Die Politik der vier Besatzungsmächte hat im deutschen Mediensystem einschneidende Veränderungen hervorgerufen, die noch heute gültig sind – zumindest die von den Amerikaner, Briten und Franzosen ingeführten. Doch zeigt die Forschung der letzten Jahrzehnte über die Nachkriegspresse in Deutschland nicht nur Neuerungen, sondern auch Altbewährtes. Ob Neubeginn, Fortbestand oder Veränderung des Bestehenden, die Klärung der Frage ist das Ziel dieser Arbeit. Was passierte mit dem Journalismus und der Presse in Deutschland im Zeitraum zwischen 1945 und 1949? Als Stunde Null wird der Zeitpunkt der Kapitulation Deutschlands bezeichnet. Der Begriff soll die enorme Reichweite der Veränderungen veranschaulichen, die Deutschland auf staatlicher, militärischer, gesellschaftlicher und sozialer Ebene erwarteten. Für den Bereich Journalismus und Medien hat Harald Hurwitz, ein ehemaliger amerikanischer Presseoffizier und Wissenschaftler, den Begriff Stunde Null vor über 30 Jahren eingeführt (vgl. Hurwitz, 1972). Die Bezeichnung ist noch immer aktuell, wie Norbert Freis Buch zeigt (vgl. Frei, 1999). Jedoch sei bereits an dieser Stelle die Frage erlaubt, ob eine solche Stunde Null, die begrifflich einen absoluten Neuanfang impliziert, im deutschen Journalismus überhaupt existierte? Die Politik der vier Besatzungsmächte hat im deutschen Mediensystem einschneidende Veränderungen hervorgerufen, die noch heute gültig sind – zumindest die von den Amerikaner, Briten und Franzosen ingeführten. Doch zeigt die Forschung der letzten Jahrzehnte über die Nachkriegspresse in Deutschland nicht nur Neuerungen, sondern auch Altbewährtes. Kurt Koszyk spricht daher von einer Mischung aus „Kontinuität“ und „Neubeginn“ (vgl. Koszyk, 1986), bei Günter Kieslich heißt es „Tradition“ und „Neubeginn“ (vgl. Kieslich, 1963).
Ob Neubeginn, Fortbestand oder Veränderung des Bestehenden, die Klärung der Frage ist das Ziel dieser Arbeit. Was passierte mit dem Journalismus und der Presse in Deutschland im Zeitraum zwischen 1945 und 1949. Welche Entwicklung hat er durch-laufen? Klar ist, vom Himmel ist er nicht gefallen und die Alliierten haben ihn auch nicht gebracht, denn er begann seine Entwicklung in Deutschland bereits mit Erscheinen der ersten Wochenzeitung Aviso am 15. Januar 1609 in Wolfenbüttel (Wilke, 2002a:463f). Für ein Verständnis der Vorgänge zwischen 1945-1949 ist daher eine Analyse der Bedingungen in Deutschland und der Vorstellungen der Alliierten vor 1945 notwendig.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Strukturelemente des Vergleichs
3 Presse in Deutschland bis 1945
3.1 Entwicklung vor 1919
3.2 Entwicklung in der Weimarer Republik (1919-1933)
3.3 Entwicklung im Dritten Reich (1933-1945)
4 Alliierte Planungen vor Kriegsende
4.1 Reeducation-Konzept der Briten und Amerikaner
4.2 Französische Nachkriegsplanung
4.3 Sowjetische Nachkriegsplanung
5 Presseentwicklung in Deutschland unter alliierter Kontrolle
5.1 Die Anfänge der Besatzungspresse
5.2 Die Lizenzphase für deutsche Zeitungen
5.2.1 Lizenzphase im amerikanischen Sektor
5.2.2 Lizenzphase im britischen Sektor
5.2.3 Lizenzphase im französischen Sektor
5.2.4 Lizenzphase im sowjetischen Sektor
5.3 Übergang der Presse in deutsche Verwaltung
6 Aspekte der Lizenzphase
6.1 Entnazifizierung
6.2 Veränderung der Berufskultur
6.3 Pressefreiheit
6.4 Status der Altverleger
6.5 Nachrichtenagenturen
7 Fazit
8 Abkürzungsverzeichnis
9 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
10 Referenzen
1 Einleitung
Als Stunde Null wird der Zeitpunkt der Kapitulation Deutschlands bezeichnet. Der Begriff soll die enorme Reichweite der Veränderungen veranschaulichen, die Deutschland auf staatlicher, militärischer, gesellschaftlicher und sozialer Ebene erwarteten. Für den Bereich Journalismus und Medien hat Harald Hurwitz, ein ehemaliger amerikanischer Presseoffizier und Wissenschaftler, den Begriff Stunde Null vor über 30 Jahren eingeführt (vgl. Hurwitz, 1972). Die Bezeichnung ist noch immer aktuell, wie Norbert Freis Buch zeigt (vgl. Frei, 1999). Jedoch sei bereits an dieser Stelle die Frage erlaubt, ob eine solche Stunde Null, die begrifflich einen absoluten Neuanfang impliziert, im deutschen Journalismus überhaupt existierte? Die Politik der vier Besatzungsmächte hat im deutschen Mediensystem einschneidende Veränderungen hervorgerufen, die noch heute gültig sind – zumindest die von den Amerikaner, Briten und Franzosen ingeführten. Doch zeigt die Forschung der letzten Jahrzehnte über die Nachkriegspresse in Deutschland nicht nur Neuerungen, sondern auch Altbewährtes. Kurt Koszyk spricht daher von einer Mischung aus „Kontinuität“ und „Neubeginn“ (vgl. Koszyk, 1986), bei Günter Kieslich heißt es „Tradition“ und „Neubeginn“ (vgl. Kieslich, 1963).
Ob Neubeginn, Fortbestand oder Veränderung des Bestehenden, die Klärung der Frage ist das Ziel dieser Arbeit. Was passierte mit dem Journalismus und der Presse in Deutschland im Zeitraum zwischen 1945 und 1949. Welche Entwicklung hat er durchlaufen? Klar ist, vom Himmel ist er nicht gefallen und die Alliierten haben ihn auch nicht gebracht, denn er begann seine Entwicklung in Deutschland bereits mit Erscheinen der ersten Wochenzeitung Aviso am 15. Januar 1609 in Wolfenbüttel (Wilke, 2002a:463f). Für ein Verständnis der Vorgänge zwischen 1945-1949 ist daher eine Analyse der Bedingungen in Deutschland und der Vorstellungen der Alliierten vor 1945 notwendig. Es gab eine Presse in der Weimarer Republik (1919-1933), es gab auch Zeitungen und Zeitschriften während des Dritten Reichs (1933-1945). Im Folgenden soll erläutert werden, welche Elemente nach der Stunde Null wiederbelebt, welche aus der Nazizeit übernommen und welche von den Alliierten im Zuge ihrer Umerziehungspolitik hinzugefügt wurden. Dabei betrachtet die vorliegende Arbeit insbesondere den Bereich der Zeitungen. Vorgänge bei anderen gedruckten Mediengattungen (Zeitschriften, Buch) sowie dem Rundfunk sind nicht Thema dieser Arbeit und dienen im Einzelfall nur der Veranschaulichung einzelner Vorgänge.
Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Amerikaner und Briten bereits konkrete Vorstellungen und Pläne, die unter der Sammelbezeichnung Reeducation-Maßnahmen bekannt geworden sind. Deren Ziel wird gerne mit den vier großen „D‘s“ beschrieben: Demilitarisierung, Denazifizierung, Dezentralisierung und Demokratie. Innerhalb dieser Konzeption kam der Presse und dem Rundfunk eine große Bedeutung zu, denn sie wurden als wichtigstes Instrument zur Umerziehung angesehen. Ihnen sprachen die Alliierten eine große Wirkung auf die deutsche Bevölkerung zu. Die Sowjetunion schloss sich dieser „D-Kampagne“ zwar nicht an, doch kam auch sie mit klaren Vorstellungen von der Neuordnung des Mediensektors nach Deutschland. Entsprechend forsch gingen die Besatzungsmächte vor, stoppten alle deutschen Presseveröffentlichungen, gründeten neue Organe und besetzten sie mit handverlesenen Journalisten.
Die Aufarbeitung der Pressegeschichte in diesen bewegten fünf Jahren ist bislang aber noch nicht in befriedigendem Umfang erfolgt. Das veranlasste Bernd Blöbaum zur konsternierten Feststellung: „Die lange auf Politik- und Ereignisgeschichte fixierte Geschichtswissenschaft schenkt der Rolle der Presse in gesellschaftlichen Wandlungsprozessen kaum Aufmerksamkeit“ (Blöbaum, 2002:172). Dabei, so bemerkt Jörg Requate, kommt „den Medien bei der Untersuchung gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse eine Schlüsselfunktion zu“ (Requate, 1999:9). Im Fall der alliierten Pressepolitik sind die Auswirkungen noch heute sichtbar: „Die strukturellen und personellen Eingriffe der Alliierten erlangten in keinem anderen Bereich so fundamentale Bedeutung für die spätere Entwicklung in der Bundesrepublik wie bei Presse und Rundfunk“ (Frei, 1989:370). Doch selbst heute sind noch kritische Stimmen über die damalige Entwicklung zu vernehmen.[1] Aufklärung über die deutsche Pressetradition und die von den Alliierten eingeführten Veränderungen helfen, diese Entwicklung zu verstehen.
2 Strukturelemente des Vergleichs
Die Presse, im Folgenden als Synonym für Zeitungen gebraucht, setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Die nachstehenden drei Elemente gliedern die Darstellung und Auswertung der Entwicklung zwischen 1945-1949 in Anlehnung an die Systematisierung von Bernd Blöhbaum (vgl. Blöbaum, 2002:170f):
- Die Organisation der Presse bezeichnet deren Struktur. Organisatorische Einheiten sind u.a. Redaktionen und Verlage. Diese Kategorie beschreibt Besitzer von Medien, wirtschaftliche Abhängigkeiten und staatliche Vorgaben und Beschränkungen.
- Die Ebene der Beschäftigten gibt primär Auskunft über Journalisten, also die Personen, die in Redaktionen für die Produktion von Inhalten zuständig sind. Diese Kategorie beschreibt Rollenverständnis, Motivation und gesellschaftlichen Status der Journalisten.
- Der Inhalt der Presse untersucht die von Journalisten produzierten Informationen. Dazu gehören die Art der Präsentation (Nachricht oder Kommentar), die Quelle und Beschaffung der Information sowie die Möglichkeiten und Vorgaben zur Selektion der Informationen.
3 Presse in Deutschland bis 1945
Um die Entwicklungen des deutschen Journalismus von 1945-1949 nachvollziehen zu können, ist der Blick in die Vergangenheit zu richten. Denn wie in den folgenden Kapiteln noch zu zeigen sein wird, zielen die Maßnahmen der Westalliierten auf Veränderungen im deutschen Journalismus ab, die weitaus grundlegender als eine Entnazifizierung der dort Beschäftigten sind. Es geht ihnen um die Art der Berichterstattung. Die historische Journalismusforschung scheint in dieser Frage zu einem Konsens gefunden zu haben, nach dem der deutsche Journalismus wesentlich länger als der angelsächsische einer weltanschaulichen Berichterstattung verbunden war, die den einzelnen Journalisten zu einem „kritischen Beobachter“ machte. Das angelsächsische Gegenstück dazu ist der „objektive Beobachter“, der ohne Parteinahme die Fakten eines Ereignisses berichtet (Pöttker, 2005:7). Die Grundlagen dieser Entwicklung reichen weit zurück, so dass vor einer Untersuchung der Entwicklung in der Weimarer Republik (1919-1933) und der Ära der Naziherrschaft (1933-1945) eine Betrachtung der zuvor erfolgten Geschehnisse nötig ist.
3.1 Entwicklung vor 1919
Auf zwei weit zurückliegende Wurzeln des deutschen Journalismus weist Wolfgang Donsbach (Donsbach, 1999:490ff; Donsbach, 2002:82ff) hin, denen er heute noch Einfluss nachsagt. Dies ist die im Vergleich zu angelsächsischen Ländern lang anhaltende politische Instrumentalisierung der Presse und die sehr späte Entwicklung der Pressefreiheit. Während Großbritannien bereits 1695 die Zensur ablegte und 1771 die Grundlagen für eine freie Presse schaffte, datiert Wolfgang Donsbach den Beginn der Pressefreiheit in (West-)Deutschland auf 1949 – quasi als direkte Konsequenz aus der Besatzungspolitik der Alliierten. Frühere Entwicklungen wie das Reichspressegesetz von 1874 oder die von der Weimarer Verfassung garantierte Meinungsfreiheit interpretiert Donsbach als nicht vollständig im Einklang mit dem Gedanken von Pressefreiheit stehend (vgl. Donsbach, 1999:492). Diese Meinung teilen weiter Autoren: „Abgesehen von dem kurzen Zwischenspiel der Revolution von 1948 hat in den deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts zu keiner Zeit und an keiner Stelle tatsächlich Pressefreiheit geherrscht“ (Requate, 1995:244; vgl. auch Dussel, 2004:41ff).
Diese Sichtweise mag aus Historikersicht zugespitzt erscheinen, beleuchtet aber die entscheidende Entwicklungslinie.[2] Denn während die Presse in Deutschland politischer Einflussnahme und Gängelung ausgesetzt war, folgte die angelsächsische Presse bereits dem Dogma des neutralen Berichterstatters. Dabei triumphierten die Fakten über die Meinungen und die Nachrichten über die Kommentare; Eine Entwicklung, deren Ursache im demokratischen Gesellschaftssystem und dem Glauben an die rationale Entscheidung des Einzelnen gesehen werden kann (vgl. Schudson, 1998). Unter diesem Aspekt lässt sich die spezifische deutsche Interpretation von Pressefreiheit in der Zeit bis 1949 als ein „Missverständnis“ der Beteiligten interpretieren, die ihre Aufgabe im Rahmen des jeweils aktuellen Grades an Pressefreiheit mit der Publikation der eigenen oder unterstützten Weltanschauung auslegten und dem mit großem Eifern nachkamen, sobald die politischen Rahmenbedingung es gestatteten. Ein Zurückhalten der eigenen Meinung erschien in Zeiten relativer Pressefreiheit verdächtig, denn neutrale Berichterstattung deuteten die damaligen Protagonisten als Unterdrückung der eigenen Überzeugung (vgl. Esser, 1998:383ff).
Dies führte zur zweiten Besonderheit des deutschen Journalismus, in dessen Zentrum lange die Durchsetzung von Partikularinteressen stand. Wolfgang Donsbach erklärt dies mit einem aus der Aufklärung gewachsenem Berufsverständnis, dass den Journalismus als Überträger von (eigenen) Partikularinteressen sieht und führt dafür die Poeten des frühen 19. Jahrhunderts an, die ihre Stellungen an den Höfen aufgaben, um mit räsonierenden Beiträgen zu politischen Themen an der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken. Zweifel an dieser Begründung entstehen jedoch, da die Phase der Aufklärung in angelsächsischen Ländern und Frankreich ebenso statt fand und gleichsam Schriften von missionarischem Eifer hervorbrachte (vgl. Pöttker, 2005:6f). Dennoch sind unterschiedliche Entwicklungen im angelsächsischen und deutschen Journalismus nicht von der Hand zu weisen: Während die Berichterstattung in der angelsächsischen Presse bereits um 1830 vom Neutralitätsgedanken geleitet war, besaß sie in Deutschland eine politische Konnotation. Neben der politisch meinungslosen Generalanzeigerpresse gehörten viele Zeitungen politischen Parteien oder standen deren Ideologie nahe. In der Konsequenz „hatte Presse politisch und bekennend zu sein“ (Meier, 1997:268). Die politische Unterstützung einer Idee überwog den neutralen Objektivitätsgedanken, im Rahmen der jeweils herrschenden Pressefreiheit (vgl. Hale, 1964:44f). Dieses advokatorische Berufsverständnis war auch 1919 noch vertreten, wie aus einem Vortrag von Max Weber hervorgeht: „Der politische Publizist und vor allem der Journalist ist der wichtigste heutige Repräsentant dieser Gattung [des führenden Politikers im Okzident; Anm. d. Verf.]“ (Weber, 1919:29). Zwar hat dieses advokatorische Berufsverständnis bis heute nachgelassen, verschwand jedoch nie in ähnlichem Maße wie in Großbritannien (vgl. Köcher, 1986).
3.2 Entwicklung in der Weimarer Republik (1919-1933)
Die Zeit zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Machtübername der Nationalsozialisten war geprägt von turbulenten Entwicklungen auf dem Zeitungsmarkt. Wirtschaftlich stabile Zeiten waren es nicht. Während zu Beginn der zwanziger Jahre die Inflation für wirtschaftlich schwierige Rahmenbedingungen sorgte, stellte die allgemeine Wirtschaftskrise am Ende des Jahrzehnts die nächste Herausforderung dar (Wilke, 2002b:37).
Statistische Daten über die Entwicklung der Zeitungen widersprechen diesem Bild nur scheinbar: Während der erste Weltkrieg zu einer Verminderung der Zeitungstitel von 4.000 (1914) auf 3.000 (1918) führte, stieg deren Zahl bis 1932 wieder auf rund 4.000 an.[3] Dabei sind die Auflagen der Blätter mit heutigen Verhältnissen nicht vergleichbar. Es dominierten Klein- und Kleinstauflagen bei einer starken regionalen Zersplitterung. Die populären Heimatzeitungen fanden kaum Verbreitung über die Gemeindegrenzen hinweg. Ein Drittel aller Blätter erschien mit weniger als 2.000 Exemplaren, ein weiteres mit weniger als 5.000 Exemplaren täglich. Das letzte Drittel umfasst Zeitungen mit 5.000 bis 600.000 Exemplaren, unter denen sich auch einige politisch vergleichsweise neutrale Qualitätsblätter in großen Städten befanden (Dussel, 2004:129).
Auf organisatorischer Ebene ist ein hoher Anteil von Zeitungen feststellbar, die sich offen zu einer Partei oder einer politischen Ideologie bekannten. 1929 betrug ihr Anteil am Zeitungsmarkt 45 Prozent. Davon ist ein Drittel auf Seite der Rechten anzusehen, vornehmlich bei der DVP und DNVP – die NSDAP spielte zu diesem Zeitpunkt nur eine marginale Rolle –, jeweils ein Viertel gehörten zum konfessionell-katholischen (Zentrum, Bayernpartei) und dem linksliberalen Bereich. Zehn Prozent unterstützten die SPD, nur fünf Prozent die KPD. Jedoch unterschlägt diese Verteilung aus der amtlichen Pressestatistik – die allerdings auf freiwilligen Angaben der Verleger beruhte – dass vermeintlich neutrale Zeitungen keineswegs ohne politischen Standpunkt waren. „Zeitungen, die sich in den Pressekatalogen als „parteilos“ oder „bürgerlich“ einstuften, vertraten in Wirklichkeit oft genug Positionen der Rechten, die im Laufe der Jahre immer radikaler wurden“ (Dussel, 2004:130ff).
Der politische Artikulationswille der Besitzer färbte während der Weimarer Republik häufig auf die Inhalte der Zeitungen ab. Die KPD forderte zum Klassenkampf auf – ein Beispiel übrigens für die zwar grundgesetzlich verbriefte aber nicht immer vorhandene Pressefreiheit, was die vielen hundert Verbotstage für das KPD-Blatt Rote Fahne zwischen 1919 und 1932 zeigen. Den anderen politischen Richtungen nahe stehende Blätter verfuhren vergleichbar. SPD-nahe Zeitungen berichteten vornehmlich über Politik und das natürlich aus der Perspektive der Interessen der Arbeiter. „Von einem politischen Meinungspluralismus war man ebenso meilenweit entfernt wie von einer Trennung von Meinung und Nachricht. [...] Stil und Inhalt der SPD-Presse blieben belehrend, theoriebeladen, parteischulenhaft, schwerfällig und langatmig“ (Meier, 1997:272). Eine Verkleinerung des räsonierenden politischen Bereichs wurde abgelehnt, ja eine „Amerikanisierung der Parteipresse“[4] befürchtet. Allerdings ist fraglich, ob auf der Wirkungsebene ein Schluss von der publizierten Meinung und ihrer Intensität auf die Einstellung der Leser stattfand. Exemplarisch sei das Beispiel der Pressekampagne gegen den Young-Plan 1929 genannt. Trotz intensiver Bemühungen der rechtskonservativen Presse scheiterte der dafür initiierte Volksentscheid (Dussel, 2004:151).
Wirtschaftliche Zwänge sorgten auf organisatorischer und inhaltlicher Ebene für weitere Änderungen, die zu einem Abbau an Meinungsvielfalt und einer Einflusssteigerung für wenige Publizisten und Industrielle führte. Vor allem Lokalzeitungen waren wirtschaftlich kaum überlebensfähig und auf Quersubventionierung angewiesen. Sie produzierten ihre täglichen Ausgaben meist mit weniger als fünf Mitarbeitern, häufig schrieb selbst der Verleger mit. Sparmaßnahmen zwangen sie zu weiteren Personaleinsparungen. Die fehlenden Inhalte aus redaktionseigener Produktion ersetzten sie durch den Zukauf von Matern, Vorlagen für die direkte Verwendung in den Druckereien. Mit dieser Hilfe konnten sie ihren Lesern weiter ein breites Angebot aus Politik, Wirtschaft, Kultur und lokalen Ereignissen präsentieren, produzierten aber nur noch die lokalen Inhalte selber (vgl. Pürer, 2007:81).
Die einflussreichste Person in dem Materngeschäft war der Großindustrielle Alfred Hugenberg, der mit seinen publizistischen Mitteln eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung vornahm. Der „Hugenbergkonzern“ akkumulierte schnell immer mehr Zeitungen und wuchs zu einem der reichweitenstärksten Verlage in der Weimarer Republik heran. Daneben betrieb er ein Anzeigenunternehmen (ALA) sowie mehrere Materndienste, die vor allem kleine Zeitungen mit fertig aufbereiteten Werbeanzeigen sowie Nachrichten und Kommentaren belieferten. Rund 300 Zeitungen hatten den seit 1922 existierenden Materndienst der Wirtschaftsstelle der Provinzpresse (Wipro) abonniert, weitere 230 den des Central-Büros, dass seit 1925 zum Hugenberg-Konzern gehörte. Damit konnte der Hugenbergkonzern seine politischen und wirtschaftlichen Ansichten in mehr als zehn Prozent der deutschen Presse publizieren, denn den teilnehmenden Zeitungen oblag nur noch die redaktionelle Kontrolle über den Lokalteil (Wilke, 2002b:37ff). Hinzu kommt, dass die Wipro dreimal pro Woche eine Mater mit Berichten und Meinungen von und über die im politischen Spektrum weit rechts platzierte Deutschnationale Volkspartei (DNVP) an die Abonnenten verschickte.
Neben dem Hugenberg-Konzern beherrschten weitere politisch rechts eingestellte Industrielle die Regionalpresse. „Die durchweg [...] antidemokratisch eingestellten Industriellen hatten ihr Kapital bei vielen Verlagen untergebracht und suchten ihren Einfluß [...] praktisch in allen Großstädten, massiv zur Geltung zu bringen“ (Koszyk, 1972:452). Demgegenüber kam der Presse mit abweichender politischer Meinung nur ein geringes Meinungsgewicht zu. Kurt Koszyk kommt daher zu dem Fazit, dass die Presse der Weimarer Republik inhaltlich und organisatorisch unfrei in ihren Entscheidungen war sowie zum politischen und inhaltlichen Diener der Interessen anderer, in den meisten Fällen rechtskonservativer Kreise, gemacht wurde (Koszyk, 1972:453).
3.3 Entwicklung im Dritten Reich (1933-1945)
Bereits kurz nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 31. Januar 1933 begann die Phase der Gleichschaltung. Das bedeutete, möglichst viele gesellschaftliche und politische Bereiche des öffentlichen Lebens in die nationalsozialistische Bewegung zu integrieren und deren Kommando zu unterwerfen. Den Medien, dabei in erster Linie dem Rundfunk, aber auch der Presse, kam entscheidende Bedeutung zu, denn sie wurden als Instrumente zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung betrachtet. „Die Nationalsozialisten sahen in der Presse primär ein Mittel der Staatsführung, um machtpolitische Ziele zu verwirklichen“ (Pürer, 2007:82). Um diese Ansprüche umzusetzen, bedurfte es effektiver Kontrollinstanzen, die Adolf Hitler im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) bündelte. Das am 13. März 1933 neu gegründete Ministerium erhielt die Medienkompetenz aus verschiedenen anderen Ministerien zugewiesen und war politisch für alle Bereiche zuständig, die ein geistiges Einwirken auf die deutsche Bevölkerung erlaubten. Seine Ansicht von der Aufgabe der Presse tat RMVP-Minister Joseph Goebbels bereits am 18. März 1933 öffentlich kund: „Sie werden auch einen Idealzustand darin sehen, daß die Presse so fein organisiert ist, daß sie in
der Hand der Regierung sozusagen ein Klavier ist, auf dem die Regierung spielen kann, [...]“ (Goebbels nach Wulf, 1989:64f).
Um die nationalsozialistischen Vorstellungen von der Organisation der Medien umzusetzen, war eine Reorganisation der Presse in Deutschland unvermeidlich. Dafür nutze Hitler zuerst das Mittel der Notverordnungen,[5] die sich bereits in den beiden letzten Jahren der Weimarer Republik als probates Mittel der Pressekontrolle erwiesen hatten. Nur sechs Tage nach seiner Ernennung ermöglichte Hitler mit der Verordnung zum Schutz des Deutschen Volkes die Verbote von Druckwerken. Für Propagandaminister Goebbels war „dies die Handhabe gegen die Presse, und nun knallen die Verbote, dass es nur so eine Art hat“ (Goebbels nach Koszyk, 1972:354). Zuerst trafen mehrere hundert Verbote die KPD- und SPD-Parteipresse – rechtzeitig vor der Reichstagswahl am 5. März 1933 – bevor auch das Erscheinen der übrigen Parteizeitungen untersagt wurde. Den Abschluss bildete das Verbot von Zeitungsneugründungen im Dezember 1933. Der ersten Verbotswelle folgten weitere Schließungen und Enteignungen, die zumeist auf Notverordnungen basierten. Die Wirtschaftsgüter der auf diesem Wege geschlossenen Verlage und Druckereien kamen der zu diesem Zeitpunkt noch immer schwachen – sowohl in puncto Auflage als auch Wirtschaftskraft – NSDPA-Presse zu und vergrößerten ihren Einfluss. Über 1.000 Zeitungstitel fielen Stilllegungsaktionen während des Krieges zum Opfer, die vordergründig mit Kriegserfordernissen begründet wurden. Der gleiche Grund wurde für die unterschiedliche Zuteilung von Papier ab 1939 angegeben, der vor allem regimekritische Verlage benachteiligte (vgl. Wilke, 2002a:485ff).
[...]
[1] Dr. Heinz Peter Volkert, ehemaliger Präsident des Landtages von Rheinland-Pfalz schreibt in seinem Vorwort zum Buch von Stephan Schölzel „Von heute – nach über vierzig Jahren – aus gesehen war die Lizenzierung wohl keine Patentlösung; [...] (Schölzel, 1986:o.S.).
[2] Diese Interpretation scheint eine Verallgemeinerung der Geschehnisse des 19. und 20. Jahrhunderts: Mit der Märzrevolution 1848 schien das Ende von staatlicher Zensur erreicht. Jedoch verhinderten viele Bundesländer durch repressive Bestimmungen die Freiheit der Presse. Erst das 1974 erlassene Reichspressegesetz löste die 27 verschiedenen Regelungen auf Länderebene ab und sollte die Pressefreiheit sicher stellen. Einschränkungen gegen politisch links orientierte Teile der Presse erfolgten jedoch bereits 1878 durch Bismarcks Sozialistengesetze. Die damit stark eingeschränkte Pressefreiheit beseitigte eine strenge Militärzensur mit Ausbruch des 1. Weltkrieges. Anschließend garantierte die Verfassung der Weimarer Republik die Meinungsfreiheit, schützt jedoch nicht explizit die Pressefreiheit und sah ein Notverordnungsrecht für den Reichspräsidenten vor, der damit Grundrechte außer Kraft setzen konnte. Eine Phase stärkerer Pressekontrolle durch die Regierung begann erneut 1922 und endete mit Machtergreifung der Nationalsozialisten im Umfunktionieren der Presse zu einem Instrument der Propaganda (vgl. Dussel, 2004; Köcher, 1986; Wilke, 1984).
[3] Diesen Zahlen verdecken allerdings den Blick auf das komplizierte Geflecht der Zeitungsstruktur in der Weimarer Republik, die eine Kategorisierung der Medien erschwert. Neben der Hauptausgabe einer Zeitung existierten häufig mehrere Kopf- und Nebenausgaben, die sich entweder allein durch einen veränderten Zeitungstitel (Kopf) oder spezielle Lokal- und Werbeseiten (Nebenausgabe) unterschieden. In der Summe bestätigen jedoch auch elaborierte Strukturdaten (vgl. Meier, 1999:155) die vergleichsweise allgemeinen Daten von Jürgen Wilke (Wilke, 2002b:37).
[4] Eine Anspielung auf die breitere Themenbasis und die Darstellungstechnik der Presse in Amerika (vgl Meier, 1999:246ff).
[5] Die Verfassung der Weimarer Republik gab dem Reichspräsidenten mit §48 weit reichende Möglichkeiten der Regierung im Ausnahmezustand. Damit konnte er ohne Teilnahme des Parlaments regieren.
- Citation du texte
- Michael Ludwig (Auteur), 2008, Kontinuität oder Neubeginn? Die Entwicklung der Presse in Deutschland zwischen 1945-1949, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89817
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