1 Einleitung
Was haben Medien mit Gewalt zu tun und umgekehrt Gewalt mit Medien? Es gibt keinen Zweifel: Gewalt ist ein äußerst explosives Thema, auch in der Literatur. Gewalt ist in sämtlichen Dichtungsarten zu finden, in der Epik, in der Dramatik, in der Lyrik und in historischen Romanen. Die verschiedensten Ausdrucksformen sind emotional wirkungsvolle Mittel, um unter anderem einen Roman spannend oder einen Film nicht langweilig zu gestalten. Alfred Döblin verzichtet in seinem Werk Berlin Alexanderplatz auch nicht auf Gewaltdarstellungen. Der Held des Romans, Franz Biberkopf, ist nach seinem Gefängnisaufenthalt den verwirrenden Eindrücken der Großstadt ausgesetzt. Er versucht ein Mitglied der Gesellschaft zu sein, aus der er vier Jahre ausgeschlossen war. Jedoch wird nicht das Einzelschicksal im Vordergrund dieser Arbeit stehen, sondern die Tat, die Biberkopf ins Gefängnis gebracht hat: Idas Tod. Wie wird ihr Todesfall veranschaulicht und bewertet? Welche Bedeutung hat ihr Tod für Franz Biberkopf? War es Totschlag, Mord oder ein Unfall? Um diese Fragen zu beantworten, werden ausgesuchte Textstellen analysiert. Dabei stellt nicht nur der Erzähler seine Perspektive dar, sondern auch Franz Biberkopf selbst bewertet seine eigene Handlung. Wie rechtfertigt Franz sich und sein Vergehen?
Zu Beginn der Arbeit werde ich den Begriff Mord erläutern, um Franz Handlung beurteilen zu können. Zum einen steht die Romandarstellung im Mittelpunkt dieser Arbeit, zum anderen wird Fassbinders Fernsehproduktion hinzugezogen. Inwiefern können Bilder die Aussagekraft von Worten ablösen? Gibt es Unterschiede in der Intention oder haben Leser und Zuschauer unterschiedliche Eindrücke von Idas Tod?
2 Was ist Mord?
Mord ist ein Vergehen. Diese Art gegen das Gesetz zu verstoßen, gab es bereits in der Vergangenheit, gibt es in der Gegenwart und wird in der Zukunft noch weiter in Erscheinung treten. Um zu klären, was genau Mord bedeutet, muss man diesen Begriff von verschiedenen Seiten betrachten.
Das Kapitalverbrechen Mord wird im § 211 des Strafgesetzbuches folgendermaßen definiert:
Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet. [1]
[1] Strafgesetzbuch mit Erläuterungen. 24., neubearbeitete Auflage. München: Verlag C.H. Beck 2001. S. 782.
Inhalt
1 Einleitung
2 Was ist Mord?
3 Idas Tod
3.1 Darstellung von Idas Tod im Roman - drei Perspektiven
3.1.1 Die Romandarstellung: Mord? Totschlag? Unfall?
3.2 Darstellung von Idas Tod in Fassbinders Fernsehverfilmung
3.2.1 Die Filmdarstellung: Mord? Totschlag? Unfall?
4 Fazit – Ein Vergleich zwischen Schrift und Bild –
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Was haben Medien mit Gewalt zu tun und umgekehrt Gewalt mit Medien? Es gibt keinen Zweifel: Gewalt ist ein äußerst explosives Thema, auch in der Literatur. Gewalt ist in sämtlichen Dichtungsarten zu finden, in der Epik, in der Dramatik, in der Lyrik und in historischen Romanen. Die verschiedensten Ausdrucksformen sind emotional wirkungsvolle Mittel, um unter anderem einen Roman spannend oder einen Film nicht langweilig zu gestalten. Alfred Döblin verzichtet in seinem Werk Berlin Alexanderplatz auch nicht auf Gewaltdarstellungen. Der Held des Romans, Franz Biberkopf, ist nach seinem Gefängnisaufenthalt den verwirrenden Eindrücken der Großstadt ausgesetzt. Er versucht ein Mitglied der Gesellschaft zu sein, aus der er vier Jahre ausgeschlossen war. Jedoch wird nicht das Einzelschicksal im Vordergrund dieser Arbeit stehen, sondern die Tat, die Biberkopf ins Gefängnis gebracht hat: Idas Tod. Wie wird ihr Todesfall veranschaulicht und bewertet? Welche Bedeutung hat ihr Tod für Franz Biberkopf? War es Totschlag, Mord oder ein Unfall? Um diese Fragen zu beantworten, werden ausgesuchte Textstellen analysiert. Dabei stellt nicht nur der Erzähler seine Perspektive dar, sondern auch Franz Biberkopf selbst bewertet seine eigene Handlung. Wie rechtfertigt Franz sich und sein Vergehen?
Zu Beginn der Arbeit werde ich den Begriff Mord erläutern, um Franz Handlung beurteilen zu können. Zum einen steht die Romandarstellung im Mittelpunkt dieser Arbeit, zum anderen wird Fassbinders Fernsehproduktion hinzugezogen. Inwiefern können Bilder die Aussagekraft von Worten ablösen? Gibt es Unterschiede in der Intention oder haben Leser und Zuschauer unterschiedliche Eindrücke von Idas Tod?
2 Was ist Mord?
Mord ist ein Vergehen. Diese Art gegen das Gesetz zu verstoßen, gab es bereits in der Vergangenheit, gibt es in der Gegenwart und wird in der Zukunft noch weiter in Erscheinung treten. Um zu klären, was genau Mord bedeutet, muss man diesen Begriff von verschiedenen Seiten betrachten.
Das Kapitalverbrechen Mord wird im § 211 des Strafgesetzbuches folgendermaßen definiert:
Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.[1]
Mord wird dabei als eine Handlung beschrieben, die mit Vorsatz ausgeführt wurde. Im Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland ist Mord hinsichtlich Tatmotiv, Tatausführung oder Tatzweck durch besondere Merkmale gekennzeichnet. Dies unterscheidet ihn vom Totschlag der als vorsätzliche Tötung ohne die strafschärfenden Attribute des Mordes bezeichnet wird. Diese rechtliche Definition hat sich in den letzten Jahrhunderten in den wesentlichen Punkten nicht geändert. Schon in der im Jahr 1532 erschienen „Constitutio Criminalis Carolina“, dem ersten deutschen allgemeinen Strafgesetzbuch, wurde festgelegt, dass ein Mord ein mit Überlegung gefasster Vorsatz der Tötung ist. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde der Mord vom Totschlag aufgrund der Heimlichkeit der Tatausführung oder der Gesinnung des Täters unterschieden. Das änderte sich jedoch mit der Carolina. Im Artikel 137 der „Constitutio Criminalis Carolina“ wurde der Totschlag als eine im Affekt begangene Tat beschrieben, die aber trotzdem gewollt war.[2] Als Folge dessen waren auch die Strafen unterschiedlich. Der Totschläger wurde mit dem Schwert und der Mörder mit dem Rad gestraft. Diese Art der Bestrafung ist in der heutigen Zeit nicht mehr existent. Mord wird mit lebenslangen Freiheitsentzug geahndet und der Totschlag mit einer Haftstrafe ab fünf Jahren bis lebenslänglich. Diese Definitionen verdeutlichen, dass die Bezeichnung Mord eindeutig festgelegt ist. Es ist auch erkennbar, dass sich diese Erläuterungen, vom inhaltlichen Aspekt aus betrachtet, in den vergangenen Jahrhunderten verändert und weiterentwickelt haben. Die Carolina stellte im 16. Jahrhundert eine Verbindung von fortschrittlichen Lehren italienischer Kriminalisten und übertragenem deutschen Rechtsgut dar. Das Strafsystem wurde im Interesse der Allgemeinheit entwickelt. Heute ist es eine Notwendigkeit, um die Grundrechte, die in der Verfassung der BRD fest verankert sind, von jedem Bürger zu schützen.
Die Betrachtung des Mordes mit Hilde des Strafrechts ist nur ein Weg, dessen Bedeutung zu klären. Menschen bedienen sich nicht juristischer Definitionen. Mord wird in der Gesellschaft als eine Bluttat, Meuchelei und oft als Abschlachtung bezeichnet. Das spiegelt sich auch in der Literatur wieder. Das Strafgesetz kann lediglich eine Basis für die Interpretation literarischer Texte sein. Es hilft uns, Delikte gegen Leib und Leben richtig einzuordnen.
3 Idas Tod
3.1 Darstellung von Idas Tod im Roman - drei Perspektiven
Zu Beginn des Romans lernt der Leser direkt die Hauptfigur Franz Biberkopf kennen, ein Zement- und Transportarbeiter, der aus dem Gefängnis entlassen wird. Gründe für die Haft werden anfangs allgemein beschrieben, wie zum Beispiel „wegen älterer Vorfälle“[3]. Im weiteren Verlauf erfährt der Leser jedoch konkretere Aussagen:
Dem Biest hab ich die Rippen zerschlagen damals, darum hab ich ins Loch gemußt. Jetzt hat sie, wat sie wollte, das Biest ist tot, jetzt steh ich da.[4]
Franz Biberkopf hat seine damalige Freundin Ida bei einer „Schlägerei tödlich“[5] verletzt, doch diese Tatsache erscheint besonders im ersten Buch von Berlin Alexanderplatz belanglos, da nur wenige Informationen den Leser vermuten lassen, wie es zu dieser Tat gekommen ist. Die Bemühungen der Hauptfigur, im Großstadtleben zurecht zu kommen und sittlich zu handeln, stehen im Mittelpunkt der Betrachtungen. Die Bindung zu Franz Biberkopf wird positiv verstärkt, denn sein „früheres sinnloses Leben“[6] scheint beendet - er versucht schließlich „anständig zu sein“[7].
Erst am Ende des zweiten Buches erfährt der Leser Details hinsichtlich der Tat. Die Biberkopfgeschichte wird an dieser Stelle unterbrochen, um einen Teil der Vergangenheit in die Romanhandlung einzubauen.
In einer Rückblende wird erzählt, wie Franz in einem Tobsuchtanfall seine Geliebte Ida so schwer verprügelt, dass sie an den Folgen stirbt.[8]
Obwohl der Vorfall nicht am Anfang des Romans steht, ist er der eigentliche Beginn der Handlung.
Während der Zementarbeiter und Möbeltransporteur muskulös und „stark wie eine Kobraschlange“[9] dargestellt wird, ist Ida eine „ganz kleine Person“[10], ein niedliches Mädchen, „nett anzublicken“[11]. Franz verkörpert das typische Männerbild – er ist ein kräftiger und sportlicher Mann, „denn er trainierte schon damals“[12]. Ida hingegen repräsentiert eine zerbrechliche, schwache Frau, die den „Ausmaße[n] des Franz Biberkopf“[13] physisch chancenlos gegenüber steht. Aus diesem Grund reicht eine ‚Berührung’ eines ‚kleinen’ hölzernen Sahneschlägers aus, um die zierliche Frauengestalt ‚leicht’ zu beschädigen. Die Verwendung der genannten Adjektive intensiviert die beabsichtigte Milderung der Tat. Franz schlägt nicht gewalttätig auf sie ein, sondern ‚berührt’ Ida lediglich und sie schreit „bei dem ersten Hiebe [...] au“[14]. Die Wortwahl, die den Vorfall schildert, entschärft und lenkt von Franz’ Brutalität ab. Die Misshandlungen werden außerdem durch Idas Provokation gegenüber Franz entschuldigt. Sie nennt ihn ‚Hurenbock’ und ‚Nuttenjäger’, wodurch die Hauptfigur – „dazu noch aus anderen Gründen erregt“[15] – gereizt und herausgefordert handelt. Die Tat wird als Affekthandlung, eine Eifersuchtstat, dargestellt - nicht als Mord. Der Leser distanziert sich nicht von Franz Biberkopf, da der Totschlag als Unfall geschildert ist, in dem nicht Ida die Opferrolle übernimmt, sondern Franz. Bereits im ersten Buch wird deutlich, dass sich die Hauptfigur selbst als Opfer betrachtet: „Kein Gefängnis gewesen [...] Wo ist das Luder [Ida], die ist dran Schuld.“[16] Wäre Ida nicht gewesen, hätte sie ihn nicht betrogen und provoziert, dann wäre Franz nicht ins Gefängnis gekommen. Jetzt trägt er den Schaden, denn aus der behüteten Ordnung des Gefängnisses, aus einem geregelten Tagesablauf entrissen, kann er keine Freude an der neuen Freiheit empfinden und fühlt sich dem Großstadtleben hilflos ausgesetzt. Überzeugt von dem Gedanken, das Opfer zu sein, entfernt sich Franz von Reue und Schuldeingeständnis. Auch der Erzähler fragt sich, ob Biberkopf ein schlechtes Gewissen plagt. Beantwortet wird dies mit Hilfe einer antiken Betrachtungsweise. Ein Vergleich zur Orestes-Geschichte wird hergestellt. Orestes ist eine bedeutende Gestalt der griechischen Mythologie, die den Mord des Vaters Agamemnon an seiner Mutter Klytämnestra rächt. Als Muttermörder wurde Orestes von den Rachegöttinnen, den Erinnyen, verfolgt und in den Wahnsinn getrieben.[17] Franz hingegen ist mit sich und seiner Welt zufrieden. Er geht als Sieger in diesem Vergleich hervor: „Franz Biberkopf hetzen sie nicht. [...] Wer möchte nicht lieber in wessen Haut stecken.“[18] Von Schuldgefühlen ist keine Rede. Franz trägt keine Verantwortung für seine Tat.
[...]
[1] Strafgesetzbuch mit Erläuterungen. 24., neubearbeitete Auflage. München: Verlag C.H. Beck 2001. S. 782.
[2] Vgl. Dr. Jur. H. C. Hermann, Conrad: Deutsche Rechtsgeschichte. Band 2. Neuzeit bis 1806. Karlsruhe: Verlag C.F. Müller 1966. S. 409.
[3] Döblin, Alfred: Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf. 45. Auflage. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2006. S.11.
[4] ebd. S. 37.
[5] ebd. S. 45.
[6] Döblin, A.: S. 13.
[7] Ebd.
[8] Siepmann, Thomas: Lektürehilfen. Alfred Döblin „Berlin Alexanderplatz“. Stuttgart, Düsseldorf, Leipzig: Klett 1999. S. 19.
[9] Döblin, A.: S. 98.
[10] Ebd. S. 99.
[11] Ebd.
[12] Ebd.
[13] Döblin, A.: Kapitelüberschrift S. 98.
[14] Ebd. S. 99.
[15] Ebd.
[16] Döblin, A.: S. 37.
[17] Vgl.: Burn, Lucilla: Griechische Mythen. Aus dem Englischen übersetzt von Ingrid Rein. Stuttgart: Reclam 1993. S. 80.
[18] Döblin, A.: S. 98.
- Citation du texte
- Maria Brüggert (Auteur), 2007, Mord? Totschlag? Unfall? Darstellung und Bedeutung von Idas Tod in Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" - Ein Vergleich zwischen Roman und Fassbinders Verfilmung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89044