Seit geraumer Zeit steht kaum ein anderes Thema mehr im öffentlichen Interesse, als die zunehmende Massenarbeitslosigkeit. Fast täglich hört, sieht oder liest man von weiteren Entlassungen, Werksschließungen, Standortverlagerungen und arbeitsmarktpolitischen Umbrüchen.
Auf politischer Ebene wird hierauf mit oftmals kurzfristigen, problemorientierten Maßnahmen reagiert, die in Form von Ich-AG`s, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, Ein-Euro Jobs u.ä. umgesetzt werden.
Die Gründe für das weitere Ansteigen der Arbeitslosigkeit werden in wirtschaftlichen Mängeln gesucht, etwa der Konjunkturflaute, der Konkurrenz der Niedriglohnländer, dem unattraktiven Standort Deutschland etc.
Jedoch halten diese Argumente einer genaueren Betrachtung der Sachlage nicht stand, da die steigende Arbeitslosigkeit nicht nur in den industriellen Ländern zu beobachten ist, sondern vielmehr einen weltweiten Entwicklungsprozess darstellt.
Die Zeichen deuten vielmehr darauf hin, dass den Arbeitsgesellschaften die Arbeit ausgeht bzw. so rar wird, dass sie für eine zunehmende Zahl von Menschen keine Existenzgrundlage mehr bieten kann.
Neben dem individuellen Leid, welches mit dem Wegfall von Erwerbsarbeit verbunden ist, stellt sich auf gesellschaftlicher Ebene die Frage, wohin der Weg einer Erwerbsarbeitsgesellschaft führt, der die Arbeit ausgeht?
Diese notwendige Neugestaltung eines Gesellschaftssystems birgt trotz aller Schwierigkeiten, die damit einhergehen, jedoch auch eine Vielzahl an Möglichkeiten, um das gesellschaftliche, das kulturelle und das individuelle Leben zu bereichern und den Fokus der gesellschaftlichen Betrachtung weg zu lenken von einer eindimensionalen Betrachtung der Arbeitswelt als gesellschaftlichen Mittelpunkt, hin zu einer vielschichtigen Betrachtungsweise der gesellschaftlichen Lebenswelt.
Die hier vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einigen dieser möglichen Visionen. Ich möchte mich dem Thema bezüglich eines Endes der Erwerbsarbeitsgesellschaft weniger aus dem Blickwinkel der damit verbundenen gesellschaftlichen und individuellen Problemlagen nähern, als vielmehr meinen Blick auf die damit verbundenen Chancen der Neugestaltung eines gesellschaftlichen Zusammenlebens richten.
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. Definition: Arbeit, Arbeitsgesellschaft
2. Geschichte der Arbeit
2.1 Die Antike (2. Jahrtausend v. Chr. – 476 n. Chr.)
2.2 Mittelalter (zwischen Antike und Renaissance)
2.2.1 Das Christentum
2.3 Puritanismus 17./18. Jahrhundert
2.3.1 Die Ökonomisierung der Arbeit
2.4 Aufklärung 18./19. Jahrhundert
2.5 Die Industrialisierung
2.6 Schlussfolgerungen
3. Arbeit, Identität, soziale Integration - Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Erwerbsarbeit
3.1 Arbeiten jenseits von Erwerbsarbeit
„Nie wieder Vollbeschäftigung - wir haben Besseres zu tun.“
4. Das Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft
4.1 Technisierung
4.2 Die Globalisierung der Arbeitsmärkte
4.3 Entwicklung der weltweiten Arbeitslosigkeit
4.3.1 Prekäre Arbeitsformen
4.3.2 Verdeckte Arbeitslosigkeit
4.4 Arbeitsplatzabbau
4.5 Neue Arbeitsbereiche
4.5.1 Virtuelle Untenehmen
4.6 Schlussfolgerungen
5. Visionen zukünftiger Tätigkeitsgesellschaften
5.1 Visionen einer zukünftigen Tätigkeitsgesellschaft nach Jeremy Rifkin
5.1.1 Arbeitszeitverkürzung
5.1.2 Der dritte Sektor
5.1.3 Finanzierung
5.1.4 Entlohnung bzw. Belohnung
5.1.5 Sozialwährung
5.1.6 Schlussfolgerungen
5.2 Die Bürgerarbeit
5.2.1 Materielle Belohnung
5.2.2 Immaterielle Belohnung
5.2.3 Finanzierungsmöglichkeiten
5.2.4 Die Gemeinwohl-Unternehmer
5.2.5 Ausschuss für Bürgerarbeit
5.2.6 Beteiligung an der Bürgerarbeit
5.2.7 Bürgerarbeit als Mittel gegen Arbeitslosigkeit
5.2.8 Schlussfolgerungen
5.3 Neue Arbeit - Neue Kultur
5.3.1 Die Zentren für Neue Arbeit
5.3.2 Die Wurzeln der Neuen Arbeit
5.3.3 Das Konzept der Neuen Arbeit
5.3.3.1 Teilzeitarbeit
5.3.3.2 High-Tech-Eigenversorgung
5.3.3.3 Das calling
5.3.4 Neue Arbeit in den „Entwicklungsländern“
5.3.5 Schlussfolgerungen
5.4 Arbeitsfairteilung
5.4.1 Schlussfolgerungen
6. Reformmodelle der Sozialhilfe
6.1 Staatliche Lohnbezuschussungen
6.2 Der Kombilohn
6.3 Die negative Einkommensteuer
6.4 Das EITC in den USA
6.5 Das RMI in Frankreich
6.6 Schlussfolgerungen
6.7 Das bedingungslose Grundeinkommen
6.7.1 Finanzierungsvorschläge
6.7.2 Bedingungsloses Grundeinkommen als Reaktion auf arbeitsmarktpolitische Herausforderungen
6.7.3 Schlussfolgerungen
7. Neue Möglichkeiten und Aufgaben der Sozialen Arbeit
7.1 Tauschringe
7.2 Eigenarbeit als Alternative zu Erwerbsarbeit
7.2.1 Definition: Eigenarbeit
7.2.2 Haus der Eigenarbeit
7.2.3 Selbstversorgung durch Eigenarbeit?
7.2.4 Schlussfolgerungen
8. Schlussbetrachtungen
9. Literaturverzeichnis
„Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.“
Dieser Spruch aus der Bibel ist ein volkstümlicher Grundsatz.
Er müsste lauten: Alle sollen essen und so wenig wie möglich arbeiten...
Die proletarische Forderung geht auf die Reduktion der Arbeit.
Sie bezweckt nicht, dass in einer künftigen Gesellschaft einer davon abgehalten werde,
sich nach seiner Lust zu betätigen, sondern sie geht darauf aus,
die zum Leben der Gesellschaft erforderlichen Verrichtungen zu rationalisieren
und gleich zu verteilen.
Sie will dem Zwang und nicht der Freiheit,
dem Leid und nicht der Lust eine Schranke setzen.
In einer vernünftigen Gesellschaft verändert der Begriff der Arbeit seinen Sinn.
(Max Horkheimer, 1934)
0. Einleitung
Seit geraumer Zeit steht kaum ein anderes Thema mehr im öffentlichen Interesse, als die zunehmende Massenarbeitslosigkeit. Fast täglich hört, sieht oder liest man von weiteren Entlassungen, Werksschließungen, Standortverlagerungen und arbeitsmarktpolitischen Umbrüchen.
Auf politischer Ebene wird hierauf mit oftmals kurzfristigen, problemorientierten Maßnahmen reagiert, die in Form von Ich-AG`s, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, Ein-Euro Jobs u.ä. umgesetzt werden.
Die Gründe für das weitere Ansteigen der Arbeitslosigkeit werden in wirtschaftlichen Mängeln gesucht, etwa der Konjunkturflaute, der Konkurrenz der Niedriglohnländer, dem unattraktiven Standort Deutschland etc.
Jedoch halten diese Argumente einer genaueren Betrachtung der Sachlage nicht stand, da die steigende Arbeitslosigkeit nicht nur in den industriellen Ländern zu beobachten ist, sondern vielmehr einen weltweiten Entwicklungsprozess darstellt.
Die Zeichen deuten vielmehr darauf hin, dass den Arbeitsgesellschaften die Arbeit ausgeht bzw. so rar wird, dass sie für eine zunehmende Zahl von Menschen keine Existenzgrundlage mehr bieten kann.
Die Philosophin Hannah Arendt wies schon vor einigen Jahrzehnten auf diese Entwicklungen hin, die dazu führen, „ ...dass die Fabriken sich in wenigen Jahren von Menschen geleert haben werden...“[1]
Neben dem individuellen Leid, welches mit dem Wegfall von Erwerbsarbeit verbunden ist, stellt sich auf gesellschaftlicher Ebene die Frage, wohin der Weg einer Erwerbsarbeitsgesellschaft führt, der die Arbeit ausgeht?
Bei einer Fortsetzung dieser Entwicklungen wird es zukünftig für die staatlichen Sozialsicherungssysteme annähernd unmöglich sein, diese zunehmende Zahl von erwerbslosen bzw. unterbeschäftigten Menschen durch Sozialtransfers aufzufangen.
Dieses führt zu der Frage, wie es zukünftig möglich sein kann, diese Menschen einerseits mit dem notwendigen Einkommen auszustatten, um ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können und andererseits, wie sich die Erwerbsarbeit als Mittelpunkt des gesellschaftlichen sowie des individuellen Lebens durch sinnvolle Tätigkeiten ersetzen lässt. Hierzu bedarf es eines Umdenkens und einer Neugestaltung der bisherigen gesellschaftlichen Strukturen.
Diese notwendige Neugestaltung eines Gesellschaftssystems birgt trotz aller Schwierigkeiten, die damit einhergehen, jedoch auch eine Vielzahl an Möglichkeiten, um das gesellschaftliche, das kulturelle und das individuelle Leben zu bereichern und den Fokus der gesellschaftlichen Betrachtung weg zu lenken von einer eindimensionalen Betrachtung der Arbeitswelt als gesellschaftlichen Mittelpunkt, hin zu einer vielschichtigen Betrachtungsweise der gesellschaftlichen Lebenswelt.
Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog sprach in seiner »Berliner Rede«, die er unter dem Thema: Aufbruch ins 21. Jahrhundert führte, die Notwendigkeit einer Neugestaltung an. Darin heißt es:
„Zuerst müssen wir uns darüber klar werden, in welcher Gesellschaft wir im 21. Jahrhundert leben wollen. Wir brauchen wieder eine Vision. Visionen sind nichts anderes als Strategien des Handelns. Das ist es was sie von Utopien unterscheidet. Visionen können ungeahnte Kräfte mobilisieren ...“[2]
Die hier vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einigen dieser möglichen Visionen. Ich möchte mich dem Thema bezüglich eines Endes der Erwerbsarbeitsgesellschaft weniger aus dem Blickwinkel der damit verbundenen gesellschaftlichen und individuellen Problemlagen nähern, als vielmehr meinen Blick auf die damit verbundenen Chancen der Neugestaltung eines gesellschaftlichen Zusammenlebens richten.
In der vorliegenden Arbeit werde ich folgenden Fragen nachgehen:
- Wie hat sich die gesellschaftliche Bedeutung der Arbeit im historischen Vergleich gewandelt?
1. Hatte Arbeit zu allen Zeiten den heutigen gesellschaftlichen Stellenwert? Und war arbeitstätig zu sein stets Inbegriff eines erfolgreichen und ausgefüllten Lebens, so wie es in den derzeitigen Arbeitsgesellschaften der Fall ist?
2. Welchen gesellschaftlichen Stellenwert bekleidet die Erwerbsarbeit in den derzeitigen Arbeitsgesellschaften? Bedeutet Erwerbstätigkeit lediglich Broterwerb oder sind hieran nicht auch eine Vielzahl anderer subjektiv empfundener und gesellschaftlich erwünschter Begleiteffekte verbunden?
3. Welches Ausmaß nimmt die derzeitige Arbeitslosigkeit in Deutschland sowie im internationalen Vergleich ein? Ist es realistisch, von einem Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft zu sprechen oder ist hierin lediglich eine vorübergehende Entwicklung zu sehen?
4. Ausgehend davon, dass die derzeitigen Entwicklungen auf ein Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaften hinweisen, stellt sich die Frage, wie sich zukünftige Tätigkeitsgesellschaften organisieren und finanzieren lassen, welche ihren Schwerpunkt nicht mehr in Erwerbsarbeit haben?
5. Wie lassen sich Finanzierungsmodelle gestalten, die auf die im Zuge der Erwerbslosigkeit anwachsende Armut reagieren können? Und inwieweit können diese dazu beitragen, den Fokus von Erwerbsarbeit als einziges Mittel der Subsistenzsicherung wegzulenken?
6. Welchen neuen Aufgaben, aber auch Möglichkeiten, sieht sich die Soziale Arbeit im Zuge der fortschreitenden Massenarbeitslosigkeit gegenüber?
7. Welche praktisch-orientierten Handlungsstrategien kann Soziale Arbeit initiieren und anbieten, um auf die im Wandel der Arbeitsgesellschaft zunehmende individuelle Armut sowie der Perspektiv- bzw. Orientierungslosigkeit zu reagieren?
Ich werde im ersten Teil der vorliegenden Arbeit den Begriff der Arbeit etymologisch untersuchen, um Aufschluss über seine Bedeutungswandlung zu erhalten. Hieraus ergeben sich wertvolle Hinweise darüber, dass mit Arbeit durchaus nicht immer positive Aspekte verbunden waren, wenn auch das heutige Streben nach diesem raren Gut dies vermuten ließe.
In Kapitel 2 werde ich die gesellschaftliche Bedeutung von Arbeit aus historischer Perspektive wiedergeben. Diese zeigt, dass Arbeit in den verschiedenen Epochen stets einen unterschiedlichen gesellschaftlichen Stellenwert einnahm. Das Verständnis von Erwerbsarbeit ist demnach von den jeweiligen historischen Umstände abhängig. Ich möchte mit diesem Hinweis auf die aktualitätsbezogene Wahrnehmung für die später vorgestellten Zukunftsvisionen sensibilisieren.
In Kapitel 3 gehe ich auf die heutige gesellschaftliche Bedeutung der Arbeit ein. Dass Arbeit in den Erwerbsarbeitsgesellschaften weitaus mehr, als lediglich Broterwerb ist, sondern vielmehr der Identitätsbildung, sozialen Integration und gesellschaftlicher Teilhabe dient, soll hier verdeutlicht werden.
Das 4. Kapitel beschäftigt sich mit den arbeitspolitischen Entwicklungen und deren Bewertungen. Ich werde zeigen, dass die steigenden Arbeitslosenzahlen nicht als vorübergehendes Phänomen zu betrachten sind, sondern einer weltweiten, andauernden Entwicklung entsprechen. Hier finden sich Hinweise über Ursachen der derzeitigen Unterbeschäftigung. Um ein realistisches Bild vom Ausmaß der derzeitigen Arbeitslosigkeit zu zeichnen, möchte ich auch jene Menschen, die auf Grund von prekären Arbeitsverhältnissen, Teilnahme an arbeitspolitischen Maßnahmen, Elternzeit, Hausfrauendasein etc. aus den Statistiken herausfallen, die aber dennoch nicht der Vorteile durch Arbeit (stabile finanzielle Existenzgrundlage, soziale Wertschätzung und Integration etc.) teilhaftig werden, einbeziehen.
In Kapitel 5 werde ich beispielhaft vier Möglichkeiten einer zukünftigen Tätigkeitsgesellschaft vorstellen, die der Erwerbsarbeit nicht mehr den zentralen Stellenwert des individuellen sowie des gesellschaftlichen Lebens einräumen.
Ihnen ist gemein, die arbeitspolitischen Umbrüche als Chance wahrzunehmen, die eine Belebung des Gemeinwohls, kulturelle Vielfalt und individuelle Selbstbestimmung erzeugen kann. Ihre Umsetzbarkeit möchte ich anhand von den jeweils konzipierten Finanzierungsmodellen untermauern.
Um auf die im Zuge der Erwerbslosigkeit bzw. der Unterbeschäftigung entstehenden Armut zu reagieren, bedarf es einer Neustrukturierung der bisherigen staatlichen Sozialtransfers. In Kapitel 6 werde ich einige Modelle untersuchen, die sich auf unterschiedliche Weise dieser Problematik angenommen haben.
Schließlich widme ich mich in Kapitel 7 der Frage, wie Soziale Arbeit auf das Problem der zunehmenden Arbeitslosigkeit bzw. Unterbeschäftigung reagieren kann und welche neuen Aufgaben und Möglichkeiten hieraus für sie entstehen.
Dabei möchte ich nicht die Möglichkeiten einer Reintegration der von Erwerbslosigkeit Betroffenen in die Arbeitswelt in den Vordergrund stellen, (da mir dieses im Zuge des fortschreitenden Schwindens von Erwerbsarbeit nicht als adäquate Reaktion erscheint) sondern vielmehr praktisch-orientierte und möglichst bürokratiearme Handlungskonzepte hervorheben.
Ich möchte noch darauf hinweisen, dass ich in der vorliegenden Arbeit stets die männliche Form verwende. Dies dient lediglich der besseren Lesbarkeit der Arbeit.
1. Definition: Arbeit, Arbeitsgesellschaft
In diesem Kapitel möchte ich mich dem Begriff Arbeit nähern und der Frage nachgehen, welche Tätigkeiten dieser Begriff umfasst. Kann jegliches tätige Handeln der Menschen als Arbeit umschrieben werden oder bedarf es spezifischerer Definitionen, um den Begriff der Arbeit differenzierter zu betrachten?
Brecht umschreibt den Begriff Arbeit sehr lapidar, in dem er sagt: „Arbeit ist alles, was keinen Spaß macht.“[3] Diese Definition scheint nicht ganz ausreichend zu sein, zumal eine Vielzahl von Begrifflichkeiten um diesen einen zentralen Begriff herum existieren, wie beispielsweise Beruf, Tätigkeit, Job, Erwerbsarbeit, Berufung, etc.
Bert Rürup schlägt folgende Definition des Begriffs Arbeit vor: „Arbeit ist die Summe aller körperlichen und geistigen Tätigkeiten des Menschen zur Herstellung von knappen, d.h. begehrten, Gütern und Dienstleistungen. Von Erwerbsarbeit sollte man dann sprechen, wenn diese Tätigkeit gegen Entgelt stattfindet.“[4]
Die Philosophin Hannah Arendt beschreibt Arbeit, als einen „ ... biologischen Prozess des menschlichen Körpers, der in seinem spontanen Wachstum, Stoffwechsel und Verfall sich von Naturdingen nährt, welche die Arbeit erzeugt und zubereitet, um sie als die Lebensnotwendigkeiten dem lebendigen Organismus zuzuführen.“[5] Sie unterscheidet zwischen Arbeit als Tätigkeit, welche nichts Dauerhaftes hinterlässt und dem Begriff des Herstellens, welches hingegen ein beständiges Produkt hinterlässt.[6]
Bei der Betrachtung des etymologischen Wortstamms von Arbeit wird deutlich, dass in allen europäischen Sprachen eine Differenzierung zwischen dem Begriff Arbeit und Herstellen stattfindet, wobei der Wortstamm von Arbeit auf die Mühe und die Not verweist, hingegen das Herstellen auf das Werk und die Kunstfertigkeit seines Erschaffers hindeutet.
Im Griechischen lautet diese Unterscheidung ponos (Arbeit) und techne (Werk/Kunstfertigkeit), im lateinischen heißt es labor (Arbeit) und opus (Werk), im französischen wird zwischen travailler (arbeiten) und ouvrer (werken) unterschieden, im englischen heißt es labor (Arbeit) und work (Werk).[7] Das französische travailler hat ein älteres labourer ersetzt, welches seinen etymologischen Ursprung in dem lateinischen tripalium hat und eine besondere Art der Folter bezeichnet.
Weitere etymologischen Wurzeln des Begriffs Arbeit sind mit Unlust und schmerzverursachender körperlicher Anstrengung, sowie mit Geburtswehen übersetzt.
Labor ist mit dem Wort labare verwandt und bedeutet ursprünglich: das Wanken unter einer schweren Last. Sowohl das deutsche Wort Arbeit, als auch das griechische Wort ponos lassen sich in ihrem Wortstamm auf den Begriff Armut zurückführen. Das Wort Arbeit, sowie das Wort arm finden einen gemeinsamen Wortstamm in dem germanischen arbm -, dessen Bedeutung mit vereinsamt/verlassen zu übersetzen ist. Das mittelhochdeutsche Wort arebeit lehnt sich laut Kruse vermutlich an ein untergegangenes Wort aus dem germanischen Sprachbereich an, welches die Bedeutung von verwaist sein, ein zu schwerer körperlicher Tätigkeit verdingtes Kind sein, hat.[8]
In der Fülle dieser Ableitungen wird deutlich, dass Arbeit stets mit etwas negativem und mühevollem beschrieben wurde, wenn nicht sogar mit schmerzhaftem und foltergleichem.
Diese Erkenntnis gewinnt an Bedeutung, wenn man sich vergegenwärtigt, dass wir heute von einer Arbeitsgesellschaft sprechen und die Arbeit in den Mittelpunkt der Existenz und des gesellschaftlichen Lebens gerückt ist. In Bezug auf den etymologischen Wortstamm dieses Begriffs der Arbeit, erscheinen politische Slogans, wie beispielsweise „Recht auf Arbeit“, „sozial ist was, Arbeit schafft“, „Arbeit hat Vorrang“ etc., in einem neuen Licht.
Auch wenn die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs Arbeit ein mühevolles und folterähnliches Szenario beschreibt, hat sich die Bedeutung der Arbeit im Laufe der Zeit (insbesondere seit Beginn der Industrialisierung) gewandelt.
Im Lexikon[9] heißt es unter dem Begriff Arbeit: „das bewusste, zielgerichtete Handeln des Menschen zum Zweck der Existenzsicherung wie der Befriedigung von Einzelbedürfnissen; zugleich wesentliches Moment der Daseinserfüllung.“
Der Zweck der Existenzsicherung weist somit auf die mit Arbeit verbundene Mühsal hin.
Jedoch bleibt zu hinterfragen, inwiefern Arbeit in der heutigen Erwerbsarbeitsgesellschaft der Befriedigung von Einzelbedürfnissen und Daseinserfüllung dient. Obwohl Arbeit im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens steht und somit psychosozialen Einfluss nimmt (Vgl. hierzu Kapitel Nr.3 der vorliegenden Arbeit), kann meines Erachtens hierüber nicht pauschalisiert und objektiv geurteilt werden, da diese Bedeutungszuweisungen dem subjektiven Empfinden jedes Einzelnen unterliegen. Jedoch erscheint mir an dieser Definition interessant, dass sie sowohl eine Verpflichtung (Zweck der Existenzsicherung), als auch eine individuelle Sinnstiftung (Daseinserfüllung) umschreibt. Arbeit scheint demnach Pflicht und Sinnstiftung vereinen zu können.
Eine Arbeitsgesellschaft lässt sich wie folgt definieren:
„Eine Arbeitsgesellschaft ist eine Gesellschaft, in der soziale Zugehörigkeit wesentlich daran geknüpft ist, dass man seinen Arbeitsbeitrag leistet. Wir leben in einer Arbeitsgesellschaft. Das Recht auf soziale Zugehörigkeit nimmt bei uns die Form eines Rechtes auf Arbeit an.“[10]
Somit ist die zuvor beschriebene Mühsal zu einem Recht geworden. Ein Recht, welches zu einem bestimmenden Element in der Gesellschaft geworden ist und zudem die Identität der Individuen prägt (siehe hierzu Kapitel Nr. 3 der vorliegenden Arbeit).
Ulrich Beck spricht davon, dass der mit der Arbeit verbundene Beruf als Identitätsschablone fungiert, mit deren Hilfe wir Menschen einschätzen und ihre persönlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten sowie ihre ökonomische und soziale Stellung, beurteilen können.[11]
Auch wenn wir in einer Arbeitsgesellschaft leben, in der die Arbeit diesen beschriebenen zentralen Stellenwert innehat, ist es sinnvoll, den Begriff Arbeit von dem Begriff der Tätigkeit abzugrenzen. Hierzu lässt sich auf Aristoteles zurück greifen, der zwischen dem praktischen (bios practicos bzw. vita activa) und dem theoretischen (bios theoreticos bzw. vita contemplativa) Leben unterschied.[12] Aristoteles separierte damit den Bereich der Existenzsicherung (bios practicos bzw. vita activa) von dem der Muße, Kunst und Philosophie (bios theoreticos bzw. vita contemplativa). Auch Karl Marx differenziert zwischen diesen beiden Begrifflichkeiten und nutzt dieses als Grundlage der gesellschaftlichen Klassenbildung. Er beschreibt dabei, dass es auf der einen Seite die Vielen gibt, die dem praktischen Leben folgen müssen, sowie auf der anderen Seite die Wenigen, die dem theoretischen Leben folgen dürfen. Er unterscheidet dabei das Reich der Notwendigkeit, in dem das Handeln von Not und äußerer Zweckmäßigkeit bestimmt wird, von dem der Freiheit, in dem die eigenen Entscheidungen das Handeln bestimmen.[13]
Der Soziologe Ralf Dahrendorf greift diese Unterscheidung auf und umschreibt diese beiden Begriffe wie folgt: „Arbeit beschreibt menschliches Tun im Reich der Notwendigkeit, Tätigkeit beschreibt menschliches Tun im Reich der Freiheit.“[14]
In der derzeitigen Erwerbsarbeitsgesellschaft ist die Arbeit im Sinne einer Tätigkeit im Reich der Notwendigkeit sicherlich vorherrschend.
Die Tätigkeiten, die frei bestimmt und nicht aus einer Notwendigkeit heraus motiviert sind, finden in dieser Erwerbsarbeitsgesellschaft mehrheitlich im Privaten bzw. nach Feierabend statt.
Zusammenfassend gesagt, scheint sich die Bedeutung des Begriffs Arbeit im Laufe der Zeit gewandelt zu haben. Die Darstellung seiner etymologischen Abstammung und Wandlung, sowie die Differenzierung der Begriffe Arbeit und Tätigkeit, scheint mir im Zusammenhang der Diskussion über einen Wandel der Erwerbsarbeitsgesellschaft und den Alternativen, die in einer zukünftigen Arbeits- bzw. Tätigkeitsgesellschaft liegen könnten, von Bedeutung zu sein.
Geschichte ist nicht nur Geschehenes, sondern Geschichtetes
also der Boden, auf dem wir stehen und bauen. - Hans von Keler (*1925), dt. Theologe -
2. Geschichte der Arbeit
Wenn wir die Arbeit als einen Vorgang definieren, der „ ... für die Reproduktion menschlichen Lebens unerlässlich ist ...“[15] lassen sich die Spuren dieser Arbeit selbstverständlich bis zum Anbeginn der Menschheit zurück verfolgen. Zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte hat es Arbeit gegeben, welche die Menschen tätigen mussten, um ihre Existenz zu sichern. In der Prähistorie bestanden diese Arbeiten zum Großteil aus Nahrungsbeschaffung, Jagen und Sammeln, für das Feuer und einen sicheren und trockenen Schlafplatz sorgen. Jedoch ist die Annahme, dass die Menschen zu dieser Zeit mit Hilfe von primitiven Werkzeugen hart arbeiten mussten und einem beständigen Überlebenskampf ausgesetzt waren, nicht richtig.
Forschungen haben gezeigt, dass die Menschen der Prähistorie durchaus nicht nur mit den Arbeiten der Selbsterhaltung beschäftigt waren, sondern viel Zeit im sozialen Verbund verbringen konnten.[16]
Im Folgenden möchte ich zeigen, welche Wandlungen die aktuelle Definition unseres Begriffes von Arbeit vollzogen und welchen gesellschaftlichen Stellenwert sie heute innehat. Ich möchte daher im historischen Vergleich den gesellschaftlichen Ursprung des Arbeitsbegriffes herausarbeiten, der letztlich zu unserem heutigen Verständnis von Arbeit führt.
Ich werde die folgenden Ausführungen lediglich auf die ausschlaggebenden Ereignisse beschränken, in denen die Bedeutung der Arbeit einen Wandel erlebte.
Nicht alle Veränderungen haben sich in allen Regionen und Traditionen der jeweiligen Epochen ausgedehnt, jedoch beziehen sich die nachfolgenden Darstellungen auf das Gros der einzelnen Gesellschaften, so dass ich auf die Darstellung einzelner und regionaler Entwicklungen bewusst verzichte.
Die im folgenden beschriebenen Epochen umfassen z.T. mehrere Jahrhunderte oder Jahrtausende. Selbstverständlich haben hier weitere Veränderungen stattgefunden, die auch den Wandel des Begriffs von Arbeit betreffen, jedoch scheint es mir weder ratsam noch angebracht, auf alle Einzelheiten einzugehen. Ich werde mich daher auf die wesentlichen Ereignisse beschränken und der Übersichtlichkeit gegenüber der Vollständigkeit Vorrang geben.
Somit beschränkt sich die Betrachtung auf eine grobe Darstellung der Veränderungen bezüglich des Begriffs und der gesellschaftlichen Bedeutung der Arbeit.
2.1 Die Antike (2. Jahrtausend v. Chr. – 476 n. Chr.)
In der Antike der griechischen und römischen Kultur, galt körperliche Arbeit als gesellschaftlich minderwertig und verpönt. Diese notwendigen Arbeiten wurden überwiegend von Sklaven und Leibeigenen übernommen.
Überlieferungen von Xenophon (430 v. Chr.-355 v. Chr.), Platon (427 v. Chr.-347 v. Chr.) und Aristoteles (384 v. Chr.-322 v. Chr.) machen deutlich, dass Menschen, die der Erwerbsarbeit nachgingen, herabgewürdigt wurden. Die Tätigkeiten von Handwerkern, Bauern und Kaufleuten verhinderten die Teilnahme am Kriegsdienst sowie den Angelegenheiten der Polis. Zudem schränkten sie die Pflege sozialer Beziehungen ein, welche für die Mitwirkung im Gemeinwesen unerlässlich schien. Nach Aristoteles sollten all diese arbeitenden Menschen vom Bürgerrecht ausgeschlossen werden, da sie nicht über die notwendigen Kapazitäten verfügten, die die Mitwirkung am Gemeinwohl abverlangte.[17]
Da die meisten der anfallenden Arbeiten zur Bewirtschaftung des Staates von Sklaven übernommen wurde, ließ sich der Bürgerstatus nicht mit Abhängigkeit von Erwerbsarbeit vereinbaren. Jeder Erwerbstätigkeit haftete damit der Sklavenstatus an.
Nach Aristoteles schlossen sich Arbeit und Tugend aus.[18]
Das kontemplative Leben, das den Zustand innerer Ruhe und Streben nach dem Eins-Sein mit der Natur und dem Kosmos zum Erkennen ewiger Wahrheiten zum Ziel hatte, hatte seinen Vorrang weit vor dem tätigen[19] Leben.
„Nur wer das Reich der Notwendigkeit hinter sich gebracht hatte, konnte sich dem ersehnten Reich der Freiheit zuwenden, also der Muße, die von Sokrates als Schwester der Freiheit bezeichnet wurde.“[20] Der Ausübung von niederen Tätigkeiten wurde nachgesagt, dass sie den Geist abstumpften und den Charakter verdürben.
Das Bürgertum der Antike bestand mehrheitlich aus Kleinbauern, deren Erträge wohl nur selten über die notwendige Subsistenzsicherung der Familie hinauskam. Der überschüssige Teil der Ernte wurde auf nahegelegenen Märkten verkauft und der Erlös zum Einkauf von Waren verwendet, die nicht selbst hergestellt werden konnten. An den anfallenden Arbeiten auf den Höfen beteiligten sich alle Familienmitglieder. Es wird angenommen, dass, zumindest in Athen, Bauern oftmals über ein bis zwei Sklaven verfügten. Einige Bauern verdingten sich zudem als Tagelöhner für Saisonarbeiten (Erntehelfer) auf größeren Höfen. Bauernsöhne, deren Arbeitskraft auf den familiären Höfen überzählig war und nicht benötigt wurde, waren gänzlich von solchen Arbeiten zur Existenzsicherung abhängig.
Neben den Bauern, gingen auch die Handwerker einer Erwerbsarbeit nach. Der soziale Status dieser Handwerker schien jedoch sehr unterschiedlich bewertet zu werden. So ist aus dem antiken Rom bekannt, dass diejenigen Handwerker, die für die Ausrüstung des Heeres wichtig waren, mehr Rechte (in bezug auf die Gewichtung ihres Stimmrechts) genossen, als ihre Fachkollegen.
Neben den genannten Arbeitsgebieten, bestand die Möglichkeit der Existenzsicherung, in der Berufsausübung als Ruderer der zahlreichen Flotten, Ratsherr, Geschworener (Tagelohn) oder durch die Ausübung eines höheren Berufs, wie beispielsweise Arzt, Architekt, Lehrer etc.[21]
Die Annahme, dass Erwerbsarbeit grundsätzlich eines freien Mannes unwürdig sei, da er sich einem fremden Willen unterwerfen müsse, für seine Arbeit bezahlen ließ und somit den Eindruck erweckte käuflich zu sein, galt auch bei diesen höheren Berufen. Um sich dessen nicht verdächtig zu machen, ließen sich die Menschen dieser Berufsstände für ihre Taten oftmals nicht bezahlen, sondern leisteten diese als Freundschaftsdienste, für die sie in Form von Gegenleistungen (beispielsweise Bekleidung/Ernennung zu bestimmten Ämter) vergütet wurden.[22]
Die arbeitende Bevölkerung der Antike bestand aus Bürgern, Sklaven und Metöken[23].
Die Grundbesoldung war für diese Menschen gleich hoch, jedoch bekamen die Bürger noch besondere Zuwendungen in Form von Land, staatlichen Gratifikationen, Diätenzahlungen, Getreide, Geldgeschenken an Festtagen sowie u.U. auch Erlass ihrer Schulden. Die Kombination aus dem geringen Sold und den besonderen Zuwendungen war sicherlich nicht sehr hoch, reichte jedoch zumeist aus, die Existenz zu sichern ohne dauerhaft von Erwerbsarbeit abhängig zu sein. Hinzu kam das Recht auf bestimmte Zuwendungen, etwa in Form von Nahrungsmitteln oder Vergrößerung der Ländereien. Diese Zuwendungen sind nicht als Almosen zu verstehen, sondern begründeten sich in einem Rechtsanspruch aufgrund des Bürgerstatus´.[24]
In der heutigen Diskussion um ein Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft, ist die Forderung nach einem bedingten bzw. bedingungslosen Grundeinkommen erneut im Gespräch (s. Kapitel 6.2 der vorliegenden Arbeit). Diese Forderung ist also keineswegs vollkommen neu, wenn auch die gesellschaftlichen Strukturen der Antike nicht mit der unseren vergleichbar sind.
Dieser Ausblick auf die Zeit der Antike soll verdeutlichen, welchen Stellenwert und welches gesellschaftliche Ansehen der Erwerbsarbeit zu dieser Zeit zukam. Erwerbsarbeit hatte demnach etwas unehrenhaftes und verhinderte die freie Entfaltung des Geistes. Wer der Erwerbsarbeit nachging, setzte sich dem Vorwurf der Käuflichkeit aus, zudem wurde diesen Menschen die Fähigkeit und das Interesse abgesprochen, für die Belange der Polis einzutreten.
2.2 Mittelalter (zwischen Antike und Renaissance)
Die Zeit des frühen Mittelalters war ebenfalls größtenteils durch Agrarwirtschaft bestimmt. Durch den Zusammenbruch des römischen Reiches waren große Landstriche von Armut bedroht und betroffen.[25] Die Macht und die politische Einflussnahme war den Landherren vorbehalten, in deren Besitz sich die Ländereien befanden. Diesen kam auch das Recht auf militärische und richterliche Gewalt zu. Die Ländereien wurden von Lehnsherren gepachtet, die damit über die gleichen Rechte wie die Landherren verfügten. Die Arbeit auf den Ländereien wurde von freien Bauern übernommen, denen das Recht auf Waffenführung zugesprochen war sowie eine eigene Gerichtsvertretung. Hierfür verpflichteten sie sich jedoch zur Heeresfolge (Wehrdienst). Zudem wurden die Ländereien von Halb- bzw. Unfreien bewirtschaftet, die für ihre Arbeiten entlohnt wurden, sowie von Hörigen, denen ein sklavenähnlicher Status zukam.[26]
Die Entlohnung der Arbeiten erfolgte vorwiegend durch Beteiligung an den Ernteerträgen und diente dementsprechend nicht einer Gewinnmaximierung, sondern vielmehr der eigenen Subsistenz. Die Arbeiten waren zwar körperlich sehr belastend, doch richtete sich die Arbeitsintensität weiterhin nach den Jahreszeiten. Somit wurde im Frühling und Sommer bis zur Ernte sehr viel gearbeitet, im Winter gab es hingegen lange Ruhephasen. Die Arbeitsphasen unterlagen zudem (aufgrund der mangelnden künstlichen Beleuchtung) den Tag- und Nachtzeiten, hinzu kam eine Vielzahl von Feiertagen an denen nicht gearbeitet wurde.
Das gesellschaftliche Ansehen der arbeitenden Bevölkerung war, wie zuvor in der Zeit der Antike, sehr gering. Das bezog sich sowohl auf die Menschen, die auf den Ländereien arbeiteten, als auch auf die Handwerker.[27]
In den Städten entstanden Handwerkszünfte, die stark hierarchisch organisiert waren und die Handwerkerschaft reglementierten. So legten sie beispielsweise die Preise für die angebotenen Werkstücke, als auch die Stundenlöhne fest, um Konkurrenz unter den Handwerkern zu unterbinden. Die festgelegten Preise ermöglichten den Handwerkern ein relativ auskömmliches und geruhsames arbeiten und leben. Es entstand eine Identifikation der Arbeitenden zu ihrem Berufsstand, was zu zahlreichen Traditionen führte. Ab dem 12. Jahrhundert zeigte sich diese Identifikation auch darin, dass sich der Nachname der Person aus dem Berufsstand ableitete.[28]
2.2.1 Das Christentum
Eine gesellschaftlich höhere Bewertung kommt der Arbeit durch den zunehmenden Einfluss des Christentums zu. „Das Christentum wertet neu. Deutlich wird dies schon an dem Personal, das die Schriften des neuen Testaments bevölkert: vornehmlich sind es Angehörige alltäglicher Berufe, die alltägliche Tätigkeiten auf alltäglichen Schauplätzen verrichten, Personen sogar, die – nach antiken Vorstellungen – ihrer Arbeit wegen zu den sozial deklassierten und diffamierten Menschen gehören.[...] Bekanntlich hat sich Jesus von Nazareth als Handwerker betätigt. Auch seine Jünger kamen aus handwerklichen Berufen. Es ist deshalb ganz selbstverständlich, dass in ihrer Verkündung die Arbeit einen hohen ethischen Rang zugewiesen bekommt.“[29]
Das Gebet wird dennoch höher bewertet als die Arbeit, wie im Ausspruch des heiligen Benedikt (6.Jh. n. Chr.) deutlich wird: „Ora et labora“. Hier stellt der heilige Benedikt das Gebet noch vor die Arbeit.[30]
Meines Erachtens stellt das Gebet einen Teil des kontemplativen Lebens, im Sinne Aristoteles, dar, welches das Ziel verfolgt, ewige Wahrheiten zu erkennen und das Eins-Sein mit der Natur und dem Kosmos anzustreben.
Im Neuen Testament kommt der Arbeit lediglich der Stellenwert einer selbstverständlichen Notwendigkeit zu, wichtiger ist jedoch das Seelenheil der Menschen.[31]
Ein Beispiel aus der Bibel, in dem von einer Begegnung zwischen Jesus und den Schwestern Maria und Marta berichtet wird, soll dies verdeutlichen: „Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“
In dieser Analogie wird deutlich, dass Jesus das Gespräch zwischen ihm und Maria, also die Pflege bzw. den Aufbau einer zwischenmenschlichen Beziehung, höher bewertet, als die anfallenden Arbeiten.
Auch in den zahlreichen christlichen Bettelorden wird deutlich, dass die Arbeit nicht das höchste aller Güter darstellte. „Im Übrigen existierten während des ganzen Mittelalters durch Theologen wie Thomas von Aquin legitimierte Bettelorden, die sich durch keinerlei Arbeit von einem kontemplativen, Gott wohlgefälligen Leben abhalten ließen.“[32]
In der Schöpfungsgeschichte wird die Arbeit, als Gottes Strafe für den Sündenfall, den Menschen auferlegt und der Mensch muss sein Brot im Angesicht seines Schweißes[33] verdienen.
Das Christentum legitimiert die Arbeit somit als etwas gottgegebenes und als Aufgabe des Menschen, zum einen als Buße, desweiteren aber auch als Weiterführung der göttlichen Schöpfung. „Doch die Arbeit ist immer noch auf Gott bezogen, denn er hat die Welt methodisch und plangemäß in sechs Tagen geschaffen und den Menschen als sein Abbild aufgefordert, seinen Rhythmus – sechs Tage Arbeit und ein Tag der Ruhe - nachzuahmen. Arbeit, als körperliche wie geistige Anstrengung betrachtet, wird zur Buße und zur Unterwerfung unter den Willen Gottes.“[34]
Braig und Renz weisen darauf hin, dass der viel zitierte und für die Pflicht an der Arbeit instrumentalisierte Ausspruch des Paulus: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“[35], weniger dahingehend gedeutet werden darf, dass er eine Wertschätzung der Arbeit beinhaltet, als vielmehr die Gleichbehandlung aller Gemeindemitglieder meint.[36]
Zwar wird so die verbreitete griechisch-römische Maxime, in der „[...] das Frei-Sein von körperlicher Arbeit die höchste Form des Lebens sei, weil nur dieses Frei-Sein die Möglichkeit zu politischer Tätigkeit und zu einem ethisch vollkommenen Leben eröffne [...]“[37] in ihr Gegenteil verkehrt, doch ist damit nicht das Arbeiten als Mittel zur materiellen Bereicherung gemeint. Materieller Wohlstand und Reichtum galt auch im Mittelalter als Ausdruck eines sündigen Lebens. Geld galt den christlichen Menschen als etwas schmutziges, was sich auch darin zeigte, dass ihnen das Zinsnehmen (Wucher) verboten war.[38]
Erst durch die Übersetzung der Bibel durch den Reformator Martin Luther (1483-1546) im 16.Jahrhundert, bekam die Arbeit einen spirituellen Anstrich. Dies ist darauf zurück zuführen, dass Luther in seiner Übersetzung die als Arbeit bezeichneten Tätigkeiten mit dem Wort Beruf übersetzte und somit der Arbeit den Stellenwert einer Berufung von Gott zukommen ließ. Arbeit und Beruf wurden somit etwas heiliges. Die Menschen fühlten sich von Gott zu ihrer Arbeit und in ihren Berufsstand berufen. Dem nicht nachzukommen und dem Müßiggang zu frönen, galt als Sünde und Werk des Teufels. „Müßiggang ist Sünde wider Gottes Gebot, der hier Arbeit befohlen hat. Zum anderen sündigst du gegen deinen Nächsten.“[39], verkündete Martin Luther in einer seiner Predigten 1532. Diese Ablehnung des Müßiggangs betrifft auch das Leben der Mönche in den Bettelorden. In dem beruflichen Tätigsein wird die Erfüllung des gottgefälligen Lebens gesehen. Somit wird die Erfüllung des Lebens und das Seelenheil der Menschen in das Diesseits gelenkt. Den kapitalistischen Aspekt und die persönliche materielle Bereicherung durch Arbeit, lehnte Luther jedoch weiterhin im christlichen Sinne ab.[40]
Der Reformator Johann Calvin (1509-1564) ging in seiner Auffassung bezüglich der Arbeit noch weiter. Er vertrat die Meinung, dass Arbeit den Hauptzweck des menschlichen Lebens darstelle und letztlich zur Erlösung führe. „Emsigkeit, Fleiß und wirtschaftlicher Erfolg aufgrund von harter und ehrlicher Arbeit sind Tugenden, die das Auge Gottes erfreuen.“[41] Bei Calvin kommt der vita activa (das tätige Leben) ein wesentlich höherer Stellenwert zu als der vita contemplativa (das geistig reflektierte Leben). Die heutigen kapitalistisch orientierten Gesellschaften gründen sich im wesentlichen auf diese protestantische Lehre, in der Arbeit der höchste Wert zugesprochen wurde. Diese Ethik übertrug sich auch in Regionen der Welt, die einer völlig anderen religiösen Prägung unterliegen.[42]
Der Wandel des Arbeitsbegriffes folgt im Christentum den biblischen Werten, indem Arbeit einerseits als Strafe Gottes (damit aber auch als dessen Werk) und somit als gottgegebene Aufgabe gesehen wird, über eine akzeptierte Notwendigkeit, in der aber das Seelenheil einen höheren Stellenwert einnehmen soll, hin zur Spiritualität der Arbeit, indem der Mensch sich zur Arbeit berufen fühlt und somit Arbeit die volle Legitimation durch die Kirche erfährt.
Hierin sind meines Erachtens einige der wichtigsten Weichenstellungen für die derzeitige gesellschaftliche Bedeutung von Arbeit gestellt worden. Arbeit haftet auch heute noch etwas seelenheilvolles an. In einer positiven und erfolgreichen Karriere wird die Erfüllung eines fleißigen und erfüllten Lebens gesehen.
2.3 Puritanismus 17./18. Jahrhundert
Der Puritanismus, der insbesondere durch Johann Calvin beeinflusst wurde, erstreckte sich zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert über weite Teile Nord- und Westeuropas. Die Puritaner sahen wirtschaftlichen Erfolg als ein Zeichen dafür an von Gott auserwählt zu sein. Dieses ermöglichte die Anhäufung von Kapital, wobei das Protzen und Zurschaustellen von Reichtum auch den Puritanern verpönt war. Es galt die Handlungsmaxime: „Viel arbeiten, Reichtümer anhäufen, jedoch den verdienten Reichtum nicht zu genießen. Es wurde zu einer Art heiligen Pflicht wohlhabend zu sein.“[43]
„Wenn Gott euch einen Weg zeigt, auf dem ihr ohne Schaden für eure Seele oder für andere in gesetzmäßiger Weise mehr gewinnen könnt als auf einem anderen Wege, und ihr dies zurückweist und den minder gewinnbringenden Weg verfolgt, dann kreuzt ihr eine der Zwecke eurer Berufung, ihr weigert euch, Gottes Verwalter zu sein und seine Gaben anzunehmen[...].“[44]
Somit war die Basis für das kapitalistische Arbeitssystem geschaffen. Das Anhäufen von Kapital, zuvor im Christentum als sündhaft etikettiert, wurde nun im Namen des Herren betrieben. Dieses zu verweigern wurde als Sünde angesehen.
Der Satz des Politikers und Erfinders Benjamin Franklin (1706 – 1790): Time is money, entsprach genau den Anschauungen jener Zeit. Es galt, die (Lebens-) Zeit möglichst effektiv im Streben nach Arbeit und verdientem Kapital zu nutzen. Zeit für andere Dinge des Lebens zu verschwenden galt als unsittlich, unehrenhaft und kam einer Sünde gleich. Benjamin Franklin rechnete es den Menschen genau vor:
„...wer täglich 10 Schillinge durch seine Arbeit erwerben könnte und den halben Tag spazieren geht oder auf seinem Zimmer faulenzt, der darf, auch wenn er nur 6 Pence für sein Vergnügen ausgibt, nicht dies allein berechnen, er hat neben dem noch 5 Schillinge ausgegeben oder vielmehr weggeworfen.[...] Wer nutzlos Zeit im Wert von 5 Schillingen vergeudet, verliert 5 Schillinge und könnte ebenso gut 5 Schillinge ins Meer werfen.“[45]
Dieser prägnante Satz von Franklin ist nach wie vor aktuell und treibt auch heute noch die Weltwirtschaft an.
2.3.1 Die Ökonomisierung der Arbeit
Adam Smith legte im 18. Jahrhundert den Grundstein für die moderne Marktwirtschaft. In seinem Hauptwerk: Wohlstand der Nationen – Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen (1776), beschrieb er die menschliche Arbeit und die Arbeitsteilung als ökonomische Größen, die den Wohlstand einer Nation erhöhen.
Jan Kruse beschreibt, dass infolge dessen Arbeit zum wahren Tauschwert aller Produkte, in ein regelrecht metrisches System eingebunden und schließlich zu einer nationalen Aufgabe erklärt wurde, da sie als Urheber des nationalen Wohlstands galt.[46]
Adam Smith kalkulierte die Arbeit anhand der einzelnen Arbeitsschritte. In diesem atomisieren von Produktionsabläufen erkannte er ein quantitativ höheres Arbeitsergebnis. Dieses veranschaulichte er anhand eines Beispiels aus einer Nagelfabrik:
Er kalkulierte, dass ein einzelner Arbeiter in einer Nagelfabrik lediglich ein paar hundert Nägel pro Tag herstellen konnte. Durch die neuen Prinzipien der Arbeitsteilung, wonach die Produktion in einzelne Teilarbeiten, die jeweils von einem Arbeiter übernommen wurden, zerlegt wurde, könne jeder Nagelmacher 4800 Nägel pro Tag herstellen. Der somit ermöglichte erweiterte Handel mit Nägeln, würde eine größere Nachfrage nach diesen auslösen und zu größeren Fabriken mit ausgeprägter Arbeitsteilung führen.[47]
In der ökonomischen Geschichtsschreibung wird Smith somit zum Vater der modernen Marktwirtschaft und Begründer der klassischen Nationalökonomie. Allerdings nahm er selbst diese Art von Tätigkeit als äußerst kritisch wahr. Smith erkannte, dass diese Form der Arbeitsteilung die Arbeiter zu einer stumpfen und langweiligen Routine ihres Arbeitsalltags zwingen würde. Diese Routine würde an einem bestimmten Punkt selbstzerstörerisch, da die Menschen die Kontrolle über ihre eigenen Handlungen verlieren und dieses ein geistiges Absterben bedeute.[48]
2.4 Aufklärung 18./19. Jahrhundert
Das ausgehende 18. Jahrhundert, bis in die Mitte des 19. Jahrhundert hinein, stand im Zeichen der Aufklärung. Fortschritt wurde nun zum bedeutenden Element der Gesellschaft und Arbeit zum Garant des persönlichen Glücks, wobei sie allerdings zunehmend an sakraler Bedeutung verlor.[49] Arbeit wird lediglich als natürliche Mühsal, im Streben nach Glück oder als Pflicht (für sich und seine Verwandten zu sorgen) gesehen.[50]
Die Anfänge der Industrialisierung ermöglichen ein Durchbrechen des angeborenen sozialen Ranges durch persönliche Leistung. Es wurde vermehrt von einem Recht auf Arbeit gesprochen und der Arbeit der Stellenwert eines Menschenrechts zugeschrieben. Der Adel, als müßiggängerische und nicht arbeitende Klasse, geriet zusehends ins Visier der Kritik.[51]
„Marx und Engels schreiben 1848, dass die bürgerlichen Revolutionen den »Sieg der Industrie über die heroische Faulheit« markiere, [...] Die Revolutionen von 1848 fordern das Recht auf Arbeit in einem Atemzug mit den Menschenrechten, und die sozialistische Revolution findet von vornherein im Namen der arbeitenden Klasse statt.“[52]
Die Abgrenzung zum Müßiggang des Adels dient in diesem Zusammenhang interessanterweise als Lockmittel tausender Arbeiter in die Fabriken der nun folgenden Zeit der Industrialisierung und verdeutlicht die veränderte Bedeutung von Arbeit, die nun als angestrebtes Recht gilt und den Menschen so schmackhaft gemacht werden konnte.
2.5 Die Industrialisierung
Die Industrialisierung (lat. Industria: Fleiß/Betriebsamkeit), die bereits gegen Mitte des 18.Jahrhundert in Großbritannien ihre Anfänge nahm, gilt als jener zeitliche Abschnitt, der unser heutiges Arbeitsbild bezüglich der gesellschaftlichen Bedeutung der Erwerbsarbeit, der Arbeitsmoral, des Arbeitsfleißes, der Arbeitsprozesse und Arbeitsorganisationen am wesentlichsten geprägt hat. Auch wenn die Weichen bezüglich der gesellschaftlichen Bedeutung von Arbeit und Fleiß und die Ächtung des Müßiggangs bereits in vielen Prozessen zuvor gestellt wurden, steht die Industrialisierung ganz im Zeichen der Institutionalisierung von Arbeit. Arbeit wird erst im Zuge der Industrialisierung zum Mittelpunkt des Lebens. Sowohl die Wohnverhältnisse, Tagesablauf, Lebensstruktur, als auch die sozialen Beziehungen werden nun von der Arbeit mitbestimmt.
Durch eine Reihe von bahnbrechenden Erfindungen, wie beispielsweise wassergetriebenen Spinnmaschinen (1769), des mechanischen Webstuhls (1785) und nicht zuletzt der Dampfmaschine (1777) konnten Waren (insbesondere Textilien) in Massenproduktionen hergestellt werden, was zu einer enormen Nachfrage nach Rohstoffen führte. Aufgrund dieser Nachfrage veränderten sich nicht nur die Arbeitsbedingungen in den Industriezentren, sondern auch die der kleinen Familienbetriebe auf dem Land (z.B. Webereien), da auch diese nun größere Mengen an Material verarbeiten mussten, um den angeforderten Nachschub für die Weiterverarbeitung in den städtischen Fabriken zu gewährleisten.[53]
Diese Nachfrage nach Rohstoffen belebte auch alle anderen Arbeitsbereiche und sorgte für einen enormen Bedarf an Arbeitskräften. Gleichzeitig setzte die fortschreitende Verwendung von Maschinen in der Landwirtschaft eine Vielzahl von Arbeitskräften frei. Die Bereiche des Handels, des Transportwesens, der Eisen- und Metallverarbeitung sowie der Bergbau und das Hüttenwesen wurden zu den bedeutendsten Arbeitsbereichen für die Menschen.[54]
„In etwa demselben Zeitraum (1760 und 1851) ging der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten von etwa 50 auf 15 Prozent zurück, und der Anteil der in der Industrie, im Bergbau sowie im Handel und im Transportwesen Beschäftigten stieg von maximal 25 Prozent in 1760 auf 63 Prozent im Jahre 1851.“[55]
Begünstigend für die nachfolgende Landflucht war die Bevölkerungsexplosion gegen Ende des 18. Jahrhunderts.
Das Leben und Arbeiten in der Stadt erforderte von den zuvor größtenteils auf dem Land lebenden Menschen eine komplette Umgewöhnung, sowohl in Bezug auf die Wohn- und Lebensverhältnisse, als auch auf die Arbeitsbedingungen.
War das Arbeiten zuvor dadurch gekennzeichnet, dass es den Wetterbedingungen, Tages- und Nachtzeiten, saisonalen Beschäftigungsrhythmen, sowie den Jahreszeiten unterlag, gab es nun feste Arbeitsschichten zwischen 14-16 Stunden täglich. Den Rhythmus der Arbeit bestimmten die Maschinen (und die Vorarbeiter), Pausen (soweit es sie gab) wurden, ohne Rücksicht auf die Befindlichkeit der Arbeiter, nach festen Uhrzeiten eingelegt. Die zu verrichteten Arbeiten waren nun größtenteils standarisiert, so dass die Arbeitsergebnisse messbar waren, was zu Konkurrenzdruck in der Arbeitnehmerschaft führte (insbesondere in den Betrieben in denen die Akkordarbeit eingeführt wurde).[56]
Wurde zuvor in kleinen Familienbetrieben (Spinnereien oder landwirtschaftlichen Betrieben) gearbeitet, fand mit der Industrialisierung eine Trennung von Arbeitsleben/-ort und Familienleben/-ort statt, die zu einem Verlust von Familien-, bzw. Dorftraditionen führte. Das durch Familie und Haus- bzw. Dorfgemeinschaft geprägte soziale Umfeld wich nun dem allein durch Arbeit beeinflussten Milieu.[57]
Die Unterbringung der Arbeiter, die von außerhalb kamen, erfolgte zum Teil in Schlafsälen, die in der Nähe der Fabriken angesiedelt waren. Hier waren auch die Arbeiter ohne Familien untergebracht. Jene Arbeiter, die mitsamt ihrer Familien in die Städte gezogen waren, waren in den eigens zu diesem Zweck errichteten Arbeitersiedlungen untergebracht. Diese Wohnungen wurden auf engstem Raum und zunächst ohne sanitäre Anlagen oder ausreichender Trinkwasserversorgung/Müllentsorgung errichtet. Nachdem Choleraepidemien 1831-32 in England 32000Menschen (1847-48 noch einmal 50000 Menschen) das Leben kostete, wurde die Bedeutung der Hygiene und Unerlässlichkeit einer Kanalisation erkannt und umgesetzt. Zudem gab es
zunehmend auch eine Trinkwasserversorgung, das Wasser musste jedoch meistens von den Verbrauchern bezahlt werden.[58]
Diese schlechte Versorgung der Arbeiterklasse sorgte auch dafür, dass diese eine wesentlich kürzere Lebenserwartung hatte, als die Landbevölkerung und die Menschen, die zur Oberschicht in den Städten gezählt wurden.
„Allerdings waren die schichtenspezifischen Unterschiede in der Lebenserwartung in Fabrikstädten viel größer als auf dem Land. So betrug in typischen Industriestädten wie Manchester, Bolton, Leeds die durchschnittliche Lebenserwartung in der Oberschicht 38, 34 und 44 Jahre, bei Arbeitern und Handwerkern jedoch nur 17, 18 und 19 Jahre. Ausschlaggebend für diese niedrige Lebenserwartung war die enorm hohe Kindersterblichkeit (in Arbeiterkreisen erreichten nur etwa 50 bis 40 Prozent der Kinder das 5. Lebensjahr), aber auch der viel höhere Anteil von Epidemien und Berufskrankheiten als Todesursache. In einer typischen Textilstadt wie z.B. Oldham (Lancashire) belief sich die Zahl der Tuberkulotiker auf das Zweifache und bei Frauen zwischen 25 und 43 (überwiegend Textilarbeiterinnen) auf das Dreifache des Landesdurchschnittes.“[59]
Es brauchte einige Zeit, bis die Arbeiter sich an diese neuen (und nicht selten menschenunwürdigen) Arbeits- und Lebensbedingungen gewöhnt hatten.
„Alles in allem dauerte es etwa zwei bis drei Generationen, bis es gelungen war, die neue Zeitökonomie, das »Zeit ist Geld« -Prinzip den Fabrikarbeitern einzubleuen und das pünktliche Erscheinen am Arbeitsplatz, das regelmäßige Arbeiten in der gesamten Arbeitszeit, die Unterordnung unter den Rhythmus der maschinellen Produktion, den Verzicht auf eigene Gestaltung der Arbeitszeit im Bewusstsein der Arbeiter als Norm zu verankern, d.h. die neuen Verhaltensweisen und Arbeitsgewohnheiten zu internalisieren.“[60]
Um sich nicht ständig dem Widerwillen der Fabrikarbeiter stellen zu müssen, wurden in den ersten Generationen auch häufig Kinder für die Arbeiten eingesetzt, da diese leichter zu beherrschen und zur Fabrikarbeit zu erziehen waren.
Die Arbeit wurde letztlich zu einem gesellschaftlichen Erziehungsmittel, welches den Menschen Fleiß, Gehorsam, Disziplin, Unterordnung, Fügsamkeit etc. beibringen sollte, also jene Tugenden, die für eine funktionierende Fabrikarbeit unerlässlich waren. Ein weiterer angenehmer Nebeneffekt bestand darin, dass die Menschen diese Tugenden auf das gesamtgesellschaftliche Leben übertrugen, was die Arbeit somit zu einem Garant für Recht und Ordnung machte.[61]
„Die Arbeit ist damit zum Leitstern der Gesellschaft geworden, zum Wert an sich. Sie ist nicht nur für die aufstrebende Wirtschaft von größtem Vorteil, sondern auch für jeden Einzelnen, und zwar für den Geldbeutel genauso wie für die Seele. Sie sorgt für einen guten Ruf bei den Nachbarn und legt gleichzeitig ein gutes Wort bei Gott ein.“[62]
Diese neu entstandene Arbeiterklasse, die zuvor stark durch ihre familiären, beruflichen und ortsabhängigen Traditionen beeinflusst war, entwickelte in der kommenden Zeit zusehends ein proletarisches Bewusstsein Es entstand somit der Lohnarbeiter-Typ, der sich von dem zuvor vorherrschenden Pauper-Typ (Tagelöhner, die in Armut lebten) abhob. Diese proletarische Klasse setzte sich nun auch zusehends gegen die ausbeuterischen und unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen, unter denen sie zu leiden hatten, zur Wehr. Hieraus entstand eine Solidarität, die dazu beitrug, ihre neue Identität als Arbeiterklasse auszuformulieren.[63]
Interessant erscheint mir hier die Tatsache, dass die Menschen begannen, ihre neue Identität letztlich allein durch ihre Arbeit auszubilden. Jahrhunderte alte Traditionen wurden nun von Traditionen innerhalb des neu entstandenen proletarischen Bewusstseins abgelöst und somit rückte die Arbeit in den Mittelpunkt des Seins. Diesen Stellenwert hat sie bis in unsere heutige Zeit beibehalten.
2.6 Schlussfolgerungen
Selbstverständlich endet die Geschichte der Arbeit nicht mit der Zeit der Industrialisierung, sondern reicht in ihrer Entwicklung bis in die heutige Zeit hinein und prägt weiterhin unser Verständnis von Arbeit. Jedoch scheinen zunächst an dieser Stelle die Grundpfeiler für den Stellenwert der Arbeit unserer Gesellschaft gelegt, so dass sich weitere Einzelheiten m.E. erübrigen.
Ich habe gezeigt, wie das Verständnis von Arbeit sich über die verschiedenen Epochen von Arbeit als unwürdiger Tätigkeit (Antike), heiliges Werk in der Fortsetzung Gottes Werkes (MA; Christentum), in dem jedoch das Seelenheil noch Vorrang hatte, über die akzeptierte Anhäufung von Kapital und damit der Verurteilung des Müßiggangs als Sünde (Puritanismus), zum Verlust des sakralen Elements der Arbeit (Aufklärung), in der Arbeit als Pflichterfüllung und Sinnstiftung fungierte, bis hin zum heutigen Verständnis, in dem Arbeit die Lebensstrukturen bestimmt und mit Enttraditionalisierung einhergeht, entwickelte.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass dieser geschichtliche Ablauf lediglich die Geschehnisse in Europa (die mit denen in Amerika vergleichbar sind) wiedergibt, und dass in vielen Ländern (beispielsweise in Südostasien) die Menschen noch in ähnlichen Arbeitsverhältnissen tätig sind, wie sie hier in der Hoch-Zeit der Industrialisierung stattgefunden haben. Die Arbeitsbedingungen, wie sie beispielsweise in vielen Fabriken in Asien (z.B. Sweat-Shops) vorherrschen, sind durchaus mit jenen Arbeits- und Lebensbedingungen zu vergleichen, die in Europa während des Höhepunktes der Industrialisierung vorzufinden waren.
Der Einblick in die Geschichte der Arbeit hat deutlich gemacht, dass die Form der Erwerbsarbeit unserer heutigen Kultur (die für die Mehrheit der Menschen nicht wegzudenken ist) eine Entstehungsgeschichte hat, und sich das Verhältnis der Menschen zu Arbeit somit über lange Zeiträume hinweg gewandelt hat. Tatsächlich sind die derzeitigen Arbeitsbedingungen in den industrialisierten Kulturen vergleichsweise neu, in Anbetracht der Dauer anderer Verhältnisse im Zeitgeschehen. Dennoch ist es gelungen, den Menschen in den letzten 200-250 Jahren, seit Beginn der Industrialisierung, zu indoktrinieren, dass Erwerbsarbeit unter eben diesen Bedingungen der Industrialisierung stattfinden muss.
Damit soll dieser Überblick zur Entstehungsgeschichte unseres heutigen Arbeitsbewusstseins und der gesellschaftlichen Bedeutung von Arbeit dazu dienen, das Bewusstsein für andere Formen von Arbeit, wie ich sie in Kapitel 5 vorstellen werde, zu sensibilisieren.
Arbeit macht das Leben süß!
so süß wie Maschinenöl!
Volksmund
3. Arbeit, Identität, soziale Integration - Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Erwerbsarbeit
In den industrialisierten Erwerbsarbeitsgesellschaften dient die Arbeit weit mehr als lediglich dem Broterwerb. Erwerbsarbeit ist zur „Achse der Lebensführung“[64] geworden. Die Vorbereitung darauf lässt sich schon im kindlichen Spiel beobachten. Helmut Fend beschreibt, dass sich die Entstehung von Berufswünschen bereits im frühkindlichen Spiel entwickelt. Hier wird der Beruf eines Elterteils, bzw. beobachtete Berufe (Müllfahrer, Postboten, Verkäufer etc.), in das kindliche Spiel integriert. Dieser Prozess wird mit steigendem Alter weiter ausdifferenziert.[65]
Nach Ulf Fink erfährt der Heranwachsende den Beruf über den Vater (oder die Mutter, J.B.) als „Schlüssel zur Welt“[66].
Die Schulzeit steht ganz im Zeichen der Vorbereitung auf die Erwerbstätigkeit. Die Funktion der Schule liegt „in der Sicherung eines für Gesellschaft und Ökonomie funktional notwendigen Bestands an Wissen und Können“[67]. Hierbei geht es sowohl um grundlegendes Wissen und Können, wie Schreiben und Lesen, als auch um den Erwerb spezifischer Berufsqualifikationen. Das Ziel der schulischen Ausbildung liegt somit in der Befähigung zur Berufsausübung.
Aus entwicklungspsychologischer Sicht stellt die Entwicklungsaufgabe des Herausbildens von Berufswünschen für Jugendliche einen entscheidenden Grundpfeiler auf ihrem Weg, vom Status: Jugendlich - zum Status: Erwachsen, dar. Die positive Bewältigung dieser Entwicklungsaufgabe dient der Gestaltung und Ausformulierung ihrer Identität.[68] Letztere unterliegt somit den Möglichkeiten, die Jugendliche auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt erhalten oder eben nicht erhalten.
„Das Erwachsensein steht ganz unter den Sternen der Erwerbsarbeit ...“[69]
Hier ist nicht nur die direkt mit Erwerbsarbeit verbrachte Zeit gemeint, sondern eben auch die Zeit außerhalb, vor und nach der Arbeit. Auch Zeiten wie Feierabend, Urlaub etc. werden in Beziehung zur Erwerbsarbeit gesetzt und sollen zur Regeneration der Arbeitenden dienen, um letztlich wieder vollkommen arbeitsfähig zu sein.
Letztendlich wird selbst das Alter dadurch definiert, dass die betreffende Person in den Ruhestand eingetreten ist, also nicht mehr am Erwerbsarbeitsleben teilnimmt.
Hieraus wird deutlich, dass die Erwerbsarbeit sowohl für die Bildung der Identität, als auch für die Lebensgestaltung insgesamt, als ausschlaggebender Faktor anzusehen ist.[70]
Ulf Fink begründet diesen hohen Stellenwert der Erwerbsarbeit damit, dass sie neben dem Broterwerb auch noch einen wichtigen Beitrag zur Selbstverwirklichung, personalen Freiheit, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit des Menschen leistet. Er beschreibt weiter, dass die Arbeit aufgrund ihrer Produktivität für die Gesellschaft unerlässlich sowie für das Individuum, aufgrund ihrer befreienden emanzipatorischen Wirkung, bedeutsam ist.[71]
Inwieweit diese positiven Aspekte der Selbstverwirklichung, personalen Freiheit, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit sowie die befreiende emanzipatorische Wirkung der Erwerbsarbeit in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit und den daraus hervorgehenden prekären Arbeitsformen (hierzu gehören Teilzeitarbeitsverhältnisse, geringfügige Arbeitsverhältnisse sogenannte 400 Euro Jobs, befristete Arbeitsverhältnisse, Zeit- bzw. Leiharbeitsverhältnisse) wirksam sind, möchte ich an dieser Stelle in Frage stellen.
Opaschowski[72] hat hierzu folgende Zahlen[73] veröffentlicht:
Demnach haben 1996 von jeweils 100 Befragten 31 geäußert, sie könnten sich durch ihre Erwerbsarbeit selbst verwirklichen. 1999 lag dieser Anteil nur noch bei 28.
Die Zahlen von 1999, unterteilt in einzelne Berufsgruppen, ergaben folgende Ergebnisse:
41% der Selbständigen, 34% der leitenden Angestellten, 33% der Beamten, 30% der Angestellten, sowie 20% der Arbeiter, von jeweils 100 Befragten, äußerten, sie könnten sich durch ihre geleistete Erwerbsarbeit selbst verwirklichen.
Meines Erachten deuten diese Zahlen eher auf eine geringe Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit hin. Hierbei sind noch nicht diejenigen erfasst, die in prekären Arbeitsformen beschäftigt sind. Es lässt sich vermuten, dass die Möglichkeit der Selbstverwirklichung, aufgrund mangelnder Übertragung von Verantwortung und Eigenständigkeit, noch geringer ausfällt.
Christine Morgenroth beschreibt, dass die Erwerbsarbeit für die Lebensgestaltung und Identitätsentwicklung des Menschen, nach wie vor einen zentralen Stellenwert besitzt. Sie sagt dazu, dass „ ... solange soziale Anerkennung, Zugehörigkeit und Reputation über Erwerbsarbeit vermittelt sind, solange Produktivität, Effektivität und damit erzielter materieller Status die wesentlichen Faktoren sind, an denen sich Erfolg und Einfluss eines Menschen messen lassen, solange muss Erwerbsarbeit die Schnittstelle bleiben, an der individuelle Beteiligungswünsche an die Gesellschaft und die angebotenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zusammentreffen.“[74]
Dies beinhaltet meines Erachtens jedoch auch im umgekehrten Sinne die mangelnde soziale Anerkennung, Zugehörigkeit und Reputation aufgrund mangelnder Beteiligungschancen an Erwerbsarbeit, wie es insbesondere in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit der Fall ist. Christine Morgenroth entwirft hier ein Bild, als sei die materielle Entlohnung und der damit verbundene Status direkt auf die Produktivität und Effektivität der Arbeitnehmer zurück zuführen. Meines Erachtens unterliegt die materielle Entlohnung der Erwerbsarbeit jedoch weniger dem produktiven oder effektiven Einsatz der Arbeitenden, als vielmehr den Machtstrukturen innerhalb der Erwerbsgesellschaft.
Dies lässt sich beispielhaft anhand der Vergütungssteigerung in fünf großen (zum Teil) deutschen Unternehmen (Deutsche Bank, Daimler Chrysler, Bayer, BMW, BASF) veranschaulichen.[75] Hier sind in den Jahren zwischen 1997 und 2003 die Löhne und Gehälter der Mitarbeiter um lediglich 1,4% gestiegen. Im gleichen Zeitraum wurden die Vorstandsbezüge um 88,8% (zwischenzeitlich gar um 92,1%) erhöht. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass ein Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank 6,28 Millionen Euro/Jahr, bei Daimler Chrysler 2,63 Millionen Euro/Jahr, bei Bayer 2,41 Millionen Euro/Jahr, bei BMW 1,98 Millionen Euro/Jahr, bei BASF 1,75 Millionen Euro/Jahr verdienen.
Diese enormen Summen lediglich der Produktivität und Effektivität dieser Vorstände zuzuschreiben, erscheint mir nicht realistisch.
Christine Morgenroth beschreibt, dass die traditionelle Orientierung auf Erwerbsarbeit auch heute noch bei den Jugendlichen Bestand hat. Hier stützt sie sich auf die Erkenntnisse der Shell Studie 1997, wonach 67% der befragten Jugendlichen angaben, Arbeitslosigkeit sei das Hauptproblem junger Menschen, sowie 67% der Jugendlichen, als wichtigste Zukunftsaufgaben von Politik und Gesellschaft den Arbeitsmarkt nannten.[76]
Sie benennt Untersuchungen,[77] denen zufolge auch bei jungen Menschen in niedrig qualifizierten Beschäftigungen die subjektiv empfundene Arbeitszufriedenheit und –identität, die soziale Akzeptanz am Arbeitsplatz, interessante Arbeitsinhalte sowie die Möglichkeit der Selbstverwirklichung durch die geleisteten Arbeiten als wichtiger erachtet wurden, als die Höhe ihres Einkommens. Die subjektiv-sinnhaften Arbeitsorientierungen überwiegen demnach den materiell-reproduktionsbezogenen Arbeitsorientierungen.[78]
Diese Erkenntnisse bestätigen das Bild, wonach Arbeit mehr ist als Broterwerb und dass auch Jugendliche nach einer subjektiven Bereicherung durch Erwerbsarbeit suchen, die jenseits des materiellen Verdienstes liegen.
Wie die Ergebnisse von Heiner Keupp[79] ergaben, gelingt es Jugendlichen auch in Zeiten der Entstandarisierung von Erwerbsarbeit, die den Bruch einer vormals lebenslangen und einheitlichen Berufstätigkeit durch heutige zwischenzeitliche Erwerbslosigkeit (dynamische Arbeitslosigkeit) meint, ihre berufliche Identifikation eigenständig und kreativ auszuformulieren.
Die frühere Berufsidentität, die aus dem subjektiv erfahrenen Zugehörigkeitsgefühl zu einem Beruf oder einem Betrieb entstanden ist, weicht einer Arbeitsidentität, die sich durch Leistungsbereitschaft, Arbeitsorientierung, individuelle Kompetenzen und Sinnansprüche an die konkrete Arbeit auszeichnet.
Morgenroth beschreibt, dass die Teilhabe an Erwerbsarbeit bis heute für viele Menschen die wichtigste und nicht selten einzige Möglichkeit darstellt, um ein Zugehörigkeitsgefühl, Anerkennung, soziale Beziehungen sowie Wertschätzung zu erleben, wonach die Bedeutung der Erwerbsarbeit für die Lebensgestaltung und das Wohlbefinden eher noch wichtiger geworden sind.[80]
Diese hohe Bedeutung der Erwerbsarbeit auf die Lebensgestaltung und das Wohlbefinden der Menschen führt dazu, dass Erwerbsarbeit nach wie vor die Rolle der „Mitte der Lebensplanung und Lebensführung“[81] einnimmt.
Nach Ulrich Beck konditioniert der Staat die Menschen dahingehend, „dass er alles, was Sicherheit bietet gegen die Wechselfälle des Lebens, gegen Krankheit und Arbeitslosigkeit, gegen Unfall, Altersarmut und Pflegebedürftigkeit, an den Besitz einer bezahlten Arbeitsstelle bindet.“[82] Beck beschreibt weiter, dass der Staat jedoch seine Rolle als Arbeitgeber, in Anbetracht der leeren öffentlichen Kassen, immer weiter zurück nehmen und diese „ ... Schlüsselverantwortung gegenüber Gesellschaft und Demokratie – die Sicherung von Arbeitsplätzen ...“[83] an die Wirtschaft abtreten muss.
Hierin zeigt sich meines Erachtens ein weiterer Aspekt, der die Um- bzw. Neugestaltung der Erwerbsarbeitsgesellschaft notwendig macht. Der Staat fordert einerseits eine Beteiligung der Menschen an der Erwerbsarbeit ein und knüpft die Absicherung der Menschen gegen die Wechselfälle des Lebens an die Beteiligung an Erwerbsarbeit, ist aber anderseits nicht mehr in der Lage, Menschen diese Beteiligung zu ermöglichen.
Sikora[84] macht folgende Merkmale der Erwerbsarbeit für ihre strukturierende Kraft in Bezug auf die Identität und Lebensplanung der Menschen verantwortlich:
- Erwerbsarbeit ist für die überwiegende Mehrheit in unserer Gesellschaft die einzige Möglichkeit der persönlichen Existenzsicherung,
- Erwerbsarbeit vermittelt die Beteiligung am produktiven Wertzuwachs und dadurch gesellschaftliche Anerkennung für die an ihr beteiligten,
- Der individuelle und gesellschaftliche Lebensrhythmus ist an die Organisation und Zeitstruktur der Erwerbsarbeit gebunden,
- Familie und Partnerschaft werden an die funktionalen Vorgaben der Erwerbsarbeit orientiert und an ihren Bedingungen ausgerichtet,
- Bildung und Ausbildung werden in Bezug auf ihre Verwertbarkeit in den Produktionsprozessen konzipiert und gelehrt,
- Die natürlichen Grundlagen des Lebens werden als Ressourcen des Wirtschaftsprozesses instrumentalisiert,
Obwohl der hohe Stellenwert der Erwerbsarbeit, gebunden an die genannten Merkmale, in den industriellen Erwerbsarbeitsgesellschaften obligatorisch erscheint, hatte sie diesen Status, wie bei der historischen Betrachtung (siehe Kapitel Nr.2 der vorliegenden Arbeit) deutlich wird, nicht immer inne.
Beck beschreibt diesen gesellschaftlichen Aufstieg der Erwerbsarbeit wie folgt: „Die Arbeit, die in der griechischen Antike, beispielsweise bei Sokrates und Platon, als nicht menschenwürdig galt und deshalb von Sklaven verrichtet wurde, ist längst zur einzigen relevanten Quelle und zum einzig gültigen Maßstab für die Wertschätzung unserer selbst und anderer Menschen geworden.“[85] Er beschreibt diese Bedeutungszunahme der Arbeit, als eine „Tellerwäscher-Karriere“.[86] „Sie ist vom Makel, vom Ausschlusskriterium zur unersetzbaren Sinnmitte der Gesellschaft aufgestiegen, umgewertet worden.“[87]
[...]
[1] Arendt, Hannah, 1981, S.12.
[2] »Berliner Rede« von dem ehemaligen Bundespräsident Roman Herzog am 26.04.1997. Zit. nach Sikora, Joachim 2002, S.11.
[3] Brecht, Berthold: Flüchtlingsgespräche. Berlin/Frankfurt am Main 1962, S.7. Zit. nach: Opaschowski 2001, S.83.
[4] Rürup, Bert: Arbeit der Zukunft – Zukunft der Arbeit. In: Hoffmann, Hilmar/Kramer, Dieter (Hrsg.) 1994, S.35.
[5] Arendt, Hannah 1981, S.14.
[6] ebenda, S.99 ff.
[7] Kruse, Jan 2002, S.21.
[8] Vgl. Klug-Götz, Etymologisches Wörterbuch, Berlin 1951. In: Kruse, Jan 2002, S.21 ff.
[9] DTV Lexikon Band 1 1997, S.248.
[10] Krebs, Angelika: Arbeit und Liebe. Die philosophische Grundlagen sozialer Gerechtigkeit. Frankfurt/Main 2002. Zit. nach: Galuske, Michael 2002, S.29.
[11] Vgl. Beck, Ulrich 1986, S.221.
[12] Vgl. Sikora, Joachim 2002, S. 59.
[13] Zit. nach: Sikora, Joachim 2000, S.60.
[14] Dahrendorf, Ralf: Arbeit und Tätigkeit – Wandlungen der Arbeitsgesellschaft, S.26. In: Afheldt, Heik/Rogge, Peter G. (Hrsg.): Geht uns die Arbeit aus?, Stuttgart 1983, S.23 ff. Zit. Nach: Sikora, Joachim 2002, S.60.
[15] Hann, Christopher, in Kocka, Jürgen/ Offe, Claus 2000, S.24.
[16] ebenda, S.26.
[17] Vgl. Kocka, Jürgen/ Offe,Claus 2000, S.55.
[18] Vgl. Braig, Axel/Renz, Ulrich 2001, S.96.
[19] Im lateinischen wird das Wort für Tätigkeit mit neg-otium bezeichnet, was als Un-Ruhe übersetzt werden kann.(J.B.)
[20] Braig Axel/Renz, Ulrich 2001, S.97.
[21] Vgl. Offe, Claus/ Kocka, Jürgen 2000, S. 57 ff.
[22] Vgl. Offe, Claus/ Kocka, Jürgen 2000, S.61.
[23] Anm. des Autoren: Metöken (grch. Mitbewohner), ortsansässige Fremde, die keine politischen Rechte besaßen und eine besondere Steuer zahlen mussten, sowie Kriegsdienst leisteten., Quelle: DTV-Lexikon 1997, Band 12, S.76.
[24] Vgl. Kruse, Jan 2002, S.63.
[25] Vgl. Renz, Ulrich/Braig, Axel 2000, S.101.
[26] Vgl. Offe, Claus/ Kocka, Jürgen 2000, S. 155.
[27] Vgl. Kruse, Jan 2002, S.68ff.
[28] Vgl. Renz, Ulrich/Braig, Axel 2001, S.102.
[29] Oexle, Otto Gerhard: Arbeit, Armut, Stand im Mittelalter. In: Kocka, Jürgen/ Offen, Claus 2000, S.69.
[30] Vgl. Renz, Ulrich/Braig, Axel 2001, S.101.
[31] ebenda, S.101.
[32] Braig, Axel./Renz, Ulrich 2001, S.101.
[33] Lutherbibel 1995: Genesis 3, 19.
[34] Giarini, Orio/ Liedtke, Patrick M. 1997, S.32.
[35] Lutherbibel: Zweiter Brief des Paulus an die Thessaloniker, 3, 10.
[36] Vgl. Braig, Axel./Renz, Ulrich 2001, S.100.
[37] Oexle, O.G. Arbeit, Armut, Stand im Mittelalter, In: Kocka, Jürgen./ Offe, Claus 2000, S.70.
[38] Vgl. Braig, Axel./Renz, Ulrich 2001, S. 105.
[39] Martin Luther: „Kritische Weimarer Ausgabe“ Band 29 1941, S.442. Zit. nach: Braig, Axel./Renz, Ulrich 2001, S.105.
[40] Vgl. Braig, Axel/Renz, Ulrich 2001, S.108.
[41] Giarini, Orio/ Liedtke, Patrick M. 1997, S.32.
[42] Giarini, Orio/ Liedtke, Patrick M. 1997, S.33.
[43] Braig, Axel./Renz, Ulrich 2001, S.106.
[44] Richard Baxter (anglikan. Theologe 1615-1691), zitiert nach Max Weber: Die protestantische Ethik. Eine Aufsatzsammlung, S. 172. Gütersloh 1991. In: Braig, Axel./Renz, Ulrich 2001, S.106.
[45] zitiert nach Max Weber: Die protestantische Ethik. Eine Aufsatzsammlung, Gütersloh 1991, S. 40 ff. In: Braig, Axel/Renz, Ulrich 2001, S.107.
[46] Vgl. Kruse, Jan 2002, S.130.
[47] Vgl. Sennett, Richard 1998, S.43ff.
[48] Vgl. ebenda, S.46.
[49] Braig, Axel/Renz, Ulrich 2001, S.108.
[50] Vgl. Giarini, Orio/ Liedtke, Patrick M. 1997, S.33.
[51] Vgl. Braig, Axel/Renz, Ulrich 2001, S.109.
[52] ebenda, S.108.
[53] Kocka, Jürgen/ Offe, Claus 2000, S.201 ff.
[54] Eggebrecht, Arne (u.a.) 1980, S. 193.
[55] Vgl. Kocka, Jürgen./Offe, Claus 2000, S.194.
[56] Vgl. Kocka, Jürgen./Offe, Claus 2000, S.206ff.
[57] Vgl. ebenda, S.198ff.
[58] Vgl. ebenda, S.224.
[59] Vgl. Eggebrecht, Arne u.a. 1980, S.232.
[60] ebenda, S.214.
[61] Vgl. Braig, Axel./ Renz, Ulrich 2001, S.114.
[62] ebenda, S. 116.
[63] Vgl. Eggebrecht, Arne u.a. 1980, S.246.
[64] Beck, Ulrich 1986, S.220.
[65] Vgl. Fend, Helmut 2005, S.369.
[66] Fink, Ulf: Arbeit ist mehr als Broterwerb. In: Hoffmann, Hilmar/Kramer, Dieter (Hrsg.) 1994, S.102.
[67] Fend, Helmut: Theorie der Schule Baltimore/Wien/München 1980, S.15. In: Galuske, Michael 2002, S.122.
[68] Vgl. Fend, Helmut 2005, S.370.
[69] Beck, Ulrich 1986, S.221.
[70] Vgl. Beck, Ulrich 1986, S.220 ff.
[71] Vgl. Fink, Ulf: Arbeit ist mehr als Broterwerb. In: Hoffmann, Hilmar/Kramer, Dieter (Hrsg.) 1994., S.104.
[72] Vgl. Opaschowski, Horst W. 2001, S.76.
[73] Quelle: B.A.T. Freizeit-Forschungsinstitut GmbH
[74] Morgenroth, Christine: Arbeitsidentität und Arbeitslosigkeit – ein depressiver Zirkel, In: Aus Politik und Zeitgeschichte B6-7/2003, S.18.
[75] Zahlen aus: Böhringer, Christine, u.a.: Das globale Job-Roulette. In: Spiegel Special – Globalisierung Nr. 7/2005, S.12.
[76] Vgl. Morgenroth, Christine: Arbeitsidentität und Arbeitslosigkeit – ein depressiver Zirkel, In: Aus Politik und Zeitgeschichte B6-7/2003. S.18.
[77] Vgl. Baethge, Martin: Jugend, Arbeit und Identität. Lebensperspektiven und Interessenorientierungen, Opladen 1988. In: Morgenroth, Christine ebenda, S.18.
[78] Vgl. Morgenroth, Christine ebenda, S.18.
[79] Vgl. Keupp, Heiner u.a.: Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne, Reinbek bei Hamburg 1999. In: Morgenroth, Christine ebenda, S.18
[80] Vgl. Morgenroth, Christine Arbeitsidentität und Arbeitslosigkeit – ein depressiver Zirkel, In: Aus Politik und Zeitgeschichte B6-7/2003. S.19
[81] Beck, Ulrich: Wohin führt der Weg, der mit dem Ende der Vollbeschäftigungsgesellschaft beginnt? In: Beck 2000, S.24.
[82] ebenda, S.24f.
[83] Beck, Ulrich: Wohin führt der Weg, der mit dem Ende der Vollbeschäftigungsgesellschaft beginnt? In: Beck 2000, S.25.
[84] Vgl. Sikora, Joachim 2002, S.49.
[85] Beck, Ulrich 2000, S.35.
[86] ebenda, S.35.
[87] ebenda, S.35.
- Arbeit zitieren
- Diplom Sozialpädagoge/Sozialarbeiter Jörg Bosse (Autor:in), 2006, Das Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft - Neue Aufgaben und Möglichkeiten für die Soziale Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90379
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