Während Kapitel 2 den historischen Prozess der Differenzierung beschreibt, werden in den folgenden Kapiteln Funktionssysteme und ihre Eigenheiten betrachtet. Wie andere Systeme betrachtet Niklas Luhmann das ökonomisches System als ein kommunikatives Geschehen, für ihn ist "Wirtschaft immer auch ein Vollzug von Gesellschaft" (Luhmann 1994: 8). Das zentrale Merkmal ist Geld, das im Anschluss an Talcott Parsons als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium definiert wird. Es entspricht dem Wesen eines Mediums, dass es neue Kommunikationen herstellen kann (vgl. Luhmann 2005: 25-33). Geld hat damit also einen subversiven Charakter, weil es durch einen binären Code Zahlen/Nichtzahlen auf Stratifizierung basierende Sozialordnungen unterwandert und verändert. Kapitel 3 bringt das Geldtheorem von Viviana Zelizer in Beziehung mit Luhmann: Sie geht davon aus, dass es nicht ein Geld gibt, sondern zahlreiche Gelder, die Ausdruck zahlreicher sozialer Beziehungen sind.
Kapitel 4 behandelt die Religion. Grundsätzlich geht Niklas Luhmann bei der Definition von Religion von einer funktionalistischen Perspektive aus, die auf Emile Durkheim basiert. Bei Durkheim ist Religion eine kollektive Angelegenheit (vgl. Durkheim 1994: 75), bei Luhmann eine kommunikative (vgl. Luhmann 2002: 40) – ein soziales Phänomen ist sie allemal. Durkheim erklärt die Religion anhand von Beobachtungen archaischer Gesellschaften und macht die Unterscheidung zwischen profanem und sakralem Raum zu ihrem universal gültigen Kernmerkmal. Wenn wir aber die moderne Gesellschaft mit Niklas Luhmann als funktional differenziert betrachten, dann verschiebt sich die Unterscheidung von sakral und profan an neue Systemgrenzen. Die Umwelt ist in der archaischen Gesellschaft territorial definiert. Mittels Magie wird die Transzendenz hinein in die Gesellschaft geholt und handhabbar (vgl. Luhmann 1998: 646). In einer funktional differenzierten Gesellschaft verhält sich dies anders: "Was nicht zum System gehört, gehört deshalb zur Umwelt und umgekehrt – es sei denn, dass es überhaupt nicht existiert" (Luhmann 1993: 267). Die Umwelt eines Systems ist somit ein anderes System; eine Fremdreferenz. Es entstehen strukturelle Kopplungen der Systeme – wie zum Beispiel Almosen oder Kirchensteuern, die das religiöse und das ökonomische System koppeln.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Ausdifferenzierung von Funktionssystemen
3 Wirtschaft als System
4 Religion als System
5 Zusammenfassung und Fazit
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Eine Arbeit über Religion und Wirtschaft bei Niklas Luhmann zu schreiben, impliziert eine Auseinandersetzung mit der funktionalen Differenzierung. Die beiden Systeme Wirtschaft und Religion wären dabei theoretisch ersetzbar durch andere. Weshalb also eine Beschränkung auf Religion und Wirtschaft? Eine historische Besonderheit der Religion besteht darin, dass sie in vormodernen Gesellschaften einen Status von gesamtgesellschaftlicher Relevanz hatte (vgl. Luhmann 1982: 102), die aktuelle, dass sie auf Transzendenz angewiesen ist – also auf etwas Externes[1]. Eine weitere Besonderheit der Religion ist, dass sie, zumindest in der modernen Gesellschaft, nicht notwendig ist. Individuen können auf sie verzichten – ganz im Gegensatz zum juristischen oder ökonomischen System, in das die Inklusion praktisch erzwungen wird (vgl. Luhmann 1993: 349).
Jetzt zu den erwähnten Besonderheiten des ökonomischen Systems: Ab dem 16. Jahrhundert beginnt die Geldwirtschaft, wie wir sehen werden, auf Stratifizierung beruhende Sozialordnungen zu zersetzen. Geld schafft also neue soziale Ordnungen. Schliesslich ist das ökonomische System anderen Systemen insofern überlegen, als dass es sie durch eine Verknappung der monetären Mittel schwächen kann – dies unter der Voraussetzung, dass diese anderen Systeme sich ökonomisch beschreiben lassen. Inwieweit sich Phänomene ökonomisch beschreiben lassen, das ist wiederum theorieabhängig. In der Systemtheorie gibt es Bereiche, die sich ökonomischen Beschreibungen entziehen, während die Rational-Choice-Theorie alle Lebensbereiche, also auch die Religion, ökonomisch definiert und im ökonomischen und Nutzen maximierenden Handeln eine anthropologische Konstante sieht. Wir werden darauf zurückkommen.
In dieser Seminararbeit wird untersucht, wie es nach Luhmann zur funktionalen Differenzierung von Wirtschaft und Religion gekommen ist. Es ist dabei nicht möglich, die gesamte Differenzierungstheorie von Niklas Luhmann (vgl. Luhmann 1998: 634-776) abzuarbeiten, da dies den Rahmen dieser Arbeit bei Weitem sprengen würde. Deshalb wird im Kapitel 2 die Ausdifferenzierung der Funktionssysteme Religion und Wirtschaft nur punktuell behandelt. Die damit verbundene Entwicklung wird exemplarisch an der archaischen und der funktional differenzierten Gesellschaft dargestellt. Übergangsmodelle wie die Zentrum-Peripherie-Gesellschaft oder die stratifizierte Gesellschaft werden ausgelassen.
Die in der archaischen Gesellschaft nicht vorhandene Differenzierung wird im Kapitel 2 am Potlatsch beschrieben, den Marcel Mauss als totales Phänomen bezeichnet (vgl. Mauss 1990: 90). Wann genau die funktionale Differenzierung, die im übrigen als Synonym für die Modernisierung zu verstehen ist, historisch eingesetzt hat, darüber besteht kein Konsens. Max Weber zum Beispiel führt die Entfesselung von Wertsphären und ihren Eigengesetzlichkeiten (vgl. Weber 1988: 541f.) auf die innerweltliche Askese des Protestantismus zurück. Der Protestantismustheorie von Max Weber wird die Position von Niklas Luhmann gegenübergestellt, der den Beginn einer funktionalen Differenzierung ansatzweise in der Antike, den Durchbruch aber im 16. Jahrhundert verortet. Einzelne Ansätze einer sich entkoppelnden Geldwirtschaft sieht Luhmann auch im Mittelalter (vgl. Luhmann 1998: 723).
In dieser Hinsicht – aber nur in dieser – stimmt Luhmann mit Rodney Stark überein, der die Entstehung der okzidentalen Geldwirtschaft in mittelalterlichen Klöstern ansetzt, die er als erste moderne Unternehmen bezeichnet. "[…] the medieval monasteries came to resemble remarkably modern firms – well administered and quick to adopt the latest technological advances" (Stark 2006: 61). Als Rational-Choice-Theoretiker sieht Rodney Stark im rationalen Handeln eine anthropologische Konstante, das durch die mittelalterlichen Klöster jedoch weit mehr begünstigt wird als in anderen Religionen. Zu einer funktionalen Differenzierung kann es innerhalb der Rational-Choice-Theorie nicht kommen, da alles Handeln rational ist.
Weil "die Ausdifferenzierung der Wirtschaft in der Gesellschaft nur im Kontext auch nichtwirtschaftlicher Ausdifferenzierungsprozesse stattfinden kann" (Pahl: 2008: ohne Seitenangabe), führt sie per se zur Ausdifferenzierung der Religion. Sich ausdifferenzierende Funktionssysteme bedingen einander. Sie reproduzieren sich zwar autopoietisch, sind aber insofern aufeinander angewiesen, als dass sie gegenseitige Umwelten bilden. Was das für die Religion bedeutet, formuliert Luhmann wie folgt: "Das Religionssystem sieht sich einer gesellschaftsinternen Umwelt gegenüber, die anderen, nichtreligiösen Belangen folgt" (Luhmann 1993: 262). Erst diese gesellschaftsinterne Umwelt anderer Systeme begünstigt den Prozess der Ausdifferenzierung.
Während Kapitel 2 den historischen Prozess der Differenzierung beschreibt, werden in den folgenden Kapiteln Funktionssysteme und ihre Eigenheiten betrachtet. Wie andere Systeme betrachtet Niklas Luhmann das ökonomisches System als ein kommunikatives Geschehen, für ihn ist "Wirtschaft immer auch ein Vollzug von Gesellschaft" (Luhmann 1994: 8). Das zentrale Merkmal ist Geld, das im Anschluss an Talcott Parsons als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium definiert wird. Es entspricht dem Wesen eines Mediums, dass es neue Kommunikationen herstellen kann (vgl. Luhmann 2005: 25-33). Geld hat damit also einen subversiven Charakter, weil es durch einen binären Code Zahlen/Nichtzahlen auf Stratifizierung basierende Sozialordnungen unterwandert und verändert. Kapitel 3 bringt das Geldtheorem von Viviana Zelizer in Beziehung mit Luhmann: Sie geht davon aus, dass es nicht ein Geld gibt, sondern zahlreiche Gelder, die Ausdruck zahlreicher sozialer Beziehungen sind.
Kapitel 4 behandelt die Religion. Grundsätzlich geht Niklas Luhmann bei der Definition von Religion von einer funktionalistischen Perspektive aus, die auf Emile Durkheim basiert. Bei Durkheim ist Religion eine kollektive Angelegenheit (vgl. Durkheim 1994: 75), bei Luhmann eine kommunikative (vgl. Luhmann 2002: 40) – ein soziales Phänomen ist sie allemal. Durkheim erklärt die Religion anhand von Beobachtungen archaischer Gesellschaften und macht die Unterscheidung zwischen profanem und sakralem Raum zu ihrem universal gültigen Kernmerkmal. Wenn wir aber die moderne Gesellschaft mit Niklas Luhmann als funktional differenziert betrachten, dann verschiebt sich die Unterscheidung von sakral und profan an neue Systemgrenzen. Die Umwelt ist in der archaischen Gesellschaft territorial definiert. Mittels Magie wird die Transzendenz hinein in die Gesellschaft geholt und handhabbar (vgl. Luhmann 1998: 646). In einer funktional differenzierten Gesellschaft verhält sich dies anders: "Was nicht zum System gehört, gehört deshalb zur Umwelt und umgekehrt – es sei denn, dass es überhaupt nicht existiert" (Luhmann 1993: 267). Die Umwelt eines Systems ist somit ein anderes System; eine Fremdreferenz. Es entstehen strukturelle Kopplungen der Systeme – wie zum Beispiel Almosen oder Kirchensteuern, die das religiöse und das ökonomische System koppeln.
Die Ausdifferenzierung der Religion stellt ihren universellen Anspruch in Frage. "Ein religiöses 'Weltbild' wird nicht zuletzt dadurch unmöglich, dass auch die anderen Welt- und Gesellschaftsbeschreibungen nicht überzeugen" (Luhmann 2002: 289). Die Religion muss ihr Welterklärungsmonopol und damit verbundene Machtansprüche an andere Systeme abdelegieren. "Die Religion sichert heute weder gegen Inflation noch gegen einen unliebsamen Regierungswechsel, weder gegen das Fadwerden einer Liebschaft noch gegen wissenschaftliche Widerlegung der eigenen Theorien" (Luhmann 1993: 259). Die Frage ist nun, womit die Religion sich überhaupt noch beschäftigen soll. Die Antwort lautet: mit Transzendenz.
Transzendenz ist aber insofern ein systemtheoretischer Sonderfall, weil sie zur Selbstlegitimation einen Bezug 'nach aussen' beansprucht. Mit Transzendenz ist die Wiedereinführung einer Unterscheidung von vertraut und unvertraut gemeint. "Die Unterscheidung wird in sich selbst auf sich selbst angewandt. Sie wird rekursiv gehandhabt und dadurch (für einen Beobachter) paradox" (Luhmann 1993: 272f.). Es wird also innerhalb des religiösen Systems also eine Komplexität reduziert, die in der Umwelt nicht vorhanden ist – die allenfalls deshalb ausserhalb des Systems erst entsteht, weil sie intern reduziert wird. Diese Reduktionsarbeit wird bei Luhmann unter anderem durch so genannte Chiffren geleistet, auf die ebenfalls im Kapitel 4 eingegangen wird. Im Kapitel 5 wird neben einer Zusammenfassung ein Fazit der Arbeit verfasst.
2 Die Ausdifferenzierung von Funktionssystemen
Bevor die Funktionssysteme Wirtschaft und Religion behandelt werden, wird in diesem Kapitel geschildert, wie es historisch zu deren Ausdifferenzierung gekommen ist. Max Weber erwähnt in diesem Zusammenhang so genannte Wertsphären und deren Eigengesetzlichkeiten (vgl. Weber 1988: 541f.). Diese Wertsphären sind ein Kernmerkmal der Moderne. Luhmann spricht in diesem Zusammenhang – an Anschluss an Talcott Parsons – von Funktionssystemen. Er beschreibt den Differenzierungsprozess, der zur funktionalen Differenzierung führt, als einen Übergang von einer segmentären zur funktional differenzierten Gesellschaft (vgl. Luhmann 1998: 634-776); ein Prozess, der im Falle der okzidentalen Kultur über die "Zentrum-Peripherie-Gesellschaft" (Luhmann 1998: 663-678) und die "stratifizierte Gesellschaft" (Luhmann 1998: 678-706) geführt hat.
Um der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft ein exemplarisches Gegenmodell gegenüberzustellen, lässt sich der von Marcel Mauss beschriebene Potlatsch heranführen. Mauss bezeichnet diesen Tauschakt[2] als "totales" Phänomen (vgl. Mauss 1990: 90). Der Potlatsch ist ein ökonomisches, juristisches, moralisches, ästhetisches, religiöses, mythologisches und sozio-morphologisches Phänomen (vgl. Evans-Prichard 1990: 10). Er vereint alles, woraus sich in der Moderne Wertsphären oder Funktionssysteme entwickelt haben. "Alles kommt und geht, als gäbe es einen immer währenden Austausch einer Sachen und Menschen umfassenden geistigen Materie zwischen den Clans und den Individuen, den Rängen, Geschlechtern und Generationen" (Mauss 1990: 39). Ein totales Phänomen ist nur in einer archaischen Gesellschaft denkbar, in einer Clan-Gesellschaft.
[...]
[1] Natürlich sind alle Systeme auf Externes angewiesen, nämlich auf die Umwelten anderer Systeme. Bei der Transzendenz besteht der Sonderfall darin, dass diese unbeschreibbar sein muss, um überhaupt als solche legitimiert zu sein. Wir werden im Kapitel 4 auf die damit verbundenen Paradoxien zurückkommen.
[2] Tauschakt ist eigentlich eine einseitige Bezeichnung für den Potlatsch, weil sie diesen auf die Ökonomie reduziert. Man könnte ebenso von einem Ritualakt, von einem religiösen, juristischen oder sozialen Akt sprechen – je nach Perspektive der Beobachtung.
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