Diese Hausarbeit untersucht, wie die mit Risiken einhergehenden Ängste, anhand von Sagen bewältigt und kommuniziert werden. Ausgehend von den klassischen Sagen, soll ein Bogen geschlagen werden zu den so genannten contemporary legends, den zeitgenössischen Sagen.
Hierbei bleibt zu hinterfragen, auf welche Weise die zeitgenössischen Sagen tatsächlich dazu dienen, Ängste zu bewältigen oder ob dieser Prozess nur auf die Vergangenheit bezogen werden kann.
Die zu diesem Thema vorhandene Literatur zeigt sich durchaus vielfältig, teilweise wird jedoch über eine bloße Katalogisierung der zeitgenössischen Sagen nicht hinausgegangen. In den 1980er Jahren erschienen mehrere Sammlungen, vor allem im nord- amerikanischen und skandinavischen Raum. Zu nennen sind hierfür jeweils besonders Jan Harold Brunvand und Bengt af Klintberg. Erst 10 Jahre später, 1990, folgte Rolf Wilhelm Brednich mit einem Band für Deutschland, ergänzt um eine Übersetzung „moderner Sagen und Großstadtmythen“ aus dem Schwedischen durch den schon erwähnten Bengt af Klintberg, ebenfalls aus dem Jahre 1990. Af Klintberg leistet in einigen Ansätzen gute Interpretationen und geht über das bloße Sammeln von Material hinaus.
Der erwähnte Band „Sagenhafte[n] Geschichten von heute“, von Rolf Wilhelm Brednich, bietet zwar eine umfangreiche Sammlung von zeitgenössischen Sagen, leistet aber keine ausreichende Untersuchung, unter Einbeziehung der gesellschaftlichen Ausformung und Kommunikation.
Inhaltsverzeichnis
1 Erläuterung des Themas und der Quellenlage
2 Sage als Begriff der Literaturwissenschaft und die klassische Sagenliteratur
2.1 Sagenforschung
3 Zeitgenössische Sagen
3.1 Gefahren im Umgang mit Technik und Alltagsdingen
3.2 Verunreinigung, Krankheit und Gift
4 Wechselspiel mit Medien als zeitgenössisches Kennzeichen
5 Schlusswort
6 Literaturverzeichnis
1 Erläuterung des Themas und der Quellenlage
Eingangs möchte ich das Thema meiner Hausarbeit genauer umreißen und in den Gesamtkontext des Seminars einordnen, dem es entnommen ist. Diese Hausarbeit steht im Zusammenhang mit dem von Herrn Prof. Dr. Schmidt geleiteten Hauptseminar „Risiken in der Kultur“. Das Seminar hatte unter anderem die Zielsetzung, die heutige postmoderne Gesellschaft als Risikogesellschaft zu identifizieren unter Einbeziehung unterschiedlichster Risikodefinitionen und Forschungsansätze. Eingangs möchte ich auf die Definition des Begriffs „Risiko“ eingehen, wie sie während des Seminars herausgearbeitet worden ist.
Risiken sind Handlungen mit möglicher Schädigungswirkung.[1] Risiken können selbsttätig und bewusst eingegangen werden, man kann ihnen aber auch passiv ausgesetzt werden. Es gibt einen Unterschied zwischen einem Risiko, dem man sich selbst aktiv aussetzt und einem Risiko, dem man durch Andere passiv ausgesetzt wird. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass ein aktiv eingegangenes Risiko generell niedriger, und ein Risiko, dem man ohne eigenes Zutun ausgesetzt wird, höher eingeschätzt wird. Grundsätzlich ist der Begriff „Risiko“ abzugrenzen von dem Begriff „Gefahr“. Ein Risiko hängt mit einer Entscheidung zusammen, wohingegen eine Gefahr nicht beeinflussbar ist. Im Zuge des Seminars wurde auch behandelt, wie in der heutigen Gesellschaft über Risiken kommuniziert und wie mit der Allgegenwärtigkeit von Risiken umgegangen wird. Ich werde mich im Zuge dieser Arbeit auf Aufsätze von Ulrich Beck, Wolfgang Bonß und Niklas Luhmann beziehen.
Diese Hausarbeit untersucht, wie die mit Risiken einhergehenden Ängste, anhand von Sagen bewältigt und kommuniziert werden. Ausgehend von den klassischen Sagen, soll ein Bogen geschlagen werden zu den so genannten contemporary legends, den zeitgenössischen Sagen.
Hierbei bleibt zu hinterfragen, auf welche Weise die zeitgenössischen Sagen tatsächlich dazu dienen, Ängste zu bewältigen oder ob dieser Prozess nur auf die Vergangenheit bezogen werden kann.
Die zu diesem Thema vorhandene Literatur zeigt sich durchaus vielfältig, teilweise wird jedoch über eine bloße Katalogisierung der zeitgenössischen Sagen nicht hinausgegangen. In den 1980er Jahren erschienen mehrere Sammlungen, vor allem im nord-amerikanischen und skandinavischen Raum. Zu nennen sind hierfür jeweils besonders Jan Harold Brunvand und Bengt af Klintberg. Erst 10 Jahre später, 1990, folgte Rolf Wilhelm Brednich mit einem Band für Deutschland, ergänzt um eine Übersetzung „moderner Sagen und Großstadtmythen“ aus dem Schwedischen durch den schon erwähnten Bengt af Klintberg, ebenfalls aus dem Jahre 1990.[2] Af Klintberg leistet in einigen Ansätzen gute Interpretationen und geht über das bloße Sammeln von Material hinaus.
Der erwähnte Band „Sagenhafte[n] Geschichten von heute“, von Rolf Wilhelm Brednich, bietet zwar eine umfangreiche Sammlung von zeitgenössischen Sagen, leistet aber keine ausreichende Untersuchung unter Einbeziehung der gesellschaftlichen Ausformung und Kommunikation.
Umfangreich publiziert haben unter anderen sowohl Linda Dégh für den nord- amerikanischen Raum und Helmut Fischer für Deutschland. „Fischer hat über Jahre hinweg die Entwicklung und Wandlungen der Erzählmotive und –inhalte systematisch verfolgt, […]. Ihm geht es [...] darum, die Hintergründe der Erzählinhalte auszuleuchten, zu kommentieren und die Anlässe und Beweggründe des Erzählens zu verstehen.“[3] Fischer füllt mit diesem Anspruch, dem er in vollem Umfang gerecht wird, eine Lücke in der deutschen Erzählforschung, die mir während meiner Beschäftigung mit dem Thema schnell offenbar geworden war.
2 Sage als Begriff der Literaturwissenschaft und die klassische Sagenliteratur
Im Folgenden möchte ich erst einmal den Begriff der Sage charakterisieren, wie er in der Literaturwissenschaft verwendet wird.
Sage, [f.,] bis ins 18.Jh. Synonym für Bericht, Erzählung, Kunde, Gerücht, seit den »Dt. Sagen« der Brüder Grimm […] eingeengt (als Sammelbegriff) auf volkstüml., knappe Erzählungen, die bestimmte Örtlichkeiten, Personen, Ereignisse, (Natur-) Erscheinungen usw. meist mit mag., numinosen oder myth. Elementen verknüpfen, gleichwohl aber Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben. S.n schöpfen damit aus demselben Stoffbereich […] und Motivschatz […] wie das Märchen, sind auch wie dieses anonym und kollektiv mündl. tradiert; unterscheiden sich aber von ihm durch genaue Lokalisierung und Datierung, d.h. durch höheren Realitätsanspruch (wobei die Fixierung des Übernatürlichen an real Vertrautes als Wahrheitsbeweis gilt), ferner durch die strenge Scheidung von numinos-jenseitiger und diesseitiger Welt.[4]
Die Sage ist etwas „Gesagtes“, also mündlich Erzähltes und meistens auch später schriftlich Überliefertes. Erzählt wird von der Begegnung mit dem Unbekannten, Mystischen und Gefährlichen, also einem Einbruch des Unfassbaren in die geordnete Welt und ist hauptsächlich in der bäuerlich-ländlichen Umgebung situiert. Das für den Menschen Unfassbare soll in der Sage fassbar gemacht werden. „Die Geschichten entwickeln Gefährdung, führen an die Katastrophe heran oder enden für den Menschen tragisch.“[5]
Die Sage siedelt sich an in Grenzbezirken, weil ihr Zentrum der Zusammenstoß zweier Welten ist. Das bedeutet, sie ist zerrissen zwischen der Menschenwelt und der Geisterwelt, dem Diesseits und dem Jenseits, zwischen Tag und Nacht, zwischen Gesellschaft und Einsamkeit. Dies zeigt sich auch in ihrer Sprache.
Es werden meistens genaue Angaben gemacht über den Ort des Geschehens, die Tageszeit und die Personen. Dies dient der Abwehr rationaler Kritik, denn wenn die Sage eines will, dann für wahr gehalten werden.
Die Sprache ist ungeordnet, holpernd, sie trägt das Innenleben des Protagonisten nach außen, denn er ist herausgerissen aus der Ordnung und schwankend zwischen Diesseits und Jenseits. Künstliche Geordnetheit ist der Sage fremd. Die Sage entspringt der Ergriffenheit durch das Außergewöhnliche, thematisiert sozusagen den Ausnahmezustand. Sie soll aber nicht nur Angst und Schrecken verbreiten, sondern sie stellt Tabus und Normen auf, nach denen sich die Individuen richten sollen. „Die Botschaft der Geschichten ist eine Warnung vor allem, was Gefahr und Unheil bedeuten kann.“[6]
Die Sage lebt in Gruppen mit gleichem Erfahrungshorizont, denn es werden genaue Ortsangaben gemacht, die sich meist auf eine Stelle in der näheren Umgebung beziehen. Sagen prägen das Bild einer Landschaft, es entsteht eine „Sagenlandschaft“, die die Heimat erschafft und prägt. In den Köpfen der dort Lebenden entsteht eine Art ‚Mindmap’ , auf der die Orte gedanklich mit bestimmten Sagenhaften Ereignissen verknüpft und charakterisiert werden („…deshalb nennt man das Waldstück ,Mordloch`“).[7] Der Ort wird mit einem bestimmten Ereignis verknüpft und sozusagen personifiziert. Der Ort steht fortan für das verübte Verbrechen.
In der Sage findet also die Auseinandersetzung mit dem Geschehnis statt, es wird kommuniziert und in der Erinnerung festgehalten, „gegriffen“. Das Unerklärliche, das außerhalb des Begreifbaren liegt, wird zu etwas „Greifbaren“ transformiert. Dieser Prozess findet sowohl sprachlich statt, als auch psychisch. Indem man eine Möglichkeit gefunden hat, das Unfassbare fassbar zu machen, ist ebenfalls der Weg zur Verarbeitung offen gelegt. Die diffusen Ängste werden an einen bestimmten Ort gebannt, der fortan zwar negativ konnotiert ist, aber zugleich auch andere Orte neutralisiert.
Am Beispiel der ‚Mindmap’ wären auf einer potentiell weißen Fläche einige Stellen schwarz markiert und mit Gefahr assoziiert. Gleichzeitig sind die weißen Flächen solange mit „gefahrlos“ markiert, bis evtl. wieder irgendwo eine Fläche mit „gefährlich“ markiert würde.
Dies hat wiederum zur Folge, dass nicht fortwährend die Angst vor Gefahr präsent gehalten wird, sondern, dass man sich sicher fühlen kann, solange man die schwarz markierten Flächen nicht betritt. Da der Mensch nicht fortwährend unter bewusster Angst existieren kann, wird die Angst ausgelagert und auf verschiedene Punkte verteilt. Bei einem Wald, der als „Mordloch“ bekannt ist, muss ich natürlich Angst haben, denn dort lauert die Gefahr, wie durch den angeblich, oder tatsächlich, geschehenen Mord bewiesen wird.
Diese Angst kann ich aber hinter mir lassen, wenn ich beispielsweise die Wiese überquere, denn die namenlose Wiese ist nicht mit Gefahr konnotiert. In der klassischen Sage liegt also viel mehr verborgen als auf den ersten Blick
ersichtlich.
Ich möchte sogar soweit gehen, dieses Prozedere als eine Art Schutzfunktion zu bezeichnen. Der Mensch kann nicht existieren unter der permanenten Furcht, dass jede Sekunde etwas Schreckliches passieren, dass hinter jedem Strauch ein Mörder mit gezücktem Messer lauern könnte. Ein Alltag wäre unter dieser Vorraussetzung wohl kaum zu meistern. Also lebt eine Gesellschaft mit einem Mechanismus, der es erlaubt, die Angst auszublenden und ins Unterbewusste zu verlagern. In der Vorstellung, dass nichts Schreckliches passieren kann, dass ich mich nicht in Gefahr befinde, solange ich bestimmte Verhaltensnormen befolge und Tabus achte, wie sie zum Beispiel in der klassischen Sage formuliert werden, ist diese Möglichkeit geschaffen worden.
Dies trifft sicherlich auf die alten Volkssagen zu, die Max Lüthi so treffend in seinem Aufsatz „Gehalt und Erzählweise der Volkssage“ charakterisiert:
„Wer Sage sagt, der denkt unwillkürlich zunächst an Geschichten von Wald-, Wasser- und Berggeistern, von Riesen, Zwergen, Teufeln, von Gespenstern, armen Seelen und dem Heer der Toten. Dazu kommen dann Erzählungen von Pestzeit und Krieg, von Not und Katastrophen überhaupt, von Tyrannen, Unterdrückten und Rebellen, von Räubern und Helden. Immer ist es die ungewöhnliche Welt, die da in den Blick rückt. Große Menschen, ungeheure Schicksale, eine vergangene Zeit, Geister –
Am eindeutigsten, schärfsten wird der Charakter des Fremdartigen, Ganz Anderen, Ungeheuren in den Dämonen- und Totensagen fassbar. Sie sind die eigentlichen Kernsagen, von ihnen ist auszugehen, wenn man das der Volkssage eigentümliche Gesicht erkennen will.“[8]
Demnach ist diese Fähigkeit des Menschen Geschichten zu erzählen, als eines der Grundbedürfnisse des Menschen zu charakterisieren.
The folk sets high standards for how tales must be told, developing a code of aesthetics to normalize the use of what Jolles called Sprachgebärde, that is, linguistic and semiotic formulas that include polished, structured speech and body language to create witty dialogues, to charakterize actors and actions, and to elaborate traditional cadences. […] The rules of tale-telling become all the more apparent when compared to legend-telling.[9]
[...]
[1] Vgl. Weyma Lübbe 1998.
[2] Fischer 1991, S. 12-13.
[3] Fischer 1991, S. 10.
[4] Schweikle 1990, S. 405-406.
[5] Fischer 1991, S. 16.
[6] Fischer 1991, S. 17.
[7] Will- Erich Peuckert/Günter Petschel 1983, S. 490.
[8] Lüthi 1966, S. 11.
[9] Linda Dégh 1995, S. 9.
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