„Als ob die Menschen, als sie den Naturzustand verließen und sich zu einer Gesellschaft vereinigten, übereingekommen wären, daß alle, mit Ausnahme eines einzigen, unter dem Zwang von Gesetzen stehen, dieser eine aber alle Freiheiten des Naturzustandes behalten sollte, die sogar noch durch Gewalt vermehrt und durch Straflosigkeit zügellos gemacht wurde! Das heißt die Menschen für solche Narren zu halten, daß sie sich zwar bemühen, den Schaden zu verhüten, der ihnen durch Marder und Füchse entstehen kann, aber glücklich sind, ja, es für Sicherheit halten, von Löwen verschlungen zu werden.“
Wie hier auch der berühmte englische Philosoph John Locke, so wird häufig die an sich uneingeschränkte Machtfülle des „Besitzer[s] der höchsten Gewalt“ in Thomas Hobbes' Leviathan kritisiert. Zumal, eingedenk seines äußerst egoistischen Menschenbildes, scheint die Furcht, der hobbessche Staat sei eine despotische Tyrannei sui generis, in der der „Oberherr“ seine Macht in hemmungsloser Willkür gegen seine Untertanen richten kann, nicht unbegründet.
Es soll daher in dieser Arbeit untersucht werden, welche Bedingungen für Thomas Hobbes einen tyrannischen Machtmissbrauch des „Oberherrn“, d.h. eine gewalttätige und selbstsüchtige Herrschaft zum Schaden der Allgemeinheit, in einem solchen Staat verhindern. Es scheinen hier zwei Hypothesen grundsätzlich von Interesse zu sein. Zum einen hätte Hobbes wohl selbst – obgleich er den Begriff der Tyrannei als Charakteristikum eines Herrschaftsstils explizit ablehnt – entgegnet, dass „selbst die größten Unannehmlichkeiten bei jeder Staatsverfassung dann kaum merklich werden, wenn man sie mit dem Elend des Krieges vergleicht“ . Zum anderen – und nur dies soll im Folgenden bearbeitet werden – könnte das Zusammenwirken der Konzeption des „Souveräns“ als „übriggebliebene[r] Naturzustandsbewohner[]“ und der hobbesschen Anthropologie selbst, der ebenso der „Oberherr“ unterliegt, als eigentlicher Schutz vor tyrannischem Machtmissbrauch betrachtet werden.
Zur Klärung dieses Untersuchungsgegenstandes werden im Folgenden daher zuerst die anthropologischen Prämissen untersucht, d.h., welche Wesenszüge bedingen das menschliche Handeln. Hierbei sind insbesondere das „natürliche Gesetz“ , welches Hobbes als eine von der Vernunft gebotene allgemeine Regel begreift, die Vernunft selbst und die menschlichen Leidenschaften gemeint.
Im Anschluss daran soll die Beschaffenheit der „höchsten Gewalt“ herausgearbeitet werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die anthropologischen Prämissen Hobbes'
3. Die Konzeption des „Oberherrn“
3. 1. Die Errichtung der „höchsten Gewalt“
3. 2. Die Rechte und Pflichten des Oberherrn
4. Das Zusammenwirken von Souveränskonzeption und Anthropologie als Hemmnis der Tyrannis
5. Zusammenfassung
6. Literaturverzeichnis
6.1. Primärliteratur
6.1. Sekundärliteratur
1. Einleitung
„Als ob die Menschen, als sie den Naturzustand verließen und sich zu einer Gesellschaft vereinigten, übereingekommen wären, daß alle, mit Ausnahme eines einzigen, unter dem Zwang von Gesetzen stehen, dieser eine aber alle Freiheiten des Naturzustandes behalten sollte, die sogar noch durch Gewalt vermehrt und durch Straflosigkeit zügellos gemacht wurde! Das heißt die Menschen für solche Narren zu halten, daß sie sich zwar bemühen, den Schaden zu verhüten, der ihnen durch Marder und Füchse entstehen kann, aber glücklich sind, ja, es für Sicherheit halten, von Löwen verschlungen zu werden.“[1] Wie hier auch der berühmte englische Philosoph John Locke, so wird häufig die an sich uneingeschränkte Machtfülle des „Besitzer[s] der höchsten Gewalt“[2] in Thomas Hobbes' Leviathan kritisiert. Zumal, eingedenk seines äußerst egoistischen Menschenbildes, scheint die Furcht, der hobbessche Staat sei eine despotische Tyrannei sui generis, in der der „Oberherr“[3] seine Macht in hemmungsloser Willkür gegen seine Untertanen richten kann, nicht unbegründet.
Es soll daher in dieser Arbeit untersucht werden, welche Bedingungen für Thomas Hobbes einen tyrannischen Machtmissbrauch des „Oberherrn“, d.h. eine gewalttätige und selbstsüchtige Herrschaft zum Schaden der Allgemeinheit,[4] in einem solchen Staat verhindern. Es scheinen hier zwei Hypothesen grundsätzlich von Interesse zu sein. Zum einen hätte Hobbes wohl selbst – obgleich er den Begriff der Tyrannei als Charakteristikum eines Herrschaftsstils explizit ablehnt[5] – entgegnet, dass „selbst die größten Unannehmlichkeiten bei jeder Staatsverfassung dann kaum merklich werden, wenn man sie mit dem Elend des Krieges vergleicht“[6]. Zum anderen – und nur dies soll im Folgenden bearbeitet werden – könnte das Zusammenwirken der Konzeption des „Souveräns“[7] als „übriggebliebene[r] Naturzustandsbewohner[]“[8] und der hobbesschen Anthropologie selbst, der ebenso der „Oberherr“ unterliegt, als eigentlicher Schutz vor tyrannischem Machtmissbrauch betrachtet werden.
Zur Klärung dieses Untersuchungsgegenstandes werden im Folgenden daher zuerst die anthropologischen Prämissen untersucht, d.h., welche Wesenszüge bedingen das menschliche Handeln. Hierbei sind insbesondere das „natürliche Gesetz“[9], welches Hobbes als eine von der Vernunft gebotene allgemeine Regel begreift,[10] die Vernunft selbst und die menschlichen Leidenschaften gemeint.
Im Anschluss daran soll die Beschaffenheit der „höchsten Gewalt“ herausgearbeitet werden. Dies meint zum einen, wie ist die „allgemeine Macht“[11], also „die höchste Gewalt“ gegründet, und zum anderen wie sind die daraus resultierenden Rechte und Pflichten des Oberherrn beschaffen.
Aus der Zusammenführung der anthropologischen einerseits und der die Souveränskonzeption betreffenden Prämissen anderseits, so die These, ergeben sich dann spezifische Verhaltensparadigmen für den „Souverän“, die eine Tyrannis gleichsam ausschließen sollen.
2. Die anthropologischen Prämissen Hobbes'
Sucht man eine deutliche Definition der hobbesschen Anthropologie, so wird man feststellen, dass diese Frage in seinen Werken zwar vollends aber nicht kohärent bearbeitet wird. Vielmehr sind wichtige Bemerkungen hierzu, sowohl im „Leviathan“ als auch in „De Homine“, häufig über verschiedene Kapitel verstreut. Soll aber ein Ausgangspunkt gesetzt werden, so ist dieser unweigerlich in der Bewegungslehre des Hobbes zu sehen. Demnach ist alles menschliche Denken, Handeln und Sein einer Kausalkette der Bewegungen, die aus einer Korrelation der inneren und äußeren Bewegungen gespeist wird, unterworfen.[12]
Das Verhalten der Menschen zueinander wird außerhalb des staatlichen Zustandes, d.h. im Naturzustand, von ihren Fähigkeiten, dies sind Körperkraft, – hinsichtlich dieser ist jeder Mensch dem anderen nahezu gleich[13] – Erfahrung, Vernunft und Leidenschaft, bestimmt.[14]
Die Erfahrung kann als der eigentliche Nennwert des Verstandes, der jedem Menschen von Geburt an gegeben ist, bezeichnet werden. Daher verfügen Menschen gleichen Alters, da sie einen ähnlichen Fundus an Erfahrungen aufweisen, über etwa gleiche Verstandesfertigkeiten.[15]
Anders als die Erfahrung ist die Vernunft „eine Art von Rechnen“[16], die nicht jedem Menschen von vornherein im gleichen Maße zur Verfügung steht, sondern die es zu schulen und durch Gebrauch zu entwickeln gilt. Wesentlich bleibt jedoch bei allen Vorzügen der Vernunft ihr instrumenteller Charakter als ein „Optimierungsmittel, das wissenschaftliche Erkenntnis von Ursache- Wirkungs- Relation für handlungsvorbereitende Zweck- Mittel- Analysen fruchtbar macht“[17].[18]
Der eigentliche Wille des Menschen ist in den Leidenschaften, nämlich „Neigung, Verlangen, Liebe, Abneigung, Haß, Freude, Schmerz und Traurigkeit“[19], zu sehen. Die Leidenschaften selbst – mit Ausnahme der natürlichen körperlichen Verlangen, wie Essen oder Trinken – sind aber ein Ergebnis der Überlegung, die wiederum erst auf der Grundlage der Erfahrung, also des sinnlichen Erfahrens, des Überlegungsgegenstandes entstehen kann. Dementsprechend ist das Verlangen oder Unbehagen eines Menschen, das ein Gegenstand in ihm auslöst, also erst durch das erfahrene Wissen um die Wirkung dieses Gegenstandes auf den Menschen möglich. Aus dem Abschluss einer Überlegung resultiert somit der Wille, wobei die gewollten Dinge als Güter, die ungewollten aber als Übel bezeichnet werden.[20]
Da nun jedem Menschen das eigene Wohlergehen von Natur aus am Herzen liegt, empfindet er die Sicherung des eigenen Lebens als ein primum bonum.[21] Dieser Umstand gibt nun jedem Menschen das „natürliche[] Recht[]“[22] zur Erhaltung seiner selbst ohne Rücksicht auf andere alles zu tun und alle Mittel zu ergreifen, die er entsprechend seiner Vernunft für nötig erachtet, ganz gleich ob jene Mittel diesem Zweck tatsächlich dienlich sind.[23] Es ist gerade dieses Element, dass das egoistische und das dem rationalen Eigeninteresse dienende Wesen des Menschen ausmacht. Dies darf allerdings nicht zwangsläufig als reiner Sadismus oder eine genuine Schlechtigkeit zum bloßen Selbstzweck missverstanden werden.[24]
Aus dem bisher gesagten ist nun ersichtlich, dass hinsichtlich der Kraft, der Gewalt, der geistigen Fertigkeiten und der Rechte eine Symmetrie unter den Menschen herrscht. Diese Gleichheit erstreckt sich ebenso auf das Streben nach den gleichen und teilweise knappen Gütern. Die daraus resultierende „Konkurrenz“ führt zur Feindschaft unter den Bewerbern, die so um ihren Anteil am Gut oder schlimmer durch die Feindseligkeiten gar um ihr Leben fürchten müssen. Diese Furcht gebärt ein ständiges „Mißtrauen“ gegen potentielle Konkurrenten, weshalb die Vernunft Wachsamkeit, Kriegsrüstung und Erweiterung der eigenen Macht, auch auf Kosten anderer, empfiehlt. Somit fördert ein jeder das „Mißtrauen“ eines jeden. Abgesehen davon geben Menschen, die aus bloßer Gier nach Macht und Ehre andere zu beherrschen trachten, Anlass zur Vorsicht und ständigen Kampfesbereitschaft.[25]
Es sind diese Bedingungen, nämlich „erstens Konkurrenz, zweitens Mißtrauen, drittens Ruhmsucht“[26], die, da sie den ununterbrochenen Willen zur Gewaltbereitschaft verursachen, den Menschen zum Wolf des Menschen machen[27] und den Zustand der Natur zu einem solchen des permanenten „Krieges eines jeden gegen jeden“[28] werden lassen.
Die Gefährdung, die von diesem Zustand auf das primäre Gut des Menschen ausgeht, ist derart gewaltig, sodass die menschliche Vernunft, welcher ja die Entscheidung über die Mittel zur Selbsterhaltung obliegen, Auswege aus dem bellum omnium contra omnes zu entwickeln sucht. Dementsprechend postuliert sie allgemeine Regeln, „natürliche Gesetze“[29], die durch Einschränkung der eigenen Freiheit dem Frieden dienen sollen. Diese lauten: 1. „Jedermann hat sich um Frieden zu bemühen, solange dazu Hoffnung besteht.[...]“[30], 2. „Jedermann soll freiwillig, wenn andere ebenfalls dazu bereit sind, auf sein Recht auf alles verzichten [...].“[31], 3. „Abgeschlossene Verträge sind zu halten.“[32] Solange allerdings Zweifel hinsichtlich ihrer Einhaltung bestehen und keine „allgemeine Macht“[33], die ihre Einhaltung notfalls mit Gewalt sicherstellen könnte, existiert, wäre es unvernünftig diesen Regeln zu entsprechen.
[...]
[1] Locke, John: Zwei Abhandlungen über die Regierung, hrsg. u. eingel. von Walter Euchner, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1977, S. 258.
[2] Hobbes, Thomas: Leviathan, Stuttgart: Philipp Reclam Verlag 1970, S. 156.
[3] Hobbes, T,: Leviathan, S. 278.
[4] Zum Begriff der Tyrannis vgl. Nohlen, Dieter, Schultze, Rainer-Olaf, Schüttemeyer, Suzanne S. (Hg.): Lexikon der Politik. Politische Begriffe, Bd. 7, München: C. H. Beck`sche Verlagsbuchhandlung 1998, S. 653f.
[5] Vgl. Hobbes, T.: Leviathan, S. 167.
[6] Ebenda, S. 166.
[7] Hobbes, Thomas: Der Staat als Instrument eines aufgeklärten Egoismus, in: Hoerster, Norbert (Hg.), Klassische Texte der Staatsphilosophie, 7. Aufl., München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1992, S. 126.
[8] Kersting, Wolfgang: Vertrag, Souveränität, Repräsentation. Zu den Kapiteln 17 bis 22 des Leviathan, in: Kersting, Wolfgang (Hg.), Thomas Hobbes. Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates (Klassiker Auslegen, Bd. 5), Berlin: Akademie Verlag 1996, S. 216.
[9] Hobbes, T.: Leviathan, S. 118.
[10] Vgl. ebenda.
[11] Ebenda, S. 155.
[12] Vgl. Chwaszcza, Christine: Anthropologie und Moralphilosophie im ersten Teil des Leviathan, in: Kersting, Wolfgang (Hg.), Thomas Hobbes. Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates (Klassiker Auslegen, Bd. 5), Berlin: Akademie Verlag 1996, S. 84.
[13] Vgl. Hobbes, T.: Leviathan, S. 112f.
[14] Vgl. Hobbes, Thomas: Vom Menschen. Vom Bürger (Elemente der Philosophie II/III), hrsg. u. eingel. von Günter Gawlick, 3. Aufl., Hamburg: Felix Meiner Verlag 1994, S. 75.
[15] Vgl. Hobbes, T.: Leviathan, S. 63ff.
[16] Ebenda, S. 40.
[17] Chwaszcza, Christine: Anthropologie und Moralphilosophie im ersten Teil des Leviathan, S. 89.
[18] Der Begriff der Vernunft kann hier nicht in allen Facetten erörtert werden. Hierbei sei besonders auf das komplexe korrelative Verhältnis von Vernunft und Sprache verwiesen.
[19] Hobbes, T.: Leviathan, S. 51.
[20] Vgl. ebenda, S.47ff.
[21] Vgl. Hobbes, T.: Vom Menschen. Vom Bürger, S. 24.
[22] Ebenda, S. 81.
[23] Vgl. ebenda, S. 81ff.
[24] Vgl. ebenda, S. 80.
[25] Vgl. Hobbes, T.: Der Staat als Instrument eines aufgeklärten Egoismus, S. 109ff.
[26] Ebenda, S. 111.
[27] Vgl. Hobbes, T.: Vom Menschen. Vom Bürger, S. 59.
[28] Hobbes, Thomas: Der Staat als Instrument eines aufgeklärten Egoismus, S. 111.
[29] Im Folgenden finden sich nur die für die Argumentation wichtigen ersten drei „natürlichen Gesetze“.
[30] Hobbes, T.: Der Staat als Instrument eines aufgeklärten Egoismus, S. 114.
[31] Ebenda.
[32] Ebenda, S.117.
[33] Hobbes, T.: Leviathan, S. 154.
- Arbeit zitieren
- Robert Dambon (Autor:in), 2007, Die Tyrannei verlernen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88953
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