Der Interaktionismus versteht „Lernbehinderung“ nicht als eine individuelle Störung des Menschen. Der Begriff „Lernbehinderung“ wird nach interaktionistischem Denken eher als Ergebnis eines Prozesses gesehen, der von einer gesellschaftlichen Norm differiert. Bei der Entwicklung von Etikettierungen können sozial-psychologisch erforschte Einseitigkeiten bei der Beobachtung des Anderen bei dem Zuschreibungsprozess mit hineinspielen.
Lernschwierigkeiten und Leistungsversagen können nicht nur als ein individuelles Persönlichkeitsmerkmal begriffen werden; sie sind vor allem Ursache eines charakteristischen Gesellschafts-, Schul- und Interaktionssystems. Es gibt keine „Lernbehinderung“ an sich. Sie ist keine universelle Größe, sondern eine schulorganisatorische, interaktionistische Bestimmungsvariable. Lehren und Lernen hängen über den Prozess der Interaktion voneinander ab. „Lernbehinderung“ kann man somit nicht im/in der Schüler/in selbst suchen, sondern nur in der Lehrer-Schüler-Beziehung. Der/die „lernbehinderte“ Schüler/in hat sein/ihr Gegenüber im „lernbehinderten“ Lehrer. Bezogen auf eine wechselseitige Interaktion ist „Lernbehinderung“ das Resultat eines Wechselspiels inmitten schulischer Organisations-, Kommunikations- und Inhaltsstrukturen einerseits und den möglichen Reaktionen des Lernenden andererseits. Inter-aktionen sind zirkuläre Entwicklungsvorgänge, in der jedes Verhalten sowohl der Beweggrund als auch dessen Auswirkung sein kann.
Auf diese Weise kehrt man von einer einseitig, personalistischen Sicht ab und wendet sich einer mehrdimensionalen Betrachtungsweise zu.
Inhaltsverzeichnis
1. Erziehungswissenschaftlicher Bezug
1.1 Etikettierungsansatz
1.2 Sozialer Interaktionismus - eine Kurzzusammenfassung
1.3 Definition des „labeling approach“
2. Geschichtlicher Hintergrund
3. Grundbegriffe
3.1 Symbol
3.2 Interaktion
3.3 Kommunikation
3.4 Situation
3.5 Identität
3.6 Rolle
3.7 Stigma
4. Kernaussagen
4.1 Sozialisation bei Mead
4.1.1 Kindliches Spiel
4.1.2 „Me“, „I“ und “Self”
4.2 Sozialisation bei Habermas
4.3 Rollenkompetenzen und Interaktion
5. Kritik und Chancen des symbolischen Interaktionismus
5.1 Kritik am symbolischen Interaktionismus
5.2 Chancen des symbolischen Interaktionismus
6. Bezug zur Lernbehinderung
Literaturverzeichnis
1. Erziehungswissenschaftlicher Bezug
1.1 Etikettierungsansatz
Der sozialwissenschaftliche Ansatz stellt die Verläufe der sozialen Interaktion in den Mittelpunkt. In der Sonderpädagogik haben hier vor allem die Ansichten des divergenten Verhaltens das Interesse geweckt. Das Auftreten behinderter Menschen ist in einer bestimmten Art und Weise stets eine von der sozialen Norm abweichende Handlungsweise (vgl. Schröder 2000, 152 f.). Eine wichtige Errungenschaft, um das Misslingen von sozial randständigen SchülerInnen in der Schule zu erläutern, ist im sogenannten Etikettierungsansatz, dem „labeling approach“, zu sehen (vgl. Werning/Lütje-Klose 2003, 55). Der Ansatzpunkt dafür ist der soziale Interaktionismus, den ich in dieser Arbeit in seinen Grundzügen vorstellen möchte. „Im Rahmen des Etikettierungsansatzes wird Lernbehinderung dann als Ergebnis eines Interaktionsprozesses verstanden, in dem es gelungen ist, das Lernverhalten eines Schülers über einen längeren Zeitraum als normabweichend zu beschreiben.“ (Werning/Lütje-Klose 2003, 57). Somit ist „Lernbehinderung kein individueller Defekt oder keine individuelle Störung des Individuums. Das Phänomen Lernbehinderung wird vielmehr in seiner interaktionistischen Gebundenheit als prozessuales Ergebnis der sozialen Konstruktion von Abweichung verstanden“ (Werning/Lütje-Klose 2003, 57).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Eigene Darstellung
1.2 Sozialer Interaktionismus - eine Kurzzusammenfassung
Laut Blumer besagt der erste Kerngedanke, dass der Mensch alle Dinge, welche er in seiner Umwelt wahrnimmt (z. B. Gegenstände, andere Menschen, Einrichtungen, Leitideale, Aktionen) mit einer für ihn geltenden Wertigkeit versieht. Der symbolische Interaktionismus unterscheidet also zwischen einem gegenständlichen Lebensbereich außerhalb der Vorstellung und des Bewusstseins des Menschen auf der einen Seite; und dem erfahrbaren Wirkungsbereich auf der anderen Seite, welche für den Menschen immer dann besteht, sofern sie für ihn Wichtigkeit besitzt.
Die nächste Voraussetzung drückt aus: die Wertigkeiten der Dinge aus den sozialen Interaktionen, welche der Einzelne mit anderen Individuen eingeht, werden erzeugt. Sie sind folglich soziale Entwürfe, die sich für einen Menschen so ergeben, wie andere Individuen ihm dabei entgegentreten.
Die letzte Bedingung bringt zum Ausdruck, dass der Mensch die Bedeutungen der Dinge in einem deutenden Akt, welcher zwischen dem Individuum und den Dingen passiert, gebraucht und an sich anpasst. Diese Verfahren bedürfen einem fortwährenden Deutungsprozess. Bedeutungen und ihre Ausführungen sind infolgedessen immer miteinander wechselseitig verbunden (vgl. Werning/Lütje-Klose 2003, 56). Im Zentrum des vorgestellten Paradigmas steht der Begriff der Etikettierung , auch „labeling“ genannt.
1.3 Definition des „labeling approach“
Signifikante Kenntnisse bekam man auch, beim Versuch die Ansichten des sozialen Interaktionismus auf die Sonderpädagogik in Bezug auf die Entwicklung und Begründung abweichender Handlungen abzubilden. Dabei war der wissenschaftliche Forschungstrieb keineswegs mehr primär am Individuum orientiert, das sich auffällig verhält – (beispielsweise an dem/der lernbehinderten Schüler/in), sondern an den sozialen Auswirkungen des Milieus auf eine reale Verhaltensweise. Die Aufmerksamkeit bzgl. des „labeling approach“ galt zu erklären, wie eine Verhaltensweise die Bedeutung einer abweichenden Handlungsweise in Bezug auf den sozialen Interaktionismus erlangt.
Sozial randständige Kinder haben wegen ihrer primären Sozialisation Reaktionen in den verschiedensten Blickfeldern (wie z.B. in der Sprache, der Konfliktbewältigung und Leistungsmotivation, im Planen und Sozialverhalten usw.) ausgebildet, welche mit von Institutionen gesetzten Vorschriften im Widerspruch stehen können (vgl. Werning/Lütje-Klose 2003, 56). Wenn die Lehrkraft Lernbehinderung nach dem Etikettierungsansatz als das Resultat eines Interaktionsprozesses versteht, wirken die Prinzipien der Normalisierung beim schon etikettierten Schüler nicht mehr und letztenendes übernimmt er/sie das „Etikett Lernbehinderung“ in sein/ihr Selbstbild und handelt dementsprechend. Gesellschaftliche Erwartungen, Voreingenommen-heiten sowie Normen- und Wertmaßstäbe zwischen SchülerInnen und der Lehrkraft charakterisieren den Zuschreibungsverlauf. Lernbehinderung ist laut dem Etikettierungsansatz keine kausale, vielmehr eine in Beziehung stehende Betrachtungsweise, welche im Zusammenhang mit der sozialen Interaktion gesehen werden kann (vgl. Werning/Lütje-Klose 2003, 57).
2. Geschichtlicher Hintergrund
Der symbolische Interaktionismus ist ein Begriff aus der Soziologie, genauer gesagt aus der Mikrosoziologie, welche sich mit den wechselseitigen Beziehungen unter den Menschen auseinandersetzt. Er ist eine Handlungslehre, die sich auf den Leitgedanken stützt, dass der symbolisch indirekte Vorgang der Interaktion bzw. der Kommunikation den Sinn von sozialen Dingen, Zuständen und Beziehungen auslöst. Herbert Blumer (1900-1987) gründete die Schule des symbolischen Interaktionismus, ferner „Chicagoer Schule“ genannt. Blumer, ein Schüler des Sozialphilosophen und frühen Sozialpsychologen Geoerge Herbart Mead (1863- 1931), hielt sich bei dem Entwurf des Symbolischen Interaktionismus hauptsächlich an Meads Gedanken über stammesgeschichtliche Beschaffenheit des Bewusstseins und individuelle Entfaltung der Identität mit Hilfe einer umfassenden Sprache (vgl. http://de.wikipedia.org).
Abgesehen von Mead haben auch andere Forscher den symbolischen Interaktionismus mitgeformt. Dazu zählt Charles Sanders Pierce mit seiner These „alle Einsicht sei ein intersubjektiver Prozess von Symbolen und die Wirksamkeit von Worten liege in den denkbaren Konsequenzen ihrer Verwendung“. Dies ist eine Grundvoraussetzung des Symbolischen Interaktionismus.
Als ein weiterer Vorläufer kann man den Sozialphilosophen Charles Horton Cooley rechnen. Cooley sieht im Gegensatz zu der Auslegung des Psychologen James, dass das Selbst die Darstellung individueller Vorlieben ist und versteht das Selbst als eine Art Spiegelbild. Dies bringt er sprachlich folgendermaßen zum Ausdruck (vgl. Brumlik 1994, 764): „Each to each a looking glass, reflects the other, that doth pass.” (Brumlik 1994, 764). Seiner Meinung nach entsteht das Selbst aus einer in Tradition, Sprache und Sympathie gegründeten Gemeinschaft. Mit Gemeinschaft sind die „primary groups“ gemeint, also dass das Selbst in der Familie, in der Nachbarschaft und in der Gemeinde geschaffen wird.
[...]
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.