Vielmehr interessiert hier ein Teilaspekt des Vorgangs [der Konfessionalisierung]: Die Frage nach dem Wovon und dem Woher dieses Prozesses, seinen gesellschaftlichen Triebkräften und Bremsschuhen, oder präziser: Die Rolle des damaligen, sich gerade erst herausbildenden Staates in diesem Vorgang. Dass er zum Ende der Konfessionalisierungsepoche deutliche Züge des Absolutismus ausgeprägt oder sich sogar zu einem „typisch“ absolutistischen Staat entwickelt hatte, bestreitet in der gängigen Forschung kaum jemand ernsthaft. Wodurch diese jedoch zustande kamen, ob es sich um eine allmähliche Machthäufung in den Händen der Obrigkeit handelte, welche von dieser bewusst vorangetrieben wurde, oder ob der frühmoderne Staat quasi von selbst, als Ergebnis einer „blinden“ gesellschaftlichen Dynamik „von unten“, entstand, daran scheiden sich die Geister. Ohne durch weitere Feldforschungen oder Quellenexegese etwas wirklich Neues zu der Debatte beitragen zu können, will sich diese Arbeit nun dem Versuch widmen, erstens anhand des existierenden Materials einen Überblick über den Stand der Diskussion zu geben, zweitens dieses kritisch zu betrachten und drittens wenn nötig den gangbarsten Weg zwischen den Stühlen – in diesem Fall: den beiden Hauptargumentationsrichtungen der „etatistischen“ und der „selbstregulativen“ Schule - zu suchen, ohne zwanghaft nach einer falschen Versöhnung zu streben. Dabei wird sich zeigen, dass die Wahl des jeweiligen Forschungsgegenstandes mitunter einen gewichtigen Einfluss auf die Kernhypothesen und Schlussfolgerungen der entsprechenden Forschungsrichtung hat, ein nicht unerheblicher Aspekt angesichts der Absolutheit, mit der trotz der beträchtlichen konfessionellen Fragmentierung für das eigene Paradigma häufig eingetreten wird.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Die „etatistische“ Schule
II.1 Grundlagen
II.2 Die Selbstherausbildung des frühmodernen Staates
III. Die „selbstregulative“ Schule
III.1 „Selbstzurichtung“ statt „Staatsüberschätzung“
III.2 Grenzen der „Selbstregulierung“
IV. Basisdivergenzen
V. Auswege
Verwendete Literatur
I. Einleitung
Der Prozess der so genannten „Konfessionalisierung“ ist ein Gegenstand, der sich erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit des Interesses der Forschung erfreuen kann, stand er – und mit ihm fast die gesamte zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts seit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 – doch all zu lange im Schatten der „großhistorischen“ Ereignisse in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, allen voran der Reformationsbewegungen selbst, welche den in der Konfessionalisierung zum Ausdruck kommenden gesellschaftlichen Wandel zwar initiierten, deren unmittelbare Tiefenwirkungen aber nicht annähernd so gravierend waren. Bestes Beispiel hierfür sind die auch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch recht zahlreichen gemischt- oder bikonfessionellen Territorien und Gegenden im Reich, die sich mit fortschreitender konfessioneller Festigung immer weiter ausdünnten. Dieser Vorgang selbst soll aber nicht Gegenstand dieser Arbeit sein: zum einen würde er mit all seinen Implikationen, die es zu berücksichtigen gälte, und seiner Vielschichtigkeit den Rahmen dieser Arbeit sicherlich sprengen, zum anderen ist er bereits Gegenstand einer bestimmt nicht erschöpfenden, aber zur Gewinnung eines Überblicks sicherlich ausreichenden Anzahl von Forschungsarbeiten gewesen.[1]
Vielmehr interessiert hier ein Teilaspekt des Vorgangs: Die Frage nach dem Wovon und dem Woher dieses Prozesses, seinen gesellschaftlichen Triebkräften und Bremsschuhen, oder präziser: Die Rolle des damaligen, sich gerade erst herausbildenden Staates in diesem Vorgang. Dass er am Ende der Konfessionalisierungsepoche deutliche Züge des Absolutismus ausgeprägt oder sich sogar zu einem „typisch“ absolutistischen[2] Staat entwickelt hatte, bestreitet in der gängigen Forschung kaum jemand ernsthaft. Wodurch diese jedoch zustande kamen, ob es sich um eine allmähliche Machthäufung in den Händen der Obrigkeit handelte, welche von dieser bewusst vorangetrieben wurde, oder ob der frühmoderne Staat quasi von selbst, als Ergebnis einer „blinden“ gesellschaftlichen Dynamik „von unten“, entstand, daran scheiden sich die Geister. Ohne durch weitere Feldforschungen oder Quellenexegese etwas wirklich Neues zu der Debatte beitragen zu können, will sich diese Arbeit nun dem Versuch widmen, erstens anhand des existierenden Materials einen Überblick über den Stand der Diskussion zu geben, zweitens dieses kritisch zu betrachten und drittens wenn nötig den gangbarsten Weg zwischen den Stühlen – in diesem Fall: den beiden Hauptargumentationsrichtungen der „etatistischen“ und der „selbstregulativen“ Schule[3] - zu suchen, ohne zwanghaft nach einer falschen Versöhnung zu streben. Dabei wird sich zeigen, dass die Wahl des jeweiligen Forschungsgegenstandes mitunter einen gewichtigen Einfluss auf die Haupthypothesen und Schlussfolgerungen der entsprechenden Forschungsrichtung hat, ein nicht unerheblicher Aspekt angesichts der Absolutheit, mit der trotz der beträchtlichen konfessionellen Fragmentierung für das eigene Paradigma häufig eingetreten wird. Dies speist sich zu guten Teilen aus dem immer noch schlechten Bestand an Forschungsarbeiten, die die entsprechenden Entwicklungen in den einzelnen Territorien behandeln – mangels gründlich erforschter Gegenbeispiele wird dann, eigentlich gut strukturalistisch, aus einigen Fragmenten heraus gern Geltung für das Ganze beansprucht. Das damit Nichtidentische fällt so allerdings unter den Tisch. - Doch sollen diese Erwägungen nicht länger aufhalten:
II. Die „etatistische“ Schule
Staat, Kirche und Gesellschaft I: Sozialdisziplinierung als „Wille zur Macht“
II.1 Grundlagen
Unter diesem Begriff lässt sich der Grossteil der Forschungsarbeiten fassen, die seit Beginn der achtziger Jahre zum Thema veröffentlicht worden sind. Die Bezeichnung selber wird meist nicht besonders schmeichelhaft verwendet, jedoch taugt sie zum Distinktionsgewinn gegenüber anders ausgerichteten Arbeiten und wird daher hier frei von ihrem pejorativen Beigeschmack gebraucht. Ihre Fruchtbarkeit verdankt sie dem Aufgreifen des bereits älteren Begriffs der „Sozialdisziplinierung“ und seiner modernisierungstheoretisch motivierten Übertragung auf den bis dahin verhältnismäßig unterbelichteten Konfessionalisierungsprozess. „Sozialdisziplinierung“ ist ein Begriff, den Gerhard OESTREICH in der Forschung etablierte und den er als Erklärungsmodell für die Entstehung des absolutistisch regierten, bereits institutionell strukturierten Staates aus und in Abgrenzung zu dem mittelalterlich organisierten Staatsgebilde entwickelte.[4] Sozialdisziplinierung bei OESTREICH bedeutet die allmähliche Transformation der Gesellschaft durch Disziplinierung der Bevölkerung nach den Vorstellungen des Staates. Dieser Prozess ist explizit staatlich gewollt und durchgesetzt und diffundiert nach der Indoktrination der für den Staatsapparat am besten erreichbaren Schicht – der Machteliten – nach und nach in die subalternen Bevölkerungsschichten hinein. Die Disziplinierung der Eliten weitet sich also im Verlauf des 18. Jahrhunderts zu einer gesamtgesellschaftlichen Disziplinierung mit Fundamentalcharakter aus,[5] er benennt damit ungefähr dasselbe, was bei ELIAS als „Prozess der Zivilisation“ auftaucht, aber mit stärkerer Betonung des Staates. OESTREICH definiert Sozialdisziplinierung in deutlicher Abgrenzung zum (kirchlichen) Konfessionalisierungsvorgang.[6] Diese These hat in der neueren Forschungsliteratur eine Erweiterung erfahren: Angesichts des Horizonts des alteuropäischen Politikverständnisses, welches die Kirche explizit als einen zentralen Faktor einschloss, erschien es sinnvoll, kirchenpolitische Vorgänge als gesellschaftlich und politisch höchst wirkungsvoll einzustufen.[7] Staatsbildung wird, ebenso wie „Sozialdisziplinierung“, etwa bei REINHARD,[8] sogar schlicht zu einem Teilaspekt des „Konfessionalisierungsparadigmas“ (SCHILLING), welches „Sozialdisziplinierung“ vielfach als Leitbegriff für die Epoche abgelöst hat.
II.2 Die Selbstherausbildung des frühmodernen Staates
„[Wie] die Konfessionalisierung zum Katalysator des gesellschaftlichen Wandels, wurde die Monopolisierung der Kirche und des religiösen Lebens durch den Konfessionsstaat zum Schlüsselmonopol innerhalb der frühmodernen Staatsbildung.“[9]
Die in den verschiedenen Konfessionen beschlossenen Reformen zur Stärkung der konfessionellen Identität – d.h. die Schlussakte des Konzils von Trient und die confessio augusta[10] - beinhalteten als Konsequenz der forcierten Abgrenzungsbemühungen einen jeweilig recht rigide definierten Kanon christlichen Tugendhandelns, welcher sich hauptsächlich in verstärkter disziplinierender Reglementierung des Alltagslebens der Bevölkerung äußerte. Diese wiederum gestaltete sich in den einzelnen Konfessionen und Gebieten mitunter recht unterschiedlich, was wie erwähnt der Hauptanlass für den erwähnten Richtungsstreit in der Forschung sein dürfte. Einer der Hauptpfeiler der „etatistischen“ Argumentation besteht in der (in Bezug auf die Disziplinierung) offensichtlichen Übereinstimmung der staatlichen und kirchlichen Absichten: Bei den Lutheranern und den Deutschreformierten war die Kirche ohnehin nahezu identisch mit dem Staat[11], bei den Katholiken machte die Unfähigkeit der Kirche, die Reformen des Trienter Konzils alleine durchzusetzen, eine Annäherung an die weltliche Gewalt nötig.[12] So im Hochstift Würzburg, wo bereits ab Mitte des 16. Jahrhunderts eigentlich kirchliche Erlässe wie das Fluchverbot über Polizeiverordnungen, weltliche Institutionen also, durchgesetzt wurden[13] und der Fürstbischof Echter die Einhaltung von Messen- und Fastenzeiten als „seines Amts und Obrigkeit“ erachtete:[14] In beiden Fällen bestand die erwähnte Deckungsgleichheit der Interessen darin, dass erstens der Staat der Kirche zuerst Schutz und später „machtpolitische Offensive“ gewährte,[15] zweitens disziplinierende Maßnahmen nicht nur aus konfessionellen Gründen für die Kirche, sondern aus regierungstechnischen Gründen auch für den Staat interessant erschienen, der Staat sich also die Kirchenzucht für den eigenen Erziehungsanspruch dienstbar machte,[16] und drittens durch die Nähe der staatlichen Macht zur Kirche Widerstand gegen kirchliche Erlässe auch den weltlichen Souverän direkt oder indirekt herausfordern musste und umgekehrt: Der Schutz und die Erhaltung des einen lag im Interesse des anderen.
[...]
[1] Es sei hier auf eine umfassende Auflistung von Material verzichtet, zumal dieses im Verlauf der Arbeit gutenteils sowieso verwendet werden und verschiedentlich auftauchen wird.
[2] Zur möglichen Problematik dieses Begriffes vgl. etwa ASCH, Ronald (Hg.): Der Absolutismus - ein Mythos? : Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550 - 1700). Köln 1996.
[3] Diese Bezeichnungen wurden vom Autor trotz ihrer zu unzulässigen Verkürzungen einladenden Implikationen gewählt, sie sollen lediglich (wertungsfrei) helfen, verschiedene Strömungen in der Forschung besser zu kategorisieren.
[4] OESTREICH, Gerhard: Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S.179 – 197.
[5] Ebd., bes. S. 189, S. 193f.
[6] ebd., S. 189f.
[7] SCHILLING, Heinz: Die „Zweite Reformation“ als Kategorie der Geschichtswissenschaft, in: ders. (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – das Problem der „Zweiten Reformation“, Gütersloh 1986, S. 387 – 438, S. 390.
[8] Programmatisch dazu: REINHARD, Wolfgang: Zwang zur Konfessionalisierung? Prologomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: ZHF 10 / 1983, S. 257 – 277.
[9] SCHILLING, Heinz: Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: HZ 246 / 1988, S. 1 – 45, S. 13.
[10] Die calvinistischen / deutschreformierten Lehren seien hier als gewissermaßen bereits „konfessionalisierte“ Weiterentwicklungen der lutherischen Reformationslehren aufzufassen; zur Diskussion um den Begriff der „Zweite[n] Reformation“ vgl. divergente Beiträge, etwa von Wilhelm NEUSER, in SCHILLING (Hg.) 1986, S. 379 – 386.
[11] Auf die Calvinisten, die wichtigsten Ausnahmen, die hier gemacht werden müssen, wird später zurückzukommen sein.
[12] SCHMIDT demonstriert dies anhand der mäßig erfolgreichen Bemühungen der katholischen Kirche, die Reform aus eigener Kraft durchzusetzen: SCHMIDT, Heinrich Richard: Die Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert, München 1992, S. 77.
[13] WILLOWEIT, Dietmar: Katholische Reform und Disziplinierung als Element der Staats- und Gesellschaftsorganisation, in: PRODI, Paolo (Hg.): Glaube und Eid. Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit, München 1993, S. 113 – 132, S. 118f.
[14] ebd., S. 123.
[15] SCHILLING 1988, S. 35.
[16] KLUETING, Harm: Das konfessionelle Zeitalter 1525 – 1648, Stuttgart 1989, S. 145 – 159; auch: HSIA, Ronnie Po-Chia: Social Discipline in the reformation in Central Europe 1550 – 1750, London 1989, S. 177.
- Citation du texte
- Patrick Hesse (Auteur), 2004, Staat und Konfessionalisierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90428
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