Zu den Aufgaben des Rechts gehört unter anderen die Gestaltungs- und Steuerungsfunktion zur Realisierung rechtspolitischer Ziele. Um diese zu verwirklichen ist bereits im Rahmen der Rechtssetzung die Frage zu klären, welche Folgen das Recht in der Rechtswirklichkeit haben könnte bzw. welche Reaktionen der handelnden Akteure zu erwarten sind. Es gilt folglich aus der ex-ante Perspektive zu ermitteln, wie die Akteure auf eine bestimmte Rechtsnorm und die in ihrem Vollzug ergehende gericht-liche Entscheidung reagieren werden und wie sie ihr Verhalten an be-stimmte Normierungen anpassen.
Die Prognostizierung und Bewertung der Folgen einer bestimmten Rechtsregel fallen jedoch nicht in den Aufgabenbereich der Rechtswissenschaft, da diese aufgrund der Differenz von Sein und Sollen am Pos-tulat von der Wertfreiheit der Wissenschaft festhält und somit ein unmittelbarer Übergang von empirischen Aussagen zu Werturteilen nicht möglich ist. Um die Wirkung des Rechts zu erklären, bedarf es daher einer interdisziplinären Analyse unter Bezugnahme von Erklärungsansätzen der Rechtssoziologie, der Ökonomie und der Sozialpsychologie.
Inhalt
A Zur Notwendigkeit einer interdisziplinären Analyse
B Die Wirkungsweise des Rechts anhand einer interdisziplinären Analyse
B.I Ansatz der Rechtssoziologie
B.I.a Abgrenzung der Rechtssoziologie von der Rechtswissenschaft
B.I.b Die Theorie zur Befolgung von Gesetzen
B.I.c Die Theorie zur Befolgung von Gesetzen am Beispiel „Rauchverbot“
B.I.d Fazit
B.II Ansatz der Ökonomie
B.II.a Homo oeconomicus – ein ökonomisches Verhaltensmodell
B.II.b Die ökonomische Analyse des Rechts
B.II.b.1 Die Sanktion als Anreiz
B.II.b.2 Die Norm als Informationsträger
B.II.c Fazit
B.III Ansatz der Sozialpsychologie
B.III.a Ansatz 1: Einstellungsänderung durch Abbau kognitiver Dissonanz
B.III.b Ansatz 2: Verhaltensänderung aufgrund der Anerkennung legitimer Macht
B.III.b.1 Zum Begriff der Legitimität
B.III.b.2 Aktivierung injunktiver Sozialnormen
B.III.c Erklärung der Sozialpsychologie für die Ursachen eines Steuerungsversagens
B.III.d Fazit
C Schlussbemerkungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A Zur Notwendigkeit einer interdisziplinären Analyse
Zu den Aufgaben des Rechts gehört unter anderen die Gestaltungs- und Steuerungsfunktion zur Realisierung rechtspolitischer Ziele.[1] Um diese zu verwirklichen ist bereits im Rahmen der Rechtssetzung die Frage zu klären, welche Folgen das Recht in der Rechtswirklichkeit haben könnte bzw. welche Reaktionen der handelnden Akteure zu erwarten sind. Es gilt folglich aus der ex-ante Perspektive zu ermitteln, wie die Akteure auf eine bestimmte Rechtsnorm und die in ihrem Vollzug ergehende gerichtliche Entscheidung reagieren werden und wie sie ihr Verhalten an bestimmte Normierungen anpassen.
Die Prognostizierung und Bewertung der Folgen einer bestimmten Rechtsregel fallen jedoch nicht in den Aufgabenbereich der Rechtswissenschaft, da diese aufgrund der Differenz von Sein und Sollen am Postulat von der Wertfreiheit der Wissenschaft festhält und somit ein unmittelbarer Übergang von empirischen Aussagen zu Werturteilen nicht möglich ist. Um die Wirkung des Rechts zu erklären, bedarf es daher einer interdisziplinären Analyse unter Bezugnahme von Erklärungsansätzen der Rechtssoziologie, der Ökonomie und der Sozialpsychologie auf die nun im Folgenden näher eingegangen werden soll.
B Die Wirkungsweise des Rechts anhand einer interdisziplinären Analyse
B.I Ansatz der Rechtssoziologie
B.I.a Abgrenzung der Rechtssoziologie von der Rechtswissenschaft
Die Erklärung der Wirkungsweise des Rechts ist zu einem zentralen Thema in der Soziologie geworden. Seit den 60er und 70er Jahren befasst sich die Rechtssoziologie in Form rechtstheoretischer Ansätze und empirischer Fallstudien mit der Frage, „wann ein Gesetz wirksam ist, d.h. ein Kausalzusammenhang mit der Verhaltensweise einer oder mehrerer Personen hergestellt wird“[2].
In Abgrenzung zur Rechtswissenschaft, welche sich mit Rechtsnormen unter dem Gesichtspunkt ihrer Sollgeltung beschäftigt, geht es der Rechtssoziologie dagegen um die Seinsgeltung des Rechts. Demzufolge ist es Aufgabe der Rechtswissenschaft herauszustellen, welche Bedeutung, welcher normative Sinn einem als Rechtsnorm auftretenden sprachlichen Gebilde logisch richtigerweise zukommen sollte. Dagegen obliegt es der Rechtssoziologie zu beobachten, was innerhalb einer Gesellschaft faktisch aufgrund von Rechtsnormen geschieht, „weil die Chance besteht, dass am Gemeinschaftshandeln beteiligte Menschen, […] bestimmte Ordnungen als geltend subjektiv ansehen und praktisch behandeln, also ihr eigenes Handeln an ihnen orientieren.“[3]
B.I.b Die Theorie zur Befolgung von Gesetzen
Die Beiträge zur Wirkungsweise des Rechts sind sehr vielschichtig und vorwiegend deskriptiv, lassen sich aber im Grundtenor auf drei Faktoren reduzieren. Demnach ist ein rechtskonformes Verhalten abhängig von der Kenntnis über die Norm und die Sanktion, der inneren Einstellung und dem Verhalten.[4]
Jene Faktoren spiegeln sich auch in den Theorien von Opp und Diekmann wieder, die in ihren Aufsätzen den Zusammenhang verschiedener unabhängiger Variablen mit der Befolgung von Gesetzen als abhängige Variable untersucht haben. Demnach ist ein rechtskonformes Verhalten abhängig von dem Grad der Informiertheit, dem Grad der normativen Abweichung, sowie der erwarteten negativen oder positiven Sanktion bei Übertretung oder Einhaltung der Rechtsnorm. Des Weiteren wird die Wertigkeit dieser Variablen abhängig gemacht von der Höhe der Aufklärungsquote, der Anzeigenneigung, der sozialen Stigmatisierung, der Kompetenz des Gesetzgebers und dessen Zielrelevanz.[5] Diese Theorie soll nun im Folgenden am Beispiel des Rauchverbotes in einer öffentlichen Einrichtung angewandt werden.
B.I.c Die Theorie zur Befolgung von Gesetzen am Beispiel „Rauchverbot“
In diesem Modell gilt als abhängige Variable der Grad der Befolgung des Rauchverbotes, personalisiert in einem Akteur X, der sich an die Regel halten oder sich über das Rauchverbot hinwegsetzen kann. Bei den unabhängigen Variablen handelt es sich um den Grad der Informiertheit über das Verbot, den Grad der normativen Abweichung, sowie den Grad der erwarteten negativen Sanktion. Diese Variablen haben entscheidenden Einfluss auf das Verhalten des Akteurs X. So drückt der Grad der Informiertheit über das Verbot aus, inwieweit X Kenntnis von diesem Rauchverbot in der öffentlichen Einrichtung hat. Der Grad der normativen Abweichung entspricht der persönlichen Einstellung des X zum Rauchverbot: je positiver seine Einstellung zur Norm, umso geringer ist der Grad der normativen Abweichung. Darüber hinaus entscheidet der Grad der erwarteten negativen Sanktion wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, sanktioniert zu werden, wenn man innerhalb der öffentlichen Einrichtung raucht. Erheblichen Einfluss auf die Höhe des Grades der erwarteten negativen Sanktion haben soziale Stigmatisierungen und die Höhe der Aufklärungsquote. Sollte es beispielsweise so sein, dass X im Falle eines Normverstoßes lediglich mit einzelnen herabwürdigenden Blicken (als Form sozialer Stigmatisierung) seitens anderer Akteure bestraft wird, ist der Grad der erwarteten negativen Sanktion erheblich niedriger, als würde er im Falle einer erhöhten Aufklärungsquote mit einem Ordnungsgeld sanktioniert werden. Aufgrund dieser unabhängigen Variablen bildet sich schließlich der Wille des X, sich an das Rauchverbot zu halten oder darüber hinwegzusetzen.
[...]
[1] Rüthers § 3 Rn 78
[2] Friedmann, S. 206
[3] Schulz-Schaeffer, S. 141
[4] Vgl. dazu Friedmann, S. 215 f., Blegvad/Möller, S. 431
[5] Vgl. Baehr, S. 26 f.
- Citation du texte
- M.A. Stefan Pilz (Auteur), 2006, Wie gelingt Steuerung durch Recht?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89304
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