Einleitung
Die Chronologie der platonischen Werke ist umstritten , es scheint allerdings einen Konsens darüber zu geben, dass die "Gesetze" und der "Staat" zu den Spätwerken gehören, der "Phaidon" und der "Phaidros" zu den frühen bzw. mittleren Dialogen . Die Thesen, die Platon in seinem späteren Leben entwickelt, scheinen mit denen seines früheren Lebens teilweise in Widerspruch zu stehen.
Platon wird oft als der Vater des westlichen Denkens verstanden. Dieser Ruf geht Hand in Hand mit der allgemeinen Vorstellung, Platon habe eine sehr rationale Philosophie verfolgt. Das stimmt nur zum Teil. Platon hat lange Zeit kaum systematische Vorschläge gemacht und alle seine Werke, bis auf die "Apologie" und die "Briefe" 6/7, sind in Dialogform geschrieben .
Bemerkenswert sind die wiederkehrenden mystischen und religiösen Fragen in früheren Dialogen, wie im Phaidon, zur Frage nach der Unsterblichkeit der Seele, und im Phaidros, zur Idee der Schönheit. Im Phaidros ist es auch, wo Platon zwischen menschlichem und göttlichem Wahnsinn unterscheidet und sagt, die größten Güter kämen von den Göttern durch Wahnsinn . Diese Vorstellung kontrastiert mit den vorherrschenden Meinungen seiner Zeitgenossen .
Die vorliegende Arbeit orientiert sich an zwei zentralen Fragen. An erster Stelle steht die Untersuchung von Platons festigender Kategorisierung dessen, was zuvor Teil eines flüssigeren Glaubensgefüges war. In diesem Zusammenhang wird auf eine Untersuchung der Wirkung dieser Kategorisierung auf die Vorstellungen, welche spätere Generationen vom antiken Griechenland hatten, nicht eingegangen, obwohl diese kaum zu überschätzen ist. Der Fokus soll, ausgehend von der platonischen Begriffstrennung, auf der Untersuchung der antiken Vorstellung von menschlichem und göttlichen Wahnsinn liegen.
Aufgrund dessen ist der erste Teil der Arbeit darum bemüht, Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung der Interpretation von Wahnsinn im antiken Griechenland bis Platon zu skizzieren.
Der zweite Teil geht auf Platons scharfe Trennung zwischen menschlichem und göttlichem Wahnsinn und seine präzise Trennung der verschiedenen Arten göttlichen Wahnsinns ein. Diese werden im Hinblick auf Platons historisches Umfeld und die ihm kontemporären Vorstellungen untersucht.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung der Interpretation von Wahnsinn im antiken Griechenland bis Platon
1.1 Der Volksglaube
1.2 Homer
1.3 Das hippokratische "de morbo sacro"
2 Platon über Wahnsinn
2.1 Menschlicher und göttlicher Wahnsinn
2.2 Die vier Arten des göttlichen Wahnsinns
2.2.1 Apollo und der weissagende Wahnsinn
2.2.2 Dionysos und der rituelle Wahnsinn
2.2.3 Die Musen und der künstlerische Wahnsinn
2.1.4 Eros, Aphrodite und der Wahnsinn der Liebe
3 Platons Systemprogramm zur Reformierung der Gesellschaft
3.1 Das vererbte Konglomerat
3.2 Platons eigener Glaube
3.3 Die Paradoxien des Programms
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die Chronologie der platonischen Werke ist umstritten[1], es scheint allerdings einen Konsens darüber zu geben, dass die "Gesetze" und der "Staat" zu den Spätwerken gehören, der "Phaidon" und der "Phaidros" zu den frühen bzw. mittleren Dialogen[2]. Die Thesen, die Platon in seinem späteren Leben entwickelt, scheinen mit denen seines früheren Lebens teilweise in Widerspruch zu stehen.
Platon wird oft als der Vater des westlichen Denkens verstanden. Dieser Ruf geht Hand in Hand mit der allgemeinen Vorstellung, Platon habe eine sehr rationale Philosophie verfolgt. Das stimmt nur zum Teil. Platon hat lange Zeit kaum systematische Vorschläge gemacht[3] und alle seine Werke, bis auf die "Apologie" und die "Briefe" 6/7, sind in Dialogform geschrieben[4].
Bemerkenswert sind die wiederkehrenden mystischen und religiösen Fragen in früheren Dialogen, wie im Phaidon, zur Frage nach der Unsterblichkeit der Seele, und im Phaidros, zur Idee der Schönheit. Im Phaidros ist es auch, wo Platon zwischen menschlichem und göttlichem Wahnsinn unterscheidet und sagt, die größten Güter kämen von den Göttern durch Wahnsinn[5]. Diese Vorstellung kontrastiert mit den vorherrschenden Meinungen seiner Zeitgenossen[6].
Die vorliegende Arbeit orientiert sich an zwei zentralen Fragen. An erster Stelle steht die Untersuchung von Platons festigender Kategorisierung dessen, was zuvor Teil eines flüssigeren Glaubensgefüges war. In diesem Zusammenhang wird auf eine Untersuchung der Wirkung dieser Kategorisierung auf die Vorstellungen, welche spätere Generationen vom antiken Griechenland hatten, nicht eingegangen, obwohl diese kaum zu überschätzen ist. Der Fokus soll, ausgehend von der platonischen Begriffstrennung, auf der Untersuchung der antiken Vorstellung von menschlichem und göttlichen Wahnsinn liegen.
Aufgrund dessen ist der erste Teil der Arbeit darum bemüht, Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung der Interpretation von Wahnsinn im antiken Griechenland bis Platon zu skizzieren.
Der zweite Teil geht auf Platons scharfe Trennung zwischen menschlichem und göttlichem Wahnsinn und seine präzise Trennung der verschiedenen Arten göttlichen Wahnsinns ein. Diese werden im Hinblick auf Platons historisches Umfeld und die ihm kontemporären Vorstellungen untersucht.
An zweiter Stelle steht die Frage, in wie fern Platons Vorstellungen von Wahnsinn und Staat miteinander in Konflikt stehen. Der dritte Teil der Arbeit beschäftigt sich dementsprechend mit Platons Systemprogramm zur Rettung der Gesellschaft und den Widersprüchen, die Platon dabei mit seiner eigenen, vorausgegangenen, Philosophie erzeugt.
1 Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung der Interpretation von Wahnsinn im antiken Griechenland bis Platon
1.1 Der Volksglaube
In "Der Fortschrittsgedanke der Antike" schreibt E. R. Dodds, dass es wichtig sei zu verstehen, wie sehr das heutige Verständnis der antiken griechischen Religion maßgeblich von „genialen“ Individuen geprägt sei[7]. Das meiste Wissen, welches wir heute über die Antike haben, stamme aus Texten einiger privilegierter Einzelpersonen, und biete großteils eine nicht verzerrungsfreie Sicht des tatsächlichen „Volksglaubens“[8]. Die Dokumente, die den Glauben und das Denken des durchschnittlichen Griechen der Antike betreffen, sind selten, und überliefert wurde nur, was den kommenden Generationen überlieferungswürdig schien.
Die Tendenz, alle Arten von geistiger Krankheit einer übernatürlichen Interferenz zuzuschreiben, sei bei Naturvölkern auf der ganzen Welt vorzufinden und man könne annehmen, dass es sich, aufgrund der Häufigkeit der beobachteten Fälle, im antiken Griechenland nicht anders verhalten hätte[9]. Dieses Verständnis sei, Dodds zufolge, hauptsächlich auf zwei Aspekte der Manifestation solcher Krankheiten, wie wir sie auch heute feststellen können, zurückzuführen: Erstens auf die Äußerungen der Betroffenen, die oftmals fest von der übernatürlichen Herkunft ihrer Krankheit, sei dies durch Kontakt oder Identifikation mit übernatürlichen Elementen, überzeugt seien, und, zweitens, auf die physische Komponente, welche, beispielsweise in der Manifestation von epileptischen Anfällen, den populären Begriff der Besessenheit geprägt habe[10]. Es sei nicht verwunderlich, dass in der griechischen Antike die Epilepsie die „heilige Krankheit par excellence “ gegolten habe[11].
Allerdings, so Dodds, wurde die Idee der Besessenheit in ihrem Ursprung wahrscheinlich am stärksten von Fällen der Persönlichkeitsspaltung geprägt. Die plötzliche Veränderung der Stimme und die Spaltung der Identität des Betroffenen, sodass dieser sich selbst als jemand anderes, als der noch kurz zuvor Sprechende, bezeichnet, bestärken den Verdacht einer Besessenheit von übernatürlichen Kräften[12].
Diese Krankheit, im modernen Amerika und Europa relativ selten, sei bei weniger fortgeschrittenen Völkern häufiger anzutreffen[13]. Man könne daher annehmen, dass Fälle dieser Krankheit im antiken Griechenland häufiger anzutreffen waren als sie es heute sind. Davon ausgehend, sei es nicht schwierig sich vorzustellen, dass der Sinn des Wortes Besessenheit auch auf andere Fälle geistiger Krankheit, wie Paranoia und Epilepsie, und eventuell auf alle Arten geistiger Störung, auch Schlafwandel und das Delirium bei hohem Fieber, übertragen wurde[14].
1.2 Homer
Vor diesem Hintergrund betrachtet, ist es beachtlich, dass Homer weder in der Odyssee noch in der Iliade explizit Stellung zu der Frage der übernatürlichen Herkunft geistiger Krankheit nimmt, woraus, so Dodds, manchmal fälschlicherweise geschlossen würde, dass diese Idee der ältesten griechischen Kultur fremd gewesen wäre[15]. Anhand von drei Textstellen aus der Odyssee, will Dodds daraufhin zeigen, dass die Wortwahl des Dichters in diesen Passagen die Frage offen lasse, ob es sich um Redewendungen oder wörtlich gemeinte Aussagen der Protagonisten handele.
In der Odyssee beschimpft Melantho den verkleideten Odysseus als "seiner Sinne nicht mächtig"[16]. Dodds zufolge benutzt Melantho einen Ausdruck, der in seinem Ursprung wahrscheinlich ein dämonisches Besessensein beschrieb. Diese Äußerung könne allerdings umgangssprachlich gemeint sein.
Die zweite Stelle folgt kurz darauf in der Odyssee[17]. Ein Anhänger Odysseus bezeichnet diesen als "berührt" im Sinne von verrückt. Die "natürlichste Art"[18], die Etymologie des an der Stelle auftauchenden Wortes zu verstehen, sei, laut Dodds, die übernatürliche Art der Berührung[19].
Die letzte Stelle beschreibt die Reaktion der anderen Zyklopen auf das Geschrei des Polyphemus: Die große Krankheit des Zeus könne nicht verhindert werden, und sie empfählen fromm das Gebet[20]. Aus dieser Stelle werde klar, so Dodds, dass die anderen Zyklopen geschlossen hätten, Polyphemus wäre wahnsinnig. Deshalb überließen sie ihn seinem Schicksal.
Auch wenn diese Frage nicht auf befriedigende Art beantwortet werden kann, so sei es im Licht dieser drei Textpassagen aus der Odyssee relativ sicher zu behaupten, dass sich darin der in Homers Zeit populäre griechische Glaube an die übernatürliche Herkunft geistiger Krankheit widerspiegele[21]. Wahrscheinlich, so Dodds, reiche dieser Glaube noch viel weiter zurück. Die Tatsache, dass Homer (und andere epische Poeten) kein Interesse an der Stellungnahme zu der Frage um die Korrektheit dieses Glaubens hätten, bedeute nicht, dass es diesen Glauben nicht gegeben hätte[22].
[...]
[1] Michael Bordt, "Platon", Reihe "Meisterdenker", Freiburg, 1999, S. 33ff.
[2] Bordt, "Platon", S. 35.
[3] Vgj. Bordt, "Platon", S. 51ff und S. 141ff.
[4] Bordt, "Platon", S. 41.
[5] Platon, "Phaidros", Stuttgart, 2003, 244A.
[6] Vgl. Platon, Phaidros, 244B und die hippokratische Schrift, "Über die Heilige Krankheit", Berlin, 1967,Teil 12.
[7] E.R. Dodds, "Der Fortschrittsgedanke der Antike", Düsseldorf, 1983, S. 87.
[8] ebd. S.88f.
[9] E.R. Dodds, "The Greeks and the Irrational", Berkeley, [1951], 1997, S. 65f. Alle weiteren Stellen, die auf dieses Werk verweisen, werden nachfolgend als "Dodds, S. X" angegeben.
[10] O. Temkin, "The Falling Sickness", Baltimore, [1945], 1994, S.15ff.
[11] Dodds, S. 66.
[12] Dodds, S. 66.
[13] Vgl. Seligman, JRAI 54 (1924), S. 261: "among the more primitive folk of whom I have personal knowledge(...) I have observed a more or less widespread tendency to ready dissociation of personality."
[14] Dodds, S. 65f und vgl. Die hippokratische Schrift, "Über die Heilige Krankheit", Berlin, 1967, Teil 1, VI.354.7 Littré.
[15] Dodds, S.67.
[16] Homer, "Odyssee", Gesang 18, Vers 327, Übersetzt von Johann Heinrich Voß, Projekt Gutenberg, 2007.
[17] Homer, "Odyssee", Gesang 20, Vers 377
[18] Dodds, S. 67.
[19] Dodds, S. 67.
[20] Dodds, S. 67.
[21] Dodds, S. 67.
[22] Dodds, S. 67.
- Arbeit zitieren
- Grzegorz Olszowka (Autor:in), 2007, Platon und der göttliche Wahnsinn, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89309
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