„Soziale Arbeit – das ist ja die Paradoxie schlechthin“ (Habermas, zit. n. Rauschenbach, 1999, S.174). Diese Aussage des Soziologen Jürgen Habermas bringt die Dramatik der Widersprüchlichkeit innerhalb des doppelten Mandats auf den Punkt. Dieses ergibt sich, da unterschiedliche Erwartungen an die Berufsrolle des Sozialarbeiters gerichtet werden. Einerseits bestehen diese aus gesellschaftlichen Interessen. Im Lauf der Arbeit wird deutlich werden, dass Sozialarbeit ein institutioneller Beruf ist.
Da diese Institutionen „rechtlich und finanziell von der Gesellschaft getragen“ (Lüssi, 1992, S.124) werden, hat die Gesellschaft einen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Interessen. Andererseits hat der Klient auf Grund seiner sozial benachteiligten Situation ein Interesse an unterstützenden Maßnahmen, welches den gesellschaftlichen Erwartungen möglicherweise entgegensteht. Kurzum, es geht um Hilfe und Kontrolle. Diese ungleichen Erwartungen werden an den Streetworker in seiner Berufsrolle herangetragen. Hierdurch ergibt sich für diesen ein Konflikt, mit dem es sich auseinanderzusetzen gilt. Ist diese Auseinandersetzung unzureichend, so besteht die Gefahr, dass die konflikthafte Situation sämtliche Tatkraft bindet, die folglich nicht mehr dem Arbeitsprozess zufließen kann. Dies könnte sich negativ auf das Arbeitsergebnis auswirken. Darüber hinaus dürfte ein gering geklärtes Spannungsfeld eine Ursache für hohe berufliche Frustration darstellen.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Bearbeitung des Rollenkonflikts, für alle am Konflikt Beteiligten – vor allem jedoch für den Streetworker selbst – als besonders lohnenswert.
Die Auswahl des Arbeitsansatzes Streetwork hat zwei Gründe: Aufsuchende Sozialarbeit vollzieht sich im öffentlichen Raum. Da dieser Raum allen Gesellschaftsmitgliedern zur Verfügung steht und von diesen gestaltet werden kann, ist es denkbar, dass die ungleichen Erwartungen des doppelten Mandats dort besonders ausgeprägt an den Streetworker herangetragen werden.
Der zweite Grund ist ein persönlicher. Der Verfasser der vorliegenden Arbeit war eineinhalb Jahre als Streetworker in Brasilien tätig. Die dortige Tätigkeit war von unterschiedlichen Erwartungen an dessen Rolle und verschiedenartigen Versuchen der Konfliktauseinandersetzung geprägt. Die vorliegende Arbeit setzt die Suche nach Möglichkeiten der Bearbeitung des Rollenkonflikts gewissermaßen fort.
Inhaltsverzeichnis
1. Fragestellung
2. Einleitung
Erster Teil – Das Modell vom Inneren Team
1. Schulz von Thun und das Modell vom Inneren Team
2. Innere Pluralität
2.1 Arbeitstechnik des Modells
2.2 Vielfalt der Teammitglieder
2.3 Herkunft der inneren Stimmen
3. Wissenschaftliche Grundlage des Modells
4. Das Oberhaupt und die Aufgaben der inneren Führung
4.1 Die innere Ratsversammlung
4.2 Der Führungsstil
5. Innere Teamkonflikte
5.1 Aufdeckung der Konfliktparteien
5.2 Dialog
5.3 Aussöhnung und Verständigung
6. Aufbau und Entwicklung der Persönlichkeit
6.1 Die Antipoden oder der Gegenpol der Stammspieler
6.1.1 Erste Ausschlussstufe
6.1.2 Zweite Ausschlussstufe
6.1.3 Dritte Ausschlussstufe
6.2 Ausschlussstufe und Abwehrmechanismen
6.3 Stammspieler, Antipoden, Persönlichkeit – ein Fazit
7. Variationen der inneren Mannschaftsaufstellung
7.1 Personenbezogene Grundaufstellung
7.2 Themenbezogene Mannschaftsaufstellung
8. Inneres Team und Gehalt einer Situation
8.1 Wie lässt sich eine Situation erfassen?
8.2 Die Stimmigkeit als Ideal
9. Kritische Auseinandersetzung mit dem Modell
Zweiter Teil – Streetwork
1. Streetwork - eine Einführung
2. Streetwork – Anfänge und Begriffsklärung
3. Gesetzliche Grundlage und Finanzierung
4. Die Zielsetzung von Streetwork
5. Die Zielgruppe von Streetwork
6. Die Arbeitsprinzipien von Streetwork
7. Tätigkeitsbereiche und Angebote von Streetwork
8. Rahmenbedingungen von Streetwork
9. Spannungen zwischen Auftrag und Wirklichkeit
Dritter Teil – Das doppelte Mandat
1. Die soziale Rolle – Erwartungen und Konflikt
2. Das doppelte Mandat in der Sozialen Arbeit
3. Der Auftrag des Arbeitgebers
4. Der Auftrag des Klienten
5. Das doppelte Mandat im Streetwork
Vierter Teil – Rollenklärung mit Hilfe des Modells
1. Klärung des beruflichen Selbstverständnisses mit Hilfe des Modells
1.1 Die innere Ratsversammlung zum beruflichen Selbstverständnis des Streetworkers
1.1.1 Identifikation und Anhörung der Teammitglieder
1.1.2 Brainstorming
1.1.3 Integrierte Stellungnahme
2. Praktischer Nutzen des geklärten beruflichen Selbstverständnisses
2.1 Einfluss des beruflichen Selbstverständnisses auf die Wahl der Arbeitsstelle
3. Mannschaftsaufstellung und situativer Kontext
3.1 Mannschaftsaufstellung im klientenbezogenen Kontext
3.2 Mannschaftsaufstellung im institutionsbezogenen Kontext
3.3 Fazit der Auseinandersetzung mit dem situativen Kontext
1. Abschließende Einschätzungen zur Wirkungsfähigkeit des Modells
2. Persönliches Fazit
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Danksagung
1. Fragestellung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Rollenkonflikt, dem Sozialarbeiter durch das doppelte Mandat in der aufsuchenden Sozialarbeit ausgesetzt sind. Dabei soll geprüft werden, welche Möglichkeiten Schulz von Thuns Modell vom Inneren Team aufweist, um diesen Konflikt zu bearbeiten.
2. Einleitung
„Soziale Arbeit – das ist ja die Paradoxie schlechthin“ (Habermas, zit. n. Rauschenbach, 1999, S.174). Diese Aussage des Soziologen Jürgen Habermas bringt die Dramatik der Widersprüchlichkeit innerhalb des doppelten Mandats auf den Punkt. Dieses ergibt sich, da unterschiedliche Erwartungen an die Berufsrolle des Sozialarbeiters gerichtet werden. Einerseits bestehen diese aus gesellschaftlichen Interessen. Im Lauf der Arbeit wird deutlich werden, dass Sozialarbeit ein institutioneller Beruf ist. Da diese Institutionen „rechtlich und finanziell von der Gesellschaft getragen“ (Lüssi, 1992, S.124) werden, hat die Gesellschaft einen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Interessen. Andererseits hat der Klient auf Grund seiner sozial benachteiligten Situation ein Interesse an unterstützenden Maßnahmen, welches den gesellschaftlichen Erwartungen möglicherweise entgegensteht. Kurzum, es geht um Hilfe und Kontrolle. Diese ungleichen Erwartungen werden an den Streetworker in seiner Berufsrolle herangetragen. Hierdurch ergibt sich für diesen ein Konflikt, mit dem es sich auseinanderzusetzen gilt. Ist diese Auseinandersetzung unzureichend, so besteht die Gefahr, dass die konflikthafte Situation sämtliche Tatkraft bindet, die folglich nicht mehr dem Arbeitsprozess zufließen kann. Dies könnte sich negativ auf das Arbeitsergebnis auswirken. Darüber hinaus dürfte ein gering geklärtes Spannungsfeld eine Ursache für hohe berufliche Frustration darstellen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Bearbeitung des Rollenkonflikts, für alle am Konflikt Beteiligten – vor allem jedoch für den Streetworker selbst – als besonders lohnenswert.
Die Auswahl des Arbeitsansatzes Streetwork hat zwei Gründe: Aufsuchende Sozialarbeit vollzieht sich im öffentlichen Raum. Da dieser Raum allen Gesellschaftsmitgliedern zur Verfügung steht und von diesen gestaltet werden kann, ist es denkbar, dass die ungleichen Erwartungen des doppelten Mandats dort besonders ausgeprägt an den Streetworker herangetragen werden.
Der zweite Grund ist ein persönlicher. Der Verfasser der vorliegenden Arbeit war eineinhalb Jahre als Streetworker in Brasilien tätig. Die dortige Tätigkeit war von unterschiedlichen Erwartungen an dessen Rolle und verschiedenartigen Versuchen der Konfliktauseinandersetzung geprägt. Die vorliegende Arbeit setzt die Suche nach Möglichkeiten der Bearbeitung des Rollenkonflikts gewissermaßen fort.
Die Arbeit gliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil soll zunächst Schulz von Thuns Modell vom Inneren Team aufgezeigt werden.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem Arbeitsansatz Streetwork als Baustein des Konzepts der mobilen Jugendarbeit. Als Grundlage zum Verständnis werden dort die gesetzliche Grundlage, die Zielsetzung und die Zielgruppe sowie die entsprechenden Arbeitsprinzipien aufgezeigt, um dann an Hand möglicher Spannungen zwischen Auftrag und Wirklichkeit zum dritten Teil überzuleiten. Dort wird detailliert auf den Rollenkonflikt des doppelten Mandats eingegangen. Ausgehend von allgemeinen Ausführungen, soll die Thematik über die jeweiligen Erwartungen von Klientel und Institution ausdifferenziert werden, um dann den Blick auf die spezifische Ausgestaltung des doppelten Mandats im Arbeitsfeld des Streetworkers zu richten.
Im abschließenden vierten Teil soll die Wirkungsfähigkeit des Modells zur Rollenklärung geprüft werden. Hierzu wird die Bearbeitung des Rollenkonflikts mit Hilfe der Arbeitstechnik des Inneren Teams exemplarisch ausgeführt. Die vorliegende Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse ab.
Zwei stilistische Punkte sollen an dieser Stelle noch angemerkt werden. Auf Grund der besseren Lesbarkeit soll durchgängig die männliche Anrede benutzt werden. Leserinnen bitte ich dies zu entschuldigen – der Text richtet sich an weibliche und männliche Lesende zugleich. Des Weiteren ist die Berufsbezeichnung Sozialarbeiter als Sammelbegriff für die Berufstätigen des Berufsfeldes Sozialarbeit/Sozialpädagogik zu verstehen.
Erster Teil – Das Modell vom Inneren Team
1. Schulz von Thun und das Modell vom Inneren Team
Der an der Universität Hamburg lehrende Professor der Psychologie Friedemann Schulz von Thun geht davon aus, dass es sich bei den drei wichtigsten Dingen im Leben eines Menschen um „Geburt, Kommunikation und Tod “ (Schulz von Thun, 2000, S.3) handelt. Entsprechend seiner Profession beschäftigt er sich in seinen Publikationen mit dem genannten Bereich zwischen Geburt und Tod. Nach den Veröffentlichungen von Miteinander reden 1 (1981), mit dem inhaltlichen Schwerpunkt der vier Seiten einer Nachricht und Miteinander reden 2 (1989), in dem der Blick auf acht unterschiedliche Kommunikationsstile gerichtet wird, wurde die Trilogie im Jahr 1998 mit dem Band Miteinander reden 3 Das Innere Team und situationsgerechte Kommunikation vervollständigt (vgl. Wesner, 2007, S.1). Der Autor geht davon aus, dass dieses Innere Team maßgeblich an Kommunikation, Handlung und Persönlichkeitsaufbau einer Person beteiligt ist. Mit Hilfe des Modells soll es gelingen, die Vielstimmigkeit der Teammitglieder zu verstehen, aufkommende Konflikte unter diesen zu lösen, um letztlich eine innere Mannschaft aufzustellen, die innere und äußere Anforderungen berücksichtigen kann (vgl. Schulz von Thun, 2006, S.338). Das Ideal besteht demnach in einem Handeln, welches von einer „Übereinstimmung mit uns selbst als auch den Belangen der Situation“ (a.a.O., S.338) gekennzeichnet ist.
Im Folgenden werden die Hintergründe des Modells, seine Herkunft sowie der Umgang mit dem inneren Team auf dem Weg zum benannten Ziel beschrieben. Dabei lehnen sich die Ausführungen vorrangig an die Literatur Schulz von Thuns, diese wird aber an einigen Stellen durch weiterführende, das Modell verdeutlichende Literatur ergänzt.
2. Innere Pluralität
Jeder Mensch kennt in verschiedensten Lebenssituationen die innere Reaktion, welche entgegen dem Wunsch nach einer klaren und einheitlichen Haltung, von einem unschlüssigen, abwägenden und ambivalenten Ausdruck geprägt ist. Schulz von Thun spricht in diesem Zusammenhang von einer für das Seelenleben des Menschen kennzeichnenden inneren Pluralität (vgl. Schulz von Thun, 2004, S.15). Die Erkenntnis der inneren Pluralität ist jedoch keinesfalls erst mit dem Modell vom Inneren Team entstanden. Begibt man sich im gesellschaftlich-kulturellen Kontext auf die Suche nach diesem Phänomen, so wird man an unterschiedlichsten Quellen fündig. Otto von Bismarck beispielsweise, gestattete einen Blick in sein Inneres, indem er Goethes Faust heranzog: „Faust beklagte, dass er zwei Seelen in seiner Brust habe. Ich habe eine ganze sich zankende Menge. Da geht es zu wie in einer Republik“ (Bismarck zit. n. Schwartz, 1997, S.274). Auch Anne Frank schreibt in ihrem Tagebuch: „Vergib mir ich habe nicht umsonst den Ruf, dass ich ein Bündelchen Widerspruch bin“ (Frank, 1996, S.311) und lässt dabei eine Wertung dieser Eigenschaft mit einfließen.
Neben Politik und Literatur finden sich auch relevante Erkenntnisse mit wissenschaftlichen Bezügen. Helm Stierlin – ein Vertreter der systemischen Familientherapie – vertritt die Auffassung, dass es problematisch ist, „das Selbst, als psychische Einheit, als letztlich unteilbare psychische Monade verstehen und beschreiben zu wollen. Vielmehr eröffneten sich dem Blick psychische Untersysteme, wenn man will: Sub-Selbste, die untereinander komplexe Beziehungen eingehen, die füreinander Kontexte bilden und somit vom Beobachter eine besondere Art von (individuumzentrierter) Kontextsensibilisierung verlangen“ (Stierlin, 1994, S.105).
Es liegt nahe, dass viele Menschen der inneren Pluralität mit Vorbehalt und mangelnder Beachtung begegnen. Denn es handelt sich hierbei um einen irritierenden und unangenehmen Anteil der Gefühls- und Erlebenswelt. In diesem Zusammenhang betont Schulz von Thun, „dass das Durchschauen [der] «inneren Gruppendynamik» verbunden mit der Fähigkeit zu einer inneren Teambildung, eine große Quelle von Kraft und Klarheit darstellt“ (Schulz von Thun, 2006, S.21). Doch zuerst soll die Arbeitstechnik des Modells vorgestellt und näher auf die Mitglieder des Inneren Teams eingegangen werden.
2.1 Arbeitstechnik des Modells
Dem Modell liegt eine Arbeitstechnik zu Grunde, die sich aus den Bestandteilen Botschaft, Name und Bild zusammensetzt. Der Autor vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass ein jedes Teammitglied eine Botschaft vermittelt, die einer inneren Stimme gleichkommt. Diese lässt sich durch innere Erkundung aufzeigen und hat in der Regel eine „kognitive, emotionale und motivationale Komponente“ (a.a.O., S.24). Eine innere Stimme hat dabei nichts mit einem akustischen Ereignis zu tun. Vielmehr handelt es sich um „Gedanken- und Gefühlsfragmente“ (a.a.O., S.86). Sobald die Botschaft ins Bewusstsein gerückt ist, kann dem Teammitglied ein Name gegeben werden. Dieser repräsentiert und bündelt den Inhalt der Botschaft. Denkbare Namen sind: Das misstrauische -, experimentelle -, besserwisserische -, kindliche -, schamhafte Teammitglied. Auch Bilder und Symbole können bei der Identifikation eines Teammitglieds helfen. Für das besserwisserische Teammitglied steht beispielsweise ein erhobener Zeigefinger und für das Schamhafte ein roter Kopf.
Botschaft, Name und Bild bringen sich dabei wechselseitig hervor und präzisieren die Übereinstimmung. Häufig ergibt sich bereits während dieses Prozesses ein innerer Dialog. Die Benennung eines Teammitglieds lässt ein weiteres, möglicherweise antagonistisches Mitglied deutlich werden. Innerhalb von wenigen Augenblicken kann sich ein inneres Gruppengeschehen entwickeln, welches von vielfältigen, debattierenden und sich uneinigen Teammitgliedern geprägt ist.
Das Modell versucht dabei, komplexe innerpsychische Vorgänge mit Hilfe einer Metapher greifbarer und verständlicher zu machen. Das heißt die zunächst schwer verständlichen und komplex erscheinenden Abläufe und Reaktionen der seelischen Ebene, werden mit Hilfe des bekannten und verständlichen Bildes von realen Teams und deren Teilnehmer, greifbarer gemacht (vgl. Schulz von Thun, 2006, S.24ff.).
2.2 Vielfalt der Teammitglieder
Bei den Teammitgliedern handelt es sich um „energiegeladene seelische Einheiten, die ein Anliegen enthalten und sich bei bestimmten Anlässen melden und inneren Raum einnehmen“ (a.a.O., S.31). Die beteiligten inneren Stimmen lassen sich neben der inhaltlichen Mannigfaltigkeit noch auf weiteren Ebenen unterscheiden. Zum einen lässt sich beobachten, dass diese nicht zeitgleich auftreten. Manche Stimmen melden sich sogleich zu Wort, wohingegen andere erst nach einem gewissen Zeitraum hinzukommen. Auch in ihrer Lautstärke und Intensität unterscheiden sich die inneren Stimmen. Die Leisen haben möglicherweise Schwierigkeiten, sich gegen die Betriebsamkeit des Alltags durchzusetzen und melden sich dementsprechend in ruhigeren Phasen. Die Stimmen können auch bezüglich der Akzeptanz unterschieden werden. Das heißt es gibt deren mehr oder weniger willkommene (vgl. a.a.O., S.28ff.).
Die Mitglieder des inneren Teams können dabei in zweifacher Funktion tätig werden. „Sie sind sowohl im Außendienst als auch im Innendienst tätig. (…) Im Innendienst sind sie Teilnehmer des Selbstgesprächs («innere Stimmen») und Hervorbringer von Stimmungen, Gefühlen, Motiven und Gedanken; im Außendienst sind sie Aktionsbeteiligte auf dem Spielfeld des Lebens, werden sie zu Wortführern, die in der zwischenmenschlichen Kommunikation den Ton angeben.“ (Schulz von Thun, 2006, S.34f.). Trotz dieser Vielfalt stehen die einzelnen Stimmen untereinander im Kontakt. Da diesen das Bedürfnis nach Durchsetzung inne wohnt, werden je nach Kontext Fraktionen und Bündnisse geschlossen – dabei handelt es sich um eine „kontextspezifische Konfigurationsbildung“ (a.a.O., S.36). Diese inneren Verhältnisse weisen eine Ähnlichkeit zu tatsächlichen Gruppen und den dort ablaufenden dynamischen Prozessen auf. Betrachtet man diese innere Vielfältigkeit, so tut sich die Frage nach Entstehung und Herkunft der Stimmen auf.
2.3 Herkunft der inneren Stimmen
Der Ursprung der inneren Stimmen steht in direktem Zusammenhang mit der persönlichen Lebensgeschichte, also der Sozialisation, die als „Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt“ (Geulen/Hurelmann, 1980, S.51) verstanden werden kann.
Im Rahmen der Sozialisation bilden sich Wert- und Normvorstellungen aus, welche u. a. durch die inneren Stimmen repräsentiert werden. Schulz von Thun betont in diesem Zusammenhang aber auch die Bedeutung von frühkindlichen Bezugspersonen, im Besonderen Mutter und Vater (vgl. Schulz von Thun, 2006, S.43). Die Signifikanz dieser Beziehung bringt Berne auf den Punkt, indem er sagt: „Jeder trägt in seinem Innern seine Eltern mit sich herum“ (Berne, 1967, S.31). Daraus kann geschlossen werden, dass die Eltern oder elternähnliche Bezugspersonen bei der Entstehung der inneren Stimmen eine bedeutende Rolle spielen.
3. Wissenschaftliche Grundlage des Modells
Das Modell vom Ineren Team ist keineswegs eine neuartige Entdeckung. Vielmehr greift Schulz von Thun auf den wichtigen Baustein der Persönlichkeitszustände aus der Transaktionsanalyse (TA) zurück und bereitet diese mit Hilfe einer Metapher populärwissenschaftlich auf. Das Einzel- und gruppentherapeutische Verfahren der TA wurde von dem amerikanischen Psychiater Eric Berne entwickelt und basiert vor dem Hintergrund eines humanistischen Menschenbildes, auf den Grundlagen der Psychoanalyse (vgl. Dorsch, 2004, S.965). Berne geht von der Annahme aus, dass in jedem Menschen drei Kategorien von Persönlichkeitszuständen vorliegen. Bei diesen ungleichen „Ich-Zustände[n] (…) handelt es sich um kohärente Gedanken- und Gefühlssysteme, die durch entsprechende Verhaltensmuster zum Ausdruck gebracht werden“ (Berne, 1975, S.24). Das Verhalten und Erleben eines Menschen ist folglich als Ausdruck der unterschiedlichen und möglicherweise wechselnden Ich-Zustände zu verstehen (vgl. Dorsch, 2004, S.965). Im Einzelnen ist der Zustand des Eltern-Ich, des Erwachsenen-Ich und des Kindheits-Ich zu erwähnen. Der Zustand des Eltern-Ich ist, wie die Bezeichnung vermuten lässt, vom elterlichen Einfluss geprägt. Hierbei ist das Empfinden und Verhalten, Denken und Sprechen der betroffenen Person dem Einfluss der verinnerlichten Eltern unterworfen. Das Eltern-Ich kann dabei bestimmend und kritisch oder aber wohlwollend und fürsorglich ausgerichtet sein (vgl. Schlegel, 1993, S.148).
Als weiterer Bestandteil der Persönlichkeit ist das Kindheits-Ich zu nennen. Hierbei handelt es sich weniger um unreifes, als vielmehr um kindhaftes, also von Emotionen geleitetem Erleben und Verhalten. Dieser Anteil mit seinen Wurzeln in den Tagen der Kindheit kann sich dabei in natürlich - unbefangener, gehorsam - angepasster oder aber rebellisch - trotziger Form zeigen (a.a.O., S.147).
Dem gegenüber ist das Erwachsenen-Ich von der „Fähigkeit zur objektiven Übermittlung von Informationen“ (Berne, 1967, S.31) geprägt. Dieser Ich-Zustand ist durch Verhalten gekennzeichnet, welches mit Hilfe der Kognition die Realität überprüft und unter Berücksichtigung sämtlicher Möglichkeiten eine Reaktion auf diese ausbildet. In letztere fließt auch das überprüfende Ergebnis der beiden anderen Ich-Zustände ein (vgl. Stewart/Jones, 1997, S.54ff.).
Die einzelnen Zustandskategorien mit ihrem jeweils spezifischen Erleben und Verhalten „sind gegeneinander sorgfältig abgegrenzt, denn sie sind nicht nur untereinander sehr verschieden, sondern stehen sogar oft in erheblichem Widerspruch zueinander“ (Berne, 1967, S.31). Der therapeutische Vorgang besteht u.a. darin „die Grenzen zwischen den drei Ich-Zuständen zu klären und zu stärken“ (Berne, 1991, S.176).
4. Das Oberhaupt und die Aufgaben der inneren Führung
Wie bereits beschrieben, macht sich das vorliegende Modell die Metapher von Teams zu Nutze. In diesem Zusammenhang – genauer der Personalführung – kann unter dem Begriff Führung die „zielorientierte soziale Einflussnahme zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben“ (Wunderer/Grunwald zit. nach Hentze, et.al., 1997, S.29) verstanden werden. Das Phänomen der Führung ist eine zeit- und kulturübergreifende Erscheinung. Immer dort, wo sich eine Gruppe mit einem Arbeitsauftrag befasst, besteht ein Bedarf an Koordination (vgl. Wunderer/Grunwald zit. nach Hentze, et.al. S.7). So auch beim gegenwärtigen Modell. Schulz von Thun spricht bei der inneren Führungskraft von dem Oberhaupt. Der Autor geht hierbei von einer zentralen, übergeordneten und steuernden Koordinationsinstanz aus, der eine „reflektierende Metaposition“ (Schulz von Thun, 2006, S.87) zukommt. Diese innere Führungskraft hat die Aufgabe das mehrstimmige innere Team zu einer einheitlichen Reaktion zu führen (vgl. a.a.O., S. 68f.).
Dabei sollen sämtliche Interessen unter der Moderation des Oberhauptes berücksichtigt werden. Gelingt es diesem, die konträren und möglicherweise zerstrittenen Mitglieder zu einem Team zu formieren, so kann das Zusammenwirken zu einem wünschenswerten „Synergieresultat“ (a.a.O., S.99) führen. Kennzeichnend ist für letzteres, dass das Ergebnis höher einzuordnen als die Summe der Einzelbeiträge.
Auf dem Weg dahin besteht jedoch für die Leitung die Gefahr, sich in gruppendynamischen Prozessen zu verstricken. Durch zu starke Identifikation mit einzelnen Mitgliedern kann sich eine Parteilichkeit entwickeln, die sich negativ auf das Ergebnis des Entscheidungsprozesses auswirken würde (vgl. a.a.O., S.68ff.). In diesem Zusammenhang vertritt der italienische Psychotherapeut und Entwickler der Psychosynthese Assagioli folgende Auffassung: „Wir werden beherrscht von allem, womit sich unser Selbst identifiziert. Wir können alles beherrschen und kontrollieren, von dem wir uns disidentifizieren“ (Assagioli, 2004, S.67). Will das Oberhaupt das innere Team erfolgreich führen, so sind hierfür eine gesicherte Distanz zu den einzelnen Teammitgliedern sowie eine Disidentifikation mit eben diesen erforderlich. Diese Punkte sind somit für die Metaposition von Bedeutung.
Beschäftigt man sich mit dem Modell vom Ineren Team und verfügt über einige Grundkenntnisse des psychoanalytischen Persönlichkeitsmodells nach Freud (vgl. Freud, 1969, S.237 ff.), so kann an dieser Stelle die Annahme entstehen, dass es sich bei dem Modell um eine banale Instanzenlehre handelt. Das Oberhaupt entspricht dabei der psychischen Instanz des Ich. Dieses repräsentiert die tatsächlichen Verhältnisse der Außen- und Innenwelt. Die Aufgabe besteht in der Vermittlung zwischen den Ansprüchen des Es und des Über-Ich sowie der sozialen Umwelt, mit dem Ziel der Anpassung und Konfliktlösung (vgl. Peters, 1978, S.65f.). Bleibt man bei der TA als wissenschaftlicher Grundlage des Modells, so kommt dem Erwachsenen-Ich diese Vermittlungsfunktion zu.
4.1 Die innere Ratsversammlung
Den Prozess vom Hören und Identifizieren der inneren Teammitglieder bis hin zu einer Stellungnahme die alle Stimmen integriert, hat Schulz von Thun in sechs Schritte untergliedert. Diese vollziehen sich in der inneren Ratsversammlung, die es sich zum Ziel macht „durch Teamarbeit zu einer klaren inneren Vereinbarung zu gelangen“ (Schulz von Thun, 2006, S.125). Der Autor definiert diese wie folgt: „Die bewusste Zusammenkunft und Aussprache aller inneren Mitglieder, die sich zu der aufgeworfenen Frage melden, unter der Leitung des Oberhaupts mit dem Ziel, eine Antwort zu (er-)finden, die auf einer inneren Vereinbarung basiert und die adäquater und authentischer ist, als wenn nur ein Mitglied oder eine Clique von Mitgliedern vorhanden gewesen wäre oder alleine das Sagen gehabt hätte“ (a.a.O., S.90). Wie dies geschehen kann, soll an Hand der folgenden sechs Schritte erläutert werden (vgl. a.a.O., S.91ff.).
Schritt 1: Identifikation der Teammitglieder
Entsprechend der weiter oben aufgeführten Arbeitstechnik werden die verschiedenen Botschaften erfasst und für jedes Teammitglied ein passender Name formuliert.
Schritt 2: Anhörung der Stimmen
Nun bekommt jede Einzelstimme den notwendigen Raum, um detailliert zu Wort zu kommen. Das Oberhaupt sorgt für eine Kommunikationskultur, in der jede Stimme ohne Unterbrechung oder Kommentar anderer Mitglieder angehört werden kann.
Schritt 3: Diskussion
Nun kommt es zu einer freien Diskussion unter den Teammitgliedern. Hierbei treffen diese mit ihren unterschiedlichen Meinungen, Bedürfnissen und Werthaltungen aufeinander. Das Oberhaupt soll diese offene Auseinandersetzung – die durchaus chaotische Züge annehmen kann – über einen gewissen Zeitraum zulassen.
In Anlehnung an die Abfolge der Gruppenphasen nach Tuckman kann die Diskussion der Phase des Storming zugeordnet werden. Die auftretenden Konflikte müssen in dieser Phase bewältigt werden, nur dann kann sich das Team weiterentwickeln. (vgl. Ardelt-Gattinger/Gattinger, 1998, S.9f.). Hierzu ist eine klare Führung erforderlich, die zum nächsten Punkt führt.
Schritt 4: Strukturierende Moderation
Das Oberhaupt greift ordnend ein. Es fasst die Diskussion zusammen und greift die wichtigsten Punkte auf.
Schritt 5: Brainstorming
Auf dem Weg zu einer integrierten Stellungnahme ist es jetzt Aufgabe des Oberhauptes den einzelnen Mitgliedern gezielte Fragen zum Inhalt der Diskussion zu stellen. Hierdurch sollen Erkenntnisse gewonnen werden, die zu einem besseren gegenseitigen Verständnis führen sollen. Widerstände sollen durch den Austausch abgebaut und Vertrauen aufgebaut werden. Dies entspricht der Gruppenphase des Norming. Die verschiedenen Vorschläge der Teammitglieder sollen dabei nicht disqualifiziert, sondern brauchbare Anteile übernommen werden. Durch den offenen Austausch sollen Widerstände und Konflikte abgebaut werden. In diesem Vorgehen greift das Modell auf heuristische Strategien zurück. Daneben soll die Leitung „hinter der Position eines Teilnehmers sein Interesse erkennen“ (Schulz von Thun, 2006, S.97). Die aufgedeckten Interessen sollen in der Entscheidung berücksichtigt werden. Dies geschieht durch Kompromissbildung, also Zusagen werden mit einer Bedingung – Absagen mit einem Gegenangebot verknüpft.
Schritt 6: Die integrierte Stellungnahme
Nach dem Brainstorming sollte das Oberhaupt in der Lage sein, eine Reaktion zu entwerfen, in der sämtliche Interessen berücksichtigt sind. Dies entspricht der Gruppenphase des Performing. Auch wenn das Ergebnis wohl kaum eine vollendete Übereinstimmung repräsentiert, so fließen doch Anteile aller Forderungen in die integrierte Stellungnahme mit ein. Folglich kann sich - trotz unterschiedlichster Standpunkte - jedes Teammitglied mit dem Ergebnis identifizieren. Die Tatsache, dass alle Teammitglieder am Entscheidungsprozess beteiligt waren, kann sich positiv auf eine stimmige innere Atmosphäre auswirken (vgl. a.a.O. S.91ff.).
4.2 Der Führungsstil
An diesem Punkt stellt sich die Frage nach dem Führungsstil der Leitung. Betrachtet man das Führungsverständnis des Oberhauptes im Rahmen des Modells genauer, so lässt sich dieses am ehesten dem demokratischen Stil zuordnen. Die Leitung behält die Führung von der aufgezeigten Metapostion fest in der Hand. Gleichzeitig gibt sie der Gruppe entsprechende Hilfestellungen, so dass diese das Problem weitestgehend selbständig und übereinstimmend lösen kann (vgl. Antons, 1973, S.94). Darüber hinaus ist es für den demokratischen Führungsstil bezeichnend, dass die Leitung „dynamische Prozesse in der Gruppe [beobachtet], so etwa Spannungen und Dominanz oder Rückzug und Abweisung, und (…) versucht, alle Gruppenmitglieder zu einer aktiven Mitarbeit an den jeweiligen Problemen zu bewegen“ (a.a.O., S.94). Dieser Anspruch verwirklicht sich im kooperativ geprägten Führungsstil Teil des Oberhauptes (vgl. Schulz von Thun, 2006, S.103), für den Integration und Vermittlung kennzeichnend sind. Eine Abgrenzung zum autokratischen Führungsstil besteht zum einen durch die Vorgehensweise im Entscheidungsprozess. Die entworfene Handlung wird nicht von oben diktiert, sondern gemeinsam erarbeitet und kommt unter Berücksichtigung aller Interessen zustande. Aber auch die Berücksichtigung von Prinzipien wie Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung sowie die ausgeführte Diskussion sind für den demokratischen Führungsstil charakteristisch.
5. Innere Teamkonflikte
Trotz der klärenden Schritte der inneren Ratsversammlung, sind – wie auch in realen Gruppen – Spannungen und Konflikte im inneren Team eine allgegenwärtige Erscheinung. Ungelöste Konflikte stellen aber für eine jede Gruppe eine Störung dar, die mit einer schlechten Gruppenatmosphäre und unzureichenden Arbeitsergebnissen einhergeht. Eine zerstrittene reale Arbeitsgruppe würde möglicherweise ausgewechselt oder aufgelöst werden. Auf diese Möglichkeit kann die Person mit einem zerstrittenen inneren Team nicht zurückgreifen. Folglich gilt es, sich dem Konflikt zu stellen und diesen zu bearbeiten. Bei inneren Teamkonflikten kommt dem Oberhaupt die Funktion des Konfliktmanagers zu. In dieser Rolle sollte es unter den Konfliktparteien für eine Streitkultur sorgen, die konstruktiv und lösungsorientiert, also auf Wachstum und Entwicklung ausgerichtet ist (vgl. Schulz von Thun, 2006, S.117). Darauf bestehen die besten Aussichten, wenn die Leitung für eine Atmosphäre sorgt, die sowohl von „Verständigungsbereitschaft (…) [als auch dem] Mut zur Konfrontation“ (a.a.O., S.117) geprägt ist.
Den idealtypischen Verlauf der Bearbeitung innerer Konflikte – welcher eine gewisse Ähnlichkeit zur inneren Ratsversammlung aufweist – hat Schulz von Thun in einzelne Phasen unterteilt (vgl. a.a.O., 2006, S.148ff.). Diese sollen im Folgenden aufzeigt werden.
5.1 Aufdeckung der Konfliktparteien
Zunächst sollen die verfeindeten Parteien identifiziert werden. Bestenfalls handelt es sich um zwei klar erkennbare Teilnehmer. Denkbar ist jedoch auch die Verschmelzung zweier – meist antagonistischer – Parteien. Diese drücken sich zwar in ein und derselben Empfindung aus, haben jedoch tatsächlich unterschiedliche Motive. Hierbei ist die Identifikation der Teilnehmer um ein Vielfaches erschwert. Der Autor verweist an dieser Stelle auf die mögliche Notwendigkeit professionell therapeutischer Klärungshilfe (vgl. Schulz von Thun, 2006, S.147).
Sind die Parteien identifiziert, so bekommt jeder Anteil, ähnlich wie bei der inneren Ratsversammlung die Möglichkeit unter voller Aufmerksamkeit des Teams und ohne Unterbrechung seine Interessen darzulegen.
5.2 Dialog
Das Modell greift hier auf die Methode des leeren Stuhls aus der Gestalttherapie zurück. Bei diesem projektiven Verfahren wird „das innere Drama des Klienten zu einem äußeren“ (Staemmler, 1995, S.30) gemacht. Nachdem eine Konfliktpartei auf dem imaginären Stuhl Platz genommen hat, kommt es zum Dialog mit dem Oberhaupt. Denkbar ist dabei eine kontrollierte Identifikation mit dem Mitglied. Das Oberhaupt setzt sich auf dessen Platz mit dem Ziel, dieses Mitglied besser erfahren und verstehen zu können (vgl. Schulz von Thun, 2006, S.150f.). Um innerhalb der TA die einzelnen Ich-Zustände besser darstellen zu können, hat E. Stuntz ein ähnliches Verfahren entwickelt. Hierbei nimmt der Klient auf einem leeren Stuhl platz, „der seinem gegenwärtigen Ich-Zustand entspricht und [hat die Möglichkeit,] sich in dieser Haltung auszusprechen“ (Schlegel, 1993, S.348).
5.3 Aussöhnung und Verständigung
Entsprechend den Ausführungen des Autors sollten sich die Kontrahenten nun „als wichtige und vollwertige Ergänzungspartner anerkennen“ (Schulz von Thun, 2006, S.151.). Durch den Dialog soll die polarisierende Trennung der Konfliktparteien überwunden werden. Die unterschiedlichen Standpunkte bilden jeweils einen Teil der Wahrheit und sind somit ergänzungsbedürftig. Hierbei kann die Anwendung des auf Helwig zurückgehenden Wertequadrats und von Schulz von Thun weiterentwickelten Entwicklungsquadrats von Nutzen sein. Der Autor geht davon aus, „dass jeder Unwert, jede destruktive Qualität eine entgleiste Tugend («des Guten zuviel») darstellt, welche deswegen entgleisen konnte und musste, weil eine dazugehörige Schwestertugend nicht oder nicht ausreichend vorhanden war, um das konstruktive Tugendgleichgewicht zu sichern“ (Schulz von Thun, 2006, S.177). So verkommt beispielsweise die Tugend Sparsamkeit in ihrer einseitigen Darstellung zum Geiz, wohingegen zuviel Großzügigkeit zur Verschwendung ausarten würde (vgl. Wesner, 2006, S.1). Mit dem konstruktiven Entwicklungsgedanken muss also eine Balance zwischen den sich wechselseitig beeinflussenden Qualitäten bestehen.
Nach diesen Schritten sollte die Situation geklärt und somit greifbar sein. Auf der Grundlage der Depolarisierung kann das Oberhaupt als Metainstanz nun eine herkömmliche innere Ratsversammlung abhalten. Hierbei soll eine Absprache getroffen werden, welche die Interessen aller Teammitglieder berücksichtigt. Letztlich soll es dem Oberhaupt gelingen „durch Vereinigung der Gegensätze Kraft und Qualität zu erzeugen“ (Schulz von Thun, 2006, S.170), welche sich positiv auf das persönliche Innenleben sowie die Gestaltung des Kontakts zur Außenwelt auswirken. Wie dargelegt sollte das Oberhaupt in seiner leitenden Funktion bei auftretenden Teamkonflikten entscheidend eingreifen. Doch auch im Rahmen der Persönlichkeitsbildung – die im nächsten Kapitel behandelt wird – kommt dem Oberhaupt eine entscheidende Rolle zu.
6. Aufbau und Entwicklung der Persönlichkeit
Unter der Persönlichkeit eines Menschen kann „die Gesamtheit aller seiner Eigenschaften“ (Asendorpf, 2004, S.5) verstanden werden. Will man nun das Modell vom Inneren Team, das wie aufgezeigt mit einer inneren Pluralität einhergeht, auf die Persönlichkeit beziehen, so lässt sich dieses nur schwer mit einer starren Persönlichkeitszuordnung in Einklang bringen. Vielmehr ist die Persönlichkeit als ein „vorläufiges Ergebnis einer inneren Gruppendynamik im Wechselspiel mit Feedbacks von außen“ (Schulz von Thun, 2006, S.183) zu verstehen. Um dieses komplexe Geschehen verständlicher zu machen, greift Schulz von Thun auf eine weitere Metapher – die der Bühne – zurück. Auf dieser bewegt sich das Ensemble der Teammitglieder unter der Leitung des Oberhauptes als Regisseur, wobei der Vorhang dem Publikum je nach Situation mehr oder weniger tiefe Einblicke auf das Stück und die innere Bühne gewährt. Dem Regisseur kommt eine anspruchsvolle und vielfältige Aufgabe zu. Dieser muss für eine dem Stück angemessene Besetzung sorgen. Einerseits soll diese den Geschmack des Publikums treffen – andererseits die Stimmung innerhalb des gesamten Ensembles nicht gefährden (vgl. Schulz von Thun, 2006, S.183).
Das Ensemble besteht aus einigen erfahrenen Stammspielern in den Hauptrollen, welche die Wirkung der Person nach außen bestimmen (vgl. a.a.O., S.181ff.). Diese „sind nützlich und wichtig, weil sie den Menschen berechenbar, erfolgreich und «sozialverträglich» machen“ (a.a.O., S.193). Auch wenn die Stammspieler die Persönlichkeit in besonderem Maße prägen, so sind diese nicht mit der Persönlichkeit an sich zu verwechseln. Denn etwas weiter im Abseits hat das Ensemble noch weitere Mitglieder aufzubieten – die „Antipoden“ (a.a.O., S.195). Diesen kommt bezüglich der Dynamik und dem Aufbau, aber auch dem Potenzial der Persönlichkeit eine besondere Rolle zu.
6.1 Die Antipoden oder der Gegenpol der Stammspieler
Hierbei handelt es sich um „zum Teil sehr verletzliche und schutzbedürftige Wesen, die alte Wunden tragen und Angst haben, sich dem Publikum zu zeigen (…). Zum Teil sind es auch finstere Gestalten (…) die dem Ideal sittlicher Menschlichkeit hohnsprechen (…). Zum dritten finden sich im Bühnenhintergrund auch stille Wasser, Talente und Potentiale“ (a.a.O., S.182f.), die bisher in noch keinem Stück zum Einsatz kamen.
Die Antipoden stehen dem Ich-Ideal in beunruhigender Art entgegen. Folglich werden sie vom Regisseur bei der Nominierung kaum berücksichtigt oder gar ein Auftrittsverbot verhängt (vgl. a.a.O., S.188ff.). Dies mag in bestimmten Situationen von unverzichtbarem Nutzen sein. Wird diese Strategie jedoch stetig angewendet und die Persönlichkeit in eine repräsentative Vorderseite und eine unterdrückte Rückseite aufgespaltet, so steht dies einer positiven Persönlichkeitsentwicklung entgegen. Berücksichtigt man den Gedanken der Teamentwicklung, so liegt es auf der Hand, dass die Außenseiter in Ensemble und Stück integriert werden müssen. Wie dies geschehen soll, hat der Autor je nach Ausprägung des Ausschlusses, in drei Stufen abgehandelt, die im Folgenden aufgezeigt werden sollen.
6.1.1 Erste Ausschlussstufe
Für diese Stufe ist es kennzeichnend, dass die Antipoden zwar hinter den Stammspielern versteckt sind, ihre Anwesenheit aber wahrgenommen und geschätzt wird. Obwohl sie einsatzbereit sind, entscheidet das Oberhaupt: „So sollte ich hier besser nicht in Erscheinung treten!“ (Schulz von Thun, 2006, S.226). Auf dem Weg zur Integration ist es wichtig, den Antipode genau kennen zu lernen. Hierzu erhält dieses, ansonsten zum Schweigen verurteilte Mitglied den Raum um seine Bedürfnisse zu äußern. Gleichfalls wird das bestehende Gegenstück – in Form des Stammspielers – genau beleuchtet. Nun stellt sich folgende Frage: Wie können sich diese beiden Seiten einer Medaille gegenseitig unterstützen und ergänzen? Die Gegensätzlichkeit soll zur Ergänzungsfähigkeit transformiert werden (vgl. a.a.O., S.205ff.). Das Team soll sich in seiner Unterschiedlichkeit verstehen, gegenseitig ergänzen und füreinander einstehen.
6.1.2 Zweite Ausschlussstufe
Bei dieser Stufe werden die Antipoden zwar diffus wahrgenommen, allerdings kann die betreffende Person nicht zu diesen stehen – sie schämt sich derer. „So sollte ich nicht sein!“ (a.a.O., S.226). Die Integration der verbannten Antipoden gestaltet sich im Vergleich zur ersten Stufe weitaus schwieriger und ist als Bild mit der Resozialisierung einer langjährig inhaftierten Person zu vergleichen. Denn auch hier wurden die Antipoden hinter Schloss und Riegel gebracht und müssen nun auf dem Weg zur Teilnahme am inneren Team innere und äußere Widerstände überwinden. Dies gelingt laut Schulz von Thun am Besten im Rahmen einer professionellen Beratung oder Supervision. Dabei soll „dem inneren Außenseiter, dem «Nachtschattengewächs», Licht und Wärme zuteil werden (…), die ihm in seiner inneren Gruppe verweigert wird“ (a.a.O., S.218). Der Weg besteht also in der Akzeptanz und Achtung der ausgeschlossenen Teammitglieder. Diesen soll als Teil des Ganzen eine Daseinsberechtigung gegeben und so das auferlegte Bühnenverbot aufgehoben werden.
6.1.3 Dritte Ausschlussstufe
In dieser Ausschlussstufe werden die Antipoden vom Oberhaupt kaum wahrgenommen und wenn, dann verleugnet. Ihr Dasein wurde in der Vergangenheit als so bedrohlich eingestuft, dass sie in den Untergrund der Bühne verbannt wurden. Von hier aus machen sie hin und wieder auf sich aufmerksam, in dem sie beispielsweise in Form psychosomatischer Störungen von unten an die Bühne klopfen. Die betroffene Person kann die Klopfgeräusche jedoch nicht zuordnen – die eigene Reaktion nicht verstehen (vgl. a.a.O., S.225f.) und kommt zu dem Schluss – „so bin ich nicht“ (a.a.O., S.226).
Die Integration der verdrängten Teilnehmer in der dritten Phase braucht intensivere Interventionen als die der vorhergehenden Stufen. So kann eine Psychotherapie helfen, die sich in einer rebellierenden Untergrundbewegung formierenden Antipoden, in eine Befreiungsbewegung umzuwandeln (vgl. Schulz von Thun, 2006, S.229). So ist es in der Psychoanalyse u.a. Aufgabe des Therapeuten, „den verdrängten Anteilen des Es als Helfer und Befreier“ (Freud, A., 1973, S.25) zur Seite zu stehen. Damit soll zum wissenschaftlichen Hintergrund der Antipoden übergeleitet werden.
6.2 Ausschlussstufe und Abwehrmechanismen
Von dem vorliegenden populärwissenschaftlichen Modell lässt sich an dieser Stelle eine Verbindung zu wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen der Tiefenpsychologie herstellen. Wenn Schulz von Thun an dieser Stelle von Antipoden spricht, handelt es sich in der Psychoanalyse hierbei um Abwehrmechanismen. Auf diese weitgehend unbewusst ablaufende psychische Reaktion kann das Ich zurückgreifen, um Anpassungsprozesse zu realisieren oder aber Konflikte zu lösen. Die Abwehr ist als Grundlage eines gesunden und erfüllten Lebens zu verstehen und somit nicht nur im Zusammenhang mit der Neurose zu sehen. Das Abwehrverhalten ist erst dann unangemessen, wenn es unflexibel und starr ist. Hierbei wäre der Effekt eher schädlich als anpassend (vgl. Oswald, Juni 2005).
6.3 Stammspieler, Antipoden, Persönlichkeit – ein Fazit
Es dürfte deutlich geworden sein, dass es für die innere Teamentwicklung wichtig ist, die eigene Persönlichkeit und deren Anteile genauer zu betrachten. Hierbei ist es Aufgabe des Oberhauptes, den Blick nicht nur auf die akzeptierten Stammspieler, sondern auch auf die vernachlässigten oder gar abgespaltenen Teilnehmer im Hinter- oder Untergrund zu wenden. Die Bemühungen der Integration von Antipoden und das Ideal einer Persönlichkeit, die von Authentizität geprägt ist, lassen sich in dem folgenden Satz des Psychologen C. Rogers zusammenfassen: „Das Selbst zu sein, das man in Wahrheit ist“ (Rogers, 2000, S.164).
Das beteiligte Ensemble, das dieses Selbst als gesamtes System der Persönlichkeit ausmacht, ist je nach Situation variabel – darum soll es im folgenden Kapitel gehen.
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- Citation du texte
- Alexander Maier (Auteur), 2007, Rollenklärung im Spannungsfeld des doppelten Mandats, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89133
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