„Milliardengrab Einkauf“ - die meisten Unternehmen verschenken bei der Beschaffung enorme Summen und merken es oft nicht einmal. Der bislang überwiegend operativ agierende Bereich, in dem die Sicherung der Bedarfsdeckung und Versorgung des Unternehmens mit erforderlichen Gütern und Dienstleistungen im Mittelpunkt steht, entwickelt sich zu einer gewinn- und wettbewerbsentscheidenden Unternehmensfunktion (Müller 2004: S. 54 f.).
Dabei ist nicht erst seit Erwin Grochla betriebswirtschaftlich und unternehmenstheoretisch anerkannt, dass über das zugekaufte Material (mit einbezogen alle Leistungen, die von außen im Unternehmen benötigt werden) die Kosten und der Gewinn unmittelbar und bilanzwirksam beeinflussbar sind (Grochla 1977: S. 181 f.). Die zunehmende Produktvielfalt, immer kürzer werdende Innovationszyklen, steigender Wettbewerbs- und Kostendruck sind seit vielen Jahren die prägenden Umfeldentwicklungen für Unternehmen.
Qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen sind innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung zu stellen, um den hohen Anforderungen der Kunden gerecht zu werden. Um nachhaltig Wettbewerbsvorteile aufzubauen und zu verteidigen, konzentrieren sich Unternehmen einerseits auf ihre Kernkompetenzen und nutzen anderseits die Kernkompetenzen der Lieferanten. Viele Unternehmen reduzierten ihre Wertschöpfungstiefen auf unter 50 Prozent. Hinzugekaufte Materialien, Waren und Dienstleistungen machen heute oft über 50 Prozent des Umsatzes aus. Mit der Folge, dass der Einkauf einen immer größeren Einfluss auf das Unternehmensergebnis (Hebelwirkung der Beschaffung) hat (Monczka, Trent 1998a: S. 2 ff. und Chapman et al. 1997: S. 31 f.).
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einführung
1.1 Einleitung und Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
1.3 Theoretische Grundlagen der Beschaffung und Organisation
1.3.1 Begriffsbestimmung der Beschaffung und Organisation
1.3.2 Beschaffungsstrategien zur Umsetzung von Einkaufszielen
1.3.3 Gestaltungsdimensionen der Beschaffungsorganisation
2 Lead-Buyer-Konzepte in Unternehmen
2.1 Umfeldanalyse der Beschaffungsorganisation
2.2 Die DaimlerChrysler AG
2.2.1 Die Organisation der DaimlerChrysler AG
2.2.2 Das Lead-Buyer-Konzept der DaimlerChrysler AG
2.3 Die Bayer AG
2.3.1 Die Organisation der Bayer AG
2.3.2 Das Lead-Buyer-Konzept der Bayer AG
2.4 Die ThyssenKrupp AG
2.4.1 Die Organisation der ThyssenKrupp AG
2.4.2 Das Lead-Buyer-Konzept der ThyssenKrupp AG
2.5 Zusammenfassende Ergebnisse
3 Adaption des Lead-Buyer-Konzepts auf den deutschen Krankenhausmarkt
3.1 Der Krankenhausmarkt in Deutschland
3.2 Probleme in der Klinikbeschaffung
3.3 Darstellung eines Lead-Buyer-Konzepts für den deutschen Krankenhausmarkt
4 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang 106
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Operative und strategische Beschaffungsaufgaben
Abbildung 2: Herleitung der Definition der Beschaffungsorganisation
Abbildung 3: Der strategische Planungsprozess in der Beschaffung
Abbildung 4: Gestaltungsparameter der Beschaffungsorganisation
Abbildung 5: Die Nettoumsatzrenditen im Ländervergleich
Abbildung 6: Entwicklung der Weltmarktpreise für Rohöl und Eisenerz
Abbildung 7: Das Umfeld der Beschaffungsorganisation
Abbildung 8: Das Geschäftsportfolio der DaimlerChrysler AG
Abbildung 9: Die Einkaufsorganisation der DaimlerChrysler AG
Abbildung 10: Die Einkaufsorganisation IPS der DaimlerChrysler AG
Abbildung 11: Materialgruppenzuordnung zu Governance-Modellen
Abbildung 12: Aufgabenverteilung in der Beschaffungsorganisation der
Abbildung 13: Gültigkeit der Governance-Modelle
Abbildung 14: Die Rahmenstruktur der Bayer AG
Abbildung 15: Die Organisation der Bayer Community
Abbildung 16: Synergistisches Beschaffungsvolumen der Bayer AG
Abbildung 17: Die Gesamtorganisation der ThyssenKrupp AG
Abbildung 18: Die Beschaffungsorganisation der ThyssenKrupp AG
Abbildung 19: Das Lead-Buyer-Konzept der ThyssenKrupp AG
Abbildung 20: Der Zentralisierungsgrad in Abhängigkeit von der Wertschöpfungshöhe
Abbildung 21: Aufhebung des Spannungsfeldes in der Beschaffungsorganisation
Abbildung 22: Einflussbereiche des deutschen Krankenhausmarktes
Abbildung 23: Bevölkerungsentwicklung der über 65-Jährigen bis 2050
Abbildung 24: Entwicklung der Investitionsquote im deutschen Krankenhausmarkt
Abbildung 25: Die Entwicklung der aufgestellten Computertomografie- und Magnetresonanztomografiegeräte in Deutschland von 1992 bis 2004
Abbildung 26: Kosten-Erlös-Schere im Krankenhaus
Abbildung 27: Beispiel eines Materialgruppenportfolios in der Klinikbeschaffung
Abbildung 28: Darstellung des Lead-Buyer-Konzepts für eine Klinikkette
Abbildung 29: Crossfunktionale Bedarfsgruppenteams in einer Klinikkette
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Die Entwicklung der Organisationsstruktur in der Beschaffung von 1987 - 2003
Tabelle 2: Die bundesweite Entwicklung der Anzahl der Krankenhäuser nach der Trägerschaft von 1992 bis 2004
Tabelle 3: Beispiele für Materialgruppen in der Klinikbeschaffung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einführung
1.1 Einleitung und Problemstellung
„Milliardengrab Einkauf“ - die meisten Unternehmen verschenken bei der Beschaffung enorme Summen und merken es oft nicht einmal. Der bislang überwiegend operativ agierende Bereich, in dem die Sicherung der Bedarfsdeckung und Versorgung des Unternehmens mit erforderlichen Gütern und Dienstleistungen im Mittelpunkt steht, entwickelt sich zu einer gewinn- und wettbewerbsentscheidenden Unternehmens- funktion (Müller 2004: S. 54 f.). Dabei ist nicht erst seit Erwin Grochla betriebswirtschaftlich und unternehmenstheoretisch anerkannt, dass über das zugekaufte Material (mit einbezogen alle Leistungen, die von außen im Unternehmen benötigt werden) die Kosten und der Gewinn unmittelbar und bilanzwirksam beeinflussbar sind (Grochla 1977: S. 181 f.). Die zunehmende Produktvielfalt, immer kürzer werdende Innovationszyklen, steigender Wettbewerbs- und Kostendruck sind seit vielen Jahren die prägenden Umfeldentwicklungen für Unternehmen. Qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen sind innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung zu stellen, um den hohen Anforderungen der Kunden gerecht zu werden. Um nachhaltig Wettbewerbsvorteile aufzubauen und zu verteidigen, konzentrieren sich Unternehmen einerseits auf ihre Kernkompetenzen und nutzen anderseits die Kernkompetenzen der Lieferanten. Viele Unternehmen reduzierten ihre Wertschöpfungstiefen auf unter 50 Prozent. Hinzugekaufte Materialien, Waren und Dienstleistungen machen heute oft über 50 Prozent des Umsatzes aus. Mit der Folge, dass der Einkauf einen immer größeren Einfluss auf das Unternehmensergebnis (Hebelwirkung der Beschaffung) hat (Monczka, Trent 1998a: S. 2 ff. und Chapman et al. 1997: S. 31 f.).
Dieser Trend, die Fertigungstiefe zu reduzieren, wird weiter anhalten und der Anteil der Eigenproduktion in den nächsten fünf Jahren zwischen 15 und 25 Prozent bei den Unternehmen liegen, prognostiziert Professor Christopher Jahns, Leiter des Supply Institute an der European Business School (Müller 2004: S. 56.) Die Beschaffung galt dabei in der Industrie lange Zeit als das ungeliebte Stiefkind des Managements und fristete ein Mauerblümchendasein. Die Qualifikation der Mitarbeiter war mäßig, das Ansehen der Mitarbeiter gering und die Stellung in der Gesamtorganisation schwach. Erst das radikale und nicht unumstrittene Auftreten des Spaniers Jose Ignacio Lopez de Arriortua gegenüber den Zulieferern von zunächst General Motors und anschließend von Volkswagen verhalf dem Einkauf zu mehr Beachtung, da plötzlich erhebliche Einsparpotenziale sichtbar wurden. Lopez und viele Nachahmer legten damit unbeabsichtigt den Grundstein für den Bedeutungszuwachs der Beschaffungsfunktion. In der Industrie wird die Beschaffung als eine erfolgskritische Kernfunktion im Unternehmen heute anerkannt. (Padberg, Da-Cruz 2006: S. 279). In vielen Unternehmen wurden organisatorische Veränderungen in der Beschaffung von den Unternehmensleitungen eingeleitet. Die in den 80er und 90er Jahren sehr zentralen Einkaufsorganisationen wurden stärker dezentral ausgerichtet (Rozemeijer 2000: S. 13 f.). Diese Ausrichtung der Beschaffungsorganisationen führte dazu, dass einzelne Geschäftsbereiche oder Tochtergesellschaften selbstständig einkauften und einheitliche Ausschreibungen für das gesamte Unternehmen eine Seltenheit wurden. Unzählige Lieferanten und variierende Konditionen beim Einkauf gleicher Materialgruppen im Unternehmen waren die Folgen (Müller 2004: S. 56).
Die Koordination der organisationsübergreifenden Beschaffungsaktivitäten zur Nutzung unternehmensweiter Synergien, z. B. durch Bündelung des Einkaufsvolumens, den Einsatz von Standardteilen und die Reduzierung der Anzahl der Lieferanten, spielte deshalb eine zunehmend wichtigere Rolle. Ein Einkaufsmanagement, das über verschiedene Organisationseinheiten und Standorte hinweg einer Zersplitterung der Nachfragemacht und der Einkaufskompetenzen entgegenwirkt, musste aktiv organisiert werden. Nur so sind die Probleme eines wenig koordinierten Einkaufs, z. B. die Verfolgung unterschiedlicher Strategien und Vorgehensweisen, unterschiedliche Preise bei der Beschaffung der gleichen Materialgruppe und die oft ausufernde Produktvielfalt durch fehlende Standardisierungen im Unternehmen, zu lösen (Boutellier, Zagler 2000: S. 7 f.). Die Implementierung eines organisationsübergreifenden Materialgruppenmanagementkonzeptes, einer Organisationsform der Beschaffung, bei der die strategischen und operativen Einkaufsentscheidungen in Bezug auf festgelegte Materialgruppen über die gesamte Organisation abgestimmt werden, wurde immer wichtiger (Kleinaltenkamp 2003: S. 167).
Im deutschen Krankenhausmarkt wächst angesichts des zunehmenden Kostendrucks durch steigende Personal- und Sachkosten, den verstärkten Technikeinsatz, den steigenden Patientenanforderungen an die Qualität der medizinischen Versorgung, den Herausforderungen der demografischen Entwicklung, den ständigen Veränderungen der politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen die Erkenntnis, dass organisatorische Veränderungen in der Krankenhausbeschaffung zur Professionalisierung des Beschaffungsmanagements immer wichtiger werden. Weitreichende organisatorische Veränderungen in der Beschaffung sind von dem Krankenhausmanagement in diesem sich durch gesetzgeberische Interventions- bereitschaft auszeichnenden Sektor auf den Weg zu bringen. Der heute oft abwicklungsorientierte Krankenhauseinkauf ist zu einer professionell integrierten Einkaufsorganisation, in der die Vorteile der zentralen und dezentralen Beschaffung ausgenutzt werden, weiterzuentwickeln. Im fachkompetenten Dialog zwischen Einkäufern, Anwendern (Ärzten, Pflegern, Medizintechnikern etc.) und Lieferanten ist eine kostenoptimale, qualitativ hochwertige Versorgung aller Bedarfsträger zu gewährleisteten. Krankenhäuser werden langfristig in diesem dynamischen, von vielfältigen Herausforderungen geprägten deutschen Krankenhausmarkt eine qualitativ hochwertige Versorgung nur sicherstellen können, wenn sie mit dem vorgegebenen Vergütungsrahmen der auf Fallpauschalen basierenden Erlösbudgets auskommen (Eichhorn, Greiling 2002: S. 36 f. und Padberg, Da-Cruz 2006: S. 279).
Bis zum Ende der 90er Jahre spielte dabei die Beschaffung eine untergeordnete Rolle. Dies verwundert nicht, da in Zeiten des Selbstkostendeckungsprinzips die Sachkosten nicht oder nur teilweise im Fokus des Klinikmanagements standen. Durch immer enger werdende Budgets, z. B. durch die Reduzierung der Mindererlösausgleiche und beschränkte Budgetsteigerungsraten, wird es für Krankenhäuser zunehmend wichtiger, bei den Sachkosten, die etwa 21,5 Milliarden Euro im deutschen Krankenhausmarkt im Jahr 2004 ausmachten (etwa ein Drittel der Gesamtkosten im deutschen Krankenhausmarkt 2004), Einsparpotenziale zu identifizieren und zu nutzen. Dabei sind vor allem neben der Bündelung von Material, Produktstandardisierungen und die Erhöhung der Verhandlungsexzellenz der Aufgabenträger in der Krankenhausbeschaffung die entscheidenden Hebel zur Minimierung der Sachkosten (Padberg, Da-Cruz 2006: S. 268 f. und Hahn et al. 2002: S. 15).
1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Zielsetzung dieser Arbeit ist es, die Beschaffungsorganisationen von ausgewählten Unternehmen mit integriertem Lead-Buyer-Konzept zu analysieren und einen Vorschlag für die Organisation der Beschaffung in einer deutschen Klinikkette zu erarbeiten. Dabei stehen die folgenden Ausgangsfragen im Mittelpunkt der Betrachtung:
- Wie gestalten erfolgreiche Unternehmen ihre Beschaffungsorganisation mit integriertem Lead-Buyer-Konzept, um die Herausforderungen des Marktumfeldes zu bewältigen?
- Was sind die wesentlichen Merkmale und Vorteile dieser Beschaffungsorganisation?
- Was sind die zentralen Herausforderungen und Probleme für Krankenhäuser in der Beschaffung im deutschen Krankenhausmarkt?
- Wie kann das Lead-Buyer-Konzept auf eine deutsche Krankenhauskette adaptiert werden?
- Was sind die wesentlichen Voraussetzungen und Probleme bei der Adaption des Lead-Buyer-Konzepts auf eine deutsche Krankenhauskette?
Ausgehend von diesen Fragestellungen gliedert sich die Arbeit in drei Hauptkapitel. Im ersten Kapitel wird neben den theoretischen Grundlagen der Beschaffung und Organisation der strategische Managementprozess der Beschaffung vorgestellt. Darüber hinaus werden die wesentlichen Gestaltungsdimensionen der Beschaffungsorganisation erläutert. Im zweiten Kapitel werden die wesentlichen Umfeldentwicklungen und die damit verbundenen Herausforderungen der analysierten Unternehmen herausgearbeitet. Im Anschluss daran werden ausgehend von der Gesamtorganisation der Unternehmen die Einkaufsorganisationen mit integriertem Lead-Buyer-Konzept analysiert und wesentliche Erkenntnisse zusammengefasst. Im letzten Kapitel wird nach der Betrachtung des deutschen Krankenhausmarktes auf einzelne Problemfelder der Beschaffung im Krankenhaus eingegangen. Abschließend wird auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse der Industrieanalysen ein möglicher Gestaltungsvorschlag für die Organisation der Krankenhausbeschaffung mit integriertem Lead-Buyer-Konzept in einer deutschen Klinikkette erarbeitet.
1.3 Theoretische Grundlagen der Beschaffung und Organisation
1.3.1 Begriffsbestimmung der Beschaffung und Organisation
In der Einleitung wurde auf die größer werdende Bedeutung der Beschaffung und die Wichtigkeit der Koordination von Beschaffungsaufgaben unternehmensübergreifend hingewiesen. Da das Lead-Buyer-Konzept in die Beschaffungsorganisation integriert ist, wird im folgenden Kapitel die Beschaffung, die Organisation sowie der daraus abgeleitete Begriff der Beschaffungsorganisation definiert. In der Literatur finden sich vielfältige Definitionen der Beschaffung. Nach Arnold ist die Beschaffung ein wesentlicher Bestandteil des Wertschöpfungssystems der Unternehmung. Im Fokus steht die Bereitstellung von Sachgütern, Dienstleistungen, Energie, Rechten, Informationen und Kombinationen dieser Güterarten (Arnold 2007: S. 13). Fieten versteht unter Beschaffung ,,alle diejenigen Aktivitäten, die darauf gerichtet sind, den Bedarfsträgern in der Unternehmung die von diesen benötigten, nicht von der Unternehmung selbst produzierten Verbrauchsgüter (Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Kaufteile sowie Energie), Gebrauchsgüter (Anlagen, Werkzeuge) sowie Dienstleistungen, z. B. Transport- und Bauleistungen aus den Beschaffungsmärkten, verfügbar zu machen“ (Fieten 1992: S. 340).
Kaufmann, der die Entwicklung der Beschaffung und die Definition des Beschaffungsbegriffes im deutsch- und englischsprachigen Raum untersucht hat, definiert Beschaffung als ,,all processes of supplying the company with direct and indirect materials, services, rights, machinery and equipment from sources externel to the organization, aimed at contributing to the achievement of sustainable competive advantages” (Kaufmann 1999: S. 12). Auf eine Differenzierung zwischen Einkaufs- und Beschaffungsbergriff wird in dieser Arbeit verzichtet, da in der täglichen Arbeit im Einkauf beide Begriffe synonym verwendet werden (Monczka et al. 1998: S. 4). In der weiteren Arbeit dienen die Definitionen von Arnold und Kaufmann als Grundlage. Ausgehend von diesen Definitionen wird im deutschsprachigen Raum eine Zweiteilung des Beschaffungsbegriffes in strategische und operative Beschaffung vorgenommen.
Dabei steht bei der strategischen Beschaffung die Erschließung und Sicherung langfristiger Erfolgspotenziale des Unternehmens im Mittelpunkt. Die operative Beschaffung befasst sich weniger mit gestalterischen Aufgaben für die Zukunft, sondern vielmehr mit abwicklungstechnischen Tätigkeiten. Die Abbildung 1 zeigt die Zweiteilung und beispielhafte Aufgaben in der strategischen und operativen Beschaffung (Boutellier, Locker 1998: S. 40).
Abbildung 1: Operative und strategische Beschaffungsaufgaben
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: in Anlehnung an Boutellier, Locker 1998: S. 40.
Diese Zweiteilung der Beschaffungsaufgaben ist sowohl in den folgenden theoretischen Ausführungen als auch in der praktischen Analyse der Einkaufsorganisationen mit integriertem Lead-Buyer-Konzept von großer Bedeutung. Genau wie der Beschaffungs- wird auch der Organisationsbegriff in der Literatur umfangreich diskutiert und definiert. In der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre wurde dabei jahrelang das instrumentelle Organisationsverständnis verfolgt. Die Organisation wird danach als Instrument zur Steuerung der Leistungsprozesse im Unternehmen begriffen. Innerhalb dieses instrumentellen Organisationsverständnisses bildeten sich zwei wesentliche Richtungen heraus. Nach Gutenberg, der den funktionalen Organisationsbegriff prägte, ist Organisation eine Funktion der Unternehmensführung, die dazu dient, die Zweckerfüllung der Unternehmung sicherzustellen. Die Unternehmensführung soll den gesamten betrieblichen Leistungsprozess treiben und steuern. Die Organisation ist aus dieser Sicht ein reines Umsetzungsinstrument der Planung, geprägt durch generelle und fallweise Regelungen (Schreyögg, Werder 2004: S. 969). Als Gegenposition zum funktionalen Organisationsbegriff steht aus instrumenteller Sicht die kosiolsche Organisationslehre mit dem konfigurativen Organisationsbegriff. Die Organisation wird danach definiert als ,,endgültig gedachte Strukturierung, die in der Regel auf längere Sicht gelten soll“ (Kosiol 1976: S. 28). Nach Kosiol ist bei der Organisationsgestaltung die Gesamtaufgabe der Organisation, z. B. die Produktion von Lastkraftwagen, in den Mittelpunkt zu stellen. Diese Gesamtaufgabe ist in Teilaufgaben, z. B. in strategische und operative Beschaffungsaufgaben, zu zerlegen. Anschließend sind diese Teilaufgaben zweckmäßig zu verknüpfen, z. B. zu Beschaffungsprozessen. Dieses Organisationsverständnis ist sehr statisch ausgelegt, es steht die Stabilität und Ordnung innerhalb der Organisation im Fokus (enge Sichtweise der Organisationsgestaltung). Ein hierarchisches, stabiles Strukturgefüge wird in dieser Lehre vorausgesetzt. Die Frage: ,,Warum Strukturen überhaupt notwendig sind?“, wird nicht gestellt.
Beim institutionellen Organisationsbegriff wird ein ganz anderer Blickwinkel der Organisation miteinbezogen. Nicht nur die organisatorische Strukturierung und formale Ordnung (instrumenteller Organisationsbegriff) stehen im Fokus, es werden vielmehr Aspekte wie die Veränderung von Strukturen, ungeplante Prozesse, Ziele und ihre Widersprüche betrachtet (weite Sichtweise der Organisationsgestaltung). Drei zentrale Merkmale, die spezifische Zweckorientierung, die geregelte Arbeitsteilung und beständige Grenzen, kennzeichnen das institutionelle Organisationsverständnis. Spezifische Zwecke sind u. a. Ziele der Organisation, wie Kosteneinsparungen oder Umsatzsteigerungen, die keinesfalls immer identisch mit den Zielen der Organisationsmitglieder, z. B. Freiheit am Arbeitsplatz oder Selbstkontrolle, sein müssen. Organisationen bestehen i. d. R. aus mehreren Personen, deren Aufgaben aus rationalen Überlegungen geteilt und verknüpft werden, um die Zielstellungen der Organisation zu erreichen (geregelte Arbeitsteilung). Durch Regeln und Stellenbeschreibungen wird das Ausrichten der Organisationsmitglieder an den Organisationszielen angestrebt. Mit der Festlegung organisatorischer Grenzen (beständige Grenzen) ist es möglich, die Innen- und Außenwelt von Organisationen zu unterscheiden. In der heutigen Entwicklung sieht man zunehmend eine Annäherung zwischen instrumenteller und institutioneller Sichtweise der Organisation (Schreyögg, Werder 2004: S. 970).
Die Vielfalt an Definitionen zur Beschaffung und Organisation trägt dazu bei, dass die Definitionen zur Beschaffungsorganisation in der Praxis und Theorie ebenfalls sehr vielfältig sind. Bei der Beschreibung der Beschaffungsorganisation stehen dabei überwiegend strukturelle und aufbauorganisatorische Aspekte im Mittelpunkt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Beschaffung nicht nur eine Organisation hat (instrumenteller Organisationsbegriff), sondern selbst eine Organisation als Teil der Gesamtorganisation darstellt (institutioneller Organisationsbegriff). Durch die Beschaffungsorganisation als Teilbereich des Unternehmens sind Außenbeziehungen zu gestalteten (z. B. durch das Lieferantenmanagement) und Innenbeziehungen zu koordinieren (z. B. durch Abstimmung dezentraler und zentraler Beschaffungsabteilungen) (Arnold 2007: S. 57 f.).
In einer internationalen Studie ,,A Multy-Country Study of Strategic Topics in Purchasing and Supply Management”, veröffentlicht vom Center for Advanced Purchasing Studies (CAPS), wird die Beschaffungsorganisation definiert als ,,the formal way in which a firm has assigned duties, responsipilities and authority to employed indiviuals to manage its activities, products, functions and markets to meet its objectives” (Hendrick et al. 1999: S. 9). Diese Definition dient als Grundlage für alle weiteren Ausführungen zur Beschaffungsorganisation in dieser Arbeit, da sie die wesentlichen Aspekte des Organisations- und Beschaffungsverständnisses vereint (Abbildung 2).
Abbildung 2: Herleitung der Definition der Beschaffungsorganisation
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung
Um langfristigen Erfolg und hohe Ergebnisbeiträge (Hebelwirkung in der Beschaffung) mit der Arbeit in der Beschaffungsorganisation für das gesamte Unternehmen oder Krankenhaus zu generieren, ist es notwendig, dass klare Ziele und Strategien in der Beschaffungsorganisation im Rahmen der strategischen Planung festgelegt werden.
Diese sind zeitnah umzusetzen und regelmäßig an Veränderungen, z. B. im makroökonomischen Umfeld, anzupassen. Da besonders Krankenhäuser und Krankenhausketten im Bereich der strategischen Beschaffungsplanung große Defizite aufweisen (siehe zu möglichen Problemen in der strategische Beschaffungsplanung im Krankenhaus die Ausführungen im Kapitel 3.2) wird im folgenden Abschnitt ein möglicher strategischer Planungsprozess im Beschaffungsbereich vorgestellt.
1.3.2 Beschaffungsstrategien zur Umsetzung von Einkaufszielen
Der klassische strategische Managementprozess, bestehend aus strategischer Analyse, Strategieformulierung sowie der Strategieimplementierung und vorangestellter Zielbildung, kann komplett auf den Bereich der Beschaffung übertragen werden (Hungenberg 2004: S. 82 ff. und Appelfeller, Bucholz 2005: S. 6 ff.). Aus der Unternehmensvision, die Auskunft über die zukünftige Gesamtunternehmens- ausrichtung gibt, werden die strategischen Ziele des Unternehmens abgeleitet. Die strategischen Ziele, die strategische Analyse und die daraus abgeleiteten Strategien auf Gesamtunternehmensebene bilden die Grundlage für die Entwicklung einer Beschaffungsvision. Aus dieser sind die langfristigen strategischen Ziele der Beschaffung abzuleiten. In Abhängigkeit von der strategischen Gesamtausrichtung unterscheiden sich diese besonders in ihrer Gewichtung. (Appelfeller, Bucholz 2005: S. 22 ff.). Hauptzielsetzung in der Beschaffung ist es, Erfolgspotenziale für das Unternehmen aufzubauen und zu sichern (siehe Definition der strategischen Beschaffung Kapitel 1.3.1). Strategische Ziele der Beschaffung sind u. a. die Kostenreduzierung, die Versorgungssicherung, die Ausschöpfung von Bündelungspotenzialen und Synergien über Organisationsgrenzen hinweg, die Umsetzung von Standards, die Qualitätssicherung und die Verbesserung der Koordination der Beschaffung im Unternehmen (Osburg 1994: S. 25 ff.). Die strategische Analyse, bestehend aus interner und externer Analyse, die bei der strategischen Planung auf Gesamtunternehmensebene angewendet wird, ist vollständig auf den Beschaffungsbereich übertragbar. Bei der externen Analyse steht dabei die Untersuchung des generellen Umfeldes, z. B. der makroökonomischen Umwelt, mit verschiedenen Einflüssen, die auf die Gesamt- und Beschaffungsorganisation wirken im Mittelpunkt (siehe dazu ausführlich Kapitel 2.1 und 3.1). Im Rahmen der internen Analyse ist die Gesamt- und Beschaffungsorganisation im Unternehmen mit ihren Stärken (Vorteilen) und Schwächen (Problemen) genauer zu analysieren (siehe dazu Kapitel 2.2.2, 2.3.2, 2.4.2 und 3.2). Die Zielvorstellungen und die Informationen der strategischen Analyse schaffen die Grundlage für die Formulierung von Strategien in der Beschaffung. Beschaffungsstrategien sind langfristig wirksame sowie transaktionsübergreifende Handlungsprogramme, die zur Erschließung, zur Sicherung und zum Aufbau beschaffungsbezogener Erfolgspotenziale eingesetzt werden und die Wettbewerbsposition eines Unternehmens nachhaltig beeinflussen (Thiell 2006: S. 62 f.).
Zur Verdichtung und vereinfachten Darstellung von Informationen und Sachverhalten, die sich i. d. R. aus den Erkenntnissen der internen und externen strategischen Analyse für Unternehmen ergeben, wird die Portfoliotechnik verwendet. Informationen, z. B. zu Materialgruppen und möglichen Einsparpotenzialen, werden in Portfolios dargestellt (ein Beispiel dazu in Kapitel 3.3). Zwei oder mehr Dimensionen zeigen die wesentlichen Informationen der Analyse, wobei die Aussagekraft von der genauen Beschreibung der Dimensionen abhängig ist. Vielfältige Beschaffungsstrategien, wie z. B. Materialgruppen- oder Lieferantenstrategien, sind aus diesen Portfolios ableitbar (Appelfeller, Bucholz 2005: S. 53 ff.). Die systematische Umsetzung von Materialgruppenstrategien zur Sicherung eines professionellen Materialgruppen- managements in der Beschaffungsorganisation ist dabei für erfolgreiche Unternehmen in der Zukunft von essenzieller Bedeutung. Diese Strategien beziehen sich auf homogene Materialgruppen und beinhalten Ziele zur unternehmensübergreifenden Bündelung des Materials (Pooling), zur Kostenreduzierung oder Standardisierung innerhalb der Materialgruppen (Essig, Wagner 2003: S. 290). Bei Lieferantenstrategien steht der Lieferant als Strategieobjekt im Fokus. Die Strategie gibt die Antwort auf die Frage: ,,Mit welchen Lieferanten und wie arbeiten wir in der Zukunft zusammen?“. Sie bildet die Grundlage des Lieferantenmanagements im Unternehmen (de Quervian, Wagner 2003: S. 101). Nach Aussagen der Interviewpartner stellen diese beiden Strategieformen die Grundlage der Arbeit des Materialgruppenverantwortlichen (Lead- Buyers) dar (Reinhardt 2007). Strategien sind in der Beschaffung nicht nur zu planen und zu verabschieden, vielmehr müssen sie umgesetzt werden. Die Strategieimplementierung (Abbildung 3) gelingt im Sinne des klassischen Paradigmas ,,Structure follows Strategy’’ nach Chandler nur, wenn die organisatorischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Die Beschaffungsorganisation ist über wesentliche Parameter, z. B. die Arbeitsteilung und Spezialisierung oder die Vergabe von Weisungsbefugnissen, so zu gestalten (siehe dazu Kapitel 1.3.3), dass ein optimaler Ergebnisbeitrag durch die Beschaffung für die Unternehmung sichergestellt ist (Appelfeller, Buchholz 2005: S. 91 f.).
Abbildung 3: Der strategische Planungsprozess in der Beschaffung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Hungenberg 2004: S. 82.
Monczka und Trent schreiben in einer amerikanischen Studie: ,,The right organizational structure is essential for implementing leading-edge procurement strategies and plans.“. Sie verweisen darauf, dass die Anzahl von Unternehmen, die ihre Beschaffung um Materialgruppen organisieren, in der Zukunft steigt. Darüber hinaus wird es zunehmend wichtiger, crossfunktionale Materialgruppenteams, z. B. Teams aus Technikern, Entwicklern, Vertriebsmitarbeitern und Einkäufern, in die Beschaffungsorganisation zu verankern. Diese sind unter der Führung eines Materialgruppenverantwortlichen dafür zuständig, dass die Materialgruppen beschaffungsseitig vollständig bearbeitet werden (Monczka, Trent 1998a: S. 5 f.). Der gesamte strategische Planungsprozess in der Beschaffung ist zusätzlich durch ein permanentes Controlling zu begleiten. In regelmäßigen Workshops, in denen u. a. Einkaufsleiter, Geschäftsführer und Anwender (Ärzte, Pflegekräfte in Krankenhäusern) teilnehmen, wird der Beschaffungsplan in der Beschaffungsorganisation, z. B. das Erreichen von Standardumsetzungen oder Kostensenkungszielen innerhalb von Materialgruppen, analysiert und angepasst (Da- Cruz, Schommer 2006: S. 38). Der erläuterte Planungsprozess dient in dieser Arbeit zum einen als Grundlage zur Analyse der Beschaffungsorganisationen und wird zum anderen zur Erstellung eines Organisationskonzeptes für den deutschen Krankenhausmarkt genutzt. Bei den Analysen ist die Betrachtung der verschiedenen Ausprägungen einzelner Gestaltungsdimensionen in der Beschaffungsorganisation sehr hilfreich. Eine Beschaffungsorganisation mit integriertem Lead-Buyer-Konzept ist so aufzubauen, dass ein maximaler Ergebnisbeitrag durch die Beschaffung für das Unternehmen oder das Krankenhaus erzielt wird (Hebelwirkung der Beschaffung Kapitel 1.1).
1.3.3 Gestaltungsdimensionen der Beschaffungsorganisation
In der Literatur werden eine Vielzahl von Parametern zur Gestaltung der Organisation diskutiert. Kieser und Walgenbach beschreiben in ihrem aktuellen Buch zur Organisation 5 Parameter: die Spezialisierung, die Koordination, die Konfiguration, die Entscheidungsdelegation sowie die Formalisierung (Kieser, Walgenbach 2004: S. 77). In Anlehnung an Jahns, Kieser und Walgenbach und durch Ergänzungen aus internationalen Studien zum Aufbau von Beschaffungsorganisationen werden die folgenden fünf Parameter (Abbildung 4), das sind der Handlungsspielraum, der Zentralisierungsgrad, die Spezialisierung, die Konfiguration und die Kooperation zur Gestaltung und Beschreibung der Beschaffungsorganisation, kurz betrachtet.
Abbildung 4: Gestaltungsparameter der Beschaffungsorganisation
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Jahns 2005: S. 266.
Bei dem zu bestimmenden Handlungsspielraum in der Beschaffung steht die Festlegung und Zuordnung von strategischen und operativen Aufgaben zu verschiedenen Aufgabenträgern im Fokus. Um eine Überlastung der Aufgabenträger bei der Aufgabenerfüllung von operativen und gleichzeitig strategischen Aufgaben in der Beschaffung zu vermeiden, sind diese Trennung und die eindeutige Zuordnung sehr vorteilhaft (Jahns 2005: S. 267). Durch die Entkopplung von Ansprechpartnern, auf der einen Seite für die Verhandlung mit Lieferanten (strategische Aufgaben) und auf der anderen Seite bei der Zusammenarbeit im operativen Tagesgeschäft (operative Aufgabe), kann ein größeres Aufgabenspektrum in der Beschaffung besser bearbeitet werden. Z. B. können Beschaffungsmärkte besser und umfangreicher durch die strategischen Einkäufer analysiert werden. Außerdem sind emotionale Bindungen zu Lieferanten, die sich aus der täglichen operativen Zusammenarbeit ergeben können und einen notwendigen Lieferantenwechsel blockieren, reduzierbar. (Buchholz 1999: S. 272 f.). Im engen Zusammenhang mit der Festlegung des Handlungsspielraumes einzelner Aufgabenträger steht die Wahl des Zentralisierungsgrades in der Beschaffungs- organisation. Die Regelung der Kompetenzverteilung und das Ausmaß der Zuständigkeit der einzelnen Aufgabenträger ist festzulegen. Die Verteilung von Befugnissen der Aufgabenträger ist dabei am Grundsatz der Übereinstimmung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen auszurichten. Für die im Rahmen der Arbeitsteilung festgelegten Aufgaben (z. B. strategische und operative Aufgaben in der Beschaffungsorganisation) sind Rollen und Zuständigkeiten zu definieren. Um mögliche spätere Konflikte bei der Aufgabenerfüllung zu vermeiden, sind darüber hinaus die Befugnisse der Aufgabenträger in der Beschaffung klar und verständlich zu formulieren (Grochla 1982: S. 169 ff.).
Im Zeitablauf der Organisationsentwicklung lässt sich bei der Festlegung von Entscheidungsbefugnissen eine Bewegung hin zur zentralen oder dezentralen Ausrichtung in der Organisation der Beschaffung feststellen (Large 2000: S. 289 f.). Die extremen Ausrichtungen einer völlig zentralen oder dezentralen Beschaffungsorganisation bieten verschiedene Vor- und Nachteile. Leenders und Fraser Johnson stellen diese sehr umfangreich in ihrer internationalen Studie ,,Major Structural Changes in Supply Organization“ aus dem Jahr 2000 dar. Vorteile einer stark zentral ausgerichteten Beschaffungsorganisation sind u. a.:
- die einfachere Zentralisierung von Know-how und Kompetenz in der Beschaffung,
- die bessere Bündelungsmöglichkeit von Mengen,
- die höhere Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten durch Bündelung von Mengen und Know-how,
- die besseren Koordinations- und Kontrollmöglichkeiten der gesamten Beschaffungsaktivitäten durch die einfachere Abstimmung der Aufgabeträger,
- und die einfachere Möglichkeit und Durchsetzung von Standardisierungen, z. B. bei Beschaffungsprozessen und Produkten.
Einsparungen sowohl beim Einkauf (konditionelle Kosteneinsparungen) als auch durch Prozessoptimierungen (prozessuale Kosteneinsparungen) sind somit erzielbar. Daneben gibt es eine Vielzahl von Nachteilen einer stark zentral ausgerichteten Beschaffungsorganisation. Dazu gehören:
- die mangelnde Flexibilität durch die fehlende Nähe zum Bedarfsträger, z. B. zur Forschung und Entwicklung bei stark dezentral ausgerichteten Unternehmen,
- die nicht vorhandene Problemorientierung der Aufgabenträger in der Beschaffung, z. B. durch den fehlenden Einkauf vor Ort bei international agierenden Unternehmen im Ausland,
- die verminderte Schnelligkeit der Anpassung an Veränderungen in dynamischen Märkten, z. B. durch die fehlende Integration von Einkaufsmitarbeitern in dezentrale Vertriebsteams
- und die fehlende technologische Kompetenz der Aufgabenträger im Einkauf, die sich aus der mangelnden Nähe zum Vertrieb und der Forschung und Entwicklung ergibt.
Die Vorteile der zentralen Beschaffung sind gleichzeitig die Nachteile der dezentralen und umgekehrt (Leenders, Fraser Johnson 2000: S. 18 ff.). Neben diesen eher theoretischen Extremen der völlig zentral oder dezentral ausgerichteten Beschaffungsorganisation sind in Unternehmen Mischformen vorzufinden, so genannte hybride Strukturen. Die Beschaffungsorganisation stellt dabei im Aufbau eine Kombination aus zentralen und dezentralen Bereichen dar. Mit dieser Struktur wird die Zielsetzung verfolgt, die Vorteile sowohl der zentralen als auch dezentralen Beschaffung gleichzeitig zu nutzen (Quayle 2006: S. 63 f.). Großkonzerne besitzen i. d. R. neben einem Zentralbereich oder zentralen Gremien, in denen überwiegend strategische Beschaffungsaufgaben im Fokus stehen, eine Vielzahl von operativen Beschaffungseinheiten, die dezentral weltweit verteilt sind und agieren. Aus Gesamtkonzernsicht stehen in diesen dezentralen weltweit verteilten Einheiten vorrangig die operativen Abwicklungsaufgaben der Beschaffung im Mittelpunkt. Mit dem Lead-Buyer-Konzept, integriert in eine Beschaffungsorganisation, die aus zentralen und dezentralen Bereichen besteht, wird eine hybride Ausrichtung in der Beschaffung zur Ausnutzung der Vorteile der zentralen und dezentralen Beschaffung unterstützt (siehe dazu Kapiteln 2.2.2 ff.) Einem Aufgabenträger einer dezentralen Beschaffungseinheit, i. d. R. einem operativen Einkäufer dieser Einheit, wird zentrale Verantwortung für die konzernweite Beschaffung ausgewählter Materialgruppen übertragen. Dieser Aufgabenträger ist damit verpflichtet, zentrale strategische Aufgaben in der Beschaffung für den Gesamtkonzern zu übernehmen (Jahns 2005: S. 270).
Im Mittelpunkt der dritten Gestaltungsdimension steht die Frage der Spezialisierung in der Beschaffungsorganisation. Dabei kann zwischen produkt-(objekt-) und funktionsorientierten Gestaltungsformen unterschieden werden. Produktorientierte Einkaufsorganisationen sind gegliedert nach den Spezifikationen der zu beschaffenden Produkte, z. B. in Materialgruppen. In funktionsorientierten Einkaufsorganisationen steht die Gliederung nach Aufgaben, wie z. B. strategischen und operativen Beschaffungsaufgaben, im Vordergrund. Mit zunehmender Größe der Unternehmen sind auch hier Mischformen beider Gestaltungsmöglichkeiten vorzufinden. Zentralbereiche konzentrieren sich dabei zunehmend auf die Übernahme strategischer Aufgaben für die konzernübergreifende Beschaffung von Materialgruppen. In den operativen dezentralen Einheiten werden für diese Material- oder Produktgruppen die operativen Abwicklungsaufgaben in der Beschaffung sichergestellt (Hungenberg 2004: S. 201 f., Boutellier, Zagler 2000: S. 31 ff. und Jahns 2005: S. 271).
Bei der Konfiguration (Festlegung von Weisungsbefugnissen) steht die Erfassung der äußeren Form des Stellengefüges im Fokus. Besonders in großen Organisationen erfolgt eine mehrstufige Gliederung in Verantwortungsbereiche, wobei Leitungsstellen gebildet werden, die zur Durchführung von Koordinationsaufgaben mit Weisungsbefugnissen ausgestattet sind. So entstehen mehrstufige Systeme von Instanzen, die untereinander durch Weisungsbeziehungen verknüpft sind. Weisungsbeziehungen führen zu Über- und Unterordnungsverhältnissen. In der klassischen betriebswirtschaftlichen Organisationslehre werden die Grundformen des Einlinien- und Mehrliniensystems unterschieden. Im Einliniensystem unterstehen einzelne Aufgabenträger sowohl fachlich und als auch disziplinarisch nur einer vorgelagerten Instanz. Das Einliniensystem beruht auf dem Prinzip der Einheit der Auftragserteilung, das 1919 von dem Franzosen Henri Fayol formuliert wurde. Werden einzelne Aufgabenträger mehreren Instanzen gleichzeitig unterstellt, spricht man von einem Mehrliniensystem. In diesem System, das auf Taylor 1911 zurückgeht, wird gefordert, dass die Leitungsfunktion für eine organisatorische Einheit auf mehrere Instanzen (Mehrfachunterstellung) verteilt wird (Hungenberg 2004: S. 204 und Kieser, Walgenbach 2004: S. 137 ff.). Häufig werden beide Prinzipien zur Festlegung von Weisungsbefugnissen kombiniert. Dabei wird i. d. R. eine eindeutige disziplinarische Unterstellung der Aufgabenträger in der Beschaffung unter eine Instanz vorgenommen. Für bestimmte Aufgaben, die besonderes Fachwissen und Kompetenz verlangen, werden ausgewählte Aufgabenträger mehrmals fachlich unterstellt. Ein Aufgabenträger hat damit i. d. R. einen disziplinarischen Vorgesetzten und mehrere fachliche Vorgesetzte. Typisch ist diese Art der Mehrfachunterstellung in Unternehmen, die räumlich dezentral verteilte Einheiten in der Beschaffungsorganisation besitzen (Hungenberg 2004: S. 204 und Appelfeller, Buchholz 2005: S. 94 und Kieser, Walgenbach 2004: S. 137 ff.).
Durch diese Mehrfachunterstellung sind die unterstellten Rollen zum einen dem Leiter der operativen dezentralen Einheit (dem Leiter der Beschaffungseinheit des Teilkonzerns) und zum anderen einem zentralen Gremium (dem Leiter eines zentralen Beschaffungsgremiums im Konzern), welches die Beschaffungsaktivitäten auf Gesamtunternehmensebene steuert und koordiniert, verpflichtet, zu berichten. Da jedoch die Interessen der dezentralen Einkaufsleiter von denen des Leiters des zentralen Gremiums auf Gesamtkonzernebene abweichen können, kommt es häufig zu Problemen. Zielstellung auf Konzernebene ist es, z. B. mögliche Bedarfe über Organisationsgrenzen hinweg zu bündeln und strategiekonform zu beschaffen, Richtlinien bei der Beschaffung einzuhalten und mit genau festgelegten strategischen Lieferanten zusammenzuarbeiten. Die dezentralen Einkaufsleiter hingegen versuchen, möglichst schnell mit ihren bevorzugten Lieferanten zu verhandeln, ohne die Konzernrahmenverträge zu berücksichtigen. Ein möglicher Ansatz zur Lösung dieses Problems ist die getrennte Vergabe von fachlichen und disziplinarischen Weisungsrechten. Konzernweit wird dem Leiter des Zentralbereichs der Beschaffung das fachliche Weisungsrecht für Aufgabenträger, die Beschaffungsaktivitäten von ausgewählten Materialgruppen verantworten, die konzernübergreifend zu beschaffen sind, zugesprochen. Disziplinarisch bleiben die Einkäufer, z. B. die Lead-Buyer, für festgelegte Materialgruppen den Einkaufsleitern der operativen Einheiten unterstellt. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, dass der dezentrale Einkaufsleiter sowohl das fachliche als auch disziplinarische Weisungsrecht für die ihm unterstellten Einkäufer in seiner Einheit erhält, und das der Leiter des Zentralbereichs der Beschaffung durch Vorgaben von Richtlinien die konzernübergreifenden Beschaffungsaktivitäten steuert. Durch verbindliche Richtlinien werden die Aufgabenträger der operativen Einheiten verpflichtet, bei der Beschaffung die abgeschlossenen konzernweit gültigen Rahmenverträge und festgelegten strategischen Lieferanten zu nutzen. Neben dieser Richtlinienkompetenz können dem Leiter des Zentralbereichs der Beschaffung im Konzern Budgets zugesprochen werden. Mit Bonuszahlungen werden die operativen Einkäufer für besondere Erfolge bei der Umsetzung von Strategien, wie z. B. das Erzielen von hohen Kosteneinsparungen durch Prozessverbesserungen, am Jahresende belohnt. Bereichsspezifische und konzernübergreifende Interessen sind damit harmonisierbar (Jahns 2005: S. 272 f.).
Ein weiteres Koordinationsinstrument sind Zielvereinbarungen, die im Rahmen von Planungs- und Kontrollsystemen das Ergebnis der Planung und zugleich der Ausgangspunkt für Kontrollen sind. In diesen Vereinbarungen werden verschiedene Inhalte und Zeitbezüge, z. B. Lieferantenreduktionsziele, Standardisierungsziele oder Kostenreduktionsziele, für ein Jahr oder ein Quartal verankert. Dies ermöglicht periodische Kontrollen und Leistungsbeurteilungen von Aufgabenträgern in der Beschaffung. Die Festlegung dieser Ziele sollte dabei nicht autoritär sondern kooperativ erfolgen, was der Konzeption des ,,Management by objectives’’ (Führung durch Zielvereinbarung) entspricht. Gegenüber der traditionellen Koordination über unmittelbare Anweisungen bietet diese Form der Koordination eine Vielzahl von Vorteilen. Zum einen fließen die verschiedenen Interessenlagen vor der konkreten Festlegung der Ziele ein, und zum anderen wird die ständige Transparenz gesichert, da alle betroffenen Aufgabenträger bei der Erstellung beteiligt sind. Die Partizipation wirkt sich dabei vorteilhaft auf die Motivation der betroffenen Aufgabenträger bei der Aufgabenerfüllung aus (Humble 1970: S. 3 ff.). Neben der Koordination der Aufgabenträger zur Erreichung der Organisationsziele ergibt sich aus der Zerlegung interdependenter Aufgaben die Notwendigkeit der Kooperation. Eine geregelte Zusammenarbeit aller Beschaffungseinheiten und damit die Kooperation und Koordination in der Beschaffung über Organisationsgrenzen hinweg muss gewährleistet sein (Grochla 1982: S. 99 f.). Die Möglichkeiten der unternehmensinternen und unternehmensübergreifenden Kooperation stehen deshalb im Fokus der letzten Gestaltungsdimension. Das Beschaffungsnetzwerk ist eine bedeutende Form der unternehmensinternen Kooperation (Hendrick et al. 1999: S. 17 f.).
In einem Beschaffungsnetzwerk werden i. d. R. verschiedene Ebenen festgelegt. Die Siemens AG unterscheidet drei Ebenen innerhalb des Netzwerkes. Auf oberster Ebene wird ein zentrales Beschaffungsgremium (Global Procurement Board) eingerichtet, das mit Topmanagern, Einkaufsleitern der Teilkonzerne und Vertretern weiterer Zentralbereiche, wie der Unternehmensorganisation, besetzt ist. Dieses Gremium hat u. a. die Aufgabe, eine Beschaffungsvision sowie konzernweite Strategien für die Beschaffung festzulegen. Darüber hinaus steht die Schließung strategischer Partnerschaften (unternehmensübergreifende Kooperation) sowie die Verabschiedung von Richtlinien im Fokus der Arbeit dieses Boards. Auf der zweiten Ebene wird ein Koordinationsgremium für konzernweite Beschaffungsaufgaben eingerichtet. Das operativ arbeitende Netzwerk auf der dritten Ebene wird durch verschiedene Serviceangebote, wie die Bereitstellung und Pflege eines Intranets und die Vorgabe von Standards und Materialnummerklassifizierungssystemen für die Beschaffung, unterstützt. Im Sinne des Projektmanagements administriert und plant dieses Gremium die weltweit stattfindenden Meetings. Es protokolliert und überwacht die jeweils übernommenen Aufgaben in den operativen Einheiten. Auf der dritten Ebene findet nach dieser Differenzierung der Siemens AG die überwiegend operative Aufgabenerfüllung statt. Das Netzwerk setzt sich in dieser Ebene aus Vertretern sämtlicher Bereiche, wie z. B. der Forschung und Entwicklung, der Beschaffung und der Produktion, zusammen. Informationen über Beschaffungsmärkte, Lieferanten, Produkte und Dienstleistungen sowie weitere relevante Themenstellungen der Beschaffung werden ausgetauscht sowie Standardisierungsvorgaben umgesetzt. Neben der unternehmensinternen Zusammenarbeit sind vielfältige unternehmensübergreifende Kooperationen möglich. Dazu können zum einen externe Partner, die auf der gleichen Wertschöpfungsstufe arbeiten (horizontale Kooperationen) in Beschaffungs- kooperationen eingebunden werden. Zahlreiche Beispiele finden sich dazu in der Automobilindustrie, in der Automobilhersteller strategische Partnerschaften unter- einander eingehen, um gegenüber Lieferanten die Verhandlungsmacht durch höheres Abnahmevolumen auszubauen. Der Durchbruch des Supply Chain Management führt dazu, dass immer mehr vertikale Kooperationen entlang der Wertschöpfungskette bei der Beschaffung entstehen (Jahns 2005: S. 275 f.).
2 Lead-Buyer-Konzepte in Unternehmen
2.1 Umfeldanalyse der Beschaffungsorganisation
Die Ziele von Unternehmen und die strategische Analyse stellen die Basis der Strategieformulierung sowie der anschließenden Strategieumsetzung in der Beschaffungsorganisation dar (Kapitel 1.3.2). Im Fokus der folgenden Betrachtung steht die Herausarbeitung verschiedener externer Einflussfaktoren (strategische externe Analyse) der betrachteten Unternehmen. Eine Beschaffungsorganisation sollte über die Gestaltungsdimensionen (Kapitel 1.3.3) so aufgebaut sein, dass diese Herausforderungen des Unternehmensumfeldes bewältigt werden. Dabei besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Organisationsstruktur, einer effizienten Aufgabenerfüllung und der damit verbundenen Zielerreichung in der Beschaffung. Bei der Erfassung und Beurteilung relevanter Bedingungen für die Gestaltung der Rahmenstruktur ergeben sich dabei oft Schwierigkeiten, da Trends in der Unternehmens- und Umfeldentwicklung nur prognostiziert und die konkreten Entwicklungen erst später sichtbar werden (Grochla 1982: S. 111 f.). Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die politisch-rechtlichen, ökonomischen, technologischen, gesellschaftlichen und ökologischen Einflüsse, denen alle Unternehmen in ähnlicher Weise ausgesetzt sind. In Ergänzung zu dieser Makroanalyse (Umfeldanalyse) kann auf Mikroebene das Umfeld der Lieferanten aus Sicht der Beschaffung näher analysiert werden. Ziel eines Unternehmens ist es, im Rahmen der strategischen externen Analyse Erkenntnisse zu gewinnen, um Trends und Veränderungen der Umwelt frühzeitig aufzuspüren und vorherzusagen. Diese Informationen sind bei der strategischen Planung (proaktiven Planung) zu berücksichtigen (Hungenberg, Wulf 2005: S. 164 ff. und Arnold 1995: S. 46). Im Fokus dieser Arbeit steht die Makroanalyse, wobei zu den verschiedenen oben genannten Einflussbereichen ausgewählte Aspekte kurz erläutert werden.
Politisch-rechtliche Umfeldentwicklungen, insbesondere gesetzliche Rahmenbedingungen, prägen das wirtschaftliche Handeln aller Unternehmen. Die Breite der Gültigkeit der gesetzlichen Regelungen geht von kommunalen Normen und Verordnungen bis zu globalen Regelungen. Neben kodifizierten Rechtsnormen, z. B. Normen zur Besteuerung oder zu Patentvorschriften, spielt die Rechtshandhabung, z. B. die Länge von Genehmigungsverfahren bei Patenten, eine wesentliche Rolle (Appelfeller, Buchholz 2005: S. 35). Für den Standort Deutschland und die in dieser Arbeit betrachteten Unternehmen ist die Steuergesetzgebung von zentraler Bedeutung. Die Senkung des Körperschaftssteuertarifs 2001 und die stufenweise Senkung der Einkommenssteuer bis 2005 haben nur unwesentlich dazu beigetragen, dass Unternehmen in den letzten Jahren steuerlich entlastet wurden. Vielmehr haben die 1999 festgelegten Steuergesetze eine jährliche Mehrbelastung von 7,7 Milliarden Euro für deutsche Unternehmen verursacht. Die Steuerbelastung kann besonders anschaulich beim internationalen Vergleich der Umsatzrenditen aufgezeigt werden. Schlechte Nettoumsatzrenditen (Verhältnis von Gewinn nach Steuern zum Umsatz) stellen einen erheblichen Nachteil im internationalen Wettbewerb für deutsche Unternehmen dar (Abbildung 5).
Abbildung 5: Die Nettoumsatzrenditen im Ländervergleich
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Fuest et al. 2006: S. 8.
Mit durchschnittlich 2,2 Prozent Nettoumsatzrendite von 2000 bis 2004 gehören Deutschland und damit die dort ansässigen Unternehmen zu den Verlierern im internationalen Vergleich. Die geplante Reform der Unternehmensbesteuerung im Jahr 2008, mit der die steuerliche Situation des Standorts Deutschland verbessert werden soll, erfüllt dabei nach verschiedenen Expertenmeinungen bei Weitem nicht die Erwartungen (Arge 2006: S. 44 f. und Fuest et al. 2006: S. 7 ff.). Die Anhebung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent zum 1. Januar 2007 wird die schlechte Ausgangslage noch verschärfen. Aus Sicht der Automobilindustrie, einer Industrie mit sehr hohem Konsumgüteranteil, hat diese steuerpolitische Maßnahme fatale Folgen. Neben zu erwartenden deutschlandweiten Absatz- und Umsatzrückgängen in den Folgejahren kam schon Mitte des Jahres 2006 zusätzlich das Problem des Mitnahmeeffekts der Bevölkerung auf die Automobilindustrie zu. Die stark steigende Nachfrage nach Personenkraftwagen konnte dabei nur durch kostenintensive Sonderschichten, verbunden mit Spitzen in der Produktion und teuren Ersatzbeschaffungen, befriedigt werden. Die Geschäftsergebnisse der Automobilhersteller werden voraussichtlich trotz steigender Absatz- und Umsatzzahlen im Jahr 2006 kostenseitig stark belastet (VDA 2006: S. 18 f.). Besonders außerhalb des westeuropäischen Wirtschaftsraumes stellt die Stabilität und Organisation von politischen Systemen eine Herausforderung des politisch-rechtlichen Umfeldes für international agierende Unternehmen dar (Hungenberg 2004 S. 387 f.). Die Europäische Kommission versucht seit Jahren, im Rahmen der internationalen Handelspolitik die Rahmenbedingungen im Welthandel für ihre Mitgliedsstaaten zu verbessern. Zielsetzung ist es, eine global greifende Zollsenkungsformel für wichtige Schwellenländer, bspw. Indien oder Thailand, festzulegen, die eine deutliche Erleichterung des Marktzugangs zur Folge hat. Dieses Ziel wird jedoch durch verschiedene Zugeständnisse, in denen z. B. verschiedenen Ländern wie China bessere Zollbedingungen zugestanden werden, immer wieder gefährdet (VDA 2006: S. 22 f.).
In der pharmazeutischen und chemischen Industrie haben patentrechtliche Vorschriften eine große Bedeutung für Unternehmen. Für neue Wirkstoffe beträgt der Patentschutz i. d. R. 20 Jahre. Dieser sehr lange Zeitraum des alleinigen Vermarktungs-, Herstellungs- und Vertriebsrechts als Wettbewerbsvorteil schrumpft durch sehr lange Forschungs- und Entwicklungszeiten auf einen eher kurzen Schutzzeitraum (Guminski und Rauland 2002: S. 231). Neue Anforderungen, z. B. bei Arzneimitteln an die Sicherheit und Wirksamkeit, tragen darüber hinaus dazu bei, dass die Entwicklungszeiten (teilweise 15 Jahre bis zur Zulassung) und -kosten besonders in den letzten Jahren stark gestiegen sind. Der Anteil der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung an den Produktumsätzen betrug 1980 12 Prozent und ist auf über 20 Prozent im Jahr 2000 bei Pharmaunternehmen gestiegen. Außerdem ergeben sich in dieser Branche zunehmend ökonomische Risiken und Unsicherheiten, z. B. aus Patentverletzungen für Unternehmen (Thierolf 2002: S. 355 f.). Durch Verletzungen von fremden Patenten in den USA hat z. B. die Bayer AG noch immer verschiedene Klageverfahren, die mit hohen Kosten verbunden sind, ausstehen (Bayer AG 2005: S. 56 f.). Volkswirtschaftliche Entwicklungen stehen im Fokus der Betrachtung des ökonomischen Umfeldes. Dabei gibt es Einflussfaktoren, die die gesamte Weltwirtschaft oder nur spezifische Volkswirtschaften tangieren. Wichtige Faktoren sind u. a. die Entwicklung des Wirtschaftswachstums und die Preisentwicklung für Rohstoffe, da diese Größen direkt auf die Umsatz- und Kostensituation sowie die Wettbewerbsstellung eines Unternehmens wirken (Appelfeller, Buchholz 2005: S. 34). Das weltweite Wirtschaftswachstum entwickelte sich im Jahr 2006 sehr positiv, wobei die größten Wachstumsraten in der Region Asien zu verzeichnen sind. In der Europäischen Union kam es zu einer konjunkturellen Belebung, die vor allem auf die lebhafte Binnennachfrage der neuen europäischen Mitgliedsstaaten zurückzuführen ist. (VCI 2006: S. 1 f. und DaimlerChrysler AG 2005: S. 34 f.) Problematisch wirken sich aber zunehmend die stark steigenden Energie- und Rohstoffpreise aus. Die Vereinigung Europäischer Konjunkturinstitute (AIECE) ermittelte einen Anstieg des Rohstoffpreisindizes auf US-Dollar-Basis von 31 Prozent im Jahr 2004, 28 Prozent im Jahr 2005 und 21 Prozent im Jahr 2006. Diese Werte basieren auf der Analyse von 29 Rohstoffpreisen und -märkten (AIECE 2006: S. 1 f.). Für die ThyssenKrupp AG war im Geschäftsjahr 2005/2006 der Anstieg des Materialaufwandes von 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahr eine Folge der zuvor genannten Entwicklung. Dies ist sowohl auf die gestiegenen Rohstoffpreise als auch auf das steigende Geschäftsvolumen zurückzuführen (ThyssenKrupp 2006: S. 50.). Der drastische Rohölpreisanstieg von 206 Prozent innerhalb von fünf Jahren belastet besonders das Wachstum in den Erdöl importierenden Industriestaaten (Abbildung 6).
Abbildung 6: Entwicklung der Weltmarktpreise für Rohöl und Eisenerz
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Ameling 2006: S 58.
Die damit verbundenen steigenden Rohmaterialpreise und Transportkosten, das gemäßigte Wirtschaftswachstum besonders im westeuropäischen Raum und der immer stärker werdende internationale Wettbewerb, z. B. durch chinesische Konkurrenten, stellen die zentralen Herausforderungen sowohl für die Automobilindustrie als auch für alle anderen Industriezweige dar (DaimlerChrysler AG 2006: S. 11 und Ameling 2006: S. 58).
Technologische Umfeldentwicklungen führen oft zu gravierenden Veränderungen in Unternehmen und der Unternehmensumwelt. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass sich daraus sowohl Chancen, z. B. durch die Erzielung erheblicher Effizienzgewinne bei der Nutzung des Internets, in der Beschaffung bieten, aber auch eine Vielzahl von Risiken, die z. B. durch das Auftreten neuer globaler Wettbewerber am Markt für Unternehmen entstehen. Die hohe Geschwindigkeit des technologischen Wandels und das Zusammenwachsen von Technologien müssen von den Aufgabenträgern in Unternehmen verstanden und genutzt werden. Dies setzt Analysen und Bewertungen, die organisationsübergreifend stattfinden sollten, voraus. Die Aufgabenträger in der Beschaffung müssen, angefangen von der Infrastruktur bis hin zur Leistungsfähigkeit der Lieferanten, über den technologischen Status eines Marktes genau Bescheid wissen.
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- Quote paper
- Alexander Lindenbach (Author), 2007, Analyse von Lead-Buyer-Konzepten zur Adaption auf den deutschen Krankenhausmarkt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90222
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