Wie alle griechischen Tragödien so war auch die "Antigone" des Sophokes keineswegs für ein Fachpublikum, sondern für die gesamte attische Bürgerschaft bestimmt und hatte somit allein durch ihre Zielgruppe eine das soziale Bewußtsein bildende Funktion bzw. die Aufgabe, die Bürgerschaft Athens für bestimmte politische Vorgänge zu sensibilisieren.
Darüberhinaus war Sophokles' "Antigone" zur Zeit ihrer Uraufführung 440 v.Chr. von großer politischer wie auch sozialer Brisanz, denn obwohl die rein äußere Handlung der "Antigone" in die mythische Vergangenheit zurückversetzt ist, war doch ihre thematische Problematik vor dem Hintergrund der beginnenden Poliskrise von großer Aktualität.
Da es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine historische und nicht um eine altphilologische Abhandlung handelt, werden nicht die sprachlich-literarischen Dimsionen der "Antigone", sondern vielmehr die sozialen und politischen Bedingungen ihres Entstehungskontextes herausgearbeitet. Diesen Entstehungskontext bildet das Perikleische Athen des 5. Jahrhunderts v.Chr., in dem sich der Übergang von archaischer zu klassischer Zeit bzw. von der Aristokratie zur Polisdemokratie vollzog.
Vor diesem Hintergrund bleiben im Rahmen dieser Arbeit die individuellen Komponenten der einzelnen Charaktere in der "Antigone" unberücksichtigt und werden stattdessen die Figuren ausschließlich in ihrer Funktion als personifizierte Träger jener gesellschaftlich-politischen Prinzipien und Haltungen untersucht, die Sophokles für seine Zeit auszumachen glaubte. Denn indem Sophokles jeder Figur ein bestimmtes Prinzip bzw. eine bestimmte Haltung zuordnete, konnte er eine aktelle politische Stimmung artikulieren. Dies anhand eines für eine Tragödie adaptierten mythologischen Stoffes zu tun, war gerade zu jener Zeit allgemeiner Usus.
Sieht man diese Wirkungsabsicht Sophokles' als gegeben an, so sind konkret für seine "Antigone" folgende Thesen als richtig zu werten: (1) Sophokles hat den Antigone-Mythos nach den sozialen, religiösen und politischen Verhältnissen des Athens des 5. Jahrhunderts umgeformt. (2) Genauso wie das Theben vor Kreons Herrschaft die archaische, so verkörpert das Theben unter Kreons Herrschaft die klassische attische Ordnung. (3) Entsprechend ist die Bürgerschaft Athens in der Bürgerschaft Thebens dargestellt.
Inhaltsangabe:
Einleitung
1. Antigone als Verkörperung der tradierten Ordnung
1.1. Die Prinzipien der Antigone
1.2. Sophokles' Darstellung der Antigone
2. Kreon als Verkörperung des neuen Systems
2.1. Die Prinzipien des Kreon
2.2. Sophokles' Darstellung des Kreon
3. Verkörperungen der passiven bürgerlichen Haltungen in der Ismene, dem Haimon, dem Wächter sowie dem Chor
3.1. Die Konformität der Ismene
3.2. Die Rationalität des Haimon
3.3. Der Egoismus des Wächters
3.4. Die Diplomatie des Chors
4. Verkörperung des göttlichen Willens in Teiresias
Schluß
Anmerkungen:
Literaturverzeichnis:
Einleitung
Wie alle griechischen Tragödien so war auch die "Antigone" des Sophokes (497/6 bis 406/5 v.Chr.) keineswegs für ein (intellektuelles) Fachpublikum, sondern für die gesamte attische Bürgerschaft bestimmt und hatte somit allein durch ihre Zielgruppe eine das soziale Bewußtsein bildende Funktion bzw. die Aufgabe, die Bürgerschaft Athens für bestimmte politische Vorgänge zu sensibilisieren1.
Darüberhinaus war Sophokles' "Antigone" zur Zeit ihrer Uraufführung 440 v.Chr. von großer politischer wie auch sozialer Brisanz, denn obwohl die rein äußere Handlung der "Antigone" in die mythische Vergangenheit zurückversetzt ist, war doch ihre thematische Problematik vor dem Hintergrund der beginnenden Poliskrise von großer Aktualität.
Da es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine historische und nicht um eine altphi-lologische Abhandlung handelt, sollen nicht die sprachlich-literarischen Dimen-sionen der "Antigone", sondern vielmehr die sozialen und politischen Bedingungen ihres Entstehungskontextes herausgearbeitet werden. Diesen Entstehungskontext bildet das Perikleische Athen des 5. Jahrhunderts v.Chr., in dem sich der Übergang von archaischer zu klassischer Zeit bzw. von der Aristokratie zur Polisdemokratie vollzog.
Vor diesem Hintergrund sollen im Rahmen dieser Arbeit die individuellen Kompo-nenten der einzelnen Charaktere in der "Antigone" unberücksichtigt bleiben und stattdessen die Figuren ausschließlich in ihrer Funktion als personifizierte Träger jener gesellschaftlich-politischen Prinzipien und Haltungen untersucht werden2, die Sophokles für seine Zeit auszumachen glaubte. Denn indem Sophokles jeder Figur ein bestimmtes Prinzip bzw. eine bestimmte Haltung zuordnete, konnte er eine aktu-elle politische Stimmung artikulieren. Dies anhand eines für eine Tragödie adaptier-ten mythologischen Stoffes zu tun, war gerade zu jener Zeit allgemeiner Usus3.
Sieht man diese Wirkungsabsicht Sophokles' als gegeben an, so sind konkret für seine "Antigone" folgende Thesen als richtig zu werten: (1) Sophokles hat den Anti-gone-Mythos nach den sozialen, religiösen und politischen Verhältnissen des Athens des 5. Jahrhunderts umgeformt4. (2) Genauso wie das Theben vor Kreons Herrschaft die archaische, so verkörpert das Theben unter Kreons Herrschaft die klassische attische Ordnung. (3) Entsprechend ist die Bürgerschaft Athens in der Bürgerschaft Thebens dargestellt.
Wenn also im folgenden Aussagen über die thebanische Rechtsordnung, Bürger-schaft etc. gemacht werden, so sind damit zugleich Aussagen über die attische Rechtsordnung, Bürgerschaft etc. impliziert.
Dabei sollen zunächst - ausgehend von den beiden Hauptfiguren Antigone und Kreon - die gegensätzlichen Prinzipien der tradierten Ordnung und des neuen Systems sowie Sophokles' Darstellung dieser Prinzipien durch die Hauptfiguren behandelt werden.
In den Nebenfiguren der Ismene, des Haimon, des Wächters sowie des Chors sollen anschließend die passiven Haltungen der Bürgerschaft (Konformität, Rationalität, Egoismus, Diplomatie) abgeleitet werden, bevor schließlich mit Teiresias der göttli-che Wille als die maßgebliche letzte Instanz, die damit alle anderen vorgestellten Prinzipien und Haltungen wertet, eingeführt werden soll.
1. Antigone als Verkörperung der tradierten Ordnung
1.1. Die Prinzipien der Antigone
Antigone zeichnet sich während des gesamten Dramas durch ihre unumstößlichen Prinzipien, nach denen sie konsequent lebt, aus. So gibt es für sie keinen Zweifel, daß das gewachsene, ewige Recht stets über den Staatsinteressen steht. Das bedeu-tet, daß Staatsbeschlüsse keineswegs vermögen, die natürlichen Gesetze außer Kraft zu setzen und sich der Staat mit seinen Menschensatzungen deshalb den gewach-senen Gesetzen der göttlichen Weltordnung generell unterzuordnen hat.
Antigone fordert also die uneingeschränkte Erfüllung der Nomoi, die sie aus-schließlich in ihrer ursprünglichen Bedeutung von Recht, Herkommen, Sitte ver-steht5. Richard Schmidt definiert die Nomoi als "die Gesamtheit der im Laufe der Geschlechter für das menschliche Zusammenleben naturnotwendig und natürlich gewachsenen Grundsätze"6.
Antigone reklamiert jedoch nicht nur die Heilighaltung der göttlichen Gesetze, sie kämpft auch für sie und damit gegen das von Kreon vertretene Staatsprinzip.
Demgemäß stellt sie Kreons Anordnungen, die nur temporäre Relevanz besitzen, genauso wie seine Position als Herrscher generell in Frage (450ff.), indem sie Kreon nicht wie der Chor als basileùs, also als rechtmäßigen König, sondern als strategòn (8), d.h. als Feldherr bzw. als Mann des Krieges (und nicht der Stadt) bezeichnet7.
Konkret rebelliert sie gegen das Bestattungsverbot, das Kreon gegen ihren toten Bruder Polyneikes verhängt hat, und führt ihre Überzeugungen von der Heiligkeit der Bestattungsbräuche sowie von der Dignität des Grabes ins Feld:
Antigone sieht im Grab als das letzte Menschenrecht, da nach griechischem Glau-ben erst durch die rituelle Bestattung sowie die Grabbeigaben die Ruhe des Todes gesichert sei. Denn die Seelen der Toten können zwar auch unbestattet in den Hades gelangen, allerdings müßten sie dann ruhelos umherirren. Eine verweigerte Bestat-tung bedeutet demzufolge nichts geringeres als eine Miasma (religiöser Frevel), das auch die Rache des Unbestatteten aus dem Hades nach sich zieht: "Ein Leben ehr-furchtlos ins Grab verbannt, / Und einen vorenthältst den Göttern drunten, / Ent-weiht, entheiligt, ohne Grab, den Toten!" (1069ff.).
Was Polyneikes' Position als Vaterlandsverräter betrifft, so darf er nach dem atti-schen Gesetz des 5. Jahrhunderts zwar nicht in attischer Erde bestattet werden, da seine Gebeine die attische Erde nicht beschmutzen sollten. Trotzdem besteht aber auch für Staatsfeinde die unbedingte Pflicht zur Bestattung, da diese nicht nur ein allgemein menschliches Gebot als Pflicht vor dem Verstorbenen und seiner Familie darstellt, sondern auch religiöses Gebot, eingefordert von den Chthonioi: "Und dennoch fordert Hades gleiches Recht." (519).8
Ferner bezeichnet Antigone das Grab als Ehre. Polyneikes eben diese zu retten, sieht sie demnach als Teil ihrer Mission:
"Gab Kreon nicht dem einen unsrer Brüder / Des Grabes
Ehr' und weigert sie dem andern?" (21f.);
"Die Blutsverwandten ehren schändet nicht." (511);
"Und doch, wer klug ist, lobt, daß ich dich
[= Polyneikes] ehrte." (904).
Neben den chthonischen Gewalten nimmt auch die Philia einen hohen Stellenwert in Antigones Denken ein: Der Philia liegt die Heiligkeit des gemeinsamen Blutes zugrunde, das Antigone - im Gegensatz zum Eros - unlösbar bindet und verpflichtet (Vgl.: Gedanke der Blutsverwandtschaft: 1, 511).
[Zumal Antigone mit Haimon wohl noch nicht einmal Eros verbindet, da es bei den Griechen üblich war, daß der Mann seine Frau auswählte, aber nicht umgekehrt. Deshalb bedauert Antigone zwar, daß sie nun generell keine Hochzeit mehr feiern könne, jedoch nicht konkret ihre entgangene Hochzeit mit Haimon (813f., 876f., 917f.).9]
Auch Antigones Argumentation, ein Bruder sei nach dem Tod beider Eltern (904ff.) unersetzlich und seine Ehre rechtfertige das größte Opfer, entspringt dieser Vorstel-lung von der Philia. Nicht persönliche Liebe ist es, die Antigone mit Polyneikes über den Tod hinaus verbunden fühlen läßt, als vielmehr jene Philia und die damit einhergehenden Forderungen der Götter an sie als nächste Angehörige.
Antigone konzentriert sich ausschließlich auf das auf Philia basierende Verhältnis zu ihrem Bruder und fühlt sich deshalb konkret in ihrer Rolle als Schwester heraus-gefordert: "Mitlieben, nicht mithassen ist mein Teil." (523).
Die Ansprüche der Götter sowie des toten Polyneikes gegenüber sie wiegen für Antigone schwerer als das herrschende Verbot und die damit verbundenen Sank-tionen: "Er [= Kreon] darf mich von den Meinen doch nicht trennen." (48). Anti-gone erachtet ihre Mission als erfüllt, wenn ihre Familie wieder in Philia vereinigt ist, was jetzt nur noch im Hades möglich ist.10
Gemäß dem griechischen Bestattungsritus sind die lebenden Familienmitglieder zur Bestattung verpflichtet. Während dabei die eigentliche Bestattung traditionell im Aufgabenbereich der Männer ist, obliegt die Totenklage sowie die Herrichtung des Leichnams den Frauen. Als nächster männlicher Verwandter der Oidipus-Familie wäre also Kreon gefordert, Polyneikes zu bestatten. Da dieser sich jedoch weigert, nimmt sich Antigone der eigentlich männlichen Bestattungspflicht an und übertritt damit die Grenze weiblichen Verhaltens.11
Dennoch reklamiert Antigone die volle Öffentlichkeit für ihre Bestattungstat, ja fordert geradezu deren Ausrufung: "Nein, laut verkünden sollst du [= Ismene]'s allen Leuten" (86). Antigone rühmt sich trotz des überschrittenen Verbots ihrer Tat und ist stolz auf sie. Sie wiederholt sie sogar, nicht auf die Gefahr, sondern vielmehr auf das Ziel hin, überführt zu werden. Dies läßt sich damit begründen, daß sie ihre Tat öffentlich bekannt wissen und gleichzeitig die Überlegenheit ihres Anspruchs demonstrieren will.12 Aus dem gleichen Grund gesteht - oder besser gesagt - bekennt Antigone Kreon ohne Ausflüchte und ohne Zögern ihre zweimalige Täter-schaft: "Ich sage, daß ich's tat und leugne nicht." (443).
Und auch auf Kreons Rückfrage, ob sie denn um das Bestattungsverbot gewußt habe (446f.), erklärt Antigone - ganz Überzeugungstäterin - freimütig und unum-wunden ihre Vorsätzlichkeit und erwidert mit aller Entschiedenheit: "Ich wußt' es allerdings, es war doch klar!" (448), um sogleich eine wohlüberlegte, stichhaltige und ausführliche Legitimation ihrer Tat anzuschließen:13
"Der das verkündete, war ja nicht Zeus, / Auch Dike in der
Totengötter Rat / Gab solch Gesetz den Menschen nie.
So groß / Schien dein Befehl mir nicht, der sterbliche, /
Daß er die ungeschriebnen Gottgebote, / Die wandellosen,
konnte übertreffen. / Sie stammen nicht von heute oder
gestern, / Sie leben immer, keiner weiß, seit wann. / An
ihnen wollt' ich nicht, weil Menschenstolz / Mich schreckte,
schuldig werden vor den Göttern." (450ff).
Was Antigone grundsätzlich von Kreon genauso wie von Ismene, dem Wächter oder dem Chor, die auf veränderte Situationen reagieren, unterscheidet, ist ihre Ent-schlossenheit und Geradlinigkeit. Allein Antigone hält an ihrem Ziel, Polyneikes zu bestatten und dafür ihr Leben zu lassen, in allen Situationen fest.
Dabei begreift Antigone bereits vor dem Bestattungsverbot Kreons den Tod als Befreiung von ihrem Leiden, das das Unheil ausgelöst hat, das über ihre Familie gekommen ist. Antigone hängt also nicht an diesem ihrem Leben, zumal sie sowieso um dessen Zeitlichkeit bzw. Vergänglichkeit weiß und zumal sie sich ihren toten Verwandten - nämlich Vater, Mutter und den beiden Brüdern - näher fühlt als den lebenden Menschen:
"...ich begrab ihn [= Polyneikes], / Und wenn ich dafür
sterbe, das ist schön. / Geliebt bei dem Geliebten ruh
ich dann" (71ff.);
"Ich komme / Geliebt zum Vater und geliebt zu dir, /
O Mutter, und zu dir, Eteokles" (897ff.).
Der von Kreon angedrohte Tod kann Antigone nichts anhaben, sehnt sie ihn sich doch geradezu herbei:
"Und sterben muß ich doch, das wußte ich / Auch ohne
deinen Machtspruch. Sterbe ich / Vor meiner Zeit, nenn
ich es noch Gewinn. / Wes Leben voller Unheil ist, wie
meines, / Trägt der nicht, wenn er stirbt, Gewinn davon. /
Drum schmerzt mich nicht, daß sich mein Schicksal
nun / Erfüllt." (460ff.; Vgl. auch 555).
Mit der Begründung, der Tod sei die einzig sichere Konstante und schon allein des-halb wichtiger als das Leben, da er zeitlich-quantitativ länger sei, richtet Antigone ihr Handeln ganz auf ihn aus, ja sie identifiziert sich sogar mit ihm: "Länger muß ich / Den Untern als den Menschen hier gefallen" (74f.). Dadurch, daß Kreon nun die unmittelbare Todesstrafe durch Steinigung in eine den Tod hinauszögernde Haftstrafe umwandelt, bleibt diese Todessehnsucht zwar zunächst unerfüllt, doch auch wenn Kreon es nicht schafft, konsequent zu sein, Antigone ist es, indem sie den Freitod wählt.14
Dadurch daß Antigone ihrem Leben selbst ein Ende setzt, anstatt durch die von Kreon verhängte Strafe zu sterben, legt sie aber nicht nur Zeugnis für ihre Unbeirr-barkeit, sondern auch für ihre Autonomie ab. Da sie sich ja auf keinen expliziten göttlichen Auftrag berufen kann, ist Antigones Handeln das gesamte Drama über von Autonomie geprägt.15
Antigone ist in der Anwendung ihrer Prinzipien aber nicht nur unbeirrbar, sondern auch unerbittlich, selbst gegenüber ihrer eigenen Schwester: In dem Augenblick, als Ismene die Tat ablehnt, distanziert sie sich von ihr. Und selbst wenn Ismene ihrer Bedenken zum Trotz mitmachen würde, wäre sie Antigone nicht mehr willkommen: "Und wenn du noch wolltest, / Mich könnte deine Hilfe nicht mehr freun." (69f.). Antigone kann nämlich in dieser Sache von ihrer Schwester Ismene keinen abwei-chenden Standpunkt, ja nicht einmal einen Vorbehalt oder Einwand gelten lassen: "Ich mag nicht Liebe, die mit Worten liebt." (543). Antigone kann nur noch Ver-achtung und Haß für Ismene empfinden: "Das sage nicht, sonst müßte ich dich hassen, / Und auch des Toten Haß verdientest du." (93f.).
Daß ihre Verurteilung Ismenes endgültig ist, beweist die schroffe Ablehnung, mit der sie Ismenes späterer Bereitschaft, zusammen mit Antigone zu sterben, begegnet. Anstatt Ismene zu verzeihen, verhöhnt sie ihre Schwester bitterlich, indem sie sie in ihrer Verzweiflung an Kreon verweist: "Du schaust doch stets auf Kreon, frage den!" (549).
Für Antigone existiert in dieser Angelegenheit, in der es ja um nichts geringeres als um den Seelenfrieden und die Ehre ihres Bruders geht, nur ein Entweder-Oder. An der Einstellung zu dem Bestattungsverbot scheidet sie Freund und Feind und auch Ismene wird auf diese Weise kategorisiert: "Nun wirst du zeigen, bist du edel / Geboren oder schlugst du aus der Art." (37f.). Wer nicht für sie ist, ist eben gegen sie. Dadurch, daß Ismene vor der Tat zurückschreckte, ist sie in Antigones Augen eine Verräterin, die sich von der Sippe gelöst und auf die Seite Kreons geschlagen hat. Sie hat sich selbst für immer von der Familie ausgeschlossen, da sie sich ihrer als unwürdig (Vgl.: 544) erwiesen hat.16
[...]
1) Vgl.: Meier, Christian: Die politische Kunst der griechischen Tragödie. München, 1988, S. 7, 12.
2) Vgl.: Hermes, Eberhard: Interpretationshilfen. Der Antigone-Stoff. Stuttgart/Dresden, 19921, S. 50;
Kästler, Reinhard: Erläuterungen zu Sophokles Antigone. Hollfeld, 19934, S. 44;
Schmidt, Richard: Sophokles Antigone. Frankfurt a.M./Berlin/Bonn, S. 61f.;
Schmitt, Arbogast: "Bemerkungen zu Charakter und Schicksal der tragischen Hauptpersonen in der Antigone". A&A XXXIV, 1988, S. 6.
Vgl.: Kuch, Heinrich: Die griechische Tragödie in ihrer gesellschaftlichen Funktion. Berlin, 1983, S. 64.: Geschlossenheit und Begrenzung der Gestalten der griechischen Tragödie.
3) Vgl.: Kuch, Tragödie; Meier, Kunst, S. 9, 11, 224f.
4) Vgl.: Zimmermann, Christiane: Der Antigone-Mythos in der antiken Literatur und Kunst. Tübingen, 1993, S. 134.
5) Nach Platon sind Nomoi als Aussage der Götter zu verstehen, Vgl.: Schmidt, Sophokles, S. 26.
6) Vgl.: Schmidt, Sophokles, S. 25f.
7) Vgl.: Geisenhanslüke, Achim: Sophokles, Antigone: Interpretation. München, 19911, S. 40.
8) Vgl.: Geisenhanslüke, Meier, Kunst, S. 216.; Sophokles, S. 36; Schmidt, Sophokles, S. 61; Zimmermann, Antigone-Mythos, S. 120ff, 302, 304f.
Vgl.: Hermes, Antigone-Stoff, S. 45: Ein Priester aus dem Geschlecht der Buzygen sprach einen Fluch über jeden aus, der einen Toten unbestattet ließ.
9) Vgl.: Zimmermann, Antigone-Mythos, S. 129, 321.
10) Vgl.: Geisenhanslüke, Sophokles, S. 34f., 53; Kästler, Sophokles, S. 43.; Schmidt, Jens-Uwe: "Größe und Grenze der Antigone". Saeculum XXXI, 1980, S. 347, 354; Zimmermann, Antigone-Mythos, S. 128, 134, 318ff.
11) Vgl.: Zimmermann, Antigone-Mythos, S. 122, 134, 296, 306f.
12) Vgl.: Riemer, Peter: Sophokles, Antigone. Götterwille und menschliche Freiheit. Stuttgart, 1991, S. 40; Schmidt, Größe, S. 360.; Zimmermann, Antigone-Mythos, S. 116, 124.
13) Vgl.: Riemer, Götterwille, S. 10; Schmidt, Größe, S. 361ff.; Zimmermann, Antigone-Mythos, S. 126.
14) Vgl.: Geisenhanslüke, Sophokles, S. 51f.; Riemer, Götterwille, S. 41f, 50f.
15) Vgl.: Riemer, Götterwille, S. 40f., 49f.
16) Vgl.: Geisenhanslüke, Sophokles, S. 33f., 54, 43; Lefèvre, Eckard: "Die Unfähigkeit, sich zu erkennen: Sophokles' Antigone". WJA N.F. XVIII, 1992, S. 110; Schmidt, Größe, S. 357, 359ff.; Schmidt, Sophokles, S.21, 25.
- Arbeit zitieren
- Evi Goldbrunner (Autor:in), 1999, Dramatische Figuren als personifizierte Träger gesellschaftlich-politischer Prinzipien in der "Antigone" des Sophokles, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89286
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