80 % aller Menschen sterben heute nicht im Kreis ihrer Familie sondern in Krankenhäusern oder Heimen. Diese Entwicklung führt auch zu einer Veränderung der traditionellen Bewältigungsformen. Der Tod eines nahen Angehörigen kann eine Krise auslösen. Die Auswirkungen dieses Verlustes sind sehr unterschiedlich und hängen von zahlreichen Faktoren ab, unter anderem von der Art und dem Zeitpunkt des Verlustes, der Beziehung zum Verstorbenen, dem jeweiligen sozialen Umfeld und zunehmend auch von den professionellen Unterstützungsmöglichkeiten in der Region.
Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt in der Erfassung und Darstellung der professionellen Modelle zur Unterstützung betroffener erwachsener Angehöriger bei der Bewältigung von Verlust und Trauer in Niederösterreich. Weiters wird untersucht, in welchen Einrichtungen es Sozialarbeit gibt und welchen berufsspezifischen Beitrag sie in diesem Handlungsfeld leistet.
In dieser Diplomarbeit werden die Ziele und Zielgruppen nachstehend angeführter Einrichtungen anhand von ExpertInneninterviews und Internetrecherchen näher beschrieben:
• Kriseninterventionsteam Rotes Kreuz,
• Akutteam Land NÖ,
• Hospiz,
• Palliativstation,
• Bestattung,
• Telefonseelsorge und
• Selbsthilfegruppen.
Mit der Darstellung einer Übersicht der einzelnen Einrichtungen und ihrer Schnittstellen möchte diese Arbeit dazu beitragen, die Zusammenarbeit untereinander zu verbessern und mithelfen, dass sich jede als wichtiger Teil eines Gesamtnetzwerkes sieht und dadurch zur „Unterstützung und Begleitung bei der Bewältigung von Verlust und Trauer“ effizienter für die Betroffenen arbeiten kann.
Wie aus dem Hospizkonzept und dem Leitbild des Akutteams hervorgeht, kann auf Sozialarbeit in diesem Handlungsfeld aus qualitativen Gründen nicht verzichtet werden.
Inhalt
Abstract
Memento
1 EINLEITUNG
1.1 PROBLEMSTELLUNG
1.2 FORSCHUNGSFRAGE
1.3 INHALTLICHER AUFBAU DER ARBEIT
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
2.1 EINLEITUNG
2.2 VERLUST
2.2.1 Definition des Begriffes Verlust
2.2.2 Verschiedene Formen des Verlustes
2.2.2.1 Der schleichende Tod und die vorgezogene Trauer
2.2.2.2 Der plötzliche Tod
2.2.2.3 Suizid
2.2.2.4 Der Tod von Kindern
2.3 KRISEN
2.3.1 Definition des Begriffes Krise
2.3.2 Arten von Krisen
2.3.2.1 Traumatische Krisen
2.3.2.2 Klassische Krisen
2.3.2.3 Soziale Krise
2.4 TRAUER
2.4.1 Definition des Begriffes Trauer
2.4.2 Trauerphasen nach Kast
2.5 WICHTIGE FAKTOREN FÜR DIE VERLUSTBEWÄLTIGUNG
2.5.1 Art des Todes
2.5.2 Beziehung zum Verstorbenen und soziales Umfeld
2.5.3 Persönlichkeit des Betroffenen und Selbstwertgefühl
Inhaltsverzeichnis
2.5.4 Bisherige Erfahrungen mit Verlusten und Einstellung zum Tod
2.5.5 Männer trauern anders
2.5.6 Schuldgefühle
2.5.7 Rituale
2.5.8 Professionelle Hilfe
3 FORSCHUNGSDESIGN
3.1 EINLEITUNG
3.2 METHODENWAHL
3.3 DATENGEWINNUNG
3.4 DATENAUSWERTUNG
4 MODELLE DER UNTERSTÜTZUNG
4.1 EINLEITUNG
4.2 KRISENINTERVENTIONSTEAM (ROTES KREUZ)
4.2.1 Geschichtliche Entwicklung
4.2.2 Ziele und Zielgruppen
4.2.3 Zahlen und Fakten
4.3 AKUTTEAM (LAND NÖ)
4.3.1 Geschichtliche Entwicklung
4.3.2 Ziele und Zielgruppen
4.3.3 Zahlen und Fakten
4.4 HOSPIZ
4.4.1 Geschichtliche Entwicklung
4.4.2 Ziele und Zielgruppen
4.4.3 Zahlen und Fakten
4.5 PALLIATIVSTATION KRANKENHAUS
4.5.1 Geschichtliche Entwicklung
4.5.2 Ziele und Zielgruppen
4.5.3 Zahlen und Fakten
4.6 BESTATTUNG
4.6.1 Geschichtliche Entwicklung
4.6.2 Ziele und Zielgruppen
Inhaltsverzeichnis
4.6.3 Zahlen und Fakten
4.7 TELEFONSEELSORGE
4.7.1 Geschichtliche Entwicklung
4.7.2 Ziele und Zielgruppen
4.7.3 Zahlen und Fakten
4.8 SELBSTHILFEGRUPPEN
4.8.1 Geschichtliche Entwicklung
4.8.2 Ziele und Zielgruppen
4.8.3 Zahlen und Fakten
5 AUSWERTUNG UND INTERPRETATION DER INTERVIEWS
5.1 EINLEITUNG
5.2 KATEGORIEN
5.2.1 Ziele und Zielgruppen
5.2.2 Problemlagen
5.2.3 Methoden und Handlungen
5.2.4 Konflikte und Lösungsansätze
5.2.5 Veränderungswünsche
6 AUFGABEN DER SOZIALARBEIT IN DIESEM HANDLUNGSFELD
6.1 HOSPIZ UND PALLIATIVSTATION
6.2 AKUTTEAM
6.3 BEDÜRFNISPYRAMIDE NACH MASLOW
6.4 AUFGABEN DER SOZIALARBEIT
7 RESÜMEE
8 LITERATUR
9 ABBILDUNGSVERZEICHNIS
10 ANHANG
LEITFADEN FÜR INTERVIEWS
Abstract
Elisabeth Pilecky
Begleitung und Unterstützung bei der Bewältigung von Verlust und Trauer
Diplomarbeit, eingereicht an der Fachhochschule St. Pölten im August 2007
80 % aller Menschen sterben heute nicht im Kreis ihrer Familie sondern in Kranken- häusern oder Heimen. Diese Entwicklung führt auch zu einer Veränderung der tradi- tionellen Bewältigungsformen. Der Tod eines nahen Angehörigen kann eine Krise auslösen. Die Auswirkungen dieses Verlustes sind sehr unterschiedlich und hängen von zahlreichen Faktoren ab, unter anderem von der Art und dem Zeitpunkt des Ver- lustes, der Beziehung zum Verstorbenen, dem jeweiligen sozialen Umfeld und zu- nehmend auch von den professionellen Unterstützungsmöglichkeiten in der Region.
Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt in der Erfassung und Darstellung der professionellen Modelle zur Unterstützung betroffener erwachsener Angehöriger bei der Bewältigung von Verlust und Trauer in Niederösterreich. Weiters wird untersucht, in welchen Einrichtungen es Sozialarbeit gibt und welchen berufsspezifischen Beitrag sie in diesem Handlungsfeld leistet.
In dieser Diplomarbeit werden die Ziele und Zielgruppen nachstehend angeführter Einrichtungen anhand von ExpertInneninterviews und Internetrecherchen näher be- schrieben:
Kriseninterventionsteam Rotes Kreuz, Akutteam Land NÖ, Hospiz, Palliativstation, Bestattung, Telefonseelsorge und Selbsthilfegruppen.
Mit der Darstellung einer Übersicht der einzelnen Einrichtungen und ihrer Schnittstellen möchte diese Arbeit dazu beitragen, die Zusammenarbeit untereinander zu verbessern und mithelfen, dass sich jede als wichtiger Teil eines Gesamtnetzwerkes sieht und dadurch zur „Unterstützung und Begleitung bei der Bewältigung von Verlust und Trauer“ effizienter für die Betroffenen arbeiten kann.
Wie aus dem Hospizkonzept und dem Leitbild des Akutteams hervorgeht, kann auf Sozialarbeit in diesem Handlungsfeld aus qualitativen Gründen nicht verzichtet wer- den.
Executive Summary
Company and support at the coping with loss and mourning
The attitude of death and dying has changed strongly in course of the 20th and 21st century. Today people do not die within a familiar surrounding anymore, in Austria for example 80% dies in a hospital or in a nursing home. This development leads to strong changes of the traditional forms of mourning. The death of a family member or a close friend can trigger a crisis. The consequences of a loss are very different and depend on numerous factors, including the way and the time of the loss, the relation to the member of the family or friend, the respective social environment and the pro- fessional support.
The focus of the thesis is to describe professional models for supporting adults cop- ing with losses in Lower Austria and to find out, which profession specific contribution social work can provide from the point of view of experts. The examined facilities are a stationary hospice, a palliative station in the hospital, a crisis intervention team Red Cross, an acute team of Lower Austria, a burial, the crisis line and self-help-groups.
By presenting an overview of social institutions and their gateways this thesis wants to help improving the cooperation and to show that each one is a part of an allincluding network, so that the facilities can work more efficiently by supporting person concerned to copy with loss and mourning.
The concept of hospice and the model of the acute team shows, that social work is an important factor in this domain and its lacking decreases the quality of each sup- port.
MEMENTO
Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang, Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind. Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Allein im Nebel tast ich todentlang Und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben. Der weiß es wohl, dem Gleiches widerfuhr; - Und die es trugen, mögen mir vergeben. Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur, Doch mit dem Tod der andern muss man leben.
(Mascha Kaléko 1907 - 1975)
1 Einleitung
Karl Marx schrieb nach dem Tod seines achtjährigen Sohnes: „Der Tod ist kein Unglück für den, der stirbt, sondern für den, der überlebt.“ (Diderich 2002:1)
Der Tod ist in unserem Leben allgegenwärtig und doch seltsam fremd. Er wird in den Medien inszeniert und in der Gesellschaft peinlich gemieden. Noch nie in der Menschheitsgeschichte haben so viele Menschen so viele Tote und Todesarten durch die Medien gesehen und dennoch gleichzeitig persönlich so wenig Berührung mit Sterbenden oder einem Leichnam gehabt. (Student 2004:11)
Die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen in den westlichen Industriestaaten ist in den letzten Jahrzehnten ständig angestiegen. Das hat dazu geführt, dass viele junge Menschen noch keinen Todesfall innerhalb ihrer Familie bzw. im engen Freundeskreis erlebt haben. Diese Diskrepanz könnte eine Erklärung für die Unsicherheit vieler heutiger Menschen gegenüber Tod und Sterben - und in der Folge gegenüber der Trauer sein. (Student 1994:116)
1.1 Problemstellung
Die Strategie unserer Zeit im Umgang mit Trennungen ist vor allem die Vermeidung. Unangenehme Erscheinungen werden „ungeschehen“ gemacht, indem sie verleug- net oder verdrängt werden. Die Frage nach Sterben, Tod und Trauer und deren an- gemessene Bewältigung bereiten vielen Menschen Probleme, weil sie nie gelernt haben, mit Trennungen umzugehen. Und gerade der Tod ist die letzte aller Trennun- gen. (Student 1994:9)
Zu Beginn des 20. Jh. starben noch viele Menschen zu Hause in der vertrauten Umgebung begleitet und umgeben von ihren Angehörigen. Hilfreiche Rituale unterstützten sie und ihre Angehörigen bei der Bewältigung von Sterben und Tod. Das ersparte zwar nicht die Schmerzen des Verlustes, aber es half vor allem den Angehörigen bei der Bewältigung der Trauer. (Aries zit. nach Student 1994:10)
Ulrich Beck (1986) ist in seinem Buch „Risikogesellschaft“ der Ansicht, dass man frü- her Ereignisse eher als „Schicksalsschlag“ betrachtet hat, der von Gott oder der Na- tur gesandt wurde. Trug früher der Betroffene dafür keinerlei Verantwortung, so wer- den heute in der individualisierten Gesellschaft weit eher diese Ereignisse als „per- sönliches Versagen“ angesehen. Es kommt dadurch, was noch zusätzlich belastet, zu neuen Formen der „Schuldzuweisung“. (Beck 1986:218)
Überlieferte Formen der Angst- und Unsicherheitsbewältigung versagen. Es entsteht ein Zwang zur Selbstverarbeitung und Selbstbewältigung. Durch die zunehmenden sozialen und kulturellen Erschütterungen und Verunsicherungen (in NÖ z.B. durch Großereignisse wie das verheerende Busunglück auf der Autobahn bei Melk im Jahr 2000, die Gasexplosion in Wilhelmsburg 1999 sowie das Hochwasser 2002 an der Donau und am Kamp und das Hochwasser 2006 im Marchfeld) entstehen neue Anforderungen an professionelle Einrichtungen. Ausbildung, Beratung, Therapie und Politik sind immer mehr gefordert, neue Modelle der Unterstützung für Betroffene zu entwerfen bzw. auch zu finanzieren. (Beck 1986:251f.)
1.2 Forschungsfrage
Ich habe mein Langzeitpraktikum in einem stationären Hospiz absolviert. Angehörigenarbeit, das heißt die Unterstützung und Begleitung von betroffenen Familienmitgliedern, Freunden und Arbeitskollegen war in dieser Einrichtung ein wichtiges Thema, das vorrangig von der Sozialarbeiterin koordiniert wurde.
Mein Diplomarbeitsthema ist aus der Frage entstanden: Wohin können sich betroffene erwachsene Angehörige in NÖ mit ihren Problemen und Sorgen in diesem Bereich wenden?
Die Forschungsfrage lautet:
Welche professionellen Modelle zur Unterstützung der Bewältigung von Verlusten gibt es in NÖ für betroffene erwachsene Angehörige und welchen berufsspezifischen Beitrag kann hier Sozialarbeit leisten?
Auf diesem Gebiet gibt es kaum Publikationen. Das Ziel dieser Arbeit ist eine Erfassung und Darstellung der professionellen Modelle bzw. Einrichtungen in NÖ, die betroffene erwachsene Angehörige bei der Verlustbewältigung und Trauerarbeit unterstützen und begleiten.
Welche Ziele verfolgen diese Einrichtungen und welche Zielgruppen werden von ih- nen betreut? Mit welchen Problemlagen werden sie bei ihrer Arbeit mit den KlientIn- nen konfrontiert und welche Faktoren spielen laut Meinung von ExpertInnen in diesen
Einrichtungen eine wichtige Rolle bei der Bewältigung von Verlust und Trauer? Weiters soll erfasst werden, in welchen Einrichtungen SozialarbeiterInnen tätig sind und welche Aufgaben von diesen in diesem Handlungsfeld übernommen werden.
Die von mir überprüfte These lautet:
Durch die zunehmende Individualisierung des menschlichen Lebens, die vermehrt zu veränderten Formen des Zusammenlebens führt - es gibt z.B. immer mehr SingleHaushalte, vereinsamte alte Menschen, weniger dauerhafte Beziehungen durch Trennungen - wodurch es in der Folge zu einer Minimierung des sozialen Umfeldes kommt, sind immer öfter institutionelle Einrichtungen gefordert, Menschen bei der Bewältigung von Verlust und Trauer zu unterstützen.
In NÖ werden in diesem Bereich unterschiedliche Modelle für verschiedene Zielgrup- pen bereits angeboten. Faktoren, die für die Verlustbewältigung wichtig sind und die Individualität der Trauer des Einzelnen müssen unbedingt berücksichtigt werden. Ziel führend ist eine Förderung der Vernetzung der einzelnen Einrichtungen, um durch die bessere Kooperation die Betreuung zu optimieren und um regionale Unterschiede auszugleichen.
1.3 Inhaltlicher Aufbau der Arbeit
Im Kapitel 2 werden die wichtigsten theoretischen Grundlagen für die Arbeit zusam- mengefasst. Anhand von Fallbeispielen aus Literatur und Interviews soll ein Bezug zur Praxis hergestellt werden. Die Beschreibung der wichtigsten Faktoren für die Ver- lustbewältigung wurde größtenteils aus den geführten Interviews entnommen.
Die Darstellung der Vorgehensweise bei der Datenerhebung und Datenauswertung wird in Kapitel 3 genau ausgeführt.
Kapitel 4 erfasst alle untersuchten Einrichtungen und beschreibt ihre Ziele und Zielgruppen sowie konkrete Zahlen und Fakten zu ihrer Tätigkeit.
Die Auswertung und Interpretation der geführten Interviews erfolgt in Kapitel 5. Die Aufgaben der Sozialarbeit in diesem Handlungsfeld werden in Kapitel 6 beschrieben.
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Einleitung
Tod ist ein Thema, welches in unserer Gesellschaft gemieden wird. Tod passiert an- deren, in den Medien oder zu einem anderen Zeitpunkt - nicht jetzt und hier. Über Tod und Sterben spricht man nicht. Die meisten Menschen lernen nicht, zu trauern, die Trauer anzunehmen und zu durchleben. Stattdessen sind sie gezwungen, ihre Trauer zu verstecken oder gar zu leugnen. Viele Menschen erhalten keine oder nur für eine kurze Zeit Gelegenheit, ihre Gefühle des Schmerzes und des Zorns auszu- drücken und über ihren Verlust zu sprechen. Das soziale Umfeld verlangt meistens, dass möglichst schnell der gewohnte Alltag wieder hergestellt wird. (Wolf 2005:13)
2.2 Verlust
2.2.1 Definition des Begriffes Verlust
„Verlust bedeutet immer die Trennung von etwas, das in gewisser Weise Teil der Existenz des Individuums ist oder ihm gehört. Dieses "Etwas" kann eine Person sein, jemand, der ihm sehr nahe stand und durch den Tod oder das Auseinanderbrechen einer Beziehung von ihm getrennt oder für immer aus seiner Umgebung entfernt wird. (…) Ein schwerer Verlust beinhaltet die nicht wieder rückgängig zu machende Trennung von einem physischen oder emotionalen Teil der Person. (…) Die Auswir- kungen eines Verlustes sind sehr unterschiedlich und hängen von zahlreichen Vari- ablen ab: Persönlichkeit, Art des Verlustes, Zeitpunkt des Verlustes im Verhältnis zu anderen Ereignissen im Leben der Person, andere bedeutende Ereignisse im Leben, die Einbeziehung naher Freunde oder Verwandter, die praktischen Auswirkungen des Verlustes für das zukünftige Leben des Individuums.“ (Cook, Phillips 2002:1)
Laut Berichten von WissenschafterInnen, die andere Kulturen und ihre Reaktionen auf den Verlust eines Menschen untersucht haben, gibt es überall kurz nach dem Verlust ein allgemeines Bemühen um die Wiedererlangung der geliebten Person bzw. wird an ein Wiedersehen nach dem Tode geglaubt. (Wolf 2005:12)
2.2.2 Verschiedene Formen des Verlustes
Der Tod eines Angehörigen kann sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise ereignen. Er kann langsam und schleichend im Zuge einer chronischen Krankheit eintreten oder plötzlich und völlig unerwartet einen Menschen aus dem Leben reißen. Je nach Form und Art des Todes entstehen für die Angehörigen unterschiedliche Herausforderungen und Probleme. (Wolf 2005:48)
2.2.2.1 Der schleichende Tod und die vorgezogene Trauer
Wenn sich der Tod eines Menschen in Form einer schleichenden chronischen Krank- heit ankündigt, dann bewirkt das bei seinen Angehörigen sehr häufig ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit. Einerseits versuchen die meisten, den PatientInnen Mut zum Durchhalten und zum Kampf gegen die Krankheit zuzusprechen, andererseits wünschen sich viele einen raschen und schmerzlosen Tod für sie, damit sie ihr Lei- den nicht miterleben müssen. Dies führt oft zu einer Gratwanderung zwischen Hoff- nung und Loslassen können, die bereits vor dem Tod für die Angehörigen sehr zer- mürbend sein kann. (Wolf 2005:49)
In diesen Fällen kann oft eine vorgezogene Trauer bei den Angehörigen beobachtet werden. Sie sind innerlich bereits dabei, Abschied vom Sterbenden zu nehmen und sich mit seinem Tod auseinander zu setzen. Hilfreich für die Trauerverarbeitung sieht Wolf hier vor allem das Akzeptieren der eigenen Gefühle. Das kann z.B. die Wut auf den Partner sein, weil er sterben wird und den anderen alleine zurück lässt. Häufig entstehen bei den Angehörigen in diesem Zusammenhang auch Schuldgefühle. Hier kann es ihnen helfen, wenn sie dazu ermutigt werden, die restliche Zeit zu nützen, um unerledigte Dinge anzusprechen und zu versuchen, diese gemeinsam zu klären. (ebd.:49)
2.2.2.2 Der plötzliche Tod
Viele Arten des Sterbens sind langsam und ermöglichen dadurch eine Vorbereitung auf die kommenden starken Veränderungen, die der Tod für die Angehörigen mit sich bringt. Es gibt aber Todesarten, die plötzlich und völlig unerwartet passieren. Dazu gehören Unfälle, Gewaltverbrechen und Suizid. Manche Krankheiten wie Herzinfarkt oder Gehirnschlag können ebenso zu einem plötzlichen Tod führen. Bei einem plötz- lichen Tod ändern sich die Lebensumstände der Angehörigen von einem Augenblick zum nächsten. (Paul 2004:9)
Generell geht aus Untersuchungen und ExpertInnenmeinungen hervor, dass plötzliche unerwartete Todesfälle schwieriger zu verarbeiten sind, als solche, auf die sich die Angehörigen einstellen können. Der Schockzustand und die Phase des NichtWahrhaben-Wollens dauern beim plötzlichen Tod häufig länger an.
Besonders wichtig für das Einsetzen des Trauerprozesses ist die Möglichkeit, sich vom Verstorbenen verabschieden zu können. Bis vor einigen Jahren war es für An- gehörige kaum möglich, sich von einem durch einen Unfall ums Leben gekommenen Menschen zu verabschieden, außer das Unfallopfer musste identifiziert werden. Mitt- lerweile erkennen - auch dank der Zusammenarbeit mit dem Kriseninterventions- team des Roten Kreuzes - immer mehr Bestatter, dass die Möglichkeit der Verab- schiedung, dieses wortwörtliche „Begreifen“ des Todes der betroffenen Person für die Realisierung und das Einsetzen des Trauerprozesses bei den Angehörigen sehr wichtig ist. (Interview 4:6)
Auch bei sehr tragischen Verkehrsunfällen, durch die der Leichnam massiv entstellt wurde, gibt es die Möglichkeit, durch Abdecken der betroffenen Stellen den Angehörigen eine Verabschiedung zu ermöglichen. Die Eltern oder der Partner erkennen auch an einer Hand, dass sie jetzt vor dem toten Körper des geliebten Menschen stehen. Das ist so wichtig, um das bis dahin Unvorstellbare begreifen zu können und sich nichts mehr „vorzumachen“. (Interview 10:5) Fallbeispiel
„ Ich wurde zu einem Fall gerufen, da ist der Bauer vom Dach herunter gefallen und war auf der Stelle tot. Der Notarzthubschrauber war gerade dort, als ich hin- gekommen bin. Nach der erfolglosen Reanimation ist er weggeflogen und der Be- statter wollte den Mann auf der Stelle wegbringen. Ich habe ihn weggeschickt und ihm gesagt, zuerst muss einmal die Familie begreifen, was da passiert ist. Vor ei- ner ½ Stunde war der Bauer noch lebendig auf dem Dach und jetzt lebt er nicht mehr. Ich habe die Bäuerin ermutigt, ihren Mann in die Arme zu nehmen. Allmäh- lich haben alle begriffen, was geschehen ist, als sie gemerkt haben, wie der Kör- per kalt wurde. Wenn man den Leichnam sofort wegbringt, … . die Angehörigen können das dann nicht „ behirnen “ . Durch den Unfall hat man ein Brett vor dem Kopf. “ (Interview 4:8)
2.2.2.3 Suizid
Wenn ein Mensch beschließt durch Suizid aus dem Leben zu scheiden, dann ist das für nahe stehende Personen oft eine sehr starke Belastung. Eine Selbsttötung ist nicht nur ein plötzlicher Tod, sie ist auch die am stärksten tabuisierte Todesursache in unserer Gesellschaft. Geheimnisse und Vorurteile ranken sich um jeden einzelnen Suizid. Nach einem Suizid fühlen sich die Angehörigen häufig schuldig, weil sie den Suizid nicht verhindern konnten. Sie geben sich die Schuld, Anzeichen übersehen bzw. falsch gedeutet zu haben. Die Verantwortung für die Entscheidung zum Leben oder zum Sterben trägt jedoch nach Ansicht von Paul jeder Mensch für sich selbst. (Paul 2004:15)
Paul nennt vier Punkte, die den Angehörigen nach einem Suizid den Verlust erschweren und den Beginn des Trauerprozesses verzögern können:
Suizid geschieht immer alleine - in Abwesenheit der Angehörigen.
Die moralische Verurteilung des Suizids verhindert häufig friedliche Fantasien über den Tod und begünstigt angstbesetzte Vorstellungen.
Die polizeilichen Ermittlungen nach einem Suizid erfordern, dass die Leiche erst nach einigen Tagen freigegeben wird. Dadurch ist häufig eine Verabschiedung für die Angehörigen nicht mehr möglich.
Diese wichtige Verabschiedung wird oft auch durch gut gemeinte Warnungen und Ratschläge verhindert: „Man soll doch den Toten / die Tote so im Gedächtnis behalten, wie er oder sie war.“ Das führt zu einer Entfremdung des Bildes der Realität bei den Angehörigen. Für sie ist es unter diesen Umständen fast unmöglich die „Wirklichkeit des Verlustes“ zu akzeptieren. (Paul 2004:21)
2.2.2.4 Der Tod von Kindern
Wenn Kinder sterben, empfinden das die meisten Menschen als unnatürlich und un- gerecht. Kinder sollten unserer Meinung nach nie vor den Eltern sterben. War das Kind vor seinem Tod bereits längere Zeit chronisch krank, dann haben die Eltern und Angehörigen es bereits durch einen schweren Weg des Leidens begleitet. (Wolf 2005:55)
Ein häufiges Problem in diesen Fällen sind Konflikte in der Partnerschaft der Eltern. Jeder Elternteil geht anders mit Leid und Trauer um und erzeugt dadurch Unver- ständnis beim Partner. Während Mütter darüber sehr oft mit jemandem sprechen möchten, versuchen Väter, möglicherweise auf Grund ihrer Erziehung bzw. dem nach wie vor herrschenden Rollenbild des Mannes in unserer Gesellschaft als star- kes Familienoberhaupt, das Ganze soweit als möglich zu verdrängen. Die meisten wollen mit ihrer Partnerin nicht darüber reden. Viele Männer stürzen sich verstärkt in ihre Arbeit bzw. Hobbys und werden durch diese Art der Verlustbewältigung von ih- ren Partnerinnen als herz- und lieblos angesehen. Männer und Frauen können sich in solchen Fällen nur sehr selten gegenseitig Unterstützung geben.
Wolf empfiehlt hier besonders den Besuch von Selbsthilfegruppen für „verwaiste Eltern“, die therapeutisch professionell begleitet werden. (ebd.:55)
Kein Verlust ist mit einem anderen vergleichbar und jeder Mensch macht seine ganz persönlichen Erfahrungen damit, wie er mit dem jeweiligen Verlust umgeht. Je nachdem es ihm sein soziales Umfeld erlaubt, offen zu seinem Verlust zu stehen und darüber zu sprechen bzw. wie viel Begleitung und Unterstützung durch Angehörige, Freunde und professionelle Einrichtungen er bekommt, kann seine Verlustbewältigung erschwert oder erleichtert werden. (ebd.:56)
2.3 Krisen
Jeder Mensch steht immer wieder vor neuen Lebensproblemen, die er zunächst mit den erlernten Erfahrungen und den gewohnten Strategien zu erfassen und zu lösen versucht. Von einer Krise kann dann gesprochen werden, wenn ein für einen Men- schen belastendes Ungleichgewicht zwischen der subjektiven Bedeutung seines Problems und seinen Bewältigungsmöglichkeiten, die ihm zur Verfügung stehen, ent- steht. (Kast 2002:12f.)
Die Chinesen stellen das Wort „Krise“ mit zwei Schriftzeichen dar:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Chinesisches Schriftzeichen für Krise
Das linke Symbol bedeutet Gefahr, das rechte Chance. Es gibt Zeiten, in denen Probleme in einem menschlichen Leben überhand nehmen und Krisensituationen entstehen. Krisen müssen jedoch nicht unbedingt in eine Katastrophe führen, sie können auch ein Wendepunkt zu einer intensiven Lebensveränderung sein und zum inneren Wachstum eines Menschen beitragen. (Sonneck 2000:29)
2.3.1 Definition des Begriffes Krise
Sonneck versteht unter einer psychosozialen Krise in Anlehnung an die Überlegungen von Caplan (1964) und Cullberg (1978) den „ Verlust des seelischen Gleichgewichts, den ein Mensch verspürt, wenn er mit Er- eignissen und Lebensumständen konfrontiert wird, die er im Augenblick nicht be- wältigen kann, weil sie von der Art und vom Ausma ß her seine durch frühere Er- fahrungen erworbenen Fähigkeiten und erprobten Hilfsmittel zur Erreichung wich- tiger Lebensziele oder zur Bewältigung seiner Lebenssituationüberfordern. “ (Sonneck 2000:15)
Die Anlässe für Krisen sind bestimmte Ereignisse oder Lebensumstände. Sie können auftreten als:
1. Katastrophen und Massenbelastungen
2. Individuelle Belastungen (auf körperlicher, psychischer oder sozialer Ebene)
3. Subjektive Bedeutungsgebung (Art und Ausmaß unterliegen nicht nur der Ob- jektivität. Die Dramatik eines Geschehens wird auch durch jeweils subjektiv fantasierte Bedeutungen und Konsequenzen beeinflusst) (Sonneck 2000:32f.)
2.3.2 Arten von Krisen
Je nachdem, welche individuellen Belastungen zu Krisen geführt haben, unterscheidet das Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes zwischen traumatischer, klassischer und sozialer Krise.
Die häufigsten Krisen, mit denen das Kriseninterventionsteam konfrontiert wird, sind
2.3.2.1 Traumatische Krisen
„Das sind Krisen, die durch den Tod, drohenden Tod oder eine schwere Verletzung / Erkrankung naher Bezugspersonen ausgelöst werden, bzw. durch das Miterleben von Tod, drohendem Tod oder schwerer Verletzung / Erkrankung anderer Personen sowie die eigene schwere Verletzung / Erkrankung oder Lebensgefährdung entstehen.“ (DSM IV, 1998 zit. in Rotes Kreuz 2004:5)
Cullberg (1978) beschreibt die traumatische Krise als „eine durch einen Krisenanlass mit subjektiver Wertigkeit plötzlich aufkommende Situation von allgemein schmerzlicher Natur, die auf einmal die psychische Existenz, die soziale Identität und Sicherheit und / oder die fundamentalen Befriedigungsmöglichkeiten bedroht.“ (Cullberg 1978 zit. nach Sonneck 2000:33)
Fallbeispiel:
„ Herr N. (60) sitzt mit seiner Frau (58) beim Abendessen, als sie plötzlich umkippt und aufhört zu atmen. Er begreift zuerst nicht was passiert ist, versucht sie dann zu beatmen und läuft schlie ß lich zu den Nachbarn, um die Rettung anzurufen. Als das Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes eintrifft, bricht das Notarztteam
gerade die Reanimation ab. Inzwischen sind die Tochter und der Sohn von Herrn
N. auch eingetroffen. Herr N. und seine Tochter sitzen schweigend im Wohnzim mer, der Sohn läuft in der Küche auf und ab. “ (Rotes Kreuz 2004:5)
Der typische Verlauf der traumatischen Krise erfolgt in vier Phasen:
1. Phase - Schockphase: Zustand der Betäubung oder chaotisch - ungesteuerter Aktivitäten
2. Phase - Reaktionsphase: Konfrontation mit Realität, Versuche, sie zu integrieren (Es besteht Fixierungsgefahr, wenn intrapsychische Konflikte aktiviert werden bzw. Chronifizierungsgefahr bei sozialer Isolierung, wenn äußere Hilfsstrukturen unbefriedigend sind.)
3. Phase - Bearbeitungsphase: Lösung von Trauma und Vergangenheit
4. Phase - Neuorientierung: Selbstwertgefühl wird wieder gewonnen, neue Beziehungen werden hergestellt. (Sonneck 2000:33f.)
2.3.2.2 Klassische Krisen
Neben der Traumatischen Krise findet das Kriseninterventionsteam auch die Klassische Krise vor, wie sie in psychiatrischen Notaufnahmen vorkommt. Im Speziellen handelt es sich dabei meist um Suizidandrohungen und -versuche. Diese Art der Krise kann sich oft unvermittelt aus traumatischen Ereignissen ergeben.
„ Herr N. bleibt eine Weile neben seiner verstorbenen Frau sitzen, steht dann plötzlich auf und läuft aus dem Zimmer. Die KIT-Mitarbeiterin findet ihn im Schlafzim mer, wo er eine Packung Schlaftabletten in der Hand hält und sagt, er wolle nicht mehr leben. “ (Rotes Kreuz 2004:6)
2.3.2.3 Soziale Krise
Eher selten kommt beim Kriseninterventionsteam eine Soziale Krise vor, das heißt ein eskalierender Konflikt im näheren sozialen Umfeld von Personen. Bei der Eskala- tion solcher Krisen wird immer die Exekutive eingeschaltet. Allerdings kann sich die soziale Krise ebenfalls recht rasch aus einer Traumatischen Krise ergeben.
„ Frau W. kommt gerade aus dem Krankenhaus heim, wo sie wegen einer schwe ren Krebsoperation für mehrere Wochen gewesen ist. Sie erfährt, dass sich ihr Sohn soeben umgebracht hat. Es entbrennt ein heftiger Streit, als sie ihrem Mann vorwirft, er hätte sich nicht genug um den Sohn gekümmert. “ (Rotes Kreuz 2004:6)
Es ist bekannt, dass sich Ängste in Beziehungen verringern. Das ist auch ein wesent- licher Grund, warum Kriseninterventionen erfolgreich sind. In einer Krisenintervention wird ein Mensch durch einen anderen Menschen, der in der Situation kompetent und unterstützend wahrgenommen wird, „entängstigt“. Angst lähmt die Betroffenen. Durch die Überwindung der Angst finden sie wieder Zugang zu den eigenen Res- sourcen und gewinnen wieder Hoffnung und Mut zur Bewältigung der Veränderun- gen. Häufig kann dann erst der Trauerprozess einsetzen. (Kast 2002:30)
2.4 Trauer
„Die Trauer ist keine Krankheit sondern eine angemessene Reaktion auf einen erlittenen Verlust. (…) Jeder Mensch hat seine eigene Zeit und seine eigene Art, wie er trauert. Bei jedem Ereignis, ob es Trennung, Scheidung, Verlust des Arbeitsplatzes, Verlust der Gesundheit durch eine chronische Erkrankung oder einen Unfall, Verlust der Jugend oder der Verlust eines Partners durch Tod ist, reagieren Körper und Seele. Sie geraten aus dem Gleichgewicht.“ (Wolf 2005:20)
2.4.1 Definition des Begriffes Trauer
Die englische Sprache kennt drei Begriffe für Trauer. Small (2001) schlägt folgende unterschiedliche Bedeutungen vor:
grief: das Gefühl des Schmerzes nach dem Verlust mourning: die Zeit der Trauer bereavement: der Prozess des Beziehungsverlustes oder der Beziehungsveränderung (Small 2001:20 zit. nach Feldmann 2004:272)
In der deutschen Sprache wird heute im Zeitalter der Individualisierung vor allem der Gefühlsteil mit dem Wort Trauer angesprochen. Als Trauer werden die Gefühlszustände und Verhaltensweisen nach einem Verlust oder auch bei drohendem Verlust bezeichnet. (Feldmann 2004:272f.)
Sigmund Freud führte im Jahre 1915 den Begriff der Trauerarbeit ein, um die Wich- tigkeit der psychischen Arbeit zu unterstreichen, die im Trauerprozess geleistet wer- den muss. Nach dem Verlust eines „Liebesobjektes“ bewirkt die Trauerarbeit, dass sich der bzw. die Betroffene von dem verlorenen Objekt ablösen kann. (Kirchmayr 2004:1)
Die Trauerreaktion ist ein universelles menschliches Reaktionsmuster, mit dem es Betroffenen gelingt, Verlust und Trennung zu bewältigen und nicht vom Schmerz überwältigt zu werden. Einzelne Kulturen zeigen in diesem Bereich recht unterschiedliche Ausdrucksweisen wie z.B. die "Klageweiber" in mediterranen Kulturen. Rituale haben im Wesentlichen die Funktion, Hinterbliebene in ihrem Trauern zu unterstützen und ihnen die notwendige "Trauerarbeit" häufig überhaupt erst zu ermöglichen. (Niklewski, Riecke-Niklewski 1998:17)
2.4.2 Trauerphasen nach Kast
Das von Verena Kast entwickelte Modell der vier Trauerphasen gilt heute als eine wichtige Grundlage für das Verständnis des Trauerprozesses.
1. Phase: Nicht-Wahrhaben-Wollen
Der Tod eines Menschen schockiert immer, auch wenn er nicht unerwartet kommt. In dieser Phase herrschen Verzweiflung, Hilf- und Ratlosigkeit vor. Das Geschehene wird noch nicht erfasst, man leugnet es ab, man kann und will es nicht glauben. Viele Menschen sind wie erstarrt, verstört und völlig apathisch. Andere geraten außer Kontrolle oder brechen zusammen. Körperliche Reaktionen können rascher Pulsschlag, Schwitzen, Übelkeit, Erbrechen oder motorische Unruhe sein. In dieser Phase sollten Betroffene nicht alleine gelassen werden.
Diese Phase kann wenige Stunden bis - vor allem bei plötzlich eingetretenen Todesfällen - mehrere Tage andauern. (Kast 1982:61)
2. Phase: aufbrechende Emotionen
Die Gefühle bahnen sich nun ihren Weg: Leid, Schmerz, Wut, Zorn, Freude, Traurigkeit und Angst können an die Oberfläche kommen. Auch gegen den Toten / die Tote werden Vorwürfe gerichtet: „Wie konntest du mich nur im Stich lassen?“ oder „Was soll nun aus mir werden?“ Diese aggressiven Gefühle können sich aber auch gegen einen selbst richten: „Hätte ich nicht besser aufpassen müssen?“ oder „Hätte ich das Unglück nicht verhindern können?“ Als Folge davon entstehen Schuldgefühle, die die Trauernden quälen. Es ist wichtig, alle diese Gefühle zuzulassen. Werden diese Gefühle unterdrückt, kann das zu einer Depression führen.
Die Dauer dieser Phase lässt sich nur schwer abschätzen. Sie kann mehrere Wochen bis Monate dauern. (Kast 1982:62)
3. Phase: Suchen und Sich-Trennen
In dieser Phase wird zum einen der reale Mensch gesucht. Es wird nach ihm an Or- ten des gemeinsamen Lebens Ausschau gehalten. Weiters wird in den Gesichtern Unbekannter nach den geliebten und bekannten Gesichtszügen gesucht. Die Ge- wohnheiten des oder der Verstorbenen werden häufig übernommen. Viele Trauernde halten in dieser Phase innere Zwiegespräche mit ihm oder ihr. Durch diese intensive
Auseinandersetzung entsteht bei den Trauernden oft ein starkes Begegnungsgefühl. Im Verlaufe dieses intensiven Suchens, Findens und Wieder-Trennens kommt der Augenblick, in dem die Trauernden die innere Entscheidung treffen, wieder ja zum Leben und zum Weiterleben zu sagen oder aber in der Trauer zu verharren. Dieses Suchen kann aber auch eine tiefe Verzweiflung entstehen lassen. Suizidale Gedanken sind in dieser Phase relativ häufig. Wichtig während dieser Phase ist Geduld und Zuhören können. Alle Erlebnisse der Vergangenheit dürfen ausgesprochen werden. Suizidale Äußerungen müssen immer ernst genommen werden.
Diese Phase kann Wochen, Monate oder Jahre dauern. (Kast 1982:67f.)
4. Phase: neuer Selbst- und Weltbezug
Der Verlust wird zunehmend besser akzeptiert, ohne dass der oder die Verstorbene vergessen oder verdrängt wird. Es kommt die Zeit, in der man wieder neue Pläne schmieden kann. Der Trauerprozess hat Spuren hinterlassen, die Einstellung der Trauernden zum Leben hat sich meist völlig verändert. Der bzw. die Verstorbene bleibt ein Teil dieses Lebens. Er oder sie lebt weiter in den Erinnerungen und im Ge- denken. (Kast 1982:71)
Jede dieser vier Phasen birgt die Gefahr in sich, dass die Trauernden den Weg zu- rück wählt und sich nicht der Weiterentwicklung des Trauerprozesses stellt. Dadurch kann es zu pathologischen Formen der Regression und Fixierung kommen. (Kirch- mayr 2004:3)
Nicht geleistete Trauerarbeit kann sich rächen, indem die Trauer später bei unerwarteten Anlässen wieder zum Ausbruch kommt. So passiert es sehr häufig, dass bei einem Sterbefall oder bei einem andersartigen schweren Verlust plötzlich andere, vorher nicht bewältigte Trauer aufbricht und Betroffene plötzlich nicht nur mit einem, sondern mit mehreren unverarbeiteten Verlusten und Situationen konfrontiert werden. Eine andere Möglichkeit beschreibt der bekannte Trauerforscher und Psychologe Jorgos Canacakis: "Nicht geweinte Tränen wandern im Körper umher und verursachen Krankheiten." (Jülicher 2001:15)
2.5 Wichtige Faktoren für die Verlustbewältigung
„Das eigene Leben wird in unserer heutigen Zeit immer mehr zu einem Experiment“, meint Ulrich Beck. Überlieferte Rezepte und traditionelle Rollenstereotype versagen in unserer schnelllebigen Gesellschaft. Vorbilder für die eigene Lebens- bzw. Ver- lustbewältigung gibt es kaum. Die Befreiung aus alten Werten und Normen kann durchaus als eine große Freiheit für den einzelnen Menschen gesehen werden. Auf der anderen Seite bedeutet sie aber auch eine große Herausforderung für jeden Ein- zelnen, die zu einer Überforderung führen kann. (Beck 1986 zit. nach Kast 2003:13)
Ein zentrales Thema bei Lebensveränderungen durch Verlust und Krise ist der Umgang mit der Angst. Von Angst werden Menschen meistens ergriffen, wenn sie sich einer komplexen, mehrdeutigen Situation gegenüber sehen, in der sie sich hilflos fühlen und überzeugt sind, dass sie nicht die Fähigkeiten haben, richtig auf die gestellten Anforderungen zu reagieren. Die überlieferten Formen der Angstbewältigung gelten nicht mehr in unserer Gesellschaft. Der Umgang mit der eigenen Angst ist laut Beck zu einer „zivilisatorischen Schlüsselqualifikation“ geworden. Das gilt genauso für den Umgang mit Verlusten und Krisen, denn Angst spielt bei der Entwicklung von Krisen eine wichtige Rolle. (Beck 1986 zit. nach Kast 2003:14)
In Anlehnung an die Ansichten von Beck fordert Kast, dass die sozialen Kompetenzen der Menschen im Umgang mit Krisen und Ängsten besser und gezielter geschult werden sollten. Als Grundlage hierfür könnten ihrer Meinung nach die Erkenntnisse aus der Krisenintervention verwendet werden. (Kast 2003:15)
Jeder Tod kommt für den, der mit dem Verlust leben muss, einem Weltuntergang gleich. Dieses Chaos gilt es zu sortieren und vieles neu zu bewerten. Was war bisher wichtig und was ist jetzt weniger wichtig? Die Prioritäten verschieben sich. (Roth 2002:49)
Jeder Mensch reagiert individuell auf die Konfrontation mit Verlust und Trauer. Es gibt hier keine beobachtbaren Regeln von Verhaltensweisen in dieser Situation, aber es gibt verschiedene Faktoren, die sich auf die Bewältigung und den Trauerprozess auswirken können. (Interview 3:2f.)
2.5.1 Art des Todes
Wie bereits in Kapitel 2.2.2 beschrieben, ist der Todesumstand ein sehr wesentlicher Faktor für die Verlustbewältigung. Es gibt starke Unterschiede, ob der Tod plötzlich und überraschend eingetreten ist oder nach einer längeren Krankheit. Suizid und der Tod von Kindern können durch die zusätzliche Problematik das Einsetzen und den Verlauf des Trauerprozesses erschweren. Viele ExpertInnen sind der Meinung: „Je gewaltsamer und plötzlicher der Tod ist, desto schmerzlicher wird der Verlust von den Angehörigen empfunden und desto schwieriger ist die damit verknüpfte Trauer- arbeit.“ (Wolf 2005:21)
Besonders wichtig ist es, dass die Angehörigen die Möglichkeit angeboten erhalten, sich vom Verstorbenen verabschieden zu können. Wie bereits in Kapitel 2.2.2.2 erwähnt, kann es sonst zu einer Verleugnung der Realität kommen und der Betroffene bleibt in der Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens stecken. (Paul 2004:21)
„ Einer Frau ist voriges Jahr sehrüberraschend der Vater im Krankenhaus verstor- ben. Sie hat ihn noch kurz vorher im Spital besucht, da ist es ihm bereits sehr schlecht gegangen. Das hat sie jedoch nicht wirklich wahrgenommen, weil ihr sehr dominanter Mann meinte, er glaubt einfach nicht, dass ein völlig gesunder Mann innerhalb von 2 Tagen sterben kann. Gemeinsam sind sie nach Hause gefahren und eine Stunde später hat das Krankenhaus angerufen, dass ihr Vater verstorben ist. Sie sind gleich wieder hingefahren. Eigentlich wollte sie sich von ihrem ver- storbenen Vater verabschieden, doch ihr Mann hat ihr eingeredet: „ Nein, mach das nicht, behalte ihn so in Erinnerung wie er war! “ Leider hat sie damals auf ihren Mann gehört. Im Nachhinein stellte sich das als total falsch für sie heraus. Sie hät- te gerne noch einmal die Hand ihres Vaters gehalten.Über diese verpasste Gele- genheit trauert sie heute immer noch. “ (Interview 8:9)
2.5.2 Beziehung zum Verstorbenen und soziales Umfeld
Ein weiterer wichtiger Faktor für die Bewältigung des Verlustes ist die Art und Form der Beziehung, die zum Verstorbenen bestanden hat. Handelt es sich um einen en- gen Verwandten, z.B. Opa, Bruder, Partner oder um einen wichtigen Freund? Wird das Leben durch diesen Tod dramatisch verändert z.B. in finanzieller Hinsicht? Oder war die Beziehung durch Wut und Hass stark belastet und besteht nun die Gefahr.
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- Quote paper
- Mag. (FH) Elisabeth Pilecky (Author), 2007, Begleitung und Unterstützung bei der Bewältigung von Verlust und Trauer, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89602
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