Die etwa 78 Verlage der ehemaligen DDR sahen sich sowohl untereinander als natürlich auch gegenüber den Westverlagen mit verschiedenen Ausgangskonstellationen konfrontiert. Hatte Aufbau dank seines Autorenstamms, seiner Größe, Bekanntheit und kulturellen Bedeutung sowie seines engagierten neuen Besitzers bessere Startbedingungen als andere DDR-Verlage, so darf man dessen Erfolg im Kampf um eine Spitzenposition auf dem gesamtdeutschen, marktwirtschaftlich organisierten Buchmarkt dennoch keineswegs zu gering schätzen. Um die eigene Konkurrenzfähigkeit sicherzustellen und die Bedürfnisse der Leser im Osten wie im Westen zu befriedigen, musste man zu Veränderungen bereit sein.
Die Entwicklungen von der historischen Zäsur „Wende“ bis heute nachzuzeichnen, ist das Anliegen dieser Arbeit. Den Schwerpunkt der Betrachtungen wird selbstverständlich die Literatur bilden. Daneben sollen Eigentums-, Personalfragen und andere Strukturveränderungen innerhalb des Verlagshauses zur Sprache kommen. Zunächst soll die Situation vor der Wiedervereinigung in den Blick genommen werden, auf deren Basis eine Gegenüberstellung zur Lage danach möglich wird.
Um den Neuerungen nachzuspüren, habe ich hauptsächlich eine Auswertung von Presseberichten, Programmvorschauen des Verlages, dem in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrten Verlagsarchiv sowie Informationen aus erster Hand von Elmar Faber, dem letzten Chef des Verlages zu DDR-Zeiten (1983 – 1992), Gotthard Erler, dem ehemaligen Cheflektor und Geschäftsführer (bis 1998) sowie Bernd F. Lunkewitz, dem jetzigen Verleger der Aufbau-Verlagsgruppe, im Hinblick auf das Literaturprofil nach 1989 vorgenommen. Was bewirkte der Mauerfall personell, wirtschaftlich und programmatisch? Wie vollzog sich der Wechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft? Welche Autoren gingen oder blieben, welche kamen neu hinzu? Welche Bücher verlegte Aufbau? Gab es neue Reihen, Segmente etc. oder fielen alte weg?
Diese und angrenzende Fragen sollen im Hauptteil der vorliegenden Magisterarbeit beantwortet werden, nachdem ein Abriss der Geschichte sowie eine genauere Betrachtung der Verlagsarbeit in der DDR von 1945 bis 1989 Entstehung, Entwicklung und die Produktionen des Verlagshauses aufgezeigt hat.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Kurze Geschichte des Verlagshauses
2.1 Die Anfänge
2.2 Erste Erweiterung zum Verlagshaus und der Fall Biermann
2.3 Die Nachwendezeit
2.3.1 Der Besitzerwechsel
2.3.2 Weitere Ergänzungen des Verlagshauses
2.4 Der neue Verleger
2.5 Die Eigentumsfrage
3 Die Entwicklung des Verlages von seiner Gründung bis zur Wiedervereinigung im Detail
3.1 Die Arbeitsbedingungen in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR
3.2 Das Programm und die Autoren
4 Was ändert sich mit der Wiedervereinigung?
4.1 Strukturveränderungen und die daraus resultierenden Probleme
4.1.1 Autorenrechte und Lizenzverträge
4.1.2 Der Buchhandel und das „Leseland“
4.1.3 Entlassungen, Kürzungen am Programm und die neue Bedeutung von Marketing und Werbung
4.1.4 Erfahrungen mit der westlichen Arbeitsweise eines Verlages
4.1.5 Die Affäre um Plusauflagen
4.1.6 Schutzfristen und positive Erfahrungen mit der Wende
4.2 Programmveränderungen
4.2.1 Profilbestimmung
4.2.2 Sachbuch und neue Editionen
4.2.3 Die Reform des Verlagshauses
4.2.4 Veränderungen am Programm aus ökonomischen Gründen
4.2.5 Erneuter Ausbau des Verlagshauses
4.2.6 Der Aufbau-Verlag im 21. Jahrhundert
5 Resümee
6 Literaturverzeichnis
6.1 Primärliteratur
6.1.1 Archiv
6.2 Sekundärliteratur
6.2.1 Presse
6.2.2 Bücher
6.2.3 Internet
1 Einleitung
Mit Autoren wie Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Theodor Fontane, Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig, Bertolt Brecht, Anna Seghers, Eva und Erwin Strittmatter oder auch Armin Mueller-Stahl, Brigitte Reimann, Fred Vargas und Thomas Lehr hat die Aufbau-Verlagsgruppe Berlin eine Reihe hochkarätiger Namen von den Klassikern über Exilautoren bis hin zu zeitgenössischer Literatur vor zuweisen. Die Verlagsgruppe besteht aus fünf Verlagen: dem Aufbau-Verlag, dem Verlag Rütten & Loening, dem Aufbau-Taschenbuch-Verlag (A t V), dem Gustav Kiepenheuer Verlag sowie dem Audio-Verlag (D<A>V). Die insgesamt etwa 320 Neuerscheinungen pro Jahr sowie ein Umsatz von 16,2 Millionen Euro (2004)[1] bescherten der Aufbau-Gruppe – einem der wenigen noch konzernunabhängigen, privaten Editionshäuser in Deutschland – in dem jährlich vom Fachmagazin buchreport veröffentlichten Ranking Die Top 100. Die 100 größten Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowohl im letzten als auch im vorletzten Jahr „nur“ Platz 77. Für das Jahr 2005 wurden drei Prozent mehr Umsatz erwartet, teilte Verleger Bernd Fritz Lunkewitz auf einer Pressekonferenz im Oktober letzten Jahres mit.[2] Mit den höchsten Zuwächsen rechnete man beim Audio-Verlag, während der Bereich Hardcover offenbar Einbußen und das Taschenbuch Konstanz zu bringen versprachen. Nach dem momentanen Stand der Dinge wird sich der Umsatz jedoch auf Vorjahresniveau bewegen.[3] Angesichts der schwierigen Marktlage geht es dem Unternehmen gut.
Umfragen des Marktforschungsunternehmens Innofact AG nach Bekanntheit und Image der größten deutschen Buchverlage bei Verbrauchern zeigen im Vergleich zum oben genannten Ranking ein anderes, deutlich positiveres Bild: Für 2003 ermittelte eine Studie unter 1.713 Buchkäufern zwischen 14 und 65 Jahren Aufbau als den sympathischsten, glaubwürdigsten und innovativsten deutschen Verlag.[4] Außerdem wurde er bezüglich der Frage nach einem guten Programm am besten beurteilt. Seine Bedeutung werde laut Einschätzung der Verbraucher in Zukunft zunehmen. Zwei Jahre später – im Jahr 2005 – erzielte der Verlag im selben Ranking, dieses Mal wurden 1.882 Buchkäufer befragt, ähnliche Ergebnisse:[5] Wiederum wurde er zum sympathischsten und glaubwürdigsten deutschen Verlag gekürt. „Der Verlag mit den höchsten Sympathiewerten ist Aufbau. Hierbei ist zu bedenken, dass der Aufbau-Verlag überproportional von Probanden aus den neuen Bundesländern bewertet wurde und dabei auch von einem ‚Ost-Bonus’ profitiert.“[6] Unter den belletristischen Verlagen ist er wiederum der Verlag mit dem besten Programm. Von einer allgemeinen Bekanntheit kann heute trotzdem nicht mehr die Rede sein: Bei der ungestützt, das heißt ohne Vorgaben, gestellten Frage „Welche Buchverlage kennen Sie?“ konnte sich Aufbau in den letzten drei Jahren nicht ein einziges Mal im vorderen Drittel platzieren. Im Bereich der gestützten Bekanntheit erzielte er dagegen in beinahe allen Kategorien – wie zum Beispiel in den oben genannten „glaubwürdiger Verlag“, „sympathischer Verlag“ etc., aber auch in Bezug auf die Frage nach einer langen Tradition und einem klaren Profil – stets Spitzenplätze.
Diese Untersuchungen offenbaren: Die größten Verlage sind nicht zwangsläufig die bekanntesten[7] – zumal den Verbrauchern eher Belletristik- als Wissenschaftsverlage ein Begriff sind, zumindest, wenn man sie ungestützt befragt – und mancher für eigenständig gehaltene Verlag gehört längst einem der großen Konzerne an. Angesichts dessen übertreibt man wohl kaum, wenn man – wie es auch WDR 5 im Dezember letzten Jahres im Tischgespräch mit Verleger Bernd Fritz Lunkewitz tat – den Aufbau-Verlag mehr als 60 Jahre nach seiner Gründung als eines der renommiertesten Verlagshäuser Deutschlands bezeichnet. Doch diese Entwicklung war nicht unbedingt abzusehen und bedurfte großer Anstrengungen: „Uns gibt es noch; und das ist nichts, was sich von selbst verstünde.“[8]
In der DDR war Aufbau unzweifelhaft der führende Verlag für Belletristik, galt gewissermaßen als das DDR-Pendant des Suhrkamp-Verlags.[9] „Aufbau – das war die DDR im Verlagsformat.“[10] Entstehung, Druck und Veröffentlichung von Büchern waren im Osten Deutschlands staatlich kontrolliert. Sie unterlagen der Zensur durch die Regierung beziehungsweise durch die SED. Angeblich besaß der Aufbau-Verlag aber, wenigstens bis zur Verhaftung des Verlagsleiters Walter Janka 1956, „wegen seiner berühmten Autoren stets eine Sonderstellung mit direktem Draht zum Politbüro“.[11] Die Buch- und Literaturpolitik war nicht von marktwirtschaftlichen, an Gewinn orientierten, also westlich-kapitalistischen Überlegungen bestimmt, sondern stark ideologisch geprägt. Als dann im Herbst 1989 die Mauer fiel, sah das „Haus in der Französischen Straße“ – wie alle Verlage der DDR – einer ganz und gar ungewissen Zukunft entgegen. Vom einen auf den anderen Tag gab es keine zwei voneinander abgeschotteten Buchmärkte mehr, am 1. Dezember 1989 wurde die Druckgenehmigungspflicht aufgehoben, Schriftsteller sahen sich zum Teil in zwei Verlagen beheimatet, Bücher aus dem Westen waren um ein Vielfaches teurer als die staatlich subventionierten der DDR, für die Leser im Osten aber auch vielfach interessanter, weil sie sich mit anderen Themen beschäftigten und anders aufgemacht waren. Mit dem Ende der Subventionspolitik und der Übernahme des westdeutschen Preisbindungssystems am 1. Juli 1990 war das Ende für preiswerte Bücher aus dem Osten gekommen. Der Westen hatte auf dem vereinten Buchmarkt Unterpreisangebote konkurrierender Firmen und Reimporte westdeutscher Bücher befürchtet.[12] Theoretisch hatte die Möglichkeit bestanden, sich in der ehemaligen DDR billig mit Literatur aus den alten Bundesländern einzudecken und diese anschließend an ihrem Herkunftsort wieder zum regulären Preis zu verkaufen.
Im Zuge des Mauerfalls kamen plötzlich viele Fragen auf: Wie sollte man als Ost-Verlag mit diesen veränderten Bedingungen in einem Gesamtdeutschland umgehen? Mit welchen Schritten könnte eine Positionssicherung erreicht werden, um den prophezeiten Untergang abzuwenden? Die Pfunde des Verlags waren seine Urheberrechte und sein Renommee, doch: Was würden diese im Vergleich zum Wissen westdeutscher Verlage über Sortiment, Vertrieb und Buchhandel wiegen? In der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Publikation Aus Politik und Zeitgeschichte konnte man im Jahr 2000 lesen: „Gemessen an der Tatsache, dass die Überlebenschance für ostdeutsche Verlage 1990 selbst in optimistischen westdeutschen Prognosen bei kaum mehr als einem Drittel lag, erstaunt die Vielzahl der alten Verlagsnamen, die – wenn auch in zum Teil drastisch reduzierter Betriebsgröße – noch am Markt sind. Unter den belletristischen Verlagen der DDR hat der renommierte […] Aufbau-Verlag die wohl interessanteste Entwicklung genommen.“[13]
Die etwa 78 Verlage der ehemaligen DDR sahen sich sowohl untereinander als natürlich auch gegenüber den Westverlagen mit verschiedenen Ausgangskonstellationen konfrontiert. Hatte Aufbau dank seines Autorenstamms, seiner Größe, Bekanntheit und kulturellen Bedeutung sowie seines engagierten neuen Besitzers bessere Startbedingungen als andere DDR-Verlage, so darf man dessen Erfolg im Kampf um eine Spitzenposition auf dem gesamtdeutschen, marktwirtschaftlich organisierten Buchmarkt dennoch keineswegs zu gering schätzen. Um die eigene Konkurrenzfähigkeit sicherzustellen und die Bedürfnisse der Leser im Osten wie im Westen zu befriedigen, musste man zu Veränderungen bereit sein. Die Entwicklungen von der historischen Zäsur „Wende“ bis heute nachzuzeichnen, ist das Anliegen dieser Arbeit. Den Schwerpunkt der Betrachtungen wird selbstverständlich die Literatur bilden. Daneben sollen Eigentums-, Personalfragen und andere Strukturveränderungen innerhalb des Verlagshauses zur Sprache kommen. Als eine der zentralen Fragen in Folge der Wiedervereinigung sollte sich für den Aufbau-Verlag nämlich bald herauskristallisieren, ob eine Veränderung in der Programmpolitik von Nöten sein würde, um mit der Konkurrenz und den Marktzwängen im vereinigten Deutschland fertig zu werden, und wie diese dann aussehen könnte. Ebenfalls von Interesse ist dabei, inwieweit man das hohe Niveau des Programms halten konnte.
Zunächst soll die Situation vor der Wiedervereinigung in den Blick genommen werden, auf deren Basis eine Gegenüberstellung zur Lage danach möglich wird. Um den Neuerungen nachzuspüren, habe ich hauptsächlich eine Auswertung von Presseberichten, Programmvorschauen des Verlages, dem in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrten Verlagsarchiv sowie Informationen aus erster Hand von Elmar Faber, dem letzten Chef des Verlages zu DDR-Zeiten (1983 – 1992), Gotthard Erler, dem ehemaligen Cheflektor und Geschäftsführer (bis 1998) sowie Bernd F. Lunkewitz, dem jetzigen Verleger der Aufbau-Verlagsgruppe, im Hinblick auf das Literaturprofil nach 1989 vorgenommen. Was bewirkte der Mauerfall personell, wirtschaftlich und programmatisch? Wie vollzog sich der Wechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft? Welche Autoren gingen oder blieben, welche kamen neu hinzu? Welche Bücher verlegte Aufbau? Gab es neue Reihen, Segmente etc. oder fielen alte weg?
Diese und angrenzende Fragen sollen im Hauptteil der vorliegenden Untersuchung beantwortet werden, nachdem ein Abriss der Geschichte sowie eine genauere Betrachtung der Verlagsarbeit in der DDR von 1945 bis 1989 Entstehung, Entwicklung und die Produktionen des Verlagshauses aufgezeigt hat.
2 Kurze Geschichte des Verlagshauses
Zunächst möchte ich die Geschichte des Verlages knapp rekapitulieren, um einen Eindruck vom Untersuchungsgegenstand zu vermitteln. Dabei sollen lediglich wichtige Ereignisse im Hinblick auf den Verlag als Unternehmen genannt werden. Auf Autoren und das Verlagsprogramm werde ich in den darauffolgenden Kapiteln eingehen.
2.1 Die Anfänge
Der Grundstein des Verlages wurde am 16. August 1945 mit der Gründung der Aufbau-Verlag GmbH gelegt. Der Dichter Johannes R. Becher, dessen Name den Besatzern als Bürgschaft für die politische Richtung des Verlages galt,[14] initiierte das Unternehmen im Auftrag des Kulturbundes zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands.[15] Noch im selben Monat erhielt der Verlag die notwendige Lizenz der sowjetischen Militäradministration und begann mit der Produktion der ersten Bücher. Im Frühjahr 1946 erwarb der Kulturbund e. V. durch notariellen Kaufvertrag alle Gesellschaftsanteile an der Aufbau-Verlag GmbH. 1947 wurde der aus dem Moskauer Exil zurückgekehrte Erich Wendt Verlagsleiter. In den ersten fünf Jahren seines Bestehens hat der Verlag 236 Erstauflagen in insgesamt 6,5 Millionen Exemplaren herausgegeben; mehr als die Hälfte dieser Bücher stammte aus der Feder von Schriftstellern, welche die NSDAP ins Exil getrieben hatte.
Walter Janka, der im Exil in Mexiko den Verlag El libro libre geleitet hatte, löste 1952 Erich Wendt als Verleger ab. 1955 wurde der Aufbau-Verlag auf Anweisung des Sekretärs des Magistrats von Berlin im Handelsregister von der Abteilung B für juristische Personen (Kapitalgesellschaften) – wie Aktiengesellschaften (AGs), Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHs) – in die Abteilung C für volkseigene und gleichgestellte Betriebe umgeschrieben;[16] die handelsrechtliche Form der GmbH entfiel.[17] Er blieb jedoch Eigentum des Kulturbundes. Nach Jankas Inhaftierung 1956 – auf welche an anderer Stelle noch eingegangen wird – trat Klaus Gysi[18] dessen Nachfolge an.
2.2 Erste Erweiterung zum Verlagshaus und der Fall Biermann
Im Rahmen einer organisatorischen, programmatischen und verwaltungsmäßigen Neuordnung der DDR-Verlage ab dem 1. Januar 1964, der sogenannten „Profilierung des Verlagswesens“, wurden dem Aufbau-Verlag die Buchbestände und Verlagsrechte des ihm im Profil ähnlichen Thüringer Volksverlages sowie des Arion Verlages in Weimar übertragen. Der schon 1844 in Frankfurt am Main gegründete Verlag Rütten & Loening, seit 1952 eine Beteiligung des Berliner Verlages Volk und Welt GmbH, wurde aufgeteilt: Die Buchbestände und Verlagsrechte seines wissenschaftlichen Bereichs wurden dem Berliner Verlag der Wissenschaft übertragen. Einige Mitarbeiter, die sonstigen Vermögenswerte sowie der belletristische Anteil gingen an den Aufbau-Verlag. Die Firma Rütten & Loening blieb im Handelsregister als selbstständiges Unternehmen eingetragen, wurde seitdem jedoch in Personalunion vom Aufbau-Verlag geführt. Organisatorisch und wirtschaftlich wurden beide Verlage zusammengefasst als „Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar“, durch die Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel beim Ministerium für Kultur verwaltet und angeleitet. Aufbau publizierte jedoch weiterhin ein eigenständiges Programm dieses Verlages unter dem Namen „Rütten und Loening, Berlin“. Dank der Neuordnung konzentrierte sich jeder Verlag auf ein bestimmtes Themenspektrum. So wie Aufbau lediglich Belletristik verlegte, publizierte beispielsweise der Dietz Verlag fast ausschließlich politische Sachbücher. Die Neuordnung diente dem Zweck stärkerer Kontrolle und gesteigerter planwirtschaftlicher Effizienz mittels Spezialisierung sowie weitgehender Vermeidung von Überschneidungen.[19]
Erschienen bei Rütten & Loening anfangs universalwissenschaftliche und belletristische Titel – wie kurz nach seiner Gründung eines der erfolgreichsten Kinderbücher der Welt: Der Struwwelpeter, das in mehr als 100 Sprachen übersetzt wurde, sowie Die heilige Familie von Karl Marx und Friedrich Engels – so wurde der Verlag Anfang des 20. Jahrhunderts zum Wissenschaftsverlag für Geschichte, Jurisprudenz, Kunst- und Literaturgeschichte sowie Judaistik umgestaltet.[20] In den 1920ern konzentrierte man sich wieder auf das Belletristikprogramm und bald erreichte Rütten & Loening solch hohe Auflagen, dass er zu einem der bekanntesten Verlage Deutschlands wurde. 1936 kam es in Folge der Nürnberger Gesetze zum Zwangsverkauf des Verlages. Unter dem neuen Verleger Albert Hachfeld profilierte man das Unternehmen in der Nazizeit zum Klassikerverlag um, verlegte aber auch regimetreue Gegenwartsliteratur und einschlägige politische Schriften. Der Verlag, nun in Potsdam ansässig, wurde als „kriegswichtiges Unternehmen“ eingestuft. In den Nachkriegsjahren erfolgte die Enteignung Hachfelds wegen nationalsozialistischer Betätigung. Die Vermögensmasse des Verlages verwaltete die Verlagsgesellschaft der brandenburgischen Landesregierung,[21] bis der Verlag Volk und Welt sie 1951 erwarb. 1952 wurde in Ost Berlin eine neue Rütten & Loening GmbH mit der Vermögensmasse als Einlage gegründet. Zu DDR-Zeiten bekannt für seine buchkünstlerischen, bibliophilen Ausgaben, ist Rütten & Loening heute ein Publikumsverlag für deutsche sowie internationale Unterhaltungsliteratur und kann mit einem breitenwirksamen Sachbuchprogramm zu Themen der Kultur- und Sozialgeschichte aufwarten.
Nach Gysis Berufung zum Minister für Kultur 1966 wurde Fritz-Georg Voigt neuer Verlagsleiter bei Aufbau.[22] 1976 protestierten einige Autoren des Verlages gegen die Ausbürgerung des Lyrikers und Liedermachers Wolf Biermann,[23] die großes Aufsehen – nicht nur im Literaturbetrieb – erregte. Dies drückte sich unter anderem in Form einer Petition der dreizehn namhaften DDR-Schriftsteller Sarah Kirsch, Christa Wolf, Stefan Heym, Volker Braun, Franz Fühmann, Stephan Hermlin, Günter Kunert, Heiner Müller, Rolf Schneider, Gerhard Wolf, Jurek Becker, Günter de Bruyn und Erich Arendt aus.[24] Rund 100 Intellektuelle aus der DDR solidarisierten sich mit der Petition. Wegen daraufhin einsetzender Repressionen seitens der SED, die versuchte, das politische Selbstbewusstsein zu zersetzen,[25] verließ ein Teil von ihnen in den folgenden Jahren die DDR. Es kam zu zahlreichen Ausschlüssen aus Partei und Schriftstellerverband. Diese Vorgänge führten zum sogenannten „Exodus der DDR-Künstler“. Während zum Beispiel Reiner Kunze, Nina Hagen und Armin Müller-Stahl den Osten verließen, blieben andere, vor allem junge Autoren wie Christa Wolf, Volker Braun und Ulrich Plenzdorf, zurück. Sie wollten für eine Änderung des politischen Systems in der DDR kämpfen und versuchten den schwierigen Balanceakt zwischen Solidarität und Kritik. Wieder andere lebten weiterhin in der DDR und veröffentlichten – zum Teil unter großen Schwierigkeiten – im Westen, beispielsweise Stefan Heym und Monika Maron.
Im Jahre 1983 trat schließlich Elmar Faber[26] – zuvor Verlagsleiter der Edition Leipzig – an die Spitze des Aufbau-Verlages. Als man 1985 bei Aufbau das Jubiläum anlässlich des 40-jährigen Bestehens beging, hatte der Verlag bereits Bücher aus 55 Ländern verlegt.[27] Die Texte vieler Autoren, deren Weltrechte bei Aufbau lagen, wurden in alle bedeutenden Sprachen übersetzt.
2.3 Die Nachwendezeit
2.3.1 Der Besitzerwechsel
Nach dem Fall der Berliner Mauer im Herbst 1989 erklärte die SED überraschend, dass der Aufbau-Verlag ihr Eigentum sei.[28] Mehrere Autoren und die Belegschaft protestierten dagegen. Anfang 1990 beschloss die Partei dann, den Aufbau-Verlag sowie den Verlag Rütten & Loening in Volkseigentum zu überführen. Damit gerieten die nun „volkseigenen“ Verlage als umgewandelte „GmbH im Aufbau“ in den Zuständigkeitsbereich der Treuhandanstalt, deren erster Präsident Detlev Rohwedder den Erhalt des Aufbau-Verlages zur Chefsache erklärte.
Infolge der neuen Situation eines gesamtdeutschen Marktes und den damit einhergehenden Problemen, welche im Verlauf dieser Arbeit noch zur Sprache kommen werden, erlebte die Aufbau-Verlagsgruppe gewaltige Umsatzeinbrüche – dagegen „bedeutete der Untergang der DDR für Buchverlage aus den alten Bundesländern eine willkommene Erweiterung ihres Marktes, wie sie sie sich idealer nicht wünschen konnten“[29] – und musste mehr als zwei Drittel des Personals entlassen. Von den 180 Angestellten aus DDR-Zeiten verblieben 50. Auch die hauseigene Abteilung für Korrekturen – zur Unterstützung des Lektorats – konnte nicht aufrecht erhalten werden. Ende 1990 sah sich der Verlag aus ökonomischen Gründen gezwungen, seinen zweiten Sitz in Weimar aufzugeben.[30] Im selben Jahr erfolgte die Gründung des Aufbau-Taschenbuch-Verlages[31] – es wurden Taschenbücher produziert und ab 1991 auch vertrieben –, der jedoch erst am 1. März 1994 als GmbH geschaffen wurde, da „nach Auskunft der Rechtsabteilung der Treuhandanstalt […] die Neugründung einer GmbH […] erst möglich ist, wenn der Aufbau-Verlag Berlin und Weimar und Rütten & Loening Berlin selbst als GmbH gegründet sind“.[32]
Am 18. September 1991 erwarb eine Investorengruppe unter Führung der BFL-Beteiligungs-GmbH des Immobilienunternehmers Bernd F. Lunkewitz aus Frankfurt a. M. die angeschlagene Aufbau-Verlag GmbH und die Rütten & Loening GmbH von der Treuhandanstalt. Damit war der Verlag privatisiert. 1992 wurde Rütten & Loening eine Tochtergesellschaft von Aufbau. Gleichzeitig übernahm Hauptgesellschafter Lunkewitz nach dem Weggang Elmar Fabers wegen „gravierender Meinungsverschiedenheiten zur Programmpolitik“[33] – seine Losung war „wir sind und bleiben der Suhrkamp des Ostens“, Lunkewitz dagegen wollte Faber zufolge mehr „Strandkorbliteratur“ machen – selbst die Leitung des Verlages. Man konzipierte neue Titel, eine moderne Ausstattung und neuartige Werbung. Das Vertriebssystem wurde erweitert, die Programme der Verlage neu gewichtet. Bei der ersten Zusammenkunft mit seinen neuen Mitarbeitern gab der frischgebackene Verleger aus dem Westen als Programm aus, Aufbau solle weder Ost-Verlag bleiben noch West-Verlag werden, sondern ein gesamtdeutscher Verlag sein – bezogen auf die Sprache und nicht auf Staatsgrenzen.[34] Er sollte seine Heimat also nicht nur in der gesamten Bundesrepublik, sondern auch in der Schweiz und in Österreich haben.
2.3.2 Weitere Ergänzungen des Verlagshauses
Ab 1994 durfte sich schließlich der Gustav Kiepenheuer Verlag, welcher 1991 von der Treuhandanstalt privatisiert und 1993 an diese zurückgegeben worden war, nebst der angeschlossenen Sammlung Diederich zur Aufbau-Verlagsgruppe zählen. Der traditionsreiche Verlag war 1909 durch den Buchhändler Gustav Kiepenheuer, einen engen Freund von Kurt Wolff und Ernst Rowohlt, in Weimar gegründet worden.[35] Er konnte namhafte Schriftsteller, unter anderem André Gide, Lion Feuchtwanger, George Bernhard Shaw, Bertolt Brecht, Gottfried Benn, Arnold Zweig, Anna Seghers und Joseph Roth für sich gewinnen. 1933 wurden 75 % der Verlagsproduktion verboten und teilweise vernichtet. Als „undeutsch“ klassifiziert fielen zahlreiche Werke der Bücherverbrennung durch nationalsozialistische Studenten auf dem Opernplatz vor der Berliner Humboldt-Universität zum Opfer. 1944 erfolgte die Schließung des Verlages durch die Reichsschrifttumskammer, 1946 nahm man die Arbeit wieder auf. Im Jahre 1948 beauftragte Gustav Kiepenheuer seinen Prokuristen und Mitgesellschafter Caspar Witsch als zukünftigen Geschäftsführer mit der Gründung der Gustav Kiepenheuer GmbH in Hagen. Nach dem Tod des Verlegers 1949 führte dessen Witwe Noa die Geschäfte weiter. Indessen missbrauchte Witsch die Vollmacht Kiepenheuers und nahm eigenmächtig sowie entgegen den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages, der eine Mehrheit für Gustav Kiepenheuer und eine Minderheit für Witsch vorsah, neue Mehrheitsgesellschafter auf, sodass der Anteil Kiepenheuers unter 25 % gedrückt wurde.[36] 1951 kam es daher zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, in deren Folge Noa Kiepenheuer sich gezwungen sah, das Eigentum am Westverlag komplett abzugeben, dieser sich allerdings im Namen vom Originalverlag abgrenzen musste. In Hagen entstand „Kiepenheuer und Witsch“ – der die Rechte des Kiepenheuer Verlages nutzte – während der Verlag Gustav Kiepenheuer zunächst in Weimar blieb, 1970 nach Leipzig ging und 1994 mit dem Erwerb durch Bernd F. Lunkewitz schließlich in die Berliner Aufbau-Verlagsgruppe eingegliedert wurde, aber dennoch bis zum Jahr 2004 seinen Sitz in Leipzig behielt.
Im Herbst 1996 bezog Aufbau sein neues, zentral zwischen Alexanderplatz und Friedrichstraße gelegenes Domizil am Hackeschen Markt, nachdem er – worauf ich später näher eingehen werde – das Haus in der Französischen Straße nach 50 Jahren hatte räumen müssen, da die Treuhand dieses an die Delbrück-Bank, seinen ehemaligen Eigentümer, verkaufte.[37] 1999 wurde Der>Audio<Verlag – die jüngste Ergänzung der Gruppe – auf Initiative des Südwestrundfunks und des Aufbau-Verlages gegründet.[38] Neben diesen halten die Media-Tochter des Westdeutschen Rundfunks, der SPIEGEL - Verlag und die RBB Media Anteile. Derzeit hat die Aufbau-Verlagsgruppe insgesamt rund 70 Mitarbeiter, die jedes Jahr ein Frühjahrs- und ein Herbstprogramm mit jeweils etwa 150 Titeln sowie das Programm des Aufbau-Taschenbuch-Verlages betreuen.[39]
2.4 Der neue Verleger
Quereinsteiger Bernd Fritz Lunkewitz ist bekennender Marxist und Ex-KPDML-Mitglied. Er studierte Politik und Philosophie – jedoch ohne Abschluss – und gründete als Student in Frankfurt am Main die sozialistische Rote Garde Bockenheim.[40] Im Anschluss als Immobilieninvestor vermögend geworden – die Instrumente des Kapitalismus auszuprobieren, sie zu kritisieren und gleichzeitig zu beherrschen, das sei sein Experiment gewesen,[41] so Lunkewitz –, nahm sich der Mann aus dem Westen 1991 des ehemaligen Flaggschiffes der DDR-Verlage an. Seine Grätsche zwischen Marxismus und Kapitalismus wirke nicht einmal lächerlich, eher exotisch und imagebildend, urteilte der Münchner Merkur. Im April 1991 erhielt Lunkewitz im Auftrag der Treuhand einen Anruf von Hilmar Hofmann, dem ehemaligen Frankfurter Kulturdezernenten, da dieser ihn nicht nur als Immobilienmanager, sondern auch als Literaturfreund und Mitglied der Stiftung Lesen kannte.[42] „Es war ein Traum von mir, zurückzukehren aus dem harten, nur kommerziell angelegten Immobiliengeschäft zu einer Tätigkeit, die mit geistigen Inhalten zu tun hat. Ich wollte mehr machen als nur Häuser bauen. […] Ich hätte auch Suhrkamp gekauft“, sagte er der Welt am Sonntag, aber „große Verlage gibt es nicht an jeder Ecke. Die Chance, ein Haus wie Aufbau zu kaufen, bekommt man nur einmal.“[43] Die historisch einzigartige Gelegenheit wurde nur durch den Untergang der DDR möglich.
Der Literaturbetrieb reagierte ablehnend auf den Branchenfremdling, unbeeindruckt von seiner Mitgliedschaft in der Stiftung Lesen. „Ich habe nicht den richtigen Stallgeruch",[44] sagte der Altachtundsechziger. Man belächelte ihn als Angeber und Neureichen – denn einen Namen hatte er sich als Kunstsammler und Mäzen gemacht –, als großen Jungen, der sich endlich seinen Kindheitstraum gekauft hat. Was das Magazin DER SPIEGEL 1998 diesbezüglich schrieb, gilt auch heute noch: „Also wollte und will es der Neuverleger allen zeigen, auch wenn die Besitzverhältnisse bis heute nicht völlig geklärt sind […].“[45] Trotz seiner Erfolge, die ihm Recht geben, wird Lunkewitz noch immer von so manchen Verlagsleuten skeptisch beäugt, von einigen aber auch bestaunt. Diesbezüglich ließ er unlängst verlauten: „Den Aufbau-Verlag hatten alle schon abgeschrieben. Seit ich den Verlag übernommen habe, ist unser Umsatz um das Fünf- bis Sechsfache gewachsen. Das ist die Sprache, die jeder versteht. Das Gerede von Niveau ist belanglos.“[46]
Nach eigenen Angaben hatte der Geschäftsmann, dem es in erster Linie auf den Erfolg des Verlages ankommt, 1998 schon 25 Millionen DM in die Aufbau-Verlagsgruppe investiert, doch er hat auch deutlich gemacht: Als Mäzen will er nicht missverstanden werden. Die Bilanzen sollen stimmen. Lunkewitz hat Aufbau wie er sagt gekauft, „weil er die Tradition des Hauses schätzt“ und „weil es eine neue Herausforderung ist, einen so bedeutenden Verlag in eine neue Zeit zu führen“.[47] Es war die Chance, das Metier noch einmal zu wechseln in Richtung seines einstigen Berufsziels Lektor oder Journalist.[48] Sein Vorgänger im Amt des Verlagsleiters, Elmar Faber, hingegen sieht ein anderes Motiv als übergeordnet an: Als Immobilienmakler hatte der gebürtige Kasseler eigentlich nie die Möglichkeit, sich öffentlich positiv darzustellen.[49] Wie könnte er dieses Bedürfnis besser befriedigen als mit einem Verlag – einem renommierten noch dazu? „Lunkewitz ist ein Spieler.“ Dass auch die Literatur eine Rolle bei der Entscheidung spielte, bezweifelt Faber nicht. Doch da es in allen Jahrhunderten stets unterschiedliche Physiognomien im Literaturbetrieb gegeben hat und Gründer- wie Umbruchzeiten solche ungewöhnlichen Charakter immer besonders auffällig machen, findet Faber den heutigen Aufbau-Chef nicht sonderlich verrückt. Jedoch gehe von seiner „schillernden Figur“ durchaus eine „gewisse Faszination“ aus.
2.5 Die Eigentumsfrage
1995 kam es ein zweites Mal zum Erwerb des Aufbau-Verlags durch jenen Mann, der sich eigentlich als dessen Eigentümer betrachtete, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Treuhand den Verlag seinerzeit gar nicht hätte verkaufen können, da dieser weder SED-Besitz noch ein volkseigener Betrieb war, sondern Eigentum des Kulturbundes. Eine Kaufsumme ist allerdings noch nicht geflossen, weil die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), eine der Nachfolgeorganisationen der 1994 aufgelösten Treuhandanstalt, dem Vertrag mit dem Kulturbund, der unter ihrer treuhänderischen Verwaltung steht, bis heute nicht zugestimmt hat.[50] Damit ist der Kauf „schwebend unwirksam“[51] und nun umstritten, wem Aufbau eigentlich gehört. Die BvS vertritt den Standpunkt, dass beim Verkauf 1991 alles mit rechten Dingen zuging: „Nach unserer Auffassung sind Lunkewitz und seine Mitgesellschafter Eigentümer des Aufbau-Verlages mit allen Aktiva und Passiva, einschließlich aller Autorenrechte.“[52]
Der seither geführte Rechtsstreit über die Eigentumsverhältnisse an den Verlagen Aufbau und Rütten & Loening, mit dem Ziel der Rechtssicherheit für den Besitzerstatus Lunkewitz’,[53] ist bis heute nicht entschieden. Während sich der Kulturbund als Eigentümer betrachtet, ist die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR, die noch bis 1998 dessen Einschätzung teilte, inzwischen auch der Ansicht der BvS, dass der Verlag rechtmäßig an die Investorengruppe unter Führung der BFL-Beteiligungs-GmbH von Bernd F. Lunkewitz verkauft wurde. Dieser verklagte noch im Jahr 1995 die Treuhand, um endlich klare Verhältnisse zu schaffen. Die besondere Problematik des Rechtsstreits hängt mit dem Urheberrecht zusammen: Wenn der heutige Aufbau-Verlag nicht mit jenem Aufbau-Verlag der DDR identisch sein sollte, würden die – wie man annehmen sollte mit dem Verlag erworbenen – Rechte vom heutigen Verlag zu Unrecht genutzt.
Das Landgericht Berlin urteilte 1995, dass sich die SED / PDS zu Unrecht als Eigentümer ausgegeben hätte.[54] Trotzdem blieben die Eigentumsverhältnisse offen, ein Anspruch Lunkewitz’ auf Schadenersatz von der Treuhand wurde verneint.[55] Im Mai 1998 wies das Kammergericht Berlin die Klage der Investorengruppe gegen die BvS auf Übertragung aller Rechte des 1945 gegründeten Aufbau-Verlags, was durch den Kaufvertrag aus dem Jahre 1991 nicht geschehen sei – man habe ihr eine „vermögenslose Hülle“[56] verkauft –, in zweiter Instanz zurück.[57] Die grundsätzliche Klärung der Eigentumsfrage konnte laut dem Richter im Urteil nicht behandelt werden, da weder der Einigungsvertrag von 1990 noch die Rechtsprechung zum rechtlichen Status von organisationseigenen Betrieben grundlegende Aussagen gemacht hat. Auch das Berliner Verwaltungsgericht kam 2002 in der Frage nach dem Eigentümer zu keinem abschließenden Ergebnis.[58] Im Jahre 2001 soll er – was sich nicht belegen lässt und im Hinblick auf den EuGH auch definitiv nicht stimmt – auf einer Pressekonferenz im Rahmen der Frankfurter Buchmesse gesagt haben: „Mittlerweile befinden wir uns vor dem europäischen Gerichtshof. Wir hatten mit Gerichten zu tun, die das Recht gebeugt haben."[59] Der Internetseite des Verlages zufolge verschleppt das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen seit Jahren die Entscheidung, wem die Verlage nun wirklich gehören.[60] Ende 2005 hat man sich vor dem Landgericht in Frankfurt am Main wieder zu einem Prozess getroffen. Als nächstes steht der Gang vor das Oberlandesgericht an.
[...]
[1] Vgl. www.harenberg.de/mambo/index.php?option=com_wrapper&Itemid=183 (Die Top 100. Die 100 größten Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz) (Alle Internetseiten zuletzt überprüft am 18. 2. 2006).
[2] www.mvb-boersenblatt.de/sixcms/detail.php?id=97068.
[3] Vgl. Telefongespräch mit dem kaufmännischen Leiter des Aufbau-Verlages, Jens Marquardt, am 3. 2. 2006.
[4] Vgl. Verlagsranking 2003. INNOFACT AG (Düsseldorf), September 2003, S. 33ff.
[5] Vgl. Verlagsranking 2005. INNOFACT AG (Düsseldorf), Oktober 2005, S. 67ff.
[6] Ebd, S. 70.
[7] Vgl. Die Top 100.
[8] Pätzold, Dietrich: „Stolz und Trotz und Enthusiasmus. Aufbau-Verlag präsentierte Erfolgsgeschichte nach 1990“. In: Ostsee-Zeitung, 24. 1. 2002.
[9] Vgl. Hein, Helmut: „Der Investor. Wie Bernd Lunkewitz den ‚Aufbau’-Verlag rettete – und was dabei passierte“. In: die Woche. Die Wochenzeitung für Regensburg und die Region, 5. 3. 1998, S. 16.
[10] Küpper, Mechthild: „Lachende Erben. Der Berliner Aufbau-Verlag hat die DDR überlebt, in diesen Tagen wird er 50. Der neue Verleger fand eine solide Geschäftsgrundlage vor. Er trotzt nur so vor Zuversicht“. In: Wochenpost, Nr. 33 / 10. 8. 1995, S. 41.
[11] Lokatis, Siegfried / Tiepmar, Stefan: „Verlagsarchive der DDR. Ein Überblick“. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 6. Herausgegeben von Mark Lehmstedt und Lothar Poethe. Wiesbaden 1996, S. 451 – 466, hier: S. 452.
[12] Vgl. Rumland, Marie-Kristin: „Wandel, Kontinuität und Neubeginn. Das Verlagswesen in den neuen Bundesländern 1989 – 1993“ In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 4. Hrsg. von M. Lehmstedt und L. Poethe. Wiesbaden 1994, S. 227 – 268, hier: S. 231.
[13] Kahlefendt, Nils: „Abschied vom Leseland? Die ostdeutsche Buchhandels- und Verlagslandschaft zwischen Ab- und Aufbruch“. III. Die Verlage. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (B 13/2000). Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ (www.bpb.de/publikationen/4W9PZ9,0,0,Abschied_vom_Leseland.html).
[14] Vgl. Wurm, Carsten: Jeden Tag ein Buch. 50 Jahre Aufbau-Verlag 1945 –1995. Berlin 1995, S. 9.
[15] Die meisten Daten zur Verlagsgeschichte stammen von der Homepage des Verlages: www.aufbauverlag.de (unter: Verlage, Verlagsgeschichte).
[16] Vgl. Wurm, S. 125.
[17] Vgl. Altenhein, Hans: „Das Haus in der Französischen Straße“. In: Börsenblatt. Wochenmagazin für den deutschen Buchhandel, Heft 7 / 24. 1. 1989, S. 247 – 251, hier: S. 248. Im Folgenden als Börsenblatt.
[18] Er war inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Vgl. dazu Walther, Joachim: Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik (Analysen und Dokumente. Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten, Band 6). Berlin 1996, S. 565f.
[19] Vgl. Wurm, S. 54.
[20] Vgl. www.aufbauverlag.de/index.php4?page=58&& (gesamter Absatz).
[21] Vgl. E-mail Bernd F. Lunkewitz an die Verfasserin vom 9. 2. 2006 (auch der folgende Satz).
[22] Vgl. Wurm, S. 130.
[23] Vgl. ebd, S. 134.
[24] Vgl. www.mdr.de/thueringen-journal/archiv/103333.html.
[25] Vgl. Wurm, S. 82.
[26] Die Staatssicherheit hatte Faber offenbar dreimal als inoffiziellen Mitarbeiter zu gewinnen versucht, was dieser aber – wie berichtet wird – aus moralischen sowie Gewissensgründen stets ablehnte. Vgl. Walther, Joachim: S. 728.
[27] Vgl. Wurm, S. 137.
[28] Vgl. www.aufbauverlag.de/index.php4?page=52&& (auch alle folgenden Angaben in diesem Unterkapitel).
[29] Ziermann, Klaus: Der deutsche Buch- und Taschenbuchmarkt 1945 – 1995. Berlin 2000, S. 187.
[30] Vgl. Die Welt, 13. 12. 1990, Meldung S. 22.
[31] Vgl. Persönliches Gespräch mit Elmar Faber am 11. 1. 2006 im Verlag Faber & Faber Leipzig.
[32] Vgl. Brief Elmar Faber an die Treuhand-Anstalt (z. Hd. Herr Neumann) vom 5. 8. 1991 (per Fax von Bernd F. Lunkewitz am 15. 2. 2006).
[33] Vgl. Persönliches Gespräch mit Elmar Faber (Mini-Disc 1, 04:40ff.). Auf diesen Aspekt wird in Kapitel 4.2.3 näher eingegangen (Umstellung von Rütten & Loening). Laut Lunkewitz wollte Faber R & L im Anspruch noch über Aufbau stellen. Er dagegen sah den Aufbau-Verlag als das literarische Flaggschiff der Gruppe an und wollte bei R & L weiterhin populäres machen statt illustrierter, teurer Bücher.
[34] Vgl. Lücke, Detlev: „Ich hätte gern einen Stall voller Dostojewskis“. In: Das Parlament, Nr. 40 – 41 / 29. 09. 2003.
[35] Vgl. http://www.aufbauverlag.de/index.php4?page=56&&.
[36] Vgl. zu Kiepenheuer: E-mail Bernd F. Lunkewitz sowie Telefongespräch mit Aufbau-Chef Bernd F. Lunkewitz am 15. 2. 2006.
[37] Vgl. „Neues Haus für Aufbau-Verlag. Oblomov-Theater muß raus“. In: Berliner Kurier, 20. 1. 1996. Siehe Kapitel 2.6.
[38] Vgl. www.der-audio-verlag.de/index.php4?page=5700.
[39] Vgl. www2.aufbauverlag.de/index.php4?page=12360.
[40] Vgl. www.3sat.de/kulturzeit/events/bml02/bml.php?url=/kulturzeit/specials/30690/index. html.
[41] Vgl. www.merkur-online.de/nachrichten/kultur/kunstakt/art282,78803.html?fCMS=621b aee38c4c2fbaa044e9e209b3318b (Diller, Christine: „Ideologische Irrungen und Wirrungen. Aufbau-Verleger Bernd F. Lunkewitz aus Berlin zu Gast in München“. In: Münchner Merkur, 16. 1. 2003).
[42] Vgl. www.welt.de/daten/2001/11/24/1124lp297703.htx (Wittstock, Uwe: „Der Che Guevara von Kassel“. In: Die Welt , 24. 11. 2001).
[43] www.wams.de/data/2002/07/07/429331.html (Gutzmer, Alexander: „Emotionaler Mehrwert durch Poesie“. In: Welt am Sonntag , 7. 7. 2002).
[44] Wittstock.
[45] Vgl. „Das Aufbau-Wunder“. In: DER SPIEGEL, Nr. 15 / 1998 (6. April), S. 214 – 216, hier: S. 214.
[46] Heimann, Holger: „Man muss das Glück wollen“. Interview. In: Börsenblatt, Heft 42 / 19. 10. 2005, S. 39.
[47] „50 Jahre Aufbau-Verlag“ in der Sendung Kulturthema der Deutschen Welle (Hörfunk-Studios Berlin) vom 9. 8. 1995.
[48] Vgl. Telefongespräch mit Aufbau-Chef Bernd F. Lunkewitz am 3. 2. 2006.
[49] Vgl. Persönliches Gespräch mit Elmar Faber (MD 2, 6:30ff.) (Rest des Absatzes).
[50] Vgl. Schmid, Klaus-Peter: „‚Ich sitze in einem geklauten Auto’. Um das Eigentum an dem Ostberliner Aufbau-Verlag ist ein bizarrer Rechtsstreit entstanden“. In: Die Zeit, Nr. 19 / 29. 4. 1998, S. 28 (auch folgende Angaben).
[51] DER SPIEGEL, Nr. 15 / 1998 (6. April), S. 217 – 219, hier: S. 217.
[52] Zitiert nach: Schmid.
[53] Telefongespräch mit Jens Marquardt.
[54] Vgl. Walraf, Klaus: „Der Berliner Aufbau-Verlag ist erfolgreich, obwohl es ihn vielleicht gar nicht gibt. Unklare Eigentumsverhältnisse nach der Privatisierung / Gerichtstermin am Dienstag“. In: Berliner Zeitung, 2. 5. 1998, S. 26.
[55] Vgl. Schmid.
[56] Vgl. Walraf.
[57] Vgl. Wienert, Klaus: „Aufbau-Verlag vor Gericht unterlegen. Treuhand-Nachfolgerin BvS sieht sich bestätigt“. In: Berliner Zeitung, 6. 5. 1998, S. 31 (auch folgender Satz).
[58] „unterm strich“. In: taz (die tageszeitung), Nr. 6927 / 11. 12. 2002, S. 17.
[59] www.literaturnetz.com/content/view/4849/111.
[60] Vgl. www2.aufbauverlag.de/index.php4?page=12358.
- Citation du texte
- Simone Rath (Auteur), 2006, Der Aufbau-Verlag und die Wende, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89120
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