Fragt man nach der Rolle des Schriftstellers,1 so stellt sich auch die Frage nach seiner Bedeutung in der Gesellschaft. Durch die Veröffentlichungen seiner Schriften ist automatisch ein öffentlicher Diskurs an ihn und seine Veröffentlichungen gebunden. Publizierte Essays, Aufsätze, Erzählungen oder Reden machen den Schriftsteller zwangsläufig zu einer öffentlichen Person und zu einer intervenierenden Instanz. Doch stellt sich dann die bereits von Günter Grass gestellte Frage, ob sich ein Schriftsteller politisch aktiv engagieren soll, und wenn ja, wie weit er dabei gehen kann? Welche Funktion würde er dann einnehmen und welchen Einfluß kann er auf die politische Realität ausüben? „Ist der Schriftsteller das Gewissen der Nation?“2 Dies sind Fragen, deren Antwort ich im Laufe der Arbeit zu erlangen versuche. Im Mittelpunkt dieser Arbeit soll Günter Grass' Erzählung Das Treffen in Telgte stehen. Dabei werde ich zunächst eine historische und systematische Perspektivierung der Erzählung durchführen und die intertextuellen Bezüge zur Gruppe 47 herausarbeiten. Im dritten Teil der Arbeit werde ich die oben genannten Fragestellungen anhand der Erzählung analysieren und herausarbeiten, welches Dichterverständnis die Poeten in Das Treffen in Telgte haben, und wie sich dieses verändert. Außerdem werde ich das Verhältnis von politischer Ohnmacht und Macht bei Schriftstellern allgemein erörtern. Anschließend werde ich die Frage aufgreifen, warum Günter Grass gerade die Epoche des Barocks wählte, um die Geschichte um das Poetentreffen zu erzählen. Des Weiteren werde ich das barocke Dichterselbstverständnis auf seine Aktualität hin überprüfen. Da Grass in Das Treffen in Telgte über Schriftsteller schreibt, schreibt er zwangsläufig auch über sich selbst. Deswegen erscheint es sinnvoll, die rhetorischen Strategien zu untersuchen, die der Autor hierfür verwendet. Im 4. Kapitel der Arbeit werde ich auf Grass' Princeton-Rede aus dem Jahre1966 eingehen, die wichtigsten Position kurz untersuchen und auf den Telgte-Text hin überprüfen. Als theoretische Grundlage für diese Arbeit dient der Text „Grabmal des Intellektuellen“ von Jean-Francois Lyotard, das Essay „Ein Intellektueller ist jemand, der etwas gelesen hat“ von Dirk Baecker sowie der Aufsatz „Engagierte Literatur? Zur Poetik des Klartexts“ von Nikolaus Wegmann. Im Schlusswort werde ich zur Analyse Stellung beziehen und die wichtigsten Punkte der Arbeits nochmals aufgreifen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Gruppe (16)47 – Zur Intertextualität in Das Treffen in Telgte
3. Das Selbstverständnis der Barockdichter – zwischen Macht und Ohnmacht
3.1 Der Barock als Zeitalter der Ohnmacht
4. Vom mangelnden Selbstvertrauen der schreibenden Hofnarren unter Berücksichtigung nicht vorhandener Höfe
5. Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundarliteratur
1. Einleitung
Fragt man nach der Rolle des Schriftstellers,1 so stellt sich auch die Frage nach seiner Bedeutung in der Gesellschaft. Durch die Veröffentlichungen seiner Schriften ist automatisch ein öffentlicher Diskurs an ihn und seine Veröffentlichungen gebunden. Publizierte Essays, Aufsätze, Erzählungen oder Reden machen den Schriftsteller zwangsläufig zu einer öffentlichen Person und zu einer intervenierenden Instanz. Doch stellt sich dann die bereits von Günter Grass gestellte Frage, ob sich ein Schriftsteller politisch aktiv engagieren soll, und wenn ja, wie weit er dabei gehen kann? Welche Funktion würde er dann einnehmen und welchen Einfluß kann er auf die politische Realität ausüben? „Ist der Schriftsteller das Gewissen der Nation?“2 Dies sind Fragen, deren Antwort ich im Laufe der Arbeit zu erlangen versuche. Im Mittelpunkt dieser Arbeit soll Günter Grass' Erzählung Das Treffen in Telgte stehen. Dabei werde ich zunächst eine historische und systematische Perspektivierung der Erzählung durchführen und die intertextuellen Bezüge zur Gruppe 47 herausarbeiten. Im dritten Teil der Arbeit werde ich die oben genannten Fragestellungen anhand der Erzählung analysieren und herausarbeiten, welches Dichterverständnis die Poeten in Das Treffen in Telgte haben, und wie sich dieses verändert. Außerdem werde ich das Verhältnis von politischer Ohnmacht und Macht bei Schriftstellern allgemein erörtern. Anschließend werde ich die Frage aufgreifen, warum Günter Grass gerade die Epoche des Barocks wählte, um die Geschichte um das Poetentreffen zu erzählen. Des Weiteren werde ich das barocke Dichterselbstverständnis auf seine Aktualität hin überprüfen. Da Grass in Das Treffen in Telgte über Schriftsteller schreibt, schreibt er zwangsläufig auch über sich selbst. Deswegen erscheint es sinnvoll, die rhetorischen Strategien zu untersuchen, die der Autor hierfür verwendet. Im 4. Kapitel der Arbeit werde ich auf Grass' Princeton-Rede aus dem Jahre1966 eingehen, die wichtigsten Position kurz untersuchen und auf den Telgte-Text hin überprüfen. Als theoretische Grundlage für diese Arbeit dient der Text „Grabmal des Intellektuellen“ von Jean-Francois Lyotard, das Essay „Ein Intellektueller ist jemand, der etwas gelesen hat“ von Dirk Baecker sowie der Aufsatz „Engagierte Literatur? Zur Poetik des Klartexts“ von Nikolaus Wegmann. Im Schlusswort werde ich zur Analyse Stellung beziehen und die wichtigsten Punkte der Arbeits nochmals aufgreifen.
2. Die Gruppe (16)47 – Zur Intertextualität in Das Treffen in Telgte
Als äußerer Anlass für die Erzählung Das Treffen in Telgte gilt der 70. Geburtstag von Hans Werner Richter im Jahre 1978, der im Jahr 1947 verschiedene Schriftsteller, darunter auch namhafte wie Günter Grass, Heinrich Böll, Hans Magnus Enzensberger oder Siegfried Lenz, in ein Privathaus zusammen rief. Die Zielsetzung dieses Schriftstellertreffens sollte zum einen das Herausgeben der Literaturzeitschrift Der Ruf, zum anderen, und später auch als wichtigstes Anliegen der Gruppe 47 definiert, die Förderung junger deutschsprachiger Autoren sein. Dadurch, dass man sich gegenseitig unveröffentlichte Manuskripte vorlas,3 diese kritisierte und untereinander diskutierte, erhielt das Treffen eine Art Werkstattcharakter, in dem man unbefangen und weniger theoretisch über die Arbeiten der Autoren debattieren konnte. Obwohl auch außenstehende Kritiker, wie z.B. Marcel Reich-Ranicki, Walter Jens oder Hans Mayer, regelmäßig zu den Treffen eingeladen wurden und der Öffentlichkeit, durch die Anwesenheit ihrer Vertreter, ein Einblick in den Schriftstellerkreis gewährt wurde, sollte das Schriftstellertreffen in erster Linie dem kollegialen Austausch dienen, also ein Forum für die Schriftsteller selbst sein. 20 Jahre nach der Gründung der Gruppe 47 fand im Jahre 1967 das letzte Treffen statt, bevor die Auflösung der Gruppe 1977 offiziell ausgesprochen wurde. Gründe dafür waren interne Meinungsverschiedenheiten, so Günter Grass in einem Interview in der Nürnberger Lehrzeitschrift,4 die durch politische Ereignisse, wie die Große Koalition zwischen CDU und SPD und der Vietnamkrieg, sowie durch die Studentenbewegung verursacht wurden. Der Konsens der Opposition zur bestehenden Politik, der noch während der Adenauer-Ära unter den 47ern vorherrschte, wurde vor allem durch die aktive Revolte der jungen Studenten zerschlagen. Unter den Mitgliedern wurden Stimmen laut, die der Gruppe 47 Stagnation vorwarfen. Insbesondere der radikale Vorwurf der "Beschreibungsimpotenz", der vom damals jungen Peter Handke während einer 47er Tagung in Princeton im Jahre 1966 geäußert wurde, sorgte für Aufruhr. Zusätzlich sorgte das Einmischen der institutionellen Kritiker während der Sitzungen dafür, dass sich die Schriftsteller selbst kaum noch äußerten und, die für die Gruppe 47 typisch gewordene Spontaneität der Diskussionen, nicht mehr möglich war.
Der äußere Rahmen ist in Anbetracht dieser Arbeit nicht nur auf Grund einer historischen Einordnung der zu analysierenden Lektüre von Bedeutung, sondern auch weil dieser unmittelbar in die Erzählung miteinfließt. Günter Grass verlagert die Situation der Nachkriegsliteratur um die Gründung der Gruppe 47 in die Endphase des Dreißigjährigen an den Ort Telgte5 bei Münster. Das Treffen in Telgte ist im Jahr 1647 angesiedelt, also genau 300 Jahre vor der Gründung der Gruppe 47. Diese Zeitspanne ist mehr als nur ein auf den ersten Blick erscheinendes zufälliges Zahlenspiel, sie ist der Ausdruck einer Spannung zwischen mehreren Zeitperioden, wie es der Beginn des Paratextes der Erzählung andeute, in dem es heißt: "Gestern wird sein, was morgen gewesen ist. Unsere Geschichten von heute müssen sich nicht jetzt zugetragen haben. Diese fing vor mehr als dreihundert Jahren an. Andere Geschichten auch."6 Ähnlich wie in Christa Wolfs Erzählung Kein Ort. Nirgends, in der eine historische Erzählung als Projektionsfläche für eine gegenwärtige Position verwendet wird, zeigt sich im einleitenden Text eine solche Zeitspiegelung. Jedoch erscheint der Begriff der "Projektion" für Grass' Erzählung eher unpassend, da es sich dabei nicht um eine klare Abbildung handelt, die die Verlagerung der Gegenwart in eine vergangene Situation intendiert, sondern, durch die offensichtlichen Parallelen zur Gegenwart, im Zeichen einer historisch vereinheitlichenden Tradition steht, die der Geschichte in Telgte einen universellen Charakter verleiht. Die Erzählung ist eine Geschichte der sich wiederholenden Geschichte, die jedoch, anders als bei einer Projektion, nicht austauschbar ist, sondern eine Allgemeingültigkeit besitzt.
In Das Treffen in Telgte, welches trotz seiner non-fiktionalen Figuren so niemals stattgefunden hat, werden Themen und Motive der Gruppe 47 aufgegriffen. So ist es zum einen die Debatte zum Thema Kollektiv-Schuld7 und die damit verbundene Frage, inwieweit der Schriftsteller an den Verbrechen des Dritten Reiches Mitschuld trägt. Ein weiterer Punkt, der in der Erzählung aufgegriffen wird und der auch innerhalb der Gruppe 47 einein Gesprächsgegenstand darstellte, ist die durch den Krieg korrumpierte Sprache und die Vereinheitlichung dieser zu einer Hauptsprache. Nicht nur auf der inhaltlichen, auch auf der figuralen Ebene scheinen intertextuale Bezüge zwischen der Erzählung und
der Gruppe 47 erkennbar zu sein. Geradezu naheliegend scheint die Gleichsetzung zwischen Hans Werner Richter und der Figur Simon Dach.
[...]
1 Aus Platz- und Lesbarkeitsgründen werde ich in dieser Arbeit auf die weibliche Form des Begriffes verzichten, der jedoch immer inbegriffen ist.
2 Grass, Günter: Essays und Reden I. 1955-1969. Hrsg. Von Daniela Hermes. (Werkausgabe. Hrsg. von Volker Neuhaus und Daniela Hermes. Bd. 14) Göttingen: Steidl, 1997. S. 172.
3 Die Frage, die zu Beginn von Das Treffen in Telgte gestellt wird, "ob es gelingen könne, die Theorie kleinzuhalten." (Grass, Günter: Das Treffen in Telgte. Gütersloh: Bertelsmann-Club 1981, S. 20.), zielt womöglich auf diese Arbeitsmethode innerhalb der Gruppe 47 ab.
4 Müller-Hanpft, Susanne: ...ein aufregender Prozeß , der durch nichts ersetzt werden kann. Interview mit Günter Grass (geführt am 12. August 1987). In: Nürnberger Lehrzeitschrift. Sonderheft Nr. 1. 1992, S. 21-24.
5 Der Ort Telgte ist deswegen so besonders, weil er während der Westfälischen Friedensverhandlungen zwischen Münster und Osnabrück, auf dem so genannten Friedensweg lag.
6 Grass, Günter: Das Treffen in Telgte. Gütersloh: Bertelsmann-Club 1981 S. 7.
7 Eine vorallem von Thomas Mann öffentlich formulierte Frage, gegen die sich Walter von Molo im August 1945 in einem offenen Brief an Mann aussprach.
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