„Erdogan warnt vor Assimilation“ (Vitzthum, Thomas, 2008, S. 1) mit dieser Überschrift titelt die Tageszeitung „Die Welt“, nachdem der Ministerpräsident der Türkei, Erdogan, in der Köln Arena vor 16.000 türkischen Landsleuten gesprochen hat (vgl. ebd.). Gleichzeitig fordert er die in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Migrationshintergrund dazu auf sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Kann es möglich sein, Assimilation zu umgehen und sich lediglich zu integrieren? Warum warnt der Präsident von Italien, Spanien, Portugal oder Griechenland nicht die, aus eigenen Ländern stammenden Migrantengruppen, davor, sich in Deutschland zu assimilieren? Der Fokus dieser Arbeit soll einige Unterschiede beleuchten die sich zwischen den türkischen Migranten und der Aufnahmegesellschaft ergeben.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Die Migrationstheorie nach Shmuel N. Eisenstadt
1.2. Herleitung der Fragestellung und Hypothese
1.3. Bruchlinienkonflikte und Kernstaatenkonflikte
1.4. Definitionen, Merkmale und Merkmalsausprägung
1.5. Chronologie der Forschung zur Beschreibung von türkischen Migranten mit besonderem Fokus auf den Sachverhalt des Kulturkreises
2. Der Kulturkreis Islam im Vergleich zum Kulturkreis Westen
2.1. Vergleich der Religiosität
3. Integration des islamischen Kulturkreises in Deutschland (Fazit)
3.1 Ausblick und Reflexion
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Erdogan warnt vor Assimilation“ (Vitzthum, Thomas , 2008, S. 1) mit dieser Überschrift titelt die Tageszeitung „Die Welt“, nachdem der Ministerpräsident der Türkei, Erdogan, in der Köln Arena vor 16.000 türkischen Landsleuten gesprochen hat (vgl. ebd.). Gleichzeitig fordert er die in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Migrationshintergrund dazu auf sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Kann es möglich sein, Assimilation zu umgehen und sich lediglich zu integrieren? Warum warnt der Präsident von Italien, Spanien, Portugal oder Griechenland nicht die, aus eigenen Ländern stammenden Migrantengruppen, davor, sich in Deutschland zu assimilieren? Der Fokus dieser Arbeit soll einige Unterschiede beleuchten die sich zwischen den türkischen Migranten und der Aufnahmegesellschaft ergeben.
1.1. Die Migrationstheorie nach Shmuel N. Eisenstadt
Eisenstadt betrachtet Migration als einen Wechsel des Wohnortes (physical transition) aus einer vertrauten in eine fremde, soziokulturelle Lebensumwelt, wobei der Autor den Migrationsvorgang in ein Drei-Phasen-Modell einteilt (vgl. Han, Petrus 2000, S. 46).
Die erste Phase wird durch die Motivation des Migranten zur Immigration bestimmt. Dabei findet ein individueller Prozess statt, indem das Individuum Vor- und Nachteile eines Wohnortwechsels abwägt. Eisenstadt benennt diese Phase auch als sich allmählich verdichtenden psychischen Dispositionsprozess, in welchem materielle als auch soziokulturelle und ökonomische Verbesserungen der Lebens-bedingungen im Zielort gedanklich vorgestellt werden (vgl. ebd.).
In der zweiten Phase wird der Migrationsvorgang an sich beschrieben, indem der Migrant sein Herkunftsland verlässt und in einem ihm völlig fremden Aufnahmeland ankommt. Hierbei liegt der Schwerpunkt nicht auf dem geographischen Wechsel, sondern auf dem Prozess, mit welchem erhebliche soziale Veränderungen in den Bereichen der Interaktionen und Partizipationen mit der Umwelt auftreten. Bisher gelernte und angewendete, soziale Rollen verlieren weitgehend an soziokultureller und gesellschaftlicher Brauchbarkeit. In diesem beginnenden Prozess der Desozialisation (desocialization) durchlebt ein Migrant oft eine Orientierungslosigkeit durch den plötzlichen Wegfall der gewohnten Lebensumwelt. Daraus resultieren generelle Zukunftsängste, die sich erst durch einen Lernprozess der Neuorientierung und Resozialisierung in der neuen Umgebung des Aufnahmelandes abbauen lassen (vgl. Han, Petrus 2000, S. 47).
Die dritte Phase, die Eingliederung der Immigranten in die Aufnahmegesellschaft, ist wohl der Langwierigste von allen drei Phasen. In dem Prozess der Absorption (process of absorption) thematisiert der Autor das Gelingen des neuen Lebens der Migranten und macht dieses von drei Teilprozessen abhängig, sowie von der besonderen Bedeutung des Integrationsprozesses.
Die drei Teilprozesse stellen jeweilige Lernvorgänge der Migranten dar. Im ersten Teilprozess stehen die neue Sprache und deren Anwendung im Vordergrund. Dabei sollen neue soziale Rollen und Verhaltensweisen im Alltag des jeweiligen Aufnahmelandes erlernt und angewendet werden, um sich in der Aufnahmegesellschaft zu Recht zu finden. Der Autor bezeichnet diesen Prozess als Institutionalisierung des Verhaltens bzw. als Akkulturation (vgl. Han, Petrus 2000 S.48). Demnach findet eine langsame Transformation des gesamten Verhaltens und der sozialen Beziehungen der Migranten statt. Eine fehlende Institutionalisierung kann zu anomischen Verhaltensweisen führen (unstructured anomic behavior) und untergräbt nach Ansicht des Autors die geltenden Normen und Werte der Aufnahmegesellschaft. Im zweiten Teilprozess geht es um den Anpassungsprozess (adaptive Integration), welcher maßgeblich von der Integrationsbereitschaft bzw. Integrationswilligkeit der Migranten abhängig ist. Es könnte aber auch zur Ablehnung von Seiten der Aufnahmegesellschaft kommen, die keine Bereitschaft für die Anpassung der Migranten zeigt oder dafür keine Konzepte vorlegt. Weitere Voraussetzung für eine erfolgreiche Absorption in die Gesellschaft ein Zugehörigkeitsgefühl (solidarische Integration) bei den Migranten (vgl. ebd). Im darauf folgenden dritten Teilprozess stellt Eisenstadt den Βegriff der Dispersion in den Mittelpunkt, womit der Prozess der Verschmelzung gemeint ist. Die Migranten sollen letztendlich ihre separate ethnische Gruppenidentität aufgeben, um sich mit der Aufnahmegesellschaft identifizieren (kulturelle Integration). Erst ab dieses Stadium spricht Eisenstadt von einer „full absorption“. Dieser Abschlussprozess der Dispersion, der vollkommenen Absorption, gelingt dem Migranten letztendlich auch durch das Eindringen in die verschiedenen institutionellen Bereiche der Aufnahmegesellschaft wie Kultur, Wirtschaft und Politik und stellt für Eisenstadt die Vollendung seiner Migrationstheorie dar.
1.2. Herleitung der Fragestellung und Hypothese
In dieser Hausarbeit möchte ich auf die zu bearbeitende Fragestellung an dem Punkt ansetzen, der mit Eisenstadts dritter Phase zusammenfällt. Die von dem Autor als notwendig erachtete Aufgabe der ethnischen Gruppenidentität stellt für die türkische Migranten eine größere Umstellung dar, als zum Beispiel für andere Migrantengruppen, die aus dem gleichen Kulturkreis stammen. Somit wirft diese Forderung eine besondere Anforderung an türkische Migranten, da dieser Sachverhalt mit einem Identitätsverlust gleichgesetzt werden kann. Während die Anpassung an die neue soziale Rollen oder Umgangsformen des Aufnahmelandes sowie das Erlernen der deutschen Sprache nicht eine Determinierung der eigenen Kultur bedeuten, sondern eher als Bereicherung oder Ergänzung betrachtet werden können.
Diese Anpassungsleistung wird von Eisenstadt jedoch als notwendige Bedingung betrachtet, um einen vollendeten Integrationsprozess zu ermöglichen. Was also würde geschehen wenn die kulturelle Integration nicht stattfindet, da diese von Seiten der Migranten nicht vollzogen wird? Wenn kulturelle Integration über Kulturkreisgrenzen hinweg eine nicht zu erfüllende Forderung von Seiten der Aufnahmegesellschaft darstellt? Diese Frage möchte ich unter der folgenden Hypothese bearbeiten:
Je mehr Unterschiede zwischen dem Kulturkreis der Mehrheitsgesellschaft und dem Kulturkreis der zu integrierenden Minderheitsgesellschaft bestehen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, der Verweigerung gegenüber einer kulturellen Integration.
1.3. Bruchlinienkonflikte und Kernstaatenkonflikte
Samuel P. Huntington (1996) gab in seinem Buch „Kampf der Kulturen“ Einblicke auf zukünftige Konflikte in der Welt, wie sie so zuvor noch nicht gesehen wurden. Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Wegfall der ideologisch bipolaren Welt waren Menschen und teilweise auch Wissenschaftler von einer Hegemonialen Weltmacht der USA ausgegangen, welche mit dem „Sieg“ des Kapitalismus über den Kommunismus die Weltherrschaft an sich reißen würde. Diese Tatsache wurde zum Teil aber schon am Anfang der neunziger Jahre widerlegt. Samuel P. Huntington zwei generelle Konfliktformen in der Zukunft auf die Welt zukommen.
Zum einen:
„Auf der lokalen oder Mikro-Ebene ergeben sich Bruchlinienkonflikte zwischen benachbarten Staaten aus unterschiedlichen Kulturen, zwischen Gruppen aus unterschiedlichen Kulturkreisen innerhalb ein und desselben Staates und zwischen Gruppen die, wie in der früheren Sowjetunion und im früheren Jugoslawien, den Versuch unternehmen, neue Staaten auf den Trümmern der alten zu errichten“
(Huntington P., Samuel, 1996, S. 332).
Zum anderen:
„Auf der globalen oder Makro-Ebene ergeben sich Kernstaatenkonflikte zwischen den großen Staaten unterschiedlicher Kulturkreise. Gegenstand dieser Konflikte sind die klassischen Streitfragen der internationalen Politik“ (ebd., S.332).
Diesen sind jedoch nicht die einzigen Konfliktformen, die seiner Meinung nach in Frage kommen. Das Weitern könnten sich „[…] »Hegemonialkriege« zwischen aufsteigenden und absteigenden Staaten […]“ (ebd., S.334) ergeben, welche das Machtgleichgewicht zwischen den Kulturkreisen beinträchtigen könnten. Dies trifft ebenso auf anstrebende Kernstaaten innerhalb eines Kulturkreises zu. Kulturkreise sind nach Auffassung von Samuel P. Huntington der Westen, der Hinduismus, die Orthodoxie, der Islam und der Konfuzianismus, sowie Japan als ein eigenständiger autarker Kulturkreis. Dabei sei die Rolle der Kernstaaten bis auf den Islam klar verteilt. Im Islam hingegen sei noch ein hoher Grad an interner Konfliktbereitschaft zu bewältigen sowie, ökonomisch betrachtet, die Kernstaatenfrage noch weitgehend ungeklärt (vgl. ebd., S. 336).
1.4. Definitionen, Merkmale und Merkmalsausprägung
In der folgenden Hausarbeit geht es primär um die Mirko-Ebene und somit um die Bruchlinienkonflikte. Dieser kurze Exkurs in eine globale Ebene des Integrationsprozesses, scheint mir an dieser Stelle sinnvoll zu sein, da Eisenstadt ebenso mit Blick auf die internationalen Migrationstörme auf einer Makro-Ebene operiert. In diesem Zusammenhang soll die dargestellte Theorie von Samuel P. Huntington soll die Betrachtungsweise verdeutlichen, sowie den damit einhergehenden Blickwinkel dieser Hausarbeit. Im Gegensatz zu anderen Migrantengruppen in Deutschland handelt es sich bei den türkischen Migranten um eine andere Kultur, bzw. einen anderen Kulturkreis, welche besonders im religiösen Sinn seinen Niederschlag findet. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle allerdings noch, dass es sich im Integrationsprozess, und auch nicht im eigentlichen Sinn Huntingtons nicht um einen wortwörtlichen >Kampf< der Kulturen handelt. Der Originaltitel „The Clash of Civilizations“ bezeichnet vielmehr einen Zusammenprall der Kulturen, welcher frei übersetzt als Kampf bezeichnet werden kann, damit jedoch die beabsichtigte Bedeutung nicht ausdrückt.
Auch der Begriff „Kulturkreise“ wird je nach wissenschaftlicher Disziplin, unterschiedlich ausgelegt. Um Fehlinterpretationen vorzubeugen und missverständliche Annahmen auszuschließen, beziehe ich mich auf die Definition nach Kronsteiner, Ruth, 2005.
„In politisch aufgeschlossenen Kreisen der Gegenwart kursiert
die Vorstellung, ein Kulturkreis sei eine Art Wertegemeinschaft,
deren grundlegende Werte, sei das konstituierende Element. Ge-
meint ist damit manchmal der Nationalstaat mit seinen Staats-
grenzen und dessen Gesetze, an die sich alle auf dem Staats-
gebiet befindlichen Personen zu halten haben“
(Kronsteiner, Ruth, 2005 S. 4).
In der dieser Hausarbeit zugrunde liegenden Hypothese geht es explizit um die Werte, welche ich anhand der Merkmalsausprägung von Religiosität, Religionsverständnis und Demokratie untersuchen werden
[...]
- Quote paper
- Stefan Spriestersbach (Author), 2008, Hat Integration kulturelle Grenzen? - Am Beispiel der türkischen Migranten in Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89833
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