalverkehrs. Für die Liberalisierung des Luftverkehrs spielten insbesondere die Regelungen zum Verkehrssektor in den Artikeln 74-84 EWGV eine entscheidende Rolle (Amtsblatt der Europäischen Union 2006; Pompl et al. 2007, S. 418ff.). Der Luftverkehrsmarkt innerhalb der EU sollte nicht mehr von den einzelnen Mitgliedstaaten beschränkt werden können, die Zahl der Flugverbindungen sollte somit erhöht werden, da die Fluggesellschaften die Strecken nun frei wählen und befliegen konnten. Des Weiteren sollten die Durchschnittsticketpreise durch aufkommenden Wettbewerb sowie durch effiziente und flexible Nutzung der Flugzeugflotten sinken. Die Mitgliedsstaaten sollten die Luftverkehrspolitik nicht mehr ausschließlich an ihren eigenen nationalen Interessen ausrichten können, sondern übergeordnete europäische Ziele verfolgen und somit zur Integration und Harmonisierung innerhalb der EU beitragen (Pompl et al. 2007, S. 421ff.).
2.5.1. Erstes Liberalisierungspaket 1987
Mit dem vom Ministerrat verabschiedeten ersten Liberalisierungspaket im Jahr 1987 und den darin enthaltenen Verordnungen und Richtlinien war ein erster Schritt zur Angleichung an die USA und zu einem eigenen europäischen freien Binnenmarkt getroffen worden. Die Fluggesellschaften waren nun nicht mehr vollständig an die von der IATA verhandelten und vorgegebenen Flugpreise gebunden, sondern konnten Rabatte von etwa 35 %, in Ausnahmefällen sogar in Höhe von 55 %, unter dem Normaltarif gewähren. Die Tarife mussten nun nicht mehr aufwändig zwischen allen betroffenen Staaten abgestimmt werden, sondern galten automatisch als genehmigt, wenn nicht innerhalb von 30 Tagen ein Staat den veröffentlichten Tarifen widersprochen hatte. Im Nachbarschaftsverkehr zwischen zwei Staaten mussten die Strecken nicht mehr jeweils zur Hälfte von der nationalen Fluggesellschaft der beiden Staaten bedient werden, sondern es war eine Abkehr vom strikten 50/50 Kapazitätsverhältnis, bis hin zu einer 60/40 Regelung möglich. Des Weiteren war es möglich, dass ein Staat mehr als nur einer Fluggesellschaft Linienflugverbindungen und damit verbundene Rechte zuweisen konnte. Durch die Möglichkeit der Mehrfachdesignierung war der Markteintritt für neue Teilnehmer möglich geworden. Regionalfluggesellschaften, die mit kleinen Flugzeugen unter einer Sitzplatzkapazität von 70 Sitzen operierten wurden bei den Regelungen ausgenommen und hatten damit faktisch einen freien Marktzugang. Dies sollte die Anbindung peripherer Gebiete an Ballungszentren, auch grenzüberschreitend, ermöglichen. Die Fluggesellschaften durften nun auch vollumfänglich bei der Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen und Ersatzteilen sowie bei Rekrutierung und Ausbildung von Personal europaweit zusammenarbeiten. Ebenfalls durften Luftfahrzeuge gegenseitig zur Wartung oder zum Betrieb überlassen werden. Flugscheine durften nun auch im Namen und auf Rechnung anderer Fluggesellschaften verkauft werden, um den Kunden ein weites Flugnetz und zahlreiche Umsteigemöglichkeiten auf andere Airlines im Rahmen eines Interliningabkommens zu ermöglichen (Maurer 2006, S. 16; Pompl et al. 2007, S. 430ff.).
2.5.2. Zweites Liberalisierungspaket 1989
Kurze Zeit nach dem Bekenntnis der EG, den europäischen Binnenmarkt zu liberalisieren, wurden im Jahr 1989 bereits weitere Beschränkungen aufgehoben. Die Rabatte, die eine Fluggesellschaft nun auf die regulären Tarife einräumen durfte, lagen nun bis zu 70 % unter den Normaltarifen. Die Kapazität, die auf einer Strecke zwischen zwei Staaten angeboten werden durfte, wurde vom Verhältnis 60/40 auf bis zu 75/25 erweitert. Zudem wurden erstmals Flüge in fünfter Freiheit (vgl. Tabelle 1: Die Freiheiten der Luft) gewährt. Die Fluggesellschaften konnten somit ihre Liniendienste in ein weiteres, zweites Land der europäischen Union verlängern, so lange der Start- und Zielpunkt des Umlaufes im Heimatland der Fluglinie lag. Ebenfalls wurde erstmals das Kabotagerecht, die achte Freiheit (vgl. Tabelle 1: Die Freiheiten der Luft) eingeräumt, allerdings nur, wenn einer der beiden angeflogenen Flughäfen ein Regionalflughafen war. Dies sollte die Anbindung peripherer Räume an große Städte weiter vorantreiben und zur vollständigen Integration dieser Regionen in die europäische Gemeinschaft beitragen. Die Zahl der angebotenen Billigtarife hat sich zum Vorteil vieler Kundinnen und Kunden weiter erhöht (Maurer 2006, S. 16; Pompl et al. 2007, S. 433ff.).
2.5.3. Drittes Liberalisierungspaket 1993
Mit dem dritten Liberalisierungspaket wurden nahezu alle Beschränkungen hinsichtlich der Kapazitätsbeschränkungen und der Kapazitätsverhältnisse aufgehoben. Jede EU-Airline konnte nun jede Strecke innerhalb der EU fliegen, mit Ausnahme der vollen Kabotage, der neunten Freiheit (vgl. Tabelle 1: Die Freiheiten der Luft). Die Preise durften nun vollständig frei von den Fluggesellschaften bestimmt werden und waren innerhalb Europas keinerlei Beschränkungen mehr unterworfen. Allerdings haben sich die Mitgliedsstaaten das Recht vorbehalten, ruinöse Preise verbieten zu können. Jedes Unternehmen, dass über eine ausreichende finanzielle Grundlage verfügt, um einen Flugbetrieb aufrecht erhalten zu können, das einen bestimmten Unternehmenszweck hat, wie etwa die Beförderung von Passagieren, Luftfracht oder Luftpost, dessen Hauptniederlassung sich in einem Mitgliedsstaat der EU befindet und EU - Firmen oder EU - Bürger und Bürgerinnen die Mehrheitsbeteiligung an diesem Unternehmen besitzen, kann eine Betriebsgenehmigung erhalten. Der Antragsteller muss über ein Aircraft Operating Certificate (AOC) verfügen, das den fachkundigen sicheren Betrieb von Luftfahrzeugen und den damit verbundenen Aufgaben bescheinigt. Um periphere Gebiete oder Randgebiete weiterhin ausreichend an die Zentren der EU anbinden zu können, sind Ausgleichszahlungen durch den Staat erlaubt, da diese Destinationen sonst unter rein betriebswirtschaftlichen Aspekten von den meisten Fluggesellschaften nicht mehr angeflogen würden. Des Weiteren wurde vereinbart, dass im Falle von Überlastungen der Lufträume oder im Falle von Umweltproblemen der Verkehr eingeschränkt werden darf. (Pompl et al. 2007, S. 437ff.)
2.5.4. Volle Kabotage 1997
Erst seit dem Jahr 1997 war es allen europäischen Fluggesellschaften erlaubt, ihre Dienste auch innerhalb eines anderen Mitgliedsstaates zu erbringen (Maurer 2006, S. 16). Wie auch schon in den Jahren zuvor stieg die Anzahl der Fluggesellschaften durch die Möglichkeit des nun völlig freien Markteintrittes weiter an (vgl. Abbildung 5: Anzahl der Fluggesellschaften in Europa im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2018). Die Möglichkeit, in anderen europäischen Staaten Inlandsdienste zu erbringen, veranlasste viele Fluggesellschaften dazu, ihr Streckenportfolio zu erweitern. So gründete die irische Fluggesellschaft Ryanair bereits im Jahr 1999 eine Basis auf dem deutschen Flughafen Frankfurt- Hahn im Hunsrück, um von dort neue Strecken, auch innerdeutsche, aufzunehmen. Die britische Airline Easyjet bietet seit Anfang der 2000er Jahre sehr erfolgreich inneritalienische Strecken an. Beispielsweise von Mailand nach Neapel. (Pompl et al. 2007, S. 58ff.)
2.6. Die Entwicklung der zivilen Verkehrsluftfahrt nach der vollständigen Liberalisierung 1997
Die IATA erfuhr einen deutlichen Bedeutungsverlust, da für den europäischen Markt keine regelmäßigen Tarifkonferenzen zur Absprache grenzüberschreitender Angebote und Flugpreise mehr notwendig waren. Sie widmete sich daher zunehmend neuen Aufgaben, wie etwa der Förderung des sicheren und planmäßigen Luftverkehrs, der Vereinfachung und Harmonisierung des Flugbetriebes für Airlines sowie der Standardisierung des Produktes und des Reiseerlebnisses für Passagiere. So vertritt die IATA beispielsweise Fluggesellschaften gegenüber der Politik, um die Interessen der Luftverkehrswirtschaft gebündelter durchsetzen zu können, da nicht jeder kleine Flugbetrieb die Möglichkeiten dazu hätte. Um trotz der vollständigen Liberalisierung eine enge und effiziente Zusammenarbeit zu ermöglichen, entwickelte die IATA Interlining- und Codesharerichtlinien, die es ermöglichen, Passagiere und Gepäck gegenseitig mitzunehmen oder Tickets im Namen einer anderen Fluggesellschaft zu verkaufen. Die Abrechnung wickelte dabei die IATA ab. Obwohl sie keine rechtlichöffentliche Institution ist, wie etwa die ICAO, haben sich ihr doch die bedeutendsten Airlines angeschlossen, um die Zusammenarbeit zu vereinfachen, von aktuellen Marktanalysen und Produktentwicklungen zu profitieren sowie eine starke gemeinsame Interessensvertretung zu haben.
Etwa 94 % der erbrachten Flugleistung weltweit entfällt auf Fluggesellschaften, die in der IATA organisiert sind. (Conrady et al. 2019, S. 274ff.; Pompl et al. 2007, S. 24) Durch den vollständigen Wegfall jeglicher Beschränkung entwickelten sich viele Low-Cost-Airlines nach der Liberalisierung des europäischen Luftverkehrsmarktes besonders gut weiter. Oft wurde von der Demokratisierung des Fliegens gesprochen, da durch die neuen Geschäftsmodelle die Flugtickets deutlich günstiger angeboten werden konnten und somit auch Destinationen und Routen profitabel machten, die zuvor gar nicht oder nur selten an das internationale Streckennetz angeschlossen waren. Zudem war das Fliegen nahezu für alle erschwinglich geworden (Spaeth 2015). In dieser Phase wurden viele neue Fluggesellschaften gegründet, die für eine gute Konnektivität innerhalb Europas sorgten. Der Höchststand wurde im Jahr 2004 mit 311 aktiven Fluggesellschaften in Europa erreicht (vgl. Abbildung 5: Anzahl der Fluggesellschaften in Europa im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2018).
Die Differenzierung des Angebotes erfolgte mit zunehmenden Wettbewerb nicht mehr alleine über den Preis, sondern auch über Servicemerkmale oder die „Erfindung“ neuer Methoden, wie das Überbuchen von Flügen, um möglichst jeden Platz zu füllen oder die Generierung von Zusatzerlösen durch kostenpflichtige Services. Oft waren die Kunden und Kundinnen die Leidtragenden der neuen Möglichkeiten, weshalb sie durch umfangreiche Verordnungen, wie etwa der Verordnung EG Nr. 261/2004 seitens der EU geschützt wurden. So können Reisende bei Nichtbeförderung oder Überbuchung eine Entschädigungszahlung erhalten (Pompl et al. 2007, S. 443f.).
Bei der Vereinheitlichung der Marktzugangskriterien fand jedoch keine einheitliche Regelung der Arbeitsbedingungen, sowie der tarifrechtlichen und arbeitsrechtlichen Standards statt. Der Druck, trotz sinkender Ticketpreise, profitabel zu fliegen wurde in Kauf genommen. Arbeitsbedingungen und Entlohnungsniveaus gerieten stark unter Druck und sanken kontinuierlich ab. In den letzten Jahren wurden die Arbeitszeiten immer weiter ausgeweitet. Viele Flugbegleiter und Flugbegleiterinnen fliegen nahe am maximalen Limit der gesetzlichen Grenzwerte (Moll 23.11.2019). Das Vergütungsniveau wurde im Laufe der Zeit bei jeder neuen Tarifverhandlung immer weiter abgesenkt. Zudem wurden die Anstellungsverhältnisse durch Teilzeitverträge sowie Saisonanstellungen stark flexibilisiert. Negative Auswirkungen auf die Sicherheit werden dabei bewusst in Kauf genommen. Kritische Vorfälle, die durch Übermüdung sowie Druck seitens des Arbeitgebers zustande kommen, haben in den letzten Jahren zugenommen. Ebenso werden immer neue Sparmaßnahmen gegenüber den Kunden erdacht, um die Ertragssituation zu verbessern (Wilke et al. 2016b, S. 28ff.). Die schwache Erlössituation führte auch dazu, dass immer mehr Anbieter bereits den Luftverkehrsmarkt verlassen mussten, weshalb sich die Anzahl der Fluggesellschaften ab dem Jahr 2004 kontinuierlich verringerte und im Jahr 2019 bei nur mehr 177 lag. Die verringerte Anzahl der Fluggesellschaften darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer mehr Flugverkehr im Luftraum der EU abgewickelt wird und die Anzahl der Passagiere kontinuierlich angestiegen ist. Dies bedeutet, dass sich der Markt konsolidiert hat und sich die Flotten und die Produktivität der verbleibenden Airlines vergrößert haben. So ist etwa die Flotte einer der größten Billigfluggesellschaften Europas von zwei Flugzeugen im Jahr 1995 auf über 335 im Jahr 2019 angestiegen (Barker 2019). Insgesamt gehen viele Expertinnen und Experten davon aus, dass die Konsolidierung in Europa aber noch lange nicht abgeschlossen ist und es auch in den nächsten Jahren weiterhin zu zahlreichen Pleiten, vor allem aber Übernahmen kommen wird (Neuper und Haase 2019, S. 4f.).
3. Arten von Fluggesellschaften
Fluggesellschaften wurden aufgrund ihrer angebotenen Routen und ihrer Unternehmensstruktur von Beginn an in vier Kategorien eingeteilt (vgl. Tabelle 3: Unterscheidungsformen der Fluggesellschaften). Durch die Liberalisierung wurde dieses starre Muster der angebotenen Routen und der fest definierten Marktteilnehmer jedoch nachhaltig verändert. Nicht jede Airline und alle ihre beflogenen Strecken kann ganz klar in eine dieser Kategorien eingeordnet werden, denn durch zunehmende Überschneidungen und Angleichungen der Geschäftsmodelle nähern sich Billigfluglinien bezüglich des angebotenen Services den Netzwerkfluglinien an. Ebenso nähern sich klassische Linienfluggesellschaften zum Teil den Billigfluggesellschaften an, in dem sie bestimmte Leistungen, wie etwa eine Sitzplatzreservierung oder die Aufgabe von Gepäck, nur gegen Zahlung einer Zusatzgebühr ermöglichen (Brützel 2018). Regionalfluggesellschaften bedienen gelegentlich auch Destinationen mit mehreren Flugstunden Entfernung, da immer modernere Flugzeuge dies technisch möglich machen.
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Tabelle 3: Unterscheidungsformen der Fluggesellschaften (Quelle: verändert nach: Freyer 2015, S. 218)
Dennoch lassen sich nach wie vor im Wesentlichen diese vier Arten von Fluggesellschaften unterscheiden. Linien-, Charter-, Regional-sowie Billigfluggesellschaften (Freyer 2015, S. 218; Rybicki 2019). Die Abgrenzung der einzelnen Arten an Fluggesellschaften voneinander sowie deren Entwicklung im zeitlichen Verlauf wird in den nachfolgenden Kapiteln erläutert.
3.1. Linienfluggesellschaften
Linienfluggesellschaften auch Netzwerkfluggesellschaften oder Network-Carrier genannt machen den Großteil der Fluggesellschaften in Europa aus. Im Jahr 2019 gab es in Europa etwa 78 Fluggesellschaften, die sich dieser Kategorie zuordnen ließen (vgl. Abbildung 7: Anzahl der Linienfluggesellschaften in Europa im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2019; Häufung der Gründungen und Insolvenzen). Viele der großen Linienfluggesellschaften sind aufgrund nationaler Interessen gegründet worden. Oft lässt der Name der Fluggesellschaft sogar direkte Rückschlüsse auf das Herkunftsland zu. Wie etwa Air France aus Frankreich oder Alitalia aus Italien.
Wichtige Aspekte zur Charakterisierung von Linienfluggesellschaften sind des Weiteren, dass die Flüge gewerbsmäßig durchgeführt werden und die Tarife der Öffentlichkeit überall und jederzeit zugänglich sind. Die angebotenen Verbindungen werden in einem Flugplan veröffentlicht und müssen, auch bei schlechter Auslastung einzelner Flüge, eingehalten werden. Die gesetzlich verankerte Betriebspflicht und die Beförderungspflicht regeln im Detail die Mindestanzahl der zu erbringenden Flüge. Defizitäre oder auslastungsschwache Routen dürfen vom Staat oder einzelnen Städten subventioniert werden, um den Anschluss an das weltweite Luftverkehrsnetz nicht zu verlieren (Freyer 2015, S. 215f.; Maurer 2006, S. 31ff.; Pompl et al. 2007, S. 31ff.). Oft betrifft das innerstaatliche Routen zu peripheren Räumen, da diese Regionen häufig eine schlechte Konnektivität in zentrale Räume aufweisen. Derzeit werden in Europa 179 Strecken von der öffentlichen Hand gefördert (Brivio und Perier 2017, S. 3f.). Erst im weiteren zeitlichen Verlauf und im Zuge des Liberalisierungsverfahrens, haben sich weitere kleine Linienfluggesellschaften zu den großen staatlichen Fluggesellschaften dazugesellt, die sich aber zumeist auf ein Streckenportfolio in einem Nischenmarkt, wie etwa den ethnischen Verkehr, also die Beförderung von Arbeitsmigrantinnen und - migranten in ihre Heimatregionen, fokussiert haben und keinen zentralen Umsteigeflughafen betreiben (Arens 2012).
Linienfluggesellschaften bieten aufeinander abgestimmte Anschlussflüge über ihre zentralen Drehkreuze, sogenannte Hubs, an. Ziel ist es, auch mit Hilfe von Partnerfluggesellschaften, eine möglichst enge Verknüpfung von zahlreichen Destinationen über einen zentralen Flughafen anzubieten. Die Reisezeit für den einzelnen Passagier soll dabei so gering wie möglich gehalten und die Umsteigemöglichkeiten maximiert werden. Aus diesem Grund sind die An- und Abflüge in sogenannten Wellen oder Knoten organisiert (vgl. Abbildung 6: An- und Abflugbewegungen an einem Hubflughafen; Flüge der Lufthansa in München im November 2019). In der Regel werden im Zielgebiet Primärflughäfen angeflogen, die nahe an einer Stadt liegen.
Da viele Linienfluggesellschaften im nationalen Interesse gegründet und von den Staaten massiv unterstütz wurden, um politisch gewünschte Verbindungen zu unterhalten, können sie meist auf einen international bekannten Markennamen mit langer Tradition aufbauen. Zudem sind sie global auf mehreren Kontinenten aktiv. In der Regel haben sie gerade in ihren Heimatmärkten einen hohen Marktanteil, der häufig 50 % oder mehr ausmacht (Kazooba 2019b). Durch die häufig angebotenen Frequenzen und die Beachtung unterschiedlicher Kundenbedürfnisse positionieren sich Linienfluggesellschaften tendenziell im oberen Preissegment mit einem starken Fokus auf Geschäftsreisenden.
Um allen Anspruchsgruppen gerecht zu werden, wird das Angebot meist in eine First-, Business- und Economyclass segmentiert. Immer öfter kommt auch noch eine Premium Economyclass hinzu. Damit die unterschiedlichen Strecken optimal bedient werden können, haben Netzwerkairlines oft einen Flottenmix aus verschiedenen kleinen und großen Flugzeugtypen mit unterschiedlicher Kapazität, um für jede Route ein möglichst passendes Flugzeug verfügbar zu haben.
Tickets für Netzwerkfluggesellschaften lassen sich über verschiedene Vertriebskanäle beziehen. Zum einen sind die Tickets in Globalen Distributionssystemen (GDS) zu finden, auf die Reisebüros oder auch Firmenkunden direkt zugreifen können. Aber auch telefonisch über Hotlines oder online auf den Webseiten der jeweiligen Fluggesellschaft lassen sich Tickets erwerben. In manchen Weltregionen oder Ballungszentren gibt es lokale Agenturen, die exklusiv im Auftrag der Fluggesellschaft betrieben werden und deren Flugscheine verkaufen. Sowohl das Serviceniveau als auch die Hilfsdienstleistungen vor Abflug, später an Bord sowie bei der begleitenden Bodenabfertigung sind auf einem hohen Niveau. Es werden diverse Serviceleistungen vor und nach einem Flug angeboten. Viele Linienfluggesellschaften befördern neben Passagieren auch Luftfracht oder Luftpost. (Freyer 2015, S. 215f.; Maurer 2006, S. 31ff.; Pompl et al. 2007, S. 31ff.)
Die Komplexität, verschiedenste Kundenwünsche zu erfüllen, als auch unterschiedliche Flugzeugtypen zu betreiben, um sowohl regionale, als auch kontinentale und interkontinentale Routen befliegen zu können, verursacht eine hohe Fixkostenbasis. Herausforderungen für Netzwerkfluggesellschaften werden immer mehr die zunehmende Preissensibilität vieler Kundinnen und Kunden, die gerne selbst entscheiden möchten, welche Dienstleistung oder Hilfestellung sie in Anspruch nehmen wollen und welche nicht, da sie nur die notwendigen Ticketkomponenten bezahlen wollen. Um dem entgegenzuwirken haben viele Linienfluggesellschaften neue Kooperationsformen entwickelt, etwa Codeshares oder Allianzen, um im globalen Wettbewerb, gemeinsam mit anderen Linienfluggesellschaften gegen Low-Cost-Carrier bestehen zu können und möglichst viele Konkurrenten aus lukrativen Märkten herauszuhalten. Die IATA ist dabei ein wichtiges Austauschgremium geworden, die die enge Zusammenarbeit zwischen den Fluggesellschaften unterstützt und eine möglichst reibungslose Abfertigung für die Passagiere sicherstellt. Die rechtliche und wirtschaftliche Eigenständigkeit der Fluggesellschaften bleibt bei diesen Kooperationen jedoch bestehen.
Des Weiteren haben viele Airlines Bonussysteme, wie beispielsweise Miles & More entwickelt, um die Gäste enger an die Fluggesellschaft zu binden, auch wenn es auf manchen Strecken Konkurrenten mit attraktiven Angeboten geben sollte. Zunehmende Point-to-Point Verbindungen der Low-Cost-Carrier erschweren den Netzwerkfluggesellschaften auf vielen Strecken den Betrieb über einen Hub, da Passagiere eine direkte, umsteigefreie Verbindung bevorzugen. All diese Faktoren haben dazu geführt, dass die Anzahl der Fluggesellschaften insgesamt zurückgeht aber vor allem die Anzahl der Linienfluggesellschaften seit dem Jahr 2004 stark geschrumpft ist, da der komplexe Betrieb mit hohem Serviceniveau nicht mehr aufrechterhalten werden konnte und von preissensiblen Nachfragern auch nicht gewünscht wird. Die unten abgebildete Grafik veranschaulicht gut, dass viele Linienfluggesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden und sich nach der Liberalisierung viele weitere Marktteilnehmer dazu gesellten. Nach dem Jahr 1990 wurden in Europa durchschnittlich sieben bis elf Linienfluggesellschaften pro Jahr neu gegründet. Im Jahr 2004 allerdings erreichte die Anzahl mit 142 zugelassenen Linienfluggesellschaften ihren Höhepunkt. Anschließend begann eine, bis heute andauernde Phase der Konsolidierung. Viele Airlines verschwanden vom Markt, im Jahr 2008 wurden in Europa gleich 18 Linienfluggesellschaften insolvent (vgl. Abbildung 7: Anzahl der Linienfluggesellschaften in Europa im zeitlichen Verlauf 1945 - 2019; Häufung der Gründungen und Insolvenzen).
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Abbildung 7: Anzahl der Linienfluggesellschaften in Europa im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2019; Häufung der Gründungen und Insolvenzen (Quelle: eigene Darstellung - Datengrundlage: Flottau und Plath 2012; Job 2019; Leichtfried 2019; Mendel 2019)
3.2. Charterfluggesellschaften
Das Angebot der Charterfluggesellschaften oder auch Ferienfluggesellschaften beziehungsweise Bedarfsfluggesellschaften richtet sich stark nach den Anforderungen der Urlauber und Touristen. Die Flugkapazitäten werden oft über Reiseveranstalter verkauft, die wiederum ihren Kunden und Kundinnen Pauschalreisepakete mit An- und Abreise, Hotelunterbringung, Verpflegung und Ausflügen verkaufen. Der Verkauf der Flugscheine in Kombination mit weiteren Bestandteilen einer Reise, war lange Zeit eine gesetzlich bindende Regelung, um einen Flug überhaupt als Charterflug durchführen zu können und eine Zulassung als Fluggesellschaft, neben den klassischen Linienfluggesellschaften, zu erhalten. Charterfluggesellschaften durften nicht dieselben Routen, wie Linienfluggesellschaften bedienen und wurden nicht vom Staat unterstützt. Allerdings wurde den Betreibern keine Betriebspflicht auferlegt, weshalb Flüge auch spontan wieder abgesagt werden und flexibel auf Nachfrageschwankungen reagiert werden konnte (Pompl et al. 2007, S. 35ff.). Da keine regelmäßigen Verbindungen nach einem veröffentlichten Flugplan angeboten wurden, war es für Charterfluggesellschaften leichter, die notwendigen Überflugsgenehmigungen zu erhalten, da die Staaten meist keine Gefährdung ihrer jeweiligen nationalen Netzwerkfluggesellschaften sahen. In den Jahren von 1965 bis 1975 gründeten sich eine hohe Anzahl an Charterfluggesellschaften, um die starren Richtlinien der nationalen Luftfahrtbehörden teilweise umgehen zu können (vgl. Abbildung 8: Anzahl der Charterfluggesellschaften in Europa im zeitlichen Verlauf 1945 - 2019; Häufung der Gründungen und Insolvenzen).
Durch die Liberalisierung sind diese Regelungen und Praktiken innerhalb Europas jedoch hinfällig geworden, da jede Fluggesellschaft nun jede Route bedienen darf. Es ist nicht mehr notwendig eine komplette Pauschalreise eines Reiseveranstalters anzubieten, um ein Flugticket verkaufen zu dürfen. Von daher werden restliche Tickets zunehmend auch im Einzelplatzverkauf und online vertrieben, um möglichst wenige Sitzplätze leer zu lassen. Der Sitzladefaktor ist bei Ferienfluggesellschaften meist sehr hoch, da sie nach wie vor nur als Fluggesellschaft im Gelegenheitsverkehr operieren und somit schlecht ausgelastete Flüge, trotz vorheriger Ankündigung, nicht durchführen müssen oder mit anderen Flügen zusammenlegen können. Das Streckennetz ergibt sich aus den am stärksten nachgefragten Urlaubsdestinationen und den Anforderungen der Reiseveranstalter. In der Regel werden dann zu festgelegten Wochentagen die Hin- und Rückflüge durchgeführt, so dass die Passagiere beispielsweise im Wochenrhythmus von oder zu ihren Destinationen gelangen können. Nachdem manche Destinationen aber mehrmals täglich angeflogen werden, fliegen manche Charterfluggesellschaften nahezu im Linienbetrieb dorthin. Vor allem interkontinentale Strecken werden im Linienbetrieb und den damit verbundenen Rechten und Pflichten beflogen, da eine Bedienung im Gelegenheitsverkehr, laut bilateralen Verträgen, nicht zulässig ist. Diese Flüge müssen dann auch bei schlechter Auslastung, bedient werden.
Um die Kapazitätsauslastung zu steigern und die Planbarkeit zu vereinfachen, betreiben diese Fluggesellschaften meist nur ein Flugzeugmuster. Größere Touristikfluggesellschaften betreiben meist ein Flugzeugmuster für den Kontinentalverkehr und ein weiteres für den Interkontinentalverkehr. In der Regel wird nur eine Economyklasse ohne umfangreichen Service an Bord angeboten. Die Kommunikation vor und nach der Reise läuft zumeist über den Reiseveranstalter und nicht mit der durchführenden Fluggesellschaft selbst. Neben den größeren Touristikfluggesellschaften, wie Condor oder Tuifly, hinter denen ein bedeutsamer Reisekonzern steht, gibt es noch zahlreiche kleine Fluggesellschaften, mit einer sehr kleinen Flotte, die ihre Kapazitäten an andere Fluggesellschaften vermieten, um bei Ausfällen von Flugzeugen bei langen Wartungsereignissen, zur spontanen Frequenzerhöhung oder zur Aufrechterhaltung des Flugplanes beitragen können.
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Abbildung 8: Anzahl der Charterfluggesellschaften im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2019; Häufung der Gründungen und Insolvenzen (Quelle: eigene Darstellung - Datengrundlage: Flottau und Plath 2012; Job 2019; Leichtfried 2019; Mendel 2019)
Bei großen Charterfluggesellschaften handelt es sich aber oft nicht mehr nur um die Durchführung gelegentlicher Flüge, die auf Anforderung geflogen werden, sondern vielmehr um eine Angleichung des Angebots an das des Linienflugverkehrs. Viele Strecken werden inzwischen regelmäßig und in hoher Frequenz bedient. (Freyer 2015, S. 215f.; Maurer 2006, S. 31ff.; Pompl et al. 2007, S. 31ff.)
Mit der allgemeinen Zunahme des Flugverkehrs, vor allem im Zuge der Liberalisierung, gab es zahlreiche Neugründungen von Fluggesellschaften. Die maximale Anzahl betrug 57 Ferien- und Charterfluggesellschaften im Jahr 2007 in Europa. Gleich ein Jahr später, im Jahr 2008, begann mit der Insolvenz von 10 Fluggesellschaften die Konsolidierung auch in dieser Sparte des Luftverkehrs. Da viele Ferienfluggesellschaften von einem Reiseveranstalter oder Touristikkonzern betrieben wurden und dadurch viele Vorausbuchungen und Deckungsbeiträge vorlagen, begann die Zunahme der Insolvenzen später, als bei den Linienfluggesellschaften. Die zahlreichen Fluggesellschaften und deren unterschiedliche Geschäftsmodelle erschweren es sehr, eine allgemeingültige Definition und eine klare Abgrenzung für Charterflüge zu finden. Das wichtigste Kriterium ist nach wie vor, dass Charterfluggesellschaften keiner Betriebspflicht unterliegen. Routen werden also nur dann bedient, wenn echter Bedarf besteht, das heißt genügend Sitzplätze verkauft worden sind.
Aktuelle Herausforderungen liegen darin, dass sich das Geschäftsmodell nicht klar abgrenzen lässt und sehr stark vom Tourismus abhängig ist. Krisenregionen und politische Instabilität, wie etwa in Ägypten oder die Türkei, nach Ausbruch des arabischen Frühlings, bekommen die Ferienfluggesellschaften unmittelbar zu spüren. Des Weiteren nehmen immer mehr Low-Cost-Airlines auch touristische Destinationen in ihr Flugprogramm auf und setzen die Touristikfluggesellschaften zunehmend unter Wettbewerbsdruck. (Freyer 2015, S. 216ff.; Maurer 2006, S. 35ff.; Pompl et al. 2007, S. 35ff.)
3.3. Regionalfluggesellschaften
Unter Regionalluftverkehr wird der Verkehr verstanden, der zwischen kleineren Sekundärflughäfen abgewickelt wird oder als Zubringer zu den großen Hubs der Netzwerkairlines dient. Die Fluggesellschaften operieren dabei mit kleinen Flugzeugen, die meist zwischen 80 und 120 Sitzplätze aufweisen. Oft wird in Nischenmärkten geflogen, die vor allem für Geschäftsreisende attraktive Direktverbindungen zwischen kleineren Städten darstellen und mit kleinen Flugzeugen auch wirtschaftlich bedient werden können. Bedingt durch kurze Streckenlängen, kleine Flugzeugmuster und einen personalintensiven Betreib, sind die Stückkosten vergleichsweise hoch und die angebotenen Linienverbindungen dem hochpreisigen Segment zuzuschreiben, welches vor allem von Geschäftsreisenden genutzt wird.
Um die Integration Europas voranzutreiben, wurden schon vor der Liberalisierung Fluggesellschaften gefördert, die periphere Räume erschlossen und mit großen Zentren verbunden haben. Auch war die Nachfrage nach schnellen Verbindungen zwischen kleineren Städten vor allem bei Geschäftsreisenden hoch, weshalb sich die Anzahl der kleinen Regionalfluggesellschaften stetig vergrößerte. Die größten Konkurrenten der Regionalfluggesellschaften waren und sind auch immer noch die Bahn und Fernbusunternehmen, die immer dichtere Netze und schnellere Verbindungen zwischen Städten, auch grenzüberschreitend, spannen (Porwoll 2007, S. 27ff.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Anzahl der Regionalfluggesellschaften im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2019; Häufung der Gründungen und Insolvenzen (Quelle: eigene Darstellung - Datengrundlage: Flottau und Plath 2012; Job 2019; Leichtfried 2019; Mendel 2019)
Ein zunehmendes Umweltbewusstsein sowie praktischere Alternativen haben den Regionalflugverkehr auf vielen Routen überflüssig werden lassen. Inzwischen gibt es kaum noch Regionalfluggesellschaften, die eigenständig fliegen. Die maximale Anzahl lag im Jahr 2004 bei 91 Regionalairlines, anschließend hat die Häufigkeit der Insolvenzen stark zugenommen und die Anzahl der noch aktiven Regionalfluggesellschaften hat sich bis zum Jahr 2019 mehr als halbiert. Momentan gibt es noch 44 Regionalfluggesellschaften in Europa (vgl. Abbildung 9: Anzahl der Regionalfluggesellschaften in Europa im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2019; Häufung der Gründungen und Insolvenzen). Die meisten fliegen im Auftrag einer Netzwerkfluggesellschaft, sogenannte Feederflüge zu den Hubs. Lufthansa City Line fliegt beispielsweise ausschließlich Zubringer für Lufthansa zu den Flughäfen Frankfurt und München. Air Nostrum fliegt ausschließlich Zubringerflüge für Iberia nach Madrid. Die eigenständigen Regionalfluggesellschaften, die noch unabhängig fliegen haben kleine Nischenmärkte gefunden, in denen sie erfolgreich bestehen können. Beispielsweise die Anbindung Grönlands an Island oder die Verknüpfung zahlreicher Küstenstädte Norwegens mit der Hauptstadt Oslo. (Conrady et al. 2019, S. 231ff.; Freyer 2015, S. 218ff.; Maurer 2006, S. 40ff.)
3.4. Billigfluggesellschaften
Inzwischen haben sich auch im europäischen Markt zahlreiche Billigfluggesellschaften, auch Low-Cost- Airlines genannt, etabliert (vgl. Abbildung 11: Anzahl der Billigfluggesellschaften in Europa im zeitlichen Verlauf von 1945 - 2019; Häufung der Gründungen und Insolvenzen). Möglich geworden ist dies vor allem durch die Liberalisierung in den 1990er Jahren, da nun neue Wettbewerber ungehinderten Zugang zum Luftverkehrsmarkt hatten und innereuropäisch jede beliebige Route bedienen durften (Baumbach 2017). Das Hauptmerkmal von Billigfluggesellschaften ist, dass sie ausschließlich mit einer einheitlichen Flotte operieren, um Schulungskosten für das Personal einzusparen und den Wartungsaufwand zu minimieren. Beispielsweise betreibt Ryanair ausschließlich das Muster Boeing 737-800 und Easyjet nur Flugzeuge der Airbus A320 Familie (Barker 2019; Bonderman 2019). Dadurch kann die gesamte Flotte äußerst effizient und flexibel eingesetzt werden.
Es wird auf nahezu alle Extras verzichtet. Die Buchung erfolgt online, über Hotlines, bei Reisebüros oder Reiseveranstaltern lässt sich hingegen kein Billigflug buchen. Tickets werden ausschließlich online als elektronisches Ticket ausgestellt und per Mail versandt. Billigfluggesellschaften fokussieren sich zunächst auf die reine Transportleistung und versuchen anschließend durch Zusatzgebühren den Verkaufspreis der Tickets zu erhöhen.
Die Gepäckaufgabe, das Ausdrucken von Tickets und Bordkarten, Speisen und Getränke oder Zeitungen an Bord sind nur gegen Gebühren zu erwerben. Bei nahezu allen Fluggesellschaften im Billigflugsegment gibt es nur eine Economy Klasse mit einer sehr dichten Bestuhlung. Interlining- und Codesharevereinbarungen mit anderen Fluggesellschaften und Umsteigeverbindungen existieren nicht, um die Komplexität im Streckennetz gering zu halten. Es gibt keine ausgebildeten Netzwerke mit Zu- und Abbringerflügen. Fluggäste können nur Oneway-Tickets erwerben, die zumeist nicht umbuchbar oder flexibel nutzbar sind. Bei etwaigen Umsteigeverbindungen, muss der Fluggast zwei separate Tickets erwerben und ist am Transferflughafen für die Beförderung des Gepäcks vom einen zum anderen Flug sowie für das rechtzeitige Erscheinen selbst verantwortlich.
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- Arbeit zitieren
- Maximilian Moll (Autor:in), 2020, Veränderungen bei der Personalpolitik in der Luftfahrtbranche Europas im Zuge voranschreitender Deregulierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/906741
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