Als Fachterminus für bestimmte Störungsbilder bei Kindern, Jugendlichen und He-ranwachsenden kennt man den Begriff der Verhaltensstörung erst seit 1950, als er auf einem Kongress für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Paris in das Fachvokabular eingeführt wurde (vgl. Hillenbrand 2006, 31).
Auch wenn man angesichts mancher Medienberichte und politischer Fensterreden zu der irrigen Auffassung gelangen könnte, Verhaltensstörungen seien erst in die Welt gekommen, als der Fernseher und die Computerspielkonsole das Kinderzimmer eroberten, kennt man das Phänomen, die typischen Erscheinungsbilder dessen, was auch de Laien als „Verhaltensstörung“ geläufig ist, schon lange. Heinrich Hoffmann, ein Frankfurter Psychiater, hat schon 1845 die entsprechenden Störungsbilder beschrieben: Sie alle stammen, ebenso wie der „böse Friedrich“, der „Daumenlutscher“, „das Paulinchen mit den Streichhölzern“ und weitere bekannte Charaktere aus dem berühmten Kinderbuch „Der Struwwelpeter“ (Abbildungen aus: Hoffmann 2002). Der Autor, Heinrich Hoffmann, kannte diese Störungsbilder aus seiner eigenen psychiatrischen Praxis. Den „Struwwelpeter“ hat er nicht als Fachliteratur verfasst, sondern als Weihnachtsgeschenk für seinen eigenen Sohn – vor mehr als 160 Jahren.
Versucht man zu definieren, was „Verhaltensstörungen“ sind, so nähert man sich diesem komplexen Begriff vernünftiger Weise, indem man zunächst die Frage stellt, was „Verhalten“ bedeutet: Dorschs Psychologisches Wörterbuch, gibt die Auskunft, es handele sich um die physische Aktivität eines Organismus, die beobachtbar und somit grundsätzlich objektiv messbar sei. Zu dieser Aktivität zähle man willkürliche und unwillkürliche Muskelbewegungen sowie Sprach- und Lautäußerungen. Eine bis dahin beruhigende Antwort, die jedoch alsbald einen neue Richtung einschlägt und den Leser mit der Unschärfe des Begriffs konfrontiert, denn es folgt der Hinweis, dass „Verhalten“ – im Sinne des Behaviorismus – auch ein Spiegel der innerpsychischen Vorgänge sei, weshalb auch innere Erlebnisprozesse, das Denken und Wollen zum Verhalten zu rechnen seien (vgl. Ries 1994, 846). Dass der Begriff der „Verhaltensstörung“ von einer Vielzahl definitorischer Fallstricke umgeben ist, über die zu straucheln man fortwährend Gefahr läuft, merkt man vollends, wenn man nunmehr zu bestimmen versucht, was den Unterschied von „nicht gestörtem Verhalten“ bzw. „normalem“ und „gestörtem Verhalten“ ausmacht.
Inhaltsverzeichnis
I. Zum Begriff der „Verhaltensstörung“
II. Diagnostische Kriterien für Verhaltensstörungen
III. Gesellschaftliche Implikationen
IV. Zur Frage der „Risikogruppen“
V. Quellenverzeichnis
I. Zum Begriff der „Verhaltensstörung“
Als Fachterminus für bestimmte Störungsbilder bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden kennt man den Begriff der Verhaltensstörung erst seit 1950, als er auf einem Kongress für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Paris in das Fachvokabular eingeführt wurde (vgl. Hillenbrand 2006, 31).
Auch wenn man angesichts mancher Medienberichte und politischer Fensterreden zu der irrigen Auffassung gelangen könnte, Verhaltensstörungen seien erst in die Welt gekommen, als der Fernseher und die Computerspielkonsole das Kinderzimmer eroberten, kennt man das Phänomen, die typischen Erscheinungsbilder dessen, was auch de Laien als „Verhaltensstörung“ geläufig ist, schon lange. Heinrich Hoffmann, ein Frankfurter Psychiater, hat schon 1845 die entsprechenden Störungsbilder beschrieben:
Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) mit Hyperkinesie: Zappelphilipp-Syndrom
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) ohne Hyperkinesie: das „Träumerle“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anorexia nervosa: Der Suppenkaspar
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sie alle stammen, ebenso wie der „böse Friedrich“, der „Daumenlutscher“, „das Paulinchen mit den Streichhölzern“ und weitere bekannte Charaktere aus dem berühmten Kinderbuch „Der Struwwelpeter“ (Abbildungen aus: Hoffmann 2002).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Autor, Heinrich Hoffmann, kannte diese Störungsbilder aus seiner eigenen psychiatrischen Praxis. Den „Struwwelpeter“ hat er nicht als Fachliteratur verfasst, sondern als Weihnachtsgeschenk für seinen eigenen Sohn – vor mehr als 160 Jahren.
Versucht man zu definieren, was „Verhaltensstörungen“ sind, so nähert man sich diesem komplexen Begriff vernünftiger Weise, indem man zunächst die Frage stellt, was „Verhalten“ bedeutet: Dorschs Psychologisches Wörterbuch, gibt die Auskunft, es handele sich um die physische Aktivität eines Organismus, die beobachtbar und somit grundsätzlich objektiv messbar sei. Zu dieser Aktivität zähle man willkürliche und unwillkürliche Muskelbewegungen sowie Sprach- und Lautäußerungen. Eine bis dahin beruhigende Antwort, die jedoch alsbald einen neue Richtung einschlägt und den Leser mit der Unschärfe des Begriffs konfrontiert, denn es folgt der Hinweis, dass „Verhalten“ – im Sinne des Behaviorismus – auch ein Spiegel der innerpsychischen Vorgänge sei, weshalb auch innere Erlebnisprozesse, das Denken und Wollen zum Verhalten zu rechnen seien (vgl. Ries 1994, 846).
Dass der Begriff der „Verhaltensstörung“ von einer Vielzahl definitorischer Fallstricke umgeben ist, über die zu straucheln man fortwährend Gefahr läuft, merkt man vollends, wenn man nunmehr zu bestimmen versucht, was den Unterschied von „nicht gestörtem Verhalten“ bzw. „normalem“ und „gestörtem Verhalten“ ausmacht. Geht man der Frage nach, was „normales Verhalten“ sei, so stellt man fest, dass dies keineswegs als ausgemacht gelten kann. Die Antwort auf diese Frage kann sich nämlich gleichermaßen orientieren an der
- statistischen Norm:
- wie verhält sich der Durchschnitt, z.B. der Altersdurchschnitt der 7-Jährigen beim Essen?
- funktionalen Norm, die ihrerseits wieder zweifach unterschieden werden kann
- individuelle Norm:
- wie kann der 7-jährige (Zappel-)Philipp sich in dieser Situation verhalten?
- Idealnorm:
- wie sollte sich der 7-jährige Philipp in dieser Situation verhalten, damit er seine Mahlzeit einnehmen kann?
- sozialen Norm:
- wie sollte Philipp sich verhalten, damit er, seine Eltern und deren Gäste mit Genuss essen können?
Diese perspektivische Vielfalt geht mit dem Umstand einher, dass eine ebensolche Vielzahl von Fachdisziplinen versucht, mit dem ihnen jeweils eigenen Forschungsinstrumentarium den Begriff der „Verhaltensstörung“ mit Inhalt zu füllen. So weist der an der Universität Köln lehrende Heilpädagoge Clemens Hillenbrand darauf hin, dass der Begriff „…Probleme umfasst, die in verschiedenen Nachbardisziplinen, etwa Psychologie, Soziologie, Medizin oder Jura behandelt werden“ (Hillenbrand 2006, 30) umfasst, und gibt zugleich zu bedenken, dass diese Wissenschaften unter demselben Begriff möglicherweise unterschiedliche Problemlagen behandeln.
[...]
- Citation du texte
- Katja Rommel (Auteur), 2007, Kindliche Verhaltensstörungen - Definition, Diagnose und gesellschaftliche Implikationen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90069
-
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X.