Als Enzensberger 1962 mit dem Essay "Bewußtseins-Industrie" eine Sammlung kultur- und medienkritischer, zum großen Teil Ende der 50er Jahre entstandener Essays einleitete, schuf er damit einen begrifflichen Rahmen für das breite thematische Spektrum, welches seine zusammengestellten theoretischen Beiträge abdeckten, die sich zwischen Print- und Bildmedienkritik, Medien-Sprachkritik und theoretischen Stellungnahmen zu alltäglichen gesellschaftlichen Bereichen wie dem des Tourismus oder bürgerlichem Konsumverhalten bewegten.
Er erkannte ein sich zwischen diesen einzelnen Bereichen veränderter gesellschaftlicher Kommunikation erstreckendes Netz von Zusammenhängen, das durch die neuen und sich mit hoher Geschwindigkeit weiterentwickelnden elektronischen Bild- und Tonmedien rasch ausweitete. Eine Benennung des Phänomens, die sich nicht mehr auf rein kulturelle Erscheinungen beschränkte, erschien notwendig, ihre genauere Untersuchung als eine Aufgabe des Intellektuellen, der sich als ein sich des Systems eines industriell gefertigten Bewußtseins Bedienender seiner Rolle als ein Eingebundener, jedoch zu kritischer Stellungnahme Verpflichteter zu stellen hatte. Ziel dieser Arbeit ist es, Enzensbergers Argumentation nachzeichnend, die Charakteristika seines Verständnisses vom Phänomen der "Bewußtseins-Industrie" aufzuzeigen sowie zu untersuchen, inwiefern sich der seiner Begriffsbildung innewohnende Bezug zur 'Kulturindustrie' Th. W. Adornos in ihr manifesiert.
Es handelt sich hier um die zweite Arbeit des Autors zu diesem Thema. Andockend an erste Fragen, die durch die erste Arbeit zur "Bewußtseins-Industrie" hervorgerufen wurden, werden hier die dort angerissenen Themenstränge ein wenig weiter gewoben.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Produktion und Vermittlung von Bewußtsein
1.1. Bewußtsein als gesellschaftliches Produkt
1.2. 'Kulturindustrie' und 'Bewußtseins-Industrie'
1.3. Systemkonservativität, Herrschaftssicherung und immanenter Widerspruch: Hauptcharakteristika der Bewußtseins-Industrie.
2. Der Intellektuelle als Produzent
Zusammenfassung
Bibliographie:
Sekundärliteratur:
Einleitung
Als Enzensberger 1962 mit dem Essay "Bewußtseins-Industrie"[1] eine Sammlung kultur- und medienkritischer, zum großen Teil Ende der 50er Jahre entstandener Essays einleitete, schuf er damit einen begrifflichen Rahmen für das breite thematische Spektrum, welches seine zusammengestellten theoretischen Beiträge abdeckten, die sich zwischen Print- und Bildmedienkritik, Medien-Sprachkritik und theoretischen Stellungnahmen zu alltäglichen gesellschaftlichen Bereichen wie dem des Tourismus oder bürgerlichem Konsumverhalten bewegten.
Er erkannte ein sich zwischen diesen einzelnen Bereichen veränderter gesellschaftlicher Kommunikation erstreckendes Netz von Zusammenhängen, das durch die neuen und sich mit hoher Geschwindigkeit weiterentwickelnden elektronischen Bild- und Tonmedien rasch ausweitete. Eine Benennung des Phänomens, die sich nicht mehr auf rein kulturelle Erscheinungen beschränkte, erschien notwendig, ihre genauere Untersuchung als eine Aufgabe des Intellektuellen, der sich als ein sich des Systems eines industriell gefertigten Bewußtseins Bedienender seiner Rolle als ein Eingebundener, jedoch zu kritischer Stellungnahme Verpflichteter zu stellen hatte.
Ziel dieser Arbeit ist es, Enzensbergers Argumentation nachzeichnend, die Charakteristika seines Verständnisses vom Phänomen der "Bewußtseins-Industrie" aufzuzeigen sowie zu untersuchen, inwiefern sich der seiner Begriffsbildung innewohnende Bezug zur 'Kulturindustrie' Th. W. Adornos[2] in ihr manifesiert.
1. Produktion und Vermittlung von Bewußtsein
1.1. Bewußtsein als gesellschaftliches Produkt
Enzensberger leitet seinen Essay mit der deutlich postulierten Abwendung vom Glauben an ein souverän-individuelles, subjektives Bewußtsein des Menschen ein. Diese "zäh verteitigt[e] [...] Illusion"[3] sei Frucht eines "heruntergekommene[n] bürgerliche[n] [...] Idealismus in Hausschuhen"[4] und wird von ihm kontrastiert mit dem Rückbezug auf Marx und dessen Bezeichnung des Bewußtseins als "gesellschaftliches Produkt"[5], somit Ergebnis der sozialen Umwelt des Individuums[6]. Doch sei die institutionelle Vermittlung des gesellschaftlich produzierten Bewußtseins durch die Person eines sichtbaren Einzelnen, den Lehrer, Meister und Priester, bis zum Zeitalter der Industrialisierung "selbstverständlich"[7] und dadurch "unsicht-bar"[8] geblieben. Das industriell vermittelte Bewußtsein erscheint mithin als relativ junges Phänomen, ein "Kind der letzten hundert Jahre"[9] und erst ab diesem Zeitraum als ein problematischer Faktor.
Das zuvor durch die persönliche Präsenz eines einzelnen Vermittlers deutlich gewordene Moment der 'Unsichtbarkeit' gesellschaftlicher Bewußtseins-Induktion erweist sich jedoch als bloß verlagert: was nunmehr den Augen der Beobachter und Kritiker entgeht, was sie als Ganzes "unbegriffen" - und dadurch 'unsichtbar' - bleiben läßt, sei ihre Entfaltung über ein weit gespanntes Spektrum von Lebensbereichen jenseits der bisherigen engen Sichtweise auf Einzelmedien und die ihnen zugrunde liegenden technischen Neuerungen. Eben diese Totalität schaffe eine Notwendigkeit, sie nicht mehr aus rein technologischer Perspektive zum Diskussionsgegenstand zu erklären.
1.2. 'Kulturindustrie' und 'Bewußtseins-Industrie'
Dieselbe Argumentation - eine angesichts des umfassenden Zugriffs industrieller Steuerung des menschlichen Bewußtseins offenbar werdende Unzulässigkeit des fokussierenden Blicks auf Details, Einzelphänomene oder Sparten führt Enzensberger auch zur Ablehnung des Adornoschen 'Kulturindustrie'-Begriffs als einer ohnmächtigen und verharmlosenden Begriffsbildung, die der "Verdrängung dessen, wovon sie zehrt", der stoffgebenden Inhalte der "Philosophie und Musik, Kunst und Literatur", beispringe[10]. Da Bewußtsein sich industriell nur vervielfältigen, nicht produzieren lasse, die Produktion jedoch von einem mit der Gesellschaft in Dialog tretenden, durch kein industrielles Verfahren ersetzbaren Einzelnen geleistet wird - der eben aufgrund des vermittelnden, nicht produktiven Charakters der Bewußtseins-Industrie in "Schutzhaft" und "Reservate" verwiesen wird[11] - erscheint bereits die im Begriff "Kultur" steckende Mahnung an den subjektiven Ursprung des Produktionsvorgangs als eine "Verdunk[elung]" von sich daraus ergebenden "gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen"[12].
[...]
[1] Enzensberger, Hans Magnus: Bewußtseins-Industrie. In: Ders.: Einzelheiten I. Bewußtseins-Industrie. Frankfurt am Main 1962, S. 7-17. Der titelgebende Beitrag entstand 1962 als Einleitung der Sammlung, die zum Großteil Radio-Essays des damals v.a. als Lyriker und Rundfunkredakteur tätigen Autors versammelte und Enzensbergers erste kritisch-theoretische Textsammlung darstellt (vgl. S. 206 sowie Jakobi 2001, S. 255).
[2] Enzensberger, der sich selbst als ein 'Schüler' Adornos gesehen hat (vgl. Schultz 1984, S. 237) konnte in den Jahren vor der Erscheinung der "Dialektik der Aufklärung" bei Suhrkamp 1969 und dem "Resumee über Kulturindustrie" 1963 auf die Erstpublikation der "Dialektik der Aufklärung" von 1947 beim Amsterdamer Querido-Verlag zurückgreifen (vgl. hierzu auch Kim 2002, S. 38-39, Petazzi 1983, S. 6 sowie schließlich Adorno 1981, S. 9). Datierungen des Erscheinungsdatums der "Dialektik der Aufkärung" auf 1944, wie sie zuweilen in der Literatur begegnen (so z.B. bei Blum 1986, S. 89), gehen auf die laut Verlagsangaben in eben diesem Jahr in New York veröffentlichte englischsprachige Version zurück. Peitsch erkennt Hinweise auf Enzensbergers Aneignung der Kritischen Theorie Adornos bereits ab 1955 (vgl. Peitsch 1997, S. 243).
[3] Enzensberger 1962, S. 7.
[4] Enzensberger 1962, A.a.o.
[5] Karl Marx: Die deutsche Ideologie, zit. n. Enzensberger 1962, A.a.o.
[6] eine Überzeugung, die auch Eingang in das lyrische Schaffen Enzensbergers gefunden hat und in der Folge zu poetischen Ausdrucksformen für das Subjekt als "Mittäter" (Schlenstedt 1961, S. 111) führte, lebhaft von literaturwissenschaftlicher Seite aufgegriffen: "ein Teil seines Selbst nimmt am 'deutschen Wunder' notgedrungen oder gedankenlos teil, ist Typ des Bundes'bürgers'", der mit seiner ihn umgebendenden Gesellschaft "nicht nur durch das äußere Leben verbunden ist" (Schlenstedt 1961, ebd.).
[7] Enzensberger 1962, S. 8.
[8] Enzensberger 1962, A.a.o.
[9] Enzensberger 1962, A.a.o.
[10] Enzensberger 1962, S. 9.
[11] Enzensberger 1962, A.a.o.
[12] Enzensberger 1962, A.a.o. Frühe kritische Stimmen wollten dieser Bezugnahme auf die 'Kulturindustrie' "eine[...] bloße[...] Variante Adornoscher Begriffsansätze" erkennen, die sich "in Publizistik und Wissenschaft kaum durchsetzen [dürfte]". Der "überdrehte Titel" liefere ein "Beispiel krampfhafter Steigerung" und hätte "zum mindesten einen neuen sprachlichen Ansatzpunkt" gefordert (Siering 1962, S. 158). Spätestens im Zuge der Auseinandersetzung um Enzensbergers 1968 im 'Kursbuch' erschienenen "Baukasten zu einer Theorie der Medien" setzte sich jedoch seine Begriffsildung innerhalb der publizistisch-medientheoretischen wie literarisch-essayistischen Debatte durch.
- Arbeit zitieren
- Anna Panek (Autor:in), 2007, Immaterialität, Herrschaftssicherung und immanenter Widerspruch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90232
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